Säuselstimme, Silberblick und Liebreiz von Platan ================================================================================ Kapitel 4: Ich bin dein Leuchtfeuer der Hoffnung ------------------------------------------------ Am 1. Dezember, über einen Monat später, geschah etwas, das Flordelis in Unruhe versetzte. Statt Platans Stimme ertönte plötzlich die einer Frau aus dem Holo-Log, die an seiner Stelle moderierte: „Guten Abend, verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer. Sie hören gerade die Stimme von Marguerite, meiner bescheidenen Wenigkeit, die heute für den eigentlichen Moderator übernehmen wird, da er leider kurzfristig aus persönlichen Gründen verhindert ist. Besonders zu Beginn der Weihnachtszeit sollen Sie aber nicht auf eine Geschichte verzichten müssen. In dem Sinne heiße ich Sie zum ersten Mal willkommen bei Sternschauer am Abend! Und ich möchte direkt mit einer Frage beginnen.“ Ab dem Zeitpunkt hatte Flordelis bereits nicht mehr richtig zugehört und schaltete die Radiofunktion aus. Eine Sendung ohne Platan, ohne seine charmante Art und dessen Begeisterung, war unvorstellbar für ihn. In seinen Augen war es respektlos, die Seele dieser Märchenstunde einfach durch eine andere Person zu ersetzen. Unverzeihlich. Was für persönliche Gründe mochten es sein, wegen denen Platan an diesem Tag unerwartet als Moderator ausfiel? Gab es wieder Ärger mit dem Vorgesetzten? Deswegen war schon einmal eine Sendung von Platan durch etwas anderes ersetzt worden. In ihm begann vor Sorge eine heiße Glut zu glühen. Nun verfluchte Flordelis sich selbst dafür, dass er ihn damals nicht hatte aussprechen lassen, als er es ihm genauer erklären wollte. Sonst wüsste er jetzt mit was für einer Art Ärger Platan sich herumplagen musste. Vielleicht war aber auch etwas anderes vorgefallen. Rasch griff Flordelis nach seinem Handy auf dem Glastisch und rief über eine Kurzwahl Platan an. Allerdings verkündete die Computerstimme nur wenige Sekunden später, dieser Kontakt sei gegenwärtig nicht zu erreichen. Sofort keimten aus der Glut in seinem Inneren wilde Flammen und schlugen immer höher. Inzwischen kannte er Platan gut genug, um zu wissen, dass es ihm nicht ähnlich sah seine Pflichten aus einer Laune heraus hinzuschmeißen und gänzlich abzutauchen. Wo könnte Platan gerade sein? Noch während Flordelis sich das fragte, fiel ihm schon die Antwort ein. Gleichzeitig wandelten sich die sorgenvollen Flammen zu einer brennenden Entschlossenheit. Geschwind stand er aus dem Sessel auf, ließ den Wein, den er sich wie gewohnt zu dieser Zeit eingeschenkt hatte, unbeachtet stehen und rief seine Pokémon zusammen. Aufgrund seines fordernden Tonfalls und seiner Anspannung reagierten sie noch schneller als sonst. Nachdem er sich in Rekordzeit winterfest angezogen hatte, verließ Flordelis kurz darauf das Haus. Draußen versuchte sogleich der Winter ihn mit seinen eisigen Klauen zu packen, verblasste jedoch angesichts der Hitze, die dank des Feuers in Flordelis herrschte. Seinen Fahrer zu informieren und auf dessen Ankunft zu warten würde ihm zu lange dauern, weshalb er sich das erstbeste Taxi nahm, welches in sein Sichtfeld geriet. In Illumina City gab es glücklicherweise überall mehr als genug davon. Also war er nur wenige Augenblicke später schon auf dem Weg zum Tor nach Route 4, dem Parterre-Weg. Dort befand sich Platans Zufluchtsort. Laut ihm handelte es sich um einen Hain, der ein Stück abseits der Route in der Wildnis versteckt lag. Diesen Platz suchte Platan gerne auf, wenn er das Gefühl hatte nachdenken zu müssen oder Ablenkung zu benötigen. Leider wusste Flordelis nicht genau wo dieser Hain lag, bisher war er selbst nämlich nie dort gewesen, aber er würde ihn finden. Egal, wie lange er suchen