Wer braucht schon Psychologie?! von Niemue (Andrew und Nuka) ================================================================================ Kapitel 6: Schreckenssekunden ----------------------------- Schreckenssekunden "Glaubst du,...er hat es gesehen?" Nuka stellte das Glas Wasser auf seinen Nachttisch, stützte sich auf seinen Ellbogen ab und seufzte leise. "Natürlich hat er es gesehen, sonst wäre er ja nicht so schnell abgehauen." Jonas fuhr sich mit der Hand über den Mund und setzte sich auf den Stuhl, der neben dem Bett stand. Seine Miene wurde nachdenklich. "Ich weiß nicht genau, ob das so gut war...Vielleicht zieht er sich nur noch mehr vor dir zurück...Vielleicht hilft es gar nicht...Ihr kennt euch immerhin erst wenige Wochen." Als Nuka das hörte, ballte er seine Hände zu Fäusten. Augenblicklich versuchte er Jonas mit Blicken zu töten. "Was soll das denn jetzt heißen?! Es war doch deine Idee! Hättest du das nicht schon vorher sagen können?! Was ist, wenn das jetzt wirklich das Gegenteil bewirkt?! Verdammt, du..." "Du hast mich doch geküsst oder?!" Darauf wusste Nuka nichts zu erwidern. Er sagte lieber nichts. Die Wut fing an in seinem Inneren zu brodeln. Jonas zuckte die Schultern. Er ergriff das Glas Wasser und hielt es ihm mit einem mehr oder weniger aufmunternden Grinsen vor die Nase. "Du hattest doch Durst oder? So eine kleine Abkühlung täte dir wirklich gut!" Vor sich her knurrend entnahm Nuka seinem Freund das Glas und trank es mit großen Schlücken aus, wobei er den Blonden nicht aus den wütend blitzenden Augen ließ. "Wenn das nicht funktioniert, dann bringe ich dich um, Jonas! Das verspreche ich dir!" Ein amüsiertes Lachen antwortete ihm. Andrew seufzte auf und warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Nuka war mal wieder zu spät. Und zwar bereits sechs Minuten. /Es war ja auch nichts anderes zu erwarten...Er ist schon vier Mal in dieser Woche zu spät gekommen...und dann immer diese unglaubwürdigen Ausflüchte...Er muss wirklich denken, ich bin dumm! Er muss denken, ich lasse mir alles von ihm gefallen! Dieser...dieser...Kerl!/ "Arrrgggh!" Wütend -und er war nicht oft zornig- fuhr er sich mit der Hand durch die gerade eben erst gekämmten Haare, so dass diese jetzt wieder in alle Himmelsrichtungen abstanden und fröhlich frei herumwuschelten. Die Klingel ließ ihn aufblicken. "Na endlich!" Mit schnellen, forschen Schritten kam er an die Tür und öffnete. Nuka stand mit einem freundlichen, entschuldigenden Lächeln vor ihm. "Du bist recht spät, Nuka. Ich werde dir diese sechs Minuten abrechnen. Das ist dir doch klar oder?!" Das Lächeln erfror unerwarteterweise und ein Seufzen erscholl. "Es tut mir Leid, Andrew. Ich hatte Kopfschmerzen und habe erst einmal bei Mrs. Murphy nebenan nach Tabletten gefragt." Andrew hob viel sagend eine Augenbraue und verschränkte die Arme vor der Brust. Eine für ihn ziemlich untypische Pose. Aber er war in letzter Zeit eh nicht besonders er selbst. /Und das alles, nachdem ich Nuka und...Ach, verdammt noch mal! Ich habe etwas Besseres zu tun um mich mit Nukas Liebeleien zu beschäftigen!