Wir sind keine Engel von Lethtendris (Oder doch?) ================================================================================ Kapitel 2: ... und zurück ------------------------- Wir sind keine Engel Kapitel 2: ... und zurück Die Hölle war kein Ort, der sich genau definieren ließ und definitiv anders, als man es sich vorstellte. Das war eine Erfahrung, die jedes der vier Mitglieder der Gruppe Schwarz gerade machte, als sie ihre ganz persönliche Hölle durchlebten, immer und immer wieder. Keiner von ihnen hätte gedacht, dass es so hart und intensiv sein würde. Schon nach wenigen Augenblicken waren sie gebrochen und die einzigen Begleiter durch diese Seelenqualen ihre Schreie. Nagi, Brad und Schuldig wurden nur noch von dem Wunsch beseelt, dass es endlich aufhörte. Wo hatte Farfarello sie nur wieder reingeritten? Ihre Umgebung verfinsterte sich und es wurde so dunkel, dass sie nicht einmal mehr die Hand vor Augen sahen. Bereits befürchtend, was als nächstes kommen könnte, blieb ihnen nichts weiter übrig als auszuharren. Sollte nun ein weiteres niederschmetterndes Erlebnis erneut durchlebt werden, so wurde dies mit einem plötzlich erscheinen gleißend hellen Licht eingeleitet. Als ihr Blick sich wieder aufklarte, fanden sich die vier jungen Männer gemeinsam in einer Umgebung wieder, die sie abermals nicht erwartet hatten. Trotzdem waren sie froh darüber, sich wieder in dem kahlen Raum mit dem großen Schreibtisch zu befinden. Die Frau mit dem streng zurück gebundenen Haar, die von ihnen als das jüngste Gericht selbst deklariert wurde, war ebenfalls anwesend. Sie saß ein Stück nach vorn gebeugt auf dem Sessel und hatte die Hände auf dem Schreibtisch gefaltet. „Nun meine Herren? Wie sieht es aus? Immer noch nicht daran interessiert was in diesen Akten steht? Oder an der Sache mit der zweiten Chance?“, fragte sie mit einem leicht ironischen Lächeln. Schuldig bemerkte das Nagi am ganzen Leib zitterte und dass er sich kaum selbst zusammenreißen konnte. Kurzerhand legte er einen Arm um die Schultern seines jüngeren Teamkollegen und drückte ihn leicht an sich, um ihm und sich selbst Halt zu geben. Der Telepath mochte nicht darüber nachdenken, was die anderen in den letzten Augenblicken durchgemacht hatten. An seinem eigenen Erlebnis hatte er schließlich selbst immer noch schwer zu schlucken. Nagi war froh über die Geste des Deutschen, allein sein war das Letzte, was er jetzt wollte. Er lehnte den Kopf an seine Brust und hatte Mühe nicht in Tränen auszubrechen. Er spürte, wie Schuldig leichten Druck auf seine Schulter ausübte und anfing langsam über diese sowie über den Oberarm zu streichen. Der junge Japaner zweifelte nicht daran, dass er das nicht nur aus purer Uneigennützigkeit und Hilfsbereitschaft tat. Wahrscheinlich brauchte er gerade ebenso dringend Halt, wie er selbst. Sogar Brad rang sichtlich um Fassung. Er wagte es im ersten Moment nicht einmal die anderen auch nur anzusehen, weil er befürchtete sich nicht unter Kontrolle haben zu können. Und vor seinen Teamkollegen Schwäche zu zeigen würde er sich niemals erlauben, schließlich war er ihr Anführer und musste stark bleiben und einen kühlen Kopf bewahren. Was Farfarello anbelangte, so fanden die Drei, dass sogar er scheinbar von dem Erlebnis geprägt war. Er kauerte ein Stück von ihnen weg auf dem Boden, hatte die Beine angezogen und die Arme darum geschlungen. Er schaukelte apathisch leicht vor und zurück und murmelte immer wieder leise die gleichen Worte vor sich hin. „Gott ist schuld.