Eren von tears-girl (Geheimnisse der Turanos) ================================================================================ Kapitel 40: Mission erfüllt (?) ------------------------------- Vielleicht hätte der Turano die Beutetaschen doch einfach den vier Älteren übergeben sollen. Er hätte doch eh nichts daraus gegessen. Aber nein, sein Stolz war ja zu groß dafür und jetzt ist es zu spät. Da hat er Max ja was schönes eingebrockt. Und sich selbst. Es bleibt ihm wohl nichts anderes übrig als sich zu wehren. Auch wenn das bedeutet, Eren muss zeigen was er kann. Also, die Frage ist: kämpfen oder über den Zaun? Oh, Mann. Egal wofür er sich entscheidet, am Ende wird er dafür sicher ewig lang Strafen abarbeiten müssen und nie wieder allein irgendwohin gehen dürfen. Und wenn Max nicht getötet wird, weil er von Erens Kräften weiß, wird ihm das Gedächtnis gelöscht und auch gleich noch brutal aus ihm herausgekitzelt, ob er selbst Kräfte hat. So oder so, die Mission endet hier. Super. Der Abend wird immer besser und besser.   „Okay, Max, bleib hinter mir“, weist Eren den Grünäugigen an und stellt sich schützend vor ihn. Die Maske behält er vorsichtshalber auf, so erkennen die Vier ihn zumindest auf keinen Fall. Auch wenn er dadurch wenig sieht. Aber für diese Trottel sollte es mehr als genügen.   Der Kürbis sieht den Zaun hoch, scannt die Umgebung und sucht sichtlich angestrengt nach einem Ausweg, der nichts mit Kämpfen zu tun hat. Mittlerweile kann sogar er schon die Schritte hören. Sie sind bald da. Ihm bleibt keine Zeit lange nach einer Alternative zu suchen. Deshalb atmet er die angehaltene Luft aus und hat plötzlich ein überraschend entschlossenes Funkeln in den Augen.   „Bitte, hab keine Angst vor mir“, sagt Max leise.   Eren kann gerade Mal irritiert den Kopf drehen, da wird er auch schon ohne Erklärungen umarmt und es geht aufwärts. Mit vor Überraschung großen, perplexen Augen wehrt sich der Turano nicht einmal während Max in einem einzigen, unnatürlich Satz über den Zaun hopst und sicher auf der anderen Seite landet, wo er diesmal den Braunhaarigen hinter die nächste Ecke außer Sichtweite zerrt. Dort gehen sie beide hinter einen Müllcontainer in Deckung.   Eren starrt Max fassungslos an, so als wäre ihm plötzlich ein zweiter Kopf gewachsen. Max hat Kräfte? Max hat KRÄFTE?! Wie konnte er sich nur so irren?! Wieso hat er es nicht früher erkannt? Oder überhaupt erkannt? Ist er wirklich so unfähig? So inkompetent? Max hat es ihm sogar so unfassbar leicht gemacht, sich in sein Leben einzuschleichen und auszuspionieren und trotzdem hat er so extrem versagt? Er war schon der festen Überzeugung, er sei völlig normal und war bereit das heute auch Ajax und seinem Vater zu berichten. Bei dem Gedanken läuft es ihm frostig den Rücken runter.   Okay, stopp. Jetzt so überflüssig überzureagieren ist doch total unnötig. Alles ist in Ordnung. Er hat seine Mission erfolgreich abgeschlossen und sogar im festgelegten Zeitrahmen. Das Beinaheversagen müssen Ajax und sein Vater ja nicht erfahren. Er hat herausgefunden, dass seine Zielperson besondere Kräfte besitzt, auch wenn eine gute Sprungkraft nicht unbedingt zu den Fähigkeiten gehört, mit denen man angeben kann. Egal, Kräfte sind Kräfte. Der nächste Schritt wird sein, Max in den Bunker zu holen bevor noch böse Menschen auf ihn aufmerksam werden, die ihn nur für ihre Verbrechen ausnutzen wollen.   *Und jetzt reiß dich endlich mal wieder zusammen, Eren!*, rügt sich der Zwölfjährige selbst. *Du tust ja so, als hättest du noch nie jemanden mit außergewöhnlichen Fähigkeiten getroffen.*   Energisch zwingt er sich zurück in die Gegenwart und auf das aktuelle Problem zu konzentrieren: die vier Süßigkeitendiebe. Sie sind mittlerweile in der Gasse angekommen und haben bemerkt, dass sie die Jungs verloren haben, können sich aber auch nicht auf eine plausible Erklärung einigen. Sie treten gegen herumliegende Kartons, kippen Tonnen um, wobei sie nur Ratten und eine Katze aufscheuchen und beschließen dann weiterzusuchen. Denn über den Zaun und außer Sichtweite zu verschwinden, können zwei kostümierte Zwölfjährige in so kurzer Zeit schließlich nicht.   „Sie sind weg“, verkündet Eren als ihre Schritte den Gefahrenbereich verlassen.   „Phu.