Cause I Am A Punk von Ayne (no more, no less) ================================================================================ Kapitel 5: Sweet Little Nightmare --------------------------------- Chapter V: ** Sweet Little Nightmare** ~(Meine erste Nacht neben dir, in der mich meine Gefühle zu ersticken drohten)~ Mit geschlossenen Augen hockte ich vor dem beschmierten Busfenster, lehnte meinen Kopf gegen die milchweiße Scheibe, auf der so ein schmieriger Belag lag, dass ich schon Angst hatte, mein Kopf würde einfach abrutschen. Die Jungs sollten sich an mir mal ein Beispiel nehmen und öfters Bus fahren. Sparte die Gel-Kosten. Das mehr oder weniger beruhigende Vibrieren der ganzen Schmier-Fenster-Konstruktion prügelte mir angenehm stimulierend die letzten brauchbaren grauen Zellen aus dem Hirn und sorgte dafür, dass sich mein Verstand langsam aber sicher verabschiedete. Und so was auf einer schulischen Veranstaltung. Aber was sollte ich schon großartig anderes machen? Die Sitzlehnen meines Stuhls waren mal wieder viel zu niedrig, sodass der einzige, der sich noch vielleicht ganz hätte dran lehnen können, vermutlich ein Gartenzwerg gewesen wär. Sollte ich mich vielleicht den Bewegungen der zitternden Scheibe neben mir anpassen? Nein. Ich wusste, dass das erhebliche Schaden in meiner Motorik hinterlassen würde. Wenn man die zwei Stunden Busfahrt liebevoll mit dem Kopf vor sich hinwackelt, nur damit es angenehmer wird... wird man entweder in Bethel eingewiesen oder zum Wackeldackel degradiert. Gelangweilt schob ich mir ein Gummibärchen zwischen die Zähne, biss kurz und schmerzlos den Kopf ab und hielt mir das nun halbe Weingummiteil vor die Augen. Sah schon interessant aus. Durch die fast unerträgliche Hitze, die dieses Verkehrsmittel in eine 1A Sauna auf Hochtouren verwandelt hatte, konnte man das Bärchen jetzt wohl aufgrund seiner Konsistenz einmal um den ganzen Bus wickeln. Ich wunderte mich schon, dass es nicht einfach zwischen meinen Fingern herfloss und auf dem Boden mit einem Zischen zerschmolz. "Fairy!", riss mich irgendeine für diese Tageszeit viel zu hohe Stimme aus meinen sinnlosen Gedankengängen. Ich blickte hoch und entfernte meinen Dickschädel von meiner allseits geliebten, schon fast lebendig gewordenen Schmierscheibe. "Du sollst doch die Gummibärchen nicht schon vorher essen! Wie soll ich denn dann die Deutung durchführen?" Ich seufzte genervt. Sara und ihr Gummibärchenorakel. Fast hätte ich ihr gesagt, dass man mit den unförmigen Dingern auf einer Temperatur von 100°C sowieso nichts vernünftiges mehr orakeln konnte, aber ich behielt es wie immer lieber für mich. Sara hatte heute schlechte Laune. Da wollte ich ihr nicht den Spaß verderben, obwohl ich das ja mit meinem geköpften Bärchen schon fast getan hatte. Keine Ahnung, warum sich gerade bei ihr mit Sack und Pack der Schlechte-Laune-Teufel eingenistet hatte. Auf jeden Fall schien er vor zu haben, länger zu bleiben. Obwohl ich es mir mit meiner unvergleichlichen Kombinationsgabe fast denken konnte. Denn seitdem Glen aus noch ungeklärten Ursachen in unser Abteil gedüst war, um sich dort neben mir zu platzieren und begrapschen zu lassen, muffelte sie dermaßen vor sich hin, dass sie schon meiner Dauer-Schlechtgelaunten-Wenigkeit Konkurrenz machte. Aber was konnte ich bitteschön dafür, dass werter Herr Moore seine Finger nicht zügeln konnte und der Versuchung erlag, mal wieder irgendeinen Scheiß anzustellen? Und warum zur Hölle noch mal wurde ich dafür verantwortlich gemacht, dass er in unser Abteil rekrutiert worden war? Daran war ganz allein er Schuld und nicht ich Aber Sara sah das wahrscheinlich durch ihre überdimensionale rosarote Brille überhaupt nicht. Am liebsten hätte ich sie ihr vom Kopf gerissen und sie einmal heftig durchgeschüttelt. Doch ich entschied mich besseren Wissens dagegen. Ich beschloss, ihre schlechte Laune über mich ergehen zu lassen, schließlich machte sie es im umgekehrten Fall nicht anders. Mit einem Seufzen lehnte ich mich zurück. Ja ja, ich armer Sündenbock. Immer alles auf die Hübschen. Obwohl das mit den Sündenbock so ja auch nicht korrekt war. Sündenziege, wenn ich bitten darf. Der Schweiß stand mir auf der Stirn. Die Fliegen, die sich zwischen den Bustouren oder durch das geöffnete Dachfenster hindurch in unser Reisegefährt gemischt hatten, summten mir wie blöde um den Kopf und erdreisteten sich, sich alle paar Sekunden auf einem meiner luxoriösen Körperteile niederzulassen. Gut, dass ich meinen Collegeblock kurzerhand zu einer Fliegenklatsche umfunktioniert hatte. Damit hatte