Unter endlosen Sommerhimmeln von MyHeartInTheAttic ================================================================================ Kapitel 1: Happily Never After: Wie Henry Tilney und Catherine Morland ---------------------------------------------------------------------- Der Regen prasselte laut genug gegen die Autoscheiben, um das hyperaktive K-Pop-Gedudel, das Lee so gern mochte, fast vollständig zu übertönen. Er trommelte den Beat mit den Fingern auf dem Lenkrad nach, während er darauf wartete, dass die Ampel auf Grün umstellte. Sakura war dankbar, dass er nicht vor sich hin summte oder mitsang. Sie hatte Kopfschmerzen; die Luftverschmutzung in Tokio war seit einigen Tagen unerträglich, besonders für ein ehemaliges Dorfkind wie sie. Mit geschlossenen Augen hatte sie den Kopf gegen die kühle Scheibe gelehnt und versuchte, das Pochen hinter ihren Schläfen wegzuatmen. Die Scheibenwischer gingen pausenlos, im Kampf gegen die Wassermassen, die der schwarze Nachthimmel ausschüttete. Trotz der zahlreichen Hintergrundgeräusche und dem ewigen Gemurmel der Großstadt herrschte zwischen ihnen eine bezeichnende Stille. Sie hatten sich einfach nichts mehr zu sagen. Manchmal – und in letzter Zeit war das ziemlich oft – fragte Sakura sich, ob Lee nicht merkte, wie unzufrieden sie war, oder ob er es schlicht ignorierte, in der Hoffnung, dass sich ihre Beziehung von allein wieder verbessern würde. War er glücklich? Sie öffnete die Lider einen Spalt breit und musterte sein Profil von der Seite. Sie liebte ihn oder hatte es wenigstens mal, denn jetzt war sie sich nicht mehr so sicher, doch selbst mit viel gutem Willen konnte man ihn schwerlich als klassisch attraktiven Mann bezeichnen. Zugegebenermaßen tat Lee sehr viel dafür, um so unvorteilhaft wie möglich auszusehen. Seit Jahren trug er sein dickes, glänzendes Haar unverändert in diesem unmöglichen Topfschnitt, seine Augen waren zu groß und zu rund – das Wort Glubschaugen drängte sich auf –, seine Augenbrauen waren eine Katastrophe und in seinen geliebten hautengen, meist dunkelgrünen Rollkragenpullovern und den engen Jeans sah er aus wie ein Lauch auf zwei Beinen. Er war ein erwachsener Mann mit dem Äußeren eines Kleinkindes aus den Siebzigern. Sakura biss sich auf die Unterlippe. Sie schämte sich dieser Gedanken, weil sie oberflächlich und gemein waren. Lee war ein herzensguter Mensch und so arglos wie ein Kind. Wahrscheinlich lag genau darin das Problem: Er war zu nett und sie fühlte sich oftmals mehr wie seine Mutter denn gleichgestellte Partnerin. Er war freundlich, respektvoll und gut, aber auch zutiefst langweilig und kindisch. Und sie war wohl ein wandelndes Klischee; die Frau mit dem liebevollen Mann an ihrer Seite, die sich wünschte, dass er ein bisschen mehr Macho wäre. Seufzend atmete sie aus, als die Ampel endlich grün wurde und Lee mit einem ungeschickten Ruck anfuhr, der eine Schmerzwelle durch ihren Schädel zucken ließ. Er war ein miserabler Autofahrer und weil sie sowieso schon schlechte Laune hatte, war ihr danach, sich darüber aufzuregen. „Hoppla. Verzeihung bitte“, sagte er vergnügt und schenkte ihr eines seiner strahlenden Zahnpastawerbung-Lächeln, das unverzüglich in eine ernstere Miene umschlug, als er ihren mürrischen Gesichtsausdruck bemerkte. „Alles okay, Liebling?“ „Kopfschmerzen“, antwortete sie motzig. Lee stellte das Radio aus. „Zuhause nimmst du ein schönes heißes Bad und ich mache dir eine warme Milch mit Honig.