Cause I Am A Punk von Ayne (no more, no less) ================================================================================ Kapitel 1: Straight From Hell ----------------------------- Chapter 1: ** Straight from Hell ** ~(Warum ich von dir nicht zum Höhepunkt gebracht werden möchte, mein Süßer)~ Heiße Beats dröhnten ihm um die Ohren, als er die Tanzfläche betrat. Im flackernden Licht der Scheinwerfer begann er, mit rhythmischen Bewegungen jedes weibliche Wesen im Umkreis von einem halben Kilometer auf sich aufmerksam zu machen. Mit seinem typischen "Leckt-mich-doch-alle-mal-am-Arsch-Blick" erreichte er das, was er erreichen wollte: Abstand, aber Bewunderung. Ich schnaubte verächtlich. Was dachte sich dieser Kerl, wer er war? Ein Gott? Nur weil man sich die Haare in sämtlichen knallbunten Farben gefärbt hatte, war man doch kein besserer Mensch. Allerhöchstens dämlich genug, sich mit diesem Regenbogen auf dem Kopf auf die Straße zu trauen. Er verschwand genauso schnell wieder von der Tanzfläche, wie er gekommen war. Die Blicke hingen ihm noch nach, als er schon längst wieder in der dunklen Bar-Ecke lässig auf einem Hocker Platz genommen hatte und sich einen Drink bestellte. Ich wettete um mein klapperiges Sparschwein samt Kreditkarte, dass das illegal war. Wenn nicht sein Alter, dann vielleicht das Zeug, was er sich nachträglich hinein kippte. Ich schüttelte verächtlich den Kopf. Sein Name war Glen. Einen Nachnamen kannte man nicht. Aufgrund seines Hahnenkamms und den Hosen, die ihm bis zu den Knien im Schritt baumelten, wurde er von allen Mädchen angehimmelt, die genauso viel Hirn in der Birne hatten wie eine Maus mathematische Grundkenntnisse. Sprich: So ziemlich alle außer mir. Auch die Tatsache, dass er sich mindestens ein Dutzend Ringe durch Nase, Ohren, Lippe und Augenbraue gedreht hatte, machte es nicht viel besser. Er war ein Sozialfall, das war klar. Aber cool genug, um sich Punk nennen zu können. Schlägt man "punk" in einem Wörterbuch nach, kommt man auf die beiden folgenden Wörter, die meiner Meinung nach sehr treffend sind: miserabel, nichts wert. Er war halt ein Vorstadtjunge, der sein ganzes Leben wahrscheinlich nur zwei Wörter hatte schreiben gelernt: "Sex Pistols" und "The Clash", die wohl beiden berühmtesten Punkrockgruppen der 90er Jahre. Glen war das, was sie alle sein wollten: Cool, unkonventionell, leger. Kurz: Er war ein Arsch. Aber doch anscheinend so süß, dass sie ihn alle anziehend fanden. Selbst manche Jungs konnten ihre Finger nicht von ihm lassen. Ich ließ meine Hand leicht über den Rand meines Glases gleiten. Gespannt starrte ich in die Dunkelheit, versuchte zu erkennen, was er da hinten an der Bar trieb, konnte aber nicht wirklich etwas Brauchbares entdecken. So ein Buntvogel erhob halt doch Aufsehen. Ich hörte ein schrilles Lachen und dann ein helles Splittern: Ein Glas war zu Bruch gegangen. Was machten die da hinten an der Bar bloß? Sollte ich vielleicht mal hingegen? "Farina, was starrst du denn die ganze Zeit da hinten hin? Du weißt doch, die haben es nicht gern, wenn sie angestarrt werden. Willst du unser aller Köpfe aufs Spiel setzten, oder was?!", stupste mich meine Freundin Sara plötzlich von der Seite an. Das war aber auch zu dumm. War mein Blick wirklich nicht zu übersehen gewesen? "Ich geh da jetzt hin.", murmelte ich und schob meinen Stuhl zur Seite. Ich war zwar etwas ängstlich, aber auch neugierig. Und meine Neugier überwog mal wieder. "Spinnst du?! Hast du eine Ahnung, was die da für krumme Sachen machen??? Hallo, Mädel, das sind gutaussehende gewalttätige Kriminelle!" Sara kriegte sich nicht mehr ein. Sie ging grundsätzlich allen Streitigkeiten aus dem Weg und war nie diejenige, die wegen irgendetwas aufmuckte. Also sollte sie diesmal gefälligst auch die Klappe halten. Ich warf ihr noch einen übermütigen Blick zu, bevor ich mein Gesäß ins Wackeln brachte und mit festen Schritten zur Bar hinüberging. Der Barkeeper sah mich erstaunt an. Wenn Glen mit seinen Freunden an der Theke saß, kamen für gewöhnlich nur irgendwelche kettenrauchenden, total dichten Junkies oder halt Girlies. Mist, sah ich denn nicht aus wie ein Girly? Ich schenkte dem Keeper mein süßestes Lächeln und säuselte etwas von: "Ich möchte einen Drink, bitte." Eigentlich vertrug ich keinen Alk, aber wenn ich hier etwas mitbekommen wollte, musste ich wohl oder übel ein paar Opfer bringen. Also wieder die drei K's: Kopfschmerzen, Klo, Kotzen. Na ja, was soll's? Mein Plan schien aufzugehen: Glen und seine Freunde schienen auf mich aufmerksam zu werden. Erst starrten sie mich nur an, aber als ich dann schließlich meinen Drink in der Hand hatte und die ersten paar Schlucke tat, fing einer seiner Kumpels an, mich anzulabern. "Hey, Sweety! Was treibt dich denn hierher? Wurde es dir da drüben in der Nichtraucherecke zu langweilig?" Sehr lustig. Unsere Stammplätze waren also als "Nichtraucherecke" abgestempelt worden. Gut zu wissen. Der Alkohol machte mich nach den paar Schlückchen schon aggressiv. Oder lag es an dem ganzen Rauch hier, der einem schier die Sicht vernebelte? "Nicht jeder, der mal etwas Anständiges trinken möchte, ist so ein Luftverpester wie du, klar?!", fauchte ich und zog eine Grimasse. Ich wusste selbst nicht genau, ob ich diese Grimasse zum Nachdruck meiner Worte zog, oder ob mein Mund sich durch den scheußlichen Geschmack des Alkohols wie von allein verzog. Na ja, war ja auch egal. Hauptsache war ja, dass es wirkte. Und das tat es. Der Junkie zog sofort seinen Schwanz ein und verschwand hinter der nächsten überdimensionalen Rauchwolke. Was hatte ich mir eigentlich erhofft? Mehr als ein paar Bekiffte, die unentwegt "I believe I can fly" sangen, war hier eh nicht anzutreffen. Doch, Glen. Aber an den ranzukommen, war schon eine Meisterleistung. Und was würde ich tun, wenn ich wirklich nah genug an ihn rankommen würde, um ihn anzusprechen?! Ich nahm mir vor, ihm ordentlich mal den Marsch zu blasen. Dieser eingebildete, arrogante Kerl hatte mal eine Abreibung verdient. Seine Freunde waren sowieso schon so zu, dass sie darüber nur lachen würden, aber ich erhoffte mir davon, dass sich wenigstens dieser Glen mal ein Herz nahm und über meine Worte nachdachte. Okay: Ziel im Auge. Nahe genug an Glen rankommen. Den Löwen unter den... ja, unter den was eigentlich? Den Löwen unter den Hühnern? Doch es erwies sich als nicht allzu anstrengend, da mir das Schicksal zu Hilfe eilte. Kaum war der Junkie verschwunden, stand er plötzlich auf, nahm sein leeres Glas in die Hand und ging ebenfalls ein Stückchen näher zur Bar. Er stand fast direkt neben mir, als er den Keeper heranwinkte und ihm ein Zeichen gab, das ich nicht verstand. Dieser verschwand sofort im hinteren Bereich der Theke, der nur für die Angestellten eröffnet war und brachte nach Sekunden eine dunkelgrüne Flasche wieder mit. Mit einem geübten Handgriff köpfte er die Flasche an der harten Theke und schenkte die Flüssigkeit in zwei Gläser ein. Zu meiner Überraschung stellte er das eine Glas vor Glen, das andere schob er mir unter die Nase. "Voilà!", rief er dabei und kümmerte sich mit einem Lächeln auf den Lippen weiter um den Abwasch. Ich schaute erst das halbvolle Glas an, dann starrte ich ein wenig verwirrt zu Glen hinüber, der jetzt direkt neben mir saß und mich aufmerksam musterte. "Was...?", begann ich, wurde aber von ihm mit einem kühlen Blick zum Schweigen gebracht. "Trink!", murmelte er mit einer außergewöhnlich rauen Stimme. Sie wollte nun so gar nicht zu seinem Äußeren passen. Gehorsam nahm ich das Glas in die Hand und setzte es an die Lippen, als ich noch einmal stoppte. Woher sollte ich wissen, was das war? Wollte er mich vielleicht vergiften? Mit einem weiteren Blick verlieh er meiner nicht zu Ende geführten Bewegung Nachdruck. Auch der Barkeeper lächelte mir aufmunternd zu. Na ja, so schlimm konnte es ja nicht sein, wenn der liebe Herr Glen es selbst trank. Als das Teufelszeug meine trockene Kehle hinunterlief, hatte ich das Gefühl, es würde Narben in meinen Körper brennen. Es war so scharf, dass mir für einen Augenblick lang der Atem wegblieb. Ich verkniff mir allerdings im letzten Moment noch einen Hustenanfall, das war jetzt so ziemlich das letzte, was ich brauchte. Oder das beste, um meinen peinlichen Auftritt zu vervollständigen. Schließlich ertönte wieder seine raue Stimme: "Was willst du?" Ich schreckte zusammen. Genau das hätte ich ihn eigentlich fragen sollen. Genau, was wollte er eigentlich, sollte er doch seinen Scheiß alleine trinken, wenn ihn das so happy machte! Na ja, der liebe Glen wollte mich wahrscheinlich vertreiben, damit er mit seinen Drogendealereien ungestört und vor allem unbeobachtet fortfahren konnte. "Bitte was?!", fragte ich, immer noch ein wenig nach Luft ringend. Er warf mir einen so kalten Blick zu, dass es mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Dann wurde seine Stimme plötzlich lauter und zu meiner Belustigung, die weiß Gott in dieser Situation nicht angebracht war, auch etwas höher. "Was du hier willst, verdammt noch mal!!!", schrie er mich fast an. Dabei haute er mit der bloßen Faust auf den Tisch und blinzelte mich scharf aus seinen Augen an, die sich mittlerweile zu Schlitzen verengt hatten. Ich hielt es für besser, ihm schnell seine gewünschte Antwort zu geben. "Was trinken?", meinte ich. Na ja, eigentlich fragte ich eher als alles andere. Glen lächelte mir falsch zu. "Ja klar, und ich bin der Nikolaus im Ganzkörperkondom." Hey, den Ausdruck fand ich gar nicht mal so schlecht. Ich wunderte mich über mich selbst. Eigentlich hätte ich in so einer Situation Angst empfinden müssen, aber stattdessen befand sich in meinem Inneren eine weite Leere. Ein Vakuum, wenn ihr so wollt. Ich lächelte auch. Zwar nicht ganz so falsch wie er, aber immerhin annähernd. "Nicht?", fragte ich scheinheilig und konnte fast die Zornesfunken in seinen Augen aufsprühen sehen. Für einen Moment dachte ich, er würde überschäumen, doch dann machte sich so etwas wie Gelassenheit in seinem Ausdruck breit. "Wie heißt du?", fragte er in dem gleichen Tonfall, indem er mich eben angesprochen hatte. Es war eine Mischung aus Interesse und Befehl, ich wusste es nicht richtig einzuordnen. Ich überlegte einen Moment. Nicht, dass ich meinen Namen nicht kannte, aber ich war mir nicht sicher, ob ich ihn Glen sagen sollte oder nicht. Schließlich entschied ich mich dafür. "Farina.", sagte ich mit fester Stimme. Den Nachnamen ließ ich weg. Der ging ihn nichts an. Ein Lächeln machte sich auf seinen Zügen breit. Er nahm noch einen kräftigen Schluck von dem Spiritusgemisch und stand dann auf, um zu seinem Platz zwischen den Schornsteinen zu gehen. Kurz drehte er sich noch einmal um. "Fairy.", murmelte er und fuhr sich mit der Zunge über die gepircte Lippe. "Durchsichtig wie eine Fee, aber doch so auffallend schön, dass man glatt Lust auf mehr bekommt." Mir klappte der Unterkiefer herunter. Was zum Teufel sollte das denn jetzt schon wieder bedeuten?! Fairy, dass ich nicht lache! Und dann auch noch so ein komischer Spruch, den eh keiner zu deuten wusste! "Ist schon doof, dass man sich das Stroh, das durch das überfüllte Gehirn nach außen dringt, färben muss, damit man nicht erkennen kann, dass es Stroh ist.", murmelte ich, drehte ihm den Rücken zu und watschelte zurück zu meinem Stammplatz. Im Zurückgehen zischte ich noch ein: "Leck mich!" Ich spürte Glens Grinsen in meinem Rücken und verstand gerade noch mit einem Ohr, wie er sagte: "Mit Vergnügen, Fairy." Ohne darauf zu achten setzte ich mich wieder auf meinen Platz im Nichtraucherteil. Dort erwartete mich schon Sara mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Wieso lächelte sie? "Aha, Fairy also." Sie kicherte. Ich schleuderte ihr einen bösen Blick entgegen. Den Spitznamen hatte ich weg. "Lass uns verschwinden. Ich hab kein Bock mehr auf diese vernebelte Disco. Ich will nach Hause, ich hab Morgen Schule.", grummelte ich und trank das Glas aus, dass ich mir vor meinem Besuch bei Glen bestellt hatte. Im Gegensatz zu dem Teufelszeug, dass er mir eingeflößt hatte, schmeckte dieses hier nach Himmel. Sara nickte kurz und packte ihre Sachen zusammen. Gemeinsam verließen wir die Disco und stolzierten hinaus in die kalte Nacht. "So eine verdammte Scheiße!", krächzte ich am nächsten Morgen, als ich auf den Wecker blickte und feststellen musste, dass ich wohl heute lieber nicht zur Schule gehen sollte. Es war eh schon die große Pause vorüber und mein Kopf fühlte sich an wie Blei. Das Kopfheben und Weckerausschalten hatte gereicht, um mein morgendliches Bewegungsvermögen gründlich überzustrapazieren. Gerade, als ich meinen Kopf unter dem Kissen vergraben hatte um nicht in das gleißend helle Sonnenlicht blicken zu müssen, klopfte es ein paar Mal laut an der Tür und meine Mutter kam in Morgenmantel hereingerauscht. "Was is'?", nuschelte ich und setzte noch ein "Vergiss es, ich geh heut nicht zur Schule!" hintendran, damit sie mich ja in Ruhe ließ. Doch zu meinem Übel hatte sie das nicht vor. "Aber Schatz, du weißt doch, dass heute in fast allen Fächern die Noten verkündet werden. Dann weißt du endlich, wo du dich noch verbessern kannst!" Ihre Stimme war wieder dermaßen hysterisch hoch, dass mir die Ohren klingelten. "Los! Raus aus den Federn! Noch ist nichts verloren!", scheuchte sie mich hoch. Durch die abrupten Bewegungen wurde mir schwindelig und ich stürzte sofort wieder zurück ins Bett. "Scheiß Kater!", murmelte ich. Trotzdem wusste ich, dass mal wieder kein Weg an der Schule vorbei führte. So wie ich meine Mutter kannte, würde sie nicht locker lassen, bis ich geschniegelt und gestriegelt brav meine Schulbank drücken würde. Na, wenn's unbedingt sein musste. Missmutig stapfte ich die Treppen zu meinem Klassenraum hinauf. Schon zum hundertsten Mal in meiner schulischen Laufbahn ärgerte ich mich darüber, dass wir den Raum in obersten Stock bekommen hatten. Das war zwar vielleicht was für Sportskanonen, aber sicherlich nicht für eine arme, verkaterte Schülerin, die morgens kaum aus dem Bett gekommen war. Schnaufend und mit megaweichen Pudding-Beinen kam ich schließlich vor der Tür an und klopfte zaghaft. Ich wusste, was mich erwartete. Eine Standpredigt von meinem Lehrer, die sich gewaschen hatte. Konnte ich ihm aber auch nicht verübeln, war schließlich nicht das erste Mal diese Woche, dass ich zu spät kam. Als kein freundliches Wort mich dazu bat, einzutreten, machte ich die Tür auf und schlurfte mit einem total entnervten Blick in die Klasse. Alle Augen waren auf mich gerichtet. Oh, wie ich diesen Auftritt jeden Morgen liebte! "Farina Jones!" Mein Lehrer sah von seinem Pult auf. In seinen Augen spiegelte sich kein einziger Funken der Überraschung, eher des Zornes. "Mal wieder pünktlich zwei Stunden zu spät.", bemerkte er überflüssigerweise und schaute mich aus seinen 30mm Brillengläsern eisern an. "Welche Ausrede haben Sie dieses Mal parat? War es wieder die jetzt schon mindestens drei Mal verstorbene Oma oder doch eher der entlaufene Hund?" Ich funkelte ihn zornig an. Unter Keuchen antwortete ich aggressiv: "Nein, ich hatte einen Kater, verdammt!" Jeder hier im Raum verstand die Zweideutigkeit dieser Worte. "Schon wieder ein neues Haustier?", fragte mein Lehrer und seine Brille rutschte belustigt die Hakennase rauf und runter. Dabei wippten seine Augenbrauen und seine Hand knackte voller Vorfreude auf die kommende Bestrafung. Ich schenkte ihm ein falsches Lächeln und wollte mich gerade auf meinen Platz verpieseln, als mir etwas ins Auge fiel, dass mich schier in der Bewegung inne halten ließ. Da saß etwas auf meinem Platz. Etwas, dass ich am liebsten zum Fenster rausgeschmissen hätte. Etwas ziemlich buntes, gepierctes und ziemlich schief grinsendes. Glen. "So trifft man sich wieder.", murmelte der laufende Hahnenkamm und schüttelte seine Mähne. Die Wut stieg in mir auf wie ein blockierendes Rennauto. Was hatte dieser Kerl auf meinem Platz zu suchen??? "Ah, Farina! Das ist unser neuer Mitschüler Glen Moore, sei bitte netter zu ihm als zu mir.", murmelte der Lehrer, der sich diese Situation natürlich nicht entgehen lassen konnte. Ja klar, ich war doch immer nett. Aber nicht, wenn werter Herr Moore mit seinem vernieteten Hintern meinen Platz blockierte! "Er sitzt auf meinem Platz!", bemerkte ich kühl und wandte meinen Blick nicht