Devil's Blood von Anshie ================================================================================ Kapitel 12: Second Chance ------------------------- "Blöder Idiot!", murmelte Hiro in sich hinein, während er weiter den Weg entlang ging. Bis zum Haus seiner Tante zu laufen, würde lange dauern. "Da reiß ich mir ständig den Arsch auf, seinetwegen und das ist nun der Dank dafür! Pah, auf so einen bin ich echt nicht angewiesen. Stürze dich ruhig ins Verderben, wenn du unbedingt willst, du dämlicher Idiot! Na warte, Toya Sakasa. Ich werd dir schon zeigen, wie gut ich ohne dich klar komme." Er trat mit dem Fuß gegen eine Straßenlaterne. "Aaah, shit!", schrie er dann auf. "Das war das verletzte Bein! Das ist alles nur deine Schuld, Toya! Ich würd dir am liebsten eine reinhauen!" Hiro wusste es selbst. Alles was er vor sich hin brummelte, war gelogen. Er konnte Toya nicht hassen, so sehr er es auch versuchte. "Undankbarer Pimpf", seufzte er. Plötzlich hielt ein Auto neben ihm an. "Hiro", sagte Hiro's Mutter, nachdem sie die Fensterscheibe herunter gekurbelt hatte. "Hattest du eher aus? Wir wollten dich gerade abholen." "Ähm, ja. Ich hatte keine Lust mehr, beim Training zuzuschauen. Und da ich eh nicht spielen kann, hat der Trainer mich gehen lassen", log Hiro. Er hatte ganz vergessen, dass seine Eltern ihn ja wieder abholten wollten. "Wieso bist du eigentlich hier, Mum?", fragte Hiro, nachdem er ins Auto eingestiegen war. "Ich musste noch mit den Eltern von Kari's Freundin reden", erklärte Hiro's Mutter. "Wieso das denn?" "Weil deine Schwester bis wir eine neue Wohnung gefunden haben, bei einer Freundin wohnen wird. Wir haben sie gerade hingefahren." "Ach so", meinte Hiro. "Bei deiner Tante ist einfach nicht genug Platz für vier zusätzliche Personen. Und wir wollen ihr nicht noch mehr Arbeit machen", fügte Hiro's Vater hinzu. Hiro blickte aus dem Fenster. Auf einmal fiel ihm auf, dass sie nicht in die Richtung fuhren, die zum Haus seiner Tante führte. "Ähm, müsst ihr noch irgendwelche Einkäufe machen, oder wo fahren wir hin?", fragte er. "Zu Toya", sagte Hiro's Mutter knapp. "Was?", schrie Hiro überrascht. "W...wieso das denn?" "Wir wollten noch kurz mit seinen Eltern sprechen und uns noch mal bei ihnen bedanken." "Bedanken?", wiederholte Hiro fragend. "Wofür?" "Na, weil sie dich vorerst bei sich wohnen lassen." "WAAAAAAAS???" Der Schrei musste so laut gewesen sein, dass man ihn durch die geschlossenen Fenster noch meilenweit gehört haben musste. "Was soll das? Das geht doch nicht!", schrie Hiro und rüttelte seinen Vater an den Schultern, worauf hin das Auto ins schwenken kam. "Hiro! Hör sofort auf!", schrie Hiro's Vater. "Um Gottes Willen!", kreischte seine Mutter. "Willst du, dass wir auch noch einen Unfall bauen? Als ob wir in letzter Zeit nicht schon genug Unglück hatten!" Widerwillig ließ Hiro seinen Vater los. "Das könnt ihr vergessen!", schrie er weiter. "Ich dachte, du würdest dich freuen?!", fragte seine Mutter verwirrt. "Tu ich aber nicht! Ich werd ganz sicher, auf gar keinen Fall und unter keinen Umständen bei ihm wohnen! Ihr könnt gleich wieder umkehren!" "Nichts da!", schrie Hiro's Vater nun ziemlich wütend. "Was meinst du, wie schwer es uns gefallen ist, Herr und Frau Sakasa darum zu bitten? Weißt du, wie schäbig ich mir vorkomme? Deine Mutter und ich sind wirklich sehr froh, dass Toya's Eltern so hilfsbereite und nette Leute sind. Und du, mein Lieber, bist wirklich nicht in einer Situation, wo man noch Ansprüche stellen sollte!" "Aber Daaad!", bohrte Hiro weiter, wenn auch mit etwas leiserer Stimme als vorher. Wenn er auch nicht vor vielem Respekt hatte. Wenn sein Vater zu schreien