Die Rumtreiber und der Fluch des Siegelrings von behrami (Slow Burn Remus/Sirius | abgeschlossen) ================================================================================ Kapitel 20: Privileg und Pflicht - Mai 1976 (3/6) ------------------------------------------------- Am Montag darauf erhielten sie von Professor McGonagall die Prüfungspläne. Die ZAGs waren angesetzt in den ersten zwei Wochen im Juni, was Remus sichtlich erleichterte: Vollmond war bereits am 27. Mai und dann erst wieder am 24. Juni, sodass er zur Prüfungszeit fit sein und nicht ausfallen würde. Insgesamt hatte Remus acht ZAG-Examen vor sich, eines weniger als James und Sirius und eines mehr als Peter. Einige wie Kräuterkunde, Verwandlung und Zauberkunst waren in Theorie und Praxis aufgeteilt, andere wie Muggelkunde und Zaubereigeschichte nicht. Was Remus jedoch am meisten Sorge bereitete, war, dass Zaubertränke als erstes drankam – er hatte am wenigsten Zeit zur Vorbereitung für das Fach, vor dem es ihm am meisten graute. „Nimm’s sportlich“, sagte James als Antwort auf Remus‘ Sorgen. „Wenn du eh durchfällst, brauchst du dich für Zaubertränke gar nicht weiter vorbereiten und hast mehr Zeit für den Rest.“ „Ich hatte nicht vor, durchzufallen“, murmelte Remus leicht beleidigt. „Annehmbar sollte es schon werden…“ „Warum haben wir noch mal Arithmantik genommen?“, fragte Sirius, der mit rollenden Augen von einer Pergamentrolle mit Notizen aufschaute. „Weil man damit, mein lieber Freund, hervorragende Banne legen kann. Und ich nehme an, du möchtest, dass ein gewisses Stück Pergament sicher versiegelt wird?“ James zuckte mit den Augenbrauen. „Ist ja nicht Alte Runen. Damit kann man nun wirklich überhaupt nichts anfangen.“ Peter, der mal ein Jahr Alte Runen gemacht hatte, nickte theatralisch. „Remus, was ist eigentlich aus Flitwick geworden?“, fragte James und griff sein Fangzähniges Frisbee aus der Luft, das leise knurrend durch den Gemeinschaftsraum surrte. „Ha!“, machte Remus und zog ein Gesicht. „Ich hab‘ ihn nach der letzten Stunde gefragt. Und dann hat er ganz leuchtende Augen gekriegt und meinte, er freue sich schon, dass nächstes Schuljahr mit mir zu besprechen. Ich solle mich auf die Prüfungen konzentrieren und dann würde ich auch sicher in den Kurs kommen. Das hält er wohl für eine zusätzliche Motivation.“ „Na toll. Und dann hast du einfach nachgegeben?“ „Musste ich. In dem Moment kam nämlich Vanessa Buczkowski mit diesen Pilzen in der Nase und ich musste sie in den Krankenflügel bringen…“ „Urgh. Erstklässler.“ Als Remus gerade seine Notizen zusammenrollen wollte, um die Zutaten für Vielsafttrank auswendig zu lernen, rauschte Erica McLaggen in den Gemeinschaftsraum. Nicht nur war sie in James‘ Quidditch-Team, sie war außerdem Vertrauensschülerin im Jahrgang über ihnen. In ihrem Schlepptau tauchten drei verwirrt dreinsehende Gryffindors auf, die sie im Gemeinschaftsraum ablud. Mehrere Schüler hoben interessiert die Köpfe ob der plötzlichen Ansammlung. Und zu Remus‘ Überraschung kam Erica im nächsten Moment geradewegs auf ihn zu. „Du musst mitkommen.“ Ihr Gesicht war blass und angespannt. „Alle Vertrauensschüler.“ Argwöhnisch stand Remus auf und warf seinen drei Freunden einen Blick zu, die sich ebenfalls erheben wollten. Doch Erica sagte: „Nein. Ihr bleibt hier. Alle Schüler sollen in ihre Gemeinschaftsräume. Nur wir gehen runter.“ „Was ist passiert?