Eren von tears-girl (Geheimnisse der Turanos) ================================================================================ Kapitel 44: Ein neuer Lügner ---------------------------- Allmählich kommt Eren wieder zu sich. Er sieht zwar noch alles verschwommen und Watte verstopft auch noch seine Ohren, aber er kann dennoch erkennen, dass er irgendwo draußen an einer Straße sitzt. Was nicht ganz zu seinen letzten … Oh, doch. Jetzt wo er gezielt darüber nachdenkt, findet er tatsächlich Fetzen von ihm und Max auf dem Weg zur Eisdiele. Sein Gedächtnis muss wohl auch erst noch aufwachen.   Mit jeder verstreichenden Sekunde klärt sich sein Sichtfeld mehr und mehr und er hört jemanden in seiner Nähe ununterbrochen plappern. Er vermisst schon jetzt die dämpfende Watte.   „... aber das ist eine andere Geschichte“, erzählt Max gerade. „Jedenfalls haben wir irgendwie versucht den Bernhardiner dazuzubringen Schlittenhund zu spielen. Er war alles andere als begeistert. Und stur! Ich dachte immer, Esel wären stur, aber der hat sich keinen Schritt bewegt, solange wir den Schlitten an seinem Halsband … Hey, hörst du mir überhaupt noch zu?“   Empört pikst er Erens Oberarm bis dieser nachgibt und genervt den Kopf hebt. „Lass das.“   Schmollend sieht er zum gähnenden Eren. „Bist du echt eingeschlafen?“   „Eingeschlafen?“ Noch immer nicht ganz wach blinzelt er orientierungslos vor sich hin und fährt sich mit den Händen übers Gesicht. Das ist gar nicht gut. Wie konnte er nur mitten in einer so wichtigen Mission einschlafen? Und das in der Öffentlichkeit?! Wenn ihn jemand erkannt hätte, dann … Keine Ahnung was dann passiert wäre. Ajax und sein Vater hätten es sicher herausgefunden und dann war das hier seine letzte Mission auf die er ohne Bodyguard gehen durfte. Aber das erklärt nicht, weshalb er einschlafen sollte. Er hat schon viel länger ohne Schlaf durchgestanden. Ob das noch immer die Nachwirkungen des Tests von heute Nachmittag sind? „Wie lange war ich denn weg?“   „Vielleicht ein paar Minuten“, antwortet Max und rutscht auf seinem Stuhl herum. „Ich wusste nicht, dass dich eine Süßes oder Saures-Tour so erschöpfen würde. Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich die kürzere Route genommen.“   „Nein, das ist es nicht. Ich musste heute Nachmittag was für meinen Bruder erledigen.“ Das ist der Beweis, dass sein Kopf nicht ganz auf seinen Schultern sitzt. Andernfalls würde er doch nie eine Erklärung erfinden, die so nah an der Realität dran ist.   „Ach ja?“ Neugierig geworden beugt sich der Blonde etwas vor, dabei klemmt er die Hände unter die Oberschenkel. „Und was?“   Eren lehnt sich im Stuhl zurück und verschränkt die Arme. „Nicht so wichtig. Sag du mir lieber, weshalb du so nervös bist.“   „Nervös?“ Ertappt wird er bleich im Gesicht, hält in seinem Herumgerutsche inne und vergisst kurz zu atmen. Als Eren ihn forschend mustert, lacht er gekünstelt und schief und richtet die Augen auf die nicht sichtbaren Sterne. „Ich bin doch nicht nervös.“   „Also deine hohe Stimme und das ganze Herumgezappele sagen etwas anderes“, meint Eren überzeugt. „Was ist lost? Hast du Angst im Dunkeln? Oder dass diese Süßigkeitendiebe wieder auftauchen?“   „Äh … Genau!“ Vielleicht ein bisschen zu laut stimmt der Blonde den Vorschlägen des jungen Turano zu. Vor Erleichterung bekommt er wieder Farbe im Gesicht, aber das schiefe Grinsen bleibt.   In Erens Kopf herrscht noch immer Nebel, weshalb er nicht die Kraft findet mehr in Max´ Verhalten zu interpretieren. „Ich würde dir ja anbieten, dass Ajax dich nach Hause fahren kann, aber so hilfsbereit ist er nicht. Er kann mich aber auch bei dir Zuhause abholen, wenn ...“   „Nein!“, platzt es aus Max heraus.   Überrascht hebt Eren eine Augenbraue und beäugt den Jungen irritiert.   „Äh … Ich meine, nein, danke“, verbessert er sich hektisch und meidet es in die blauen Augen zu sehen. Er beginnt wieder unruhig mit den Beinen zu schaukeln. „Ich hab meiner Mom schon geschrieben. Sie holt mich hier ab, wenn dich dein Bruder geholt hat. Übrigens, hast du ihm überhaupt schon Bescheid gegeben oder warten wir hier umsonst?