Intellektuellengehabe von PurplePassion (Robin & Choppers Freundschaft [One-Shot][Robin-centric][ZoRobin Vibes]) ================================================================================ Kapitel 1: Mein Freund Chopper ------------------------------ Eines der fundamentalsten Elemente dieses Beziehungsnetzes, jenes, das am ehesten noch als „solches an sich“ angesehen werden kann, ist der Körper. Er ist derartig durch sich selbst definiert, so wunderbar spezifisch, dass er beinahe eine Einheit ergibt. Beinahe. Denn ‚die Fügung‘ offenbart die komplexe, dynamische Verwirr-- Verflechtung mit seiner Umwelt. ‚Die Fügung‘ – so versuchten es andere Gesellschaften stets zu erklären – bedingt sich aus der Interaktion dreier Kraftverhal- Kraftverhät-- … bedingt sich aus der Interaktion dreier Kräfteverhältnisse: Die des Körpers zu sich selbst, des Körpers zu anderen und des Körpers zu seiner Umgebung. Eine derartige Rationalität versteht jedoch nicht, dass keines dieser Elemente vor oder unabhängig der anderen existi- Ach, verflucht!! Frustriert lege ich das Buch ab und reiche neben mir nach der Tasse auf den Boden, um mir den letzten Schluck Kaffee zuzuführen. Zu meiner ohnehin schon geknickten Stimmung fügt sich das unbefriedigende Gefühl der lauwarmen Bitterkeit, zu der dieses abgestandene Gebräu mittlerweile mutiert ist. Und noch ehe sich dieses nagende Gefühl aufdringlich in mir verhärten kann, zwinge ich mich zur Ruhe zu kommen, indem ich mich in meiner Umgebung platziere. Meine Augen wandern durch das kleine Deck der Flying Lamb, die seit unserer Reise auf der Himmelsinsel mindestens genau so angeschlagen aussieht, wie ich mich heute fühle… Aus der Ferne erhasche ich Kanonier und Navigatorin, die sich konzentriert unterhalten, beide mit Stiften in der Hand und mehreren Notizblöcken sowie großen, losen Blättern vor sich auf einen Tisch ausgebreitet. Von weiter oben dringt bei richtigem Wind ab und an das melodische Pfeifen des Käp’tns durch. Aus den offenen Küchenfenstern das Rauschen von fließendem Wasser, das Klirren vom Abwasch. Aber eigentlich ist es der bloße Umstand, dass ich dabei angestrengt versuche eine ganz bestimmte Stelle auf dem Schiff bewusst zu umgehen, der es mir (wahrscheinlich gerade deshalb) nicht erlaubt, mich in diesem unangenehm verstreuten Zustand ein wenig zu erden. Ich bemerke nicht, dass ich hörbar ausatme, bis ich unerwartet angesprochen werde: „Kommst du nicht mehr in die Lektüre rein, Robin?“ Der junge Schiffsarzt schaut mich durch seine schwarzen Kulleraugen neugierig an, ehe er auf das Buch auf meinen Schoß schielt. „Wen liest du da eigentlich?“ „Boudrillaire“, seufze ich etwas erschöpfter als geplant. Ich nehme mir die Baseballkappe vom Kopf ab, denn die Sonne ist inzwischen hinter mich gewandert, und strubbel mir mit gewisser Erleichterung durch die Stirnfransen. „Harter Brocken“, pfeift der kleine Elch und beäugt wieder das beachtliche Band vor mir, „Eine seiner diskursiven Abhandlungen?“ Ich nicke. „In Zusammenhang mit der Entstehung moderner Sklaverei“, füge ich an und Chopper kann sich eine Grimasse nicht verkneifen. „Ist es die Sprache?“, fragt er, sieht mich dabei mit mitfühlendem Verständnis an, „Postprogressistische Texte zeugen ja gerne von Unlesbarkeit, wie ich finde.“ Ein leises Lachen entweicht mir und ich bin – wie so oft in den vergangenen Wochen – beeindruckt über die Wissensbestände des jungen Mediziners. Zumal weder Boudrillaires historische Analysen noch die theoretische Schule, der er entstammt, mit Choppers Tätigkeitsbereich zu tun haben. „Stimmt“, bestätige ich nun etwas aufgeheiterter, „deren dekonstruktivistischer Ansatz ist oft weniger subversiv als ‚sub-versiert‘.“ Chopper und ich grinsen uns breit an, aber ein durchdringendes, genervtes Stöhnen zieht unsere Aufmerksamkeit auf den mürrisch reizbaren Vizekapitän in der Nähe, der seine Hanteln laut auf den Boden abstellt. „Das könnt ihr doch unmöglich witzig finden!!“, mault er als er sich wieder aufgerichtet hat, eine leichte Verstörung in seinen Augen, während er uns ansieht. Doch der Arzt grüßt seinen besonderen Freund nur fröhlich, so als sei es nicht schon später Nachmittag, sondern morgens am Frühstückstisch, und fragt ihn unbeirrt, ob er mit dem Training für heute durch sei. Zoro brummt einmal missmutig und beginnt einfach seine Cool-Down-Routine. „Ich hab gehört der wär ein ungemütlicher Zeitgenosse“, kommentiert der Elch wieder an mich gewandt. Chopper ist dabei aufgehüpft, tappst nun zum jungen Mann rüber und hält ihm penetrant eine Wasserflasche entgegen. Ein kurzes Gerangel mit minimalster verbaler Kommunikation (dafür aber mit diversen Knurren und Fiepsen) entsteht, ehe der Schwertkämpfer das Getränk geschlagen annimmt. Zoro macht einen großen Schluck, Chopper kehrt zufrieden zu seinem Platz neben mir zurück und ich schmunzle in mich rein. „Ungemütlicher als eurem intellektuellen Gehabe zuzuhören ist gar nichts“, faucht der Schwertkämpfer und wischt sich mit dem Handrücken über den Mund, bevor er die Flasche wieder abstellt. „Also, Zoro! Es ist aber wichtig die eigene Gesellschaft zu verstehen!