Das Glück der Erde von Ba-chan ================================================================================ Kapitel 11: Reue und Ehrfurcht ------------------------------ Da war er wieder. In München in seiner Wohnung. Im Bett liegend und starrte mit leerem Ausdruck zum Fenster hinaus. Die Worte des Arztes hallten noch immer in seinem Schädel. Schulterverstauchung und es dauerte mindestens acht Wochen, bis er wieder spielen konnte. Das Match konnte er sich noch auf der Bank ansehen und Rotburg gewann knapp das Ding. 2 : 1 stand es. Drener hielt sich wirklich wacker und niemand nahm es ihm übel, dass er ein Tor von Schester kassierte. Bremen mit ihrem Captain war ein sehr starker Gegner, doch Rotburg wollte unbedingt an der Spitze bleiben. Und dafür würde Genzo sorgen, komme was da wolle. Der Japaner hatte am nächsten Morgen seine weiße Bettdecke über den Kopf gezogen, als sich ein Sonnenstrahl zwischen den Seidengardinen zwängte und begann seine Nase zu kitzeln. Leise murmelnd versuchte er wieder zu schlafen. Die Müdigkeit kehrte langsam zurück, den Träumen ganz nah – dann vernahmen seine Ohren seltsame Geräusche in seiner Wohnung. Sofort riss er die Augen auf, warf die Decke zur Seite und setzte sich ruckartig aufrecht. Er horchte auf, aber da war nichts. Hatte er sich das nur eingebildet? Genzo hörte nichts mehr, also legte er sich wieder hin und schloss seine Augen. Klirr! Da war es wieder. Der seltsame, hohle Klang von Glas, der ihm vom Bett springen und aus dem Zimmer stürmen ließ. »Wer ist da?!«, rief Genzo aufgeregt, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, ob es sich vermutlich um Einbrecher handelte. »Wer auch immer da ist, hau ab!« Als er wütend die offene Küche betrat, traute er seinen Augen kaum. »Moin, moin, Gen!«, stellte ein grinsender Timur Geschirr und Besteck auf die Kücheninsel und sah belustigt zum verwirrten Keeper herüber. »Gut geschlafen?« »Timur?!« Genzo blinzelte ungläubig den Reiter an und rieb sich mit seinem gesunden Arm die Augen. Er dachte, dass er träumte, aber das tat er nicht. Timur stand tatsächlich vor ihm und hatte Frühstück zubereitet. »Was machst du hier?!« »Wie „was mach ich hier“? Du hast mich doch neulich gebeten auf deine Bude aufzupassen, solange du in Bremen bist. Hast du das etwa vergessen?« »Jetzt lass ihn doch erst einmal wach werden«, hörte Genzo eine ihm wohlbekannte, sanft klingende Stimme im Wohnzimmer. »Gib dem armen Kerl etwas Kaffee. Er scheint mir gerade nicht aufnahmefähig zu sein« »Elena?!« Sie grüßte ihn mit einem losen Kopfnicken und sah sich weiter die eingerahmten Fotos seiner Jugend an. »Lenchen hat recht«, drückte Timur Genzo daraufhin eine schöne, heiße Tasse Kaffee in die Hand. »Trink das, dann bist du wieder hellwach« »Danke, aber ich würde mich vorher noch anziehen, dann erklärt ihr mir noch einmal, warum ihr hier seid.« Lange mussten sie nicht auf den Japaner warten. Frisch geduscht und in Sportklamotten gekleidet setzte er sich auf eines der Hocker, die vor der Kücheninsel standen. »Also wie gesagt. Du hast mich neulich darum gebeten auf deine schicke Wohnung aufzupassen, während du weg bist«, erklärte Timur, was Genzo dieses Mal eher wahrnahm als zu Beginn. »Wir haben das Spiel gestern gesehen und ich hab dir eine Nachricht geschickt und...« »Ja, ich weiß. Ich hab sie gelesen«, seufzte er schwach und sah niedergeschlagen auf sein belegtes Käsebrötchen. »Tut mir leid, dass ich nicht geantwortet habe« »Ach, schon in Ordnung, Kumpel. Du wolltest ja lieber für dich sein. Wie... geht es dir?« »Wie soll es mir schon gehen?