begann, hielt er es grundsätzlich für besser, klein bei zugeben. "Keine Widerrede!", unterbrach Hiro's Vater das Drängeln seines Sohnes. "Du wirst bei ihm wohnen, ob du willst oder nicht!" Widerwillig ließ Hiro sich nach hinten fallen, verschränkte die Arme vor der Brust und setzte den beleidigsten Blick auf, den er konnte. "Habt ihr euch gestritten?", fragte seine Mutter nach ein paar Minuten Stille. Sie drehte sich besorgt nach hinten um. "Die streiten sich doch dauernd", meinte Hiro's Vater, noch bevor Hiro selbst die Gelegenheit hatte, zu antworten. Hiro schwieg. Er hasste seinen Vater, wenn er sich so benahm. Es war wirklich keine gute Idee, ihn wütend zu machen. "Das wird schon wieder", sagte Hiro's Mutter mit einem, beinahe übertrieben, tröstendem Ton in ihre Stimme. "Na ganz toll!", dachte Hiro, sagte jedoch nichts. ~*~*~*~*~*~ Toya und Mariko saßen in der Zwischenzeit bei Yue in der Wohnung. Dieser war gerade dabei, Toya's Wunden zu verarzten. "Du hast dich tapfer geschlagen, Brüderchen", sagte er. "Ich komm gleich wieder." Und damit ging er aus dem Zimmer. ~*~*~*~*~*~ Kaum war er weg, da sprudelte es auch schon aus Mariko heraus: "Jetzt sag schon, was war denn?" "Ich hab ihm gesagt, er soll sich raushalten", sagte Toya knapp. Er hatte sich mittlerweile wieder soweit beruhigt, dass er zumindest schon mal nicht mehr weinen musste. "Er wurde von Garasu verletzt, als er mich schützen wollte. Deshalb hab ich ihm gesagt, er solle nicht ständig den Babysitter für mich spielen. Und als ich ihn gefragt hab, warum er das alles macht..." Toya brach den Satz ab. "Weil ich dich liebe!", hörte er noch immer Hiro's Stimme sagen. "Das kann ich ihr doch unmöglich erzählen", dachte er. "Komm schon", drängte Mariko ihn. "Was hat er gesagt?" "Hast du nicht vorhin noch gesagt, ich müsse nichts erzählen, wenn ich nicht will?", erinnerte Toya sie. "Jaah schooohn", seufzte Mariko. "Aber jetzt hast du angefangen. Jetzt will ich's auch zu Ende hören! Hat er's endlich zugegeben?" "Zugegeben?", wiederholte Toya fragend. "Na...dass er...", begann Mariko zögernd. "Na ja, dass..." Sie machte eine Gestik die heißen sollte: "Du weißt schon!" Toya blickte sie erwartungsvoll an. "Ja?", fragte er. "...dass er dich liebt!", sagte Mariko so schnell sie konnte. Toya wurde rot. "Du w...weißt...?", stotterte er. "Na, hör mal", meinte Mariko. "Es kann ja nicht jeder so auf'm Schlauch stehen, wie du!" "I... ich steh ü...überhaupt nicht...au... auf dem Schlauch!" Mariko grinste scheinheilig. "Verdammt, findest du das lustig? Ich BIN nicht schwul!", maulte Toya beleidigt. "Jetzt werd bloß nicht gleich sauer", bat Mariko ihn. "Ouh Mann... ihr zwei..." Sie seufzte. "Früher oder später musste es ja so kommen." Toya schwieg. Er blickte beschämt zu Boden. "Und? Wie weit seid ihr schon?", fragte Mariko plötzlich. Wieder wurde Toya rot. "W...wie...? W...was? I...ich ha...hab gar n..." "Du hast ihn geküsst", unterbrach Mariko ihn. Ihr ständiges Grinsen brachte Toya völlig aus dem Konzept. "Ha...hab i...ich nicht!", erwiderte er. "ER hat MICH..." Er hielt sich die Hand vor den Mund. "Was? Echt?", schrie Mariko entzückt auf. Sie klatschte in die Hände. "Na also! Geht doch!" "Was soll das? Willst du uns etwa verkuppeln?", fragte Toya empört. "Das hast du aber früh gemerkt, du Trantüte! Du stehst echt auf'm Schlauch!", seufzte Mariko. Toya war kurz davor, zu explodieren. "Wollt ihr mich verarschen?", schrie er. "Was soll der Scheiß? Ich bin nicht schwul, klar? Also lasst eure dämlichen Scherze." Plötzlich klang Mariko's Stimme beinahe merkwürdig ernst. "Also Masa für seinen Teil scherzt sicher nicht!", sagte sie. Toya blickte betrübt zu Boden. "Jetzt