Vom Wolf und der Schlange von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 6: Rückzug ------------------ Remus hätte nie gedacht, dass er noch einsamer werden könnte. Er war kein Gesellschaftsmensch, eher das Gegenteil. Er hatte Sirius und James und Peter, aber es war schon etwas besonderes, sich mit diesen Leuten zu umgeben. Severus hätte nie gedacht, dass Remus noch zurückgezogener werden könnte. Nun ja, er war ja selbst nicht die ultimative Stimmungskanone. Aber er hatte gehofft.. na ja, eher gedacht, dass nach dieser ganzen Rettungskiste und so, Remus vielleicht ein wenig aufgetaut sei. Er hatte persönlich ja nichts gegen Remus. Sirius war ein Arsch, und James eigentlich auch, und Peter war ein feiger Mitläufer, aber Remus... schien ja auch nicht so schlecht zu sein. Naja, er hatte sich für Severus vor die Peitschende Weide geworfen. Severus deutete das einfach mal als Freundschaftsangebot. Er hatte ja nicht besonders viele Freunde. Seine unheimlich große Auswahl beschränkte sich eigentlich auf Lucius Malfoy. Und der war - das musste selbst Severus eingestehen - ein recht einseitiger Gesprächspartner. Es war also eher, als hätten sie die Rollen vertauscht - Severus übernahm die größten Redeanteile, und Remus schwieg vor sich hin. Aber er lächelte. Das war ein Fortschritt. Und langsam begannen ihre Gespräche über das leidige Thema Zaubertränke hinauszugehen. Sie fingen damit an, über den letzten Aufsatz in Verteidigung gegen die dunklen Künste zu debattieren. Dann tauschten sie sich über die Lehrer allgemein aus und schließlich weiteten sie ihre Gespräche auf Gott und die Welt aus. "Sag mal, Remy," meinte James beiläufig, während er seine Sachen beiseite räumte. "Lernt ihr den Stoff für die Prüfungen schon vor? Ihr lernt jetzt schon so lange zusammen und das immer noch bis in die Nacht. Ihr müsste ja Berge von Arbeit haben." Sirius sah ein wenig auf bei James' Worten und musterte Remus aus den Augenwinkeln. Er konnte sehen, dass Remus nicht die Wahrheit sagte. Er konnte sehen, dass Remus überhaupt nichts mehr über sich sagte, erst recht nicht zu ihm. "Wir sind halt langsam." erwiderte Remus, zuckte die Schultern und wandte sich zum Schlafraum. "Ich geh' schlafen." meinte er nur leise und verschwand die Treppen hinauf. Es war kurz still, keiner sagte etwas, bevor Sirius sich stumm erhob und Remus hinterher ging. Sirius zog die Tür hinter sich zu und lehnte sich gegen den Türrahmen. "Was ist jetzt aus unseren Nächten auf dem Astronomieturm geworden?" Remus drehte sich nicht herum auf seinem Bett, sondern murmelte nur etwas. "Ich bin ein Idiot, Remy, oder?" er löste sich vom Türrahmen und ging langsam auf Remus' Bett zu. "...bist du böse auf mich?" fragte Remus dann leise, als er spürte, dass sich das Bett unter Sirius' Gewicht leicht nach unten wölbte. "Ich? Nein..." meinte Sirius erstaunt. "Ich dachte, du wärst vielleicht böse auf mich..." Remus drehte sich jetzt herum und sah Sirius nachdenklich an. "Was ist aus unseren Nächten geworden, Rem?" fragte Sirius stattdessen noch mal nach und strich Remus eine Strähne seines braunen Haares aus der Stirn. "Ich bin müde, Siri..." Sirius ließ sich auf die Matratze sinken und legte seinen Arm locker um Remus' Hüfte. Er vergrub seine Nase in Remus' Nacken wie schon oft zuvor und Remus schloss die Augen. Es fühlte sich seltsam tröstend an und es ließ ihn irgendwie besser schlafen, nicht mehr allein zu sein. "Morgen, ja?" fragte Sirius leise und Remus bewegte sich kein Stück. "Morgen gehen wir wieder auf den Astronomieturm." Remus hatte nie verstanden, was ihm so wichtig war, daran. Aber er war schläfrig und verwirrt und allein, und deshalb nickte er leicht. "Ja." raunte er leise, bevor er langsam in eine seltsame Traumwelt abglitt. Severus hatte den Eindruck, Remus hatte genug davon, mit ihm zu lernen. Er musste zwangsläufig dieses Gefühl haben, denn die Abende, die er mit Remus