ich schon einen Großteil von ihnen gekillt. Tja, selbst Schuld. Der Bus holperte mit einem unerträglichen Geschaukele über die Landstraßen und schien es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, jedes erdenklich winzige Schlagloch mitzunehmen. Gab es dafür eigentlich eine Weltmeisterschaft? Na ja, gut dass ich auf meine Linie achten musste. Denn hätte ich innerhalb der letzten zwei Stunden was gegessen, wäre ich es bestimmt schnell bei demjenigen, der vor mir saß, losgeworden. Ich meine, nicht dass ich nicht mal Lust gehabt hätte, Glen vor die Füße zu kübeln, aber ich war mir nicht sicher, ob das mein Ansehen in der Klasse ungemein gesteigert hätte. Was unsere Bleibe für die nächste Woche betraf, erahnte ich Furchtbares. Mr. Taylor hatte zwar behauptet, dass wir am Stadtrand eine überschauliche Jugendherberge erwischt hätten, aber so, wie es in dieser Gegend hier aussah, tippte ich eher auf einen überschaulichen Bauernhof. Ich verzog mein Gesicht und wischte die Gruselgedanken mit einer Handbewegung beiseite. Eher würde ich hier in diesem Reisebus meine Nächte verbringen, in dem es so extrem nach Schweiß roch, dass meine Nase zu jucken anfing, als auf einem Bauernhof zu pennen. Lieber Schweißgeruch als Gülle. Na ja, spätestens in einer halben Stunde würde ich mehr wissen. Stellte sich nur noch die Frage, ob ich es überhaupt wissen wollte. "Es ist Rot.", murmelte ich und schloss die Augen. "Was...?", fragte Sara irritiert, die so spät nicht mehr mit einer Antwort gerechnet hatte. "Das Gummibärchen.", nuschelte ich mit einem Blick auf das unförmige Ding, dass an meinem Zeigefinger klebte und keine Anstalten machte, sich von alleine da wegzubewegen. "Es ist rot." Sofort kramte sie aus den Tiefen ihrer Tasche ein Buch mit der schwer zu erratenden Aufschrift "Das Gummibärchenorakel" heraus und blätterte wie wild drin herum, um meine Zukunft in der nächsten Woche vorherzusagen. Na geil. Wie ich diese Wischi-Waschi-Deutungen doch liebte. Ich bekam nur noch mit, dass ich ein ziemlich von mir selbst eingenommener Mensch war... bla, bla bla. Alles Gefasele. Konnte sowieso auf alles und jeden zutreffen. Sara's esoterische Anwandlungen gingen durch mein eines Ohr rein und durch mein anderes sofort wieder raus. Stattdessen beschäftigte ich mich damit, das fast schon gasförmige Gummibärchen von meinem Finger abzubekommen, ohne meine Hand dabei allzu schmierig zu machen. Argh! Das war aber auch ein blödes Teil! Wenn man es in die eine Hand nahm, klebte es an dieser sofort fest, und wollte man es in die andere nehmen, ging es auch da nicht mehr weg. Wütend über das Lebensmittel fuchtelte ich mit der begummibärten Hand rum und schüttelte diese, aber es wollte einfach nicht abgehen. Toll, sollte ich jetzt den Rest meines Lebens mit einem Gummibärchen an der Hand verbringen? Ich schüttelte noch einmal kräftiger, was zur Folge hatte, dass das nun vollkommen deformierte Weingummiteil durch den halben Bus ein paar Sitze weiter flog und direkt in Glens Haaren hängen blieb. Ups, was für ein Zufall aber auch. Jetzt hatte es sich auf den Stacheln seines halben Irokesenschnitts aufgespießt. "ENTSCHULDIGUNG!", rief ich amüsiert und schmunzelte in mich hinein. Das tat mir ja auch so leid. Ich würde demnächst mal eine Spendenaktion für arme Punks starten, denen Gummibärchen im Haar klebten. Glen fuhr sich vollkommen gelassen mit der Hand durch seine Haare und fischte das Gummibärchen aus seiner formvollendeten Frisur. Dann drehte er sich um und funkelte mich aus seinen blauen Augen an. Sein Blick verriet schon mehr als tausend Worte und ich wusste, dass er in seinen Gedanken schon mit mir abgeschlossen hatte. Warum schaute er denn so? War doch bestimmt ein geiles Gefühl. Ich lächelte ihn unschuldig an. Dann hielt ich ihm die Tüte Goldbären hin und säuselte ein: "Magst du Gummibärchen?" Er entblößte ein paar Zähne und hob gekonnt eine Augenbraue, was ihm einen provozierenden Ausdruck verlieh. "Ja, aber keine angelutschten." Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Na immerhin hatte ihm noch nicht das Vibrieren der Fensterscheibe des Busses das Hirn aus dem Kopf geprügelt. Wenn denn eins vorhanden gewesen wäre. Immerhin war einer genau wie sonst. Das gab mir das Stückchen Normalität zurück, was ich bei Sara eben vermisst hatte. "Dann nicht.", murmelte ich und überließ dem halben Gummibärchen bei Glen seinem Schicksal. Oder sollte ich sagen, das Gummibärchen überließ mich bei Sara mit meinem Schicksal? Die legte nämlich gerade das spannende Buch zur Seite, dass mich so brennend interessiert hatte. Sie schien sichtlich unzufrieden. Was genau war jetzt eigentlich los mit ihr? Hatte sie einen Besenstil verschluckt, oder warum saß sie so stocksteif und verkrampft da und starrte nur bissig in eine Ecke? Gut, ich hatte ihr wie immer nicht zugehört... aber daran müsste sie sich eigentlich schon gewöhnt haben. Plötzlich starrte sie mich so funkensprühend an, dass mir ganz schwummerig wurde. Ihr heißes Gemüt machte die erbarmungslose Hitze hier drin auch nicht gerade erträglicher. Ihre Lippen fingen an zu zittern und ich spürte, wie der Zorn in ihr kochte und brodelte. Sie servierte mir ihre Meinung mit einer gehörigen Portion Ärger in der Stimme: "Du machst dich schon wieder an ihn ran." Ich stockte. "Wie bitte?" Sie presste die Lippen aufeinander und schloss die Hand so fest zur Faust, dass die Knöchel weiß hervortraten. Die Gummibärchentüte auf ihrem Schoß wurde durch die Bewegungen des Busses so durchgeschüttelt, dass die Kolonie von Gummibärchen darin schon im Begriff war einen unsanften Abgang aus ihrer geborgenen Tüte auf den staubtrockenen Busboden zu machen. Mit einer gezielten Bewegung hielt ich die Tüte zu und faltete sie zusammen. Zu meiner Überraschung hob Sara die Hand blitzschnell und wollte sie schon in meine Richtung bewegen, als sie sich zurückhielt. Langsam rechnete ich schon mit einem Gewaltakt. Sie würde doch nicht zuschlagen? Keine Ahnung, wer ihr wieder auf den nicht vorhandenen Schwanz getreten war. Nach einem langen Schnaufen antwortete sie schließlich: "Ich kann es echt nicht ab. Warum musst du dich schon wieder so an Glen ranschmeißen? Du weißt doch ganz genau, dass ICH in ihn verliebt bin. Und du behauptest ständig, dass du ihn voll nicht abkannst und dann... dann... SOWAS!!!" Sie war wirklich wütend und wenn ich nicht gewusst hätte, dass sie kein Drache war, dann hätte ich gemeint, dass sie gleich Feuer spucken würde. Zumindest wusste ich jetzt, welcher Teufel sie ritt. Der kleine, fiese Glen-Teufel. Ich war baff. Ich? Mich an Glen ranschmeißen? Wann? Hatte ich da irgendetwas nicht mitbekommen? "Äh... Sara... Ich kann mich nicht entsinnen, mich irgendwann an...", weiter kam ich nicht, sie unterbrach mich schon wieder. "Jetzt tu doch nicht so! Oder hat sich deine Hand aus Zufall unter sein Shirt geschoben!? Du bist fies. Den anderen kannst du vielleicht was vormachen, mir aber nicht!" Hey, Moment mal. Ich hatte mein Statement ja noch gar nicht zum besten gegeben, wie konnte sie da einfach über mich urteilen? Warum war eigentlich die ganze Welt der Meinung, dass ich mich in diesen Schwachkopf verliebt hätte? "Fies? Wer ist hier fies? Wer schreibt irgendwem hier denn eine Rolle auf den Leib, die er überhaupt nicht haben will? Ich bin weder in Mr. Punk verliebt, noch in irgendwen anders in diesem Bus. Also mach mal halblang. Das mit dem T-Shirt war doch keine Absicht! Es hat sich halt so ergeben. Er hat mich provoziert und ich wollte ihm das Scheißteil von MP3-Player abnehmen. So sieht's aus." Hach Mann, wenn sie Glen so liebte, sollte sie ihn doch ruhig haben! Von mir aus konnte sie ihn hinterhergeschmissen kriegen. Am liebsten hätte ich die beiden eigenhändig in eine Raumkapsel gesetzt und rucki-zucki auf den Mond geschossen. Auf nimmer Wiedersehen. Warum ging sie nicht einfach zu ihm hin und sicherte sich, dass er auch nur wirklich sie liebte und dass auch nur wirklich sie einen Anspruch auf ihn hatte? Wenn sie sich wie die absolute Prinzessin fühlte, sollte sie doch selbst zusehen, wie sie sich ihren Prinz angeln konnte, aber nicht mich für ihre Unfähigkeit verantwortlich machen! Irgendwie wurmte mich das alles so, dass ich kurzerhand von meinem Platz aufsprang. Das war zwar während der Fahrt verboten, aber ich hatte mich sowieso schon mit Mr. Taylor so in der Wolle, dass ein weiterer Verstoß gegen seine Regeln auch nicht auffallen würde. Warum konnte sie denn nicht einfach akzeptieren, dass ich NICHT in ihn verliebt war? Warum konnte sie diese Vorstellung nicht einfach aufgeben? Echt, dieser Junge war schon wie eine Krankheit. Jetzt hatte er schon von meiner besten Freundin Besitz ergriffen. Warum beschäftigte sich die Hälfte meiner Freizeit und meiner Gedanken eigentlich nur mit ihm? Ich meine, wenn es wenigstens schöne Gedanken gewesen wären und nicht immer nur Mordpläne. Aber ich hatte ja vorgehabt, meine Einstellung zu ihm zu ändern. "Aha!", sprudelte sie wieder los. "Und was war das eben gerade? Du hast schon wieder Kontakt zu ihm gesucht! Du hast ihn angemacht!" Ich schüttelte ungläubig mein Haupt und stützte die