“ Sie waren wohl alle im Moment mehr als bereit sich alles anzuhören, was diese Frau zu sagen hatte. Brad hatte sich als erster wieder vollkommen gesammelt und fühlte sich bereit dazu eine Unterhaltung zu führen und wenn nötig darüber zu verhandeln, dass sie nicht wieder in die Hölle mussten. „Selbstverständlich sind wir daran interessiert. Aber wir müssen uns darüber einig sein, wenn ich das noch richtig in Erinnerung habe.“ Das jüngste Gericht nickte zustimmend. „Das ist korrekt. Benötigt ihr vielleicht etwas Zeit, um darüber zu diskutieren?“ Der Amerikaner bejahte und wandte sich an die anderen. Schuldig und Nagi konnte er auch ohne ihr Nicken ansehen, dass sie mit ihm einer Meinung waren. Farfarello machte ihm jedoch Sorgen, er wirkte überhaupt nicht ansprechbar. Trotzdem versuchte Brad mit ihm zu reden und hockte sich neben ihn. „Farfarello?“ Er wartete einen kurzen Augenblick und fuhr dann fort. „Farfarello, hörst du mir zu?“ Der Angesprochene hielt daraufhin mit den Schaukelbewegungen inne und drehte den Kopf. Allerdings sagte er kein Wort. Nichts deutete darauf hin, dass er Brad wirklich zuhörte oder auch nur verstand, was dieser sagte. „Farfarello, du solltest deine Entscheidung, direkt in die Hölle zu wollen, noch einmal überdenken. Du siehst nicht so aus, als wenn du das wirklich wolltest“, versuchte Crawford wieder zu ihm durchzudringen, scheinbar mit Erfolg. „Doch, genau das will ich. Ich will nicht in den Himmel oder sonst wohin. Das straft Gott nicht. Ich hasse Gott. Ich will nicht in seine ... in ihre Nähe. Warum sollte ich denn auch? Gott hat es doch zugelassen. Gott ist es schuld“, flüsterte er monoton. Nagi und Schuldig gesellten sich dazu und hockten sich ebenfalls auf den Boden. Der Deutsche schüttelte den Kopf. „Nein, nein. Das siehst du völlig falsch, Farf. Warum sollte es Gott strafen, wenn du in der Hölle schmorst? Faktisch würdest du ja da hin gehören, für alles was du bisher in deinem Leben getan hast, ebenso wie wir.“ Er hielt kurz inne und schluckte. Der Jüngste in der kleinen Runde ergriff das Wort und sprach aus, was der andere zuvor nicht über die Lippen gebracht hatte. „Wir haben grade alle eine Kostprobe von dem erhalten, was uns in der Hölle erwarten würde. Und ich glaube nicht, dass du wirklich Lust darauf hast, Farfarello. Zumindest ich habe die nicht. Und sieh mal, du wärst ganz allein und niemanden würde es kümmern, was du tust und was mit dir passiert. Die Hölle ist der Ort, der von Gott am weitesten entfernt ist. Dort würde sie nicht mehr zu dir hinschauen.“ „Und denk doch mal weiter“, fuhr Brad fort. „In der Hölle kannst du Gott nicht strafen, weil es sie dann erst einmal nicht mehr interessiert, was du oder irgendjemand sonst macht. Um diese Seele muss sie sich dann nicht mehr kümmern.“ „Wenn du nicht in die Hölle kommen würdest, sondern dir erst mal das mit der zweiten Chance hier anhörst, gäbe es vielleicht die Möglichkeit, doch noch irgendwie in den Himmel oder so was in der Art zu kommen“, unterbrach Schuldig den Amerikaner einfach und setzte sein übliches, süffisantes Lächeln auf. „Stell dir mal vor, du wärst Gott ganz nah. Du willst Gott doch für alles strafen. Welche bessere Möglichkeit gäbe es denn da wohl genau das zu machen, wenn nicht genau die, quasi ihr neuer Nachbar zu sein? Farfarello, das ist die beste Chance, die du bisher hattest. Was würde Gott denn mehr strafen, als so gesehen genau vor ihren Augen alles das wieder zu tun, was du bisher schon unternommen hast? So kann es ihr doch überhaupt nicht mehr entgehen und muss ihr auffallen. Hinzu kommt ja noch, dass es ja schon eine Schande ist, wenn so schlechte Menschen wie wir überhaupt einen Fuß in diese göttlichen Gefilde setzen.