“, fragte Remus alarmiert, als er Erica schnellen Schrittes aus dem Gemeinschaftsraum folgte. Erst jetzt war ihm aufgefallen, dass Lily und die anderen drei Vertrauensschüler aus dem sechsten und siebten Jahrgang nicht im Gryffindor-Turm gewesen waren, obwohl es schon relativ spät war. „Ich…“, sagte Erica zögernd, doch dann schüttelte sie den Kopf. „Ich weiß es auch nur ungefähr. Oliver Smith hat mich auf der Treppe getroffen. Er meinte, ich solle alle Gryffindors einsammeln und dich holen, aber er hat mir nicht gesagt, warum. Gucken wir einfach selbst nach.“ „Wo gehen wir denn hin?“ Remus war beunruhigt – wenn der Schulsprecher alle Schüler einsammeln ließ, musste wirklich was passiert sein. „In die Kerker.“ Aus irgendeinem Grund hatte er sich das bereits gedacht. Der Weg hinunter dauerte fast zehn Minuten, da Erica offenbar die Geheimgänge und Abkürzungen nicht kannte, die Remus und seinen Freunden in Fleisch und Blut übergegangen waren, und da er nicht scharf darauf war, sie mit ihr zu teilen, sagte er nichts. Als sie unten im Korridor zwischen Zaubertrank-Klassenzimmer und Slytherin-Gemeinschaftsraum ankamen, hörte er bereits von Weitem aufgebrachte Stimmen und Schritte an den nackten Steinwänden widerhallen. „…einfach unglaublich.“ „Erschütternd!“ Eine Gruppe Personen stand im Flur. Beim Näherkommen erkannte Remus alle vier Hauslehrer, Professor Fawley, die Hexe für Verteidigung gegen die dunklen Künste, und den Schulleiter Professor Dumbledore. Doch auch Lily Evans und ein Vertrauensschüler der Ravenclaws aus dem Jahrgang über ihnen standen am Rande. Sie alle machten ein Gesicht, als sei jemand gestorben. Als Professor Sprout einen Schritt zur Seite trat, sah Remus auch endlich, was so schrecklich sein sollte: Zwei Schüler kauerten unnatürlich in sich zusammengesunken an der Wand, offenbar ohne Bewusstsein. Madam Pomfrey hatte sich zu ihnen niederkniet und redete mit leiser Stimme auf sie ein. Remus schluckte hart, um die Galle niederzuwürgen. Die beiden Ravenclaws, noch ganz klein, waren Erst- oder Zweitklässler. Doch Remus konnte ihre Gesichter nicht ganz erkennen, denn jemand hatte ihnen die Köpfe nach hinten gedrückt und ihnen etwas in die Münder gestopft, das aussah wie kleine leinene Säcke, die mit Erde gefüllt waren. Erica starrte Remus entsetzt an und er legte ihr mit einer Ruhe, von der er selbst nicht wusste, woher er sie nahm, eine Hand auf die Schulter. Dann gingen sie auf die anderen zu. „Die Nähe zum Slytherin-Gemeinschaftsraum ist schon ausgesprochen auffällig…“, sagte der Ravenclaw-Vertrauensschüler. „Na, na, Andrew, bitte keine Spekulationen.“ Flitwick tätschelte den Unterarm seines Schülers, als McGonagall Remus und Erica entdeckte. „Mr. Lupin, gut, dass Sie da sind. Danke, Miss McLaggen. Ich habe gerade die anderen drei losgeschickt, um die restlichen Gryffindors nach oben zu geleiten. Aber mir war es wichtig, dass alle Vertrauensschüler im Bilde darüber sind und nicht auf Gerüchte hören, die zweifelsohne bereits im Umlauf sein dürften.“ Professor McGonagall schaute ihn streng über ihre Brille hinweg an, als sei Remus persönlich für die Gerüchte verantwortlich. „Hier hinein, bitte, auch Miss Evans, Mr. Suárez.“ Die vier Schüler folgten Professor McGonagall in das leere Zaubertränke-Klassenzimmer und Professor Slughorn schloss hinter ihnen die Tür. Remus beobachtete, wie er sich immer wieder mit einem gepunkteten Taschentuch die schwitzige Stirn wischte. „Was ist passiert?