«, fragte er grimmig. »Beschissen geht’s mir. Ich kann die nächsten acht Wochen nicht spielen und die Jungs unterstützen!« »Die Bundesliga dauert ja noch«, versuchte Elena beruhigend auf ihn einzuwirken. Auch hoffte sie ihn damit auf diese Weise besänftigen zu können. »Und bis dahin bist du wieder längst einsatzbereit. Die Rotburger sind auch ohne ihren schnöseligen Balljungen stark, also hab ein bisschen mehr Vertrauen in sie« »Daran liegt das nicht, Elena!« , antwortete er lauter als beabsichtigt. »Ich gehöre auf den Rasen und nicht auf die Bank. Und jetzt kann ich das nicht, weil ich krankgeschrieben bin!« »Genzo, davon geht doch die Welt nicht unter.« Elena merkte schnell, wie sich das Ganze allmählich hochkochte. »Ich weiß, dass du gerade wütend bist, weil du dich verletzt hast. Ich verstehe das, ehrlich. Ich weiß, was du gerade durch –« »Du weißt nicht, was ich durchmache«, unterbrach er sie forsch. »Du weißt nicht, wie es ist unter Anspannung zu stehen und immer darauf zu achten, dass der Ball nicht ins Tor landet!« »Du hast recht«, entgegnete sie ihm mit völliger Ruhe weiter. »Ich kann mir nicht im Ansatz vorstellen, was du als Torwart für eine Verantwortung trägst« »Wie auch, wenn du, verglichen mit mir, nur auf dem Sattel sitzt und Dilas die meiste Arbeit macht!« »Es reicht!« Wütend schlug Timur mit seinen Händen auf die schwarze Marmoroberfläche und stand ruckartig auf. Es war selten, dass der Reiter aufbrausend wurde und wenn das der Fall war, dann war es ernst. Genzo beruhigte sich wieder und fühlte sich beim lauten Ton seines Freundes beinahe eingeschüchtert. Er ohrfeigte sich selbst für seine taktlose Ader. Eine schlechte Angewohnheit, die der Keeper so lange ablegen wollte, aber es gelang ihm nicht wirklich. Wann immer dieser schlecht gelaunt war, wurde er ungehalten und, wie auch in diesem Fall, etwas zu persönlich. »Elena, ich –« »Ich warte draußen.« Sie stand auf und ohne auch ein weiteres Wort zu verlieren oder auf ein weiteren Ton des Keepers zu reagieren, ging sie zur Haustür. »Elena, bitte warte!«, versuchte Genzo sie aufzuhalten, aber da sah er schon die Tür zuschlagen. »Großartig, Genzo«, rieb sich der Japaner das Gesicht und fuhr danach durch sein schwarzes Haar. Timur verfolgte die Handlung im Stillen weiter. »Na los. Nur zu. Drück's mir ruhig rein.« Der Reiter lächelte nur und schien sofort zu wissen, was der Fußballer meinte. »Ich glaube das ist nicht mehr nötig. Allein der enttäuschende Blick meiner Schwester hat dich so erschüttert, dass du dich innerlich zusammenziehst und am liebsten ins hinterste Loch verkriechen willst« »Sie hasst mich jetzt« »Nein, Genzo. Tut sie nicht«, stand er auf und begann den Tisch abzuräumen. »Ganz im Gegenteil sie ist auch traurig, dass du für eine Weile nicht spielen kannst.« Jetzt musste er aufschauen. Der verwirrte Ausdruck auf seinem Gesicht brachte Timur fast zum Lachen. »Ja, Lenchen macht sich einen Spaß daraus dich und die anderen wegen eurer Leidenschaft aufzuziehen. Wegen der Sache mit Jens ist sie momentan nicht der größte Fan von Fußball und glaub mir, wenn ich sage, dass sie noch weniger wert auf diesen Sport läge, wäre das für euch nur eine Freizeitbeschäftigung. Daher weiß sie ganz genau, dass das für euch nicht nur ein Zeitvertreib ist. Es ist eure Arbeit und das erkennt sie an. Daher hat sie auch großen Respekt vor das, was ihr tagtäglich tut. Sie zeigt es nur auf ihre Art, oder hast du sie schon einmal erlebt, wie geringschätzig sie euch behandelte oder euch sogar als minderwertig erachtet, weil ihr Fußball spielt?