musste. Notfalls ließ er sich dabei von seinen Pokémon helfen. Ob Platan ihn überhaupt sehen wollte? Sonst hätte er ihm mit Sicherheit zumindest eine kurze Textnachricht geschrieben, bevor er sein Handy ausgeschaltet hatte. Jedenfalls hoffte Flordelis darauf, dass es keinen anderen Grund gab, weswegen er ihn telefonisch nicht erreichen konnte. Immerhin wusste er inzwischen, wie gutgläubig Platan war. Jemand wie er dürfte leicht an die falschen Leute geraten. Dieser Gedanke führte dazu, dass Flordelis ihn nur umso mehr finden wollte. Selbst wenn Platan ihn anschließend wegschickten würde, falls er diesen nur beim Nachdenken stören sollte. Das konnte Flordelis sich aber nicht vorstellen. Du bist der einzige, dem ich es verraten würde. Richtig, das hatte Platan gesagt. Also wartete er wahrscheinlich sogar auf ihn. Mit diesem Gedanken nickte Flordelis sich selbst zu, bat den Taxifahrer darum so schnell wie möglich zum Ziel zu fahren und sah ungeduldig nach draußen. In diesem Moment hätte das Feuer in seinem Inneren ohne Probleme die gesamte Stadt erhellen können. Nicht mal der Prismaturm könnte diese Leuchtkraft erreichen.   ***   Auf Route 4 angekommen beschloss Flordelis zuerst dem Weg Richtung Süden zu folgen, falls Platan sich noch irgendwo auf diesem aufhalten sollte. Zügig schritt er voran und ließ den Blick aufmerksam über die Umgebung schweifen. Die hier angelegten Ziergärten und deren perfekte Harmonie interessierten ihn momentan nicht. Trotz des Vollmondes, der am wolkenlosen Himmel thronte, sowie den Straßenlaternen wirkten die sonst kunstvollen Hecken eher wie unförmige Strukturen und besaßen somit ohnehin nicht diese Eleganz, für die sie tagsüber von ihren Betrachtern Bewunderung erhielten. Als Flordelis sich der Mitte des Parterre-Weges näherte und noch keinerlei Spur von Platan entdecken konnte, kam ihm wieder der Gedanke, dass etwas Schlimmes passiert sein könnte. Würde Platan sich abends, in der Dunkelheit, wirklich von hier aus in die Wildnis zurückziehen? Noch dazu in dieser Kälte? Auf einmal kam es Flordelis absurd vor und doch hatte er nur diesen Anhaltspunkt. Schließlich erreichte er den großen Brunnen in der Mitte, wo friedlich das Wasser plätscherte, als sei die Welt vollkommen in Ordnung. Dabei war sie es nicht, ohne Platan. Das Mondlicht leuchtete den Platz gut aus und ließ feine Perlen über die Wasseroberfläche tanzen, so magisch glitzerte es. Da er aber nicht wegen dieser Sehenswürdigkeit hier war, umrundete er den Brunnen, ohne diesen weiter zu beachten oder anzuhalten. Einige Schritte später hielt Flordelis dann doch abrupt inne. Da war er. Platan. Er saß auf dem Rand des Brunnens, den Blick abwesend gen Himmel gerichtet, mit der Schultertasche auf dem Schoß. Eingepackt in einer braunen Winterjacke mit rotbraunen Handschuhen und einem grünen Schal um den Hals. Sein Atem gefror an der kalten Luft und Tränen rannen über seine geröteten Wangen. Ein Anblick, der Flordelis im ersten Augenblick etwas zu sehr gefangen nahm. Sicherlich weil er solch eine Seite von Platan zum ersten Mal sah. Warum weinte er? Nach einer Weile sprach Flordelis ihn ruhig an: „Hier bist du also.“ Langsam löste Platan den Blick vom Himmel und sah zu ihm. Im Mondlicht schimmerten seine glasigen, grauen Augen noch mehr wie reines Silber. Obendrein diese kristallklaren Tränen. Unbewusst hielt Flordelis einige Sekunden den Atem an. In diesem Moment wirkte Platan viel zu zerbrechlich und zugleich unbeschreiblich schön. Diese silbernen Augen drangen geradewegs in sein Herz ein, wo sie sogleich Wurzeln schlugen, als Platan anfing leicht zu Lächeln und mit sanfter Stimme sagte: „Flordelis~. Da bist du ja.