“, fragte Erica sofort. Remus stellte sich neben Lily, doch sie sah ihn nicht an. „Nun, es sieht so aus, als habe es einen Angriff gegeben. Und damit meine ich keine Mätzchen, sondern etwas Düsteres“, antwortete Professor McGonagall. „Wir haben angeordnet, dass alle Schüler umgehend in ihre Gemeinschaftsräume gehen und dort bleiben, bis wir herausgefunden haben, was genau passiert ist. Deswegen habe ich die anderen“ – Remus nahm an, sie meinte die Vertrauensschüler der anderen Häuser – „bereits losgeschickt, um die restlichen Schüler zurück zu ihren Häusern zu bringen.“ „Aber w-was haben sie mit ihnen gemacht?“, fragte Andrew Suárez mit zittriger Stimme. „Das kann ich zu diesem Zeitpunkt nicht sagen…“, gab Professor McGonagall zurück. Ihre schmalen Lippen kräuselten sich, als würde sie sich schämen. „Professor Fawley vermutet einen Fluch und… die Säcke mit Drachendung haben Sie selbst gesehen, nehme ich an.“ Remus‘ Magen begehrte auf und sowohl Lily als auch Erica schlugen sich die Hände vor den Mund. Remus fand als Erster die Sprache wieder und sagte: „Aber – warum?“ „Nun…“ Professor McGonagall seufzte tief und die Furchen auf ihrer Stirn schienen sich um ein Vielfaches zu vertiefen. „Ich denke, ich muss Ihnen nicht erklären, dass vor den Toren der Schule ein Krieg herrscht. Sie haben fraglos von ihm, der sich selbst als Dunklen Lord bezeichnet, gehört. Und Ihnen ist sicherlich ebenfalls bewusst, dass Angriffe auf Muggel und Zauberer, die seinen Vorstellungen missfallen, zugenommen haben.“ Ihre Haut sah plötzlich papieren aus und Remus hatte das erste Mal, seit er nach Hogwarts gekommen war, das Gefühl, dass die Lehrer auch nur Menschen waren. „Bisher konnten wir die Auswirkungen auf die Schule größtenteils abwenden, worüber die Lehrerschaft und der Schulleiter sehr glücklich waren. Doch nun“, sie räusperte sich, „nun müssen wir davon ausgehen, dass es auch innerhalb des Schlosses Personen gibt, die ihm, dessen Namen nicht genannt werden darf, nahestehen oder seine Ansichten zumindest teilen.“ Remus überkam eine Gänsehaut und er sah, wie Suárez leicht wankte: „Die beiden… Bertram und Casper, sie sind –“ „Muggelstämmige.“ Lily Evans Stimme war kaum mehr als ein Hauch und trotzdem hatte Remus sie so klar gehört, als hätte sie geschrien. Erschüttert stellte er fest, dass ihre Augen glitzerten. Er fühlte sich, als fiele er in ein Loch. All die Jahre, die dieser Krieg draußen bereits herrschte, hatte Remus ihn nie richtig wahrgenommen. Zu eingenommen von seinen eigenen Problemen, seinen eigenen Wünschen, zu weit weg von Muggeln und Muggelstämmigen, hatte er nie wirklich realisiert, was es bedeutete, in dieser Zeit einer von ihnen zu sein. Er hatte seine Augen verschließen können – und seine Freunde auch – und er hatte nichts, aber auch gar nichts dafür getan, dass dieses Unrecht aufhörte. Remus streckte wie automatisch seine Hand aus und drückte kurz die Lilys. Sie drückte leicht zurück. „S-sie sind aber nicht tot… oder?“, fragte Erica und ihre Stimme war erstickt. Sie war offensichtlich völlig von der Rolle und Remus fragte sich flüchtig, warum er es nicht auch war. „Nein. Nein, sind sie nicht. Sie scheinen unter einem Fluch zu stehen, den wir erst noch identifizieren müssen.