“, protestiert der Junge ein bisschen entrüstet, „Normalität und Struktur differenziert zu unters-“ „Ja, ja schon klar. Mit Humor kann ich da aber trotzdem nichts verbinden, oder?“, schneidet er ihn unbeeindruckt ab. Ich schaue den Kämpfer wissend an und sage: „Du wärst überrascht, Kenshi-san. Gesellschaftskritik ruft gerne die skurrilsten Gestalten einer Generation herbei…“ Doch der Grünhaarige zuckt unüberzeugt die Braue und schnauft. „Wenn deren Gelaber so überflüssig unverständlich ist, wie eurer, zweifle ich keine Sekunde dran.“ Chopper und ich tauschen instinktiv einen belustigten Blick aus. Unwissenderweise hat Zoro genau das Thema getroffen, über das wir eben noch hergezogen hatten, sodass der Doktor behauptet: „Viel schlimmer sogar!! Stell dir vor, wir würden nur mehr in weit hergeholten Metaphern sprechen und erwarten, dass sie interpretationsreich und eindeutig zugleich sind!“ „Oder eine alltägliche Bezeichnung nehmen, um sie mit einer völlig anderen, hochkomplexen Bedeutung zu versehen“, folge ich Choppers Faden, der daraufhin erheitert gluckst. „Ja, oder-- Oder eine zusammengewürfelte Bezeichnung erfinden, die Alltägliches beschreibt, aber absolut kontraintuitiv ist!“ „Weil die semantische Verknüpfung minimal ist.“ „Und letztendlich diese Begriffe in fünfhundert Seiten auseinandernehmen, weil sie – ironischerweise – ‚zu kurz kommen‘!“ Der kleine Schiffsarzt und ich steigern uns in die Thematik rein und kichern dabei wie verzogene Gören beim Streichespielen. Vor gar nicht so langem hätte mich das peinlich berühren sollen. Aber die Strohhüte sind offenherzig und allesamt auf ihre Weise Ausgestoßene, die das mit ihren eigenen Albernheiten kompensieren. Sogar der unerschütterliche Roronoa Zoro, der ehemalige Kopfgeldjäger, dessen blutrünstiger Ruf seit seinem Beitritt in Ruffys Crew (und das auch noch ausgerechnet als erster Maat) nicht gerade blumiger erzählt wird. „Ihr habt doch einen an der Waffel…“, nuschelt ebendieser mit einem Kopfschütteln, fährt dabei mit seinen Dehnübungen fort. Chopper blitzt ihn mit offensichtlicher Kränkung an und streckt die Zunge raus, als Zoro nicht hinsieht. Aber der Grünhaarige hat das natürlich trotzdem gemerkt und diesmal ist die darauffolgende Auseinandersetzung, zu meiner glücklichen Bespaßung, sprachlastiger als die vorherige. Zoro entwickelt unterdessen offenbar ein schadenfreudiges Gemüt, während er dabei zusieht, wie sich der gutgläubige Schiffsarzt seine Sticheleien ein wenig zu sehr zu Herzen nimmt. Das Wortgefecht kommt zu einem langsamen Ende, als der junge Schwertkämpfer entscheidet ihn neckend zu ignorieren; sehr zum Frust Choppers. „Blödian“, höre ich den Jugendlichen leise murmeln, während er sein Fachjournal wieder aufschlägt, um vehement, aber ziellos darin rumzublättern. Choppers Ausdruck erwärmt etwas in mir und auch das zufriedene Gesicht von Zoro führt mir mal wieder die besondere Beziehung vor Augen, die beide zueinander haben. Diese fällt schnell auf, sobald man sich ein wenig bei den Strohhüten aufgehalten hat, aber ich bin sicherlich nicht die erste oder einzige gewesen, die sich zunächst keinen Reim daraus machen konnte. Zoros raue, unsentimentale Art steht immerhin in Kontrast zu der verträumten und herzlichen Choppers. Die paar Wochen, die ich mit den Mugiwaras verbracht habe, reichen jedoch aus, um mit relativer Sicherheit davon ausgehen zu können, dass Zoros Provokationen nicht ernst gemeint sind und er es dem Kleinen, wie sonst auch, auf seine Weise wieder gutmachen wird. „Weißt du, vor ein paar Jahren war Boudrillaire mal Gast auf Rain Dinners“, merke ich nach einer Weile an, um den sensiblen Elch wieder auf andere Gedanken zu bringen. Die Entscheidung Chopper von dieser Begegnung zu erzählen war schnell getroffen worden, doch leicht gefallen ist sie mir keineswegs. Es sieht mir nicht ähnlich solche persönlichen Informationen über mich zu teilen, so klein und anekdotisch sie auch klingen mögen. Die anfängliche Überwindung, die es mich kostet, das nun zu tun, lohnt sich allerdings sofort. Chopper sieht mich völlig verblüfft an bevor sich eine zappelige Aufregung in ihm breit macht: „Er- Ernsthaft...? Du hast Giles Boudrillaire ernsthaft getroffen!?