“ Es fiel Flordelis ziemlich schwer darauf zu reagieren, weil er viel zu eingenommen von den Gefühlen war, die Platan in ihm auslöste, weshalb seine Antwort diesmal tatsächlich etwas holprig ausfiel: „J-ja. Hier bin ich ...“ Nach diesen Worten räusperte er sich direkt, um sich zu fangen. „Hast du auf mich gewartet?“ „Natürlich“, bestätigte Platan, dessen Stimme ein wenig heiser klang, wie ihm nun auffiel. Vorsichtig fuhr er sich mit dem Handrücken über die Augen. „Ich habe nur darauf gehofft, du kommst erst an, wenn ich mich etwas beruhigt habe. Du warst erstaunlich schnell hier.“ „Ich habe mir Sorgen gemacht“, gab Flordelis offen zu und legte auch noch die letzten Schritte zu ihm zurück, bis er sich ebenfalls auf den Brunnenrand setzen konnte. Genau neben ihm. „Ich habe mir nur die Begrüßung der Moderatorin angehört, die heute für dich eingesprungen ist. Danach bin ich losgezogen, um dich zu suchen.“ Zum Glück war Platan beim Brunnen geblieben und nicht wirklich in die Wildnis aufgebrochen. Dort hätte Flordelis ihn nicht so leicht finden können. Das Gebiet war außerhalb der Route recht weitläufig. „Ah, also hat Marguerite für mich übernommen ...“ „Ich glaube, so hieß sie, ja.“ Prüfend musterte Flordelis ihn genau. „Warum hast du dein Handy ausgeschaltet? Ich wollte dich anrufen.“ Irritiert sah Platan ihn an, ehe er aus seiner Jacke das Gerät hervorholte und versuchte es anzuschalten. „Oh. Der Akku muss leer sein.“ Natürlich, die Technik ließ einen in entscheidenden Momenten oft im Stich. „Mit einem Holo-Log wäre das nicht passiert“, meinte Flordelis überzeugt. „Du brauchst wirklich dringend einen.“ Schmunzelnd steckte Platan das Handy wieder ein. „Bald ist Weihnachten, mein Lieber. Tu dir keinen Zwang an. Denk nur immer daran, dass es mir nie darum ging.“ Ehe Flordelis darauf etwas sagen konnte, folgte von Platan ein Seufzen. „Du hast dich sicher wieder auf die heutige Geschichte von mir gefreut. Tut mir leid. Ich habe dich und die anderen Zuhörer enttäuscht.“ Daraufhin sah er Flordelis unsicher an. Nach wie vor mit diesen silbern schimmernden Augen, in denen keinerlei Unreinheit zu erkennen war. Nicht mal ein Hauch von Verdorbenheit. Es lag so viel Aufrichtigkeit und Wärme in diesem Schimmern, weitaus mehr Gefühl als Flordelis in dieser Sekunde empfand. Unglaublich, dass seine Stimme der Vernunft ihn anfangs dazu antreiben wollte Platan gegenüber misstrauisch zu sein. Vermutlich könnte dieser Mensch nicht mal hinterhältig sein, wenn er es sich ernsthaft vornähme. „Überlass mir die Entscheidung, ob ich enttäuscht sein sollte oder nicht“, bat Flordelis eindringlich. „Erzähl mir, was passiert ist.“ Was hatte dazu geführt, dass Platan sich freiwillig hier der Kälte aussetzte, obwohl er sie normalerweise stets mied? Was hatte ihn zum Weinen gebracht? Diesmal wollte Flordelis es wissen – und ihm helfen. So verloren wie Platan auf ihn gewartet hatte, war er hoffentlich dazu gewillt seine Probleme mit ihm zu teilen, auch wenn er in seiner Gegenwart sonst nicht gerne an sie dachte. Zu seiner Erleichterung fing Platan tatsächlich an zu erklären, zögerlich, aber er tat es: „Ich hatte wieder Ärger mit meinem Vorgesetzten. Wir haben … gänzlich unterschiedliche Vorstellungen davon, wie die Sendung ablaufen soll. Für ihn sind andere Dinge wichtiger als für mich. So etwas stört mich in der Regel nicht. Unterschiedliche Meinungen prallen im Leben oft aufeinander und das ist wichtig, um aneinander zu wachsen. Ich akzeptiere es, wenn ich mit einer Meinung konfrontiert werde, die sich nicht mit meiner eigenen deckt, dennoch kann ich meinen Ansichten treu bleiben. Danach habe ich schon immer gelebt. Das Prinzip funktioniert in manchen Lebenslagen bedauerlicherweise nur nicht so gut. Nicht, wenn du befürchten musst deinen Job zu verlieren, weil du dich gegen die Anweisungen deines Vorgesetzten stellst.