Arme in die Hüfte. Das war ja wohl die Höhe! Ich würde Glen anmachen? Aber in meinen kühnsten Träumen nicht! "Oh ja! Es ist ja auch so eine Anmache, jemanden mit angelutschten Gummibärchen zu beschmeißen!" Nun war ich auch auf Hundertachzig. Jetzt hatte sie es endgültig geschafft, mich auf die Palme zu bringen. Ich griff zu der Gummibärchentüte und schmetterte ihr entgegen: "Hier, willst du auch mal? Ist gar nicht so schwer! Mit der richtigen Wurftechnik kriegst du jeden an die Angel!!!" Die ersten verwunderten Blicke meiner Mitschüler zogen sich zu mir hin wie zu einem Magnet. Na und? Schaut doch ruhig! Alle Welt sollte wissen, wie schwachsinnig Saras Gedankengang war. "Was willst du eigentlich von mir hören!? ,Glen, ich liebe dich?'??? OH!!! JAAAH, GLEN! ICH WILL DICH! ICH WILL EIN KIND VON DIR! OHHH! JAAH!!! Ist dir das lieber? Willst du das hören? Bist du nun zufrieden???", stöhnte ich eine Spur zu laut. Ich blickte verwirrt in die Runde und räusperte mich. Menschen spüren, wenn sie beobachtet werden. Und in meinem Fall fühlte ich mich, als würde ich von dreißig Mann bis auf die Unterwäsche gemustert. Ach, hätte ich doch heute bloß die Spitzen-Dessous angezogen und nicht die blau-weiß gestreifte mit dem Teddy drauf... Was sollten die anderen nur von mir halten? Ich ließ meinen Blick über die Stille um mich herum schweifen. Selbst das Knattern des Busses schien leiser geworden zu sein. Dann senkte ich den Kopf zu Boden und wurde unweigerlich rot. Innerlich starb ich tausend Tode. Ja ja, das mit dem Stöhnen war schon so eine Sache. Das hatte ich mir doch eigentlich schon am Ende des ersten Kapitels verboten. Ich wusste ja, wie gern so ein Missverständnis breit getreten wurde. Was war nur in mich gefahren? Irgendein Idiot in der letzten Reihe fing an zu klatschen, aber die anderen waren zu perplex, um mit einzustimmen. Sara war knallrot angelaufen und blickte aus dem Fenster, als würde sie mich nicht kennen. Ach, wie schön man doch wieder im Stich gelassen werden konnte. Nervös blickte ich in Glens Richtung. Ich hoffte wirklich inständig, dass er mal wieder viel zu laut Mucke hörte und nichts mitbekommen hatte, allerdings fiel mir kurz darauf siedend heiß ein, dass ich ja die Freundlichkeit besessen und ihm seinen MP3-Player entwendet hatte. Als hätte er meine Gedanken gelesen, drehte er sich kurz darauf um und blickte mir mit einem zuckersüßen Lächeln entgegen. "Ein Kind? Findest du das nicht noch ein bisschen zu früh, Schatz?" Dass ich ihm den gestreckten Mittelfinger entgegen hielt, ging im Gelächter der Klasse unter. Ich wurde aber auch immer falsch verstanden. Glen und ich? Ein Kind? Versuchen wir's gar nicht erst. Kämen eh nur Bastarde heraus. Ein laues Lüftlein erfasste meine Haarsträhne und versuchte sie in die Ferne davonzutragen. Meine Hände zitterten vor Anstrengung, in meinem Kopf ratterte es und es würde sicher nicht mehr lange dauern, bis sich dieses Rattern in einen stechenden Schmerz verwandeln würde. Ich hatte schon keinen blassen Schimmer, wie ich es aus dem klimatisierten Zug in den brütend heißen Bus geschafft hatte. Und noch mehr hätte mich jetzt interessiert, welche höhere Macht meine Füße dazu bewegt hatte, aus dem Bus auszusteigen und mich auf diesen Grund und Boden hier zu hieven. Nun stand ich also direkt vor dem Gebäude, in dem ich die nächste Woche verbringen würde. Oh, wie ich schon die Glücksgefühle in mir aufsteigen fühlte. Verdammte Scheiße. Das hatte ich mir aber anders vorgestellt. Nicht, dass die Fahrt nicht schon eine einzige Tortour gewesen wäre, aber dieser Anblick hier übertraf alles. Lieber hätte ich mir den Gruselschocker "Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast" noch einmal angeschaut, als auch nur einen Schritt in dieses... dieses... Subjekt zu setzen!!! Mein Magen verkrampfte sich, als ich das alte Bauernhaus sah. Meine Nase rebellierte gegen den beißenden Gestank, der direkt von dem Objekt vor mir ausging. Quatsch, bleiben wir lieber bei Subjekt. Ich hatte es doch gewusst. Ich hatte es von Anfang an genau geahnt. Ich hatte mir dieses Horrorszenario vor meinem Inneren Auge schon zigtausendmal ausgemalt, aber nie hätte ich es mir so schlimm vorgestellt. Aber anscheinend schien ich die einzige zu sein, der diese brutal stinkende Atmosphäre missfiel. Meine Mitschüler mutierten zu kleinen Kindergartenkindern und strömten an mir vorbei auf den Hof. Mit lautem Geschrei stürmten sie auf den großen Heuhaufen los und freuten sich, als gäbe es hier irgendwo Freibier. Unser Lehrer hatte gesagt, dass wir irgendwo an den