“ „Warme Milch mit Honig hilft bei Halsschmerzen“, fauchte sie. Er sah sie unglücklich an und natürlich fühlte sie sich prompt schlecht, dass sie ihn angegangen war. „Entschuldige“, sagte sie zerknirscht. „Und danke, aber vielleicht mischst du zusätzlich noch ein oder zwei Aspirin rein.“ „Wird gemacht, für dich tue ich doch alles“, trötete er. Das Auto machte einen Satz nach vorne, weil er vor lauter Tatendrang das Gaspedal durchgedrückt hatte. Der Fahrer im Wagen vor ihnen hupte verärgert und machte eine rüde Geste, die einen bestimmten Finger seiner linken Hand involvierte. Sakura rang sich mühsam ein Grinsen ab. Sie hasste es, wenn er solche Dinge sagte, weil es zwar einerseits stimmte, es andererseits jedoch selten das war, was sie brauchte und wollte. Lee war gleichzeitig aufmerksam und ignorant. Freilich war das zum Teil ihre Schuld, weil sie einfach nicht den Mund aufmachte und ihre Bedürfnisse kommunizierte, dabei sollte sie unterdessen wissen, dass er nicht aus dem berühmt-berüchtigten Subtext schließen konnte. Sie blickte an sich herab, direkt auf das beachtliche Dekolleté, das ihr Push-up-BH mogelte. Sie kamen von einem Event ihres Krankenhauses, das zu Ehren irgendeines stinkreichen Gönners, der ihnen eine Milliarde Yen gestiftet hatte, veranstaltet worden war. Sie trug ein aufregendes scharlachrotes Kleid, in dem sie einige lüsterne Blicke auf sich gezogen hatte. Verdammt, sie sah gut aus, sie war eine attraktive Frau und doch war Lees einzige Reaktion die Sorge, dass sie sich erkälten könne, gewesen. Es war süß. Und unglaublich frustrierend. Sakura hielt sich im Grunde nicht für einen besonders sexuellen Menschen – vor Lee hatte sie lediglich einen Freund und einen One-Night-Stand gehabt –, doch Lee war der reinste Mönch. Er war wie ein Kind, schoss ihr abermals durch den Kopf. Das letzte Mal, als sie miteinander geschlafen hatten, hatte noch Schnee gelegen. Mittlerweile war Anfang Juli. Sakura verschränkte die Arme, spürte die altbekannte, ungerechtfertigte Wut auf ihn in sich aufsteigen und schluckte sie runter. Sie hätte es besser treffen können. Sie hatte sich überhaupt nur auf ihn eingelassen, weil ihr geschmeichelt hatte, wie bedingungslos und tief seine Liebe zu ihr war, wie unermüdlich er sich um ihre Gunst bemüht hatte, obwohl sie ihm anfangs einen Korb nach dem anderen serviert hatte. Lee liebte sie, da war sie ziemlich sicher, doch er liebte sie wie ein kostbares Sammlerstück, das man hinter Glas bewunderte und selten in die Hand nahm. Ihre fraulichen Reize waren nie wirklich von Interesse für ihn gewesen. Jenseits des Autos pulsierte, trotz des Starkregens, das Tokioter Nachtleben. Vor den Clubs standen leicht bekleidete Frauen und schick angezogene Männer und rauchten lachend und schwatzend ihre Zigaretten. Ein junger Mann wurde von seinen Freunden johlend in Richtung eines Mädchens geschubst, das sich giggelnd ihrer Gruppe Freundinnen zuwandte und desinteressiert tat, ihr Make-up jedoch rasch in einem kleinen Taschenspiegel überprüfte. Ein anderes Paar stand wild knutschend vor dem Eingang zur U-Bahn, die Frau wurde von dem Mann fast von den Füßen gehoben und stand nur noch auf den äußersten Zehenspitzen. Den Regen schienen sie nicht mal zu bemerken und es hatte etwas Verzweifeltes, wie sie sich küssend