sei mal bitte ehrlich, Toya", fuhr Mariko fort. "Liebst du ihn?" "Ich...", wisperte Toya beinahe unhörbar. "Du hast es letztes mal, als ihr euch gestritten habt, zugegeben, weißt du noch?" "Ich... weiß nicht", flüsterte Toya. "Das ist gelogen!", sagte eine Stimme tief in seinem Inneren. "Du weißt es ganz genau!" ~*~*~*~*~*~ "So, da bin ich wieder", unterbrach Yue plötzlich ihr Gespräch. "Hab tatsächlich noch Pflaster gefunden." Toya war ehrlich gesagt froh, dass Yue in diesem Moment wieder gekommen war. Er hatte wirklich keine Lust dazu, mit Mariko oder sonst wem, auch noch über all das zu reden. ~*~*~*~*~*~ Währenddessen saß Hiro, so angespannt wie noch nie, auf dem bordeaux-rotem Sofa im Wohnzimmer von Toya's Haus. Seine Eltern saßen neben ihm. Toya's Vater gegenüber. Wie oft hatte Hiro mit Toya hier gesessen und ferngesehen. Er hatte sich hier sonst immer wohl gefühlt, aber heute... Er erinnerte sich daran, wie er und Toya von dessen Mutter wahnsinnig geschimpft wurden, weil sie beim Fußballspielen in der Wohnung eine ziemlich teure Vase zerdeppert hatten. Das war schon Jahre her. Doch Hiro erinnerte sich daran, als wäre es gestern gewesen. Alles in diesem Haus war wie in einem Schloss. Nagelneu, blitzblank sauber und sehr teuer. Toya musste sich doch fühlen, wie in einem Glasmuseum. Jeder falsche Schritt konnte etwas kaputt machen. Andererseits war Toya ja noch nie in einer weniger luxuriösen Umgebung aufgewachsen. Toya's Mutter kam herein und stellte ein Tablett mit Teetassen und einer Kanne auf dem Tisch ab. Dann setzte sie sich neben ihren Mann. "Es ist wirklich sehr nett, dass Hiro für eine Weile bei ihnen bleiben darf", sagte Hiro's Vater. Hiro hatte ihn selten so höflich reden hören. "Es ist ja nur für ein bis zwei Wochen", fügte seine Mutter hinzu. "Bis wir eine neue Wohnung gefunden haben." "Ach was, ist doch nicht der Rede wert", antwortete Toya's Mutter. Sie sah Toya sehr ähnlich. Eine kleine, zierliche Frau mit rotem Haar. Niemand hätte je daran gezweifelt, dass Toya ihr wirklicher Sohn war. Hiro's Mutter hingegen war groß und hatte eine gute Figur. Ihr Haar war blond und kurz. "Bis unser Haus komplett wieder aufgebaut wurde kann es da schon etwas länger dauern", seufzte Hiro's Vater. "Es ist doch ganz selbstverständlich, dass wir ihnen in so einer Situation helfen werden, so gut wir können", sagte Toya's Vater, ein großer, dunkelhaariger Mann. "Und Hiro wird uns sicher nicht zur Last fallen", fügte seine Mutter lächelnd hinzu. Hiro versuchte gute Miene zum bösen Spiel zu machen. ~*~*~*~*~*~ "Danke, dass ihr mich begleitet habt", sagte Toya zu Mariko und Yue, als sie vor seiner Haustür standen. "Kein Problem", meinte Yue. "Also, gute Besserung." Mariko stupste Toya mit dem Ellbogen in die Seite und kicherte: "Und halt die Ohren steif!" "Ma-ri-ko", zischte Toya genervt. "Bis bald. Ciao!", sagte Mariko grinsend. Dann machten Yue und sie sich wieder auf den Weg. ~*~*~*~*~*~ Toya seufzte und drehte den Schlüssel im Schlüsselloch um. Schon im Flur hörte er seine Eltern im Wohnzimmer reden. "Haben sie Besuch?", dachte er. "Komisch, dass sie um diese Zeit schon von der Arbeit zu Hause sind." Nichtsahnend ging er in Richtung Wohnzimmer. Doch im Türrahmen blieb er plötzlich wie angewurzelt stehen. "Was?", dachte er, als er Hiro mitsamt seinen Eltern auf dem Sofa sitzen sah. "Was macht DER denn hier?" "Ah, Toya, Schatz", rief Toya's Mutter, die ihn als erstes erblickte. "Da bist du ja." Hiro's Hände begannen zu zittern. Er wagte es nicht einmal aufzublicken. "Komm, setz dich zu uns", sagte Toya's Vater. "Wir haben eine Überraschung für dich. Hiro wird für eine Weile bei uns wohnen. Bis seine Eltern