“ Platan atmete schwer aus. „Ich rede zwar davon, dass ich mir selbst treu bleibe, aber genau das ist im Grunde das Problem. Das war ich nämlich nicht.“ Sofort verstand Flordelis, worauf er hinaus wollte. „Dein Traum war es immer Pokémon-Professor zu werden.“ Offensichtlich freute Platan sich darüber, dass er das noch wusste, denn er lächelte zufrieden. „Ja, richtig. Pokémon erforschen … sie besser verstehen lernen und wundersame Entdeckungen machen, die ich mit anderen teilen kann, um ihnen dabei zu helfen die Bindung zu ihren Pokémon noch mehr zu vertiefen. All das Wissen weitertragen, das mich so fasziniert und begeistert.“ Zwar hielt Platan das Lächeln aufrecht, senkte jedoch bedrückt den Kopf. „Wie ich dir aber schon mal sagte, befürchte ich, bei der trockenen Theorie zu versagen. Auch weil mir in der Vergangenheit oft von verschiedenen Leuten gesagt wurde, dass ich nicht gut genug in dem bin, was ich tue. Sei es das Zeichnen, das Singen … oder meine mangelhafte Erzählweise von Geschichten.“ Zeichnen und singen? Darauf sollte Flordelis ihn unbedingt nochmal ansprechen, sobald sich eine bessere Gelegenheit dafür bot, denn nun war er neugierig. Zuerst hörte er ihm weiter geduldig und aufmerksam zu, statt ihn zu unterbrechen. Jedenfalls konnte Flordelis nun nachvollziehen, wieso Platan sich bei ihrem Kennenlernen so sehr darüber gefreut hatte, dass er ihn an seiner Stimmer wiedererkennen konnte und ihm gerne zuhörte. „Meine Leidenschaft für Geschichten konnte ich aber nicht so einfach ablegen“, fuhr Platan fort. „Also habe ich mir vorgenommen, mir viel Mühe zu geben und mein mangelhaftes Erzähltalent dadurch auszugleichen, dass ich all meine Gefühle teile. Meine Zuhörer sollen sich fallenlassen und träumen können, dem Alltag entfliehen, indem sie sich eine Weile in eine andere Welt zurückziehen und wenn sie zurückkehren, entdecken sie vielleicht, von wie vielen Wundern sie schon die ganze Zeit umgeben sind. Stell dir die Entdeckungen vor, die dadurch der eine oder andere machen könnte.“ Betrübt schüttelte Platan den Kopf und runzelte ein wenig die Stirn. „Mein Vorgesetzter will mehr Geschichten, die sich an aktuelle Trends anpassen, um mehr Zuhörer anzulocken, oder neue Artikel von Werbepartnern subtil attraktiver machen und solche Sachen. Ich verstehe, dass wir auf hohe Einschaltquoten und Geldquellen angewiesen sind, aber … ich kann das einfach nicht. Ich käme mir schlecht dabei vor. Die Zuhörer werden es merken und sich verschließen. So könnte ich ihnen nichts mehr geben.“ Etwas geben. Genau wie Flordelis es immer eingeschätzt hatte, war Platan einer von denen, die etwas geben wollten. Spätestens jetzt sollte es ihn nicht mehr wundern, warum er sich mit ihm verbunden fühlte. „Heute war einer dieser Tage, an denen wir darüber diskutiert haben und ich mich am Ende geweigert habe, seinem Konzept zu folgen. Also wurde ich nach Hause geschickt.“ Wieder fuhr Platan sich mit dem Handrücken über die Augen. „Es ist meine Schuld. Würde ich mich nicht die ganze Zeit so verloren fühlen, weil ich meinen wahren Traum aufgegeben habe und ich deswegen beim Radio umso mehr meinen eigenen Vorstellungen folgen will, müsste mein Vorgesetzter sich nicht mit mir herumplagen und ich hätte heute niemanden enttäuscht.“ Indem er lachte, versuchte er darüber hinwegzutäuschen wie sehr ihn das mitnahm. „Herrje, wie das klingt. Sieht mir überhaupt nicht ähnlich, was? Ich weiß auch nicht, was in letzter Zeit los ist. Eigentlich geht es mir wirklich gut. Ich darf jeden Tag die Schönheit und die Wunder dieser Welt bewundern. Ich sollte dankbarer sein, dass ich hier sein darf.