« Genzo dachte ernsthaft über seine Worte nach. Sie machte sich immer über sie lustig und erst jetzt fiel ihm auf, dass Elena dabei nie über die Strenge schlug. Sie respektierte die Jungs, trotz ihrer offenen Abneigung dem Fußball gegenüber. Sein Magen schnürte sich so eng zusammen, dass die Schulter nicht mehr das einzige war, was schmerzte. »Alles klar bei dir?« »Nein«, antwortete Genzo bedrückt. Sofort ging Timur auf ihn zu und legte behutsam seine Hand auf den Rücken. »Nein, mir ist nicht schlecht oder so«, beruhigte Genzo schnell den Reiter, als dieser ernsthaft besorgt um ihn wurde. »Ich habe nur darüber nachdenken müssen, was du gerade gesagt hast. Und ich habe mich ihr gegenüber so unfair verhalten, dass ich mich fast schon nicht mehr traue ihr unter die Augen zu treten« »Ja, du siehst echt gerade aus, wie ein geprügelter Hund«, begann Timur zu lachen, aber Genzo war in dem Moment nicht nach Scherzen zumute. »Jetzt hör schon auf Trübsal zu blasen. So nachtragend ist unsere Lenchen nicht. Sie hat nur wieder einen Grund gefunden dich aufzuziehen« »Na danke auch«, nuschelte er und musste doch darüber ein wenig schmunzeln. »Nun gut, ich räum hier mal die Küche auf, während du deine Sachen packst.« Genzo spitzte die Ohren. »Ich soll was?« »Glaubst du wirklich, wir lassen dich ganze acht Wochen allein in der Wohnung versauern? Das kannst du glatt vergessen, Kumpel« »A... aber« »Nichts aber. Du packst ein paar Sachen und dann ziehst du solange bei uns ein, bis du wieder gesund bist, ist doch klar.« Timur wartete auf keine Antwort, sondern machte sich dran das Geschirr zu säubern. »Außerdem fördert die Landluft dein Heilungsprozess und stehst, wenn's gut läuft, wieder ruckzuck auf dem Platz.« Genzo merke schon an Timurs Sturheit käme er nicht heran. Er hatte bis dahin keine Ahnung gehabt, dass er so dickköpfig wie er sein konnte. Er seufzte schwach und gab nach. »Na gut, aber nur, wenn es wirklich in Ordnung ist« »Ich hab dich eingeladen, also ist es in Ordnung.« Dann ging er wieder zu seinem Schlafzimmer und holte seine große Sporttasche aus dem Schrank. Eigentlich hatte Timur ja recht damit. Er hätte wirklich acht Wochen lang allein in seinem Appartement verbracht und wäre, wenn überhaupt, nur aus dem Haus gegangen, um entweder beim Arzt aufzukreuzen oder um ein paar Runden zu drehen. Ein bisschen Gesellschaft war sicher nicht verkehrt und dass sie von den Goldsteins kam, war ihm das recht. Die Autofahrt zum Gestüt verlief schweigend. Elena hatte sich nicht die Mühe gemacht mit Genzo zu sprechen. Und als sich der Keeper wegen seines taktlosen Benehmens bei ihr entschuldigte, nahm sie das relativ belanglos hin. Das Magenziehen hatte sich verschlimmert. Er hasste es sich mit Elena zu streiten. Eigentlich stritten sie sich immer, aber es war nie was ernstes gewesen. Wenn es richtig krachte, so wie jetzt, war das eine Qual und das nicht nur für ihn. »Da wären wir.« Wortlos stieg Elena aus dem Wagen und ließ die Beifahrertür hinter sich zufallen. »Lenchen« »Zeig Genzo, wo er schlafen kann«, sagte sie rasch und hatte keine große Lust länger bei den Jungs zu bleiben. »Ich muss das Futter für die Pferde vorbereiten.« Dann war sie weg. »Nicht nachtragend, hm?« »Sie beruhigt sich schon wieder. Kannst ja später nach ihr sehen. Sie wird sich vermutlich die meiste Zeit bei den Ställen aufhalten und wenn sie dort nicht ist, dann entweder in unserer Reithalle oder im Hauptgebäude«, deutete Timur mit einem Kopfnicken zum imposantem Bauwerk daneben. »Ich werde mich dann gleich zur Schmiede aufmachen. Benji kann die ganze Arbeit ja schlecht alleine stemmen« »Benji?