eine neue Wohnung gefunden haben." Toya stand mit offenem Mund da. "Wie... bitte?", dachte er. "Das ist wohl ein schlechter Scherz!" Wortlos machte er auf dem Absatz kehrt und rannte die Treppen nach oben. Die fünf im Wohnzimmer hörten oben die Zimmertür zuschlagen. "Na so was", murmelte Toya's Mutter. "Was hat er denn?" "Sie haben sich gestritten", erklärte Hiro's Mutter. "Danke Mum!", dachte Hiro genervt. "Vielleicht willst du es auch noch in die Zeitung setzten?!" "Ouh, das wusste ich nicht", meinte Toya's Mutter. Und Hiro's Vater antwortete: "Wir bis vorhin auch nicht." Daraufhin schlug Toya's Vater vor: "Vielleicht solltest du einfach mal zu ihm hoch gehen? Toya ist doch normalerweise gar nicht der Typ für Streitereien." "Ja, das sollte ich", murmelte Hiro, nahm seine Krücken und stand auf. "Überall bin ich im Moment lieber, als in diesem Raum." Er ging die Treppe nach oben, nicht wirklich in der Absicht, mit Toya zu reden. Vor dessen Zimmertür blieb er stehen und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. "Oh Mann", seufzte er. "Ich kann ihm nicht mal in die Augen schauen, geschweige dennoch mit ihm reden. Nicht nachdem ich... ihm... DAS gesagt hab. Er hält mich sicher für 'ne perverse Schwuchtel." ~*~*~*~*~*~ Plötzlich wurde der Türknauf von ihnen heruntergedrückt. Hiro bemerkte es zu spät und als die Tür aufging, stolperte er rückwärts geradewegs in Toya's Zimmer und knallte vor dessen Füßen auf den Boden. "Aaauu", stöhnte er und hielt sich den schmerzenden Rücken. Erst dann blickte er auf und sah in Toya's, nicht gerade glücklich wirkendes, Gesicht. "Ähm, also...", stotterte er und als er merkte, dass er rot wurde, blickte er schnell in eine andere Richtung. "Ich...äh..." Toya reichte ihm die Hand. "Was ist?", fragte er. "Willst du da unten hocken bleiben?" Wortlos nahm Hiro Toya's Hand und ließ sich von ihm auf die Beine ziehen. "Toya, ich... es tut mir..." "Klappe!", unterbrach Toya ihn. Schlagartig verstummte Hiro. "Sag jetzt bloß nicht Es tut mir leid! Was sollte dir schon leid tun?" Er drehte sich um und ging zum Schreibtisch. Wieso wusste er selbst nicht, aber er konnte es nicht ertragen, Hiro auch noch anzusehen, während sie redeten. "Ähm,... na ja, zum Beispiel, dass ich dich ständig behandle wie ein kleines Kind und mich dir dauernd aufdränge", platzte es aus Hiro heraus. "Wenn du mich nicht dabei haben willst, bei diesem Kampf gegen Garasu, dann..." "Blödmann", seufzte Toya. "Was?" "Du bist der dämlichste, bescheuertste, dümmste, idiotischste Blödmann, den ich kenne." "Ja, mag sein", sagte Hiro kaum hörbar. "Der einzige Grund...", begann Toya. Seine Hände zitterten. Wieder spürte er diesen Kloß im Hals. Jedes Wort kam ihm so schwer vor. "... warum ich dich nicht dabei haben will, ist..." Eine Träne tropfte auf eines der Blätter, die auf dem Schreibtisch lagen. "Toya, du Heulsuse!", schimpfte er in Gedanken mit sich selbst. "Hör endlich mal auf zu flennen!" "...ist... weil... weil ich Angst um dich habe!" Hiro blickte beinahe überrascht zu Toya hinüber. "Ich hab Angst, klar?", schluchzte Toya, den Blick noch immer auf den Schreibtisch gerichtet, auf den weitere Tränen getropft waren. "Lach ruhig! Aber es ist nun mal so. Ich will nicht, dass du mich beschützt. Ich will nicht, dass du verletzt wirst. Wenn dir..." Er wischte sich die Tränen am Ärmel ab. "Wenn dir was passieren würde... würd ich mir das nie verzeihen!" "Toya", begann Hiro. Doch er wusste selbst nicht, was er eigentlich sagen wollte. Toya hielt sich die Hände vor das verheulte Gesicht. "Tut mir leid", wimmerte er. "Ich hab dich behandelt wie den letzten Dreck. Das wollte ich nicht." Unsicher ging Hiro auf Toya