Die Rumtreiber und der Fluch des Siegelrings von behrami (Slow Burn Remus/Sirius | abgeschlossen) ================================================================================ Kapitel 4: Die Schatten werden länger - Januar 1976 (4/5) --------------------------------------------------------- Am nächsten Abend traf Remus sich kurz vor Sonnenuntergang mit Madam Pomfrey im Krankenflügel. Wie jeden Monat bot sie ihm eine Tasse Tee an und setzte sich einen Moment mit ihm ans Fenster, durch das jetzt die letzten Sonnenstrahlen in den ansonsten leeren Krankenflügel fielen. Sie schwiegen einen Moment und Remus hing seinen Gedanken nach, die noch immer Lilys und sein gestriges Gespräch betrafen – und gleichzeitig James, Sirius und Snape. Er hatte seinen beiden Freunden heute nach dem Mittagessen umständlich vorgeschlagen, sich vielleicht doch einfach von Snape fernzuhalten. Aber James und Sirius hatten nur grinsend abgewinkt und sich daraufhin einem Magazin über Rennbesen zugewandt. Remus war sich sicher, dass sie hinter den Seiten über ihn und seine Regelhörigkeit gelästert hatten. Also hatte er sich abgewandt und war schweren Herzens allein hinauf in den Schlafsaal, wo er Heilers Helferlein wieder zur Hand genommen hatte. Doch seine Gedanken waren bestimmt worden von nur einer Befürchtung: Er würde wohl nie so richtig dazugehören. „Wie waren Ihre Weihnachtsferien?“, holte Madam Pomfrey ihn freundlich in die Gegenwart zurück. Remus schenkte ihr über seine Teetasse hinweg ein verschwommenes Lächeln. Viele Schüler fanden Madam Pomfrey etwas einschüchternd, weil sie so resolut war, aber er hatte sie über die Jahre als wohlwollende und kompetente Krankenschwester kennengelernt. Was Filch wohl mit Snape angestellt hatte? Wie würde er sich rächen? „Ganz gut. Ich habe das Buch gelesen, das Sie mir empfohlen haben“, sagte er. „Und ich glaube, inzwischen kann ich Wunden ganz gut selbst schließen und vielleicht auch Leute wiederbeleben… Ich konnte nur noch nicht viel üben, weil…“ Er ließ den Satz auslaufen und zuckte mit den Schultern. Es hatte nicht viele Verletzungen gegeben in letzter Zeit, aber das musste sie nicht wissen. Und wenn James, Peter und Sirius ihn heute Nacht wieder unterstützten, würden hoffentlich auch keine weiteren hinzukommen. „Natürlich. Wir wollen ja niemandem Wunden nur zur Übung zufügen, nicht wahr? Das klingt wunderbar, was Sie erzählen“, sagte sie liebenswürdig und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. „Nun, ich denke, es wird Zeit zu gehen.“ Remus sprang von seinem Stuhl am Fenster auf, schneller als nötig gewesen wäre. Seine Vorfreude vom Vortag war einer ängstlichen Mischung aus Panik und Resignation gewichen. Zwar hatten die anderen ihm versprochen, ihn auch heute Nacht zu besuchen, aber die Aussicht auf die schmerzhafte Verwandlung ließ ihm trotzdem bereits jetzt die Eingeweide gefrieren. Gemeinsam mit Madam Pomfrey ging er aus dem Schloss hinaus und über die Ländereien auf die Peitschende Weide zu. Im Moment lag sie ruhig da in der klirrend kalten Luft. Er war froh, dass kein Schnee lag. So würde niemand seine verräterischen Fußspuren zur Weide sehen können, bevor Madam Pomfrey die Gelegenheit hatte, sie verschwinden zu lassen. Madam Pomfrey ließ mit ihrem Zauberstaub einen kleinen Ast schweben und auf die richtige Stelle am Stamm des jähzornigen