von ihm. Er schaute desinteressiert zum Fenster raus. Ja, meinen Fensterplatz, den ich mir schwer erkämpft hatte, würde ich mir nicht so leicht wegnehmen lassen, schon gar nicht von so einem Vorstadtjungen! "Dann können Sie sich ja einen anderen suchen, Miss Jones.", murmelte der Lehrer und griente noch ein wenig breiter. Ja klar, einfach kampflos aufgeben. DAS WAR NICHT MEIN STIL, VERDAMMT! "Ich möchte aber gerne wieder meinen alten Platz!", meinte ich und meine Stimme wurde deutlich höher und zickiger. Ja, ich war halt ein verwöhntes, reiches Einzelkind, dass alles in den Arsch geschoben bekam, was oben nicht mehr rein passte. Ich wollte nur diesen Platz und ich würde ihn bekommen! Nun meldete sich Glen zu Wort: "Du kannst dich ja auf meinen Schoß setzen, Fairy." Mit diesen Worten rückte er ein Stückchen nach hinten und klopfte sich auffordernd auf seine Beine. "NENN MICH NICHT FAIRY, DU FREAK!!!" Nun war es endgültig um mich geschehen. Ich schrie die Schule zusammen wegen einem bekloppten Fensterplatz. Und wegen Glen. Nun riss auch dem Lehrer der Geduldsfaden. "Raus, alle beide! Geht nach draußen und einigt euch! Macht, was ihr wollt, aber stört nicht weiter meinen Unterricht!" Tja, und damit standen wir dann draußen vor der Tür. Und das Gemeckere meinerseits ging weiter. Ich laberte Glen zu, der seine Ohren auf Durchzug schaltete, und jagte ihn durchs Treppenhaus. Er gab nicht mal mehr Widerworte, er hielt sich einfach nur die Ohren zu und nahm von mir nicht weiter Notiz. "Glen, du verdammter Idiot! Hör mir zu, wenn ich mit dir Rede!!!", platzte ich heraus und zwang ihn mit Gewalt, seine Löffel aufzusperren. Er schaute mich gelangweilt an. Dann verzog er seine Lippen zu einem Zähnefletschen und verkleinerte die Augen zu Schlitzen. "Warum sollte ich einer verwöhnten Zicke wie dir zuhören, wo sie doch sowieso nur gedanklichen Stuss produziert und nichts weiter Konstruktives von sich gibt?" Na ja, gewählt ausdrücken konnte er sich ja. Lässig ging er die Treppen zu unserem Klassenraum wieder hoch. "Glen!!! Bleib gefälligst hier!" Ich hechtete hinter ihm her, so was ließ ich mir doch nicht einfach so bieten. Mit einem entschlossenen Griff erwischte ich ihn an seinem Nietengürtel und zog mich zu ihm rauf. "Ich bin noch nicht fertig mit...", begann ich, wurde aber abrupt von ihm unterbrochen, als er seine Hand gegen mein Schlüsselbein drückte und somit erreichte, dass ich ein paar Schritte rückwärts torkelte und mit dem Hinterteil gegen das Treppengeländer prallte. Doch damit nicht genug, gerade als ich mich wieder gefangen hatte, rückte er blitzschnell vor und bog meinen Oberkörper über das Treppengeländer, sodass ich mit dem halben Körper in der Luft hing. Ich unterdrückte einen Aufschrei, als sein Gesicht sich meinem soweit näherte, dass ich nur noch seine blaugrünen Augen in Lebensgröße vor mir sah. "Glen-...", keuchte ich und versuchte mich wieder aufzurichten, doch er blieb erbarmungslos und drückte mich wieder in meine hilflose Position zurück. Eine falsche Bewegung seinerseits und ich würde kopfüber das Treppenhaus runterstürzen. "Jetzt hör mir mal zu, kleine Fairy." Dabei schaute er mich aus seinen Augen so stechend kalt an, dass mir das Blut in den Adern gefrierte. "Von mir aus kannst du den Platz haben. Ich war sowieso nie besonders scharf darauf gewesen, diesen verseuchten Platz zu besetzten, wo du doch schon mal draufgesessen hast." Damit hatte ich nun nicht gerechnet. Ich hatte geglaubt, er würde sich diesen Platz um jeden Preis erkämpfen wollen. Aber dem war wohl nicht so. Na ja, auch gut. Er blies mir seinen heißen Atem ins Gesicht und richtete sich wieder auf. Ich atmete erleichtert auf und brachte mich wieder in die Senkrechte. Mir war schwindelig. So ein bisschen kopfüber im Treppenhaus hängen bekommt einem nicht gut, ich spreche nun aus Erfahrung. Ich folgte ihm schließlich die restlichen Stufen zu unserem Klassenzimmer hinauf und hielt lieber meine Klappe. Für dieses Mal hast du gewonnen, Glen Moore, aber wenn du denkst, dass ich das auf mir beruhen lasse, da hast du dich geschnitten! Innerlich kochte ich und schmiedete bereits Rachepläne. Vollkommen erschöpft kam ich also ein zweites Mal innerhalb kürzester Zeit oben an meinem Klassenraum an. Ohne ein weiteres Wort folgte ich Glen schwer atmend vorbei am Lehrerpult zu den Bankreihen. Meine Beine waren vom vielen Treppensteigen und wie Wackelpudding und ich war froh, dass ich meinen verwöhnten Hintern endlich auf meinem Fensterplatz platzieren konnte. Nur noch ein paar Schritte... dann war es geschafft...Ich seufzte erleichtert. In den Reihen wurde Geflüster laut. "Na, Glen? Haste sie in so kurzer Zeit zum Höhepunkt gebracht?" Ich vernahm blödes Kichern und stellte meine heftige Atmerei ein. Diese blöden Bastarde! Ich wollte weder von Glen zum Höhepunkt gebracht werden, noch von irgendeinem anderen Schnösel hier in diesem gottverdammten Gebäude! "Sehr lustig.", murmelte ich noch, setzte mich auf meinen zurückeroberten Fensterplatz, wischte mit einem Ärmel die Glen-Bazillen davon und schaute scheinbar angestrengt zur Tafel. Der konnte was erleben! Mister Moore konnte froh sein, wenn ich ihm nicht innerhalb der nächsten Minuten all seine Piercings aus dem Hirn riss und ihm seinen verblödeten Schädel kahl rasierte! Ich ließ meinen Blick unauffällig zu ihm schweifen. Doch er strich sich nur lässig über seine bunte Mähne und grinste mich frech an. Chapter 1/ ***Straight From Hell*** \ END Kapitel 2: Never Bet Again -------------------------- Chapter II: ***Never Bet Again*** ~(Um die Ehre: Lass dich niemals von jemandem aufs Kreuz legen, von dem du weißt, dass er ein Arsch ist!)~ Das ungleichmäßige Rattern der Straßenbahn rüttelte den letzten Schlaf aus meinen Gliedern und ließ mich bei einer scharfen Kurve nach links taumeln. "Entschuldigung.", murmelte ich dem Mann zu, den ich bei der Schaukelei unsanft angestoßen hatte und griff schließlich nach einer Festhaltemöglichkeit. Es war aber auch zu ätzend! Jeden Morgen das gleiche Theater! Wie ich doch diese vollkommen verstopften U-Bahnen hasste!!! Angewidert drehte ich mich weg, als eine Elefantenkuh sich dem Ausgang und somit auch mir näherte... Moment mal, war das wirklich eine Elefantenkuh? Nein, es war eine übergewichtige, in tausend Lagen von Kleidern gewickelte Matrone, die einen so extrem roten Lippenstift aufgelegt hatte, dass man bei ihrem Anblick fast blind wurde. Na ja, wer kennt sie nicht? Die Frauen, die sich auch noch im Alter einzureden versuchen, gut auszusehen, obwohl sie es in ihrer Jugend schon längst hätten aufgeben müssen. Da halfen auch ein bisschen Kleister und schrille Farben nichts. Nein, sie würden keine Miss-Europa-Wahl mehr gewinnen, allerhöchstens eine "Miss-Schrullen-Wahl". Aber da es die ja nicht gab, war das Einzige was sie bekamen Aufmerksamkeit. Ob diese nun positiv oder negativ war... da lässt sich drüber streiten. Aber was sollte es? Es konnte ja nicht jeder so hübsch sein wie... beispielsweise ich. Ihr denkt, ich bin angeberisch? Na, und? Eingebildet zu sein ist kein Verbrechen, allenfalls eine schlechte Charaktereigenschaft. Wenn überhaupt. Tja, und da der Mensch von Grund auf mehrere schlechte Eigenschaften hatte, machte ich mir darum auch weiter keinen Kopf. Dann hatte es mich halt mit Eingebildetheit getroffen. Doch ich glaube, es wäre euch nicht anders gegangen, wenn ihr unter meinen Verhältnissen aufgewachsen wärt. Aber dazu später mehr. Gerade, als die Bahn halt machte und dadurch durch die stehenden Fahrgäste einen Ruck gehen ließ, der alle noch ein bisschen weiter zu einer kuscheligen Runde zusammentrieb, spürte ich plötzlich eine Hand auf meinem Oberschenkel. Verwirrt schreckte ich auf. Wie? Was? Wo? Was machte diese Hand bittschön auf meinem nackten Oberschenkel? Eigentlich hatte ich ja nicht meinen kurzen Rock an, unter den manche männliche Gestalten gerne mal gefasst hätten.Nein, eigentlich war mein Rock eine Hose. Eine stinknormale Jeanshose. Gott, womit hatte ich es hier nur zutun? War der Typ wirklich nur geil auf mich, oder war er gar ein Jeanshosen-Fetischist? Einen Moment überlegte ich, was ich tun sollte. Ich hatte zwar schon öfters davon gehört, dass junge (und hübsche) Schulmädchen in der Bahn oder im Bus belästigt wurden, aber ich war nie davon ausgegangen, dass es mir auch einmal passieren könnte. Verwirrt starrte ich auf den Ausgang. Davonrennen? Nein, das war feige. Wild um sich schlagen? Nein, das war brutal. Erst mal abwarten? Ja, und Tee trinken. Mal sehen, was passierte. Irgendwie fand ich die Situation aufregend. Nicht, dass ich besonders scharf darauf war, die Hände eines Perversen auf meinem samtweichen Körper zu spüren, aber ich meine, so eine gespannte Situation hatte man doch nicht alle Tage. Und schon gar nicht in der ätzenden U-Bahn-Fahrt zur Schule. Da hatte ich wenigstens was, was ich meinen Freundinnen erzählen konnte. Ich verwarf meinen Plan, als sich die Hand verdächtig langsam meinem Hintern näherte. So kuschelig wollte ich es dann doch nicht haben. Wo kam diese Hand her? Konnte eigentlich nur von hinten kommen. Ja, irgendwo hinter mir war dieser Perverse, der seine Pranke an meinem Hintern hatte...! Unauffällig schnellte meine Hand zurück und wollte nach der unbekannten greifen. Doch ich fasste ins Leere. Der Typ war saumäßig schnell. Langsam wütend werdend zischte ich ein "Scheiße!" und verlagerte mein Gewicht auf die rechte Seite. Vielleicht sollte ich doch den Plan mit dem Aussteigen in die Tat umsetzten? Mit den Augen bahnte ich mir einen Weg zwischen den Menschenmassen hindurch zum Ausgang. Nein, es war ein Ding der Unmöglichkeit, jetzt auszusteigen. Zu viele Menschen, zu viel Gedränge und zu stickige Luft. Der penetrante Parfumgeruch der schrillen Matrone, die bereits vor zwei Stationen hatte aussteigen wollen, es aber aufgrund ihres Körperumfangs noch nicht bis zur Tür geschafft hatte, hing mir in der Nase und verkomplizierte das Atmen auf eine grausame Weise. Womit hatte ich das verdient? Hätte meine Mutter mich denn nicht wenigstens in unserer schwarzen Limousine zur Schule bringen können? War das zu viel verlangt??? Da war sie wieder. Dieses grausige Subjekt, was sich langsam meinen Schenkel hinaufschlich und schließlich zwischen meinen Beinen einparken wollte... Das ging doch nun wirklich zu weit!!! Blitzschnell überlegte ich. In meiner Linie war niemand, der in meine Klasse ging. Ich konnte mir also einen weiteren Wutausbruch leisten. Also reagierte ich. "LASSEN SIE IHRE DRECKIGEN FINGER VON MIR!!!", schrie ich, drehte mich blitzartig um und blickte direkt in das Gesicht einer überraschten, mit Sicherheit unschuldigen Omi, die mir aus ihren faltigen Augen und den darunter liegenden Tränensäcken verdutzt entgegen blickte. Nein, diese alte Frau war sicher nicht so verquer, dass sie ein hübsches Schulmädchen wie mich begrabbelte. Doch hinter ihr schien sich jemand angesprochen zu fühlen. Die Hand schnellte zu einem im schwarzen Anzug gekleideten Mann zurück, der sich hastig in die entgegengesetzte Richtung drehte und vollkommen unschuldig aus einem der verschmierten Fenster blickte. Erwischt! Schnell entschuldigte ich mich bei der armen Oma und drängte mich an ihr vorbei, bis ich direkt hinter dem Mann stand, der mich begrabscht hatte. Was konnte ich diesem heruntergekommenen Kerl antun, was er sich nicht schon selbst angetan hatte? Wie konnte man nur so tief sinken? Aus den Augenwinkeln sah ich, dass wir bereits in der Straße waren, wo ich aussteigen musste. Verfluchter Mist! Ich musste diese Angelegenheit so schnell wie möglich über die Bühne bringen, wenn ich noch rechtzeitig zur Schule kommen wollte! Die Bahn hielt, der Mann stolperte rückwärts und meine Stunde war geboren. Mit einem kurzen Ruck zog ich mein Bein an, was Millisekunden später ungemütlich zwischen seinen Beinen landete. Autsch, das musste weh getan haben. Der Mann keuchte auf, zuckte zusammen und wollte sich krümmen. Was ihm auch erfolgreich gelungen wäre, wenn nicht vor ihm die Matrone gestanden hätte, in deren Ausschnitt er beim Zusammenzucken automatisch gelandet war. Buärks, geschah ihm Recht. Sein Kopf hatte sich direkt zwischen ihrem Atombusen verfangen und wollte aus dem Berg Fleisch einfach nicht mehr herausfinden. Das folgende Donnerwetter bekam ich nicht mehr mit, weil ich mir den Weg zum Ausstieg bahnte und kurz darauf sicher auf dem Fußgängerweg landete. Ich böses Mädchen. Wenn das jemand aus meiner Klasse mitbekommen hätte, wäre ich so ziemlich am Arsch gewesen. Mein Ruf als Männerpeinigerin wäre gemacht und ich wäre den als arrogante Zicke los, der mir um vieles besser gefiel. Eigentlich hätte mich das ja nicht weiter stören sollen, schließlich waren mir die Jungen aus unserer Klasse (die dann plötzlich meilenweit Abstand von mir halten würden) so ziemlich egal wie eine Eintagsfliege. Allerdings sprechen sich solche Sachen schnell rum und würden sicher auch nicht die höhere Klasse verschonen, in der mir die Jungs um einiges besser gefielen. Also, Achtung. Nicht den falschen Leuten erzählen, was heute Morgen in der U-Bahn vorgefallen war. Verschmitzt, und mit einem fiesen Lächeln auf dem Gesicht, drehte ich mich noch einmal um, um einen Blick in die Bahn zu erhaschen und um mich an den Leiden dieses perversen Grabschers erfreuen zu können. Doch das, was ich sah, war keinesfalls erfreulich. Es war regelrecht erschreckend. So erschreckend, dass sich Panik in meinem Inneren breit machte und sich plötzlich ganz viele kleine Schweißtröpfchen auf meiner Stirn bildeten. Ich hatte gedacht, mich sah niemand. Ich hatte gedacht, ich wäre unerkannt in der Bahn gewesen. Ich hatte gedacht, dass niemand von meinem Treiben Notiz nehmen würde. Doch da hatte ich die Rechnung ohne Glen gemacht. Dieser schob sich gerade die Stöpsel seines MP3-Players in die Ohren, wippte langsam mit dem Kopf im Takt und stieg lässig aus der Bahn aus, die auch ich gerade verlassen hatte. Na, geil. Ich konnte mein Testament schreiben. Eigentlich hätte ich ja daran zweifeln müssen, dass er auch wirklich alles mitbekommen hatte. Doch an dem Funkeln in seinen Augen erkannte ich eindeutig, dass dem nicht so wahr. Er wusste es. Und er wusste auch, dass ich wusste, dass er es wusste. So ein Quatsch. Auf jeden Fall hatte er mich damit vorläufig in der Hand. Meine Stimmung war düster. Auf dem absoluten Tiefpunkt, weit unterhalb der Null-Marke. Dass dieser Punk mich praktisch in der Hand hatte, gefiel mir gar nicht. Das machte auch die Tatsache, dass wir die erste Stunde laut Vertretungsplan frei hatten, nicht besser. Ich wollte nur noch nach Hause und dort die gemütliche Ruhe meines Bettes genießen. Ohne irgendwelche Matronen und Grabscher, ohne Schule und vor allem ohne Punks! Einfach den Kopf in das kuschelweiche Kissen zurücksinken lassen und den Schlaf nachholen, der mir in der letzten Nacht aufgrund meiner Mutter ungerechterweise geraubt wurde. Diese war nämlich "versehentlich" an meinen Wecker gekommen, der daraufhin anfing, um vier Uhr morgens schrill vor sich hin zu piepen. Tja, bis er an der Wand landete und nichts außer ein paar kleiner Plastikscherben von ihm übrig geblieben waren. He, he. Tja, doch dann war ich wach. Und konnte erst mal nicht einschlafen. Ich schreckte aus meinen Gedanken hoch, als mich Sara am Arm ergriff und hinter sich her zur Cafeteria schleppte. Ja, genau. Sara war die, die an dem Abend mit mir in der Disko gewesen war, an dem ich versucht hatte, ein Gespräch mit Glen Moore anzufangen. Vergebens, wie sich ja hinterher herausgestellt hatte. "Fairy, willst du nicht mitkommen? Du siehst so furchtbar lustlos aus, ist irgendwas?", fragte sie mich lieb und blinzelte mir aus ihren blauen, unschuldigen Augen entgegen. Ja, das war Sara, wie sie leibte und lebte. Unschuldig, hilfsbereit, besorgt. Doch in diesem Moment hätte ich ihr am liebsten den Hals umgedreht. "Nenn mich nicht Fairy!", zischte ich schärfer, als ich wollte, und funkelte sie aus meinen dunklen Augen an. Dieser Blick saß eigentlich immer. Doch heute schien absolut nicht mein Glückstag zu sein und mein Rumgezicke ließ sie vollkommen kalt. Stattdessen lächelte sie mich an und flötete: "Aber Fairy, so nennen dich doch alle bereits seit fast einer Woche. Sieh es doch endlich ein, diesen Spitznamen wirst du so schnell nicht mehr