Stadtrand fahren würden, nicht mitten in die Pampa!!! Ich rollte mit den Augen und versuchte, irgendwo in der Ferne ein weiteres Haus zu entdecken. Nix. Null. Finito. Nothing. Niente. WAH! ABGESCHNITTEN VON DER AUßENWELT!!! "Ich geh sterben.", murmelte ich und wollte mich schon gerade wieder umdrehen, als ich aus den Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Direkt am Eingang des Hauses lief jemand herum und schob eine Karre vor sich her. Ich hielt mitten in der Bewegung inne und schärfte meine Augen. Heiliger Strohsack! Mein Atem stockte. Dieser Junge...! Dieses Gesicht...! Ich brauchte nicht lange überlegen, an wen mich das erinnerte... diese hellblonden Haare konnte nur einer haben. Und so wundschöne blaue Augen. "Condor...?", flüsterte ich. Nein, das konnte nicht sein. Aber ich konnte mich unmöglich geirrt haben. Dieser Junge sah ihm so verblüffend ähnlich, dass ich eine Gänsehaut bekam. Ich schüttelte ungläubig den Kopf, konnte aber nicht aufhören, ihn anzustarren. Ich bereitete mich schon drauf vor, gleich meine Augen vom Fußboden aufsammeln zu können, so wie diese hervortraten. Noch einmal schloss ich die Augen, kniff mich und schaute wieder und wieder hin. Condor! Für einen kurzen Moment schien er auch zu mir hinüber zu blicken. Alles bewegte sich in Slowmotion. Als hätte jemand an der Uhr gedreht. Das... war unmöglich! Doch da war er auch schon um die Ecke verschwunden. Ich wollte ihm nachlaufen, ihn genauer mustern und ihn nach seinem Namen fragen... Warte! Unsicher trat ich einen Schritt nach vorne. Dann noch einen. Und dann hörte ich ein komisches Geräusch. Es hörte sich ein wenig schmatzend an, auch ein wenig schlürfend und matschend. Alles sehr seltsame Adjektive, aber allesamt äußerst passend. Ich schaute entsetzt nach unten. "WAS IST DAS?!", schrie ich hysterisch auf. Ein Klimpern verriet mir, dass Glen direkt hinter mich getreten war. Er knackte mit den Fingern, schritt gefährlich nah an mich heran und flüsterte mir mit einem amüsierten Unterton in der Stimme folgendes Wort ins Ohr: "Kuhscheiße." Ich schluckte. Meine Augen weiteten sich. Ein dichter schwarzer Schleier breitete sich vor meinen Augen aus. Ich glaube, ich fiel einfach in Ohnmacht. +++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ Die Dunkelheit um mich herum schloss mich ein, fraß mich von innen auf. Mit jedem Schritt schien mir ein tausendfaches Echo um die Ohren zu fliegen und ich schwitzte am ganzen Körper. Ich wusste weder, wo ich war, noch, wie ich dorthin gekommen war. Mein eigenes Atmen schien mir fast den Kopf zu sprengen. Mir war kalt. Mein Atem hinterließ kleine Dunstwölkchen und ließ mich frösteln. Eine Gänsehaut überzog meinen ganzen Körper. Angst beschlich mich. Wo war ich? Was war passiert? Wer hatte mich hierhin gebracht? Verzweifelt murmelte ich etwas in die Dunkelheit hinein. Ein paar Worte, die wie von selbst aus meinem Mund zu kommen schienen. Ein Name, den ich nie vergessen würde. "Condor...?" Stille. Er kam nicht. Wie denn auch? Er war wahrscheinlich gar nicht hier. Kälte. Einsamkeit. Langsam beschlich mich die Panik. Wer trieb hier seine bösen Scherze mit mir? Wer spielte dieses grausame Spiel mit mir? Ich wollte aus der Dunkelheit heraus, zum Licht. In die Wärme. Das erste mal in meinem Leben wollte ich nicht allein sein und zu anderen Menschen gehen. "Glen...?" Ich schüttelte den Kopf und erschrak, als ich bemerkte, was ich gerade gesagt hatte. Warum kam mir gerade in dieser grässlichen Situation sein Name als zweites in den Kopf? Was zum Teufel ging hier ab? "Glen...!!!" Gegen meinen Willen schrie ich einfach immer wieder seinen Namen. Na geil. Wir rufen den Namen des erstbesten Arschloches, das uns einfiel und hofften darauf, dass er uns aus dieser nicht gerade alltäglichen Situation herausbrachte. Dies hier war nur ein Traum, das wurde mir schlagartig klar. Nichts weiter als ein dunkler, kleiner Traum. Nichts weiter als eine wieder vorrübergehende Ohnmacht. Ich hatte längst realisiert, dass man so einen Mist eher unwahrscheinlich wirklich erleben konnte. Aber der Verlauf dieses Traums irritierte mich ungemein und bezweckte, dass sich ein ungutes Gefühl in meinen Magen schlich. Irgendwas ging hier nicht mit rechten Dingen zu. "Glen..." Warum zum Teufel flüsterte ich Idiot immer wieder den Namen dieses Typen vor mich hin? Wenn ein bisschen Klebeband zur Hand gewesen wäre, hätte ich mir am liebsten den Mund zugepflastert und nie wieder ein Wort gesprochen. Heißkleber hätte es auch getan. War ja nur ein Traum. Glen. Ich ließ die Buchstaben auf