Black Hole Sun von Dels ================================================================================ Kapitel 6: [ Down so long ] --------------------------- Der Weg führt scheinbar durch den ganzen Wald, aber noch immer keine Zeichen von sonstiger Zivilisation, nur eine schwarze, geteerte Strasse die eher wie ein Überbleibsel aus vergangenen Hochkulturen wirkt. Wie haben sie die Maschinen und Walzen, den ganzen Teer nur hierher gebracht? Ohne bemerkt zu werden - wenn das Labor wirklich so gemein sein soll, wie Elena gesagt hat. Meine Skepsis der Sache gegenüber bleibt, irgendwas an der Geschichte stimmt nicht und ich hoffe noch immer, dass irgendwann ein Kamerateam auf die Strasse hopst und schreit "Verstehen Sie Spass?" Natürlich warte ich vergeblich, dafür kommt etwas anderes in Sicht. Die Strasse ist zuende. Hört einfach auf, mitten in der Pampa. Kein Gebäude, nichts, der Weg dahinter geht noch ein paar Meter weiter und verläuft sich, der Wald beginnt. "Elena..?" Sie sieht dasselbe wie ich, scheint aber nicht annähernd so confused wie ich. "Elena, du siehst, dass der Weg zuende ist?" Der Wagen wird langsamer, rollt aus und kommt schliesslich kuz vor dem Fahrbahnende zum Stehen. Ein Blick in den Spiegel, der Wagen hinter uns macht plötzlich eine Kurve, verlässt den Weg und "parkt" anscheinend zwischen zwei Bäumen. Und tatsächlich. Im Scheinwerferlicht kann ich noch weiteres Metall im Dickicht aufblitzen sehen. Zugegeben, ich hätte sie nicht bemerkt, aber bei Tag mussten sie selbst dort gesehen werden. Was zum Kuckuck ist hier los, ich bin nicht so blöd, wie ich vielleicht aussehe! Aber jetzt hab ich plötzlich ganz andere Sorgen, als ein grosser Kerl von dem geparkten Auto zu uns herüberkommt. Das musste ja so kommen! Elena wirkt angespannt und beobachtet den Typ bei jedem Schritt, ihre Hand hält schon die Waffe umklammert. "Was sollen wir ihm sagen? zische ich leise und sehe ihm ebenso nervös beim Näherkommen zu. "Überlass das mir.. wenn wir Glück haben, bringt er und sogar freiwillig ins Labor!" flüstert sie und macht sich bereit, die Scheibe herunterzukurbeln. Der Typ ist ein grober Klotz von einem Mann, ich glaube, dieses Kinn lässt sogar Michael Schuhmacher alt aussehen. Und den Body könnte er von Schwarzenegger persönlich geklaut haben... Ich weiss nicht wieso, aber ich habe das Gefühl in seiner Nähe wäre das Gewicht einer Pistole in der Hand wohl doch nicht so furchtbar.. Er sagt etwas auf Russisch und Elena kurbelt die Scheibe herunter. Und dann beginnen sie zu reden. Ich habe keine Ahnung worüber aber es hört sich nicht wie ein Streitgespräch an, was mich sehr beruhigt. Elena hat die Pistole noch immer in ihrer Hand, aber die Finger scheinen entspannter als vorher. Was zum Teufel erzählt sie ihm da? Er grinst jetzt sogar freundlich und zeigt eine Reihe in der Dunkelheit ungewöhnlich heller Zähne und geht einen Schritt zurück. "Alles klar!" flüstert Elena und ich kann sie Ausatmen hören. "Ich hab ihm erzählt, ich sei deine neue Freundin. Dein Gesicht kennt er, er sollte dich hierher abholen." Nickend grabbe ich nach dem Koffer. "Und das hat er geschluckt? Nicht, dass wir nachher in Schwierigkeiten geraten!" Elena grinst. "Schwierigkeiten werden wir glaube ich frühstens haben, wenn Sladis bemerkt, was wir wirklich vorhaben! Noch