los." Na, toll. Klasse. Einsame Spitze. Sag mir mal bitte jemand, dass ich aus dem Fenster springen soll. Ich tu's. Sara erkannte wohl meinen bedröppelten Blick und fügte noch hinzu: "Na, nun nimm's doch nicht so schwer. Schau mal, so schlimm ist der Name doch nun wirklich nicht. Ich wäre glücklich, wenn ich von allen als eine "Fee" bezeichnet würde. Das ist doch ein Kompliment, oder etwa nicht?" Ach ja, die gute Sara. Versuchte immer das Positive in den Dingen zu sehen. Wie unrecht sie doch hatte. "Aber den Namen hat sich dieser hirnrissige Punk ausgedacht!!!", schnaufte ich und ließ mich mit meinem Hintern auf einen der Hocker der Cafeteria nieder. Die Wut köchelte wieder in mir hoch. Brodel, brodel, blubber, blubber... "Sprich mich nicht an, ich bin kurz vorm überschäumen...!" Sara zog belustigt eine Augenbraue hoch. "Ach, also da liegt das Problem? Du kannst Glen nicht leiden?" ,Nicht leiden' war zwar untertrieben, aber ich nickte genervt. "Auch schon bemerkt?", fragte ich bissig und erhob mich doch wieder von meinem Hocker, um mir eine heiße Tasse Kaffee zu holen. Nichts brauchte ich in diesem Moment mehr, als eine ordentliche Portion Koffein. "Für mich bitte auch!", rief mir Sara hinterher, die wusste, was ich mir holen wollte. Auf dem Weg zur Theke nahm ich noch etwa zehn Bestellungen entgegen, sodass ich mit einem vollbeladenen Tablett um die Tische wackelte und wie eine Angestellte den Kaffee verteilte. Was tat man nicht alles für ein gutes Klassenklima? Als ich damit schließlich fertig war, kehrte ich zu Sara an meinen Stammtisch zurück und ließ mich mit einem lauten Plumpsen nieder. Ja, ich konnte ihn nicht ab. Was war schon dabei? Jeder hatte doch wen, den er nicht mochte, und bei mir war die Wahl halt auf Glen gefallen. Sara mochte doch auch nicht jeden. Doch sie ließ nicht locker. "Gib ihm doch noch eine Chance. Er ist schließlich noch nicht ganz eine Woche in unserer Klasse und muss sich erst einfinden. Da kannst du ihm doch nicht mit so vielen Vorurteilen entgegentreten..." Ich unterbrach sie. "Sara! Jetzt hör mir mal zu! Ich weiß nicht, warum du diesen... diesen... diesen... Jungen in Schutz nimmst, aber das, was er sich geleistet hat ist jenseits der guten Manieren. Ja, du hast Recht: Er ist noch keine Woche bei uns. Aber soll ich dir mal was sagen? Gleich am ersten Tag hatte ich Riesen-Zoff mit ihm und wir bringen uns mit Blicken regelmäßig um! Was erwartest du von so einer Beziehung? Soll ich ihn heiraten? Wenn wir die Schule beendet haben, kann er mir mal am Arsch vorbei gehen und die Jahre bis dahin werde ich auch noch irgendwie überstehen!!! Man muss nicht immer mit jedem einen auf Gut-Freund machen, es reicht manchmal, wenn man sich einfach so gut es geht aus dem Weg geht." Doch genau das schien der liebe Glen nicht vorzuhaben. Gerade, als Sara etwas erwidern wollte, kam er plötzlich zu unserem Tisch hinübergeschlürft und lehnte sich lässig zwischen mich und sie, sodass ich nur noch ihn sah. Ich verschluckte mich fast an meinem Kaffee und konnte mich noch gerade davon abhalten, ihm das brühwarme Zeugs geradewegs ins Gesicht zu prusten. Was wollte der denn von mir? War ich ein Magnet? Oder wollte er mich erpressen, wegen der Sache, die er heute morgen beobachtet hatte? Panisch blickte ich auf und schaute ihm in seine grün-blauen Augen. "Was is'? Hab ich Kacke im Gesicht, oder warum starrst du mich so an? Was willst du von mir?" Seine Augen verengten sich zu Schlitzen. Musik drang an mein Ohr. Er hatte seinen MP3-Player so laut gestellt, dass die halbe Cafeteria mithören konnte, die Stöpsel baumelten im aus dem Sweatshirtkragen und gaben wahrhaft grausige Musik von sich. Wenn man das überhaupt noch Musik nennen konnte. Ich erwartete ja nicht von ihm, dass er sich Britney Spears oder Mariah Carey, oder all die anderen aufblondierten Pop-Diven antat, aber einen etwas humaneren Geschmack hätte ich ihm schon zugetraut. Er fletschte die Zähne (In Fachkreisen auch Lächeln genannt). "Komm mit!", flötete er und zog mich grob am Arm hinter sich her. Ich schrie auf und versuchte, mich seinem Griff zu entziehen, doch er hielt mich eisern fest und zerrte mich zu dem Jungentisch. Na, da kam ja eine große Gewitterwolke auf mich zu... mir schwante nichts Gutes. Sara kam hinter uns hergelaufen und gesellte sich ebenfalls zu den Jungs, die gerade meine stechenden Todesblicke ertragen mussten, während ich es mir auf einer Bank bequem machte. Schließlich ergriff Gary das Wort. Gary, der Oberaffe. Gary, unser Mister Bombastic. Gary, mein absoluter Favorit, wenn es ums die Macho-Getue ging. Doch diesmal schien er keinen langweiligen Anmachespruch runterzunudeln, sondern sprach mit gesenkter Stimme, sodass es die Nebentische nicht mitbekamen: "Wir haben ein gutes Geschäft für dich." Ich schaute ihn irritiert an. Ein gutes Geschäft? Ich war doch kein Dealer! "Abgelehnt.", murmelte ich und wollte mich gerade erheben, als Glen mich praktisch nebenbei mit der Hand wieder zurück auf meinen Platz drückte. "Hast du etwa Angst?", fragte Gary und in seinen Augen blitze es auf. Ich und Angst? ANGST? Dieser Begriff war mir fremd. Ich kannte keine Angst. Schon gar nicht vor solchen Affen wie diesen Exemplaren hier vor mir. "Nein, wenn ich will, nehme ich es mit euch allen zusammen auf, ihr Luschen.", zischte ich und erwartete böse Blicke. Die auch nicht lange auf sich warten ließen. Innerhalb der nächsten Sekunden fühlte ich mich mindestens zwanzig mal aufgespießt und ans Kreuz genagelt. Ich klaubte mir die imaginären Nägel aus dem Körper und starrte sie weiter gebannt an. "Gut.", schaltete sich Glen ein und setzte ein lockeres Lächeln auf. Was hatte dieser Kerl vor? Was hatte er für Hintergedanken? "Dann wette ich mit dir." Ich schüttelte verwundert den Kopf. Wetten??? Warum? Musste ich das jetzt verstehen? "Und um was?", fragte ich mit einer provozierenden Stimme und lehnte mich zurück. Da war ich ja mal gespannt. Ich wusste, dass Glen etwas Verrücktes machen musste, damit er in unsere Gemeinschaft aufgenommen wurde. So was das halt. Zumindest bei den Jungen. Warst du cool und machtest allen Scheiß mit, warst du drin. Mauerblümchen und Angsthasen hatten da keine Chance. Und ich glaubte Glen sofort, dass er kein Weichei war und vor allem glaubte ich, dass er sich behaupten wollte. Ja, er war bestimmt so einer, in den sich die halbe Stufe verliebte. Cool genug, um sich alles erlauben zu dürfen. Also beschloss ich, das Spielchen mitzuspielen. Ja, ich würde diejenige sein, die ihm alles vermasselte. Ich würde ihn so vor seinen (fast-)Kumpels blamieren, dass er niemals aufgenommen werden würde! Strike! Er begann, mit dem Piercing an seiner Augenbraue zu spielen und sah mich verschmitzt an. Dann legte er eine raue Stimme auf und erklärte: "Ich wette mit dir, dass ich es schaffe, dir eine Tasse Kaffe in deine Hosentasche zu schütten, ohne dass sie nass wird." Wie bitte?! Was wollte er? Wie sollte das denn bitteschön gehen? Die Wette hatte er doch glatt verloren, außer, er war früher beim Zirkus gewesen und konnte zaubern! Ich lachte überheblich. "Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich dir das abkaufe!" Er grinste wieder und zuckte mit den Schultern. "Du musst ja nicht, wenn du nicht willst, Fairy." FAIRY??? FAIRY!!! ICH GEB DIR GLEICH FAIRY, DU ARSCH!!! Den Gedanken verkniff ich mir lieber. Konnte warten, erst einmal musste ich ihm zeigen, dass er auch nicht nur halb so krass war, wie er immer tat. Das konnte selbst er mir nicht verkaufen!!! "Wie ist denn der Wetteinsatz?", fragte ich erfreut und blickte in die Runde. "Keine Ahnung, such dir was aus.", meinte Glen und strich sich mit der Hand eine blaue Strähne aus dem Gesicht. Ich durfte mir was aussuchen? Das wurde ja immer besser! "Okay, wenn ich gewinne, dann musst du..." Mist, ich brauchte irgendetwas Peinliches. Womit konnte man so jemanden wie Glen schocken? Womit konnte man ihn total zum Affen machen?! "Wenn ich gewinne, dann musst du im Taucheranzug durch die Schule laufen, dir Flossen überziehen und dabei ganz laut "Blubb" rufen!" Ja, das war doch schon mal nicht schlecht. Damit hatte ich ihn! Er grinste frech. "Okay, und wenn ich gewinne, dann tanzt du nackt auf dem Lehrertisch Hulla-Hulla." WAS?! Nein. Das würde ich sicher nicht machen. Und ich war mir auch sicher, dass er das mit dem Taucheranzug nicht machen würde. Schade, ich musste mir wohl was anderes einfallen lassen, denn das Risiko, nackt Hulla-Hulla tanzen zu müssen, wollte ich weiß Gott nicht eingehen. Was für mich akzeptabel erschien, war das Wetten um die Ehre. Denn ich wollte ja grade, dass er die Ehre vor seinen (fast-)Kumpels verlor. Ja, damit hatte ich ihn doch auch. Und mir machte es nichts aus, die Ehre zu verlieren... schließlich war das ja nur so eine Redensart, ich würde sie ja nicht wirklich verlieren. Stellte sich nur die Frage, wie er dazu stand. "Wir wetten um die Ehre.", verbesserte ich mich schließlich. Er nickte und schlug ein. Na das konnte ja was werden! Okay, der Wetteinsatz stand, auch wenn ich mir nicht vorstellen konnte, dass er es wirklich schaffte. Meine Ehre war gesichert! Ich beobachtete, wie er langsam zur Theke schlurfte und eine brühwarme Tasse Kaffee mitbrachte. Schließlich richtete ich mich auf und stellte mich in Position. Ha, der Kerl hatte keine Chance! Mit der Tasse in der Hand baute er sich vor mir auf und machte einen ernsten Gesichtsausdruck. Dann formte er mit den Lippen ein paar unverständliche Worte, fuhr einmal mit der ausgestreckten Hand über den Becher und machte einige seltsame Verrenkungen, sodass es aussah, als wolle er wirklich zaubern. Ich wurde unsicher. Wie konnte das sein? Wieso war er so davon überzeugt, dass er mir den Inhalt dieser Tasse trocken in meine Hosentasche manövrieren konnte? Vielleicht kannte er ja doch einen Trick? Aber wie sollte das funktionieren? War er doch vielleicht beim Zirkus gewesen? Verwirrt schaute ich ihn bei seinen Beschwörungen zu und fing einen ernsten Blick von ihm auf. Seine Augen glänzten komisch und er sah für einen Moment aus wie ein Psychopath. Für eine Sekunde traute ich ihm alles zu. Sogar, dass er es schaffte und die Wette gewann. Als er schließlich mit seinen langen Fingern meine Hosentasche leicht öffnete und die Tasse gefährlich senkte, herrschte absolute Stille in der Cafeteria. Ausnahmslos alle sahen unserem Spielchen gespannt zu und wartete auf ein Ergebnis. Die Luft war zum zerreißen gespannt. In Gedanken sah ich mich schon die Wette verlieren. Wie konnte er so überzeugt sein? Da war doch ein Trick oder etwas anderes. Schließlich kippte er den Kaffee in meine Hosentasche. Ich blieb erstarrt stehen und versuchte mich zu konzentrieren. War da etwas, oder nicht? Plötzlich spürte ich etwas Warmes mein Bein hinunterlaufen. Etwas sehr, sehr warmes. Durch meine Jeans sickerte ein braunes Rinnsal aus Kaffee und meine Augen weiteten sich. Ich schrie auf und machte einen Satz zurück, doch dem Kaffee in meiner Tasche konnte ich nicht entfliehen. Ich schrie wie am Spieß und Gelächter wurde lauter. Entsetzt blickte ich Glen in die Augen, die Funken sprühen zu schienen. Sein Gesicht nahm einen hämischen Ausdruck an und er entblößte in einem fiesen Grinsen seine makellosen Zähne. Wie ein weißer Hai stand er da und schaute mich mitleidig an. Dann hob er seine Hand und strich mir über den Kopf. "Du Dummerchen. Hast du wirklich geglaubt, dass es funktionieren wird? Ooohhh, der große Glen ist womöglich ein Zauberer...! He, he. Niemand kann Kaffee in eine Hosentasche schütten, ohne das sie nass wird. Nicht einmal mehr ich, kleine Fairy...", leierte er mit beißendem Spott in der Stimme. Dann kicherte er und ließ sich auf einen der Tische nieder. Ich war entsetzt. Ich starrte nur so vor mich hin und konnte es noch nicht fassen. Er hatte mich reingelegt! Er hatte von Anfang an gewusst, dass er die Wette verlieren würde! Er hatte von Anfang an geplant, dass ich hier, vollkommen entblößt vor versammelter Mannschaft mit einer kaffeenassen Hose stehen und mich auslachen lassen würde. DIESES ARSCHLOCH!!! Unbändige Wut ergriff mich und Tränen stiegen mir in die Augen. Wie sah das denn aus? Mit Kaffee in der Hose zum Unterricht? Es schien, als hätte ich Dünnschiss und konnte meinen Stuhlgang nicht kontrollieren! Schließlich konnte ich die Tränen nicht zurückhalten! Wie hinterhältig! Er wollte mich vor den anderen blamieren und das war ihm gelungen. Ich hatte mich zu sehr von dem Wetteinsatz leiten lassen. Um die Ehre? Pah! Wer hatte denn die Ehre verloren? Er oder ich?! Ihm war von Anfang an klar gewesen, dass ich diejenige sein würde, die schließlich verlor. Egal, wer die Wette gewonnen hätte. Ich hatte nicht darüber nachgedacht, was für ein Desaster es werden würde, wenn er wirklich verlor. Und dann hatte er seinen Wetteinsatz auch noch möglichst gering gehalten, indem er mir damit gedroht hatte, dass ich Hulla-Hulla tanzen musste... Ich schniefte und wischte die Tränen weg. Nichts war peinlicher als das hier!!! Ich musste weg, weg von diesen angeblichen Klassenkameraden, die mich auslachten. Weg von diesem hirnrissigen, verfluchten und bematschten Glen! "Das wird Konsequenzen haben...! Das verzeih ich dir nie!", machte ich meinen Abgang noch möglichst dramatisch, bevor ich aus dem Raum stürmte und mich auf den schnellsten Weg nach Hause machte. Das dazu mal wieder nur die U-Bahn in Betracht kam, weil mein Handy schrott war, ging mir in diesem Moment so ziemlich am Arsch vorbei. Vollkommen aufgelöst kam ich Zuhause an. Ich ignorierte meine Mutter, die mich (und meine Jeans) entsetzt anstarrte und lief geradewegs in mein Zimmer weiter, wo ich die Tür hinter mir mit einem lauten "WUMS!" zuschmiss. Angeekelt riss ich mir die Hose vom Leib und schmiss sie in die nächstbeste Ecke. Dann stürzte ich mich in mein Bett und beschloss, es die nächsten Wochen nicht mehr zu verlassen. Hier war ich geschützt vor irgendwelchen Irren, die meinten, solche Späße mit mir treiben zu müssen. Warum grade ich? Warum nicht Sara oder ein paar andere Mädels aus der Zicken-Riege? Warum zum Teufel noch mal musste grade ich dran glauben, wenn es um hirnverbrannte Vorstadtpunks ging?! Ich schluchzte herzzerreißend in mein Kissen, als meine Mutter die Tür wieder aufsperrte und vorsichtig zu meinem Bett gedackelt kam. "Farina?", haute sie. Na, wenigstens noch ein vernünftiger Mensch, der meinen Namen kannte. Ich stöhnte. "Was ist passiert? Warum bist du schon so früh dran? Ist die Schule ausgefallen?", flüsterte sie wieder, setzte sich auf meinen Bettrand und strich mir sanft übers Haar. Am liebsten hätte ich ihre Hand beiseite geschoben. Das erinnerte mich noch viel zu sehr daran, wie Glen mir mitleidig über die Haare gestrichen hatte. Sein Mitleid konnte er sich sonst wo hinstecken! "Frag besser nicht.", grunzte ich und vergrub meinen Kopf noch ein Stückchen tiefer im Kopfkissen. Die ganze Welt konnte mich mal am Arsch lecken! Ich wollte niemanden sehen! Lasst mich doch alle mal in Ruhe!!! "Okay. Wenn du es mir erzählen willst, dann bin ich immer für dich da, das weißt du ja. Aber wenn du schon mal da bist, wollte ich dich fragen, ob du nicht mit zu Tante Mandy kommen willst...?", fragte sie vorsichtig. Ich überlegte einen Moment. Wenn ich wirklich den ganzen Tag im Bett verbringen würde, dann war ich gezwungen, die ganze Zeit an die peinliche Sache in der Schule zu denken. War es da nicht besser, mit ihr mitzukommen und sich ein bisschen abzulenken? "Gut, ich komme mit.", grunzte ich und richtete mich langsam auf. "Ich geh nur noch schnell duschen." Genau, diesem ekligen Kaffeegestank musste ich loswerden. Nie wieder Kaffee, schwor ich mir, nicht in hundert Jahren!!! Diese eklige braune Brühe konnte mir gestohlen bleiben, bis ich alt und grau war! Und im Übrigen: Glen auch. Chapter II/ *** Never Bet Again ***\ End Kapitel 3: Memories Of Condor ----------------------------- Chapter III: Memories Of Condor ~(Die Rache einer Frau: Barbie-Revolution und ein Mitbringsel für den Mausepuschel)~ Verzweifelt kramte ich in den Tiefen des Nachtschrankes meines Vaters. Wo war es denn abgeblieben? Wo nur? Da ich nicht davon ausging, dass es Beine hatte, müsste es eigentlich immer noch an der Stelle sein, an der ich es das letzte Mal gesehen hatte... oder, oh, Gott!!! Es war doch nicht etwa alle? Nein, das