verbrachte, wurden deutlich weniger. Er hatte so mehr Zeit, die er mit Lucius verbringen konnte und dessen Runde von Slytherins, äußerst unsympathischen Gesichter wie McNair, der nie ein Wort sagte, aber dafür umso kräftiger zuschlug. Oder aber Crabbe und Goyle, diese dummen Schränke, die nichts Besseres zu tun hatten als Lucius' Haut zu retten. Er fragte sich, seit wann er so abwertend über die beiden dachte. Wahrscheinlich war er durch Remus' Anwesenheit zu sehr verwöhnt. Remus konnte lesen und sich intelligent unterhalten und Fremdwörter benutzen, bei deren Aussprache sich Crabbe und Goyle wahrscheinlich die Zunge verknoten würden. Er las im Tagespropheten mehr als das Horoskop und den Wetterbericht. Er schrieb kleine, altkluge Bemerkungen (meistens über Calamite) an den Rand seiner Aufsätze, die Severus immer zum schmunzeln brachten. Er konnte sich über andere Themen unterhalten als die Weltherrschaft. Severus stellte mit einem schwer unterdrückbaren Seufzen fest, dass er jetzt lieber bei Remus gewesen wäre. Das war natürlich ein unmöglicher Gedanke, und Severus stahl einen Seitenblick zu Lucius. Dieser sah ihn in genau diesem Augenblick ein und Severus erstarrte. Es war ein bisschen, als hätte Lucius seine Gedanken gelesen. Der Blick aus den graublauen Augen war vernichtend kalt und ein eindeutige Warnung: Es gab Zauberer, mit denen man sich lieber nicht einließ. Severus schluckte und wandte den Blick ab. Er konnte diesem Blick nicht standhalten. Das hatte er nie gekonnt. Deswegen lief er ja dauernd hinter Lucius her, deshalb hielt er den Blick gesenkt und schien dauernd auf seine Füße zu starren. Er konnte diesen Blick nicht ertragen, er war einfach nicht stark genug, diesem Blick standzuhalten. Er war eben ein Feigling. Er hatte ja auch Sirius nie etwas entgegensetzen können. Vielleicht hatte Remus das erkannt. Aber warum sollte es Remus interessieren, ob er ein Feigling war? Du bist ein Feigling, Remus Lupin, schalt er sich selbst, als er wieder gesenkten Kopfes an Severus vorbeiging. Sirius scherzte und lachte und versprühte Tonnen seines Charmes, doch er hörte ihm nicht richtig zu. Als der Mantel von Lucius Malfoy, wehend wie immer, den Blick freigab auf Severus sah er sich einem ebenso fragenden Blick konfrontiert wie wohl sein eigener war. Eine unangenehme Hitze ergoss sich über seine Wangen und er war sich sicher, furchtbar rot zu werden. Deshalb wandte er den Blick so schnell er konnte ab und fühlte sich noch schlechter als vorher. Aber er wusste, dass es da etwas gab, das man in seinen Augen lesen konnte. Und es gab nichts, was er dringlicher vermeiden wollte. Und es war ein so schlimmes Gefühl: Zu wissen, dass er Severus erzählen könnte, was in ihm vorging, und dass Severus es verstehen würde. Und dennoch nicht in der Lage zu sein, sich ihm zuzuwenden und mit ihm zu reden. Er verfluchte Veränderungen, manchmal. Er verfluchte diese beiden Häuser. ,Die Pest über eure beiden Häuser!' dachte er bitter. Es war schon erstaunlich, wie sein eigenes Leben zu einer abstoßenden, schlechten Karikatur dieses wunderschönen Werkes der Literatur geworden war. Muggelliteratur. Davon wusste Severus sicher nichts. Und Severus würde es auch nicht verstehen. Er würde nicht verstehen, dass Remus nicht mehr essen konnte, weil sich ein schmerzhaftes Ziehen in seiner Magengegend breit gemacht hatte, und er würde nicht verstehen, dass er nicht schlafen konnte, weil er Angst vor seinen Träumen hatte. Und er würde nicht verstehen, dass Remus auch nicht wach bleiben konnte, weil die Nacht die Zeit des Wolfes war, der darauf wartete, den vollen Mond anheulen zu können und sich in seinem Licht zu baden. Er würde es nicht verstehen, er würde nichts verstehen. Und als Sirius ihm die Hand auf die Schulter legte und ihn ein wenig rüttelte, beschloss Remus, Severus deshalb auch nichts zu erzählen. Gar nichts. 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