« »Ein Kollege und lieber Freund von mir. Er ist Hufschmied, sowie ich«, grinste er stolz und trat mit Genzo ins Haus. Wie bei Elena war auch die Innenarchitektur ähnlich gehalten. Die selben warmen Farben an den Wänden, die selben dunklen Holzmöbel, die mit vielen edlen Stücken der Reiterfamilie verziert waren. Genzos Heim wirkte dagegen unpersönlich und trist, obwohl er sich eine schicke Eigentumswohnung in einem guten münchner Stadtteil gekauft hatte. Alles bereits möbliert und mit seinen eigenen wenigen persönlichen Dingen dekoriert. Elena war nicht das erste Mal in seiner Wohnung gewesen und hatte kein Geheimnis drum gemacht, diese runter zu machen. Grässlich und kalt hatte sie es genannt, was Genzo überrascht und amüsiert gleichermaßen zurückließ. Auf die Frage hin, warum sie seine Wohnung nicht mochte, war die Antwort, sie ähnelte eher „einem Wartezimmer einer großen Anwaltskanzlei oder eines Unternehmens, die der Welt unnötigen Schnickschnack für teures Geld andrehen wollte“. Lachen musste darüber nicht nur der Keeper. Ein bisschen recht hatte sie allerdings schon. Sein Appartement wirkte für Leute, die dort nicht wohnten, etwas zu unpersönlich, aber er kaufte sie auch eher für den praktischen Nutzen. Sie war in einer guten Gegend und sein Verein war nicht weit entfernt, sodass er gar zu Fuß nur knapp eine viertel Stunde bis zum Platz bräuchte. Vom Gestüt aus hätte er die doppelte Zeit gebraucht oder vielleicht sogar länger. »Das Haus hat mehrere Gästezimmer, die ich dir zeige. Dann kannst du dir aussuchen, welches du nutzen möchtest« »Ich weiß bereits, welches Zimmer ich beziehen werde«, sagte Genzo und stand auch schon vor besagter Tür. Mit seiner freien Hand drückte er die schwungvoll vergoldete Klinke runter und betrat das luxuriöse Zimmer. Direkt vor der kastanienbraunen Wand stand ein großes Bett mit dazu farblich abgestimmten Bezug aus Schwarz und Creme. Ein heller Teppichfußboden hatte sich im gesamten Zimmer gelegt und endete an der Türschwelle des benachbarten Bades. Ein üppiger Wandschrank, stand neben der Zimmertür und nahm, trotz seiner Masse, kaum Platz ein. Wie im Rest des Hauses konnte man auch im Gästezimmer einige Pferdedekorationen in Form von kleinen Statuetten oder Büsten ausmachen. Genzo warf seine prallgefüllte Sporttasche aufs Bett und legte sich hin. Sekunden danach sank er leicht in die schwarze Bettdecke ein. »Als würde man auf einer Wolke schlafen« »Ja, stimmt. Passender Vergleich«, lachte Timur auf, als er am Türrahmen lehnend seinen Freund ansah. »Dann lass ich dich mal allein. Solltest du was brauchen, ruf einfach nach uns« »Mach ich« »Und falls du hunger hast, du weißt, wo der Kühlschrank steht. Plünder ihn ruhig, wenn dir danach ist« »Na, für wen hältst du mich denn?« »Für einen ganz feinen Kerl, der jederzeit meinen Kühlschrank leer futtern darf.« Und mit diesen Worten verabschiedete sich Timur von Genzo. Da war er nun. Acht ganze Wochen blieb der Keeper bei den Goldsteins. Es war noch immer eine ungewohnte Situation, aber beschweren brauchte er sich wirklich nicht. Er war, wenn er mal nicht mit seinen Jungs irgendwo unterwegs war, gerne im Gestüt und hatte Elena bei ihren Tätigkeiten oft beobachtet. Besonders, als sie die Pferde trainierte, die dann an ihre neuen Besitzer gingen, fand er spannend anzusehen. Bei manchen Trainingsmethoden, wenn zum Beispiel nicht an verschiedenen Gangarten geübt wurde, hatte er sich zu Beginn gefragt, ob das dem Tier gut tat, wenn es plötzlich über laut knirschende Planen drüber steigen musste oder wie aus dem Nichts ein mit Blätter geschmückter Ast vor die Nüstern geriet. Solche Methoden dienen dazu das Pferd an