meiner Zunge zergehen und vergrub meinen Kopf in meinem Schoß. G. L. E. N. Ein seltsamer Name. Eine seltsame Person. Und ich hatte ein seltsames Verhältnis zu ihm. Warum fiel er mir gerade jetzt ein? Hatte Sara zu viel über ihn geredet? Hatte ich mich etwa in Gedanken zu viel mit ihm beschäftigt? Hatte sie mich zu oft mit ihm in Verbindung gebracht? Schien uns gar unser Schicksal zu verbinden? Scheiß Gedanken. Raus aus meinem Kopf!!! Zu meiner Überraschung mischten sich plötzlich weitere Geräusche in die Dunkelheit. Meine Muskeln waren bis zu Äußersten gespannt. Wer kam da? Warum zum Teufel noch mal konnte ich in dieser verfluchten Finsternis nichts erkennen??? Wenn Condor schon nicht kam, wollte ich niemanden sehen. Er war wie ein Gott, niemand durfte ihm zuvorkommen. Und schon gar niemand durfte mich aus der Finsternis retten. "NIEMAND, HÖRST DU??!!", schrie ich der Gestalt entgegen, die sich mir näherte. Sie schien ein kleines Licht bei sich zu tragen. Glen...? Ich nahm ein Klimpern und Klingeln war, wie ich es nur zu gut kannte. Nur ein Nietengürtel klimperte so. Super, jetzt kam der Typ auch noch wirklich. Am liebsten hätte ich "Bleib weg! Ich will dich nicht hier! Ich brauch dich nicht!" gerufen, aber nun war meine Kehle plötzlich so trocken, dass ich nichts als ein ersticktes Keuchen hervorbrachte. Und diesmal war er nicht da, um mir ein "Kuhscheiße" ins Ohr zu flüstern. Sara! Was hast du mir da nur eingeredet! Dank dir träume ich jetzt schon von Glen!!! Ich hatte meinen Körper plötzlich nicht mehr unter Kontrolle. Es war ja nur ein Traum. Durch den kleinen Schimmer der Lampe erkannte ich sein Gesicht. Dieser Anblick brannte sich in mein Gedächtnis und ließ alle Gedanken von Condor davonfliegen. Durch einen hellgrauen Schleier verfolgte ich, wie ich meine Hand nach dem Gürtel ausstreckte und ihn zu mir hinunter zog. Ich keuchte und drückte mein Gesicht gegen seine Brust. Ich krallte mich an seinem T-Shirt fest. Drückte mich mit meinem zitternden Körper gegen seinen und hoffte darauf, dass er die Arme noch ein bisschen enger um mich schlang... Sein ganz eigener Duft schlug mir entgegen, dass es mir fast die Kehle zuschnürte. Nur ein Traum. Hier war nichts wahres dran. Nichts, was auch nur annähernd in die Realität mit hineingehörte. Warum träumte ich so eine gequirlte Scheiße? Und wo zum Teufel hatte ich gelesen, dass Träume die tiefsten Sehnsüchte spiegelten? Ich.... hatte mich doch nicht etwa...? Nein, hatte ich nicht. Ich durfte nicht. Ich wollte nicht. Aber ich hatte wohl nicht anders gekonnt. Es war unfair. Mir gegenüber. Sara gegenüber. Ihm gegenüber. Ich spürte einen Stich in meiner Brust. Was war das für eine Qual? Vor mir sah ich seine Lippen, wie sie sich langsam bewegten und mir ein paar Worte zuzuflüstern schienen. Dann lächelte er. Warum gerade er? Warum gerade jetzt? Halt, Stopp, Alarmstufe Rot! Ich wollte das nicht! Und doch hatte er diesen Blick, der unter die Haut ging. Irgendwas schien mich tief in meinem Herzen zu berühren... In diesem Traum schlich er sich langsam in mein Herz, wie ein Gift, infizierte all meine Zellen und breitete sich somit in meinem ganzen Körper aus. Und ich ließ es geschehen. Auch wenn ich wusste, dass dieses Gift mich langsam irgendwann sanft töten würde. ++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ Irgendwann verlor ich vor lauter Schwindelgefühl den Halt und stieß ich mit dem Kopf voran mit einem dumpfen Aufprall auf den dunklen Untergrund unter mir. "SCHEIßE!!!", fluchte ich und merkte plötzlich, dass sich der dunkle Schleier hinter meiner Stirn lichtete. Ich war wieder wach. Ich öffnete in Slowmotion die Augen und alles was ich sehen konnte war Schwarz. Toll, was für eine Veränderung. Von Schwarz zu Schwarz, wie unglaublich spannend. Doch dies hier schien glücklicherweise wieder die Realität zu sein. Was für ein erleichterndes Gefühl. Ich drückte mich mit meinen Armen hoch und musste bemerken, dass mein Kopf schmerzhaft pochte. Als ich mich in die Senkrechte gehievt hatte, kam es mir vor, als hätte ich eine Betonplatte auf dem Kopf. Verzweifelt rieb ich mir die Schläfen und blickte mich verwundert um. Erst war alles ein bisschen verschwommen, doch wenn ich genauer hinsah und mich ein bisschen bemühte, konnte ich meine Linsen soweit schärfen, dass die Schemen dreier Holzbetten erkannte. Eins fast über mir und zwei neben mir. Und jetzt wusste ich auch, warum mein Kopf so verdammt hämmerte. Ich Döspaddel war während dieses verwirrenden Traums geradewegs aus dem Bett gekugelt und unsanft kopfüber auf dem Holzfußboden