“ Ich nicke ihm zu und das Lächeln, das ich ihm dabei schenke, vergrößert sich augenblicklich, als ich Choppers bewundernde Fassungslosigkeit auf sein ohnehin schon niedliches Gesicht ausmache: „Nicht nur getroffen, ich habe ihn offiziell kennenlernen dürfen. Er hat – wohlgemerkt uneingeladen – bei einer mehrtägigen Konferenz dort teilgenommen. Hat die Veranstalter:innen dadurch in unangenehme Verlegenheit gebracht, weil sie ihn offensichtlich nicht dabei haben wollten. Aber ihm die Teilnahme zu verweigern hätten sie damals ja unmöglich gewagt. Die Diskussionsrunden waren besonders beeindruckend: Er hat allen Vortragenden erbarmungslos den Garaus gemacht.“ „Du--! Du hast Giles Boudrillaire vortragen gesehen…“, stellt der Elch etwas baff fest. „Ja! Aber das Beste war ehrlichgesagt immer noch, dass er Crocodile eine ganze Woche lang das Leben zur Hölle gemacht hat“, füge ich hinzu und bei der Erinnerung entfährt mir ein amüsiertes Kichern, „Bereits nach einem Tag hatte er es geschafft das gesamte Personal mit seinen Sonderwünschen zu überfordern und die mieseste Stimmung zwischen allen Gastsprecher:innen zu verbreiten. Ab Tag Drei hatte Boudrillaire Crocodile sogar so weit, dass dieser ihm bis zum Schluss mit Zigarren aus seinem eigenen, privaten Vorrat versorgen musste.“ Choppers vergnügtes Lachen begleitet meine Erzählung und als ich zum Ende komme, ertappe ich mich dabei, wie ich seine Ausgelassenheit ein bisschen neidisch bewundere. Da entscheide ich mich dagegen zu erwähnen, dass die drei Wochen, die es gedauert hatte, bis mein damaliger Boss wieder seinen Nachschub bekam zwar lang und von seiner übelsten Laune geprägt, aber für mich dennoch jede Minute wert gewesen waren. „Wow!“, quiekt der Elch und seufzt darauf verstrahlt, „Was für eine Ehre… Boudrillaire ist einfach der Wahnsinn!“ „Das ist nicht euer Ernst!!“, schreit Zoro wieder überaus gereizt, bevor ich dem jüngsten Mugiwara zustimmen kann, „Vor einer Minute hieß es doch noch er sei ein arroganter Schwätzer!“ „Nein, du willst es nur nicht verstehen!“, verteidigt sich der Arzt sofort und springt dabei herausfordernd von seinem Liegestuhl auf, „Solche Konzepte aufzustellen erfordert nun mal ein gewisses Maß an Komplexität. Und da verzeiht man auch mal, wenn ein solches Genie mit bürgerlich-aufgesetztem Anstand und Sitte bricht!“ „‚Derart ist die Liebe zur Theorie’“, zitiere ich bestätigend, da ich mich eigentlich nur weiter an ihrer Zankerei erheitern möchte. „Ganz genau! Nur weil seine Texte schwierig sind, heißt es nicht, dass sie keinen wertvollen Beitrag für die Gesellschaft gemacht haben oder dass sie nicht weiter ausgearbeitet und interpretiert werden sollten. Der Mann ist ein Held, Zoro!“ „Ja und was für ein schöner Held das sein muss, der sich wochenlang in stickigen, verrauchten Zimmern einschließt um darüber zu meckern, dass die Welt scheiße ist.“ „Das ist sie ja!! Dass wir alle Piraten geworden sind kommt doch nicht von irgendwo her! Oder willst du mir etwa weismachen, dass du es okay findest, wie’s gerade zugeht?“ Zoro verdreht die Augen und wird anscheinend endlich mit seinem Training fertig. Er hebt das kleine, weiße Handtuch in seiner Nähe auf und beginnt sich damit abzutrocknen, wischt sich als erstes über das verschwitzte Gesicht. „Nein. Aber das letzte was ich brauche ist ein alter, Selbstgespräche-führender Griesgram, der meint verstanden zu haben, was auf der Welt schief läuft, seinen gedanklichen Dünnschiss dann in einem nicht endenden Schinken niederkrakelt, um später darüber zu heulen, dass ‚die Masse‘ nichts damit anfangen kann.“ Darauf kann ich mir ein leises Kichern nicht verkneifen, doch Chopper ist schon längst Feuer und Flamme: „Ja, na gut! Wissenschaften mögen vielleicht die Tendenz haben, nicht sonderlich zugänglich zu sein, aber es ist ja auch nicht die Auf-!“ „Jaaah, lass gut sein jetzt!“, unterbricht der Vize den Jüngeren mal wieder etwas forsch, ist dabei dem Mediziner schon gegenübergetreten und sieht zu ihm runter, „Geh und schau erst mal, dass die Kringelbraue uns einen Eistee spendiert. Danach kannst du mich immer noch damit zutexten, weswegen dein so heißgeliebter Suppenwürfel ein Held sein soll.“ Ich muss zwar die Zähne zusammenbeißen, aber schaffe es dadurch, lediglich ein hüstelndes Räuspern auszustoßen. Allerdings machen Choppers naiv-unschuldige Reaktionen es mir nicht leichter, nicht auf der Stelle aufzulachen, während er den Grünhaarigen hinter verschlitzten Augen genervt ansieht. Die aufgestaute Erregung in ihm ist noch zu aktiv, um seinen Körper sofort zu verlassen, aber ich sehe ihm an, dass er gespalten ist: Damit, ob er den Worten Zoros nun nachgehen soll (sich sein Konter somit zunächst verkneifen muss) einerseits, und andererseits mit der dezenten Offenbarung, dass Zoro Zeit mit ihm verbringen will. „Gemeiner-- Dummkopf!