“ Schweigend lauschte der Ire allem, was ihm erzählt wurde. Irgendwie schien es Sinn zu machen. Er dachte einige Minuten darüber nach und wog das Für und Wider sorgfältig ab. Dann nickte er und meinte leise: „Dann hören wir uns an, was es mit dieser Chance auf sich hat.“ Die vier jungen Männer traten gemeinsam vor den großen Mahagonischreibtisch und hefteten ihre Blicke auf die Frau, die dahinter saß. Sie hatte ihre Position während der Unterhaltung der anderen Anwesenden nicht verändert und die Hände lagen immer noch gefaltet vor ihr auf der Tischplatte. Aber auch sie heftete nun ihren Blick auf die vor ihr stehenden Personen und musterte einen nach dem anderen eingehend. Scheinbar wartete sie auf etwas. „Wir sind uns einig“, begann Brad dann seine Erklärung. „Niemand von uns möchte jetzt eine vorschnelle Entscheidung treffen. Darum wüssten wir gern, wie über uns geurteilt wird.“ Das jüngste Gericht nickte und schlug die Akten auf. „Ich denke, ihr wisst alle was ihr in eurem Leben getan oder nicht getan habt. Eure Situationen sind sehr ähnlich und eure Entwicklung beruht wohl bei allen auf traumatischen Erlebnissen in der Kindheit. Ihr habt keine Achtung vor den Menschen, hegt sogar Hass und Rachegefühle gegen die Menschheit und die ganze Welt, die so grausam zu euch war. Ich erspare mir hier weiter ins Detail zu gehen, aber dass genau das nicht der richtige Weg ist, sollte euch klar sein. In Anbetracht dieser Tatsachen würde eure Strafe zur Verbüßung eurer Sünden das Fegefeuer sein, bis ihr entweder einsichtig werdet oder euch als eben dieses schlimme Übel bestätigt, wie es den Anschein hat. Bei ersterem würde euch dann vielleicht der Zugang zum Himmel gewährt, bei letzterem der Abstieg in die Hölle. Allerdings seid ihr alle vier vor eurer Zeit gemeinsam gestorben und hättet eigentlich noch einige Jahre auf der Erde zum Leben gehabt. Das eure Lebenskerzen längst nicht verloschen waren, kommt euch als mildernder Umstand zugute und ihr bekommt die Gelegenheit euch dem Fegefeuer fürs Erste zu entziehen und euch anders zu beweisen.“ ’Kein Fegefeuer’ klang doch schon mal nicht schlecht, dachte Schuldig, da würde sie wahrscheinlich etwas Ähnliches erwarten, wie sie nur einige Minuten zuvor erlebt hatten. Waren das denn überhaupt Minuten gewesen? Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren, es hätten genauso gut Stunden oder Tage gewesen sein können. Bevor er sich jedoch Gedanken darüber machen konnte, wie denn dieses ’anders beweisen’ aussehen könnte, begann das jüngste Gericht auch schon mit der Erklärung. „Ihr werdet eine Aufgabe übernehmen, in der ihr euch um andere Menschen kümmert und nicht nur um euch selbst. So werdet ihr geprüft, ob eure Herzen wirklich so schwarz sind oder ob sie es Wert sind, gerettet zu werden. Ihr werdet jeder einem Menschen als Schutzengel zugeteilt. Wir achten natürlich darauf euch nicht auseinander zu reißen und euch so nah beieinander wie möglich zu stationieren. Wer genau eure Schützlinge sind steht nicht genau fest, aber ihr werdet es sehen, wenn ihr dort seid.