weiss er nicht, dass wir nicht wegen diesem Zeug hier hergekommen sind!" Sie tippt auf den Koffer und steckt in derselben Bewegung die Pistole in den Hosenbund und lässt ihre Weste darüberhängen. Wieder mal muss ich ihre berechnende Art bewundern - und natürlich ihre Erklärung bezweifeln, dass dies ihr erster "Auftrag" sei. Sie ist schon viel zu professionell. Und abgestumpft. Immer noch argwöhnisch steige ich aus, es nieselt hier nur leicht, um uns herum ist vor Dunkelheit fast nichts zu erkennen ausser raschelnde Bäume und dem schwarzen Weg, der wie eine kerzengerade Schnur durch den Wald zieht. Vor uns jedoch Wald. Der Typ beobachtet uns aus Distanz, scheint auf uns zu warten. "Folgt mirr!" Seine tiefe, dunkle Stimme passt zu seinem Aussehen und mir schaudert es. Ich mit dem Koffer, Elena mit ihrer Tasche stapfen wir also diesem Riesen hinterher, der geradewegs in den Wald hineingeht. Der Boden ist aufgeweicht und matschig, meine schönen Schuhe kann ich nach der Aktion ohne weitere Umwege sofort in den Restmüll verfrachten. Zum Glück dauert der Marsch nicht lang, hätte mich auch gewundert. Der Russe bleibt stehen und wartet, bis wir aufgeholt haben, dann geht er auf eine Nadelbaumgrupe zu und biegt einen Ast zur Seite. Neugierig versuche ich hineinzuspähen, aber im Inneren ist es viel zu dunkel. Elena geht zögernd vor und passt tatsächlich auch auf, bei ihrem Vordringen in den Baum, mit keine Zweige ins Gesicht schnalzen zu lassen. Zwischen den Bäumen ist ein kleiner, lichter Platz, vielleicht 2x2 Meter gross, wo wir stehenbleiben. Der Russe geht ohne zu Zögern in die Knie, fuschelt am Boden herum und gleich darauf kommt ein schwarzes Loch zum Vorschein. Der Anblick jagt mit kalte Schauer über den Rücken. "Da runter??" frage ich entgeistert, das Loch ist gerade mal so gross wie ein Kanalschacht und mindestens genauso dreckig! "Na mach schon.." knurrt Elena und tritt mir gegen die Sohlen. Doofe Ziege. Das ist so ekelhaft! Widerstrebend lass ich mich auf den Boden und tauch mit einem Fuss in die Dunkelheit, schon felsenfest sicher, dass gleich etwas dran ziehen wird, aber nichts. Mein Fuss tastet eine Stufe und vorsichtig kletter ich weiter nach unten, was mit einem Aktenkoffer in der Hand garnicht so einfach ist. Und wenn die Nacht draussen schon schwarz war, so ist es jetzt Dunkelschwarz hier unten. Ich kann rein garnichts mehr sehen ausser dem hellen Loch weiter oben, das jetzt noch von Elena verdeckt wird, die hinter mir die Stufen hinunterklettert. Keine Ahnung, wie tief dieses Loch ist. Allerdings hab ich auch nicht Lust, einfach loszulassen und es herauszufinden. Ich schätze mal, es waren etwa zehn, zwölf Meter, die wir in die Tiefe hinuntergestiegen sind. Alles immer noch pechschwarz, ich will garnicht wissen, in wieviele Spinnen, Ratten, Kakerlaken und sonstigem Viechzeugs ich reingelangt hab, vielleicht ist es doch Glück, dass ich hier nichts sehen kann. Irgendwann berühren meine Füsse dann doch den Boden und das Geräusch, das zurückgeworfen wird sagt mir, dass das Loch in einer grösseren Höhle gemündet hat. Angewidert wische ich meine Handflächen an der Jacke ab und nehme mir vor, nachher einfach nicht draufzugucken. Währenddessen sind Elena und der Russe auch hier unten angekommen und das plötzliche Licht blendet