“, murmelt er gepresst, als er schon die erste Stufe hin zur Kombüse gestiegen ist, sodass sich der Grünhaarige eine bissige Antwort sparen kann. Dem fetten Grinsen auf seinem Gesicht nach zu urteilen, ist sein Vorhaben ohnehin reibungslos aufgegangen. Sogleich dreht sich der Schwertkämpfer wieder um, schnappt sich die Wasserflasche von vorhin und setzt sich im Schneidersitz mit dem Rücken gegen die Reling. Er macht ein paar Schlücke. Unsere Blicke treffen sich. „Unverschämt“, wage ich ihm nach einer Stille vorzuwerfen. Zoro zuckt die Schultern und behauptet „Bildet die Persönlichkeit“, woraufhin ich nur schmunzeln kann. „Ich meine die Tatsache, dass du die ganze Zeit über wusstest, um wen es sich bei diesem ‚alten, Selbstgespräche-führenden Griesgram‘ gehandelt hat.“ Einen Moment lang sieht Zoro ertappt aus, aber wieder versucht er seine Betretenheit mit einem Schulterzucken abzuwimmeln. „Seine Hinrichtung wurde damals überall in den Medien behandelt und auf seinem Kopf hatte sich kurz vor seiner Verhaftung eine beachtliche Summe angelegt“, erklärt er nüchtern. Ich sehe ihn wissend an und bringe ein schwaches Lächeln zustande: „Wenn du meinst…“ Was er sagt, stimmt natürlich. Trotzdem verrät mir der ausweichende Augenkontakt, dass der stolze Schwertmeister das nie preisgeben wollte. Ebenso, dass er womöglich etwas mehr als nur die zahlreichen, aber derivativen Zeitungsartikel aus jener Zeit kennt; sich mehr als nur das damals überrepräsentierte Bild auf dem Steckbrief des ermordeten Wissenschaftlers in sein Gedächtnis gebrannt hat. … Und das kommt mir eigentlich gar nicht zugute. Die inzwischen erschreckend vertraute Interaktionsdynamik zwischen Chopper und mir, aber auch die, zwischen ihm und dem Vizekapitän, waren sehr effektiv darin meine Stimmung im Handumdrehen zu heben. Aber leider auch so effektiv, dass ich glatt verpasst habe, mich selbst anzubieten, um die süße Erfrischung bei dem Koch anzufragen. Denn ausgerechnet in einem jener raren, ruhigen Momente an Bord der Strohhutpiraten bin ich nun plötzlich alleine. Mit ihm: Der ursprüngliche Grund weswegen ich seit gefühlten Ewigkeiten den verfluchten Boudrillaire nicht zu lesen schaffe. Dabei hatte ich mir für diese Lektüre sogar eine strenge Deadline gesetzt und wollte bis zum Ende der Woche meine Notizen dazu fertig gebracht haben… Dass der Grünhaarige von sich aus die sich ziehende Stille bricht, kann ich vergessen. Und normalerweise würde mir das nichts ausmachen. Normalerweise würde es mich auch nichts kosten irgendwas anzumerken, wenn mir danach gewesen wäre. Aber heute, jetzt gerade, breitet sich wieder jene drückende Stimmung in mir aus, die ich eben noch mit solcher Mühe abgeschüttelt habe und ich kann nicht anders, als mich in dieser Situation jäh unwohl zu fühlen. Ja, ich habe ihn immer schon attraktiv gefunden. Warum auch nicht? Wäre es nicht seines bedrohlichen Äußeren oder seiner stolzen, oft unzugänglichen Art wegen, wäre Roronoa Zoro sicherlich ein Herzensbrecher. Ebendiese Eigenschaften von ihm haben den ehemaligen Kopfgeldjäger für mich allerdings auch immer schon um so anziehender gemacht und eine derartige Neigung ist eigentlich ziemlich harmlos, menschlich. Aber seit geraumer Zeit stellt sie ein immer größeres Problem für mich dar. Allen voran, weil ich nie gedacht hätte, noch solche-- Gefühle für jemanden entwickeln zu können. Nicht in dieser Phase meines Lebens. Was ‚Liebe‘ und ‚Romantik‘ angeht, habe ich gelernt, dass sie womöglich nicht mit meiner Person vereinbar sind. Seit Jahren habe ich diese Tatsache auch akzeptiert. Mein Lebensweg erlaubt nämlich die Kompatibilität zu anderen nur sehr bedingt. Das habe ich schmerzlich lernen müssen, denn das Problem mit harten Schicksalsschlägen ist, dass sie isolierend wirken. Vor allem, wenn es darum geht, bedeutsame zwischenmenschliche Beziehungen aufzustellen und erst recht, wenn diese romantischer Natur sind. Meine Vergangenheit erfordert, dass meine potenziellen Partner ebenfalls auf irgend eine Weise mit solchem Leid vertraut sind. Auch das wurde mir harsch beigebracht. Andererseits ist sie auch dafür verantwortlich, dass ich mich zur Gewalt hingezogen fühle. Diese kenne ich, ich kenne sie zu gut. Sie hat mich in die explosivsten und toxischsten Beziehungen manövriert, die ich je hatte. Weil ich die Gefahr mag. Weil mir die Gewalt so traurig vertraut ist. Nein, dass ich mich instinktiv zum Vizekapitän der Strohhutpiraten angezogen gefühlt habe ist nicht verwunderlich. Doch