“ Schwarz standen wir angewurzelt da und waren sprachlos, ihnen klappte sprichwörtlich die Kinnlade herunter, bei dieser Offenbarung. Sie fühlten sich total überrumpelt und starrten die Frau hinter dem Schreibtisch einfach bloß an. Schutzengel? Ausgerechnet sie? Auftragskiller? Todesengel wäre wohl eher der passende Beruf für ein Leben nach dem Tod für sie gewesen, wo sie doch so etwas schon zu Lebzeiten waren. Mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass sie versucht hatten, das okkultistische Wiederbelebungsritual eines Dämons durch Eszett für ihre ganz persönlichen Rachefeldzüge gegen die Menschheit zu benutzen. Sich um andere Leute als sich selbst zu kümmern passte so überhaupt kein bisschen zu ihnen. Schuldig hatte sich als erster wieder im Griff und platzte sofort mit seinen Fragen heraus. „Warum denn ausgerechnet Schutzengel? Ich glaube dafür sind wir denkbar ungeeignet. Zumindest ich bin dafür nicht geschaffen, glaube ich. Gibt es nicht irgendwie etwas anderes, was wir machen können?“ Das jüngste Gericht blieb vollkommen unbeeindruckt. „Das ist eure einzige Chance, die euch eingeräumt wird. Nebenbei bemerkt, eine erhebliche Abkürzung gegenüber dem Fegefeuer. Die Aufgabe als Schutzengel wird euch viel Verantwortung und Selbstlosigkeit abverlangen. Tugenden, denen ihr zu Lebzeiten leider keine Aufmerksamkeit geschenkt habt. Es gibt für euch nur diese eine Möglichkeit. Nehmt ihr an oder lehnt ihr ab?“ Bevor Schuldig nochmals ansetzen konnte zu protestieren und zu versuchen doch etwas anderes für sie heraus zu schlagen, presste Brad ihm eine Hand auf den Mund. Dem Anführer von Schwarz war klar, dass sie keine andere oder bessere Aussicht nicht in die Hölle zu müssen hatten, als diese. Und bevor sein etwas hitzköpfiger Begleiter etwas Unüberlegtes und Dummes sagen konnte, brachte er ihn lieber zum Schweigen. „Wir nehmen an. Wir können es zumindest versuchen und wenn sich dann herausstellen sollte, das wir absolut untauglich sind, kann man immer noch über eine andere Alternative reden“, sagte er schnell, bevor Schuldig sich von ihm lösen könnte. Die Frau hinter dem Schreibtisch nickte. „Gut, dann stelle ich euch jetzt Michael vor. Er wird euch dann eine kleine Einweisung geben und zurück zur Erde schicken.“ Im nächsten Augenblick wurde der Raum für einen kurzen Moment in gleißendes, warmes Licht getaucht. Zurück ließ es allerdings eine hochgewachsene, erhabene Gestalt, umgeben von einem goldenen Glanz, der ihr etwas Reines verlieh. Das von schulterlangen Locken umrahmte, androgyne Gesicht war zwar sanft, jedoch auch gleichzeitig markant geschnitten. Die Kleidung bestand aus einer einfachen Lederrüstung mit einigen goldenen Verzierungen, an der Seite hing an einem Gürtel ein Flammenschwert. Zwei imposante Flügel überragten die Gestalt und verlieh ihr somit ein ehrfurchteinflößendes Auftreten. „Ich bin der Erzengel Michael“, stellte er sich vor, nachdem seine Erscheinung einige Sekunden lang auf die vier Schwarz-Mitglieder gewirkt hatte. „Ich bin schon seit Anbeginn der Zeit der Engel des Schutzes und werde euch in eure neue Aufgabe einweisen.“ „Wenn ich kurz unterbrechen dürfte“, warf das jüngste Gericht ein, „ich habe hier noch einiges zu tun. Es wäre nett, wenn ihr euch einen anderen Ort dafür suchen könntet, Michael.“ „Aber selbstverständlich“, antwortete der Erzengel lächelnd. „Ich hatte auch nicht vor, das hier zu machen. Wenn du uns dann entschuldigst.