gelandet. Moment mal, Holzfußboden? Betten? Ich sprang auf und ignorierte die Betonplatte auf meinem Kopf. Im ersten Moment fühlte ich mich, als wenn ich direkt rücklinks wieder hinstürzen würde, aber dann konnte ich mein Gleichgewicht halten und mich erst einmal auf das Bett hinter mir setzen. Langsam wartete ich, bis ich wieder voll bei Bewusstsein war. Mittlerweile konnte ich es mir lebhaft vorstellen, wie es war, nach einer durchkifften Nacht in einem fremden Bett aufzuwachen. Nur, dass dieses Bett keiner kleinen Abendaffäre gehörte, sondern der Boden einer Jugendherberge. Ich stöhnte und verdrehte die Augen. Langsam kam die Erinnerung wieder zurück. Plötzlich wusste ich wieder, was mich höchstwahrscheinlich hierher geführt hatte. Mit einem beklemmenden Gefühl schaute ich auf meine selbstleuchtende Armbanduhr von Rolex. Es war mittlerweile schon kurz vor elf Uhr. Also mitten in der Nacht. Ich musste mich ja eine halbe Ewigkeit in dieser komischen Dunkel-Wischi-Waschi-Welt befunden haben. Oh, mein Gott! Ich musste peinlich berührt den Kopf schütteln, als ich mich erinnerte, WAS GENAU ich da eigentlich geträumt hatte!!! Wenn Sara das gewusst hätte, wär sie sicherlich an die Decke gesprungen und hätte mich auf der Stelle aus dem Fenster geschmissen. Aber... wenn ich genauer drüber nachdachte... Bitte nicht. Ich wollte alles, aber nicht im tiefsten Unterbewusstsein in diesen Vorstadtjungen verliebt sein. Schließlich war er ein mindestens genauso großes Egoschwein wie ich. Und das konnte sowieso nicht gut gehen. Kein Wunder, dass ich Kopfschmerzen hatte. Ich musste mich anstrengen, aber aus meinen Gedächtnisfetzen ließ sich mehr oder weniger leicht rekonstruieren, was geschehen war. Ich hatte mich soeben verliebt. Bravo. Nein, falsch. Ich hatte soeben realisiert, dass ich mich vor geraumer Zeit verliebt hatte. Na toll. Hier saß ich also nun, eingepfercht in einem kleinen stickigen Zimmer mit drei Klappbetten, auf einem mikroskopisch kleinen Bauernhof mitten in der Pampa. Und auch noch frisch verliebt in meinen schlimmsten Alptraum. Hurra, holt die Luftschlangen raus! Willkommen in der Hölle auf Erden für so ein von sich selbst eingenommenes Großstadtgirl wie mich! Ich seufzte und ließ mich zurück auf das durchwuschelte Bett hinter mir fallen. Geil, geil, geil. Fast hätte ich laut aufgestöhnt. Selbst die imaginäre Betonplatte auf meinem Kopf war weicher als dieses steinharte Teil hier. Mit einem schmerzverzerrten Gesicht richtete ich mich wieder auf und machte die kleine Nachttischlampe an, damit ich besser sehen konnte. Zu meinem entsetzen musste ich feststellen, dass das Zimmer erleuchtet noch viel schlimmer war als im Halbdunkel. Wo war ich denn hier gelandet? Das war ja mal wieder eine tolle Jugendherberge, die sich unser allseits beliebter Mr. Taylor mit seinen Argusaugen ausgeguckt hatte. Die Betten allein schon waren das absolute Highlight. In meins schienen auf jeden Fall schon mehrere Mädchen dermaßen reingeblutet zu haben, dass das Zeug nicht mehr auszuwaschen war. Aber auch andere unidentifizierbare Flecken tummelten sich auf Bettwäsche, Kopfkissen und Steinmatratze. Verdammt, was hatten die in diesem Bett gemacht? Gyros gegessen? Angewidert stand ich auf. Und in dem Ding hatte ich geschlafen? Noch viel schlimmer: In dem Ding sollte ich die nächsten fünf Tage verbringen? Also nee. Verächtlich schüttelte ich den Kopf und sah mich weiter im Zimmer um. Eigentlich hatte ich schon fast geahnt, was mich erwartete, aber ich wagte dennoch einen Blick nach oben und musste feststellen, dass ich mit meiner Vermutung richtig gelegen hatte. SPINNEN!!! ÜBERALL UNGEZIEFER, WO MAN NUR HINSCHAUTE!!! Erschrocken wich ich zwei Schritte zurück und prallte mit dem Rücken gegen den einzigen Schrank im Raum, in dem daraufhin etwas gewaltig rumpelte. Was ging denn jetzt ab? Mit einer weiteren dunklen Vorahnung öffnete ich den Schrank. Keine Ahnung, wie ich das hinbekommen hatte, da ja die Griffe fehlten und stattdessen Kaugummi drüber geklebt worden war. Zwei Bretter hatten sich verabschiedet und eins war in der Mitte durchgebrochen. Langsam wurde mir eins klar. Das war keine Jugendherberge. Das war auch kein Mini-Bauernhof. Das war nichts weiter als eine Bruchbude. Womit hatte ich das verdient...? Mit einem lauten Krachen schmiss ich die Schranktür wieder zu, woraufhin ein weiteres Poltern zu vernehmen war, was mir in diesem Moment aber scheißegal war. Sollte der Schrank doch ruhig in sich zusammenfallen. Meine heiligen Sachen würde ich in dieses Ungeziefernest bestimmt nicht