je länger wir einen Alltag teilten, je besser ich ihn dadurch kennenlernte … desto problematischer wurde diese harmlose Attraktion für mich. Denn Zoro kennt die Gewalt gut. Das ist offensichtlich. Das braucht keinen genaueren Blick oder differenzierte Verhaltensanalyse, um klar zu sein. Erst meine Zeit mit den Mugiwaras hat mir jedoch gezeigt, dass dieser mürrische Kämpfer vom Wesen her gutmütig ist. Und unerbittlich loyal, wenn er jemanden für würdig hält. Aber die Art wie er diese Qualitäten auslebt ist unverfroren eigen, unverfroren seine. Unverfroren frei. Zu allem Überfluss erwartet er dafür auch noch keine Sekunde lang Dankbarkeit. Zoro ist stolz, aber bescheiden. Rabiat, aber fürsorglich. Unberechenbar, aber verlässlich. … Meine Anziehung zu ihm ist nicht mehr länger nur körperlich und somit oberflächlich, vergänglich, harmlos. Heute, jetzt gerade, muss ich mir eingestehen, dass ich überfordert mit diesem Umstand bin. Maßlos. So überfordert, dass ich mir selbst fremd bin. Das ist etwas, das ich schlicht nicht dulden kann. Wenn man mit nichts und niemanden aufwächst, ist alles woran man sich klammern kann, die eigene Person. Nie hätte ich gedacht, dass lächerliche Gefühle zu einem anderen Menschen derart heftige Existenzängste hervorrufen könnten! Zugegebenermaßen ist mir meine Existenz nicht mehr viel wert: Mein Leben war undankbar und ich bin müde davon. Doch mich, mein ‚Ich‘, meine Identität… diese wollte ich eigentlich nie aufgeben. Etwas war da auf Skypea. Zoro wurde mir gegenüber danach… milder. Oh, seinen kritischen Blick bekomme ich noch täglich ab. Allerdings weicht dieser Argwohn häufiger in so etwas wie Neugier. Und es ist erbärmlich, dass lediglich dieser minimale Unterschied für meinen miserablen Zustand verantwortlich ist. Wie zum Teufel kann es sein, dass ich als ‚intelligent‘ charakterisiert werde?! Denn es liegt nun mal eben nur an dieses eine, kleine Detail. Es macht mich nachdenklich. Lässt mich fantasieren. Weckt eine nutzlose Sehnsucht und eine noch nutzlosere Hoffnung. Und jedes Mal, wenn ich den subtilen Eindruck gewinne, dass er eines dieser Zuneigungen womöglich erwidert, werde ich von zerreißenden Widersprüchlichkeiten überfallen. Einerseits Befriedigung und das Gefühl von Schmeichelei; die vermaledeite Sehnsucht und Hoffnung. Andererseits Angst. Darüber, was die Konsequenz wäre, was das dann zu bedeuten hätte. Und am Ende immerzu ein empfindlich geprelltes Ego, wenn mir einfällt, wie absurd lachhaft die Vorstellung ist, dass Zoro sich zu mir hingezogen fühlen könnte. Er ist jung. Damit will ich nicht die lächerliche Behauptung aufstellen, dass ich es nicht sei… aber er ist Neunzehn! Und der Altersunterschied zwischen mir und dem Rest der Strohhutbande ist nun mal signifikant. Das spüren sie so sehr, wie ich. Das ist auch nicht weiter schlimm; meiner Meinung nach brauchen sie Crewmitglieder, die ihre Erfahrung mit Zeit gemacht haben. Anders ist es jedoch, wenn es um ihn geht. Um das platonische, rein hypothetische ‚Er und Ich‘. Könnte ich es ernsthaft verantworten, ihn in diese Lage zu bringen? Ihn in meine Dunkelheit zu reißen? Ihm meine Labilität aufzudrücken? Himmel, sein Leben hat doch eben erst angefangen, während ich schon tausend Tode gestorben bin, verdammt! Für ihn ist die Zeit gekommen sein Potenzial auszuleben und ich wiederum weiß nicht mal, ob ich es je schaffen werde wieder Ganz zu sein. Ich bin gebrochen. Kaputt. Ich kann mich kaum noch an irgendeine Lebenslust festhalten, ich-- „Du grübelst.“ Blinzelnd richte ich meinen bis eben starren Blick auf den grünhaarigen Schwertkämpfer. „Tu ich das?“ Und wie lange ist Chopper eigentlich schon weg? Zoro schnauft und zuckt mal wieder ausweichend die Schultern. „Du könntest einfach behaupten, dass du über deine Lektüre nachdenkst“, meint er monoton und mein Herzschlag verschnellert sich sofort. Zoro ist leicht zu lesen. Das heißt, für mich leicht zu lesen. Die Tatsache, dass wahrscheinlich nur eine handvoll Menschen durch seine harte, robuste Fassade blicken kann und ich eine davon bin, erfüllt mich mit Genugtuung. Als würde mir endlich die Antwort zu einem kniffligen Rätsel einfallen. Es reizt jede Sinne in mir genau so wie ich es am liebsten habe. Es macht Spaß. Deswegen weiß ich, dass dies eines jener Gelegenheit ist, bei der Zoros Skepsis in Interesse gekippt ist. Und obwohl ich kurzzeitig in eine bekannte Zwiespältigkeit gerissen werde, legt sich gleichzeitig eine intensive Erleichterung über mich, die ich offen willkommen heiße. Ich will nicht, dass sie mich verlässt. „Weißt du, das würde die Idolatrie unseres Doktors vermutlich erschüttern“, höre ich mich zusammenhangslos sagen, „aber zum Abschied hat der Alte das Bad in Crocodiles Büro vollkommen zugepisst.