/ Er presste die Lippen aufeinander und versuchte die Welle der Wut, die in ihm aufzusteigen drohte, wieder zurückzudrängen. "Es lagen gestern noch genug Tabletten auf deinem Nachttisch. Du brauchst mir nichts mehr vorzulügen. Es bringt eh nichts, Nuka." Der Russe schüttelte den Kopf, trat an ihm vorbei in die Wohnung. "Die Packung war eben leer. Ich habe wohl alles verbraucht. Mrs. Murphy hatte auch keine. Kannst du mir welche geben? Bitte, Drew! Diese Kopfschmerzen bringen mich um!" Andrew seufzte. /Jetzt fängt dieses Genörgel und Gejammer über seine Schmerzen wieder an...Das geht jetzt schon seit drei Tagen so...Dabei hatte er wahrscheinlich nur eine leichte Gehirnerschütterung... Ich hab bald keine Schmerztabletten mehr.../ "Dann hättest du es dir vorher überlegen sollen, ob du dich auf belebter Straße verprügeln lässt oder nicht." Das war Andrews einziger Kommentar dazu. Zugegeben, nicht sehr einfallsreich, aber ziemlich hilfreich, wenn es darum ging, Nuka zum Schweigen zu bringen. Stumm gingen sie ins Wohnzimmer. Nuka sah mehr als nur ein wenig beleidigt aus. Aber das war Andrew egal. Irgendwie hatte sich in den letzten Tage eine immense Wut gegen Nuka aufgestaut. Er versuchte sie nun mit kleinen Gemeinheiten abzubauen. Leider waren diese Gemeinheiten immer noch zu klein. Seine Gereiztheit verschwand einfach nicht. Er hatte einmal sogar Rob wegen einem seiner kindischen, leider etwas häufigen Wutausbrüche angebrüllt. Etwas, das er nie tat. Sonst redete er immer solange auf seinen Bruder ein, bis dieser sich wieder beruhigte. "Worüber denkst du nach?" Andrew blickte auf und warf Nuka einen kurzen, gereizten Blick zu. "Darüber, wie ich dich wieder loswerde, du Nervensäge." Ein Schnauben antwortete ihm. "Dein Humor ist wirklich super. Du solltest Eintritt verlangen für die Comedyshow, die du hier abziehst." Andrew ignorierte die spöttische Bemerkung und strafte Nuka mit Schweigen. Mindestens zwei Minuten schwiegen sie sich an. Sturheit lag in der Luft. Bis Nuka endlich ergeben aufseufzte und den Kopf schüttelte. "Wir sind albern...Wir sollten anfangen, bitte, Andrew." Im ersten Moment stieg Trotz in Andrew hoch. Solche Bemerkungen wie eben musste er sich doch nicht gefallen lassen! Aber nun sah er ein, dass dies alles nur Zeit kostete. Zeit, die er nicht hatte. Er musste in zwei Stunden bereits bei einem neuen Patienten sein. Ein Mann im mittleren Alter, der vor zwei Jahren seine Frau bei einem Autounfall verloren hatte, und, dem er nun über seinen Schmerz hinweghelfen musste. Eine knifflige Aufgabe. Jedoch noch lange nicht so schwer wie Nukas Fall. Bei dem wusste er nämlich immer noch nicht, was überhaupt sein Problem war. "Gut...Eigentlich hatte ich vor wie die Male davor mit dir über deine Gefängniszeit zu reden...aber weil ich glaube, dass wir damit nicht weiter kommen, finde ich, dass wir tiefer graben sollten...Bist du damit einverstanden?" Andrew richtete seinen Blick auf seinen Patienten, versuchte jede Veränderung zu registrieren und zu analysieren. Die Körpersprache war sehr wichtig. Nuka runzelte die Stirn. Er wirkte nachdenklich. Er saß locker in dem hellgrünen Wildledersessel -sein Lieblingsplatz in dieser Wohnung, wie Andrew erfahren hatte- und wirkte einfach nur nachdenklich. Er schien Andrews Vorschlag zu bedenken. Seine Hände lagen ruhig auf den Lehnen, Finger strichen von Zeit zu Zeit über die weiche Struktur des Leders. /Gut...Er wägt die Möglichkeiten ab, wenn er nicht weiter will, dann machen wir da weiter, wo wir letzte Stunde angefangen hatten...Er