aneinanderklammerten, als könnte der eine ohne den anderen nicht atmen, nicht existieren, nicht sein. Sakura fragte sich unweigerlich, ob sie sich begrüßten oder verabschiedeten oder ob sie nur schlicht sehr verliebt waren. Wie es sich wohl anfühlte, jemanden derart heftig zu lieben, dass man ebenso gut wahnsinnig geworden sein könnte? Allein dieses Paar zu beobachten, vermittelte ihr den Eindruck, dass es zugleich das schönste und schrecklichste Gefühl auf der Welt sein musste. Ihre Liebe für Lee war nie übermäßig von Leidenschaft oder Verlangen geprägt gewesen, sie war funktional und leise, eher ein sacht dahinplätschernder Bach denn eine alles verschlingende Naturgewalt. Solche Gefühle kannte sie lediglich aus Liebesromanen und sie waren ihr stets überspitzt und absurd vorgekommen, doch tief in ihrem Inneren spürte sie ein sehnsüchtiges Ziehen. „Denkst du manchmal über uns nach?“, fragte sie plötzlich. „In welche Richtung sich unsere Beziehung entwickelt.“ „Hm? Wie meinst du das?“, hakte er nach. Seine buschigen Augenbrauen trafen sich vor angestrengter Konzentration fast über der Nasenwurzel und er löste ein empörtes Hupkonzert aus, als er noch im letzten Moment, in dem die Ampel gerade auf Rot sprang, über die Kreuzung bretterte. „Ich meine…“ Sie seufzte tief. „Schon gut, vergiss es.“ Vermutlich hörte er ihr sowieso bloß mit einem halben Ohr zu oder schlimmer noch, er verlor die Fassung und baute einen Unfall. Das Schweigen staute sich erneut zwischen ihnen auf und Sakura schaltete das Radio an, in dem eine quirlige Moderatorin monsunartige Regenfälle für die gesamte kommende Woche ankündigte und ihre Zuhörer ermahnte, trotz des nassen Wetters ausreichend hydriert zu bleiben. Sie starrte aus dem Fenster. In der Reflexion der Scheibe sah sie, wie Lee nervös immer wieder zu ihr herüberschaute. „Bist du sauer auf mich, Liebling? Wenn ich was falsch gemacht habe, dann…“ „Hast du nicht“, unterbrach sie ihn und im Grunde war das die Wahrheit. Es lag nicht an ihm, sie war das Problem. Sie wollte irgendetwas, von dem sie nicht mal genau wusste, was es war, nur, dass Lee es ihr nicht gab. Vielleicht strengte sie sich nicht genug an, weil sie gewohnt war, dass er derjenige war, der sich um sie bemühte, und nun verharrte sie selbstgerecht in ihrer Unzufriedenheit und warf ihm insgeheim vor, dass er nichts daran änderte, anstatt selbst die Initiative zu ergreifen. Er zog wie ein gescholtener Schuljunge den Kopf ein und sie rang sich ein zartes Lächeln ab, beugte sich leicht zu ihm herüber und legte die Hand auf seinen Oberschenkel. Seine Augen huschten verstohlen zu ihrem Ausschnitt, seine Pupillen weiteten sich dramatisch und sein Teint färbte sich eine oder zwei Nuancen dunkler. Sie spürte die Wärme seiner Haut und die sehnigen Muskeln durch den Stoff seiner Hose. Gelegentlich vergaß sie regelrecht, dass der Mann mit der peinlichen Frisur einen ansehnlichen Körperbau hatte, den man ihm gar nicht zutraute. Ihre Hand wanderte ein kleines Stückchen höher, dann kniff sie zu. Lee hopste vor Schreck einige Zentimeter in seinem Sitz hoch. „Wie wär’s mit einem Blowjob?