“ Der letzte Satz klang nicht so recht nach Platan. Möglicherweise interpretierte Flordelis zu viel hinein und zog falsche Schlüsse, doch es würde ihn nicht wundern, wenn der Vorgesetzte beim Sender diese Worte verwendet hatte. Sein Gefühl sagte ihm, dieser Mann war jemand, der seine Machtposition ausnutzte und jene unter Druck setzte, dank denen er eine Menge Geld einnahm. Dass Platan bisher so lange weitermachen durfte, wie er wollte, lag bestimmt nur daran, weil nur durch ihn und seine unvergleichliche Stimme so viele regelmäßig abends einschalteten. Am besten sollte Flordelis der Sache mal auf den Grund gehen und mehr über diesen Vorgesetzten in Erfahrung bringen. Von Platan bekäme er nur dessen Sicht, in der er diesen Kerl wahrscheinlich besser dastehen ließ, als er war. Daher verzichtete Flordelis darauf Fragen in dieser Richtung zu stellen. Stattdessen folgte er lieber seinem Verlangen, einen Arm um Platans Schultern zu legen und ihn schützend näher zu sich zu ziehen. Dagegen wehrte Platan sich nicht, sondern schmiegte sich sogar ein wenig an Flordelis, was sein Herz in Aufregung versetzte. Dank der Winterjacke dürfte Platan davon aber nichts mitbekommen. Eine Weile blieben sie einfach so nebeneinander sitzen. Auf diese Weise konnte Flordelis die Nähe genießen – die ihm viel zu sehr gefiel – und Platan hatte Zeit sich etwas zu sammeln. Ihm war es bestimmt nicht leicht gefallen, zu zeigen, wie es tief in ihm aussah. Für jemanden, der normalerweise überaus optimistisch war, musste es umso schwerer sein diese bedrückenden Gefühle zuzulassen. „Platan“, brach Flordelis schließlich die Stille, „du vertraust mir, nicht wahr? Welchen Worten würdest du mehr Glauben schenken: Meinen oder jenen von den Neidern, die dir eingeredet haben, du wärst nicht gut genug?“ „... Neidern?“, wiederholte Platan langsam. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass es Neider waren, wenn sie auch deine Erzählweise als mangelhaft bezeichnet haben“, betonte Flordelis, wohl etwas zu empört, denn Platan lachte kurz lautlos, was er an dessen Bewegungen wahrnahm. „Wie auch immer. Hätten meine Worte mehr Bedeutung für dich als die der anderen?“ Das mochte anmaßend klingen, war für ihn jedoch wichtig, bevor er dazu überging seine Meinung zu dem Ganzen zu teilen. „Ja“, erwiderte Platan, diesmal erstaunlich schnell. „Gut.“ Flordelis schloss die Augen und hielt ihn weiterhin fest. „Erstens: Ich bin nicht enttäuscht von dir. Zweitens: Du solltest dir deinen Traum, Pokémon-Professor zu werden, erfüllen.“ „Was?“, warf Platan überrascht ein. Allerdings fuhr Flordelis unbeirrt fort und öffnete die Augen wieder: „Dafür ist es nie zu spät. Wenn du es nicht tust, wirst du dein Leben lang das Gefühl haben in dieser Welt verloren zu sein, weil du nicht dort bist, wo du wirklich sein willst. Auf jeden Fall wäre ein Versuch ratsam. Meine Unterstützung ist dir sicher. Ich bin davon überzeugt, du wärst ein hervorragender Professor.“ Nach diesen Worten befreite Platan sich – leider – ein wenig aus seinem Arm und löste sich von ihm, um ihn erstaunt anzuschauen. „Meinst du das ernst?“ „Da wir abgemacht haben, Scherze jeglicher Art zu unterlassen, ist das mein ernst“, versicherte Flordelis ihm, mit einem leichten Lächeln. „Du wirst das Vivillon unter den Professoren sein.“ Plötzlich fingen Platans Augen an zu glitzern – als wären sie durch das Mondlicht nicht schon atemberaubend genug. Fast hätte Flordelis den Blick abgewandt, weil es ihn zu verlegen machte, diese silberne Schönheit aus dieser Nähe zu betrachten. Damit hätte er aber nur die falschen Signale gesetzt, weshalb er versuchte es gefasst hinzunehmen, dass sich sein Gesicht etwas erhitzte. „Deine Geschichte, erinnerst du dich?