“ Max lehnt den Kopf an die Mauer hinter sich. „Ich dachte schon, wir würden heute noch im Krankenhaus landen. Musstest du sie denn so provozieren?“   „Warum provozieren? Ich hab mich nur geweigert diesen vier Obertrotteln unsere Beute zu geben, nur weil sie das verlangen“, stellt Eren klar. „Du darfst nicht immer gleich klein beigeben, sonst benutzt dich jeder nur als Fußabtreter.“   „Meinst du?“   Der Kürbis scheint das nicht ganz nachvollziehen zu können. Eren überrascht das kein bisschen. Mit dieser Einstellung wird er allerdings im Bunker nicht weit kommen. Da wird ihm der junge Turano wohl als erstes zeigen müssen, wie er sich solchen wie Ajax und Viktor gegenüber zu verhalten hat, um eben nicht wie ein Fußabstreifer behandelt zu werden. Vorausgesetzt, Ajax und sein Vater erlauben ihm weiterhin den Kontakt zu Max.   „Wir sollten wohl lieber von hier verschwinden, bevor sie merken, dass wir nicht da lang gerannt sind“, schlägt der Blonde vor und steht bereits auf.   Dem kann Eren nur zustimmen, erhebt sich ebenfalls und folgt ihm durch das Gassenlabyrinth zur Hauptstraße. Hier sind wieder mehr kostümierte Kinder auf Süßes oder Saures-Tour unterwegs und nirgends eine Spur der vier Diebe. Dafür ist die Stimmung zwischen den beiden Jungs merklich distanziert. Vor allem, weil Max ziemlich wortkarg ist und wenn er was sagt, dann nur einsätzige Nebensächlichkeiten, wie etwas über eine Dekoration, die ihm gefällt oder ein Kostüm, das er auch mal als Kind hatte.   Irgendwann wird dieses gespielte Verhalten, so zu tun als wäre nichts passiert, dem Turano zu anstrengend und er fragt einfach direkt heraus: „Also, erklärst du mir jetzt, wie du die Sache mit dem Zaun gemacht hast oder tun wir weiterhin so, als wäre das völlig normal gewesen?“   Im Grunde ist es Eren zwar egal, wie seine Kräfte funktionieren, aber je mehr Infos, desto besser.   Ertappt weicht Max Erens Blick aus und lacht schief. „Du hast es also doch bemerkt, was?“   „Wie hätte ich es denn bitte nicht bemerken sollen?“, kontert das Piratenskelett.   „Auch wieder wahr“, gesteht der Blonde und seufzt überfordert. Ist das wirklich eine so große Sache für ihn? „Ich verspreche, ich werde dir alles erklären, aber nicht hier und jetzt. Später, bei mir Zuhause, okay?“   „Na gut“, willigt Eren ein, dem das auch ganz recht ist. Man weiß schließlich nie wer einem auf offener Straße hinterherspioniert. Außerdem kann er dann das Piratenskelett loswerden. Vor allem die Maske. Und er kann schon einmal die Familiengruppe auf den neuesten Stand bringen. Vielleicht nehmen sie Max einfach heute gleich mit in den Bunker? Dass er freiwillig mitkommen würde, bezweifelt Eren, aber wenn er ihm erstmal erklärt, weshalb es für ihn und seine Familie sicherer ist, wenn er im Bunker untertaucht, dann wird er es sicherlich verstehen. Hoffentlich.   ~~~   Bis die beiden Jungs am Haus von Max ankommen, sammeln sie keine weiteren Süßigkeiten, wie es eigentlich geplant war. Die „Süßes oder Saures“-Stimmung ist verschwunden. Nachdem der Blonde die Haustür aufgeschlossen hat, diesmal ohne sich vor der Spinne zu erschrecken, und sie eingetreten sind, streift Eren die Schuhe ab und nimmt zu seiner Erleichterung endlich die Maske ab.   „Also? Wie hast du das gemacht?“, fragt der Turano erneut nach.   „Ähm“, druckst der Blonde herum. „Wie wär´s, wenn du dich zuerst umziehen gehst und ich mach uns inzwischen eine heiße Schokolade und komm dann rauf?“   „Hm.“ Forschend mustert er das Profil seiner Zielperson, die ihn immer noch nicht direkt ansehen will. Da aus diesem Kostüm rauszukommen gar nicht so schlecht klingt, willigt er ein. „Na schön. Aber wehe du willst dich jetzt aus dem Staub machen oder so.“   Gekünstelt lacht Max ein paar Mal und kratzt sich ausweichend am Hinterkopf. Während der Kürbis also in der Küche verschwindet, steigt Eren die Treppe hinauf und geht in Max´ Zimmer. Diesmal zieht er sich zuerst das störende Kostüm aus, stapelt es neben dem Bett und schnappt sich dann sein Handy, um den Familienchat zu öffnen.   Eren, 31.10., 20:23 Update Auftrag Max: Ich hab herausgefunden, dass er tatsächlich besondere Fähigkeiten besitzt. Bisher weiß ich nur, dass er eine übernatürlich gute Sprungkraft hat. Ich bin aber dabei mehr herauszufinden. Wie geht´s jetzt weiter? Soll ich Max schon vom Bunker erzählen und dass wir ihn dorthin in Sicherheit bringen wollen?   