konnte nicht sein... das wäre doch schon... nein, nein, nein. Das läge doch nun wirklich am Rande jeglicher Perversitäten. So ein verdammter Mist! Ohne dieses Zeug würde ich es nicht schaffen! Gerade als ich die Hoffnung schon fast aufgegeben hatte und die Schublade wieder zuklappen wollte, sprang es mir förmlich entgegen. Jepp! Es ging doch. Man musste nur wollen. Schnell ließ ich es in meiner Jackentasche verschwinden, knallte die Schubladen nun entgültig zu und verschwand so schnell aus dem Zimmer, wie ich hineingehuscht war. Adieu, jetzt musste mein Vater erst mal einige Zeit ohne dieses wertvolle Item auskommen. Auf nimmer Wiedersehen! Denn heute war Schicksalstag. Mein Tag war gekommen, meine Stunde geboren und ich würde diese Gelegenheit sicherlich nicht verstreichen lassen. Auf in den Kampf! Heute war ich zuhause geblieben. Nach der peinlichen Kaffeegeschichte hatte ich keinen Bock, in die schadenfrohen Ekelfratzen meiner Mitschüler zu schauen, die sich schamlos auf meine Kosten amüsierten. Nein, das konnten sie sich sparen. Das Thema würde wohl weiterhin wohl oder übel Pausenfüller für die Tratschtanten und in diesem Falle wohl auch Tratschonkel sein, die die ganze Story so breittreten würden, dass nicht mal mehr eine mikroskopisch kleine Fruchtfliege ihren Stampfattacken entkommen wäre. Tja, aber da ich sowieso nicht da war, ging mir das alles so ziemlich am Arsch vorbei. Sollten sie doch lästern, ich wusste auch so, dass ich genug Feinde hatte. Für die Zicken war ich Konkurrenz, für die Streber Verderben und für die ach so coolen Jungs ein ungelüftetes Geheimnis. Aber damit kam ich klar. Besser eine richtige Freundschaft als zehntausend geheuchelte. Und wieso nett zu Leuten sein, die man nach dem Abschluss sowieso aus seinem Leben verbannt? Aber... genug davon. Schnell stapfte ich in mein Zimmer und sperrte den Kleiderschrank auf. Na ja, eigentlich war es einer von dreien, aber in diesem hier befanden sich die Sachen, die ich heute bevorzugt brauchen würde. Mit spitzen Fingern kramte ich meine unmodischten Plateauschuhe heraus, die bisher das unglaubliche Glück hatten, noch nicht in der Altkleidersammlung gelandet zu sein, denn immerhin waren sie schon älter als ein halbes Jahr. Dazu ein passender pinker Rock und eine rote Strickjacke. Ich drehte mich ein paar Mal im Spiegel. Mann, sah das scheiße aus. Na ja, machte nichts, alles nur Mittel zum Zweck. Und Gott sein Dank besaß ich soviel Selbstvertrauen, mich so auf die Straße zu trauen. In Kampfpose stellte ich mich vor den Spiegel. YEAH! Sekunde, da fehlte doch noch irgendwas. Mit sicherer Hand griff ich in meine Sammlung aus Haargummis. Na ja, der Begriff "Meer" hätte in diesem Falle wohl eher gepasst. Okay, mit sicherer Hand griff ich in das Meer aus Haargummis, das sich in einem Karton mit dem Füllvolumen von einem Kubikmeter befand und fischte zwei quietschorange heraus, an deren Enden sich jeweils ein kleiner Plastikmarinenkäfer und ein Schmetterling befanden. Gottchen, auf welchem Trip hatte ich mich denn befunden, als ich so was mal getragen und auch noch als schön empfunden hatte? Na ja, jeder war mal klein und naiv gewesen, redete ich mir ein und verbannte den Gedanken daran, wie stolz ich diese kitschigen Sachen auf meinem Kopf mit mir herumgeschleppt hatte. Hatte damals eigentlich jeder diesen Trend mitgemacht? Mit einem Lächeln auf den Lippen stellte ich mir vor, wie Gary oder Glen mit diesem Zeugs ausgesehen hätten. Bwuah... bei Glen hätte ich mir das sogar noch vorstellen können, aber bei Gary... Gott sei Dank wurden Jungs meist von solchen Trends verschont. Bei ihnen ging es dann eher um Idiotenkappen, Kampfroboter oder heutzutage halt diese Sieben-Tage-Klosett-Hosen. Halt die, die immer im Schritt baumelten und aussahen, als hätten sie überdimensionale Windeln an. Aber gut. Wenden wir uns doch wieder meiner äußerst originellen Frisur zu. Mittlerweile hatte ich mir die vollkommen verstrubbelten Haare an der Seite zu zwei Zöpfen gebunden. Das Problem war nur, dass ich ja einen relativ kurzen Haarschnitt hatte und meine Haare nur bis zu den Schultern gingen. Ich brauchte noch irgendwas.... Genau! Schnell trampelte ich runter in den Keller und baute von meinen alten, teilweise schon ziemlich zerschrotteten Barbiepferden den Schweif ab. Ein bisschen tat es mir schon im Herzen weh, den armen Viechern den Schweif rauszudrehen, aber... na ja, zur Not frisst der Teufel Fliegen. Mit dem Versprechen, ihnen sicherlich ganz schnell ihr Hinterteil wieder zurückzubringen, nahm ich die Sachen ganz schnell mit nach oben in mein Zimmer und verwurstete sie in meine Zöpfe. Ich hatte extra darauf geachtet, dass die Zöpfe beide Pink waren, sodass ich wenigstens einheitlich chaotisch aussah. Dann natürlich die übergroßen Plastik-Kreolen, in Fachkreisen auch Affenschaukeln genannt, an jeden Finger ein Ring aus dem Kaugummiautomaten und zwei Tonnen Ketten um den Hals. Wo ich die Dinger her hatte, blieb mein Geheimnis. Nach kurzem Überlegen setzte ich noch einen drauf. Ich war einfach nicht an dem grell rosa Lippenstift vorbeigekommen. Und auch der förmlich schreiende Liedschatten ließ nicht lange auf sich warten. Zum Schluss noch ein wenig Glitzer über das Haupt und Voilà! Fertig war mein Meisterwerk. Sah irgendwie aus wie gewollt und nicht gekonnt. Sah aus wie die perfekte Barbie. Na ja, eigentlich noch eine Nummer extremer. Eher wie Shelly. Shelly in ihren schlechtesten Kinderjahren. Aber das sollte ja so. Auf was anderes hatte ich ja gar nicht abgezielt. Ach, und die FINGERNÄGEL!!! Fast hätte ich es vergessen. Die bekamen natürlich auch noch die entsprechende Farbe zu meinem überaus heißem Outfit. Kurz räusperte ich mich. Perfekt! Jetzt nur noch das Handtäschchen, in dem ich das so eben im Nachtschrank meines Vaters erworbene Objekt sorgfältig verstaute und mir über die Schulter hing. Und ab die Post. Als ich schließlich die Treppe herunterwackelte, mich dabei aufgrund der ungewohnt hohen Schuhe mehr als einmal fast auf die Klappe legte, doch schließlich einigermaßen heile unten ankam und mich meiner Mutter präsentierte, erlitt diese den Schock ihres Lebens. Beim Betreten der Küchentürschwelle quollen ihre Augen förmlich aus dem Kopf und beim Ankommen am Tisch kullerten diese bereits über den Boden. War das etwa ihre Tochter? Jepp, das war sie. Zwar nicht "30 über Nacht" (Anlehnung an den gleichnamigen Kinofilm mit Jennifer Garner^^), aber immerhin wieder "10 über Tag". Stolz warf ich meine Zöpfe mit den ehemaligen Pferdeschweifen zurück und blickte sie erwartungsvoll an. Mum wurde blau, schluckte, hustete und schluckte wieder. "Kind? Was ist mit dir geschehen...? Was... wie... wo...? Hab ich da was in Sachen Trend nicht mitbekommen?" Ich kicherte. "Nein Mum, mach dir keine Sorgen. Du brauchst mich weder für vollkommen übergeschnappt zu erklären, noch in eine Anstalt zu stecken. Es reicht vollkommen aus, wenn du mich in die Stadt bringst." Meine Mutter blickte mich immer noch ein bisschen irritiert an, obwohl sie sich eigentlich mittlerweile langsam an die speziellen Ausbrüche ihrer Tochter gewöhnt haben musste. In Slowmotion griff sie zu ihrem Autoschlüssel und erhob sich aus ihrem Stuhl. "Ich warte immer noch auf den Tag, an dem du endlich 18 (und erwachsen) bist, und dich selbst fahren kannst. Aber bis dahin... wird wohl noch eine Weile vergehen. Nur Schade, dass Richard grade jetzt krank ist. Eigentlich müsste ich ja einen Ersatz für ihn finden, so oft wie er in letzter Zeit fehlte, aber... ich hab es ihm ja versprochen... von daher..." Ja, Richard. Unser Chauffeur. Auf ihr war eigentlich immer Verlass, aber in letzter Zeit war er sehr anfällig für Krankheiten jeglicher Art gewesen und deswegen war es oft zu Ausfällen gekommen. Aber ich war mir sicher, dass sich das nach einiger Zeit wieder legen würde. So musste Mum doch selbst zum Schlüssel greifen und mich schnell in die Stadt karren. Denn von Bahnfahren hatte ich wohl für die nächsten Wochen genug! Kühle Luft schlug mir entgegen, als ich die wohlige Wärme unserer schwarzen Limousine verließ und auf die offene Straße hinaustrat. Ich erntete noch ein: "Schatz, bist du dir sicher, dass du das auch wirklich willst?", von meiner Mutter, die immer noch kritisch ein Auge auf meine merkwürdige Kostümierung inklusive Kriegsbemalung geworfen hatte und mich offensichtlich daran hindern wollte, aus dem Auto zu steigen und mich somit zur öffentlichen Belustigung der ganzen Stadt zu machen. Doch watt mutt, datt mutt. Zähne zusammenbeißen, Augen zu und durch, schwor ich mir, als ich hoch erhobenen Hauptes den Bürgersteig betrat und mir elegant den Weg durch die Menschenmasse bahnte. Na ja, so schwer war das ja auch nicht, wenn dir die Hälfte eh auswich, weil sie Angst hatte, bei näherem Hinblicken blind zu werden. Wenn ich in diesem Karnevalsaufzug jemandem ungeplanten begegnen würde, wären meine Tage gezählt, aber das Risiko musste ich eingehen. Ich ließ unzählige suchende Blicke über die Menschenmassen schweifen, die allesamt wie kleine Ameisen ihren Geschäften nachgingen und ihre Einkaufstüten selber schleppten, weil sei keine Kohle für mindestens einen Bediensteten hatten. Arme Schweine. Na ja, aber es war halt nur Auserwählten gegönnt, in eine reiche Familie hineingeboren zu werden. Nach einer halben Stunde des verzweifelten Suchens, schienen sich meine Mühen endlich gelohnt zu haben. Unter einer kleinen Überdachung neben dem Kasino sah ich ihn stehen. Mit seinen sämtlichen angepinselten Freunden. Der eine hatte einen Irokesen-Schnitt und übertraf sogar noch seinen Hahnenkamm, der andere eine nervtötende Töle. Allesamt alles Leute, denen ich selbst bei Tageslicht in Anwesenheit von drei Polizeibeamten nicht für einen Cent über den Weg getraut hätte. Aber das waren ja seine Freunde, nicht meine. Überhaupt. Was ging mich denn sein Freundeskreis an? Diese Ganzkörper-tättowierten Freaks mit ihren Aufschriften "Punk's Not DeAd". Ich meine, die Punks hatten schon recht mit dem, was sie gegen diese "Friede-Freude-Eierkuchen"-Esoterik der Hippies einzuwenden hatten, aber... man braucht ja nicht gleich so zu übertreiben... Er schien mich nicht bemerkt zu haben, was ja in meinem Aufzug schon einem Wunder glich, sondern tauschte weiterhin mit seinen Freunden irgendwelche belanglose Floskeln aus. Ich wartete, bis er mit dem Rücken zu mir stand und wackelte los. Jetzt oder nie! Ein bisschen Herzklopfen hatte ich zu meiner Verwunderung auch. Wie würde er reagieren? Und vor allem: Wie würden seine Freunde reagieren? Ich setzte fest einen Fuß vor den anderen. Mit jedem weiteren Schritt in ihre Richtung fasste ich neuen Mut. DIE STUNDE DER RACHE WAR DA!!! Ich setzte das verboten dämlichste Lächeln auf, was ich auf Lager hatte, wackelte übertrieben mit dem Arsch und ließ meine Zöpfe wie Propeller um mich fliegen, sodass sie schon eher einer Waffe glichen, als einer Frisur. In einem Überwahn trat ich von hinten an ihn heran und schlug ihm mit einem lauten Klatschen auf den Hintern. Dabei achtete ich sorgsam darauf, dass ich nicht einen der Nietengürtel erwischte und mir womöglich noch die Hand aufspießte, sondern traf genau eine seiner wunderhübschen Arschbacken. Er schrak hoch und drehte sich in Blitzgeschwindigkeit zu mir um. Ich starrte in ein entsetztes Gesicht und legte eine furchtbar hohe Stimme auf. Auch die anderen hatten ihre Aufmerksamkeit auf mich gewandt. Das war meine Stunde... und keine andere. "Glennilein, mein Mausepuschel! Na, ist das nicht eine Überraschung?", leierte ich und näherte mich zu seinem Entsetzten gefährlich seinem Mund, bevor ich ihm einen nassen Schmatzer verpasste und somit einen schreiend pinken Abdruck auf seinen Lippen hinterließ. Verdammt, der Kerl schmeckte ja gar nicht so schlecht. Und der Lippenstift stand ihm... unglaublich. Farina, du darfst dich nicht aus dem Konzept bringen lassen, hämmerte ich mir selbst ein. Okay, das war geschafft, jetzt kam ich aus der Nummer nicht mehr raus. Nein, nicht jetzt, wo mich eine komplette Mannschaft von Vorstadtpunks aus weitaufgerissenen Augen anglotzte als wäre ich ein Mitglied der (T)Raumschiff Surprise und unter Captain Korks Kommando auf einem tödlichen Vernichtungsstreifzug durch die Innenstadt. Ich schielte kurz zu Glen, bevor ich zu meiner Massenvernichtungswaffe griff, zu dem Ass in meinem Ärmel, zu der Entstellung in Person. Er stand einfach nur da und war wie erstarrt. Na, tat das gut, Junge? Machte das Spaß? Hm? Es war wie Balsam auf meiner Haut. Mit meiner extrem hohen Stimme quäkte ich in einer Lautstärke von mindestens 300 Dezibel: "Ahja... und ihr seid also die tollen Freunde meines Hasenschwänzchens? Ohhh... er hat schon soviel über euch erzählt... ja, ich glaube, mit euch kann man wirklich Pferde stehlen!" Ich kicherte hysterisch, und das war noch nicht einmal besonders aufgesetzt. Wenn man krankhaft versucht, einen Lachanfall zu unterdrücken, kommt das halt ein bisschen hysterisch rüber. "So wie ich meinen Mausepuschel kenne, hat er sicher nicht viel über mich erzählt, was? Tja, ihr kennt ihn ja. Er ist immer ein bisschen steif, wenn es um solche Angelegenheiten geht, was?", dabei zwinkerte ich übertrieben und gluckste fröhlich in mich hinein. Hastig führte ich meinen Monolog weiter: "Lasst uns doch auch Freunde sein. Wisst ihr, erst letztens hab ich in der neuen "Wendy" gelesen, dass man glücklicher ist, wenn man viele, gute Freunde hat. Was meint ihr? Ich kann euch doch alles anvertrauen, oder? Wisst ihr, uns passieren aber auch immer die unmöglichsten Sachen! Erst gestern Abend wollten wir... na ja, ihr wisst schon... und dann... ist er auf einmal nicht gekommen! Ach, das war aber auch wirklich zum Piepen! Gerade, als wir kurz vorm Höhepunkt waren ist sein... äh ... ER total zusammengeschrumpft, wisst ihr... es wurde plötzlich so klein!", erzählte ich ohne einmal Luft zu holen und zeigte mit meinem lackierten Zeigefinger und Daumen die Größe seines angeblich zusammengeschrumpften... äh... ja, ich trau das eurem Vorstellungsvermögen zu. Ich sah, wie den restlichen Punks förmlich die Augen aus den Augenhöhlen quollen. Ihre Münder standen so weit offen, dass man ohne Probleme eine komplette Packung Räucherstäbchen hätte reinschieben können. Ich grinste in mich hinein. Und Glen? Glen stand da. Seine Augen hatten einen undefinierbaren Ausdruck angenommen. Es kam einer Mischung aus Schock, Wut und Entsetztheit ziemlich nahe. Aber er rührte sich nicht. Er tat absolut gar nichts, um das bahnende Unheil von sich abzuwenden. Er stand einfach nur stocksteif da und rührte sich nicht. Sein Brustkorb hob sich auf und ab und ein paar Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. Strike! Na, wenn das mal kein Erfolg war. Aber ich war ja noch nicht fertig. Gespielt entsetzt schaute ich auf die Uhr. "Was? Schon so spät??? Gott, ich muss los. Entschuldigt bitte, meine Freunde.... ich muss jetzt aber wirklich. War nett, mit euch zu plauschen. Wir können unseren kleinen Smalltalk ja ein andermal fortsetzten? Wollen wir nicht mal zusammen einen Kaffee im "Tick on" trinken?" Ich wählte absichtlich das "Tick on". Es war das Nobelcafe der Stadt. Und die Preise waren auch dementsprechend hoch. "Na ja. Ich muss dann auch wirklich. Bye, bye, allerseits!" Mit der Hand kramte ich aus meiner feschen Handtasche das, was ihn vollkommen blamieren würde. Meine kleine Überraschung. Ich konnte es kaum erwarten, in die belustigten Gesichter seiner Freunde zu sehen, die auch jetzt schon erste Züge von einem fiesen Grinsen zeigten. Mit einem Ruck kramte ich die elastische Flasche aus der Tasche und drückte sie Glen in die Hand, der sie fast wieder fallen gelassen hätte, sich aber im letzten Moment noch beherrschte, um draufzugucken. Ich sah förmlich, wie seine Augen sich weiteten, sein Mund sich zu einem angedeuteten Schrei verzog und sein Inneres anfing, langsam zu explodieren. Jetzt hieß es schnell die Fliege machen und so weit wie möglich weglaufen, damit man nicht von der explodierenden Bombe erwischt wurde. Sekunde. Ich musste noch etwas an ihn loswerden. "Hier Schatz. Das hast du letztens bei mir vergessen." Mit diesen Worten nahm ich einen Kaugummiautomatenring von meinem Finger und steckte ihn ihm an. Er hatte die äußerst putzige Form einer Erdbeere. Hm, nun trug Glen also Erdbeeren am Finger. Hätte ich gewusst, wie gut es ihm stand, dann hätte ich noch mehr von der Sorte mitgenommen. Nun aber weg hier! Schnell strich ich ihm noch über den Kamm, zerzauselte ihn, genauso, wie er meine Haare zerzauselt hatte, drückte ihm noch einen Kuss auf die Wange und spurtete um die nächste Ecke. Ich sah noch aus den Augenwinkeln, wie er das Etikett der Flasche entzifferte. Ich rannte um mein Leben. Das war sein Gnadenstoß. Aber es konnte auch meiner werden, wenn ich nicht weit genug weg war. Doch der Schrei erschütterte das ganze Stadtteil. Er ließ die Fensterscheiben vibrieren und erschreckte alles, was sich in einem Umkreis von 500 Metern befand. "POTENZ-MITTEL???????????????????????????????!