die Umwelt und an deren Einflüsse zu gewöhnen, hatte Elena mal erklärt. Ein Pferd, das scheut, ist eine ernsthafte Bedrohung für Mensch und Tier gleichermaßen und mit solchen Übungen und intensivem Training beugte man Reitunfällen vor. Genzo hatte lange darüber nachgedacht. Eigentlich machte das Sinn. Beim Schmökern diverser Sportartikel, und natürlich stand beim Schmökern Fußball an oberster Stelle, stachen ihm hin und wieder News über den Reitsport ins Auge und neugierig, wie er war, las er diese durch. Ja. Der Reitsport war gefährlich. Von Reitunfällen auf Turnieren und in der Freizeit waren die Rede. Reiter fielen vom Pferd, landeten auf den Boden oder gar auf Hindernisse und trugen schwere Verletzungen davon. Manchmal gab es sogar furchtbare Todesfälle, die ihm einen eiskalten Schauer über den Rücken jagten. Timur hatte über seine Unfälle gewitzelt, dass das meist nicht so tragisch sei wie es auf dem ersten Blick schien. Einmal erzählte er, dass Elena während ihres Trainings mit Dilas vom Pferd fiel und mit ihrem ganzen Körper an einem Barren hängenblieb. Sie schlüpfte raus, klopfte sich den Staub von ihrer Kleidung und tat so, als wäre nie etwas gewesen. Sie hatte sich sogleich wieder auf den Sattel geschwungen und das Training fortgesetzt. Drei Tage danach ging sie zum Arzt, da sie über unangenehme Schmerzen an der Seite klagte. Entsetzt stellte der Arzt fest, dass zwei ihrer Rippen angebrochen waren und fragte sie fast schon wütend, warum sie nicht sofort zu ihm gegangen sei. Sie zuckte unbeeindruckt mit den Schultern und dachte einfach, dass sie furchtbaren Muskelkater hatte. Als Timur damals Genzos geschockten Ausdruck sah, hatte er laut auflachen müssen. »Wir Reiter sind verdammt hart im Nehmen, wenn es drauf ankommt«, sagte er mit breitem Sonnenscheingrinsen. »Verglichen mit euch Fußballern heulen wir nicht jedes Mal rum, wenn wir einen kleinen Fußknicks haben.« Das war gemein, hatte sich Genzo gedacht, musste sich aber dennoch eingestehen, dass viele Profifußballer etwas zu sehr auf die Tränendrüse drückten, wenn sie sich während des Spiels oder beim Training verletzten. Wehwehchens, wo sie dachten, sie würden sterben, wurden meist mit Eisbeuteln und ein wenig Ruhe wie durch ein Wunder kuriert. Er ging zum Fenster und zog sacht die helle Gardine beiseite. Vor ihm erstreckte sich ein Panorama einer riesigen Koppel. Hinter der Einzäunung fand sich ein Waldstreifen, ein paar Felder und schließlich München selbst. Eine Aussicht, die sich durchaus sehen ließ. Das würden acht interessante Wochen werden. Genzo streckte sich ausgiebig. Dabei achtete er darauf seine Schulter nicht zu belasten und trat aus dem Zimmer. Er wollte Elena sehen und zwar jetzt. Auch, wenn sie momentan beschäftigt war, wollte er die Sache von heute Morgen bereinigen. Was sagte Timur noch gleich? Entweder sie war bei den Ställen, in der Reithalle oder im Hauptgebäude. Also schaute er zuerst bei den Ställen vorbei. Die Pferde machten sich bereits über das Futter her, doch eine Elena sah er nicht. Dafür aber einen blonden Jungen, dessen Erscheinung Genzo erst einmal irritierte. Er wirkte rebellisch und wild. Einer, der gerne Ärger machte und... wenn er ehrlich war, nicht ganz zum sonst vornehmen und edlen Gestüt passte. Der Eindruck täuschte sicher und voreingenommen wollte er gewiss nicht sein. »Verzeihung?«, räusperte sich Genzo lautstark und hatte schnell die Aufmerksamkeit des jungen Mannes sicher. »Hm?«, war seine brummige Gegenfrage, schaute aber genauer hin, als er bemerkte, wer vor ihm stand. »Das gibt’s nicht. Timur hat echt ernst gemacht« »Äh... was meinst du damit?