“ Mit diesen Worten tauchte er sich und seine neuen Anwärter abermals in ein sanftes Licht. Als es wieder verschwand, konnten Schwarz ihre Umgebung näher in Augenschein nehmen. Auch wenn es auf den ersten Blick nichts gab, was eine nähere Betrachtung verdient hätte. Um sie herum gab es nur Wolken. „Gut, ich denke ihr wollt das hier genau so schnell hinter euch bringen wie ich“, begann Michael seine Einführung. „Eigentlich mache ich solche, na ja nennen wir es mal Workshops, immer mit vielen Anwärtern, anstatt nur mit Vieren. Aber ihr seid zu spät, ihr musstet ja unbedingt vorher noch ein bisschen in der Hölle rumspielen. Der erste Schwung für heute ist schon längst fertig und ich hab noch genug andere Sachen zu tun. Stellt euch darum bitte nicht blöder an, als ihr seid.“ Dabei glitt sein Blick zu Schuldig. „Auch wenn das gewisse Personen für ihr Leben gern tun. Versuchs erst gar nicht, wir sind knapp mit der Zeit.“ Schuldig holte tief Luft, er war empört. Was dachte dieses Federviech sich eigentlich? Er stellte sich überhaupt nicht dumm. Aber andererseits ... sich dumm zu stellen war doch immer noch besser, als es tatsächlich zu sein. Trotzdem passte es ihm nicht, er fühlte sich wie in der Grundschule und als ob der Lehrer ihn von der ganzen Klasse lächerlich machte, weil er eine ganz einfache Antwort nicht gewusste hat. Dann platzte es einfach aus ihm heraus. „Ich stell mich überhaupt nicht blöde an! Das ist üble Verleumdung! Können wir das hier bitte schnell hinter uns bringen? Ich hab keine Lust dazu, mir länger so was anhören zu müssen.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und beschloss erst einmal beleidigt zu sein. Nagi verdrehte leicht genervt die Augen. Sein Teamkollege konnte sich manchmal so kindisch anstellen. Aber es war ja nicht das erste Mal, dass ihm das auffiel. Und da bezeichneten sie ihn, das absolute Hackergenie und den maßgeblichen Planer ihrer Aktionen, als Kind und das nur wegen seines geringen Alters. Die Welt war schon ziemlich ungerecht, man sollte die Leute nicht nur nach solchen oberflächlichen Kriterien beurteilen. „Wäre das alles was du zu sagen hast? Wenn ja, dann kann ich ja endlich mal mit meiner Arbeit anfangen und ihr dann mit eurer“, meinte der Erzengel trocken. Schuldigs Gehabe schien ihm nicht im Geringsten zu imponieren. „Hat noch jemand das dringende Bedürfnis sich mitzuteilen? Wenn ja, dann ist das hier jetzt die letzte Gelegenheit.“ Seine vier Schüler verneinten und so konnte endlich mit der kleinen Lehrstunde begonnen werden. „Wie ja jeder weiß, ist es die Aufgabe eines Schutzengels einen bestimmten Menschen zu beschützen und vor Unheil zu bewahren. Das gestaltet sich manchmal allerdings schwieriger, als so mancher vielleicht annehmen mag. Zum Beispiel deswegen, weil Schutzengel einigen Regelungen unterworfen sind, die auf keinen Fall missachtet werden dürfen. Denkt immer daran, ihr seid zuerst Mal nur in einer Probephase. Wenn ihr euch grundlegend daneben benehmen solltet, werdet ihr sofort wieder vor das jüngste Gericht zitiert und das war es mit eurer Chance der Hölle zu entgehen. Klar soweit?