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!" Dann lautes Gelächter und Gespött. Noch ein Wutschrei und ein lauter Knall. Autsch, er sollte doch nicht gegen alles treten, was ihm in den Weg kam. Ich spürte die wütenden, elektrischen Wellen, die er mir zusandte. Ich spürte die Verwünschungen und Verfluchungen, die er über mich aussprach. Und ich wälzte mich innerlich darin. Ja, das hatte er gebraucht. Ich hatte ihn vor seinen Freunden total blamiert. Genauso, wie er mich. Wir waren quitt, auch wenn er es nicht wahrhaben wollte. Mit mir legte sich schließlich niemand umsonst an. Überglücklich hüpfte ich die Einfahrt zu unserem Anwesen hoch. Die Zöpfe wirbelten mir um den Kopf und mit den Plateauschuhen konnte ich kaum laufen, aber ich war trotzdem um einiges erleichtert. Das war ja besser als Weihnachten. Dem hatte ich es gezeigt. Meine Mutter hatte aufgegeben, sich zu wundern, was ich hatte. Sie war glücklich, dass ihre Tochter glücklich war, und somit waren wir beide glücklich. Hatte doch auch was für sich. Ich stand vor meinem Spiegel und drehte mir die Zöpfe aus den Haaren. Sorgfältig legte ich sie auf die Kommode. Ich würde sie gleich sofort wieder runterbringen, ich hatte es ja versprochen. Schnell schminkte ich mich ab, entfernte somit das eklige pinke Zeug von meinem Antlitz, und schlüpfte in normale Hausklamotten. Die vielen Ringe und Ketten und was weiß ich noch alles nahm ich auch ab und verstaute sie sorgfältig in einem Karton. Man wusste ja nie, wozu man die mal wieder brauchen würde. Schließlich griff ich mir die Barbie-Pferde-Schweife und hechtete runter in den Keller. Schnell wieder dran gebaut, Pferde wieder ganz, nun gänzlich alle wieder glücklich. Gottchen, wie viele Mensche hatte ich heute schon glücklich gemacht? Ich überlegte kurz. Wohl hauptsächlich mich selbst. Aber das musste ja auch mal sein. Gerade als ich den Keller wieder verlassen wollte und schon die Hand am Lichtschalter hatte, fiel mir eine blaue kleine Schachtel in die Augen. Meine blaue Schachtel. Mein Schatzkästchen. Meine Erinnerungen. Was machte dieses Ding denn hier unten?! "MUM?!", schrie ich entsetzt nach oben. Dabei runzelte ich angestrengt die Stirn und wiegte das blaue Kästchen in meinen Händen. "WAS MACHT MEIN SCHATZKÄSTCHEN HIER UNTEN IN DIESEM VERSTAUBTEN LOCH???!!!", setzte ich noch hinterher, als ich keine Antwort bekam. Ein Grunzen schallte aus der oberen Etage zu mir nieder. "Keine Ahnung. Vielleicht hast du es da selbst hingetan, Schatz?" Ich protestierte heftig. Niemals würde ich so ein wertvolles Objekt in die Obhut der Mäuse und Ratten und sonstigem Ungeziefer, das sich hier unten befand, geben! Ich hatte es schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen. Eigentlich hatte ich es schon fast verdrängt. Na, dann wurde es doch mal wieder Zeit, dass es von der mittlerweile 17-Jährigen Fairy gründlich unter die Lupe genommen wurde. Was ich da wohl alles reingetan hatte? Hastig ließ ich es in meine Tasche gleiten. Gleich, wenn ich oben war, würde ich es öffnen. War schon gespannt, was ich damals verzapft hatte. Moment mal!!! Gedanklich scrollte ich ein paar Sätze zurück. Wie hatte ich mich genannt? FAIRY??? Oh, mein Gott! Das war ja wie ein Virus. Wie eine kleine, gemeine Bazille, die sich langsam und schleichend vermehrte und zunehmend Besitz von meiner ganzen Umgebung ergriff. Ja... ich wusste auch, wann ich mir diesen Virus eingefangen hatte: Vor ein paar Tagen, als ich mich auf den von Glen verseuchten Platz gesetzt hatte. Oder als er sich im Treppenhaus über mich gebeugt hatte? Nein, ich musste mich schon infiziert haben, als er mir den höllischen Drink spendiert hatte... Ach Gottchen, dieser ganze Mensch war ein lebendes Mutterschiff für Bakterien aller Art!!! Aber dennoch war ich mir sicher, dass ich heute ein paar Bakterien abgetötet hatte. Er hatte sein Fett weg, fragte sich nur, was als nächstes kam. Mit leicht zitternden Fingern öffnete ich das kleine, blaue Kästchen. Wie lange war es her, dass ich einen Blick reingeworfen hatte? Ich stellte mir meine kleinen Finger vor, wie ich damals alles sorgfältig verstaut hatte und musste unweigerlich lächeln. Ich war schon verrückt gewesen. Damals, als ich noch jeden Tag mit im Heim war. Ja, meine Tante leitete ein Heim, nicht, dass ihr denkt, dass ich ein Waisenkind war. Aber ich war jeden Tag dort und habe mit den anderen gespielt. Das waren schöne Zeiten gewesen. Mit einem dumpfen Klacken öffnete ich die Schachtel. Gespannt blickte ich hinein und versuchte, das Innenleben zu identifizieren. Oh, mein Gott! Was war das denn? Angeekelt holte ich sämtliche getrocknete Regenwürmer heraus. Widerlich! Was war ich damals nur für ein Kind gewesen?! Unter zahlreichen Blättern fand ich schließlich etwas Bläuliches. Es war aus Plastik. Ich kramte es interessiert hervor und drehte es in meinen Händen hin und her. Ein Plastikvogel? Was sollte ich mit einem Plastikvogel? Moment mal, da war doch irgendwas gewesen. Erinnerungsfetzen kehrten zurück. Ich versuchte alle möglichen Gesichter mit diesem Plastikding in Verbindung zu bringen. Hatte ich wirklich so ein schlechtes Gedächtnis, oder tat ich nur so? Gerade, als mein Schädel verdächtig anfing zu dröhnen und ich schon aufgeben wollte, hatte ich plötzlich ein verschwommenes Bild vor meinen Augen. Ja, da war er gewesen! Da war eine Erinnerung an ihn! Wer war er? Wo kam er her? Wie sah er aus? Ich strengte mich noch ein bisschen an und der Nebelschleier lichtete sich hinter meinen Gehirnwänden. Zum Vorschein kam das Bild eines kleinen, 5-Jährigen Jungen. Hellblonde Haare. Blaue Augen. Und ein bildhübsches Gesicht. "Condor...", flüsterte ich und bedeckte mit meinen Händen die Augen, damit ich das Bild in meinem Inneren besser erkennen konnte. Ja, Condor. Der einzige Junge, der mich mit seiner bloßen Anwesenheit zu wahren Schweißausbrüchen getrieben hatte. Meine erste Liebe. Und wohl auch bisher meine einzige. Denn die Jungs, mit denen ich seitdem zusammen gewesen war, waren alles nur kleine Luschen im Vergleich zu diesem Gott. C.O.N.D.O.R. Ein Traum. Ein wunderschöner Traum, um genau zu sein. Aber ohne Zukunft. Er war auch im Heim gewesen. Ich war bei unserem ersten Treffen schon hin und weg. Aber ich hatte es immer verborgen. Und dann war er plötzlich weg. Kurz bevor mir die Tränen kommen konnten, klingelte es plötzlich an der Haustür. Ich wischte mir über das noch trockene Gesicht, aus Angst, doch eine Träne vergossen zu haben und polterte die Treppen hinunter. Hastig fuhr ich mir über die Haare und machte dann auf. "Sara?", rief ich erfreut aus und umarmte meine Freundin. Wie nett von ihr, vorbeizukommen! "Hi, Fairy, wie geht es dir? Warum warst du heute nicht in der Schule?", fragte sie verwundert und schaute mich besorgt an. Als ob sie sich das nicht denken konnte!!! "Wegen was wohl? Oder sollte ich fragen: Wegen wem wohl?" Sara stöhnte. "Jetzt sag bloß, du bist nur wegen Glen nicht in die Schule gekommen...?" Schnell schlüpfte sie durch die Tür und wir gingen hinauf in mein Zimmer. Hastig versteckte ich das blaue Schächtelchen unter der Bettdecke. "Ja.... du hast es erfasst. Denkst du, ich will mir die Demütigungen meiner Mitschüler anhören???" Sara kicherte. "Was lachst du?", fragte ich sie entsetzt und blickte sie an. Was gab es denn daran so witziges? "Na ja, weißt du, Fairy. Du brauchst dir deswegen doch keine Sorgen zu machen. Die haben nicht lange drüber gesprochen.", sagte sie mit einem freudigen Lächeln. Was? Seit wann war unsere Klasse so sozial? Hatte ich da was nicht mitbekommen? "Warum?", fragte ich erstaunt. Sara blickte verlegen zur Seite. Ein kaum zu erkennender Hauch von Röte breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Er war zwar so mikroskopisch klein, dass man ihn als Normalsterblicher nicht erkannt hatte, aber ich als ihre beste Freundin sah ihn natürlich sofort. "Sara? Was ist los? Irgendwas verheimlichst du mir doch!!!" Sie bekam zu meinem Entsetzten einen ganz verträumten Ausdruck. Ihre Augen glänzten und ihre Hände zitterten so wie meine, als ich das Schächtelchen eben geöffnet hatte. "Oh, Fairy! Ich beneide dich so!!!", hauchte sie und fiel mir in die Arme. Sie beneidete mich? Warum? Gut, ein bisschen konnte ich es schon nachvollziehen, schließlich hatte ich ein hübscheres Gesicht, war besser gebaut und hatte zudem mehr Oberweite... aber? Das würde sie sich doch so nicht eingestehen, oder...? Ich spürte ihren aufgeregten Atem in meine Haare blasen. "Wir fahren auf Klassenfahrt!", hauchte sie. Das war ja mal was ganz neues. Das stand doch schon lange fest. Aber selbst, wenn Sara es aus unerklärlichen Gründen noch nicht mitbekommen hatte... warum beneidete sie mich darum? Sie fuhr doch auch mit, oder nicht? "Und?", fragte ich ungeduldig. Sie nahm noch einmal tief Luft uns verkündete dann mit süßer Stimme mein Todesurteil: "Du bist mit Glen auf einem Zimmer! Das Heim ist vollkommen überfüllt und so müssen sie Jungen und Mädchen mischen. Ihr beide habt das Vergnügen, mit einer Aufsichtsperson in dem kleinsten Zimmer der Jugendherberge zu schlafen." ... ... ... Ein Aussetzer. Gehirnblockade. Aufnahmekapazität erschöpft. So eine Hiobsbotschaft konnte mein Schädel nicht aufnehmen. "WIE BITTE???!!!", schrie ich und stieß Sara angewidert von mir. "Ich und Glen in einem Zimmer? Ich? Und diese lebendige Bazille? Dieser Punk? Dieser... ARSCH??? Verdammt Sara, das ist doch wohl ein schlechter Scherz!!! Das können die doch nicht machen!!! Stell dir mal vor, ich allein mit diesem komischen Kauz in einem Zimmer!!! Der wird mich doch umbringen, vergewaltigen... der wird sonst was mit mir machen, verdammt!!!!" Sara blickte mich erstaunt an. "Warum sollte er das tun?", fragte sie mit einem entsetzten Unterton in der Stimme. Warum? Warum??? Weil ich ihn heute vor seiner kompletten Clique zum Affen gemacht hatte!!! Aber davon wusste Sara ja nichts. Nein, es schien schlimmer zu sein, als erwartet. Ihren rosa Bäckchen nach zu urteilen hatte es sie voll erwischt. Und ich wurde den Gedanken nicht los, dass gerade Glen der Traum ihrer schlaflosen Nächte geworden war. Oh, mein Gott! War heute Freitag, der dreizehnte, oder was? Was hatte ich verbrochen, dass irgendjemand da oben auf die irrsinnige Idee kam, mir so etwas anzutun??? Ich schüttelte ausgelaugt den Kopf. Na, wenigstens nicht ganz allein. Es würde ja noch eine Aufsichtsperson mit dabei sein. Dann standen die Chancen, dass er sonst etwas mit mir machte, etwas niedriger. Ja, das bauschte die Suizidrate. "Freust du dich denn gar nicht?", fragte Sara noch einmal nach. Super. Ich freute mich riesig. Ich freute mich wahnsinnig auf die schlimmste Woche meines Lebens. Der nächste Feldzug würde wohl nicht lange auf sich warten lassen. Bald würde ich eine Woche zusammen mit dem Feind unter einem Dach verbringen müssen. Ich konnte nur hoffen, dass er mir nicht den Gnadenstoß gab. Denn ich traute seiner Fantasie schon einiges zu. Musik drang an mein Ohr. Unten lief das Radio. "Love is a battlefield". Liebe ist ein Schlachtfeld. Liebe? Urkomisch, dass gerade jetzt dieses Lied lief. Nein, verliebt war ich ganz sicher nicht. Glen verstand es, meinen Hass zu schüren und mich zum explodieren zu bringen, aber er würde es sicher nicht schaffen, mein Herz zu bewegen. So wie zum Beispiel Condor. Ich vergrub den Kopf in meinen Händen. Ich sollte gläubig werden. Schließlich hatte Gott schon so vielen Menschen angeblich geholfen. Wieso sollte er mich da auslassen? Ich faltete die Hände und hoffte, dass ich die bevorstehende Woche überleben würde. Amen. Chapter III: //*** Memories Of Condor ***\\ END Kapitel 4: Return To Me Salvation --------------------------------- Chapter IV: // *** Return To Me Salvation***\\ ~(Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zu Besserung)~ Durch die dicke Glasscheibe, die mit Fingerabdrücken soweit beschmiert war, dass man kaum erkennen konnte, was draußen in schnellen Schemen an einem vorbeihuschte, drangen ein paar Sonnenstrahlen in unser Abteil, verbreiteten eine wohlige Wärme und schafften eine freundliche Atmosphäre. Ich fühlte mich ein bisschen beschwingt, ein bisschen wehmütig und wusste meine Gefühle nicht so richtig einzuordnen. Vor mir lagen nun fünf Tage Klassenfahrt. Fünf verdammte Tage, in denen verdammt viel passieren konnte, was ich verdammt noch mal bereuen könnte. Verdammt. Sollte ich mich jetzt freuen, oder sollte ich Trübsal blasen? Ich entschied mich fürs Blasen. Meines Kaugummis zum Beispiel. Mit der Zunge dehnte ich ihn so weit, das ich ihn aufblasen konnte und brachte ihn dicht vor meinen Augen zum Platzen. PENG! Schon klebte mir ein bisschen von der elastischen Masse im Gesicht rum und bemühte sich beim Abziehen möglichst darum, dass sie mein Make-up erwischte und mit sich ins Verderben riss. Sara warf mir einen belustigten Blick zu. "Na, Fairy? Hat dir denn niemand beigebracht, wie man richtig Kaugummi kaut?" Ich reagierte nicht, ignorierte geradewegs diese dumme Frage, die sie nur gestellt hatte, um mich auf die Palme zu bringen, und zupfte mir weiter Hubba-Bubba aus meinem Gesicht. Von meiner Stirn. Meiner Wange. Meiner Nase. Und ganz besonders von meiner Oberlippe. Das Zeug klebte aber auch wie Sau. Okay. Das mit dem Blasen war eine schlechte Idee gewesen. Und da ich mich nicht mehr dagegen entscheiden konnte, weil es schon passiert war, entschied ich mir dafür, mich das nächste mal dagegen zu entscheiden. Als ich bemerkte, dass nicht mal mehr ich selbst meinem komplizierten Gedankengang folgen konnte, begann ich, mir ernsthaft Sorgen zu machen. Ein toller Start für eine Klassenfahrt. Kaugummi im Gesicht, depressive Verhaltensweisen und komplizierte Bandwurmgedanken. Konnte es eigentlich noch schlimmer kommen? Na, immerhin hatten Sara und ich das Abteil für uns allein. Das hatte ja auch schon mal was für sich. Keine nervenden, hyperventilierenden Zicken, die es sich zur Hauptaufgabe gemacht hatten, möglichst nah an das Beispiel ihrer nächsten Verwandten heranzukommen. Man fühlte sich manchmal wie von 999 Hühnern umringt, die von allen Seiten auf einen lospickten, einschnatterten und mit den Krallen auf dem Boden scharrten, bis die beste Zeit gekommen war, um zuzuschlagen und dir eins auszuwischen. Diese Hinterhältigen, kleinen Gören, mit ihren meist aufgehellten wasserstoffblonden Haaren, bei denen am Ansatz schon wieder ein brauner Streifen rausschielte, was absolut billig aussah. Ich schüttelte verächtlich den Kopf. Mit denen in meinem Abteil wäre es mein Untergang gewesen. Das hätte ich keine zwei Stunden ausgehalten, lieber hätte ich mich gleich auf die Gleise geschmissen. Immerhin schien ich einmal im meinem Leben Glück zu haben. Es waren alle Abteile so brechend voll, dass nur Sara und ich übergeblieben waren und uns somit ein kleines am Ende des Ganges teilen zu können. Hier hatten wir unsere wohlverdiente Ruhe, mussten keine Gesellschaftsspiele mitspielen, uns nicht den Lästereien unserer Mitschüler aussetzen und nicht zu irgendwelchen Klatschtanten mutieren. Hier konnte man die Fahrt vielleicht noch genießen, jawohl. Wenn man so kleine Schwierigkeiten wie das Kauen eines Kaugummis überwand, verstand sich. Ich lehnte meinen Kopf zurück und machte die Augen zu. Mit geschlossenen Liedern wühlte ich in meiner Hosentasche und kramte meinen mikroskopisch kleinen MP3-Player hervor. Ich steckte mir die Stöpsel in die Ohren und kurz bevor ich den kleinen Knopf mit der Aufschrift "Play" betätigte, sagte ich noch kurz Sara bescheid. "Wenn der Lehrer kommt, dann sag bitte bescheid wie immer, ja?", fragte ich sie mit einem bitteren Unterton in der