« »Faselte davon, dass er dich bei sich wohnen lässt, solange du verletzt bist«, grinste der Blonde und lehnte die Heugabel an einem offenen Stall. »Hätte ich mir eigentlich denken können. Passt auch zu ihm. Er hat einfach ein zu großes Herz« »Du kennst mich offenbar« »Ja natürlich kenn' ich dich!«, schnappte dieser laut auf, als wäre er über diese Äußerung empört gewesen. »Genzo Wakabayashi. Der Top – Keeper, der seit ein paar Monaten für Rotburg spielt. Ich bin Alex, falls du fragen solltest. Freunde nennen mich Lexy« »Angenehm«, lächelte dieser und reichte ihm die Hand, die sogleich mit einem kräftigen Händedruck erwidert wurde. »Du bist sicher nicht hier, um Smaltalk zu betreiben, richtig? Also wie kann ich helfen?« »Nein, aber die Tage sicher, Alex. Ich suche Len... Elena, aber ich finde sie hier nicht« »Lenchen hast du knapp verpasst.« Er deutete mit seinem Zeigefinger auf das Haus hinter Genzo. »Ist eigentlich das Elternhaus der Goldsteins, wird aber auch als Bürogebäude benutzt, wo Angestellte hingehen können, sollte was sein. Du kannst ruhig rein« »Okay. Danke, Alex« »Eins noch der linke Flügel ist tabu. Da sind die privaten Räume der Eigentümer, also geh da ja nicht hin, wenn du keinen Stress haben willst« »Danke für den Hinweis.« Sie verabschiedeten sich und Genzo marschierte Richtung Haus. Er stand vor einem beeindruckenden Türeingang und öffnete sie. »Elena?«, rief er und seine Stimme hallte gegen die imposante Eingangshalle. Neugierig sah er sich um. Zwei geschwungene Treppen führten in die obere Etage und über seinen Kopf hing ein glänzender Kronleuchter. Als er weiter die Einrichtung beäugte, traute er sich gar nicht sie anzufassen. Die Angst etwas kaputt zu machen, war riesig. »Elena?«, rief er erneut ihren Namen, aber wie beim ersten Mal bekam er keine Antwort. Er seufzte schwach, dann fiel ihm ein Korridor auf, der ihn magisch anzuziehen schien. Er folgte diesen und betrachtete interessiert die großen Fotoleinwände von Pferden und Reitern. Nicht wenige waren schwarzweiß bedruckt und eines davon hatte es ihm besonders angetan. Auf eines der Leinwände war ein großes Foto von Elena bedruckt, die mit Dilas während eines Turniers über einen mit Blumen verzierten Barren sprang. Im Hintergrund waren wirre weiße Flecken, die Blitzlichter muteten, zu sehen und der Keeper beinahe glaubte geblendet zu werden. Genzo begann sofort zu lächeln, als er das Motiv weiter ansah. Er konnte nicht anders, als anzuerkennen, dass sie toll auf dem Foto aussah. »Man merkt echt, dass die Beiden darin Spaß haben«, murmelte er, dann setzte er seinen Weg durch den Gang fort, bis er einen Raum erreichte, bei dem ihm beinahe die Luft weg blieb. Pokale und Bänder so weit das Auge reichte. Allesamt in unzähligen Vitrinen für jeden namhaften Reiter ausgestellt. Sogar bronzene Pferdebüsten waren ausgestellt, in deren Goldschildchen die Namen, der Geburts- und Todestag sowie der Name seines Reiters und deren Leistungen eingraviert waren. Genzo ließ seinen Blick im Trophäenraum schweifen und konnte knapp zwanzig solcher Büsten ausmachen. Eine lebensgroße Pferdestatue stand am Endes des Raums, die von allen Seiten von Sonnenstrahlen angeleuchtet wurde. Wie die Statue vor der Villa hatte auch dieses Pferd sich majestätisch auf seinen Hinterbeinen aufgerichtet und Genzo sich in der matten Spiegelung der Statue beinahe verlor. »Das war Kadrash«, klang hinter ihm Elena und wirbelte herum. Der Schreck saß ihm bis auf die Knochen, als er in das ernste Gesicht der jungen Frau starrte und die Reiterin sich entschied langsam neben ihn zu treten. »Dilas stammt aus seiner Blutlinie. Er war der Hengst meines Urgroßvaters, der das Gestüt damals gebaut hat. Dilas hat sein Sprungtalent definitiv von ihm« »Verstehe.