“ McGonagalls Lippen waren schmal, aber Remus hatte den Eindruck, dass eine gewisse Zuversicht in ihrer Stimme lag. „Andrew und ich haben sie gefunden“, sagte Lily jetzt, was Professor McGonagall nicht zu überraschen schien. Offensichtlich hatte sie diese Geschichte schon gehört. Lily wandte sich direkt an Erica und Remus. „Wir waren hier zum Kontrollgang“, Lilys Stimme war fest und er erkannte jetzt, dass das Glitzern in ihren Augen keine Tränen, sondern Wut war, „und da lagen sie am Boden. Wir haben sofort Professor Slughorn aus seinem Büro geholt und der ist losgerannt und hat die anderen Lehrer informiert. Und dann hab‘ ich das hier gefunden.“ Sie zog eine Pergamentrolle aus der Tasche, die offensichtlich Professor McGonagall auch noch nicht gesehen hatte. Mit zwei großen Schritten war sie neben Lily und nahm ihr das Pergament aus der Hand. Mit zusammengezogenen Augenbrauen flogen ihre Augen über die Worte, die darauf geschrieben standen. Ihre Lippen waren so dünn, dass es aussah, als hätte sie keine. „Das hätten Sie mir sofort aushändigen sollen, Miss Evans.“ „Ich… Ich wollte es nicht vor allen tun“, gab Lily zu und machte eine Geste zur Tür. „Es war mit Wachs über die Köpfe der beiden an die Wand geklebt. Wie ein Pamphlet.“ „Ich muss mit Professor Dumbledore sprechen. Gehen Sie jetzt in Ihre Gemeinschaftsräume und zählen Sie nach, ob Ihre Häuser vollständig sind. Wenn nicht, senden Sie einen Geist zu mir. Wenn wir Sie brauchen, werden wir einen zu Ihnen schicken. Und bitte, schüren Sie keine Gerüchte. Am Morgen wird es eine Ansprache an alle Schüler in der Großen Halle geben. Das ist alles.“ Sie nickte den vieren zu und schritt zur Tür. Und obwohl sie noch hundert Fragen hatten, blieb ihnen nichts anders übrig, als zu gehen. Im Korridor beugte sich gerade Professor Fawley mit einer großen Messinglupe über das Gesicht eines der Jungen. Die Lehrer hatten die Dung-Säcke entfernt und jetzt sah Remus, dass die Augen der beiden Ravenclaws weit aufgerissen waren. Sie hatten keine Iris. Es waren kleine weiße Kugeln ohne auch nur einen Funken von Menschlichkeit. Der Anblick erschütterte ihn dermaßen, dass er das Gespräch der anderen nur wie durch Wasser hörte. Vor ihm schwebten die leeren Augen, als würden sie ihn im Geiste verfolgen. Als Andrew sich im fünften Stock in Richtung Ravenclaw-Turm verabschiedete, tauchte Remus erstmals aus seiner Trance auf. Erst jetzt stellte er fest, dass Erica weinte, mit allem drum und dran. „K-könnt ihr kurz auf mich warten?“, fragte sie hicksend, als sie an einer Mädchentoilette vorbeikamen. „Ich will nicht so im Gemeinschaftsraum ankommen.“ „Natürlich“, sagte Lily und als Erica hinter der Holztür verschwunden war, fragte sie Remus umgehend: „Was denkst du? Du hast noch gar nichts gesagt.“ „Ich, ähm… Ich glaub, ich bin gerade ein bisschen überfordert. Was stand in der Pergamentrolle?“ „Hast du überhaupt zugehört?“, fragte Lily und ihre Miene schwamm zwischen verärgert und belustigt. „Ich glaube nicht.“ „Das war wie ein Flugblatt oder Manifest. «Der Dunkle Lord wird triumphieren! Wenn ihr klug seid, schließt ihr euch jetzt den Todessern an, bevor es zu spät ist. Wer dem Dunklen Lord schmäht, wird nicht verschont. Nehmt euch diese Schlammblüter zum Beispiel.» Und darüber war ein Dunkles Mal gekritzelt.“ In Remus‘ Ohren rauschte es. Er hatte von verschwindenden Zauberern und Hexen gehört, von Unwettern, Bränden, Explosionen, die die Muggel sich allesamt nicht erklären konnte. Er hatte gelesen von verlassenen Häusern, Zauberern, die von Querschlägern zwischen Auroren und Todessern getötet worden waren, und von ermordeten Hexen, die sich geweigert hatten, auf die dunkle Seite zu wechseln. Aber das hier, das wirkte so persönlich. Jemand hatte diese beiden Kinder ausgewählt, um sie zu bestrafen, nur weil sie aus Muggelfamilien kamen. Nur, weil jemand entschieden hatte, dass sie nichts wert sein sollten. „Meinst du, es könnte ein Schüler gewesen sein?