zu. Er legte die Arme um ihn und schmiegte den Kopf an seine Schulter. Toya, der bis jetzt, über den Schreibtisch gebeugt, dagestanden hatte, richtete sich auf. Er stand mit dem Rücken zu Hiro, deshalb hatte er ihn nicht näher kommen sehen. "Mir tut's auch leid", flüsterte Hiro. "W...was?", fragte Toya aufgeregt. Wie nah Hiro ihm plötzlich wieder war. Und wieder brachte es sein Herz zum schneller schlagen. Diesmal musste Hiro das einfach merken. "Das ich nicht aufhören kann...", wisperte dieser. Mit jedem Wort wurde seine Stimme leiser. "...dich zu lieben." Toya's Herz machte einen Sprung. "Ich hab versucht, es dir zu verheimlichen", seufzte Hiro, ließ Toya los und nahm wieder die Krücken, die er an den Schreibtisch gelehnt hatte, um sich zu stützen. Lange konnte er sich nicht auf einem Bein halten. Er zog sich zum Bett und setzte sich hin. "Ich wusste, es würde alles nur noch komplizierter machen", meinte er. "Ich wollte dir nicht noch mehr Sorgen bereiten, aber..." Erst jetzt drehte Toya sich zu ihm um. "Irgendwie... es ist einfach über mich gekommen. Ich konnte mich nicht mehr zurück halten. Tut mir leid." "Was soll ich jetzt bloß machen?", dachte Toya. "Ich weiß nicht, was ich tun soll." Wortlos ging er auf Hiro zu, bückte sich und legte die Hände auf seine Wangen. "Äh, Toya...", stotterte Hiro verwirrt. "Es ist lange her, dass er mir so direkt in die Augen geschaut hat", dachte er. Sanft streichelte Toya ihm über die Wange. Dann schloss er die Augen und küsste ihn. "Toya,... wieso tust du das?", dachte Hiro. "Wieso lässt du mich in dieser Ungewissheit? Nie weiß ich, was du wirklich fühlst." Er wollte ihn so gerne fragen. Ihn einfach von sich stoßen und sagen: "Was soll das? Einmal lässt du dich darauf ein und dann stößt du mich wieder von dir. Sag mir endlich, was Sache ist!" Doch es ging nicht. Seine Gefühle für Toya überwältigten ihn. "Ich liebe dich", flüsterte er. "Ich liebe dich so sehr... Toya." Es war das erste mal, dass Toya die Initiative ergriff. Überhaupt das erste mal, dass ER HIRO küsste und nicht andersherum. Er wusste selbst nicht, wieso er es tat. Einerseits war er glücklich. "Masa meint es wirklich ernst. Es ist nicht nur ein dummer Scherz für ihn", dachte er. Und diese Gewissheit machte ihn einfach glücklich. Andererseits wusste er jedoch nicht, wie er damit umgehen sollte. "Was will ICH eigentlich?", fragte er sich. Im Moment wollte er Hiro einfach nur küssen. Das war alles. Es war vielleicht nicht richtig, so etwas zu tun, obwohl er Hiro keine klare Antwort geben konnte. Er hätte es sich natürlich vorher überlegen sollen. Doch dazu war es jetzt zu spät. Vorsichtig kroch er auf Hiro's Schoß. Dieser schlang sofort die Arme um seinen Rücken und drückte in sanft an sich. Ihr Kuss wurde immer intensiver. Doch ehe ein Zungenkuss daraus werden konnte, löste Hiro seine Lippen von Toya's und legte sie an seinen Hals. Seine Zunge kitzelte Toya, als sie über seine Haut streifte. Er spürte, dass Hiro schneller atmete. Toya's Puls raste. "Was tue ich hier eigentlich?", fragte er sich selbst. Er streichelte mit der Hand durch Hiro's Haar. Wie weich es sich anfühlte. "Ich hab noch nie so etwas empfunden", dachte er. Er spürte, wie Hiro ihm das Hemd aufknöpfte. Und plötzlich war es, als würde bei ihm eine innere Alarmglocke schlagen. "W... warte", flüsterte er. "Da... das reicht! Stop, l... lass... mich los!" Widerwillig ließ Hiro von Toya ab. Mit noch immer schneller klopfendem Herzen stand Toya auf und drehte sich von Hiro weg. "I... ich, ähm...", stotterte er. "Wow." "Wow?", wiederholte Hiro. "Ist das alles was dir dazu einfällt?" "Nein! Äh, also, doch schon. Ich meine..." Er seufzte. "Tut mir leid. Ich benehme mich wohl ziemlich bescheuert. Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Es ist nur... Das... geht alles so furchtbar schnell..." "Ist schon okay", unterbrach Hiro sein Stottern. Er nahm seine Krücken und stand vom Bett auf. "Ich muss sowieso endlich mal lernen, mich in Geduld zu üben." Und damit ging er zur Tür hinaus. Wieder musste Toya seufzten. "Ouh Mann...", murmelte er. "Du bringst mich noch um den Verstand." ~*~*~*~*~*~ Es war Mittwoch Morgen. "Toya!", rief eine Stimme. Toya konnte es nur leise hören. Noch war er im Halbschlaf. "Toya! Hiro! Habt ihr verschlafen?" "Verschlafen?", wiederholte Toya. Es dauerte ein paar Sekunden, bis er die Worte richtig auffasste. Doch dann schoss er mit einem mal hoch. "VERSCHLAFEN!!!" Er stand hastig aus dem Bett auf und stolperte geradewegs über Hiro, der auf einem Futon am Boden neben dem Bett schlief. "Masa!", schrie er und rüttelte Hiro wach. "Wach auf! Wir haben verschlafen!" Langsam öffnete Hiro die Augen. "Frühstück?", murmelte er im Halbschlaf. "Gut, ich hab echt mordsmäßigen Hunger." "Wach auf, du Penner!", plärrte Toya und schüttelte seinen Freund weiter. "Toya? Was machst du hier?", fragte dieser dann. "Dein Haus ist abgefackelt und deshalb wohnst du jetzt bei mir. Es ist Mittwoch Morgen, der fünfte November zweitausendsechs. Heute schreiben wir eine Arbeit in Englisch. Es ist kurz vor acht Uhr und wir haben verschlafen!" Toya holte Luft. Hiro blickte ihn fragend an. "Ver...", murmelte er. "VERSCHLAFEN???" Blitzschnell schlug er die Bettdecke weg, stand auf, fiel beinahe wieder um, weil er die Krücken vergessen hatte, schnappte sie sich rasch und rannte so schnell sie es zuließen auf den Flur. "Ich muss ins Bad." "Nichts da! ICH muss ins Bad!", schrie Toya und rannte ebenfalls aus dem Zimmer. Gleichzeitig rüttelten beide am Türgriff. "Ich zuerst", schrie Hiro. "Nein, ich!" "Gäste haben Vorrang!" "Ich wohn hier, also hab ICH Vorrang!" Hiro ließ eine der Krücken fallen, packte Toya mit dem gesunden Arm und zerrte ihn von der Tür weg. "Dafür das du ein gebrochenes Bein hast, kannst du aber ziemlich schnell humpeln", plärrte Toya und strampelte mit den Beinen wie ein kleines Kind. "Ist ja nicht ganz gebrochen. Außerdem bin ich auch ein Dämon, schon vergessen?" "Ach ja?", fragte Toya und trat nach hinten, gegen Hiro's Schienbein. Dieser schrie auf und ließ Toya fallen. "Auaaa, verdammt!", jammerte Hiro. Toya rannte ins Bad und knallte die Tür hinter sich zu. "Heeey!", brüllte Hiro ihm nach. Toya öffnete die Tür, schrie: "Und zieh dir gefälligst was an, du Perverser!" "Pamm!", knallte die Tür wieder zu. Hiro blickte an sich herunter und stellte erschrocken erst jetzt fest, dass er nur Boxershorts trug. "Guten Morgen, Hiro", sagte Toya's Mutter grinsend, als sie den Besagten oben an der Treppe stehen sah. Hiro lief knallrot an, rannte in Toya's Zimmer und knallte die Tür zu. "Ach ja", seufzte Toya's Mutter. "So lebhaft geht es hier sonst selten zu. Wirklich eine angenehme Abwechslung." ~*~*~*~*~*~ Eine ganze Weile später stürmten die beiden Jungs die Treppe herunter und aus dem Haus. "Warte gefälligst auf mich!", rief Hiro, Toya nach, der einige Meter vor ihm war. "Loooos, ich denke du verträgst so viel? Wie lange musst du noch auf Krücken gehen?" "So lange du mich ständig schlägst, heilt das bestimmt nicht", maulte Hiro. "Was heißt hier ständig? Ich schlag dich sonst nie!", protestierte Toya. Der Schulweg war Toya heute doppelt so lang vorgekommen. "Wieso fahren deine Eltern uns nicht zur Schule?", fragte er Hiro, als sie gerade das Haupttor erreicht hatten. "Weil die auch irgendwann mal wieder auf die Arbeit müssen", antwortete