“, fragte Michael in die Runde. Einträchtiges Kopfnicken zeigte, dass sie zumindest diesen Teil schon mal verstanden hatten. Sogar Zwischengerede und dumme Kommentare von diversen Personen blieben vorerst aus. Was nicht hieß, dass besagte Person sich nicht so ihre Gedanken machte. Regeln ... immer nur Regeln.... für Schuldig waren Regeln da, um gebrochen zu werden und zu sehen wie weit man damit durchkam. In dieser Angelegenheit dürfte ihm Brad dafür allerdings gehörig auf die Füße treten. „Gut“, fuhr er fort. „Für gewöhnlich sind Schutzengel für den Menschen unsichtbar und unhörbar, es sei denn, er zeigt sich ihnen von sich aus. Allerdings gibt es einige außergewöhnliche Menschen, die Engel und solche die es werden wollen, trotzdem sehen können. So etwas kann dann zu unangenehmen Irritationen führen, weshalb man solchen Menschen am besten aus dem Weg geht und wenn man ihnen doch begegnen sollte, am besten das Weite sucht. Letzteres allerdings nur, wenn man dadurch nicht seinen Schützling unbeaufsichtigt lässt oder sogar in Gefahr bringt. Generell sollten eure Schützlinge euch am besten gar nicht zu Gesicht bekommen. In Ausnahmefällen ist es gestattet, als andere Person aufzutreten, wenn der entsprechende Schutz ansonsten nicht gewährleistet werden könnte. Diese Fähigkeit beherrscht ihr anfänglich sowieso noch nicht, darum ist es müßig darauf näher einzugehen.“ „Ich habe da mal eine Frage“, unterbrach Schuldig den Vortrag. „Was haben wir denn als Schutzengel so für Kräfte? Kriegen wir unsere alten Kräfte, die wir als Menschen hatten, wieder zurück? Also ich meine Telepathie und so.“ „Dazu wollte ich gleich kommen. Sei nicht immer so ungeduldig“, maßregelte der Erzengel ihn. „Also das wäre jetzt aber auch meine Frage gewesen“, warf Brad ein, um seinen Teamkollegen ein wenig in Schutz zu nehmen. Das tat er zwar sonst nie, aber im Augenblick und für die nächste Zeit mussten sie wohl noch enger zusammen halten als sonst. „Wie auch immer, dazu kommen wir ja jetzt noch“, fuhr Michael fort. „Eure Kräfte beschränken sich fürs Erste auf einige Grundlegende Dinge, wie zum Beispiel diese Unsichtbarkeit. Ihr könnt ganz normal mit allen möglichen Dingen umgehen, alles anfassen und benutzen, wobei ihr euch dabei natürlich nicht erwischen lassen dürft. Ihr könnt Essen und Atmen, aber das müsst ihr nicht, schließlich seid ihr tot. Wenn es euch trotzdem Spaß macht, dann tut es halt, Probleme mit eurer Figur bekommt ihr dadurch ja nun nicht. Menschen gehen durch euch hindurch. Ihr könnt euch nicht verletzen. Waffen würden ebenfalls durch euch hindurch gehen, da mit ihnen beabsichtigt wird, andere zu verletzen und wenn das nicht eurem Schützling gilt, dann habt ihr euch aus so einer Angelegenheit heraus zuhalten. Ihr dürft und könnt nur euren zugeteilten Schützling beschützen und bei ihm eingreifen. Ansonsten habt ihr für diese Aufgabe nur die Kräfte zur Verfügung, die auch ganz normale Menschen haben.“ Die Vier warfen sich gegenseitig einige fragende Blicke zu. Nur Kräfte die ganz normale Menschen auch haben? Worin bestand da dann bitte der Vorteil, ein Schutzengel zu sein? Schuldig meldete sich dann abermals zu Wort. „Also heißt das, im Prinzip können wir nichts, absolut rein gar nichts, sogar noch viel weniger, als zu der Zeit wo wir noch lebten. Hab ich das richtig verstanden? Wie soll man denn so bitte seine Aufgabe als Schutzengel richtig machen?“ „Ja, das hast du richtig verstanden.“ Der Erzengel nickte zustimmend. „Es ist korrekt. Ihr habt zunächst nichts anderes, außer eurem eigenen Können und eurem Verstand. Aber das hat seinen Grund. Wir werden euch beobachten, jeden eurer Schritte, alles was ihr anstellt und was ihr gut macht. Wir werden das genauso bewerten, wie euer Leben. Wenn ihr euch eurer Aufgabe zu unserer Zufriedenheit annehmt, dann bekommt ihr eure übernatürlichen Kräfte zurück, sowie weitere Kräfte die euch von Nutzen sein werden.