soll wirklich wollen, dass ich seine Probleme ergründe.../ Nukas Kopf hob sich, legte sich auf die Seite. "An was hattest du gedacht? Wie tief willst du graben?" Andrew lehnte sich gegen die Polster des Sofas. Er überlegte kurz. Wählte die richtigen Worte. "Ich weiß nicht, Nuka. Eigentlich würde ich gerne, direkt am Anfang beginnen. Wie bist du aufgewachsen?" Der Russe runzelte kurz die Stirn. Er war überrascht wegen diesem Thema. "Wie ich aufgewachsen bin? Nun ja...Ich wurde in Kasan, Russland am 21.11.1973 geboren. Meine Mutter war eine normale Hausfrau, mein Vater leider auch ein normaler, arbeitsloser Säufer. Ich glaube er schlug sogar meine Mutter. Jedenfalls ist mein Vater dann irgendwann gestorben. Ich weiß selbst nicht, woran. Habe nie gefragt, ich war damals ungefähr vier. Meine Mutter war schlau und hat die Chance genutzt, die sich ihr bot. Sie hat nicht wieder irgendeinen Versager geheiratet, sondern ist mit ein paar Verwandten nach Amerika gereist. Sie wollte unbedingt die Freiheitsstatue sehen...Schließlich blieb sie in New York." Ein leichtes Grinsen legte sich auf Nukas Züge und er schnaubte halb spöttisch halb amüsiert. "Der Anblick der Freiheit hat sie nicht mehr losgelassen." Nuka machte eine kurze Pause und schüttete sich Mineralwasser in eines der Gläser, die Andrew, bevor er auf Nuka gewartet hatte, auf den Tisch gestellt hatte. Der braunhaarige Psychologe verschränkte leicht die Arme vor der Brust und wartete geduldig darauf, dass Nuka seinen Durst gelöscht hatte. Er musste zugeben, dass er neugierig auf Nuka war. Es interessierte ihn, was den Russen so sehr geprägt hatte, seinen Charakter geformt hatte, die Person gebildet hatte, die Nuka jetzt war. Nuka lehnte sich im Sessel zurück, strich wieder leicht mit den Fingerkuppen über das weiche Leder der Lehnen und lächelte leicht. Er war scheinbar in Erinnerungen versunken. Doch dann schien er sich zu besinnen und wandte ihm wieder seine Aufmerksamkeit zu. "Meine Mutter fand keinen Platz für mich in einem Kindergarten, aber ich hatte viel mit anderen Kindern zu tun. Ich lebte in einem Viertel, in dem viele russische Familien lebten. Ich brauchte nur auf die Straße zu gehen und ein paar Gesprächen zu folgen und schon war ich in Russland. Natürlich bildeten die Jugendlichen Gangs. Ich wurde mit fünfzehn der Anführer von einer davon. Wir waren eine kleine Gruppe, auch mit etwas Jüngeren Mitgliedern. Eigentlich hielten wir uns aus den Streitereien mit den amerikanischen Gruppen heraus, aber...Nun ja...Wie schon vor ein paar Tagen gesagt, machte ich bald nur noch Unsinn." Nuka seufzte schwer auf und fuhr sich kurz durch die Haare und rieb sich leicht über die Stirn. Er schien immer noch Kopfschmerzen zu haben. "Du hast Unsinn gemacht? Was für Unsinn?!" Ein breites Grinsen legte sich auf seine Lippen. Und plötzlich sah er aus wie ein kleiner, ungezogener Rotzbengel. "Ich habe Leute angepöbelt, Sachen geklaut, Prügeleien angezettelt und auch den einen oder anderen Freund meiner Mutter aus dem Haus geekelt. Ich war wirklich gemein. Aber ich hielt nichts von den rassistischen Kleinkriegen der anderen Gangs. Ich war -finde ich- intelligent genug um zu erkennen, dass die Amerikaner deutlich in der Überzahl waren. Ein Freund von mir, er war schon etwas älter, war Mitglied einer größeren Gruppe. Die