Stimme. Sie schaute kurz von ihrem Roman auf und nickte mir zu. "Natürlich." Jaja... auf die gute Sara war Verlass. Es war schon etwas komisch, was wir hier seit gut einem halben Jahr trieben, aber was tat man nicht alles, um eine gute Zensur zu bekommen? Wenn man das Thema nicht verstand, war Schleimen angesagt. Und wenn man das Fach im allgemeinen nicht checkte, hieß es halt Hardcore-Schleimen. Was auf Deutsch soviel bedeutete, dass man täglich darauf achten musste, Schuhe mit Noppen zu tragen, damit man nicht auf seiner eigenen kilometerlangen Schleimspur ausrutschte und sich womöglich noch unangenehm auf die Fresse legte. Wisst ihr eigentlich, wie anstrengend Schleimen sein kann? Alle behaupte ja immer, ein bisschen Schleimen wäre die einfachste Möglichkeit, an eine gute Zensur zu kommen. Aber so einfach war das ja gar nicht! Es war durchaus anstrengend, die ganze Zeit dämlich vor sich rumzulächeln, sodass einem spätestens nach 20 Minuten dermaßen die Gesichtsmuskeln wehtaten, dass man Probleme hat, sein Schulbrot zu essen, weil man so verdammten Muskelkater hatte. Und wenn man jetzt mal hochrechnet, dass wir sechs Wochenstunden bei besagtem Lehrer hatten und das auch noch in zwei Fächern, dann hat man schon mal den ersten Aspekt, warum Schleimen sicherlich nichts für Softis ist. Ich wunderte mich schon seit geraumer Zeit, warum mein Gesicht nicht den doppelten Umfang angenommen hatte, bei den Muskeln, die ich mir Woche für Woche antrainierte. Außerdem ist man dem ständigen Missfallen der Klasse ausgesetzt. Denn man ist ja nicht der einzige, der Schleimen will und da ja leider die Mitschüler viel eher als die Lehrkörper selbst bemerken, was dein ausgetüftelter Plan ist, entstehen wahre Schleimwettkämpfe. Natürlich sind aber die Schüler, die so intelligent sind (oder doof, das sei nun mal dahingestellt), und sich alles selbst erarbeiten, die schlimmsten. Ständig läufst du Gefahr, von ihnen durch einen dummen Kommentar verpetzt zu werden. Und diese Blicke. Wenn Blicke töten könnten, dann wäre ich... mit Sicherheit schon jung gestorben. Soviel dazu. Ohne dass ich es bemerkte, begann mein Kopf in Richtung Fensterscheibe zu wandern. Die ruhige Musik, die aus meinen Ohrstöpseln drang, ließ mich müde werden und schließlich hing ich auf halbzwölf schnarchend an der Fensterscheibe. Scheiß auf die Lehrer. Ich hatte sowieso die letzten Nächte viel zu wenig geschlafen, dass ich schon Angst haben musste, dass die schwarzen Ringe unter meinen Augen zu einem Dauerzustand wurden. Aber wozu gab es denn Make-Up? Und wozu gab es eigentlich Kaugummis?! "Fairy! Fairy! Aufwachen, du Penntüte, der Lehrer kommt!!!", flüsterte mir Sara in ihrer gewohnt ruhigen Art ins Ohr und wartete darauf, dass ich missmutig meine Augen öffnete und mich in die Senkrechte brachte. Ich war innerhalb meines kleinen Schläfchens um mindestens einen halben Meter weiter nach unten gerutscht und sah demzufolge auch ziemlich verwuschelt aus. In Windeseile richtige ich meine Haare Jetzt schon?! Verdammt, so schnell hatte ich gar nicht mit ihm gerechnet!!! Hastig warf ich einen Blick auf die Uhr. Ich hatte mich eine geschlagene halbe Stunde im Land der Träume befunden und somit noch gar nicht auf einen lehrerischen Besuch vorbereitet. Blitzartig schnellte meine Hand zu meinem Rucksack und kramte aus den tiefgelegensten Zonen das Buch, dass ich mir extra für ihn mitgenommen hatte. Das Buch, was meine Note sicherlich um einiges heben würde. Denn wenn Mr. Taylor registrierte, dass seine Schülerin sogar auf der Klassenfahrt, die ja für die meisten die gleiche Bedeutung hatte wie "Freizeit, Alk und Flirt", ein Buch zum momentanen Thema las, dann würde sich sein angeborenes erzieherisches Ego zu Wort melden und an sein fehlprogrammiertes Hirn die Botschaft weiterleiten, dass noch Hoffnung bestand. Immerhin bei einer Schülerin schien seine Lehre angekommen zu sein, die er den anderen seit Jahren vergebens versucht hatte zu vermitteln. Wir lernen ja schließlich für die Schule, nicht fürs Leben. Pardon. Fürs Leben, nicht für die Schule. Seine immerwährende Predigt, die keine Chance hatte, ihn ihre ungebildeten Köpfe einzudringen und sie zum Guten zu wandeln und zum Lernen zu bringen. Und mit was? Mit Recht. Schnell schlug ich den Klassiker der Literatur, mit dessen Titel ich mich nicht weiter beschäftigt hatte, an einer x-beliebigen Stelle auf, knickte das Buch ein bisschen nach außen, damit es auch wirklich so aussah, als hätte ich darin gelesen und setzte mich grade hin. Ich bezweifelte stark, dass ich auch nur ein Wort von dem verstehen würde, was hier drin stand, selbst wenn ich mich wirklich bemühen würde, es zu lesen. Es war eines dieser Bücher, wo du jeden Satz mindestens dreimal lesen musstest, damit du ihn auch nur ansatzweise verstandst. Eines dieser Bücher, wo du dich zwingen musstest, umzublättern, weil du keinen Bock auf den nicht vorhandenen Fortgang der Story hattest. Eines dieser Bücher, was du nur anfängst zu lesen, wenn du entweder vollkommen dicht oder eben ein Lehrer warst. Draußen hörte nun auch ich es auf dem Gang poltern. Hatte ich erwähnt, dass unser aller Lieblingslehrer stolzer Besitzer eines Holzbeines war? Keiner wusste, wo es herkam und wieso er es sich zugelegt hatte. Irgendwann war es einfach da. Keiner redete darüber und keinen interessierte es wirklich. Also akzeptierten wir die Dinge so, wie sie waren und ärgerten uns nur manchmal darüber, wenn er während einer Klassenarbeit das Verlangen verspürte, vor der Klasse hin und her zu wandern und uns somit mit dem Klappern seines Beines schier in den Wahnsinn trieb. Wer hatte eigentlich entschieden, dass gerade er mit auf unsere Fahrt kam? Na, ich bestimmt nicht. Ich hatte sowieso keinen Bock gehabt, mir fünf Tage lang sein todlangweiliges Gesicht anzutun. Echt, hier hatten wir es mit einer ganz extremen Sorte von Langweilern zutun, von der man eigentlich der Meinung war, dass die Schülerschaft sie schon längst ausgerottet hatte. Die totale Verpeilung und Planlosigkeit in Person. Wie Lehrer halt so sind. Aber an unserer Schule war schließlich alles möglich und sowieso kein Wunder. Selbst dieser graue, eingefallene Typ, dem du in den Staub seiner Brillengläser mit dem Finger ein "SAU" schreiben konntest, passte irgendwie in das Gesamtbild unserer Schule. Mit seinem extravaganten Modestil machte er alles wett, er mischte die unmöglichsten Kombinationen aus den vergangenen drei Jahrhunderten wild durcheinander, kombinierte neu und unmöglich dazu. Das gewisse I-Tüpfelchen war dann immer noch die verschiedensten Variationen seiner Krawatten, bei denen er so extrem penibel war, dass er jeden Tag eine andere hatte. Ich wunderte mich schon manchmal, ob er eine Frau geheiratet hatte, die eine eigene Krawattenfabrik besaß und die ihm für jeden Tag im Jahr eine neue hatte machen lassen. In seinem Arsenal befanden sich rot-grün-karierte, welche mit fliegenden Schweinchen drauf, Autos, Bagger, Fußball. Alles was der Mann halt so brauchte. Ich war schon einmal nahe dran gewesen, ihm eine mit nackten Frauen zu schenken, konnte es mir aber dann doch verkneifen. Die Sechs hätte eine große Falte in mein Zeugnis geworfen, deren Ausbügelung einige Mühen gekostet hätte, die mir die ganze Sache nicht wert waren. Da blieb ich doch lieber bei meiner Fünf. Wie dem auch sei, die Schritte kamen immer näher. Ich wandte schon mal den Kopf zur Tür, zwang meine überstrapazierten Gesichtsmuskeln, sich ein wenig in Richtung Augen zu verziehen, setzte mich grade hin und hielt mir das Buch in Augenhöhe. Was innerhalb von ein paar Minuten sicherlich zu einem Krampf der übelsten Sorte führen würde. Denn auf die Körperhaltung legte Mister Krawatte-Taylor ganz besonderen wert. Wahrscheinlich weil er selbst wie der entlaufene Quasimodo aussah. Mit einem Ruck wurde die Tür zu unserem Abteil aufgerissen. Ich schaute mit einem strahlenden und furchtbar gekünstelten Lächeln zu der Stelle, an der sein aschfahles Gesicht auftauchte und befahl meinen Lippen, ein vor Freude überschäumendes "Einen wunderschönen guten Morgen!", zu flöten. Dabei blinzelte ich ein paar mal und legte den Kopf ein bisschen schief, damit es niedlich rüberkam. Jetzt hieß es dick auftragen. Ich war vielleicht nicht mit allen Wassern gewaschen, aber mit vielen. Und wenn meine Wasser nicht reichten, dann kam halt ein bisschen Shampoo und Duschgel hinzu. Die hielten sowieso am besten sauber. Ich linste zwischen meinen Augenliedern hindurch, die ich beim Lächeln soweit zu Schlitzen verzogen hatte, dass ich schon Probleme hatte, meine nähere Umgebung wahrzunehmen, und musste feststellen, dass Mister Taylor sich ziemlich verändert hatte. Statt seiner sonstigen Krawatten-Anzug-Kombination trug er jetzt eine dunkelblaue, zerfetzte Baggy, an deren Seiten Nieten hingen und ein hautenges, schwarz-weißes Oberteil, durch das man leicht erahnen konnte, was sich darunter befand. Seine Brille schien er bei Fielmann vergessen zu haben und in Sachen Haarfarbe und Frisur befand er sich wohl in einer Probier-Phase, die es nur bei Lehrern der allerseltensten Sorte gab. Kurz: Mister Taylor schien sich abra-kadabra in einen knackigen 18-Jährigen Jungen verwandelt zu haben, der verdammt viel Ähnlichkeit mit meinem geliebten Todfeind Glen Moore zu haben schien. Meine Mundwinkel sanken innerhalb von zwei Sekunden bis auf den Fußboden hinunter und schlürten da auch noch eine Weile rum, weil besagter junger Mann auch noch seinen Koffer hinter sich herschleppte und damit unverkennbar originell und naturgetreu das Holzbein unseres allgeliebten Herrn Taylors nachgemacht hatte. Ich hätte in diesem Moment am liebsten unser komplettes Anwesen dafür gegeben, wenn es doch nur wirklich der Lehrer gewesen wäre, der die Tür zu unserem Abteil geöffnet hatte. "Ihnen auch einen wunderschönen guten Morgen. Obwohl der Morgen diese Wünsche ja eigentlich gar nicht braucht, viel mehr könnten Sie diese Adjektive gut gebrauchen, Miss Jones.", quäkte er mit gespielt hoher Stimme in dem gleichen Tonfall zurück, in dem ich Mister Taylor hatte empfangen wollen. Als ich den Sinn seiner Worte kapierte, verdrehte ich gelangweilt die Augen, setzten einen arroganten Gesichtsausdruck auf und fuhr mir mit der Hand durch meine Haare. "Was willst du hier? War denn keine Anstalt mehr frei, die dich hätte aufnehmen können?" Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und hob gekonnt eine Augenbraue, während er den Koffer vor seine Füße zog. "Nein, leider nicht. War kein Platz mehr frei. Die haben alle Hände voll zu tun, weil ein gewisses Mädchen die Angestellten soweit in den Wahnsinn treibt, dass sie erst mal ihre Arbeiter therapieren und rehabilitieren müssen, bevor sie die Aufnahmekapazität wieder erhöhen." Ich grummelte etwas Unverständliches in mich hinein und zog eine Grimasse. Och nö. Was wollte der Typ denn jetzt hier? Einziehen? Na hoffentlich nicht. In diesem Teil des Abteils war kein Platz mehr für seinen knackigen Hintern, dafür würde ich schon Sorgen. Ich hätte mir eher selbst die Kugel gegeben, als noch anderthalb Stunden mit diesem Punk in einem Abteil verbringen zu müssen. Er würdigte mich keines Blickes, sondern wuchtete mit einer schnellen Bewegung seinen Koffer in den kleinen Stauraum über unseren Köpfen und machte Anstalten, sich auf den Platz neben mir zu setzen. Einfach so. Ohne Erklärung, was ihn denn hierhin führte. Ich bekam Panik. Ich wollte AUF GAR KEINEN FALL, dass sich dieser Trottel auch noch neben mich pflanzte und dort für den Rest der Fahrt Wurzeln schlug. Das würde der Horror werden! Reichte es denn nicht, dass wir schon in einem Zimmer schliefen? Genügte das denn nicht, dass ich die selbe Luft atmen musste wie er??? Was zum Teufel hatte ich verbrochen, dass man immer mir solche gemeinen Sachen antat?! Ich musste mir schnell etwas einfallen lassen, damit er sich nicht neben mich setzte. Warum hatte ich es nicht so geschickt wie Sara gelöst und einfach meinen Rucksack auf den Platz neben mich gelegt? Dann hätte ich jetzt nämlich ein schönes Problemchen weniger... Ach ja! Sara! Von einer panischen Sekunden auf die andere viel mir wieder ein, dass sie sich ja in ihn verliebt hatte!!! Scheiße. Sagt man nicht, macht man, ich weiß... aber... was sollte ich denn jetzt machen? Das würde ja das heillose Chaos werden, wenn ich mit den beiden noch eine halbe Ewigkeit in diesem Abteil hocken müsste! Schlagartig änderte sich meine Stimmung. Ich musste jetzt so schnell wie möglich versuchen, Glen hier rauszumanövrieren, bevor Saras heißer Tomatenkopf begann, ihren Roman zum Sublimieren zu bringen. Kurzerhand legte ich einfach den Klassiker der Literatur, den ich grade in meiner Hand hielt, auf den freien Platz neben mich und schaute Glen böse an. Na, da haben wir es ja. Zu irgendetwas mussten diese nutzlosen Werke doch gut sein. Somit hatte dieses Buch dann auch seinen Lebenszweck erfüllt und konnte anschließend verbrannt werden. Glen hielt in der Bewegung inne, was seine vielen Ketten und Gürtel zum Klimpern brachte und blickte mich irritiert an. "Besetzt.", murmelte ich scharf und malträtierte ihn mit Blicken. Sein Gesicht bekam einen belustigten Ausdruck und er grinste schief. "Ach ja? Und von wem, wenn ich bitte fragen darf?" "Von dem Buch, siehst du doch." Okay, meine Ausreden waren auch schon mal einfallsreicher gewesen, aber mir fiel so auf die Schnelle partout nichts ein, was ihn davon abhalten konnte, sich neben mich zu setzten. Und wenn dieses Buch der letzte Ausweg war, dann war dem halt so. "Mach dich nicht lächerlich.", meinte Glen und wischte das Buch mit einer schnellen Handbewegung zur Seite. Danach positionierte er sein Hinterteil auf dem Platz neben mir und rückte ein wenig hin und her, bis er eine bequeme Lage gefunden zu haben schien. Na geil. Ich konnte jetzt aber auch wirklich gar nichts mehr machen, um den wieder loszuwerden, wie? Warum grade zu uns? WARUM NUR?! Ich warf noch einen schnellen Blick zu Sara. Der war auch nicht mehr zu helfen. Sah schön bescheuert aus, wie sie das Buch vor ihr Gesicht drückte, in der Hoffnung, dass Glen sie nicht bemerkte. Ich brauchte nicht einmal mehr übernatürliche Fähigkeiten, um ihre Gedanken zu lesen. Sie suchte gradewegs nach dem nächsten Mauseloch, in dem sie sich verkriechen konnte oder wartete darauf, dass sich der Boden vor ihr auftat und sie verschluckte. Mit viel Glück würde uns ja vielleicht gleich die Decke auf den Kopf fallen. Okay, Farina, jetzt mal tief durchatmen. Keine Panik auf der Titanic, Positive Energien. Das war doch gutes Training für die nächsten fünf Tage. Irgendwann musste man ja mal anfangen, sich mit dieser komischen Natur von Punk auseinander zu setzen. Wer sagte, dass nicht gerade jetzt der beste Zeitpunkt dafür gekommen war? Ein bisschen Gesprächsstoff lässt sich doch noch gerade mal schnell aus dem Ärmel schütteln um die peinliche Stille zu übertünchen, die langsam aber sicher von diesem Abteil Besitz zu ergreifen schien. Naja... eigentlich war es ja nur bei Sara eine peinliche Stille. Bei Glen war es eine gleichgültige. Und bei mir eine genervte. Also eine schöne Grundlage für eine wunderbar entspannte Atmosphäre. Ja, so machte Zugfahren Spaß. Schluss mit dem positiven Gedanken, dass ging ja gar nicht. Das war ja wirklich nicht mehr zum aushalten... wollten die einen neuen Rekord im Schweigen aufstellen? Ich meine, ich hasste Glen ja wirklich sehr... aber noch mehr hasste ich unangenehme Stille! Also fasste ich mir ein Herz und schielte kurz zu meinem unliebsamen Sitzgefährten rüber. Es musste doch irgendetwas annähernd interessantes geben, was man so jemanden wie ihn fragen konnte. Ich zermaterte mir das Gehirn. IRGENDETWAS! "Hey, Glen. Wie viel hat denn dein Haarspray gekostet?" Nein, das was scheiße und interessierte niemanden. "Glen, sag mal, pieksen dich die Nietengürtel denn nicht in den Arsch, wenn du dich draufsetzt?" Schon mal nicht schlecht für den Anfang. Aber dann wäre die Zugfahrt gelaufen. "Und, Glen, hat das Potenzmittel den ersten Testlauf bestanden?" Ha, zum Schreien. Aber das wäre mein Freischein in den Tod gewesen. Ich schaute ihn mir noch einmal genauer an. Irgendetwas unverfängliches. Irgendetwas, was ihn nicht auf die Palme brachte und was keine weiteren Folgen für mich haben würde. Heute hatte er sich die Haare in Grün- und Blautönen gefärbt. An seinem rechten Auge blitzten zwei Piercings um die Wette und seinen Hals zierte ein wunderbares Hundehalsband mit Stacheln dran. Na klasse. Musste ich denn jetzt jeden Abend mit ihm Gassi gehen, oder wie war das geplant? Über seinem weißen Shirt trug er ein schwarzes Netzhemd, das an einigen Stellen schon ziemlich ausgefranst und teilweise sogar eingerissen war. Sexy. Standen wir nicht alle ein bisschen auf fetzige Kleidung? "Sachma... was führt dich eigentlich in unser Abteil? Jetzt mal ernsthaft.", stellte ich in zur Rede. Ich beobachtete, wie er sich eine blaue Strähne, die sich von seinem Kamm gelöst hatte, hinter die Ohren schob und mir danach einen stechenden Blick zuwarf. Er öffnete leicht seinen Mund, lächelte mich frech an und blickte dann wieder hinunter auf seinen Eastpak, der vor Aufnähern nur so strotzte. An den Schulterteilen hatte er Nieten angebracht und überall verdeutlichten diese Wörter wie "anarchy", "destroy" oder ein durchgestrichenes Hakenkreuz seien politische Richtung. Er schien, als würde er für einen Moment seine Augen schließen und seinen Kopf nach hinten lehnen. Hallo? Junge? Hast du das Sprechen verlernt? Deine Zunge verschluckt? Einen Frosch im Hals? Ich schaute ihn irritiert an. "Warum antwortest du mir nicht?" Immer noch keine Reaktion. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und grummelte vor mich hin: "Jaja, ignorier du mich bloß. Du hast es ja nötig. Nach der Aktion, die ich mit dir abgezogen habe, hätt' ich das auch gemacht. Aber nicht mal mehr antworten, wenn ich eine Frage stelle, ist doch nun mehr als unnötig unhöflich. Pah, ich brauch auch nicht mit dir zu reden, wenn..." Da unterbrach Sara mich plötzlich. Hochrot im Gesicht und mit leichten Schweißperlen auf der Stirn kroch sie hinter ihrem Bucher hervor und fragte mit heiserer Stimme: "Was für eine Aktion, Fairy?" Ups. Sie wusste ja gar nichts von meinem Rachefeldzug. Und das hatte ich bisher auch immer für besser gehalten, wenn ich ehrlich war. Sie würde mich gnadenlos in den Boden stampfen, wenn ich ihr erzählte, was ich mit ihrem lieben Punk gemacht hatte. Ich wich ihren Blicken aus und schaute zum Fenster hinaus. "Och... nichts besonderes. Ist wirklich nicht so wichtig, nicht wahr, Glen?" Ich lächelte in mich hinein. Wenn er jetzt mit "es ist nicht so wichtig" antworten würde, dann hätte ich seine Bestätigung, dass es wirklich nicht so schlimm war und dass ich mich nicht entschuldigen brauchte. Wenn er mit allerdings behaupten würde, dass es wirklich wichtig war, dann müsste er Sara die ganze Story beichten, und das wäre ihm wahrscheinlich viel zu peinlich gewesen. Er saß also in der Zwickmühle. Und was antwortete unser lieber Glen? Gar nichts. Schon wieder diese Schweigetour? Was sollte der Mist? Sara räusperte sich kurz und flüsterte dann, ohne ihren Blick von besagtem Objekt wegzulenken: "Im Übrigen verstehe ich nicht, warum du die ganze Zeit mit Glen reden willst und ihn anmeckerst, wo er doch aufgrund seines MP3-Players in den Ohren eh nichts mitbekommt." ... Meine Augen weiteten sich. Ich folgte dem kleinen, dünnen und gemeinen Kabel, dass sich von der Hosentasche seiner Baggy hinauf unter seinem T-Shirt hindurch einen Weg zu seinem Ohr bahnte. Tatsächlich. Dieser Schwachkopf hörte doch wirklich Musik, während ich verzweifelt versuchte, mit ihm zu reden!!! Was für eine Blamage! Ich lehnte mich blitzschnell zu ihm rüber, zog ihm mit einem Ruck die Stöpsel aus den Ohren und brüllte: "Verdammt noch mal! ICH REDE MIT DIR!" Er zuckte sichtlich zusammen, weil er damit nicht im geringsten gerechnet hatte und blickte mich aus funkelnden Augen an. Dann fing er plötzlich haltlos an zu kichern. Ich weiß nicht, ob es echt war oder ob er damit wieder seine schauspielerischen Talente zur Geltung bringen wollte. Wenn ich mich recht erinnerte, dann hatte ich von ihm selten mal ein echtes Lachen gehört. Ja, wann eigentlich? Bisher wohl eher gar nicht. "Ja, ja, urkomisch, nicht wahr? Jetzt gib das Ding her, oder ich schraub dich unangespitzt in den Fußboden!" Damit meinte ich seinen MP3-Player. Allerdings ahnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wie verhängnisvoll das Unterfangen werden würde, ihm das Teil abzunehmen. Er kicherte noch eine Weile vor sich hin und lehnte dann wieder seinen Kopf zurück, schloss die Augen und murmelte mit einer unverschämten Gelassenheit: "Nö." "Wie ,nö'?" "Na, nö halt. Wieso sollte ich dir meinen MP3-Player geben?" "Weil... weil... weil... ich ihn mir sonst selbst holen werde." Hehe. Damit hatte ich ihn. Er war bestimmt nicht besonders scharf darauf, dass ich ihm an seinen Klamotten rumfummelte. Geschweige denn darunter. "Versuch's doch." Okay, er schien doch scharf drauf zu sein. Oder es war einfach nur wieder einer seiner blöden Tricks, mich zu ärgern. Ich warf ihm einen arroganten Blick zu und belächelte ihn kurz. "Aha. Ich hatte ja schon immer gewusst, dass du sie nicht mehr alle hast. Aber dass du auch noch notgeil bist, ist mir neu." Er verzog kurz die Mundwinkel und fletschte die Zähne. "Und ich hatte schon immer gewusst, dass deine Argumentationsfähigkeit bei einer Skala von Eins bis Hundert unter Null liegt, aber dass du auch noch feige bist, ist mir ebenfalls neu." Ich stutzte kurz. War ich feige? Nein, was sollte es mir schon ausmachen, ihm kurz das Teil abzunehmen? Immerhin hatte ich dann meine Ruhe. Ich warf kurz einen unsicheren Blick zu Sara, die sich aber wieder hinter ihrem Taschenbuch verkrochen hatte. Das nächste mal würde ich ihr einen Weltatlas geben., da war die Fläche größer und man würde nicht ihr kochendes Gesicht sehen. Na ja, sie wusste ja, dass ich nicht in ihn verknallt war. Und was machte es schon, wenn ich ihn nur einmal kurz berühren würde?! Gut, es bestand die Möglichkeit der Bazillenübertagung, aber das Risiko musste ich eingehen. No risk, no fun. Also erhob ich mich, baute meinen Körper vor ihm auf und beugte mich über ihn rüber. Glen blieb unverändert in einer halb sitzenden, halb liegenden Position und hielt die Augen geschlossen. Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und schien es zu genießen, dass er mich wieder mal zu etwas gebracht hatte, was ich unter normalen Umständen nie und nimmer gemacht hätte. Aber was war hier eigentlich noch normal? Ich fummelte den Stöpsel, der sich nach hinten verabschiedet hatte, aus seinem Nacken und überlegte, wie ich es weiter anstellen konnte. Das Kabel verlief unter seinem Shirt her hinunter in seine Hosentasche. Was hieß, dass ich von unten ziehen müsste, wenn ich das Ding heute noch haben wollte. Also suchte ich die Stelle, wo das Kabel wieder unter seinem T-Shirt hervorlugte, ignorierte die Tatsache, dass ich dabei ein Stückchen seines Bauches freilegte und zog einmal kräftig dran. Der Stöpsel verschwand wie geplant unter seiner Kleidung. Na, es ging doch, man musste nur fest dran glauben. Ich zog Stückchen für Stückchen weiter an der Strippe und lächelte verschmitzt in mich hinein. War doch gar nicht so schwer. ... Was war das?! Plötzlich ging es nicht weiter. Das Kabel war gespannt, der Stöpsel irgendwo hängen geblieben. Was ging denn jetzt ab? Worin sollte sich denn bitteschön der Ohrstöpsel verharkt haben? Ich atmete tief durch und versuchte, die Ruhe zu bewahren. Nein, ich würde jetzt garantiert nicht mit der Hand unter sein Shirt fahren, um nachzuschauen. Ich würde jetzt noch ein bisschen dran weiterziehen, bis es von alleine kam. So schwer konnte das doch nicht sein. Ein bisschen fühlte ich mich, wie im falschen Film. Das war doch alles nicht mehr zum aushalten! Ich zupfte noch circa eine Minute vergebens an dem verfluchten Kabel und versicherte mir damit, dass es auch wirklich nicht weiterging. Na toll. Dann eben nicht. Ich konnte auch anders. Von plötzlichem Ehrgeiz ergriffen, blickte ich ihm noch einmal fest in die Augen, die er belustigt einen Spalt geöffnet hatte und fuhr ihm mit der Hand unter sein Shirt. Meine Hände waren im Gegensatz zu seinem Körper eiskalt. Er schien fast so warm zu sein wie Saras Birne, das ganze war bei ihm allerdings eine Ganzkörperwärme. Ich spürte, wie er leicht zusammenzuckte und die Augen zu Schlitzen verengte. Mit leicht zitternden Fingern suchte ich nach dem Übeltäter, der sich erdreistet hatte, den Stöpsel in Gefangenschaft zu nehmen und mich dazu brachte, so unmöglich anzügliche Sachen mit meinem schlimmsten Feind zu machen. Es herrschte eine unangenehme Stimmung in unserem Abteil. Ich fühlte Saras stechende Blicke in meinem Rücken, es gehörte nicht viel dazu, ihre Gedanken zu lesen. Na toll, also beliebt machte ich mich mit dieser Nummer ganz sicher nicht. Zumindest nicht bei Sara. Und endlich hatte ich ihn gefunden. Den Übeltäter. Oder sollte ich besser sagen "Es"? Ja, es. Das unliebsame, funkelnde, und metallharte BRUSTPIERCING!!! Ich verschluckte mich an der Luft, die ich grade geatmet hatte und begann zu husten. Ich hätte ihm ja viel zugetraut, aber dass er so viel Courage hatte und sich so ein Ding durch seine Brustwarze zu schießen, hätte ich nicht gedacht. Ich beendete meinen Hustenanfall mit einem Räuspern und schaute Glen noch einmal an. Der Hauptbestandteil seines Gesichtes schien aus einem fetten Grinsen zu bestehen. Dieser Fiesling! Hatte er denn nichts besseres zu tun, als mich pausenlos zu ärgern??!! Ich fragte mich, was Sara an ihm fand. Wenn sie sich schon in so einen Arsch verliebte, dann wunderte es mich, warum sie dann nicht jeden Hintern mochte, der ihr auf der Straße entgegenkam. Er öffnete leicht seinen Mund und hauchte mir ein paar Worte entgegen. Ich musste zugeben, ein bisschen kribbelte es schon... dieser verdammte Tonfall...!!! Konnte er nicht auch normal sprechen? Wollte er mich anmachen, oder was? Was wollte er eigentlich? Die Antwort auf diese Frage dämmerte mir, als ich registrierte, was er gesagt hatte: "Du hast Kaugummi im Gesicht. Steht dir. Sieht fast noch besser aus als diese Barbie-Verkleidung." Dabei leckte er sich mit der Zunge leicht über die Lippen und warf mir einen vielsagenden Blick zu. Er wollte mich ärgern. JETZT REICHTE ES ABER! Genug mit dem Unfug, Ende Gelände, Aus die Maus. Das ging nun wirklich zu weit. Ich hasste es, wenn er den Spieß einfach umdrehte und alles in einem falschen Licht erschienen ließ. Musste er denn immer so die Tatsachen verdrehen? Jetzt stand nicht mehr zur Debatte, ob er vielleicht notgeil war. Nein, vielleicht war ich es ja auch? Ich fummelte in einem Wahnsinnstempo den Stöpsel aus seinem Piercing und wollte grade die Hand wieder unter seinem Shirt hervorziehen, als mit einem Ruck die Tür aufging. Das Blut schoss mir unweigerlich in den Kopf und ich starrte entsetzt in Richtung Tür. Nein, das durfte doch alles nicht wahr sein. "Äh... Guten Tag... Herr... Herr Taylor!" Mit weit aufgerissenen Augen und mindestens genauso überrascht wie ich blickte er auf meine Hand, die sich immer noch unter Glens T-Shirt befand. Innerlich sah ich meine Note den Bach runter gleiten. Ich stotterte ein paar unverständliche Silben vor mich hin, bevor ich Glen den MP3-Player entgültig aus der Tasche zog und mich schnurstracks auf meinen Platz setzte. Mr. Taylor stand immer noch in der Tür und schien zur Salzsäule erstarrt zu sein. "Es... ähm... es sieht nicht so aus, wie es ist... äh... es ist nicht so, wie es aussieht, meine ich... Herr Taylor! HERR TAYLOR!" Ich versuchte noch, ihn am zuschlagen der Tür zu hindern, doch er hastete schon zurück zu seinem Abteil um mich ins Klassenbuch einzutragen und mir wahrscheinlich mit viel Liebe eine Sechs in sein kleines, grünes Büchlein zu schreiben. «Farina Jones belästigt ihre Mitschüler durch sexuelle Übergriffe.» Ich sah den Eintrag schon vor meinem inneren Auge auf und ab hüpfen. Ich blickte Glen an, der ein undefinierbares Pokerface aufgesetzt hatte. Verzweiflung stieg in mir auf. Ich konnte seinen Blick nicht mehr ertragen. Sollte sich doch Sara mit ihm rumschlagen. Ich würde kein weiteres Wort mehr an ihn verlieren. Seufzend rannte ich aus dem Abteil und irrte durch den Zug auf der Suche nach einer Ecke, in der ich mich ungestört mit meinem Schicksal abfinden konnte. Okay, das war doch ein bisschen übertrieben. Also noch mal: Seufzend rannte ich aus dem Abteil und setzte mich in den Speisesaal, um Glen auf immer und ewig zu verfluchen. Was sollten denn jetzt die Lehrer von mir halten? War ich doch nicht die brave Musterschülerin, die sich bemühte, immer alles richtig zu machen und immerzu lächelte? In Gedanken versunken spielte ich mit einem Bierdeckel, der vor mir auf dem Tisch lag. Das mit der Schleimerei konnte ich nun wohl vergessen. Je länger ich drüber nachdachte, desto mehr freundete ich mich mit dem Gedanken an, mein Image bei den Lehrern zu ändern. Ich wettete, dass sie meine Schleimerei eh schon längst durchschaut hatten. Was sollte es also noch? Vielleicht wurde es endlich mal Zeit, ehrlich zu sein. Vor allem ehrlich zu mir selbst. Vielleicht sollte ich zuerst mal meine Einstellung ändern. Nicht komplett, aber vielleicht ein bisschen. Ich blickte auf Glens Mp3-Player, um den sich meine Hand fest geschlossen hatte. Aus einem Impuls heraus steckte ich mir die Stöpsel in die Ohren und drückte auf "Play". Sofort dröhnten mir die harten Punkrocktöne von WIZO entgegen. Ich schloss die Augen und lauschte dem Text. "Ich bin schwul, ich bin jüdisch und ein Kommunist dazu, Ich bin schwarz und behindert, doch genauso'n Mensch wie du, Ich bin hochintelligent und doch so dumm wie Sauerkraut, Ich bin schön, ich bin hässlich, ich bin fett und gut gebaut. Es gibt nichts, NICHTS, nichts, Was dich besser macht als mich, Denn auch du hast deine Fehler, deine Fehler so wie ich. Doch die Fehler sind nichts schlechtes, sie gehör'n zu dir und mir, Und wenn du's nicht auf die Reihe kriegst, kann keiner was dafür. Du bist einer von Milliarden und das musst du akzeptier'n, Du bist einer von Milliarden Ärschen auf der Welt..." Wenn ich genauer drüber nachdachte, gefiel mir diese Musik. Irgendwie hatte dieser Punk ja schließlich recht. Wenn ich es mir genau überlegte, war ich auch nicht besser als er. Ich war sogar noch schlimmer. Ich war eine hinterhältige Schlange. Oder besser gesagt: Auch nur einer von Milliarden Ärschen auf der Welt. Chapter IV/ *** Return To Me Salvation ***\ End Kapitel 5: Sweet Little Nightmare --------------------------------- Chapter V: ** Sweet Little Nightmare** ~(Meine erste Nacht neben dir, in der mich meine Gefühle zu ersticken drohten)~ Mit geschlossenen Augen hockte ich vor dem beschmierten Busfenster, lehnte meinen Kopf gegen die milchweiße Scheibe, auf der so ein schmieriger Belag lag, dass ich schon Angst hatte, mein Kopf würde einfach abrutschen. Die Jungs sollten sich an mir mal ein Beispiel nehmen und öfters Bus fahren. Sparte die Gel-Kosten. Das mehr oder weniger beruhigende Vibrieren der ganzen Schmier-Fenster-Konstruktion prügelte mir angenehm stimulierend die letzten brauchbaren grauen Zellen aus dem Hirn und sorgte dafür, dass sich mein Verstand langsam aber sicher verabschiedete. Und so was auf einer schulischen Veranstaltung. Aber was sollte ich schon großartig anderes machen? Die Sitzlehnen meines Stuhls waren mal wieder viel zu niedrig, sodass der einzige, der sich noch vielleicht ganz hätte dran lehnen können, vermutlich ein Gartenzwerg gewesen wär. Sollte ich mich vielleicht den Bewegungen der zitternden Scheibe neben mir anpassen? Nein. Ich wusste, dass das erhebliche Schaden in meiner Motorik hinterlassen würde. Wenn man die zwei Stunden Busfahrt liebevoll mit dem Kopf vor sich hinwackelt, nur damit es angenehmer wird... wird man entweder in Bethel eingewiesen oder zum Wackeldackel degradiert. Gelangweilt schob ich mir ein Gummibärchen zwischen die Zähne, biss kurz und schmerzlos den Kopf ab und hielt mir das nun halbe Weingummiteil vor die Augen. Sah schon interessant aus. Durch die fast unerträgliche Hitze, die dieses Verkehrsmittel in eine 1A Sauna auf Hochtouren verwandelt hatte, konnte man das Bärchen jetzt wohl aufgrund seiner Konsistenz einmal um den ganzen Bus wickeln. Ich wunderte mich schon, dass es nicht einfach zwischen meinen Fingern herfloss und auf dem Boden mit einem Zischen zerschmolz. "Fairy!", riss mich irgendeine für diese Tageszeit viel zu hohe Stimme aus meinen sinnlosen Gedankengängen. Ich blickte hoch und