“ Sie ließ die Augenbrauen ironisch hüpfen. „Sa-sa-sa-sakura“, stotterte er, während sein Gesicht schlagartig eine ungesunde Rotfärbung annahm. Sein Adamsapfel erzitterte, als er trocken schluckte. „D-d-das geht doch nicht. Ich muss mich aufs Fahren konzentrieren, jemand könnte uns sehen, wir könnten von der Polizei angehalten werden und außerdem hast du doch Kopfschmerzen“, rasselte er kurzatmig herunter. Sakura blinzelte. „Wow! Du hast vergessen, dass die Scheiben beschlagen könnten oder du mit heruntergelassener Hose in ein UFO gebeamt werden könntest.“ Lee kniff die Lippen zusammen, was ihn ungewohnt ernst aussehen ließ. Normalerweise war er ein bisschen schwer von Begriff, doch diesmal schien er verstanden zu haben, dass sie ihn verspottete. Seine Augen lagen wie festgeklebt auf der Straße vor ihnen. Angesäuert zog sie sich zurück. Was war eigentlich sein verdammtes Problem?! Als er kurz darauf vor dem Appartement-Gebäude, in dem sie wohnten, parkte, stieg sie aus, ehe der Wagen richtig stand, und knallte die Autotür schwungvoll hinter sich zu. Im strömenden Regen stapfte sie zum Hauseingang, war binnen Sekunden bis auf die Unterwäsche durchweicht. Das Kleid klebte ihr wie eine zweite Haut am Körper, überließ nur wenig der Fantasie. Lee rief ihr irgendetwas nach, doch der Regen machte es leicht, zu tun, als ob sie ihn nicht gehört hätte. Ihr war nach weinen zumute und sie hatte das Gefühl, ihn für den Moment nicht ertragen zu können. Es lag weniger daran, dass er sie frustrierte, als vielmehr daran, dass der Frust ein gemeines Biest aus ihr machte. In ihren hohen Pfennigabsätzen fand sie kaum Halt auf dem glitschigen Kopfsteinpflaster, doch sie drosselte ihr Tempo trotzdem nicht. Einmal glitt sie beinahe aus, fing sich im letzten Augenblick mit rudernden Armen, aber beim zweiten Mal rutschte ihr Fuß endgültig unter ihr weg und sie ging mit einem spitzen Aufschrei und einem Autsch, das mehr von Schreck denn Schmerz zeugte, zu Boden. Erst fühlte sie nichts, außer der latenten Resignation, ihr bestes Kleid mit Dreck beschmiert zu haben, dann flammte der Schmerz in ihrem Knöchel auf und schoss ihr gesamtes Bein hinauf. „Sakura!“ Sie hörte das schnelle Knirschen von Lees Segelschuhen, als er auf sie zu joggte. „Bist du verletzt? Oh Schreck, du blutest.“ Tatsächlich hatte sie eine hässliche Schürfwunde am Knie, die Haut sah aus, als wäre sie mit Schleifpapier bearbeitet worden. Winzige Blutströpfchen quollen hervor, aber der Regen ließ es schlimmer aussehen als es war. Er zog ein Stofftaschentuch aus seiner Hosentasche und drückte es fest auf die Wunde. Sakura verzog das Gesicht. Lee meinte es gut, doch wie so oft machte er damit alles nur schlimmer. Sie musste sich beherrschen, ihn nicht anzuschnauzen. „Kannst du aufstehen?“ „Ich denke schon, du musst mir vielleicht helfen“, sagte sie. Er legte einen Arm um ihren Rücken und zog sie auf die Füße, ließ sie jedoch zurück auf den Boden sinken, als sie leise zischte. „Mist, ich habe mir wohl den Knöchel verdreht“, grummelte sie und rieb besagtes Körperteil, das bei näherer Betrachtung leicht angeschwollen schien. Kurzerhand schob Lee seine Arme unter ihre Kniekehlen und den Rücken und hob sie hoch. Sakura keuchte erschrocken auf, als sie mühelos in die Luft gehoben und an seine Brust gedrückt wurde, konnte sogar ihre Wangen ein bisschen warm werden spüren. Lee war ein großes Kind, aber manchmal war er auch ein kleiner Held, und dass er sie tragen konnte, als wöge sie nicht mehr als ein Vögelchen, war nicht nur schmeichelhaft, sondern auch ziemlich sexy. Sie bettete ihren Kopf an seine Schulter, konnte das Gefühl allerdings nicht