Hiro. "Toll. Das heißt ich darf ab sofort jeden Morgen früher aufstehen, nur weil ich dank dir doppelt so lange für den Weg brauche", meinte Toya genervt. Sie hatten gerade den Eingang erreicht. Von der Aula her hörte man noch das laute Gerede der Schüler. "Hört sich an, als hätte die Versammlung noch nicht begonnen. Noch mal Glück gehabt", sagte Toya erleichtert und wollte weiter gehen. Doch Hiro hielt ihn zurück. "Hey!", rief er. Toya blieb stehen und drehte sich um. "Wenn ich dir zur Last falle, zieh ich lieber wieder aus." "Ach Quatsch, das war doch nicht ernst gemeint", entschuldigte Toya sich. "Ich kann ja eher aufstehen und alleine zur Schule gehen. Du musst nicht wegen mir..." "Ich hab doch gesagt, es ist okay!", unterbrach Toya ihn. "Und jetzt komm!" "Warte noch!", rief Hiro ihm nach. "Komm mal her!" "Was denn noch?", fragte Toya und ging wieder zurück zu Hiro. "Wir kommen eh schon zu spät." Noch ehe er sich versah, hatte Hiro ihm auch schon einen Kuss auf die Lippen gedrückt. "Ha... hast du sie noch alle?", schrie Toya knallrot. "Wenn das jemand gesehen hätte!" "Die sind doch schon alle in der Aula", beruhigte Hiro ihn. "Sorry", meinte er lächelnd. "Ich brauch das, um Morgens wach zu werden." "Ouh, du...", begann Toya zähneknirschend, seufzte dann jedoch nur und verkniff es sich, weiter zu sprechen. "Komm jetzt endlich!" "Yes, sir!", sagte Hiro lachend und folgte Toya in die Aula. ~*~*~*~*~*~ "Waaaaaaaas?", schrie Mariko, grinste von einem Ohr zum anderen und klatschte entzückt in die Hände. "Ich fass es nicht! Und du wohnst wirklich bei ihm?" Sie deutete zuerst auf Hiro, und dann auf Toya. "Er wohnt echt bei dir? Ihr wohnt ZUSAMMEN?" Toya verdrehte genervt die Augen. "Wir hätten es ihr doch nicht sagen sollen", meinte er zu Hiro. In diesem Moment kam Yue auf sie zu gerannt. "Entschuldigt bitte, dass ich so spät komme", sagte er außer Atem. Die vier hatten ausgemacht, sich in der Mittagspause hinter der Sporthalle zu treffen. "Ich hab noch schnell in Erfahrung gebracht, ob Garasu heute hier ist." "Und?", fragte Toya. Yue schüttelte den Kopf. "Nein. Er scheint öfter blau zu machen als Hiro. Echt Wahnsinn! Hätte nicht gedacht, dass das geht." Hiro blickte ihn beleidigt an. "Was soll das denn schon wieder heißen?" "Echt seltsam", meldete Mariko sich zu Wort. "Er scheint irgendwas auszuhecken. Er fehlt ständig." "Hmm...", murmelte Yue nachdenklich. "Ich versteh das auch nicht. Bis jetzt waren alle seine Angriffe eher harmlos." "Harmlos?", wiederholte Mariko entsetzt. "Ja, für seine Verhältnisse schon. Er plant sicher etwas Größeres." "Oh Mann, noch größer? Mir hat das bisherige schon vollkommen gereicht." "Wir können im Moment nichts anderes tun, als abzuwarten." "Hmm... Ach Yue, weißt du schon das Neuste?", wechselte Mariko das Thema. "Masa wohnt jetzt bei Toya!" Hiro hatte es nicht mehr rechtzeitig geschafft, Mariko den Mund zuzuhalten. "Ach echt?", fragte Yue und begann zu grinsen. "Ist ja interessant." "Fängst du jetzt etwa auch schon an?", plärrte Toya. "Hör auf so dämlich zu grinsen! Was gibt's da zu lachen? Es ist nur, weil das Haus abgebrannt ist, klar?! NUR DESHALB!" "Hmm, klar. Verstehe", kicherte Yue. ~*~*~*~*~*~ In den letzten beiden Stunden hatte Toya's Klasse Sport. Ausnahmsweise war Toya nicht der einzige, der auf der Reservebank saß. Gelangweilt beobachtete Hiro seine Klassenkameraden beim Basketball. "Was würd ich dafür geben, wenn ich da jetzt mitspielen könnte", maulte er. "Stimmt, für dich spitzen Sportler ist es sicher schlimm, an 'nen Gips gefesselt zu sein, was?" "Kannst du laut sagen, Kumpel." Toya konnte es nicht ganz nachvollziehen, wie Hiro sich fühlen musste. Aber