Eren von tears-girl (Geheimnisse der Turanos) ================================================================================ Kapitel 21: Der Neue -------------------- Das Klassenzimmer ist anders wie Eren es sich vorgestellt hat. Hier sieht es nicht annähernd so ordentlich und geordnet aus, wie beim Unterricht Zuhause. Die Tische sind in vier Reihen mit je vier Tischen und einem Gang in der Mitte aufgestellt. Überall liegen Papierschnipsel, Stifte, Scheren und Klebestifte herum. Nur die wenigsten Schüler sitzen auf ihren Plätzen oder überhaupt auf einem Stuhl. Viele stehen in Grüppchen zusammen, haben es sich auf den Tischen gemütlich gemacht oder sogar auf dem Boden! Doch dafür reden sie erstaunlicherweise in Zimmerlautstärke miteinander.   Überrumpelt von so viel Chaos bleibt Eren im Türrahmen stehen. Ist das wirklich eine Schulklasse? Er kommt sich vor, als wäre er in einer Bastelwerkstatt gelandet. Einer Bastelwerkstatt für Kleinkinder. Doch das ist nicht das einzige, was ihn beunruhigt. Er entdeckt zwar unter all den Kindern, die ihn neugierig und interessiert mustern, den ein oder anderen Blondschopf, aber nicht den Blondschopf, nach dem er sucht. Hat sich sein Vater geirrt? Ist das die falsche Klasse?   „Hallo, Frau Parker“, grüßt der Direktor, gekonnt das Chaos ignorierend. „Ich hab Ihnen den neuen Schüler mitgebracht. Sein Name ist Eren Turano.“   Zumindest die Frau, die auf sie zukommt, scheint die richtige zu sein. Wie bereits im Flur lächelt sie Eren strahlend an. „Hallo, nochmal.“   „Ah, ich kennt euch bereits?“, möchte der Direktor verwundert wissen und sieht von Eren zu Frau Parker.   „Ja. Wir haben uns vorhin im Gang getroffen, als er das Sekretariat gesucht hat“, erklärt die Lehrerin.   „Gut, gut. Dann muss ich ja gar nicht mehr viel dazu sagen.“ Der Mann, der nicht das kleinste bisschen überrascht über den unkonventionellen Unterricht zu sein scheint, wendet sich nun an Eren. „Nochmal herzlich Willkommen an unserer Schule.“   Bevor Eren einen Ton herausbringt, wenn er denn gekonnt hätte, drückt sich Kruz an ihm vorbei und lässt den überforderten Jungen stehen. Und was jetzt? Zuhause hat ihn niemand auf so etwas vorbereitet. Auf Unterricht, ja, aber nicht auf Bastelstunden.   „Du brauchst keine Angst zu haben, Eren. Du wirst dich sicher schnell eingewöhnen“, versichert die Lehrerin überzeugt.   *Ich hab keine Angst. Ich bin nur überrascht*, verteidigt sich Eren stumm.   „Kannst du mit einer Schere umgehen?“   „Äh … ja?“ *Hält sie mich für blöd?* Von Sekunde zu Sekunde findet er die Schule skurriler.   „Super. Dann schnapp dir doch Schere, Stift und Papier und lass deiner Kreativität freien Lauf. Wir basteln gerade Halloween-Dekoration für die Halloween-Pause am Freitag“, erklärt die Frau fröhlich ohne zu erklären, was überhaupt eine Halloween-Pause sein soll. „Der Stuhl hinten rechts am Fenster ist noch frei. Das wird dein Platz. Die Bastelmaterialien liegen bei mir am Pult. Nimm dir einfach was du brauchst und erschaffe gruhuuuselige Deko.“   „Äh … okay?“ Eren ist von der Euphorie regelrecht überrollt worden, sodass sein Verstand noch nicht alles verarbeiten konnte. Viel zu viele neue, kuriose Eindrücke.   „Klasse, hört mal kurz her“, bittet die Frau und klatscht dabei in die Hände. Da sowieso alle schon neugierig Erens Ankunft verfolgt haben, dauert es keine zwei Sekunden bis das Gemurmel verstummt und alle Augen auf dem Jungen ruhen, der versucht sich sein Unbehagen nicht anmerken zu lassen. „Das ist euer neuer Mitschüler, Eren Turano. Seid nett zu ihm.