“ Schuldig seufzte theatralisch gequält. Wie sollte er es nur ohne seine Fähigkeit aushalten? Er stöberte doch so gerne in anderer Leute Gedanken herum. Andererseits hatte das durchaus den Vorteil, dass er so mal wieder seine eigenen Gedanken mit Leichtigkeit von denen der anderen auseinanderhalten konnte, was ihm sonst meistens recht schwer fiel. „Also heißt es: Ohne Fleiß kein Preis. Bezahlung nach Leistung“, stellte Brad trocken fest. „Genau so ist.“ „Und wenn unsere Aufgabe hinlänglich erfüllt ist, werden wir Gott wieder nah sein?“, fragte Farfarello leise. Er hatte sich die ganze Zeit über still verhalten und den anderen zugehört. Der Weg war für ihn nebensächlich, einzig das Ziel war entscheidend: Gott so nah wie möglich zu sein, um sie wirkungsvoll strafen zu können. „Ja, das ist ebenfalls korrekt“, stimmte Michael abermals zu. „Das hat das jüngste Gericht euch ja bereits erklärt, soweit ich weiß. Wir werden später über euch beratschlagen und wenn eure Sünden abgegolten sind, dann entrinnt ihr der Hölle und dem Fegefeuer.“ „Wenn das so ist, sollten wir keine Zeit vertrödeln und mit unserer Arbeit anfangen, wir haben einen Auftrag“, sagte Farfarello sachlich. Dieser Engel redete für seinen Geschmack viel zu viel. Je länger sie hier herumstanden und redeten, umso länger würde es dauern, Gott wieder strafen zu können. Nagi hielt sich einfach aus dem ganzen Gespräch heraus und machte den Eindruck, ein wenig geistesabwesend zu sein. Er machte sich Gedanken darüber, für wen sie Schutzengel spielen sollten. Aber bei den vielen Menschen konnte das jeder sein, jemand den sie kannten oder jemand völlig fremdes. Letzteres wäre ihm vielleicht sogar noch etwas lieber gewesen. „Also gut, da ihr es so eilig habt, schicke ich euch jetzt zur Erde, damit ...“ Weiter kam der Erzengel nicht, denn Schuldig unterbrach ihn schon wieder. „He! Moment mal! Nicht so voreilig. Wir sind doch jetzt Engel. Wo sind unsere Flügel? Ich will Flügel haben. Die brauchen Engel schließlich auch zum Fliegen und so ein Zeug.“ Michael zog eine Augenbraue hoch. „Fliegen? Ihr könnt bis zu einem gewissen Grad schweben, fliegen noch nicht. Und was die Flügel angeht: Ihr kriegt keine, die müsst ihr euch verdienen.“ Bevor Schuldig auch nur die geringste Gelegenheit bekam, zu widersprechen, brachte Michael sie auf die Erde zurück. Die vier fanden sich in einem schlicht eingerichteten Wohnzimmer wieder. „Hey! Was denkt der sich eigentlich? Ich war noch lange nicht fertig!“, protestierte der Deutsche lautstark, hören konnten Sterbliche ihn ja angeblich nicht, also war es egal. Brad war es allerdings nicht so egal und er warf seinem Kollegen einen bösen Blick zu. „Der denkt sich, dass er ein alter, mächtiger Erzengel ist und dich mit einem Fingerschnippen vollkommen vernichten könnte, wenn er wollte. Also versuch mal dich ein kleines bisschen zurück zu halten, ansonsten mach ich das.“ Farfarello kicherte leise. Sie verhielten sich doch immer noch genau so, wie zu Lebzeiten. Hatten sie es denn immer noch nicht verstanden? Sie waren jetzt höhere Wesen ... Der Jüngste von ihnen rollte nur wieder einmal auf seine altbekannte Art und Weise leicht genervt mit den Augen. „Lasst uns lieber herausfinden, für wen wir jetzt rund um die Uhr Babysitten müssen. Wir sollten unseren Job so schnell und so gut wie Möglich erledigen, wenn ihr mich fragt. Das effektivste Input-Output-Verhältnis, so wie immer eben.