Baums drücken. Mit einem leisen Rascheln erstarrten ihre knorrigen Äste vollkommen und Remus und sie konnten zum Tunneleingang vortreten. „Ich hole Sie bei Sonnenaufgang wieder ab“, sagte sie freundlich, wie immer, und nickte ihm aufmunternd zu. Er zog eine Grimasse, anstatt richtig zu lächeln, nickte wortlos und trat in den Tunnel hinab, ohne zurückzusehen. Die anderen würden doch sicher kommen? Nach Dreivierteln des Weges meinte schon beinahe, Schritte im Tunnel hinter sich gehört zu haben. Einige Stunden später lag Remus schnaufend am Boden. Er versuchte krampfhaft, seine Aufmerksamkeit weg zu lenken von den gerade noch gebrochen Knochen, die nun neu zusammenwuchsen, aber es fiel ihm mit jeder Sekunde, die er in diesen Körper gezwungen wurde, schwerer. Jedes seiner Gliedmaßen brannte, als stünde es in Flammen, und selbst sein Hals fühlte sich rau und verletzt an. Remus musste sich die Seele aus dem Leib geschrien haben und erinnerte sich doch schon kaum mehr daran. Augenblicklich überfiel ihn ein unbändiger Hunger und bestimmte alles, woran er denken konnte. Der Werwolf stieß einen ohrenbetäubenden Schrei aus, der sich zu einem Heulen verzerrte und ihm in den Ohren schmerzte. Die vernagelten Bretter vor den Fenstern erzitterten, als er blind vor Blutdurst dagegen sprang und sich ohne Rücksicht auf Verluste den großen Kopf aufschlug. Heißes, dickes Blut floss über sein Fell und den langen Hals hinab, fachte seinen Hunger und seine Raserei noch weiter an. Blitzartig sprang der Werwolf auf das moderige Himmelbett, krallte seine Klauen hinein und riss ein großes Stück Polsterung aus der Matratze, schlug seine Fangzähne hinein, zermalmte es unter seinen muskulösen Kiefern. Er wollte beißen, zerfleischen. Töten. Als der Schaumstoff unter seinen Zähnen nachgab wie Watte, ließ der Werwolf ihn fallen und umklammerte stattdessen einen Bettpfosten mit dem reißzahnbewehrten Maul. Der Widerstand fühlte sich gut an, fühlte sich lebendig an, wie etwas, das noch ein wenig Überlebenswille in sich hatte. Wie etwas, dem man dabei zusehen konnte, wie es langsam und unter Folter verendete. Der Werwolf riss ein großes Stück Holz heraus wie ein Stück Fleisch und jaulte in der nächsten Sekunde schmerzerfüllt auf. Splitter bohrten sich tief in sein Zahnfleisch, seine Zunge und seine Lefzen. Heißes Blut sprudelte ihm aus dem Maul und er hatte gleichzeitig den Drang, es zu schlucken. In dieser Nacht kam niemand zu ihm in die Heulende Hütte. Und mit jeder Sekunde wurde seine Seele schwärzer.   Als der Vollmond verblasst war, dauerte es noch einige Zeit, bis Remus verstand, wo er sich befand. Er rappelte sich mühsam auf, erst auf die Knie, dann auf die Füße, und hustete von dem Holzstaub, der in der Luft lag. Sein ganzer Körper war bedeckt mit kaltem Schweiß. Als er sich umsah, stellte Remus fest, dass er das Zimmer schlimmer zerstört hatte als je zuvor. Dachträger waren aus der Decke gerissen. Eine Seite des Himmelbettes war vollständig unter kräftigen Klauen und Zähnen eingebrochen und lag nun in Form von Trümmern im Raum verteilt. Überall waren blutige Krallenspuren zu sehen, und Fangzahnabdrücke, die dem Raum einen unheimlichen Anblick verliehen. Früher hätte er Remus einen Schauer über den Rücken gejagt, wie der eines tödlichen Schlachtfelds, aber er spürte nur eine dumpfe Resignation. Nackt und mit