mich, obwohl es nur schwach gelblich ist und über uns etwas flackernd an der Decke baumelt. Erstaunt sehe ich mich um - eine fast leere Halle, die Wände schätzungsweise aus Beton wie auch die Decke und der Boden. Die Decke ist niedrig, der Russe kann gerade mal so stehen ohne den Kopf einziehen zu müssen. Ohne es zu bemerken, bin ich vorhin von den Stufen herein durch eine Tür gelaufen, die ebenfalls aus Beton und über zehn Zentimeter dick sein muss. Das erste was mir hierzu einfällt - wir sind in einem Luftschutzbunker. Ein paar alte Holzkisten stapeln sich im hinteren Teil des Raums und auf der gegenüberliegenden Seite ist eine Tür, auf die unser Begleiter gerade zusteuert. Und ab hier ist alles wie in einem Science-Fiction-Roman. Die Tür geht auf und grelles Licht empfängt uns mit mehreren Leuchtstoffröhren, weisse Wände, frisch gestrichen, weisse Decke, Linoleumboden. Eine weitere Tür und ich fühle mich wie in einem Krankenhaus. Ewig lange Gänge mit unzähligen Türen, Schwingtüren mit Glasfenstern hinter denen neuen Gänge abzweigen. Es ist kühl aber im Gegensatz zu draussen auf jeden Fall beheizt, Wandtafeln mit Russischen Buchstaben und einem Gewirr aus Zahlen und Pfeilen sollen wohl Auskunft über Abteilungen geben, aber unseren Führer lassen sie kalt, er geht gewissenhaft voraus. Scheinbar weiss er, wo wir hinmüssen. Das ist also das Labor. Zehn Meter unter einem Wald in einer verlassenen Gegend - eigentlich perfekt. Aber genauso blöd, denn an einem solchen Ort würde man doch wohl am ehesten ein Geheimlabor vermuten. Zumindest, wenn man schon einmal im Leben einen James Bond gesehen hat. Ich werfe Elena einen vielsagenden Blick zu, aber sie scheint ziemlich aufgeregt zu sein, sie ist nämlich auffallend still. Vielleicht sollte ich demnächst auch ein mulmiges Gefühl bekommen. Aber irgendwie fühle ich mich nicht sonderlich bedroht... es ist eher, als hätte hier die Aufregung ein Ende gefunden.. Vielleicht fühlt man sich in der Tat in einem vertrauten Gemäuer wohler als irgendwo nachts in der Wildnis. Oder aber.. ~*~ "Was soll das heissen, er ist weg?! Er kann nicht weg sein, verflucht!! Sucht ihn gefälligst, er kann hier nicht raus!" bellt der Mann im weissen Kittel eine Schar Männer an, die schuldbewusst zusammenzucken. "Er lässt sich nicht aufspüren, Sir.. Er.. ist wahrscheinlich hinter den Wänden.." kommt es unsicher aus dem Knäuel und der Doc dreht den Kopf zum Sprecher. "Hinter den Wänden? Wie zum Teufel soll er da hin gekommen sein?! Aber gut - dann sucht ihn dort weiter, mir egal, wie ihr das anstellt! Und denkt daran - Six darf nichts passieren!" Er deutet auf einen Bildschirm neben sich. "Besonders hier! Er wird irgendwie versuchen, seinen Bruder zu befreien, also wird er früher oder später dort auftauchen. Aber je früher desto besser, einen weiteren Unfall können wir uns nicht leisten!" Die Männer rumoren und verschwinden aus dem Zimmer. Der Doc glättet sich nervös die Haare und tippt auf den Bildschirm. Ein Bild springt auf die Mattscheibe und zeigt ein Zimmer mit mattem, violetten Licht. Ein einzelnes Bett steht darin, eine jugendliche Gestalt mit weissem Haar sitzt darauf und starrt in die Leere. "Wenigstens bist du geblieben. Nicht auszudenken... Aber keine Angst, wir finden deinen Bruder schnell wieder." *** 'Kannst du mich hören?' Der Kopf nickt leicht. 