“ Er versucht sich an einem Lachen, was er schnell in ein Räuspern verwandelt.   Eren brummt nur misstrauisch und kneift die Augen etwas zusammen, aber da sich die Straßenlaternen wieder zu drehen beginnen, als er versucht sich zu konzentrieren, lässt er es kurz darauf sein. Max ist ganz klar nervös, irgendwas beschäftigt ihn. Normalerweise würde Eren nachbohren bis er den Grund seiner Zielperson kennt, aber nicht jetzt. Er fühlt sich nicht in der Verfassung dazu. Außerdem hat der Blonde doch schon zugegeben, dass die Dunkelheit und das mögliche Auftauchen der alkoholisierten Diebe schuld sind.   Er atmet tief durch und angelt sein Handy aus der Jackentasche, um zu prüfen, ob sein Bruder schon auf dem Weg ist, denn sein Verstand kann die Frage nicht beantwortet. Tatsächlich findet er weder eine Nachricht noch einen Anruf, weshalb er Ajax schreibt, dass er an der Eisdiele abgeholt werden kann. Es dauert keine zehn Sekunden bis sein Bruder mit einem einfachen „Ok“ antwortet.   „Ajax ist unterwegs“, teilt der junge Turano dem anderen Jungen mit.   „Gut“, meint dieser nur dazu und sieht äußerst interessiert einem Motorroller hinterher.   Eren bedenkt ihn mit einem grübelnden Seitenblick. Er spürt ganz deutlich, dass die Stimmung zwischen ihnen irgendwie seltsam ist, so angespannt und distanziert. Hat er irgendwas gemacht, weshalb Max plötzlich so nervös ist und versucht ihm aus dem Weg zu gehen? Im übertragenen Sinne. In seinem Kopf findet er nichts, was ihm eine Antwort darauf geben könnte.   Deshalb und weil Ajax diese Atmosphäre sicher auch bemerken würde, fragt er jetzt doch nach: „Also? Was ist jetzt mit dir los? Dass es nur an der Dunkelheit oder den vier Trotteln liegt, glaub ich dir nicht.“   „Doch, wirklich. Ich ...“, beginnt der Blonde herumzudrucksen.   „Max, ich weiß, dass du lügst“, unterbricht ihn Eren prompt.   Jeder Muskel in Max´ Körper spannt sich an und er zwingt sich den Turano anzusehen, mit einem möglichst überzeugenden Lächeln, das trotzdem verrutscht aussieht. „Naja, um ehrlich zu sein, ich frag mich die ganze Zeit schon, wie du dein erstes Halloween findest. Es war ja nicht unbedingt das Beste, das weiß ich. Dieser Zusammenstoß mit den Jugendlichen hätte nicht sein müssen, wir hätten noch zur Halloween-Party in der Schule gehen können und du hast noch nicht einmal Süßigkeiten gegessen. Ich hatte es anders geplant, aber trotzdem können wir das nächstes Jahr gern wiederholen. Vielleicht kommen Timo und Paula dann auch mit. Was hältst du davon?“   Im Verlauf der Erklärung, die am Anfang noch sehr stotternd und ausweichend geklungen hat, nimmt seine Stimme nach und nach die typische Maxleichtigkeit an. Jetzt ist Eren derjenige, der zur Seite sieht und der Frage ausweichen will. Er weiß genau, nächstes Jahr wird er nicht mehr in der Schule sein oder noch Kontakt zu Max haben, also ist es völlig ausgeschlossen noch ein Halloween zu erleben. Allerdings, wenn er jetzt ablehnt, fängt der Blonde garantiert wieder an zu betteln, da ist es weniger anstrengend ihn einfach in dem Glauben zu lassen, es gäbe ein nächstes Halloween.   „Ja, von mir aus“, stimmt er deshalb ausweichend zu, schließt dabei die Augen und legt die Hände an den Hinterkopf. Schade, eigentlich würde er das Gruselfest schon gern wiederholen und auch mal kurz auf die Schulparty gehen. Nur so, um auch das mal gesehen zu haben. Nicht kostümiert, natürlich. Auf Timo kann er dabei allerdings gut verzichten. Stumm seufzt er und öffnet die Augen wieder, um einen perplexen Max zu sehen, der ihn mit offenem Mund anstarrt.   „Hab ich grade richtig gehört? Du kommst nächstes Jahr wieder mit? Ohne zuerst zu diskutieren?“ Ungläubig blinzelt der Junge ihn an.   „Klar, wieso nicht“, wiederholt Eren die Antwort.   „Mit Kostüm?