wollten nicht auf mich hören. Einmal waren meine Leute und ich zur falschen Zeit am falschen Ort. Eine amerikanische Gang kämpfte gegen die Gang meines Freundes. Ich war blind vor Wut und hab mitgekämpft, natürlich mit meiner Gang. Dumm gelaufen. Jemand hat mir ein Messer in den Bauch gerammt und einen halben Tag später fand ich mich mit meiner herumzeternden Mutter im Krankenhaus wieder. Keine schöne Erfahrung kann ich dir sagen." Andrew nickte leicht. /Das war ja jetzt alles schön und gut, aber nicht sehr informativ...Aber mal sehen, was er sonst noch erzählt.../ Nuka nahm wieder einen Schluck vom Wasser und legte seine Beine auf den Tisch, direkt neben seinem Glas. Dafür heimste er sofort einen bösen Blick von Andrew ein, der jedoch gekonnt ignoriert wurde. "Wie ging es dann weiter? Deine Mutter hat dir sicher verboten noch einmal zu diesen Gangs zu gehen." Nuka lachte leise und nickte. "Oh ja! Sie hat mich total verprügelt! Ich sah nach ihrem Wutausbruch schlimmer aus als nach der kleinen Gangkabbelei! Ich glaube, sie hat sogar einen ihrer guten Kochlöffel an mir kaputt geschlagen." Andrew schmunzelte, als er sich augenblicklich vorstellte, wie sich Nukas Mutter wohl über ihn hergemacht hatte, mit Kochutensilien bewaffnet. "Jedenfalls..." Nukas Stimme ließ ihn wieder aufblicken. "Jedenfalls hat meine Mutter dann irgendwann einen recht wohlhabenden Amerikaner getroffen. Frag mich nicht, wie sie an ihn gekommen ist! Ich habe bis jetzt keine Ahnung! Nun gut...nicht, dass sie nichts für ihn gewesen wäre...Sie war hübsch und ganz schön keck in ihrer Art. Sie hatte ihn schneller mit ihrem persönlichen, frechen Charme um den Finger gewickelt, als er auch nur einen seiner Geldscheine herausziehen konnte, um sie um den Finger zu wickeln. Schließlich nach drei Wochen Heimlichtuerei brachte sie ihn mit nach Hause. Natürlich habe ich einen Tobsuchtanfall bekommen, als ich ihn gesehen habe. Wir sind zu ihm gezogen und nach einer Woche musste er neue Möbel kaufen. Ich hatte alles versaut, weil ich ihn so vergraulen wollte. Ich weiß gar nicht mehr, wie ich das geschafft habe. Aber nach und nach verstanden wir uns. Wir haben manchmal sogar richtige Männergespräche geführt! Er war auch der Erste, dem ich sagte, dass ich auch an Männern interessiert wäre. Er hat mich ermuntert und mich zu seinem Bruder geschickt. Eine schreckliche Tunte, aber bei dem bemerkte ich auch schnell worauf es ankam, wenn man mit einem Mann eine Beziehung aufbauen wollte. Nichts Besonderes eigentlich. Nur dann, zwei Monate vor meinem zwanzigsten Geburtstag starben er und meine Mutter. Ich glaube, ich habe damals fast zwei Tage lang durchgeheult wie ein kleines Kind. Aber ich denke, wenn ich das nicht getan hätte, dann wäre ich wohl krank vor Kummer geworden." Es folgte Stille. Nuka hatte die Augen geschlossen. Er wirkte leicht bedrückt, aber schien auch etwas erleichtert. Es hatte ihm wohl gut getan so viel auf einmal zu reden. Es brachte ein freies Gefühl, das wusste Andrew. Schließlich wollte Andrew die Stille nicht unangenehm werden lassen. Mit einem Seufzen beugte er sich etwas vor. "Manchmal ist es gut seine Trauer durch Tränen herauszulassen. Leider gibt es auch Menschen, die diese Trauer durch Aggressivität zu ventilieren versuchen. Es war klug von dir, so etwas nicht zu tun. Nach