'Sieh nicht hin. Ich bin hinter dir. In der Wand. Lass uns weglaufen!' Keine Antwort. 'Seven! Bitte!!' Der Junge schüttelt den Kopf. 'Ich werde ihnen sagen, dass du hier bist. Sie suchen dich. Wieso läufst du weg?' Verzweifelt lehnt er sich gegen die Wand. 'Verrate mich nicht! Bitte Seven, du musst mitkommen, ich kann dich hier nicht alleine zurücklassen! Du hast gesehen, was sie mit ihr gemacht haben! Ich will das nicht!' Die Stimme schwillt zornig in seinem Kopf. 'Ja.. das wäre nicht passiert, wenn du sie nicht überredet hättest, dir zu helfen! Ausbrechen wolltest du und hast sie ausgenutzt um zu fliehen und deshalb musste sie sterben!' Der Junge hinter der Wand stockt und starrt gegen den kalten Beton. 'Nein.. das ist nicht wahr! Ich wollte, dass wir alle von hier fliehen! Warum bist du nicht mitgekommen, wir könnten frei sein!' Der Junge auf dem Bett verzieht die Lippen zu einem dünnen Lächeln. 'Wir sind niemals frei, Six. Wir sind zu gefährlich.. Komm wieder, hier sind wir sicher. Ich vermisse dich, Bruder..' Six beisst sich auf die Lippen. 'Ich vermisse dich auch.. deshalb bin ich hier - um dich mitzunehmen! Du darfst nicht hierbleiben, sie nutzen dich aus! Ich habe gehört, was sie vorhaben, sie machen Puppen aus uns und..' Seven fällt ihm ins Wort. 'Wir sind von je her Puppen, Six.' sagt er sanft. 'Sie haben uns gemacht und können machen mit uns, was ihnen beliebt.' Six bebt vor Zorn. 'Mit mir nicht! Ich werde das nicht mitmachen!' Seven blickte an die Decke. 'Dann geh' flüstert er leise in Gedanken. 'Ich wünsche dir viel Glück.' Unbewegt verharrt der Junge hinter der Wand und sieht auf seine aufgerissenen Hände. 'Nicht ohne dich.. du bist der Einzige, den ich noch habe..' Seven lächelt. 'Dann komm zurück.' Six nickt. 'Irgendwann. Irgendwann komme ich zurück und hole dich hier raus.. ob du willst oder nicht!' Six dreht sich in dem engen Zwischenraum und tastet sich zurück, der Gang wird breiter und er beginnt wieder zu laufen. *** Steinbeck. Da vorn steht er in voller Grösse und redet eifrig mit einem Typen im weissen Kittel. Ich bin erleichtert ihn zu sehen, Steinbeck ist in diesem Moment wohl die angenehmste Überraschung für mich, ein ruhender Pol, der wieder etwas Normalität in dieses ganze Chaos zu bringen vermag. "Professor!" Steinbeck dreht sich um und blickt mich sonderbar an - oder ist es eher Elena, die er anstarrt wie einen Geist? Ein Blick auf Elena und die Situation wird schon wieder grotesk, denn sie grinst. "So sehen wir uns wieder, Professor.." Steinbeck dreht sich vollends zu uns um und sein Gesicht wird rot. "Sie!! Ich wusste doch, dass ich Sie kannte! Ihr Vater hat mir alles über Sie erzählt!" Ich habe Steinbeck noch nie so zornig gesehen, er sieht aus, als wollte er jeden Moment auf Elena losgehen. Ich verstehe wie immer überhaupt nichts, woher kennen sie sich und was hat Steinbeck über Elena erfahren? "Das ist bedauerlich!" erklärt sie kühl und entsichert ihre Pistole, die sie aus dem Hosenbund gezaubert hat. Augenblicklich wird mir furchtbar heiss und ich starre sie entgeistert an. "W-Was soll das?! Du willst ihn doch nicht etwa..!?" Elena fuchtelt mit dem Lauf in die Richtung des Professors, der kalkweiss zur Seite weicht. "Wenn er tut, was man ihm sagt, dann sehe ich keinen