genießen. All die Jahre hatte sie ihn als Selbstverständlichkeit genommen, weil er sie unbedingt gewollt hatte, insgeheim hatte sie es wohl als rechtens angesehen, dass sie stets ein Stückchen über ihm stand, nahm und sich geben ließ, doch nun wisperte ein kleines Stimmchen, dass womöglich sie es war, die ihn, trotz all seiner Fehlern und Macken, nicht verdiente. Wann hatte sie ihn das letzte Mal wertgeschätzt? Hatte sie das überhaupt jemals aufrichtig getan oder immer für genug befunden, dass er mit ihr zusammen sein durfte? Als wäre sie die Kaiserin von China und es eine Ehre, den Boden zu ihren Füßen küssen zu dürfen. Sie fühlte sich eklig, wie ein schlechter Mensch. In ihrer Wohnung angekommen setzte er sie auf dem Sofa ab, zog ihr die mörderischen High Heels aus und brachte ihr eine Kühlkompresse für ihren Knöchel. Dann wuselte er ins Badezimmer, ließ die Wanne volllaufen, brachte ihr Aspirin und ein Glas Wasser und stellte einen Topf Sojamilch auf den Herd. Seine Energie war beneidenswert, dachte Sakura, die sich unsagbar erschöpft fühlte und mit müden Augen auf die Tokioter Skyline blickte. Das Appartement lag eigentlich über ihrem Budget – als Assistenzärztin in einem staatlichen Großstadtkrankenhaus verdiente sie eher schlecht, Lee als Altenpfleger verdiente sogar deutlich weniger –, doch das Panorama war es ihr wert gewesen. Der Tokyo Tower erstrahlte in einiger Entfernung in seinem orange-goldenen Licht, erinnerte sie vage an die Weihnachtsbäume, die sie im Dezember vor zwei Jahren auf einem Kongress in Genf bewundert hatte. Die Innenstadt breitete sich wie ein funkelndes Lichtermeer zu ihren Füßen aus. Für sie als Dorfmädchen war der Anblick gleichzeitig atemberaubend magisch und beängstigend. Die Stadt schien einen Puls zu haben, die Straßen waren ihre Adern und die Menschen die Blutkörperchen. Sie fand faszinierend, wie unbewusst die Technologie der Menschen die Natur kopierte. Sakura humpelte zu der bodentiefen Fensterfront, die aus einem speziellen Sicherheitsglas bestand. Damals hatte die Maklerin ihnen erzählt, dass das Glas selbst einer Kanonenkugel standhalten könnte. Lee war beeindruckt gewesen, doch sie hatte die Frau nur belächelt, denn wer würde heutzutage noch mit Kanonenkugel schießen. Darauf hatte sie keine Antwort gehabt. Sie legte Handflächen und Stirn gegen die kühle Scheibe, weil sie sich dann stets schwerelos fühlte, als würde sie schweben, als könnte sie einfach losfliegen, hoch in den Himmel, unter sich die Lichter, die die Sterne imitierten, über sich die Unendlichkeit. Der Himmel ist die Grenze. Von wem stammte das? Manchmal jedoch fühlte sie sich, als würde sie fallen, jeden Augenblick von der schieren Dichte der Millionenmetropole zermalmt werden. Lee sagte, dass das wohl allen Menschen gelegentlich so ging, aber er verstand sie nicht, er war hier geboren und aufgewachsen. Tokio war ihr noch immer fremd, obwohl sie mittlerweile seit acht Jahren in der Stadt wohnte. Es war ihr Zuhause, aber nicht ihre Heimat. Heimat war der Ort, den die Alten noch immer das Dorf versteckt unter Blättern nannten, wo üppige Laubwälder auf das weite Meer trafen. „Du erkältest dich.“ Sie zuckte unmerklich zusammen, als Lee plötzlich hinter ihr stand. Sie betrachtete ihn in der Reflexion des Glases. Die Stadt verschwand, Lee und ihre Wohnung rückten in den Fokus. Ihr rosa Frottee-Bademantel hing über seinem linken Arm. „Komm, ich helfe dir, die nassen Klamotten auszuziehen.