ungelenken Schritten trat Remus auf den Flur, zog eine Schublade des magisch versiegelten Schranks auf, der dort stand, und nahm sowohl seinen Zauberstab als auch seine Kleidung heraus, um sich anzuziehen. Er hatte sich schon zu Beginn seiner Hogwarts-Zeit angewöhnt, seine Kleidung abzulegen und sie wegzuschließen, bevor er sich verwandelte, denn er konnte seine Eltern nicht jeden Monat um neue Umhänge bitten. Seinetwegen war ihr Leben schon schwierig genug, immer auf der Flucht vor neugierigen Blicken, kaum je die Chance, Geld für ihr Überleben zu verdienen... Immer noch frierend schloss Remus seinen Umhang, die Schuhe nahm er in die Hand. Er spürte, dass etwas mit seinem Gesicht nicht in Ordnung war, aber er traute sich nicht, hinzufassen. Und auch seine Füße fühlten sich an, als sei er über Scherben gelaufen. Was er vermutlich auch war. Jeder Schritt zurück durch den Tunnel war eine Tortur, aber sie waren nichts gegen den Schmerz in seiner Brust. Noch nie in seinem Leben hatte Remus sich so allein gefühlt, und er konnte ohnehin schon nicht mehr zählen, wie häufig er sich die Augen ausgeweint hatte vor Einsamkeit. Den ganzen Rückweg über versuchte Remus, der Hoffnungslosigkeit und der Enttäuschung nicht nachzugeben, aber als er das Rauschen der Weide am Ende des Tunnels wahrnehmen konnte, musste er doch innehalten und warten, bis der Weinkrampf endlich vorüber war. Sie waren nicht gekommen. Er hatte sie verloren. Seine Spießigkeit hatte sie vertrieben, hatte das Fass zum Überlaufen gebracht. Hatte ihn endgültig als erträglichen Freund ausgeschlossen. Mit einem verschlissenen Ärmel wischte Remus sich über das Gesicht, stieß sich von der Tunnelwand, an der er gekauert hatte, ab und trat ins Freie. Wie immer stand Madam Pomfrey am Fuß der Peitschenden Weide bereit und zog ihren Zauberstab, als sie ihn sah. Ihr Gesichtsausdruck war alarmiert, als sie ihn musterte, und Remus konnte sich ungefähr vorstellen, wie er aussah. „Ach, mein Lieber“, sagte sie mitfühlend, richtete die Zauberstabspitze auf ihn und Remus spürte, dass die Splitter sanft aus seinem Gesicht glitten. Wohltuende Kühle schwappte über ihn hinweg und als er sich steif auf den blättrigen Boden setzte, sprangen auch die Scherben aus seinen Fußsohlen und hinterließen glatte, heile Haut. Trotzdem nahm er die Erleichterung kaum wahr. Es fühlte sich an, als wäre sein ganzer Kopf voll Rauch. Remus wünschte, er würde ihn ersticken. Wie mechanisch setzte Remus sich in Richtung Schloss in Bewegung und Madam Pomfrey eilte ihm nach. Sie hatte den Zauberstab wieder verstaut, schien aber unschlüssig, was sie sagen sollte, rang die Hände im Gehen. Er wusste er nicht, wie er zurück in den Schlafsaal gehen sollte, wo James, Sirius und Peter den Schlaf der Gerechten schliefen, wie ganz normale Jungen es um diese Uhrzeit tun sollten. Wie sollte Remus je wieder einen Schlafsaal mit ihnen teilen, wenn sie ihn nicht mehr sehen wollten? Wenn sie endlich erkannt hatten, dass es sich ohne ihn besser lebte? Dass sie glücklicher, erleichterter ohne ihn waren? Er hätte es wissen müssen. Die letzten Monate waren zu schön gewesen, um wahr zu sein. Madam Pomfrey an seiner Seite schien immer noch auf Worten herumzukauen, bis sie sie endlich ausspuckte: „Der Schulleiter möchte Sie unverzüglich sehen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)