“, ergänzt Max hoffnungsvoll.   „Wenn´s sein muss.“   Sprachlos stiert ihn der Blonde an. „Wer bist du und was hast du mit Eren gemacht?“   So viel also zu: So gibt’s keine Diskussion.   ~~~   Eren musste noch ganze zehn Minuten lang Max versichern, dass er nächstes Halloween an der Süßes oder Saures-Tour und anschließenden Schulparty im Kostüm dabei ist. So ganz glaubt es der Blonde immer noch nicht als ein grauer Mustang vor der Eisdiele parkt.   „Das ist Ajax“, teilt Eren überflüssigerweise mit als er vom Stuhl aufsteht. „Lass dich nicht kidnappen bis deine Mom kommt, ja?“   „Was?“ Geschockt erstarrt Max mitten unterm Aufstehen, wird ein weiteres Mal bleich und starrt den Braunhaarigen an.   „Das sollte ein Witz sein“, erklärt Eren und rügt sich innerlich selbst. Es wird wirklich höchste Zeit zurück zum Turanoniveau zu kehren. Witze und gewöhnlicher Alltag sind irgendwie nicht seine Stärke, hat er festgestellt. Da trifft es sich gut, dass er morgen eine Mission mit Ajax hat und sich wieder auf seine Normalität konzentrieren kann.   „Ach so“, sagt Max und versucht sich an einem Glucksen, was keines wird. „An deinen Scherzen müssen wir noch arbeiten.“   Das lässt Eren lieber unkommentiert. „Also dann, wir sehen uns Montag, ja? Viel Erfolg noch mit deinem Zuckerkoma.“   „Danke, ich geb mir Mühe“, versichert Max überzeugt. „Bis Montag.“   Kaum ist Eren eingestiegen, fährt Ajax auch schon los und Max bleibt allein vorm geschlossenen Eiscafé zurück. Er wartet bis die Rücklichter hinter der nächsten Kreuzung verschwunden sind ehe er seiner Mutter schreibt, dass sie aus ihrem Versteck kommen kann. Kurz darauf hält sie an der Stelle, wo eben Ajax geparkt hat.   „Und? Wie ist es gelaufen? Hat er irgendwas geahnt?“, erkundigt sich die Frau sobald Max am Beifahrersitz Platz genommen hat.   „Ich glaube nicht“, antwortet Max abwesend. „Er hat wirklich keine Ahnung mehr von meinen Kräften.“   „Das ist gut.“ Erleichtert atmet seine Mutter auf.   „Er hat aber gemerkt, dass ich ziemlich neben der Spur war“, beichtet der Junge. „Ich hab behauptet, es wäre wegen der Dunkelheit und dass die Leute zurückkommen, die versucht haben unsere Beute zu stehlen. Und dann hab ich ihn nächstes Jahr wieder zu Halloween eingeladen. Ich hab zu spät nachgedacht, dass das sicher keine gute Idee ist. Hoffentlich vergisst er es wieder.“   „Da brauchst du dir keine Sorgen zu machen, Schatz“, versichert Dr. Ryu beruhigend. „Eren wird vermutlich nur noch ein, zwei Wochen auf die Schule gehen, dann wird seine Bespitzelmission sicher abgebrochen werden. Vorausgesetzt natürlich, du schaffst es deine Kräfte für dich zu behalten. Hältst du das noch so lange durch? Du könntest auch Zuhause bleiben und wir sagen, du wärst krank.“   Einen Moment denkt der Blonde tatsächlich über den Vorschlag nach, dann schüttelt er den Kopf. „Nein, schon gut. Ich schaff das. Außerdem wäre es doch auffälliger, wenn ich plötzlich nicht mehr zur Schule kommen würde, oder?“   „Da hast du sicher recht.“ Ermutigend lächelt sie den Jungen an, der es leicht erwidert. „Du schaffst das. Da bin ich mir sicher. Bisher konntest du deine Fähigkeiten doch auch ganz gut verbergen.“   „Ja, aber da wusste ich noch nicht, dass ich sie vor jemanden verstecken muss, der mich ausspioniert und kidnappen soll.“   „Denk nicht zu viel darüber nach, sonst macht du dich nur selbst verrückt“, rät die Ärztin. Sie legt den ersten Gang ein, setzt den Blinker und fährt los. „Jetzt lass uns nach Hause fahren. Soweit ich weiß, wartet dort ein ganzer Berg Süßigkeiten darauf konfisziert zu werden.“   Damit hat sie Max´ vollständige Aufmerksamkeit, der sofort empört widerspricht: „Was?! Du kannst meine hart erkämpfte Beute nicht konfiszieren! Das ist Diebstahl!“   „Ach ja?“ Verschmitzt schmunzelt sie den Jungen von der Seite an. „Wie wär´s mit einem Kompromiss? Halbe, halbe und wir sehen uns einen Film meiner Wahl an.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)