Eren von tears-girl (Geheimnisse der Turanos) ================================================================================ Kapitel 48: Langeweile in der Suite ----------------------------------- Leider stellt sich bald heraus, dass es in dieser aufgeräumten Hotelsuite keinerlei Aufgaben gibt, die er Viktor aufbrummen kann. Also ist ihm schon bald wieder langweilig. Er hat den Smoking inzwischen durch das Outfit getauscht, das wohl später für die Mission gedacht ist. Es ist auch nicht schwer zu erraten, wenn nur zwei Outfits in der Reisetasche zu finden sind und eine davon ausschließlich aus schwarzen Klamotten besteht. Was ihn aber ein wenig wundert ist die Tatsache, dass keine Waffe in der Tasche war. Vielleicht hat die auch Ajax eingepackt. Er wagt es allerdings nicht dessen Taschen zu durchsuchen.   Und so hängt er jetzt halb über der Brüstung des steinernen Balkons und zählt die Autos unten auf der Straße. Weit unten. Was nicht unbedingt spannend ist. Seufzend legt er den Kopf auf den Arm und schielt ins Innere der Suite zu Viktor. Er ist mit der Zimmerinspektion und Beschwerde fertig und hat es sich mit einer Zeitschrift, die er in einem Bücherregal in der Ecke gefunden hat, auf dem Sofa gemütlich gemacht. Irgendwie ein ungewohnter Anblick den aufbrausenden Bienenmutanten still beim Lesen zu beobachten. Eren hat den Eindruck, als würde er den Aufenthalt in der Luxussuite genießen. Ganz anders als Eren.   Ein Brummen bringt den Mann dazu, sein Handy aus der Hosentasche zu holen und Eren dazu, empört den Kopf zu heben. Er musste sein Smartphone gestern abgeben. Hätte er es noch, könnte er zumindest mit Max schreiben, um auch an dieser Front weiterzukommen. Der wird sich sicher auch wundern, weshalb er sich heute gar nicht meldet. Dass der Blonde ihm geschrieben hat, zweifelt er gar nicht an. Immerhin hat er ihm seit Dienstag jeden Tag mindestens fünf Nachrichten geschickt. Was er wohl gerade macht? Bestimmt etwas spannenderes wie im Hotel festzusitzen und Autos zu zählen.   Andererseits ist es auch erschreckend, wie schnell er sich daran gewöhnt hat etwas mit Max zu unternehmen. Nächste Woche wird die letzte sein. Wenn er dann immer noch der Meinung ist, dass der Junge normal ist, wird er ihn nie wiedersehen. Er will es nicht wahrhaben, aber er weiß sehr wohl, dass er angefangen hat den aufdringlichen, naiven Blondie als Freund zu akzeptieren.   Quatsch!   Er ist nur die Zielperson. Gefühle haben hier nichts zu suchen. Ajax hat recht: Gefühle, Freunde, machen es nur schwerer seine Mission zu erfüllen. Er darf Max als nichts anderes sehen als eine Zielperson und nicht als so etwas lächerliches, überflüssiges wie einen Freund. Er braucht keine Freunde. Außerdem, wüsste er, was er schon alles in seinem Leben verbrochen hat, würde Max ganz sicher in ein anderes Land auswandern und seinen Namen ändern, sodass Eren ihn nie wieder finden würde. Niemand würde mit jemanden befreundet sein wollen, der schon unzählige Menschen getötet hat und zwei Kreaturen in sich beherbergt, die beide auch liebend gern morden. Ein deprimierter Seufzer entkommt seinen Lippen. Das ist der Nachteil, wenn er Freizeit hat. Seine Gedanken gehen Wege, die sie nicht gehen sollten.   „Komm rein oder mach die Tür zu. Hier wird’s verdammt kalt“, beschwert sich Viktor von der Couch aus.   „Du kannst dir ja auch deine Jacke wieder anziehen“, entgegnet Eren, der nicht daran denkt, Viktors Anweisung nachzukommen.   Der Mutant brummt allerdings nur verstimmt. Er ist der zweite, der sich heute seltsam benimmt. Er reißt sich echt zusammen und versucht ruhig zu bleiben. Das kann Eren spüren. Ob es daran liegt, dass Ajax jederzeit durch die Tür kommen könnte? Vermutlich. Also fällt „Viktor ärgern“ auch von seiner Zeitvertreibliste weg, die somit gähnend leer ist.   Schwer seufzend lässt er den Kopf wieder auf den Stein sinken. Eigentlich sollte er die unerwartete Freizeit genießen, aber da seine Tage ständig auf die Minute verplant sind, weiß er gar nicht, was er mit der Freizeit anfangen soll. Außerdem gibt es hier keinerlei Beschäftigungsmöglichkeiten für den 12-Jährigen. Auf Lesen hat er keine Lust. Genauso wenig wie sich hinsetzen und in den Fernseher zu starren, was für ihn das selbe ist wie das, was er gerade eh schon macht. Essen und trinken ist im Zimmer untersagt, auch den Zimmerservice zu rufen.   Und sonst …   Naja, es gäbe einen Pool in der Suite, aber dafür fehlt die Badehose und da er nicht weiß, wann Ajax zurück kommt, ist es eine dumme Idee. Er hat kurz versucht ein wenig zu trainieren, aber auch das hat er schnell aufgegeben. Allein, ohne feste Vorgaben, lässt er sich dabei viel zu leicht von allem möglichen ablenken. Da reicht schon eine Fliege, die sich in die Suite geschlichen hat oder ein loser Faden, den er an der Hose entdeckte.   Schließlich richtet er sich auf, streckt die Hände zum Himmel bis der Rücken knackt und dreht sich dann zu seinem Babysitter um, der nicht einmal den Kopf hebt als er angesprochen wird. „Komm, Viktor, lass uns die Stadt erkunden. Hier ist es so langweilig.“   „Vergiss es, Kleiner. Du sollst hier bleiben, also bleiben wir hier“, meint der Mutant entschieden. „Und jetzt sei still und nerv mich nicht.“   „Und wenn ich nur eine kurze Runde über die Stadt fliege und verspreche in fünf Minuten wieder da zu sein?“, versucht es Eren weiter. Auch wenn ihm klar ist, dass die Idee nicht gut durchdacht ist. „Ajax und mein Vater müssen es ja nicht erfahren.“   „Spinnst du? Dann würden hunderte von Leuten einen Jungen mit Flügeln sehen, der auf diesem Balkon startet und landet. Sogar ich weiß, dass das total bescheuert ist.“ Noch immer sieht der Mutant nicht von seinem Handy auf. „Außerdem würde mir Igor die Flügel ausreißen. Und dein Vater meine Arme. Und Ajax meinen Kopf. Und ich hänge nun mal an meinen Gliedmaßen, also nein! Schluss jetzt mit dem Kinderkram! Setz dich irgendwohin und schlaf. Oder starr Löcher in die Luft, ist mir scheißegal! Hauptsache du bleibst innerhalb dieser Suite und gehst mir nicht auf die Nerven!“   Eren brummt schmollend und sieht erneut auf die Stadt. Dass seine Augen zum wiederholten Mal den Strand vor der Haustür sehen, macht die Sache nicht erträglicher. Obwohl November ist und das Wetter nicht unbedingt als Badewetter bezeichnet werden kann, auch wenn die Sonne scheint, entdeckt er eine handvoll Köpfe im Meer, die ihre Bahnen ziehen. Am Strand spazieren dafür mehrere Leute entlang, manche auch mit ihren Hunden. Da die Langeweile nicht kleiner wird, dafür sein Tatendrang größer, beschließt er doch den Strand zu besuchen. Wenn er nur kurz bleibt ist er zurück bevor sein Bruder hier auftaucht. Um nicht noch mehr Zeit zu verlieren, spaziert er zielstrebig auf die Zimmertür zu, direkt an Viktor vorbei, der diesmal sogar den Kopf hebt.   „Und was hast du jetzt vor?“, verlangt er angesäuert zu erfahren, legt Handy und Zeitschrift beiseite und steht warnend auf.   „Ich geh nur kurz zum Strand“, teilt er ihm selbstbewusst mit.   Überraschend schnell ist Viktor an der Tür, baut sich bedrohlich vor dem Jungen auf und verschränkt die Arme. „Was soll der Scheiß? Du hast doch selbst gehört was dein Bruder gesagt hat: Bleib im Zimmer und stell keinen Blödsinn an! Also bleib gefälligst im Zimmer und stell keinen Blödsinn an!“   Als würde sich Eren von ihm einschüchtern lassen. Ruhig geht er einfach weiter auf ihn zu. „Ich bin doch nur fünf Minuten weg. Du wirst gar nicht merken, dass ich weg war.“   „Wenn du jetzt abhaust, bekommen wir beide gewaltigen Ärger! Ich wär jetzt auch lieber woanders oder zumindest mit jemand anderem hier. Wir haben beide Pech. Und jetzt hör auf dich wie ein bockiges Kind aufzuführen, Kleiner!“, braust Viktor auf. Bestimmt hört man ihn auf der gesamten Etage.   „Glaubst du echt, du könntest mich davon abhalten durch die Tür zu gehen?“ Um seine Worte zu unterstreichen, lässt er seine Iris lilafarben aufblitzen.   „Nein“, antwortet er überraschend. „Aber dann hast DU dich den Anweisungen widersetzt, nicht ich.“   Eren bleibt direkt vor dem Mutanten stehen und sieht ihm in die Augen. Er weiß, dass er recht hat. Ajax hat sicher schon eine Strafe parat, sollte er das Zimmer verlassen. Und diese Genugtuung will er vor allem Viktor nicht gönnen. Das heißt aber auch, dass er noch länger hier rumsitzen und Däumchen drehen muss. Beides keine guten Aussichten. Aber wenn er jetzt nachgibt, gewinnt auch dieser Bienenmutant. So oder so muss Eren eine Niederlage einstecken.   Eine ewig erscheinende Minute später gewinnt Erens Vernunft. Halb knurrend, halb schnaubend wendet er sich ab, steckt die geballten Fäuste in die Taschen der Sweatshirtjacke und kehrt auf den Balkon zurück. Etwas gutes hat die Niederlage ja, jetzt freut er sich noch mehr auf die Mission. Wenn sie nur endlich beginnen würde.   Dass auch sein Vater noch nicht hier ist, ist auch nichts besonderes. Gespräche mit Neukunden dauern meistens länger. Außerdem ist Igor dabei. Sollte irgendetwas nicht stimmen, kann der Chipssüchtige sie beide in Sicherheit teleportieren. Das ist auch der Grund, weshalb bei Neukunden meist Igor als Zweitmann dabei ist. Eine Art Absicherung, sollten die Verhandlungen nicht so laufen wie geplant.   Aber zurück zum eigentlichen Problem: Wo bleibt Ajax nur? Wieso trödelt der so rum?   ~~~   Als Ajax endlich auftaucht, ist es zwar noch nicht ganz dunkel, aber die Sonne ist dennoch verschwunden. Draußen wurde es Eren irgendwann auch zu langweilig und deprimierend, sodass er sich doch auf die Couch zurückgezogen hat und lustlos in einem Buch blättert. Er kann nicht einmal sagen, um was es darin überhaupt geht. Viktor ist auf einen der Hocker in der Küche weitergezogen und mit seinem Handy beschäftigt.   Beide sind sofort aufgesprungen als der ältere Turano die Suite betrat. Viktor hat sich kurz darauf auch aus dem Staub gemacht mit irgendeiner Ausrede, er müsse sich für seine eigene Mission vorbereiten. Das war Eren ganz recht. Das war genug Viktor für einen Tag, auch wenn er heute ausnahmsweise gar nicht so schrecklich war wie erwartet und sie sich die meiste Zeit eh nur angeschwiegen haben.   