“ Mutmachend nickte Flordelis ihm zu. „Wer sagt, dass jeder Professor sich nur mit trockenen Theorien auseinandersetzen muss? Du könntest das Vivillon sein, das ihnen neue Wege zeigt und sie auf die Wunder hinweist, die sie überhaupt nicht wahrnehmen können, eben weil sie sich nur mit wissenschaftlichen Daten und Fakten beschäftigen. Nur du wirst dazu in der Lage sein, die ganz besonderen Entdeckungen zu machen. Zeige der Welt, dass ein kahler Baum im Winter eine farbenprächtige Krone besitzen kann, und helfe anderen dabei, solche Wunder zu erkennen.“ Nachdenklich strich Flordelis sich über den Bart. „Zudem sind die Forschungsbereiche von Pokémon-Professoren ohnehin sehr vielfältig und teilweise recht individuell, soweit ich weiß. Da findest du garantiert auch deinen Platz.“ „Flordelis ...“, hauchte Platan ergriffen dazwischen. „Du wirst großartig in dem sein, was du tust“, sagte er aufrichtig. „Denn das bist du auch jetzt schon, Platan. Falls es dir weiterhin schwer fällt, selbst daran zu glauben, dann lass mich diese Rolle übernehmen. Ich bin dein Leuchtfeuer der Hoffnung. Gerade weil du dazu in der Lage bist die Schönheit dieser Welt zu sehen, hast du es verdient glücklich zu sein. Darum sage ich es nochmal: Erfülle dir deinen Traum.“ Neue Tränen sammelten sich in Platans Augen an, der sichtlich gerührt und sprachlos von derart viel Zuspruch war. Einige Sekunden hielten sie schweigend Blickkontakt, bis Platan ihn auf einmal äußerst stürmisch umarmte und Flordelis Mühe hatte sie davor zu bewahren ins kalte Wasser zu fallen. Darauf hätte er auch im Sommer verzichten könnten, im Winter jedoch erst recht. Ein zierlicher Mensch wie Platan holte sich bei diesem Wetter nur mit Krawumms eine Lungenentzündung. Erst als ein kläglicher Laut aus Platans Schultertasche ertönte, ließ dieser Flordelis erschrocken wieder los und öffnete sie schnell, woraufhin Parfis Kopf hervorlugte. Verwirrt zwitscherte sie die beiden an und blinzelte mehrmals. Lächelnd entschuldigte Platan sich bei ihr, da sie bei der Umarmung wohl etwas eingequetscht worden war. Zu ihrer Erleichterung schien es ihr aber gut zu gehen. Zumindest bis sie niesen musste und sich danach flink zurück in die Tasche verzog. „Sie hat recht, bei dieser Kälte sollte eigentlich niemand draußen sein“, meinte Flordelis, der sofort aufstand und Platan eine Hand reichte. „Gehen wir. Ich lade dich hiermit herzlich dazu ein, wieder bei mir zu übernachten. Dort ist es schön warm, wie du weißt.“ Dankend nahm Platan die Geste an und ließ sich beim Aufstehen helfen. Anschließend gingen sie zusammen zurück Richtung Illumina City und ließen den Brunnen hinter sich. Bei Zeiten sollte Flordelis sich von Platan unbedingt den Weg zu seinem wahren Zufluchtsort zeigen lassen, am besten wenn es nicht mehr so kalt war. Es passte aber zu ihm, dass er sich zu einem solch romantischen Ort, umgeben von Ziergärten, hingezogen fühlte, und bei diesem Brunnen gewartet hatte. Unterwegs seufzte Platan auf einmal und als Flordelis ihn fragend ansah, fing er an zu schwärmen: „Ich glaube, deine Worte von vorhin sind soeben auf den ersten Platz in meiner Lieblingsliste mit all deinen mitreißenden Reden gerutscht~.“ Schmunzelnd hob Flordelis eine Augenbraue. „Du führst eine Liste?“ „In meinem Kopf.“ Bedeutungsvoll legte Platan eine Hand auf seine Brust. „Nur für mich alleine~.“ Wie zauberhaft, wieder mal. „Freut mich, dass es dir gefallen hat“, entgegnete Flordelis beruhigt. „Ich hoffe, du nimmst dir meine Worte auch zu Herzen.“ „Das habe ich schon.“ Platans Augen waren noch glasig, aber er lächelte herzlich. „Vielen Dank, mein Lieber.“ Nach diesen Worten griff er nach Flordelis' Hand und hielt sie fest, während sie weitergingen. Und er beschloss, sich deswegen nicht in irgendwelche verwirrenden Gedanken zu verlieren, sondern einfach zu akzeptieren, dass sich das vollkommen richtig anfühlte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)