einer Weile hättest du Frust nur noch auf diese Weise ablassen können." Nuka öffnete leicht seine Augen und lächelte ihn an. "Das stimmt. Das habe ich damals auch gedacht, deshalb wollte ich nichts zurückhalten." "Hast du noch Kontakt mit deinem Stiefonkel?" "Mit dem Tuntigen?" Andrew schmunzelte leicht. Nuka schüttelte leicht den Kopf. "Warum, Nuka? So wie ich das verstanden habe, hast du dich doch gut mit ihm verstanden." Nuka seufzte leise und zuckte die Schultern. "Ich weiß nicht...Ich glaube, ich war wütend auf ihn...Er war nicht bei der Beerdigung, obwohl er es mir versprochen hatte...Er hat danach ein paar Mal versucht mich zu erreichen, aber ich habe immer so getan, als wäre ich nicht da, als würde es mich nicht geben und, als wäre ich genauso gestorben wie meine Eltern..." Wieder legte sich ein nachdenklicher Ausdruck auf Nukas Gesicht. Mit zusammengezogenen Augenbrauen sah er Andrew an. "Wahrscheinlich schlägst du jetzt vor, mich bei ihm zu melden, nicht wahr?" Andrew nickte. Er beugte sich vor und goss sich Wasser in sein Glas. Während er daran nippte, dachte er kurz nach. "Du solltest dich wirklich bei ihm melden. Lass die Vergangenheit ruhen. Alles hat einen Grund. Vielleicht war er einfach nur verhindert auf der Beerdigung oder er konnte es selbst nicht verkraften dorthin zu gehen. Ich hatte auch einmal eine Stiefmutter. Sie ist an Krebs gestorben und ich konnte ebenfalls nicht zum Trauern an ihr Grab. Ich kann es heute noch nicht. In manchen Momenten im Leben kann man seine Trauer nicht überwinden. Sie schließt einen ein und verhindert, dass wir nach Moral oder der Meinung anderer handeln. Wenn man trauert, ist es egal, wie sich andere Menschen fühlen, jedenfalls dann, wenn die Trauer für einen selber zu groß ist. Verstehst du?" Nuka nickte langsam. "Ja...Wahrscheinlich hast du Recht. Ich sollte mich bei ihm melden. Wenigstens sollte ich fragen, wie es ihm geht und mich mit ihm treffen...Er lebt zwar in Philadelphia und ich denke, dass es lange dauern wird, bis ich seine Telefonnummer wieder gefunden habe, aber ich werde mich bei ihm melden...Er hat ein schönes Ferienhaus in Florida, vielleicht könnten wir..." "RING! RING!" Sie zuckten beide zusammen. Das Telefon. Andrew seufzte auf, warf Nuka einen entschuldigenden Blick zu und trat zu der kleinen Anrichte, auf dem das Telefon und ein paar Telefonbücher lagen. "Bucker?!" "Ähm...Mr. Bucker?! Also, hier ist Mrs. Morrison. Toms Mutter. Ich habe gerade ihren So...Ich meine, Bruder losgeschickt! Und dann..." Andrew seufzte leise auf. "Beruhigen Sie sich erst einmal, Mrs. Morrison. Atmen Sie tief durch und erklären Sie mir dann, was mein Bruder dieses Mal angestellt hat." "Aber, Mr. Bucker! Er hat nichts angestellt!" Andrew runzelte die Stirn. "Was ist denn sonst passiert, dass Sie sich so aufregen?" "Also ich hatte ihn gerade an die Tür gebracht und er ging schon aus dem Vorgarten an die Straße -ich hatte fast schon die Haustüre zugemacht!- da hörte ich Rob schreien! Da war ein Auto an den Bordstein gefahren und ein Mann hatte ihn gepackt und wollte ihn gerade ins Auto ziehen! Sie glauben gar nicht..." Andrew fiel der Hörer aus der Hand. Eine schreckliche Ahnung ließ ihn erstarren. Er musste sich mit einer Hand an der Anrichte festhalten, damit er nicht das Gleichgewicht verlor. Er packte so fest zu, dass die Knöchel an seiner Hand weiß hervorstachen. /Oh Gott...Wenn ihm etwas passiert ist...Er ist das Einzige, das ich noch habe...ich wäre ganz allein! Er war es...Er war es! Mit Sicherheit!!! Oh Gott, was soll ich nur tun?! Was tue ich jetzt ohne ihn?!