Bis die Mission allerdings tatsächlich losgeht, musste Eren noch immer ein paar Stunden warten. Doch diesmal verging die Zeit wenigstens schneller, da Ajax ihn ein paar Übungen machen ließ. Faul herumsitzen und warten gibt’s nicht in Ajax´ Anwesenheit. Um 23 Uhr ist es dann endlich soweit. Die Brüder verlassen das Hotel ganz normal durch den Haupteingang. Die Sicherheitsleute schenken ihnen nicht mehr Aufmerksamkeit als nötig und der Portier sieht noch nicht einmal von seiner Zeitung auf, als sie durch die Lobby spazieren.   Draußen führt Ajax seinen Bruder ein paar Straßen weiter zu einem dunkelgrauen VW Golf, der nicht ansatzweise zu Ajax´ Autogeschmack passt. Dementsprechend irritiert ist er, als sein Bruder den Wagen aufsperrt und sich hinters Steuer setzt.   „Wo hast du den denn her?“, erkundigt sich Eren schmunzelnd.   „Geliehen“, ist die knappe Antwort.   Geliehen bedeutet dabei in den meisten Fällen: geborgt, ohne dass der Besitzer es weiß. Das ist zwar illegal, aber mit einer Limousine vorzufahren ist doch ein bisschen auffälliger als mit so einem kleinen Golf.   Auf dem Weg zum Hafen berichtet Ajax über das, was er herausgefunden hat. Ihr Ziel ist die Lagerhalle 10F, die ganz am äußersten Rand des Hafens liegt. Mit wie vielen Gegnern zu rechnen ist, weiß er nicht. In der ganzen Zeit, in der er die Halle beobachtet hat, hat sie niemand betreten oder verlassen, sodass er niemanden doublen konnte. Er hat jedoch durch eines der Fenster erkennen können, dass sich mehrere Personen dort aufhielten. Die meisten haben irgendwo zwischen den Kisten geschlafen, was eine günstige Gelegenheit gewesen wär, doch tagsüber sind zu viele Hafenarbeiter unterwegs. Zu viele Zeugen/Kollateralschäden.   Eine Waffe hatte Ajax zwar tatsächlich in seiner Tasche, aber die ist für ihn. Eren hat Waffenverbot, deshalb auch das Training heute Vormittag ohne Waffen und Kräfte. Ajax will vermeiden, dass irgendwelche übernatürliche Spuren hinterlassen werden. Und der Ältere macht es seinem Bruder gern schwer. Kein Problem, Eren kann auch ohne Hilfsmittel diesen Job erfüllen.   Ajax lenkt den Wagen auf einen öffentlichen Parkplatz neben dem Hafen. Ganz hinten in der dunkelsten Ecke, direkt am Zaun zum Lagerhallenbezirk, stellt er den Motor ab. Eren prüft bereits mit seiner Seelensicht die sichtbaren Gassen zwischen den Hallen. Es scheint dort niemand unterwegs zu sein. Momentan. Ein guter Zeitpunkt, um sich auf das Gelände zu schleichen.   „Hier.“ Ajax überreicht seinem Bruder ein kleines Funkgerät, das sich dieser ins Ohr steckt. „Ich kümmere mich um die Leute im Freien und passe auf, dass uns niemand stört. Das heißt, du erledigst alle in der Halle. Verstanden?“   „Ist so gut wie erledigt“, versichert der Junge ohne geringste Zweifel in der Stimme.   „Gut. Und noch etwas, verschone den Anführer. Ich will ihn noch etwas fragen.“   „Muss er dafür unverletzt sein?“   „Nein. Mir genügt es, wenn er sprechen kann.“ Ajax zieht sich die Mütze tief ins Gesicht und steigt aus.   Das macht es einfacher, wenn der Drahtzieher nur Sprechen können muss. Dann muss er sich nicht komplett zurückhalten. Die Schwierigkeit wird eher sein, den Anführer zu erkennen. Ach, das wird schon. Bestimmt ist es derjenige, der die Befehle brüllt. Die sind es doch immer. Eren streift sich die Kapuze über den Kopf und verlässt ebenfalls den Wagen. Die Mission beginnt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)