Grund, ihm wehzutun!" zischt sie und hält nun auch den Russen in Schach, der uns hergeführt hat. Der ist mindestens genauso überrumpelt und sieht abwechselnd verdattert Elena und die Pistole an. "Vorwärts!" befiehlt sie und der Ton ihrer Stimme lässt mit die Arterien vereisen. "Zu den Kindern - und wer auch nur einen Mucks macht, hat eine Kugel in den Schulterblättern!" So war das gewiss nicht geplant. Ich bin total von der Rolle, mal davon abgesehen, dass ich schon garnichts mehr verstehe. Elena bedroht den Professor, der sie anscheinend schon einmal kennengelernt hat und furchtbar wütend auf sie ist und Elena tut so, als wäre ich Luft. Was mir relativ recht ist, nicht, dass ich Angst hätte, dass sie aus Lust und Laune auch mal die Pistole auf mich richten könnte. Aber Elena ist wie ausgewechselt, nicht mehr die toughe Süsse, die man anflirten kann, sondern so ne TombRaider-Braut und auf sowas steh ich nun wirklich nicht. So folge ich Elena still und stumm mit dem Koffer und hoffe, dass das alles bald vorbei ist... denn jetzt kommt sogar noch Geiselnahme dazu. "Das ist Wahnsinn, was Sie vorhaben!" zetert Steinbeck, erntet aber kein bisschen Beachtung von Elena. "Sie sind grössenwahnsinnig, Sie können sie niemals kontrollieren!" Elena zischt drohend und Steinbeck wird still, führt sie weiter durch die Gänge. "Sladis wird das niemals zulassen.. ihr habt keine Chance hier rauszukommen!" fängt er schonwieder an und wirft einen Blick nach hinten. "Und Sie, Herr Richter! Ich hätte niemals vermutet, dass ausgerechnet Sie mich verraten!" Blinzelnd starre ich auf seinen Hinterkopf und im ersten Augenblick fehlen mir die Worte. Verraten? Ich? Ich mache gar-nichts! Nun gut, ich habe Elena geholfen herzukommen, aber das hätte sie zweifelsohne auch ohne meine Hilfe geschafft. Und ausserdem, was heisst denn hier verraten, Steinbeck konnte ja nicht wirklich vorhaben, Sladis bei seinen verrückten Plänen zu unterstützen - das wäre mal eine interessante Variante von Verrat an der Menschheit selbst. So gesehen sollte Steinbeck froh sein, dass Elena ihm einen Strich durch die Rechnung macht. Steinbeck öffnet eine Tür und eine Art Kontrollraum liegt dahinter, verschiedene Monitore sind in die Wand eingelassen, an den Schalttafeln blinken oder leuchten irgendwelche Lampen und winzige Dioden. Einige Platten der Wand sind herausgenommen und dahinter spriesen Unmengen von Kabeln und technisches Krimskrams hervor. Wie in diesem einen Film, ich kann mich noch gut erinnern, war das nicht ein Raumschiff, aus dessen Wänden tausend Schläuche und Kabel gequollen sind? Während ich mir noch Gedanken mache (kurios, wenn man bedenkt, in welcher Situation wir uns gerade befinden, ich weiss!), tritt Elena weiter in den Raum und sucht mit den Augen die Monitore ab. "Da ist es!" ruft sie plötzlich aufgeregt und starrt auf einen Bildschirm, der in einem rötlichen Licht ein Zimmer zeigt, lediglich mit einem Bett und einem Nachttisch ausgestattet. Und einem jungen Mädchen mit langen, hellen Haaren, das auf der Matratze sitzt. Neugierig werfe ich einen genaueren Blick auf den Monitor, aber das Kind bleibt unbewegt. Und DAS soll ein Mutant sein? So ein kleines, zerbrechliches Ding? "Wo sind die anderen?" keift Elena so dicht neben mir, dass ich erschrocken zusammenzucke. Solche