/ "Andrew? Ist etwas nicht in Ordnung?" Nuka trat neben ihn, hob den Hörer auf und hielt ihn ihm hin. Mit zitternden Fingern ergriff Andrew den Hörer und hielt ihn sich wieder an sein Ohr. "Mr. Bucker? Sind Sie noch dran?" "Ja..." "Gut, denn Sie sollten Rob jetzt besser abholen! Mein Mann arbeitet noch und ich habe kein Auto. Ich lasse ihn jedenfalls nicht mehr allein auf die Straße!" Andrew erstarrte ein zweites Mal. "Er...Er ist doch noch da?" "Ja! Das habe ich doch gerade gesagt! Er konnte sich losreißen und ehe ich das Auto erreichen konnte, sind diese Schufte schon weggebraust! So etwas! Am helllichten Tage! Und dann mit einem Kind! Also wirklich!!! Ich habe sofort die Polizei gerufen! Leider habe ich diese Schufte nicht erkennen können! Sie hatten Masken auf! So eine Frechheit! Jetzt muss man sogar noch Angst haben, seine Kinder auf die Straße zu schicken!" Andrew kniff seine Augen kurz zusammen und öffnete sie dann wieder. Schwarze Flecken tanzten vor seinen Augen. Ihm war schwindelig. Irgendwie hatte er das Gefühl, gleich zusammenzubrechen. Ein Arm legte sich vorsichtig um seine Schultern und stützte ihn. "Tief durchatmen, Andrew. Du siehst aus wie ein Toter. Was ist denn passiert?" Andrew gab ihm mit einer lahmen, schwachen Geste zu verstehen ruhig zu sein und wandte sich wieder der aufgebrachten Mrs. Morrison zu. "Mrs. Morrison. Ist Rob verletzt? Geht es ihm gut?" Die Stille am Ende des Hörers dauerte beängstigend lange an. Jedenfalls kam es ihm beängstigend lange vor. "Aber nein, Mr. Bucker! Er hat sich den Arm blutig geschrammt und einen kleinen Schock bekommen, aber sonst geht es ihm Gott sei dank gut! Da hätte ja sonst etwas passieren können! Und stellen Sie sich vor, es wäre..." "Danke sehr, Mrs. Morrison. Ich fahre sofort zu Ihnen. Danke für Ihre Hilfe." Andrew legte ohne ein weiteres Wort auf. Mit einem leisen Wimmern schlug er die Hände vors Gesicht und kniff die Augen zusammen. Er atmete zitternd ein und aus, versuchte alle Gedanken aus seinen ihm schwindelnden Kopf zu vertreiben und die Übelkeit wegzudrängen. "Andrew?" Ein weiterer Arm legte sich um ihn und er wurde an Nukas breite, warme Brust gezogen. In diesem Moment war ihm alles egal. Er nahm es noch nicht einmal richtig wahr! "Was ist passiert? Ist etwas mit Rob? Ein Unfall? Sag es mir, Andrew." Andrew schüttelte leicht den Kopf. Er nahm die Hände von seinem Gesicht und verkrallte sie in Nukas weißes, enges T-Shirt. Mit einem leisen, unterdrückten Aufschluchzen drückte er sein Kopf an Nukas Brust und versuchte an nichts zu denken. Es half. Das hatte es schon vorher immer getan. Das Schwindelgefühl verflüchtigte sich. Die Übelkeit blieb, aber sie flaute ab. Und dann erzählte Andrew Nuka, weswegen Mrs. Morrison ihn angerufen hatte. Dabei wurden seine Knie weich. Nuka stützte ihn und setzte ihn erst einmal in den Sessel. "Bleib hier ruhig sitzen. Ich hole einen Waschlappen aus dem Badezimmer. Du bist ganz verschwitzt." Verwirrt fuhr sich Andrew mit den Fingern über das Gesicht. Es stimmte. Er musste wohl in kalten Schweiß