“ Diesmal ist es Zoro der mich starr ansieht. „Der aufgeblasene Philosoph?“, fragt er mit Verblüffung. Ich nicke ihm zu: „Er ist abgereist, bevor Crocodile das überhaupt merken konnte.“ Die Überraschung verlässt den Grünhaarigen nicht, als er in so was wie Belustigung ausatmet und die Augen anerkennend weitet: „Stark.“ Daraufhin löst er die verhakten Beine unter sich, rutsch ein bisschen runter und lehnt den Kopf gegen die verschränkten Hände hinter ihm. Ein Bein hält er ausgestreckt, das andere ist nahe zum Körper angewinkelt. Er ist nachdenklich. Als er mich dann eine Weile lang auf diese Weise mustert, regt sich eine nervöse Vorahnung in mir und mein Rachen fühlt sich mit einem Mal staubtrocken an. Zoros Frage kommt etwas langsam: „Und wer durfte die Sauerei wieder richten?“ Mein Zögern fühlt sich lang an. Viel zu lang. Ich bin auf einmal bemüht dem ungefährlichen Stich keinen Einlass auf mein ruhiges Gesicht zu gewähren, denn ich weiß, dass es mir wert gewesen ist. „Ich natürlich“, sage ich deshalb offen, „Eine solche Demütigung gegen seine Person hätte Zero niemandem sonst gezeigt.“ Meine sonst so geliebte Stille fühlt sich in dieser Situation wie meine Folterin an. Sie ist fast unerträglich. Sie macht mir Schwierigkeiten damit, Zoros eindringlichen Blick zu deuten und lässt mich glauben, dass ich meinen Puls hören kann. Doch was er entgegnet, löst meine Spannung direkt auf: „Fass’ das jetzt nicht zu wörtlich, aber – du musst ganz schön viel Scheiße eingesteckt haben.“ Ein ehrliches Lachen verlässt mich und nun bin ich es, die die Schultern hebt. „Zum Guten oder Schlechten: So ist es halt als Vize. Nicht wahr?“, meine ich mit gewissem Kess und bin letztendlich froh, dass ich diese Geschichte heute geteilt habe. Die Tür zur Kombüse schwingt geräuschvoll auf und rhythmisch zu Choppers charakteristischem Gang ertönen klirrende Stöße. Zoro hat die Augen immer noch nicht von meinen genommen und ich meine die kleinste Zuckung seiner Mundwinkel zu erhaschen, bevor ich den Schiffsarzt peripher wahrnehme. Ich wende mich zu ihm, beobachte, wie er ein vollbeladenes Tablett hastig und nachdrücklich auf den Boden zwischen uns ablegt, sodass ein wenig Flüssigkeit aus zwei der drei Gläser überschwappt. Der kristallene Krug in der Mitte ist noch zur Hälfte gefüllt. „So!“ Augenblicklich baut der Junge sich vor Zoro auf, ich lehne mich gemütlich zurück, hole mir mit Hilfe eines der Gläser her und Chopper stemmt die Hufen an den Seiten. „Erstens!“, ruft der Elch mit eiserner Überzeugung und ich muss ein Augenpaar schnell in eine passende Position wachsen lassen, um mir auch seinen Ausdruck nicht entgehen zu lassen, „Der Mann hieß Boudrillaire, nicht ‚Bouillon‘!!“ 0000 „Aaaah… Das war ein schöner Tag!!“ Während ich ein paar Schritte vom Schiff entfernt stehen bleibe und warte, dass mich der Arzt einholt, lasse ich mir seine glückliche Einschätzung durch den Kopf gehen. Seit Chopper und ich uns morgens begrüßt hatten und ich da noch keine zehn Minuten am Küchentisch saß, waren wir heute nie länger als eine Viertelstunde voneinander getrennt. „Stimmt“, sage ich schmunzelnd. Obwohl dieser Tag für mich eigentlich sehr zäh verlaufen ist, ist Choppers Anwesenheit an meiner Seite stets ein Lichtblick gewesen. Das will ich ihm mit dieser Halbwahrheit vermitteln. Kurz nach dem Abendessen haben wir an einer kleinen Winterinsel geankert. Danach war die Sonne nicht mehr zu sehen. Der Smutje wollte die Einkaufsliste überprüfen und das morgige Frühstück so weit es ging vorbereiten, um gleich in der Früh die Läden zu durchforsten. Ruffy wurde zur Strafe dazu verdonnert den Abwasch zu machen und dem Kanonier danach dabei zu helfen, die kleine Lamb ein wenig zu flicken. Der Schwertkämpfer wollte ein paar Stunden Schlaf vor seiner Nachtwache reinbekommen und auch die Navigatorin verkündete nach einigen organisatorischen Vorbereitungen früh ins Bett gehen zu wollen. Deshalb bot ich mich an bei einem Spaziergang die Gegend ein wenig zu erkunden und erste Eindrücke zu sammeln. Trotz der eher späten Stunde fragte Chopper, ob er mitkommen dürfe und die Müdigkeit ist ihm mittlerweile deutlich anzusehen. Der Temperaturunterschied zu dieser kühlen Frühlingsnacht ist eher brüsk nachdem uns den ganzen Tag über eine pralle Sonne begleitet hat. Doch die frische Luft wirkt vitalisierend und für Chopper scheint sie eine echte Wohltat zu bieten. „Ich habe endlich die lästige Formel, an der ich schon seit Monaten werkel, ausgearbeitet; kann morgen an dem kleinen Kiosk dort am Marktplatz die neuste Ausgabe meines Journals besorgen. Sanji hat zu Mittag und Abend Nachtisch serviert. Ich habe mich mit dir stundenlang über kontemporäre Paradigmen in den Geisteswissenschaften unterhalten bis wir jetzt wie von selbst auf Medizin gekommen sind“, zählt der Arzt in seiner beseelten, etwas verstreuten Art auf, „Zoro hat bis zum Abendessen rein noch mit uns diskutiert-- Ich kann immer noch nicht glauben, dass du Boudrillaire kennengelernt hast! Leihst du mir das Buch wenn du fertig bist?