reintun. Noch einmal ließ ich meinen Blick durchs Zimmer schweifen. Na, immerhin hatten wir ein Waschbecken. Ich wollte zwar nicht wissen, wie viele Schichten Kalk dieses bedeckte und was da für ein Güllewasser rauskam, aber es zählte ja allein die Tatsache, dass wir eins hatten. Doch... was war das??? Ich schritt näher an das gelblich-weiße Teil heran. Die ganze Ablage war schon belegt. Ha, das konnte doch nicht angehen! Werter Herr Glen hatte den kleinen Vorsprung zur Unterbringung seines ganz persönlichen kleinen Haarstudios genutzt. Überall tummelten sich Tönungen, Farbsprays, Haarfestiger und Gel. Wie unglaublich witzig. Dachte er etwa, dass ich gar keinen Platz brauchte? Mit einem entschlossenen Handgriff wischte ich die Utensilien von der Ablage und stapelte sie auf dem Boden. Blitzschnell würde ich morgen bei Tageslicht mein ganz persönliches Schminkstudio dort aufbauen. Soweit ging die Liebe dann doch nicht. Wenn ihm das nicht passte, konnte er ja versuchen, sich mit mir anzulegen. Gerade, als ich fertig war mir auszumalen, wie ich morgen mit einer eleganten Bewegung das komplette Liedschatten-Set mit den 70 verschiedenen Farben dort aufbauen würde, und meinen Blick noch einmal durchs Zimmer schweifen ließ, stieß mein Auge auf etwas sehr Entzückendes. Ich war nicht allein im Zimmer. Glen war ja auch immer noch da. Ich unterdrückte einen spitzen Aufschrei, als ich bemerkte, wie sich sein vor Schweiß glänzender Oberkörper in dem schummrigen Licht der Nachttischlampe bewegte. Der ganzen Bewegung folgte ein gequältes Quietschen von seiner durchgelegenen Matratze, die schon fast auf dem Boden hing. Oh mein Gott! Licht schnell wieder aus!!! Ich hastete zurück zu meinem Betonkasten, der das genaue Gegenteil von seinem ausgelutschten Bett war und löschte blitzschnell das Licht. Nein, ich würde jetzt nicht den Verstand verlieren. Super, das machte die Umstände natürlich noch schöner. Hätte ich nicht ein paar Tage später realisieren können, dass er mir den Kopf verdreht hatte? Ich konnte mich jetzt noch nicht wieder aufs Ohr hauen. Nicht, dass ich Angst vor so einem weiteren Traum gehabt hätte. Ich hatte gerade erst gepennt und Glens Anwesenheit machte mich nervös. Ich wunderte mich schon, warum er nicht von meiner unsanften Begegnung mit dem sicherlich nicht ausreichend gewischten Fußboden wach geworden war. Er pennte aber auch wirklich wie ein Stein. Ich erschrak ein bisschen, als draußen ein gleißend heller Blitz aufzuckte und das Zimmer kurz in grelles Licht tauchte. Foto, bitte lächeln. Ich riss das Fenster auf und ließ ein bisschen frische Gülle-Luft herein. Es fing leicht an zu nieseln und ich hielt meine Hand raus, die kurz darauf eine dünne Schicht von Wassertröpfchen bedeckte. Ein Sommergewitter. Wie wundervoll. Ich atmete noch einmal tief durch, dann bewegte ich mich auf Glens Bett zu und hockte mich davor. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich ihn in der Dunkelheit einfach nur anstarrte. Wenn er sich umgedreht hätte und die Augen geöffnet hätte, wusste ich, dass ich in seinen Augen versunken wäre. Auch wenn ich wieder hätte auftauchen müssen. Ich hatte ein schlechtes Gewissen. Wegen Sara. Warum war ich so blind gewesen, es die ganze Zeit nicht zu merken, wo es schon längst meine beste Freundin realisiert hatte? Irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass sie mich besser kannte, als ich mich selbst. Dabei hatte ich es von Anfang an gar nicht gewollt. Meine Abwehrhaltung hatte mir diese Gefühlskälte eingebracht. Diese Gedanken hatte mir nicht Sara eingeredet. Sie waren in meinem kranken Hirn entstanden, genau wie dieser Traum von eben. Eigentlich wollte ich das nicht. Ich wollte das wirklich nicht. Ich musste etwas dagegen tun. Aber nicht mehr heute. Morgen würde ich mir was einfallen lassen, um die Situation zu retten. Ich legte gegen meinen Willen die Hand auf Glens Rücken. Langsam hob sie sich auf und ab, wie sein Atem. Er schlief ganz ruhig. Bekam nichts von meinem Gefühlschaos mit. Junge, du bist aber auch nicht ganz unschuldig!, wiederholte ich immer wieder in Gedanken. Genau. Er war Schuld an meiner jetzigen Lage. Da merkte man mal wieder, wie gern ich die Schuld anderen Leuten in die Schuhe schob. "Arschloch." Ich lächelte. In dieser verregneten Sommernacht hoffte ich... dass ich untergehen würde... wie der Mond, der verschleiert am Himmel stand. *************************************************************************** Chapter V://** Sweet Little Nightmare **\\ END Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)