“, fragte er. Erica schien ziemlich lange zu brauchen, und für den Moment war er froh, denn so hatten sie mehr Zeit alleine. „Nur jemand, der schon mächtige schwarze Magie beherrscht. Also entweder ein älterer Schüler oder jemand, der sich darauf konzentriert und richtig geübt hat. Irgendwo muss die Person es ja gelernt haben.“ Remus fielen prompt mehrere Jungen ein, die ihm diesbezüglich wahrscheinlich schienen. Ganz vorne mit dabei war Severus Snape, der bekannt dafür war, mit dem Zauberstab talentiert zu sein. Zum Beispiel hatte er bereits ungesagtes Verwünschen gemeistert – etwas, das sie normalerweise erst im nächsten Schuljahr begannen. „Und… hast du einen Verdacht?“, fragte Remus vorsichtig. Er wollte Lily nicht ausgerechnet auf Snape stoßen, der doch (warum auch immer) ihr Freund war, wenn es auch Kandidaten wie Mulciber gab. „Einen abstruser als den anderen. Aber denkst du nicht, es könnte auch ein Lehrer gewesen sein?“ Sie verzog schmerzlich das Gesicht. Der Gedanke schien ihr Sorgen zu bereiten. „Möglich. Aber dann… dann hätten wir wirklich ein Problem.“ „Ja…“ Sie beide verfielen in Schweigen, bis Remus sich durchrang, zu sagen, was er ihm schon die ganze Zeit unter den Nägeln brannte: „Lily… Tut mir leid. Ich habe bisher überhaupt nicht mit dir über diese ganzen Sachen geredet. Wie geht es dir?“ Sie sah Remus an und ihr Gesicht zeigte eine Mischung aus Enttäuschung und Missmut. „Also… ich weiß nicht. Auch wenn ich schon fast fünf Jahre hier bin, es fühlt sich alles immer noch irgendwie surreal an. Und manchmal habe ich das Gefühl, ich habe immer noch nicht verstanden, was eigentlich vor sich geht und warum. Vielleicht weil ich es auch einfach nicht verstehen will. Ich meine, in der anderen Welt gibt es auch immer wieder Menschen, die glauben, sie wären besser als andere. Aber das hier… Remus, die Leute töten sie!“ Sie starrte ihn an mit diesem Feuer, das er schon kannte. Und dann trat ein anderer, weicherer Ausdruck in ihre grünen Augen. „Und Remus… Wir haben sehr wohl darüber geredet. Erinnerst du dich nicht? Als es darum ging, dass deine Freunde immerzu auf Severus rumhacken?“ Es fühlte sich an, als fiele ein kalter Stein in Remus‘ Magen. „Ja… Ja, stimmt. Nur nicht so… konkret.“ „Genau.“ Wieder schwiegen sie einen Moment und Remus hörte das Rauschen eines Wasserhahns aus dem Mädchenklo. „Meine Freundin Eliza hat mir erzählt, dass ihre beiden Freundinnen nicht zurück zu Schule gekommen sind, weil sie mit ihren Eltern verschwunden sind.“ „WAS?“, fragte Remus laut und schämte sich im nächsten Moment, als er seine eigene Stimme durch die verlassenen Korridore hallen hörte. „Ja. Adelaide Ashe und Marisha Cross. Eliza sagt, die Eltern von Cross waren Todesser, aber irgendwas muss passiert sein. Sie sind angeblich über Weihnachten in den Urlaub gefahren und einfach nicht wieder aufgetaucht. Das Haus ist verlassen, ohne Spuren von einem Kampf. Und bei Cross…“, Lilys Gesicht war blass. „Sie hat mit ihrer Mutter allein gelebt und die hat man vor ein paar Wochen tot in einem Wald bei Huddersfield gefunden. Aber Marisha nicht.