Umgangsformen bin ich nun wirklich nicht gewohnt und Steinbeck ebenso, deshalb ist er im ersten Moment mehr entrüstet als eingeschüchtert. "Die anderen sind weg, Elena.." nässelt es von der Seite und ich erkenne diese quietschige, nervige Stimme. Es ist Sladis. Na bravo, das wird wohl jetzt ein Theater geben. Furie gegen Killerwiesel. Und sofort zuckt ihre Waffe in Sladis' Richtung. Wenn ich ganz ehrlich bin, macht mir diese Geste nicht sehr viel aus, ganz im Gegenteil. "Was heisst weg, wo sind die anderen beiden!" verlangt Elena und hält die Pistole noch immer im Anschlag. Aber seltsamerweise ist Sladis überhaupt nicht der Prototyp des bedrohten Opfers. Anstatt erschrocken die Hände zu heben - lächelt dieses Wiesel auf seine glitschige Art und Weise und schüttelt bedauernd den Kopf. "Elena, Elena.. du hast dich nicht verändert. Zugegeben, ich hätte nicht gedacht, dass du wirklich deine Waffen gegen mich richten würdest. Verhält sich so eine brave Tochter?" Tochter? TOCHTER? Man stelle sich lebhaft vor, wie mir in diesem Augenblick die Kinnlade runterfällt. Elena ist Sladis' Tochter? Wieso das denn? Was macht sie da nur? Entgeistert starre ich dieses unheimliche Weibstück an, das mich so hinters Licht geführt hat. Elena lächelt schief und wirft mir nur kurz ein entschuldigendes Grinsen zu. Dann ist sie wieder bei ihrem Vater und das Lächeln gefriert. "Pah. Brave Tochter! Versuch du lieber, ein gutes Vorbild als Vater abzugeben und sag endlich, wo die restlichen zwei Kinder abgeblieben sind! Du kennst mich und weißt, dass ich keine leeren Drohungen von mir gebe!" Sladis seufzt und deutet auf Steinbeck. "Dann lass ihn los. Anschliessend sage ich dir, was mit den anderen beiden los ist!" Aber Elena schüttelt nur den Kopf. "So läuft das nicht! Raus mit der Sprache oder..!" Ein Knistern erschallt plötzlich so laut über uns aus einem Lautsprecher, dass alle gleichermaßen zusammenzucken. Eine Stimme wie aus Blech ertönt und faselt etwas von irgendwelchen Sektoren die Spuren von Antimarith enhalten, die jetzt geprüft werden sollen. Das wird ja immer konfuser! Antimarith ist eine Form der Null-Materie, die so selten auftritt, dass sie die Wissenschaft um so mehr interessiert. In den Vorträgen während meinem Garutristik-Studium habe ich einiges darüber erfahren, obwohl dieser Zustand weitgehend unerforscht ist, da er erst vor wenigen Jahren entdeckt worden ist. Hier soll es Antimarith geben?! Eine Neutronenverkettung, die so dicht geballt ist, dass sie fast nur aus purer Energie zu bestehen scheint. Nun, entweder mein Professor hat sich gründlichst verplappert, als er sagte, dass Antimarith auf der Erde nur im Erdkern und in seltenen Fällen tief unter Ozeanen ausgemacht werden kann - oder hier steht mir eine Sensation vor Augen! Aber weder Steinbeck noch Sladis schockiert diese Meldung grossartig, sie scheinen lediglich noch nervöser geworden zu sein. Wieder einmal kann ich nicht leugnen, dass ich mir vorkomme wie der letzte Trottel. Alle scheinen Bescheid zu wissen, ausser ich. Elena ist unbeeindruckt und hält die Waffe weiter auf ihren Vater gerichtet. "Was soll das?" ruft sie aufgebracht, aber jetzt kann ich doch einen Hauch Unsicherheit in ihrer Stimme heraushören. Sladis zuckt mit den Schultern und seufzt genervt. "Hörst du doch! Six ist auf