ausgebrochen sein. Immer noch zitternd lehnte er sich im Sessel zurück und ballte die Hände zu Fäusten. Er hatte Probleme zu atmen. Wieder tauchten schwarze Flecken vor ihm auf und diesmal wäre er fast in die Ohnmacht gestürzt, wenn Nuka nicht wiedergekommen und ihm einen kalt-feuchten Lappen an die Stirn gehalten hätte. Die Käte zog ihn wieder an die Oberfläche der Wahrnehmung zurück. "Es ist doch gut, Andrew. Du hast es ja selbst gesagt, er ist nicht verletzt. Sollen wir ihn abholen oder willst du dich erst noch ein wenig beruhigen?" Andrew winkte erschöpft ab und erhob sich mit wackeligen Beinen. "Es ist egal. Ich kann mich auch beim fahren erholen." "Du fährst mir in diesem Zustand nicht! Ich werde fahren. Dann kannst du dich auch besser auf dich konzentrieren. Oh Mann, du hast mir vielleicht einen Schrecken eingejagt! Ich dachte, du fällst jeden Moment tot um, so bleich warst du! Komm, gehen wir nach draußen zum Wagen, an die frische Luft." Nuka war sehr besorgt. Andrew benahm sich ziemlich ungewohnt. Normalerweise war er die Ruhe selbst, doch nach diesem Vorfall war er vollkommen aufgelöst und hysterisch. Er hatte sich noch nicht einmal ohne Hilfe die Schuhe anziehen können, weil ihm seine Hände so sehr gezittert hatten. Nuka war verwirrt. /So schlimm war das mit Rob auch nicht...Dieses Verhalten hätte ich höchstens nur dann erwartet, wenn wirklich etwas passiert wäre. Aber das ist es nicht...Vielleicht hat er einen Schock?! Er ist so verdammt blass.../ Er warf einen besorgten Blick zur Seite, musste dann jedoch wieder seine Aufmerksamkeit auf die Fahrbahn vor sich lenken. Er musste fahren. Andrew wäre nicht in der Lage dazu. Sie wären bestimmt im Graben gelandet. Andrew neben ihm gab ein leises fast verängstigtes Wimmern von sich. Verwirrt sah Nuka ihn an. Der Psychologe hatte die Finger in seine Haare verkrallt und die Augen fest zusammen gepresst. Seine Lippen glichen einem blutleeren Strich. Er strahlte vollkommene Angespanntheit aus. "Was ist...?!" Andrew öffnete blinzelnd die Augen und warf ihm einen hektischen Blick zu. Das verstörte Nuka noch mehr. Was sollte dieses Verhalten?! Obwohl Nuka nicht mit einer Antwort gerechnet hatte, bekam er im nächsten Moment eine zu hören. "Das verstehst du nicht!" "Und was verstehe ich nicht?!" Andrew schüttelte den Kopf und fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht. "Er...Er will, dass ich wiederkomme...Aber...egal, was er tut...ich werde das nicht tun...ich will nicht mehr..." Nuka runzelte die Stirn und bog nach links ab. Einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken rechts heranzufahren, damit er sich besser auf Andrew konzentrieren konnte, aber dann verwarf er dies wieder. Andrew würde bestimmt nicht weiterreden. "Wer...wer ist *er*, Andrew?" Der Psychologe schüttelte ein paar Mal hintereinander heftig den Kopf und sagte kein Wort. Nuka hob eine Augenbraue und musterte Andrew verwundert. /Er führt sich auf wie ein Irrer...Einmal ruhig den Kopf schütteln hätte vollkommen gereicht...Verdammt, was geht nur in ihm vor?! Was soll das alles?! Wer ist *er*?!