“ Remus hatte den Eindruck, ihm würden gleich die Beine nachgeben. Warum hatte er davon bisher nichts gehört? Warum hatte er geglaubt, dass Slytherins in diesem Krieg nichts zu befürchten hatten? „Und… und Eliza ist jetzt das einzige Mädchen in diesem Jahrgang?“ „Genau. Es gab sowieso schon nur drei Slytherin-Mädchen… und jetzt ist sie völlig alleine. Und verängstigt.“ „Verstehe…“ Remus schüttelte den Kopf und musste an das denken, was Sirius über die Carrows gesagt hatte. „Aber sie hat vermutlich nichts zu befürchten, oder?“ „Wieso?“ Lily machte ein argwöhnisches Gesicht. „Sie ist Reinblüterin und die Carrows sind doch… auf seiner Seite, oder?“ „Nur, weil jemand zu einer Familie gehört, heißt das nicht, dass man auch so denkt“, sagte Lily verbissen. „Ich dachte, du bist auch mit Sirius Black befreundet?“ Remus war drauf und dran zu antworten, dass Sirius ja auch nicht ohne Grund nach Gryffindor gekommen war, aber er wusste, dass das ein schwaches Argument war. „Ja… Du hast recht. Ich glaube, ich versuche mir das nur schön zu reden. Das ist alles so grauenvoll, das muss aufhören… Wir müssen irgendwas tun.“ Er machte ein grimmiges Gesicht, dann warf er einen Blick auf Lily. „Kann ich irgendetwas für dich tun?“ „Remus, danke. Aber ich wüsste nicht was, ehrlich gesagt. Vielleicht versuchen wir einfach erstmal, rauszufinden, was die mit den beiden Ravenclaws gemacht haben. Die Lehrer sind sicherlich dran, aber wir sollten die Augen und Ohren offenhalten, vielleicht hört man ja irgendwas… Hast du ihre Augen gesehen?“ Lilys Stimme wurde zum Ende hin ein wenig schrill. „Ja. Ja, hab‘ ich.“ Eine erneute Gänsehaut deutete sich auf Remus‘ Armen an. „Meinst du, wenn wir die richtige Person finden, hört es auf? Oder gibt es noch mehr?“ „Gute Frage… Aber ehrlich gesagt wäre es schon unwahrscheinlich, wenn unter hunderten von Schülern und Lehrern nur eine einzige Person zu Du-weißt-schon-wem hält, oder?“ „Ja…“ „Hast du… Angst?“ „Ich weiß nicht… irgendwie schon, aber irgendwie… wie gesagt, erscheint mir das alles, als wär‘ es ein böser Traum. Als könnte das eigentlich gar nicht wirklich passieren. Weil es einfach keinen Sinn ergibt!“ Sie warf frustriert die Hände in die Luft und hätte Lily einen Zauberstab gehalten, hätte er sicherlich Funken gestoben. „Verstehe… Wie du sagst. Wir müssen einfach die Augen und Ohren offenhalten, oder?“ „Auf jeden Fall.“ „Und wenn du reden willst…“ Remus ließ die Worte auslaufen, weil er es zwar unbedingt anbieten, sich aber auch nicht aufdrängen wollte – immerhin hatte Lily viel bessere Freunde als ihn. „Danke, Remus.“ Sie lächelte ihn an und dann kam Erica aus dem Mädchenklo. Sie hatte offensichtlich ihr Gesicht gewaschen, denn ihr Haaransatz war nass. „Gehen wir?“, sagte sie mit betont beschwingter Stimme und sie machten sich auf in den Gryffindor-Turm. Im Gemeinschaftsraum herrschte eine Mischung aus Grabesstimmung auf der einen Seite und wildem Tatendrang auf der anderen. Nicht nur einmal hörte Remus, wie jemand etwas sagte wie „Wir gehen jetzt da runter und schnappen ihn uns!