“ „Klar!“ „Nach Zoros Aufzieherei habe ich richtig Lust bekommen, diesem dicken Wälzer eine Chance zu geben…“ „Oh, die Befriedigung muss enorm sein. Wenn man es ein mal geschafft hat“, bestätige ich mit einem seriösen Kopfnicken. „Bestimmt! Da vergisst man sicherlich sofort die kopfzerbrechende Qual, die man zwischenzeitlich dabei verspürt hat.“ „Tut sich das alles mit einem anderen, aber nicht weniger frustrierenden, Band ad infinitum von vorne an.“ „Und verdrängt bei der nächstbesten Meinungsverschiedenheit wieder effektiv, wie verdammt anstrengend das Ganze in Wirklichkeit ist.“ Unser Lachen ist aus Rücksicht zur Ruhe an Bord und wahrscheinlich aufgrund unserer eigenen Erschöpfung ein bisschen gedämpft, aber ich für meinen Teil spüre das Glück dabei aufrichtig ausstrahlen. Lächelnd ziehe ich an der untersten Leiste die Hängeleiter, die zum Deck führt, runter, als ich eine weiche Wärme sich an meinen Beinen drücken fühle. Ich schaue hinab und werde zunächst von der rosaroten Farbe von Choppers Zylinderhut empfangen, bis ich verstehe, dass er mich umarmt. „Ich bin wirklich froh, dass wir Freunde geworden sind, Robin“, sagt er sanft und guckt dann zufrieden zu mir rauf. Ich spüre wie sich der hormonale Stoß an meinem Magen bis in meine Kehle rauf anstaut, doch ehe er sich in Form von Tränen entladen kann, gehe ich in die Hocke und schließe Choppers kleine, flauschige Statur fest in meine Arme ein. Ich kann mich gerade nicht mehr erinnern, wann ich das letzte Mal von mir aus wen umarmt habe. Oder wann sich eine so verdammt heilsam angefühlt hat. Chopper kann nicht wissen, wie viel mir seine Worte an diesem Tag bedeuten. Was sie mir allgemein bedeuten. Deshalb ist alles, was ich entgegnen kann: „Danke, Chopper. Das bin ich auch.“ Diskret stehe ich wieder auf, hebe meinen kleinen Freund dabei hoch, um ihm die Beförderung auf das Schiff zu erleichtern und kann unterdessen die Feuchtigkeit in meinen Augen unbemerkt wegblinzeln. Dass ausgerechnet Chopper und ich – die zwei Enden im Altersspektrum der Strohhüte – auf diese Weise zueinander gefunden haben, ist eigentlich bemerkenswert. Und ich bin dankbar, dass diese wunderbare Unwahrscheinlichkeit eingetroffen ist. Chopper hüpft an Bord und ich beginne gerade, über die Reling zu klettern, als das Deck kurzzeitig mit Lampenlicht erleuchtet wird. Der Schwertkämpfer tritt gähnend und sich ein Auge reibend aus der Küche raus. „Hallo, Zoro! Wir sind wieder da!“, grüßt der Doktor fröhlich, während der Grünhaarige die Treppen runter läuft, „Schläfst du etwa?“ Choppers Frage lässt etwas Vorwurfsvolles mitschwingen, sodass der Angesprochene gereizt knurrt und meint: „Nein, ich mach Kaffee. … Außerdem waren Lysop und Ruffy bis eben noch da.“ „Okay. Wenn dich Lysop ablöst kannst du ihm sagen, dass wir wahrscheinlich alles Nötige aus dem Dorf bekommen können. Gute Wache!“, wünscht er ihm und drückt noch ein mal kurz mein Bein, bevor er sich winkend davonmacht, „Gute Nacht, Robin!“ „Bis morgen“, antworte ich und sehe zu wie er zunächst hinter den Mast, dann unter Deck verschwindet. Ich bin überrascht, dass Zoros Augen bereits auf mir liegen, als ich ihn anschaue. Seine Körpersprache deutet, dass er eigentlich entspannt ist: Der linke Unterarm liegt locker auf den Griffen seiner Schwerter, die andere Hand hat er in die Hosentasche gesteckt. Allerdings mache ich in seinem fixierenden Blick wieder das fehlende Vertrauen zu mir aus. Hach ja, wie auch hätte der heutige Tag bloß ohne den verstreichen können? Ich unterdrücke ein Seufzen und würde am liebsten einfach gehen, doch dafür müsste ich geradewegs auf den bewaffneten Schwertmeister zu treten, um die Tür hinter ihm zu erreichen. Kurz frage ich mich, ob er mir absichtlich den Weg versperrt, erst recht, als er den Körper ganz zu mir wendet und der Eingang zur Kammer dadurch eine parallele Linie zu ihm bildet. „Ist was, Kenshi-san?