“ „Chibi, du redest schon wie Brad.“ „Immerhin zeigt das, dass er lernfähig ist. Ganz im Gegensatz zu einigen anderen Personen in diesem Raum“, warf Brad gewohnt trocken ein und rückte seine Brille zurecht. „Genau. Und nenn' mich nicht andauernd Chibi!“ „Vielleicht solltet ihr mit der Streiterei aufhören, das bringt doch sowieso nichts“, bemerkte Farfarello gleichgültig. „Wir sollten mal sehen, wo und bei wem wir hier gelandet sind.“ Dass der Ire Recht hatte, mussten sie wohl alle, sogar Schuldig, eingestehen. Schweigend machten sie sich daran, zunächst ihre Umgebung eingehend zu begutachten. Ein Wohnzimmerschrank mit einer kleinen Vitrine an der einen Wand, in der Mitte ein kleiner Couchtisch mit einer bequem aussehenden Polstergarnitur darum, an der gegenüberliegenden Wand ein Fernsehtisch mit entsprechenden Geräten, daneben ein kleiner Schrank mit verschiedenen Videos und DVDs, an einer weiteren Wand ein großes Fenster und gegenüber dem Fenster die Zimmertür. Soweit überhaupt nichts Außergewöhnliches an diesem Wohnzimmer. Und wie es aussah, waren sie sogar wieder in Japan gelandet. Auf dem Wohnzimmertisch lag eine aufgeschlagene Fernsehzeitung und sie verriet sogar, welcher Tag gerade war. Schuldig seufzte, als er das Datum sah. „Na wirklich Klasse, schon Freitag. Das heißt ich habe gestern meine Lieblingssendung verpasst.“ „Was hast du denn jetzt schon wieder für Probleme?“, fragte Brad, der erst jetzt die Zeitung sah. Er nahm sie näher in Augenschein und stutzte. „Was? Mitte Oktober? Das kann doch nicht sein. Das hieße doch ...“ „... das seit unserer letzten Mission mit unserem kleinen Unfall, fast zwei Monate vergangen sind“, ergänzte der junge Telekinet, der sich mittlerweile dazu gesellt hatte. „Das ist doch unmöglich. Wir waren doch gar nicht so lange ... äh tot“, warf der Deutsche kopfschüttelnd ein. Farfarello teilte seine Meinung dazu ebenfalls mit. „Scheinbar vergeht im Jenseits die Zeit ganz anders, als auf der Erde, im Reich der Lebenden. So etwas wie Zeitgefühl scheinen wir auch nicht mehr zu haben. Außerdem ist es doch vollkommen egal, oder? Wir haben was zu erledigen.“ Beinahe erschreckend, dass er immer Recht haben muss, dachte Schuldig und wandte sich ab. Irgendwie kam ihm das alles sehr bekannt vor, nur konnte er es nicht richtig einordnen. Darum beschloss er, sich noch etwas um zu sehen, vielleicht fiel es ihm dann wieder ein. Einige Sonnenstrahlen fielen durch das Wohnzimmerfenster, bahnten sich ihren Weg durch die weißen Gardinen und reflektierten ihr helles Licht auf einem Gegenstand auf dem Fernseher. Nagi bemerkte den flüchtigen Lichtreflex nur aus dem Augenwinkel, trotzdem erregte das jedoch seine Aufmerksamkeit, so dass er sich umdrehte und zum Fernseher ging. Darauf entdeckte er ein kleines Foto mit einem silbernen, schmucklosen Rahmen. Der Junge trat näher und brachte sein Gesicht nah davor, um es eingehend zu betrachten. Einerseits war er über den Anblick überrascht, der sich ihm darbot, andererseits allerdings auch nicht. Es erschien ihm im Moment irgendwie logisch und nachvollziehbar, es ergab Sinn. Das nannte man wohl ausgleichende Gerechtigkeit. „Jungs? Ich glaube ich weiß, wer unsere Schützlinge sind.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)