“   Bei der Erwähnung seines Nachnamens tauschen einige überraschte, ungläubige Blicke. Klar kennt jeder die reichste Familie der Stadt. Der Name prangt schließlich an mehreren Stellen. Das macht es nicht gerade einfacher unauffällig zu sein. Warum konnte er keinen Decknamen bekommen? Er war eh noch nie in der Öffentlichkeit. Niemand hätte ihn erkannt.   „Okay. Geht wieder an die Arbeit.“ Frau Parker entlässt Eren aus dem peinlichen Rampenlicht und setzt sich zurück an ihren Pult. „Geister und Kürbisse basteln sich nicht von allein.“   *Na dann, auf in den Unterricht.*   Unter neugierigen Blicken nimmt sich Eren wahllos ein paar Bastelutensilien und bahnt sich einen Weg zum hinteren Teil des Klassenzimmers. Der ihm zugewiesene Platz ist schon überfüllt mir Papierschnipseln und halbfertigen Dekogeistern. Auf dem Nachbarstuhl sitzt ein braunhaariges Mädchen mit Sommersprossen, das schüchtern vermeidet Eren anzusehen. Hektisch sammelt sie ihre Bastelsachen ein und murmelt: „Entschuldigung“.   „Kein Ding.“ Eren lässt sich auf den Stuhl fallen, legt Bastelpapier und Co. auf die Tischplatte und stellt den Rucksack neben seine Füße. Nachdem er die Zettel vom Direktor in seiner Tasche verstaut hat, mustert er die bunten Papiere, die Schere und den Klebestift. Er soll jetzt tatsächlich basteln? Er kann sich nicht erinnern, jemals gebastelt zu haben. Oder andere künstlerische Aktivitäten. Ajax meinte, dass sei sinnlose Zeitverschwendung. Schließlich lernt man dabei nicht, jemanden zu töten.   *Komm schon, Eren. Du hast letzte Woche einen Grobämi getötet, da schaffst du es doch auch ein paar Papiergeister zu basteln.* Wenn schon die Stimmen verstummt sind, muss er sich eben selbst anspornen.   Ratlos nimmt er den Bleistift zur Hand und zieht ein weißes Blatt aus dem Stapel. Er setzt den Stift an und stockt. Was hat er eigentlich vor? Etwas Gruseliges für Halloween soll es werden? Da hat er doch keine Ahnung. Alles was Eren bisher über Halloween weiß ist: es gibt diesen Tag. Das war auch schon alles. Die Turanos feiern kein Halloween. Auch keinen anderen Feiertag. Das wäre nur Zeitverschwendung und sinnlose Ablenkung.   „Hey, bist du wirklich ein Turano-Turano? Oder hast du nur zufällig denselben Nachnamen?“, spricht ihn unerwartet der Junge an, der schräg vor ihm sitzt.   Eren hebt den Kopf und zwingt sich nicht ganz so überfordert auszusehen. „Turano-Turano? Wenn du damit die meinst, denen das Gebäude mit dem riesigen TI gehört, dann ja.“   „Wow. Echt cool. Du musst doch steinreich sein, oder?“ Der Junge dreht den Stuhl etwas, setzt sich falsch herum darauf und legt die gekreuzten Arme auf die Lehne. „Müsstest du dann nicht auf einer Eliteschule sein, oder so?“   Eren zuckt mit den Schultern. „Mein Vater dachte, ich passe hier besser rein.“   Ein seltsames möchtegern wissendes Grinsen hebt die Mundwinkel des Unbekannten an. „Verstehe.“   „Ach ja?“, fragt Eren zweifelnd nach und hebt eine Augenbraue.   „Klar, ist doch offensichtlich“, fährt der Fremde fort. „Du bist viel zu verwöhnt und arrogant geworden und sollst jetzt sehen, wie durchschnittliche Menschen leben, um nicht zu verzogen zu werden. Ist doch offensichtlich.“   Die Antwort ist so dämlich, so weit weg von der Realität, dass Eren nicht weiß, was er darauf antworten soll.   „Und in welcher Schule warst du dann bisher?