« Genzo ertappte sich dabei, wie er sich abermals im Raum umsah. »So ein Anblick ist dir doch bekannt«, sagte sie und beobachtete Genzo durch die Spiegelung der Bronzestatue. »Euer Verein hat doch auch ein Trophäenschrank im Flur stehen oder etwa nicht?« »Doch, auf jeden Fall!«, antwortete er rasch. »Ich meine, ich bin wahnsinnig stolz für die Rotburger spielen zu dürfen und die Erfolge können sich echt sehen lassen.« Sie nickte schweigend und horchte weiter. »Dann sehe ich das alles hier. Es ist unglaublich, was deine Familie geleistet hat, ehrlich.« Elena schwieg ihn nur an. Sie konnte hören, dass Genzos Worte ernst gemeint waren und er nicht einfach nur beschwichtigen wollte. »Ich hätte es nicht sagen sollen«, setzte der Keeper an und schien anhand ihres Blickes sofort zu wissen, woran sie gerade dachte. »Manchmal bin ich so ein Ekel, dass ich für einen Moment nicht nachdenke, was ich von mir gebe. Das ist eine Angewohnheit, die ich von mir hasse. Elena, es tut mir so leid, was ich gesagt habe. Das musst du mir glauben« »Hat dir Timur etwa ins Gewissen geredet?« »Na ja...«, gab er zögerlich an. »Ein bisschen...« Sie hob ihren Mundwinkel an. »Sieht ihm ähnlich« »Verzeih mir bitte, Elena« »Genzo, ich bin dir nicht böse und ich sehe auch, dass es dir leid tut«, lächelte sie, aber darin lag keine echte Freude. »Vergessen wir die Sache einfach und sehen wir zu, dass du dich die nächsten Wochen erholst.« Genzo sah, wie Elena dabei war den Raum zu verlassen. Sie erstarrte, als plötzlich zwei starke Arme sich um ihren Körper schlangen und ihr Rücken gegen den Keeper drückte. »Ich sehe es dir an, dass ich dir damit weh getan habe und das wollte ich niemals.« Er ignorierte den stechenden Schmerz an der Schulter. Nachdem er einmal tief einatmete, fuhr er fort: »Ich weiß, dass du solche Bemerkungen mit einem müden Lächeln wegsteckst, aber das von vorhin. Das kannst du nicht wegstecken. Ich bin ein Idiot« »Das bist du«, sagte sie leise und legte behutsam ihre Hand auf seinen linken Arm. »Und ja, ich sehe über solche Dinge hinweg. Keine Ahnung, warum mich das trifft« »Vielleicht, aber nur vielleicht, liegt es daran, weil du mich magst?« Genzo stieß etwas Luft aus, als Elena ihm einen Schlag mit ihrem Ellenbogen direkt in die Magengegend verpasste. Prompt schlüpfte sie aus seinen Fängen und zupfte ihre Kleidung zurecht. »Ein dümmlicher und begriffsstutziger Balltreter bist du für mich. Mehr auch nicht.« Sie streckte ihm die Zunge raus. Genzo lachte sanft. »Tut mir dennoch leid, was passiert ist« »Wenn ich deine Entschuldigung annehme, wirst du dann endlich damit aufhören?« »Vielleicht?« Sie seufzte schwach. »Wieso nur musstest du dich an der Schulter verletzen? Es war so schön, als du nicht da warst. Jetzt hat dich Timur bei sich aufgenommen, anstatt dich in ein Tierheim zu stecken« »Okay, also das trifft mich jetzt.« »Dann sind wir quitt«, zwinkerte sie ihm zu und setzte wieder ihr Lächeln auf. Dieses Mal konnte er die Freude darin erkennen und das machte auch ihn glücklich. »Eigentlich... trifft es sich gut, dich zu sehen, Genzo. Ich wollte mit dir über etwas sprechen« »Klar. Schieß los« »Ich habe mich mit Timur unterhalten und habe vor Birin zu „therapieren“. Ich möchte wissen, warum sie auf dich so aggressiv reagiert und da du für einige Zeit bei uns leben wirst, könnte ich deine Hilfe gut gebrauchen. Bist du dabei?« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)