“ Natürlich bestürmten die Gryffindors ihn und die anderen Vertrauensschüler, und auch James, Sirius und Peter wollten sofort wissen, was passiert war. Doch er hielt sie hin, mit dem Hinweis, später oben allein zu sprechen, und kümmerte sich erst einmal um ein paar verstörte Zweitklässler, die mit Bertram Rowe und Casper Dunn in einem Jahrgang waren. „Vielleicht sollten wir nun alle so langsam zu Bett gehen“, sagte Remus laut in den Raum hinein, als die Uhr bereits nach Mitternacht zeigte und ohnehin alles gesagt schien. Seine drei Freunde standen sofort auf, obwohl keiner von ihnen sonderlich müde aussah. Einige andere Gryffindors folgten Remus‘ Vorschlag, doch in erster Linie war er froh, endlich mit James, Sirius und Peter allein im Schlafsaal zu sein. Kaum saßen sie umgezogen auf ihren Himmelbetten, erzählte Remus ihnen alles so detailliert wie möglich und fügte auch an, was Lily ihm erzählt hatte. „Das muss ja ein Slytherin gewesen sein“, sagte James sofort und Sirius nickte düster. „Das mit Ashe und Cross wundert mich. Wieso haben wir nichts davon gehört?“ „Naja“, setzte Remus ärgerlich an, „die Slytherins geben wohl kaum öffentlich damit an, dass Todesser unter ihnen sind, und erzählen es nicht überall im Schloss rum. Und Sirius fährt nicht mehr nach Hause, also hört er es auch nicht von außen. Und ob du das mit deinen Eltern beim Tee beredest…“ Er war wütend, dass sie nicht schon früher viel intensiver über diese Themen gesprochen hatten. Er war wütend, dass sie die Augen zumachen konnte, wenn sie wollten. Er war wütend, dass sie nicht gezwungen waren, sich mit dem Krieg zu beschäftigen und sich wegducken konnten, wenn sie nur wollten. Er wollte das nicht mehr. Er wollte handeln. „Was glaubt ihr, wer es war?“, fragte Peter und zupfte an seinem Kopfkissen herum. Sie sprachen alle gleichzeitig: „Snape“, sagte James. „Regulus“, sagte Sirius. „Snape“, sagte Remus. Alle drei wandten sich an Sirius und starrten ihn an. „Ist das dein Ernst?“, fragte Remus und hatte das dringende Bedürfnis, sich neben Sirius aufs Bett zu setzen und seine Hand zu halten. Sirius zuckte die Schultern. „Ich würd’s ihm zutrauen, wenn ich wüsste, dass er ausreichend zaubern kann. Überlegt doch mal, wie versessen er auf diesen verfluchten Ring ist! Und wenn es sowas wie Poster von Du-weißt-schon-wem gäbe, dann hätte er bestimmt welche in seinem Zimmer. Als ich letzten Sommer zuhause war, hab‘ ich gesehen, dass er Zeitungsartikel über ihn sammelt.“ Die anderen drei musterten Sirius schweigend, der ein Gesicht zog, als müsste er sich übergeben. Remus‘ Verlangen, bei ihm zu sein, war jetzt fast unerträglich stark. „Aber das ist schon unwahrscheinlich…“, murmelte James. „Er ist dreizehn. Und das ist eher das Werk eines Erwachsenen.“ „Das vermutet zumindest Dumbledore.“ „Und was Dumbledore vermutet, ist in der Regel richtig.“ Für einen Moment hingen sie alle ihren Gedanken nach. Dann sagte Remus: „Wir müssen was tun.“ „Was meinst du?“, fragte Peter, während James und Sirius mit Nachdruck „Ja“ sagten. „Also ich jedenfalls kann nicht mehr weggucken. Wenn jemand was gegen Muggel oder Muggelstämmige sagt, werd‘ ich auf jeden Fall nicht mehr weghören. Oder wegsehen. Oder so tun, als wäre das nicht meine Angelegenheit. Und ich versuche, rauszufinden, wer das mit Bertram und Casper war. Allein schon für Lily.“ Die drei nickten und James besonders überzeugt. „Wie wollen wir das machen?“, fragte er und kratzte sich am Kinn. „Am besten wäre es natürlich, diejenigen auszufragen, die wissen, wer es war. Und wie. Ich hoffe, dass die Lehrer den Fluch irgendwie umdrehen können, wenn sie wissen, was es ist. Aber wie kriegen wir raus, wer etwas weiß?“ „Ich denke mal, wir müssen einfach rumfragen und gucken, welche Gerüchte sich wiederholen oder so…“, mutmaße Sirius und legte sich rücklings aufs Bett. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)