er wollte wenigstens versuchen, ihn zu verstehen. "Hey", begann Hiro nach einer Weile. "Hmm?" "Schieben wir 'nen Quickie in der Umkleide?" "Waaaas?", brüllte Toya. "Halt die Klappe oder ich breche dir den anderen Arm und das andere Bein auch noch!" "Immer mit der Ruhe. Nicht so aggressiv", sagte Hiro gelangweilt, die Augen immer noch auf das Basketballspiel gerichtet. "Ich bin auch nur ein Mann, klar? Und außerdem brauchen Jungs in unserem Alter eben hin und wieder Sex. Da musst du mir doch zustimmen, oder?" "W...was weiß ich", stotterte Toya verlegen. "Ich hatte ja noch nie..." "Na so ein Glück aber auch", sagte Hiro. "Ich auch nicht." "Komisch, dabei könntest du glatt jede haben", überlegte Toya. "Mag sein, aber du doch auch", erwiderte Hiro. "Und außerdem wollt ich's mir für dich aufheben." Wieder wurde Toya rot. "Jetzt halt endlich die Klappe! Du hast gesagt, du willst dich in Geduld üben. Das hört sich aber gar nicht so an." "Du kennst mich doch. Müsstest eigentlich wissen, wie ungeduldig ich bin." Der Schlusspfiff des Sportlehrers war zu hören. Toya's und Hiro's Mitschüler stürmten in die Umkleide. "Kommst du mal mit?", fragte Hiro Toya, stand auf und nahm ihn bei der Hand. "Was ist los? Wo zerrst du mich hin?", fragte Toya, während er Hiro aus der Umkleide folgte. Draußen ums Eck blieb er plötzlich stehen. "Was ist denn?", fragte Toya erneut. "Weiß du noch, was hier war?", fragte Hiro. Toya antwortete nicht. "Hier haben wir uns geküsst und du hast mir eine reingehauen." "Tut mir leid", murmelte Toya. "Muss es nicht", erwiederte Hiro und ging auf Toya zu. "Aber... du kannst es trotzdem wieder gutmachen." Toya ging einen Schritt zurück, doch dort war die Wand der Sporthalle. "Masa...", sagte er. "Ich weiß nicht, ob..." Doch der Satz wurde von Hiro's Kuss unterbrochen. Widerwillig schloss Toya die Augen. Hiro fuhr ihm mit der Hand unters Hemd. "Wolltest du dich nicht... gedulden?", wisperte Toya. "Du machst es mir aber auch nicht gerade leicht", antwortete Hiro. "Du bist... einfach unwiderstehlich", flüsterte er und knöpfte Toya's Hemd auf. Er küsste seinen Hals. Seine Lippen fuhren langsam auf Toya's Körper herab. "Jedesmal wenn ich dich nur sehe, möchte ich dir am liebsten die Kleidung vom Leib reißen." Toya's Puls raste. Sein Körper fühlte sich an, als würde er beben. Hiro kniete sich vor ihn und öffnete den Knopf von seiner Hose. "Du bist wie eine Droge", flüsterte er. "Ich krieg einfach nicht genug von dir." "Wie eine Droge?", wiederholte Toya leise. In Gedanken fügte er hinzu: "Das selbe denke ich über dich! Ouh Mann, ich kann gleich nicht mehr an mich halten." "N...nicht", stöhnte er. "Hör... auf." Er sank vor Hiro in die Knie. "Hör... auf..." Er legte die Arme um Hiro und küsste ihn innig. "Du sagst Hör auf!, und machst selber weiter?", fragte Hiro ihn. "Nein, mach ich nicht", erwiederte Toya. "Nur küssen! Mehr kriegst du vorerst nicht von mir!" Und damit stand er auf und zog sich wieder gescheit an. Grinsend richtete Hiro sich ebenfalls auf. "Vorerst?", wiederholte er fragend. Wieder wurde Toya rot. "Nerv mich nicht! Ich schwör, ich schmeiß dich zu Hause wieder raus, du perverser Lustmolch!" "Wie oft denn noch? Ich bin nicht pervers! Ich will nur dich und niemanden sonst! Toya! Warte! Lauf nicht schon wieder weg! Du weißt, dass ich nicht so schnell kann mit den Krücken. Toya! Warte!" "Ich fass es nicht", murmelte eine Stimme aus dem Gebüsch. "Also sind die beiden tatsächlich schwul!" Die Person, die sich die ganze Zeit dort hinten versteckt und alles beobachtet hatte, grinste scheinheilig und kicherte: "Wer hätte das gedacht?" ~tbc~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)