So, eingetippt und abgesch... Seltsam. Erens Finger schwebt zwar über dem Sendenbutton, aber irgendetwas in ihm sagt ihm, dass er das nicht abschicken soll. Das ist doch lächerlich. Wieso sollte er nicht? Seine Familie hat ein Recht das zu erfahren und weiß viel besser, wie sie jetzt weiter vorgehen sollten. Für Eren ist es die erste Mission einen fähigkeitenbegabten Menschen in den Bunker zu bringen, aber für Ajax und seinen Vater nicht.   Dennoch ist die Stimme in ihm lauter und diesmal ist es weder die Engel- noch die Dämonenseite, die ihm das rät. Später kann er immer noch Bericht erstatten und dann hat er sicher auch noch mehr Infos. Aber für´s erste beschließt er seiner inneren Stimme zu vertrauen.   Also löscht er das Eingetippt, sperrt das Handy und sieht sich erneut in dem Zimmer um, das noch immer keine Hinweise liefert, was jetzt auch überflüssig ist.   Kurz darauf hört er auch schon Schritte auf der Treppe. Max öffnet die Tür und stellt die beiden dampfenden Tassen am Nachtkästchen ab, die schon ihr schokoladiges Aroma im Raum verteilen.   „Such dir eine aus und mach´s dir ruhig schon mal gemütlich.“ Der Kürbis deutet einladend auf die Sitzgelegenheiten und Schokotassen, während er selbst zu seinem Kleiderschrank geht. „Ich zieh mir nur auch schnell das Kostüm aus.“   Wie geheißen wählt Eren die schwarze Tasse mit dem Aufdruck eines Vollmondes und einer Hexe auf einem Besen – war ja klar, dass auch hier Halloween herrscht – und lässt sich in den Sitzsack sinken. Wie halloweenfanatisch kann man bitte sein?   „Und? Wie findest du dein erstes Halloween bisher?“   „Du meinst, abgesehen vom gejagt werden, wegen einer Tasche voll Süßigkeiten und sich hinter Mülltonnen verstecken müssen? Eigentlich ganz okay.“   Das ist sogar die Wahrheit. Nur ein wenig untertrieben. Er hatte echt Spaß auf der Tour, hat dabei einen Auftrag erfüllt und sogar die Verfolgungsjagd war ganz lustig, wenn er es auch schade findet, dass er diesen eingebildeten Dödeln keine Manieren beibringen konnte. Abgesehen davon, hatte er einen unerwartet schönen Abend. Deshalb findet er es auch traurig, dass heute sein erstes Halloween, gleichzeitig sein letztes sein wird. Vielleicht kann er Ajax und seinen Vater überreden, nächstes Jahr doch zu feiern? Ach, wen versucht er hier falsche Hoffnungen zu machen? Das wird nie passieren. Seine Familie glaubt nicht an Feiertage. Oder Geburtstage.   „Hab ich´s nicht gesagt?“ Mit einem triumphalen Grinsen lässt sich Max jetzt in einem blauen T-Shirt mit dem Aufdruck einer Band, von der Eren noch nie gehört hat und schwarzer Jogginghose auf den Boden nieder, lehnt sich gegen das Bett und nimmt seine Tasse in die Hände, eine schwarze mit kleinen Fledermäusen und Spinnen bedruckt. Er pustet ein paar Mal und nippt dann an der Schokolade. „Ah, heiß!“ Prompt zieht er den Kopf zurück, stellt hektisch die Tasse weg, verschüttet dabei beinahe den Inhalt, streckt die Zunge raus und fächelt sich hechelnd Luft zu. „Das passiert mir echt jedes Mal.“   „Ach ja?“ Irgendwie überrascht Eren das nicht. Schmunzelnd sieht er dem Blonden dabei zu, wie er versucht seine Zunge zu kühlen und stellt seine eigene Tasse auf den Boden.   „Okay. Wenn die heiße Schokolade noch zu heiß ist, sehen wir uns eben unsere Beute an, die du gerettet hast“, beschließt Max, zieht die Tasche vom Bett, die er beim Hereinkommen dorthin geschmissen hat und schüttet den Inhalt zwischen sie beide einfach auf den Boden. Zum Vorschein kommt ein richtiger kleiner Berg an verschiedenen Süßkram, von manchen ist nur noch die zerknüllte Verpackung übrig. „Komm, Eren, her mit deinem Schatz.“   Anscheinend hat sich Max wieder ein bisschen normalisiert während er die Schokolade gemacht hat. Aber wenn er glaubt dadurch Eren vom eigentlichen Thema ablenken zu können, hat er sich geschnitten. Dennoch tut der junge Turano wie geheißen, steht auf, holt seine eigene Tasche, die er beim Skelettkostüm hat liegen lassen und verteilt seine Beute neben die von Max. So viele Süßigkeiten auf einmal hat Eren noch nie im Leben gesehen. So viele Süßigkeiten hat er auch insgesamt in seinem Leben noch nicht gesehen.   „Sieht doch ganz passabel aus“, kommentiert der Grünäugige höchst zufrieden. „Bereit für dein erstes Zuckerkoma?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)