“ Er geleitete sie zurück zum Sofa und sperrte Tokio aus, indem er die blickdichten, cremefarbenen Vorhänge schloss. „Du hast deine Tabletten noch nicht genommen. Sind deine Kopfschmerzen besser geworden?“ „Ja“, log sie, während sie ihm den Rücken zudrehte, damit er den Reißverschluss ihres Kleides besser erreichen konnte. Lees Handgriffe waren sanft, seine Finger warm und ein bisschen rau, aber es lag keinerlei Leidenschaft in seinen Berührungen, nicht mal als er ihren BH öffnete und die Daumen unter den Trägern verhakte, um ihr den Stoff abzustreifen. Sakuras Oberweite schrumpfte zu ihrem gewohnten A-Körbchen zusammen, nachdem ihre Brüste entgegen den Gesetzen der Gravitation seit Stunden hochgedrückt worden waren, fühlten sie sich schwer und empfindlich an. Die kühle Luft auf ihrer feuchten Haut ließ sie frösteln und sorgte dafür, dass sich ihre Brustwarzen zusammenzogen. Er rubbelte ihre Rückseite trocken, als sie sich in einer fließenden Bewegung umdrehte, sodass er auf einmal ihre Brust in der Hand hielt. Zum zweiten Mal nahm sein Gesicht eine dunkelrote Färbung an. „Entschuldige bitte“, nuschelte er beschämt und zog die Hand zurück. „Du bist mein Freund, es nichts Verwerfliches daran, wenn du mich anfasst.“ Verlegen um Worte huschten seine Augen durch den Raum, überall hin, nur nicht zu ihrem Oberkörper, selbst ihr Gesicht mied er. In einem Anflug von Trotz drückte sie den Rücken durch, bis ihre Brüste gegen seinen Körper drückten. Ihre Augen rutschten zu der engen Jeans, die nichts verstecken konnte. Nichts war auch, was sie sah. Er wich zurück und wieder spürte sie diese abartige Genugtuung, ihn zu quälen. „Ich dachte, dir geht es nicht gut.“ „Ich bin keine von deinen Patientinnen, und du darfst mir auch mal Widerworte geben, wenn dir etwas nicht passt. Meine Güte, Lee, ich will, dass du das tust. Sind wir zusammen oder bist du mein Knecht?“, fauchte sie. „In Ordnung.“ Er stand auf. „Ich habe jetzt keine Lust auf diese Art Gespräch.“ „Hast du nie.“ Sakura umklammerte seinen Arm, damit er nicht weggehen konnte. „Verdammt, was stimmt eigentlich nicht mit dir?“ „Mit mir? Du benimmst dich doch wie ein… wie ein… ein Flittchen.“ Er blinzelte heftig, als wäre er selbst überrascht, dass die Worte in ihm gesteckt hatten. Sakura reagierte, ehe sie darüber nachdenken konnte, und verpasste ihm eine klatschende Ohrfeige. Bereits in der nächsten Sekunde schlug sie erschrocken die Hände vor den Mund. „Oh Gott, Lee, das tut mir leid. Ich weiß gar nicht, was da über mich…“ Sie verstummte. „Schon okay“, murmelte er. Ihr Handabdruck begann bereits, sich auf seiner gebräunten Haut abzuzeichnen. „Nein, es ist nicht okay“, schrie sie kläglich. „Du hast mich Flittchen genannt und ich habe dich geschlagen.“ Sie weinte jetzt, weil sie sich schämte und weil er sie Flittchen genannt hatte und es so meinte und weil er dafür sorgte, dass sie sich tatsächlich wie eines fühlte. Sie hob den Bademantel auf, der von ihren Schultern gerutscht war, und bedeckte sich. Ihre Nacktheit kam ihr töricht vor. „Hmm“, brummte er nur und wandte sich mit hängenden Schultern von ihr ab. Mehr denn je erinnerte er an einen geprügelten Welpen. „Lee?“ Sie atmete zittrig ein. „Was denn?“ „Ich… ich denke, wir sollten uns trennen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)