der Flucht, er ist irgendwo hier und versteckt sich!" Elena's Gesichtsausdruck wird immer härter. "Und wo ist das dritte Kind?! Es waren drei! Wo ist das letzte!" Diesmal schaltet sich Steinbeck ein. "Es ist tot." .. Bitte? "Steinbeck hat recht! Einer meiner Männer musste sie ausschalten, sonst hätte sie uns alle, die ganze Stadt vernichtet!" Also war dieses Desaster in Moskau wirklich von diesem einen Kind ausgegangen? Ungläubig sehe ich noch einmal auf den Monitor, in dem noch immer das Mädchen sitzt, völlig regungslos. Wie soll das gehen?! Wie soll so ein kleines Mädchen soviel Schaden anrichten können? Es schaudert mich, wenn ich mir vorstelle, dass so ein unschuldig aussehendes Geschöpf solch eine Zerstörung fabriziert hat und dafür getötet wurde. Was wäre geschehen, wenn man sie nicht vorher ausgeschaltet hätte? Wären die Folgen noch viel schlimmer gewesen? Aber nein, das kann ich einfach nicht glauben, dass dieses Mädel so gefährlich sein soll! Meine Güte, es ist doch nur ein Kind! Allerdings scheinen alle hier grossen Respekt vor dessen Kräften zu haben.. Elena bleibt still, ich kann es förmlich in ihrem Kopf arbeiten sehen. "Elena.. Beruhige dich erst mal und lass es dir erklären!" versucht nun Sladis, in versöhnlicher Stimme sie zu beschwichtigen. "Steinbeck ist extra aus Deutschland hergeflogen, um uns ein neues Mittel zu besorgen, wie wir die Kinder unter Kontrolle halten können! Dann sind sie keine Gefahr mehr und sowas wie heute abend passiert nicht wieder!" Elena lächelt humorlos und schüttelt leise den Kopf. "Darauf gibt es keinerlei Garantie! Ich habe mir euere kleine Wunderdroge angesehen" erklärt sie zu Steinbeck gewandt etwas schnippisch. "Dominate, wie ihr sie genannt habt, ja? Nun, wenn ich daran denke, dass dieses unscheinbare Pulver aus gefährlichen Kindern willenlose Superwaffen macht, dann erscheint mir das, was ich vorhabe durchaus gnädiger für die Welt, um sie zu schützen!" Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich mal wieder etwas falsch verstehe. Elena will diese Kinder mit über die Grenze schmuggeln, an einen Ort bringen, an dem sie ungestört leben können. Das hat sie zumindest erzählt. Aber allmählich glaube ich, dass ich Elena jetzt gut genug kenne, um zu wissen, dass wohl das meiste nicht wahr ist, was aus ihrem Mund kommt. Für wen arbeitet Elena wirklich? Was bringt sie so weit, selbst gegen ihren eigenen Vater die Waffe zu erheben? "Los! Ich will es sehen!" ruft sie plötzlich scharf und wackelt ungeduldig mit der Pistole. "Das,.. kann ich nicht zulassen, das weißt du, Elena!" bemerkt Sladis und das spöttische Lächeln ist nun vollkommen aus seinem Killerwieselgesicht verschwunden. Und plötzlich kracht ein donnernder Schuss aus der Pistole - nur wenige Zentimeter neben Sladis in die Metallwand, die Funken schlägt. Sie.. hat tatsächlich geschossen! Sie hätte ihn treffen können! Mit angehaltenem Atem starre ich diese Frau an, die so ausgewechselt ist, dass ich sie nicht mehr wiedererkenne. Sladis ist kreidebleich geworden und an seinen Schweisstropfen, die auf seiner Stirn glänzen, kann ich seine Angst sehen. Elena meint es ernst. Sie wagt es tatsächlich, auf den eigenen Vater zu feuern! "Ich sagte doch, ich mache keine leeren Drohungen!" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)