“, klinkt sich eine Brünette neben dem Jungen in das Gespräch ein. Sie sitzt auf der Tischplatte, hat die Füße auf den Stuhl gestellt und lässt sich nicht davon ablenken ihren Totenkopf auszuschneiden.   „Auf keiner. Ich wurde Zuhause unterrichtet.“ Warum löchern sie ihn so mit Fragen? Weil er neu ist? Weil er ein Turano ist? Beides? Eren ist nur froh, dass Ajax nicht hier ist, um ihn mit warnenden Blicken zu durchbohren oder zu bestrafen, für jedes möglicherweise falsche Wort, das aus ihm herausrutschen könnte. Dennoch hätte er sich an seinem ersten Tag etwas mehr Ruhe gewünscht, um sich erst einmal anzusehen, wie es in einer Schule so läuft und sich einen Überblick zu verschaffen.   „Ha! Ich wusste es. Es ist eine Art Strafe für dich“, freut sich der arrogante Typ und fixiert Erens Augen. „Bild dir bloß nicht ein, dass du besser bist als wir, nur weil du reich bist. Klar?“   Soll das eine Drohung sein? Eren kann den Kerl nicht ernst nehmen. Der erinnert ihn viel zu sehr an Viktor. Genau wie der Bienenmutant ist er nichts weiter als ein angeberischer Trottel. „Keine Sorge, hab ich nicht vor.“   „Gut. Ich sehe wir verstehen uns.“ Schon wieder grinst der Fremde so seltsam.   „Timo, hör auf immer anderen zu drohen“, rügt ihn die Brünette. „Nimm ihn nicht ernst. Er ist eben der selbsternannte Klassenmacho.“   „Hey! Das ist doch überhaupt nicht wahr!“, regt sich Timo auf und funkelt das Mädchen mit geröteten Wangen an. „Immerhin bin ich der Klassensprecher und das stärkste Mitglied des Kampf-Clubs!“   Das Mädchen kichert nur amüsiert. Eren sieht stirnrunzelnd zwischen den beiden hin und her. Nicht nur die Schule scheint seltsam zu sein, auch die Schüler haben einen Knall. Oh je. In was hat ihn Ajax da nur hineingeritten? Und wo steckt jetzt eigentlich dieser Max?   Wie auf´s Stichwort öffnet sich die Klassentür und ein bekannter Blondschopf stolpert herein. Max sieht aus, als wäre er gerade erst aus dem Bett gefallen und hätte sich danach blind angezogen. Seine Haare stehen in alle Richtungen ab, sein rotes Hemd ist schief zusammengeknöpft und er trägt unterschiedliche Socken, die man dank seiner Hochwasserhose sehen kann.   „Ah, guten Morgen, Max. Wiedermal zu spät? Welche Ausrede hast du heute für mich?“, seufzt Frau Parker nicht im geringsten verärgert.   „Morgen.“ Verlegen grinsend fasst sich Max an den Hinterkopf. „Ich hab vergessen den Wecker zu stellen. Tut mir leid, kommt nicht wieder vor. Versprochen.“   Die Lehrerin lächelt milde. „Das hab ich doch schon mal gehört.“   „Ich weiß, aber diesmal mein ich es ernst!“, versichert Max mit ernster Miene.   „Schon gut.“ Somit ist das Thema für die Frau erledigt. „Setzt dich auf deinen Platz und fang an ein paar Geister zu basteln.“   Der blonde Junge nimmt alles an Papier und Dekozeug mit, das noch am Pult gelegen hat, zu seinem Sitzplatz. Zufälligerweise, mehr oder weniger, ist der Platz direkt vor Eren. Haben selbst bei der Sitzwahl sein Vater und Ajax ihre Finger im Spiel? Etwas übertrieben, oder nicht?   „Morgen, Max“, grüßt Timo den Blonden amüsiert. „Wie kann man nur fast jeden Tag zu spät kommen? Ein Wunder, dass du noch keinen Verweis bekommen hast.“   „Hi, Leute. Ganz einfach, wenn man …“ Max bricht mitten im Satz ab und bleibt vor seinem Stuhl stehen als er den Neuling entdeckt. Seine Augen werden vor Überraschung ganz groß und er blinzelt zweimal ehe er seine Stimme wieder findet: „Eren?!“   „Guten Morgen, Max.“ Die Mission beginnt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)