“, frage ich ihn somit. Sein Misstrauen verbreitet sich sukzessiv über seine gesamte Form. Gesicht und Körper spannen an, er streckt den Rücken gerade aus, versteckt die Hände überkreuzt in den Achselhöhlen und sieht mich durch die Schatten über seinen Augen lieblos an. Roronoa Zoro: Wie er leibt und lebt. „Chopper ist besonders“, verkündet er ohne jeglichen Übergang und ich begreife, dass nun wahrscheinlich ein wortkarges, aber bedeutsames Gespräch folgen wird, das mich in seinen Augen testen will. Und obwohl ich diesen mühsamen Tag eigentlich ungern damit abschließen möchte – insbesondere, nachdem mir Choppers Begleitung auch jetzt, so kurz vorm Ende, so viel Heilendes gebracht hat –, zögere ich nicht darin, mich darauf einzulassen. Immerhin zeichne ich mich nicht umsonst in Prüfungssituationen aus. „Das finde ich auch.“ Auch ich passe meine Körperhaltung an die Situation an, drehe mich frontal zu ihm, verlagere das Gewicht auf mein rechtes Bein und kreuze die Arme oberhalb der Hüften, halte sie an den Ellenbogen fest. „Er ist jung.“ „Richtig.“ „Sehr jung.“ „Allerdings.“ „Er hatte keine Kindheit.“ „Nein, wahrscheinlich nicht.“ Hier presst der Schwertkämpfer die Lippen leicht aneinander, schüttelt knapp und bestimmt den Kopf. „Er wird nie eine haben“, stellt er unmissverständlich klar, sodass ich ihm mit einer kurzen Stille zustimmen muss. „Ja. … Ich kenne das“, sage ich dann. „Er rettet uns täglich den Arsch.“ „Das sehe ich, ja.“ „Er ist zwar auf uns angewiesen, aber nur fast so sehr, wie wir als Crew auf ihn angewiesen sind.“ „Würde ich ebenfalls so einschätzten.“ „Er ist uns wichtig.“ „Ich weiß das.“ „Er ist mir wichtig.“ Die verschobene Intonation in diesem Satz würde für Gewöhnlich lediglich offenlegen, dass Chopper für ihn einen ganz besonderen Platz einnimmt. Doch aus Zoros Lippen kommt er einer Drohung näher, sodass ich es mir schließlich doch erlaube zu seufzen. „…Ich weiß, Kenshi-san“, versichere ich. „Er mag dich.“ „Ich mag ihn.“ Schweigen kehrt einen Moment lang ein. Zoro hebt eine Braue und löst die Arme wieder von ihrem eingehakten Zustand. Sein Blick ist stechend und ich tendiere mit jeder Sekunde stärker zu ehrlichem Ärger. Lediglich die vorherige Konversation mit dem jungen Schiffsarzt ermöglicht es mir, die Kontrolle zu wahren und mich für jeglichen weiteren stummen Vorwurf dieses sturen, stolzen Mannes zu wappnen. Zoro räuspert sich, meint: „Du tust ihm gut.“ Und ich reagiere auf seine Worte noch ehe ich sie wirklich verstanden habe: „Das--“ Die unerwartete Aussage verschlägt mir für ein paar Sekunden tatsächlich die Sprache. „Das freut mich. … Irgendwie“, sammle ich mich wieder und nach einer etwas betretenen Pause, „Danke.“ Der Vize sagt darauf nichts mehr und gibt mir auch sonst keine andere Form von Antwort. Aber während wir uns stumm ansehen und mich seine Worte komischerweise kurz erden, bemerke ich, dass Zoros Ausdruck jegliche, für ihn sonst typische, Härte vermisst: Zum ersten Mal seit wir uns kennen ziert ein gelassenes, unscheinbares Lächeln seine Lippen – das an mich gerichtet ist. Dann wendet er sich einfach von mir ab, kehrt mir den Rücken, und läuft zur Küche zurück. Ich kann ihm nur verwundert hinterherschauen. „Nacht“, sagt er tonlos sobald er die letzte Stufe erklommen hat und späht im Gehen kurz zu mir runter, ehe er die Küchentür überquert. Eine schnelle, intensive Lichtflut blendet mich, nur um die Dunkelheit daraufhin zu vertiefen. Ich komme mir verdattert vor. Langsam bewege ich mich auf die Tür zur Vorratskammer zu und hoffe, dass man mir das nicht vom Gesicht lesen kann. Zwischen dem Zähneputzen und Hinlegen macht sich wiedermals die zerrende Dissonanz in mir breit. Ich glaube durch sie lange, zähe Minuten, oder gar Stunden, ertragen zu müssen, bevor meine Erschöpfung dann doch den langersehnten Schlusspfiff für heute bringt. Stattdessen werde ich in wenigen Minuten von einem tiefen, traumlosen Schlaf eingenommen, so wie ich ihn seit Jahren nur sehr selten bekomme, und wache erst Stunden später auf, als die junge Navigatorin dabei ist, sich eine Hose anzuziehen. Sie sieht mich entschuldigend an und lächelt mir zu. „Schlaf ruhig noch ein bisschen, Robin. Es ist noch früh“, flüstert sie, zieht einen dicken, rosanen Pulli über und klettert die Leiter hin zur Vorratskammer rauf. Ihre leichten Schritte erklingen über mir und während ich still da liege und lausche, wie sie ihren Weg zur Kombüse macht, kann ich ebenfalls ausmachen, dass der Koch schon bei der Arbeit ist. Regungslos verweile ich auf meiner Hängematte und sauge die schwache Geräuschkulisse an Bord ein, wohlwissend, dass ich nicht mehr schlafen werde. Es ist egal. Ich fühle mich ausgeruht und als ich irgendwann das Zufallen der Falltür zum Jungenzimmer entnehme, das sogleich von einem familiären, tippelnden Schritt an Deck begleitet wird, legt sich ein glückliches Lächeln auf meinem Gesicht. Höchste Zeit aufzustehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)