/ Es folgte eine Weile Stille. Nuka versuchte sich gleichzeitig aufs Fahren und auf Andrew zu konzentrieren. Nur gab es da nichts, worauf man sich hätte konzentrieren können. Andrew bewegte sich nämlich kein Stück. Es war, als wäre er erstarrt. Sogar seine Miene war völlig bewegungslos. /Wer trägt denn hier jetzt eine Fassade...? Gott, Junge! Das wird dich umbringen! So etwas kann man doch nicht aushalten! Wie kommst du nur auf die verfickte Idee, dass es helfen würde, wenn du deine Gefühle vollkommen in dir verschließt?!/ "Da hinten. Das weiße Haus. Da wohnen die Morrisons...Lass mich bitte dahinten raus..." Andrews Stimme war natürlich völlig ruhig. Nuka nickte leicht und hielt zögernd vor dem schönen, etwas kleinen Einfamilienhaus mit dem hübsch gepflegten Vorgarten und dem weißen Holzzaun darum herum. Ein wirklich schönes Haus. Mit einer guten Nachbarschaft. /Na ja...gute Nachbarschaft auch nicht unbedingt...Wenn man sich das gerade eben passierte mal vor Augen hält.../ Andrew schnallte sich ab und stieg aus. Als Nuka sah, wie sehr der junge Mann zitterte, wollte er sich schon abschnallen und ebenfalls aussteigen, jedoch ließ er es, nachdem er Andrews Blick gesehen hatte. Es kam einer Warnung gleich. Er wollte nicht, dass er mitkam. /Nun gut...Wenn er es so will.../ Auf der Rückfahrt waren sie alle drei still. Nuka warf oft Blicke zu den beiden Brüdern. Beide waren erschrocken und zittrig. Jedoch Andrew noch mehr als sein kleiner Bruder. /Komisch...eigentlich müsste das doch andersherum sein...Ich verstehe die zwei einfach nicht...Oh Mann, muss die Familie kompliziert sein!/ "Andrew...Ich muss dir was sagen..." Nuka hob leicht den Blick und sah Rob durch den Rückspiegel an. Andrew nickte nur leicht, wandte sich jedoch nicht um. Rob kaute auf seine Unterlippe. Er sah angespannt und blass aus. Und immer noch ein wenig entsetzt über das Geschehene. "Also...Es waren nicht alle mit Masken...die Männer meine ich...Da saß noch einer auf dem Rücksitz ohne Maske...und...Andrew..." Nun drehte sich der Psychologe doch um und ergriff Robs Hand. "Und, Rob? Was willst du mir sagen?" Rob sah ein wenig irritiert aus, er schien zu versuchen sich an jede Einzelheit zu erinnern. "Weißt du...ich glaube, der Mann auf der Rückbank war Dad...Ich habe es nicht richtig gesehen, weil die Scheiben getönt waren, aber...er...die Gestik...die Statur...Ich glaube, ich habe sogar seine Stimme gehört! Und..." Plötzlich schlug Rob die Hände vor sein Gesicht. Lautes Schluchzen zerriss förmlich die Angespanntheit im Auto. Nuka entspannte sich leicht. /Wenigstens kann sein Bruder Gefühle herauslassen...Das sollte er lieber auch tun...Er hat es viel nötiger als Rob. Wer weiß, wie lange Andrew jetzt schon seine Probleme in sich hineinfrisst...Ich will für ihn da sein, wenn er alles herauslässt...Ich will ihn trösten.../ Im nächsten Moment horchte Nuka auf. "Andrew! Ich will nicht mehr zurück! Ich will, dass er aufhört! Ich will, dass er dich in Ruhe lässt! Und ich will nicht zurück! Lass nicht zu, dass er uns auseinander reißt! Bitte, lass das nicht zu!" /Ist das nicht in etwa genau das Gleiche, dass Andrew eben gesagt hat?! Also hat er seinen Vater gemeint.../ "Sschh...Das lasse ich nicht zu, Rob. Keine Sorge...Das wird nicht passieren...Das schwöre ich dir...Er wird uns nicht kriegen..." Nuka biss sich auf die Unterlippe. In seinem Kopf schwirrten die wildesten Theorien. Er glaubte auch, er wäre dem Grund für Andrews abnormes Verhalten etwas näher gekommen... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)