entfernte meinen Dickschädel von meiner allseits geliebten, schon fast lebendig gewordenen Schmierscheibe. "Du sollst doch die Gummibärchen nicht schon vorher essen! Wie soll ich denn dann die Deutung durchführen?" Ich seufzte genervt. Sara und ihr Gummibärchenorakel. Fast hätte ich ihr gesagt, dass man mit den unförmigen Dingern auf einer Temperatur von 100°C sowieso nichts vernünftiges mehr orakeln konnte, aber ich behielt es wie immer lieber für mich. Sara hatte heute schlechte Laune. Da wollte ich ihr nicht den Spaß verderben, obwohl ich das ja mit meinem geköpften Bärchen schon fast getan hatte. Keine Ahnung, warum sich gerade bei ihr mit Sack und Pack der Schlechte-Laune-Teufel eingenistet hatte. Auf jeden Fall schien er vor zu haben, länger zu bleiben. Obwohl ich es mir mit meiner unvergleichlichen Kombinationsgabe fast denken konnte. Denn seitdem Glen aus noch ungeklärten Ursachen in unser Abteil gedüst war, um sich dort neben mir zu platzieren und begrapschen zu lassen, muffelte sie dermaßen vor sich hin, dass sie schon meiner Dauer-Schlechtgelaunten-Wenigkeit Konkurrenz machte. Aber was konnte ich bitteschön dafür, dass werter Herr Moore seine Finger nicht zügeln konnte und der Versuchung erlag, mal wieder irgendeinen Scheiß anzustellen? Und warum zur Hölle noch mal wurde ich dafür verantwortlich gemacht, dass er in unser Abteil rekrutiert worden war? Daran war ganz allein er Schuld und nicht ich Aber Sara sah das wahrscheinlich durch ihre überdimensionale rosarote Brille überhaupt nicht. Am liebsten hätte ich sie ihr vom Kopf gerissen und sie einmal heftig durchgeschüttelt. Doch ich entschied mich besseren Wissens dagegen. Ich beschloss, ihre schlechte Laune über mich ergehen zu lassen, schließlich machte sie es im umgekehrten Fall nicht anders. Mit einem Seufzen lehnte ich mich zurück. Ja ja, ich armer Sündenbock. Immer alles auf die Hübschen. Obwohl das mit den Sündenbock so ja auch nicht korrekt war. Sündenziege, wenn ich bitten darf. Der Schweiß stand mir auf der Stirn. Die Fliegen, die sich zwischen den Bustouren oder durch das geöffnete Dachfenster hindurch in unser Reisegefährt gemischt hatten, summten mir wie blöde um den Kopf und erdreisteten sich, sich alle paar Sekunden auf einem meiner luxoriösen Körperteile niederzulassen. Gut, dass ich meinen Collegeblock kurzerhand zu einer Fliegenklatsche umfunktioniert hatte. Damit hatte ich schon einen Großteil von ihnen gekillt. Tja, selbst Schuld. Der Bus holperte mit einem unerträglichen Geschaukele über die Landstraßen und schien es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, jedes erdenklich winzige Schlagloch mitzunehmen. Gab es dafür eigentlich eine Weltmeisterschaft? Na ja, gut dass ich auf meine Linie achten musste. Denn hätte ich innerhalb der letzten zwei Stunden was gegessen, wäre ich es bestimmt schnell bei demjenigen, der vor mir saß, losgeworden. Ich meine, nicht dass ich nicht mal Lust gehabt hätte, Glen vor die Füße zu kübeln, aber ich war mir nicht sicher, ob das mein Ansehen in der Klasse ungemein gesteigert hätte. Was unsere Bleibe für die nächste Woche betraf, erahnte ich Furchtbares. Mr. Taylor hatte zwar behauptet, dass wir am Stadtrand eine überschauliche Jugendherberge erwischt hätten, aber so, wie es in dieser Gegend hier aussah, tippte ich eher auf einen überschaulichen Bauernhof. Ich verzog mein Gesicht und wischte die Gruselgedanken mit einer Handbewegung beiseite. Eher würde ich hier in diesem Reisebus meine Nächte verbringen, in dem es so extrem nach Schweiß roch, dass meine Nase zu jucken anfing, als auf einem Bauernhof zu pennen. Lieber Schweißgeruch als Gülle. Na ja, spätestens in einer halben Stunde würde ich mehr wissen. Stellte sich nur noch die Frage, ob ich es überhaupt wissen wollte. "Es ist Rot.", murmelte ich und schloss die Augen. "Was...?", fragte Sara irritiert, die so spät nicht mehr mit einer Antwort gerechnet hatte. "Das Gummibärchen.", nuschelte ich mit einem Blick auf das unförmige Ding, dass an meinem Zeigefinger klebte und keine Anstalten machte, sich von alleine da wegzubewegen. "Es ist rot." Sofort kramte sie aus den Tiefen ihrer Tasche ein Buch mit der schwer zu erratenden Aufschrift "Das Gummibärchenorakel" heraus und blätterte wie wild drin herum, um meine Zukunft in der nächsten Woche vorherzusagen. Na geil. Wie ich diese Wischi-Waschi-Deutungen doch liebte. Ich bekam nur noch mit, dass ich ein ziemlich von mir selbst eingenommener Mensch war... bla, bla bla. Alles Gefasele. Konnte sowieso auf alles und jeden zutreffen. Sara's esoterische Anwandlungen gingen durch mein eines Ohr rein und durch mein anderes sofort wieder raus. Stattdessen beschäftigte ich mich damit, das fast schon gasförmige Gummibärchen von meinem Finger abzubekommen, ohne meine Hand dabei allzu schmierig zu machen. Argh! Das war aber auch ein blödes Teil! Wenn man es in die eine Hand nahm, klebte es an dieser sofort fest, und wollte man es in die andere nehmen, ging es auch da nicht mehr weg. Wütend über das Lebensmittel fuchtelte ich mit der begummibärten Hand rum und schüttelte diese, aber es wollte einfach nicht abgehen. Toll, sollte ich jetzt den Rest meines Lebens mit einem Gummibärchen an der Hand verbringen? Ich schüttelte noch einmal kräftiger, was zur Folge hatte, dass das nun vollkommen deformierte Weingummiteil durch den halben Bus ein paar Sitze weiter flog und direkt in Glens Haaren hängen blieb. Ups, was für ein Zufall aber auch. Jetzt hatte es sich auf den Stacheln seines halben Irokesenschnitts aufgespießt. "ENTSCHULDIGUNG!", rief ich amüsiert und schmunzelte in mich hinein. Das tat mir ja auch so leid. Ich würde demnächst mal eine Spendenaktion für arme Punks starten, denen Gummibärchen im Haar klebten. Glen fuhr sich vollkommen gelassen mit der Hand durch seine Haare und fischte das Gummibärchen aus seiner formvollendeten Frisur. Dann drehte er sich um und funkelte mich aus seinen blauen Augen an. Sein Blick verriet schon mehr als tausend Worte und ich wusste, dass er in seinen Gedanken schon mit mir abgeschlossen hatte. Warum schaute er denn so? War doch bestimmt ein geiles Gefühl. Ich lächelte ihn unschuldig an. Dann hielt ich ihm die Tüte Goldbären hin und säuselte ein: "Magst du Gummibärchen?" Er entblößte ein paar Zähne und hob gekonnt eine Augenbraue, was ihm einen provozierenden Ausdruck verlieh. "Ja, aber keine angelutschten." Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Na immerhin hatte ihm noch nicht das Vibrieren der Fensterscheibe des Busses das Hirn aus dem Kopf geprügelt. Wenn denn eins vorhanden gewesen wäre. Immerhin war einer genau wie sonst. Das gab mir das Stückchen Normalität zurück, was ich bei Sara eben vermisst hatte. "Dann nicht.", murmelte ich und überließ dem halben Gummibärchen bei Glen seinem Schicksal. Oder sollte ich sagen, das Gummibärchen überließ mich bei Sara mit meinem Schicksal? Die legte nämlich gerade das spannende Buch zur Seite, dass mich so brennend interessiert hatte. Sie schien sichtlich unzufrieden. Was genau war jetzt eigentlich los mit ihr? Hatte sie einen Besenstil verschluckt, oder warum saß sie so stocksteif und verkrampft da und starrte nur bissig in eine Ecke? Gut, ich hatte ihr wie immer nicht zugehört... aber daran müsste sie sich eigentlich schon gewöhnt haben. Plötzlich starrte sie mich so funkensprühend an, dass mir ganz schwummerig wurde. Ihr heißes Gemüt machte die erbarmungslose Hitze hier drin auch nicht gerade erträglicher. Ihre Lippen fingen an zu zittern und ich spürte, wie der Zorn in ihr kochte und brodelte. Sie servierte mir ihre Meinung mit einer gehörigen Portion Ärger in der Stimme: "Du machst dich schon wieder an ihn ran." Ich stockte. "Wie bitte?" Sie presste die Lippen aufeinander und schloss die Hand so fest zur Faust, dass die Knöchel weiß hervortraten. Die Gummibärchentüte auf ihrem Schoß wurde durch die Bewegungen des Busses so durchgeschüttelt, dass die Kolonie von Gummibärchen darin schon im Begriff war einen unsanften Abgang aus ihrer geborgenen Tüte auf den staubtrockenen Busboden zu machen. Mit einer gezielten Bewegung hielt ich die Tüte zu und faltete sie zusammen. Zu meiner Überraschung hob Sara die Hand blitzschnell und wollte sie schon in meine Richtung bewegen, als sie sich zurückhielt. Langsam rechnete ich schon mit einem Gewaltakt. Sie würde doch nicht zuschlagen? Keine Ahnung, wer ihr wieder auf den nicht vorhandenen Schwanz getreten war. Nach einem langen Schnaufen antwortete sie schließlich: "Ich kann es echt nicht ab. Warum musst du dich schon wieder so an Glen ranschmeißen? Du weißt doch ganz genau, dass ICH in ihn verliebt bin. Und du behauptest ständig, dass du ihn voll nicht abkannst und dann... dann... SOWAS!!!" Sie war wirklich wütend und wenn ich nicht gewusst hätte, dass sie kein Drache war, dann hätte ich gemeint, dass sie gleich Feuer spucken würde. Zumindest wusste ich jetzt, welcher Teufel sie ritt. Der kleine, fiese Glen-Teufel. Ich war baff. Ich? Mich an Glen ranschmeißen? Wann? Hatte ich da irgendetwas nicht mitbekommen? "Äh... Sara... Ich kann mich nicht entsinnen, mich irgendwann an...", weiter kam ich nicht, sie unterbrach mich schon wieder. "Jetzt tu doch nicht so! Oder hat sich deine Hand aus Zufall unter sein Shirt geschoben!? Du bist fies. Den anderen kannst du vielleicht was vormachen, mir aber nicht!" Hey, Moment mal. Ich hatte mein Statement ja noch gar nicht zum besten gegeben, wie konnte sie da einfach über mich urteilen? Warum war eigentlich die ganze Welt der Meinung, dass ich mich in diesen Schwachkopf verliebt hätte? "Fies? Wer ist hier fies? Wer schreibt irgendwem hier denn eine Rolle auf den Leib, die er überhaupt nicht haben will? Ich bin weder in Mr. Punk verliebt, noch in irgendwen anders in diesem Bus. Also mach mal halblang. Das mit dem T-Shirt war doch keine Absicht! Es hat sich halt so ergeben. Er hat mich provoziert und ich wollte ihm das Scheißteil von MP3-Player abnehmen. So sieht's aus." Hach Mann, wenn sie Glen so liebte, sollte sie ihn doch ruhig haben! Von mir aus konnte sie ihn hinterhergeschmissen kriegen. Am liebsten hätte ich die beiden eigenhändig in eine Raumkapsel gesetzt und rucki-zucki auf den Mond geschossen. Auf nimmer Wiedersehen. Warum ging sie nicht einfach zu ihm hin und sicherte sich, dass er auch nur wirklich sie liebte und dass auch nur wirklich sie einen Anspruch auf ihn hatte? Wenn sie sich wie die absolute Prinzessin fühlte, sollte sie doch selbst zusehen, wie sie sich ihren Prinz angeln konnte, aber nicht mich für ihre Unfähigkeit verantwortlich machen! Irgendwie wurmte mich das alles so, dass ich kurzerhand von meinem Platz aufsprang. Das war zwar während der Fahrt verboten, aber ich hatte mich sowieso schon mit Mr. Taylor so in der Wolle, dass ein weiterer Verstoß gegen seine Regeln auch nicht auffallen würde. Warum konnte sie denn nicht einfach akzeptieren, dass ich NICHT in ihn verliebt war? Warum konnte sie diese Vorstellung nicht einfach aufgeben? Echt, dieser Junge war schon wie eine Krankheit. Jetzt hatte er schon von meiner besten Freundin Besitz ergriffen. Warum beschäftigte sich die Hälfte meiner Freizeit und meiner Gedanken eigentlich nur mit ihm? Ich meine, wenn es wenigstens schöne Gedanken gewesen wären und nicht immer nur Mordpläne. Aber ich hatte ja vorgehabt, meine Einstellung zu ihm zu ändern. "Aha!", sprudelte sie wieder los. "Und was war das eben gerade? Du hast schon wieder Kontakt zu ihm gesucht! Du hast ihn angemacht!" Ich schüttelte ungläubig mein Haupt und stützte die Arme in die Hüfte. Das war ja wohl die Höhe! Ich würde Glen anmachen? Aber in meinen kühnsten Träumen nicht! "Oh ja! Es ist ja auch so eine Anmache, jemanden mit angelutschten Gummibärchen zu beschmeißen!" Nun war ich auch auf Hundertachzig. Jetzt hatte sie es endgültig geschafft, mich auf die Palme zu bringen. Ich griff zu der Gummibärchentüte und schmetterte ihr entgegen: "Hier, willst du auch mal? Ist gar nicht so schwer! Mit der richtigen Wurftechnik kriegst du jeden an die Angel!!!" Die ersten verwunderten Blicke meiner Mitschüler zogen sich zu mir hin wie zu einem Magnet. Na und? Schaut doch ruhig! Alle Welt sollte wissen, wie schwachsinnig Saras Gedankengang war. "Was willst du eigentlich von mir hören!? ,Glen, ich liebe dich?'??? OH!!! JAAAH, GLEN! ICH WILL DICH! ICH WILL EIN KIND VON DIR! OHHH! JAAH!!! Ist dir das lieber? Willst du das hören? Bist du nun zufrieden???", stöhnte ich eine Spur zu laut. Ich blickte verwirrt in die Runde und räusperte mich. Menschen spüren, wenn sie beobachtet werden. Und in meinem Fall fühlte ich mich, als würde ich von dreißig Mann bis auf die Unterwäsche gemustert. Ach, hätte ich doch heute bloß die Spitzen-Dessous angezogen und nicht die blau-weiß gestreifte mit dem Teddy drauf... Was sollten die anderen nur von mir halten? Ich ließ meinen Blick über die Stille um mich herum schweifen. Selbst das Knattern des Busses schien leiser geworden zu sein. Dann senkte ich den Kopf zu Boden und wurde unweigerlich rot. Innerlich starb ich tausend Tode. Ja ja, das mit dem Stöhnen war schon so eine Sache. Das hatte ich mir doch eigentlich schon am Ende des ersten Kapitels verboten. Ich wusste ja, wie gern so ein Missverständnis breit getreten wurde. Was war nur in mich gefahren? Irgendein Idiot in der letzten Reihe fing an zu klatschen, aber die anderen waren zu perplex, um mit einzustimmen. Sara war knallrot angelaufen und blickte aus dem Fenster, als würde sie mich nicht kennen. Ach, wie schön man doch wieder im Stich gelassen werden konnte. Nervös blickte ich in Glens Richtung. Ich hoffte wirklich inständig, dass er mal wieder viel zu laut Mucke hörte und nichts mitbekommen hatte, allerdings fiel mir kurz darauf siedend heiß ein, dass ich ja die Freundlichkeit besessen und ihm seinen MP3-Player entwendet hatte. Als hätte er meine Gedanken gelesen, drehte er sich kurz darauf um und blickte mir mit einem zuckersüßen Lächeln entgegen. "Ein Kind? Findest du das nicht noch ein bisschen zu früh, Schatz?" Dass ich ihm den gestreckten Mittelfinger entgegen hielt, ging im Gelächter der Klasse unter. Ich wurde aber auch immer falsch verstanden. Glen und ich? Ein Kind? Versuchen wir's gar nicht erst. Kämen eh nur Bastarde heraus. Ein laues Lüftlein erfasste meine Haarsträhne und versuchte sie in die Ferne davonzutragen. Meine Hände zitterten vor Anstrengung, in meinem Kopf ratterte es und es würde sicher nicht mehr lange dauern, bis sich dieses Rattern in einen stechenden Schmerz verwandeln würde. Ich hatte schon keinen blassen Schimmer, wie ich es aus dem klimatisierten Zug in den brütend heißen Bus geschafft hatte. Und noch mehr hätte mich jetzt interessiert, welche höhere Macht meine Füße dazu bewegt hatte, aus dem Bus auszusteigen und mich auf diesen Grund und Boden hier zu hieven. Nun stand ich also direkt vor dem Gebäude, in dem ich die nächste Woche verbringen würde. Oh, wie ich schon die Glücksgefühle in mir aufsteigen fühlte. Verdammte Scheiße. Das hatte ich mir aber anders vorgestellt. Nicht, dass die Fahrt nicht schon eine einzige Tortour gewesen wäre, aber dieser Anblick hier übertraf alles. Lieber hätte ich mir den Gruselschocker "Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast" noch einmal angeschaut, als auch nur einen Schritt in dieses... dieses... Subjekt zu setzen!!! Mein Magen verkrampfte sich, als ich das alte Bauernhaus sah. Meine Nase rebellierte gegen den beißenden Gestank, der direkt von dem Objekt vor mir ausging. Quatsch, bleiben wir lieber bei Subjekt. Ich hatte es doch gewusst. Ich hatte es von Anfang an genau geahnt. Ich hatte mir dieses Horrorszenario vor meinem Inneren Auge schon zigtausendmal ausgemalt, aber nie hätte ich es mir so schlimm vorgestellt. Aber anscheinend schien ich die einzige zu sein, der diese brutal stinkende Atmosphäre missfiel. Meine Mitschüler mutierten zu kleinen Kindergartenkindern und strömten an mir vorbei auf den Hof. Mit lautem Geschrei stürmten sie auf den großen Heuhaufen los und freuten sich, als gäbe es hier irgendwo Freibier. Unser Lehrer hatte gesagt, dass wir irgendwo an den Stadtrand fahren würden, nicht mitten in die Pampa!!! Ich rollte mit den Augen und versuchte, irgendwo in der Ferne ein weiteres Haus zu entdecken. Nix. Null. Finito. Nothing. Niente. WAH! ABGESCHNITTEN VON DER AUßENWELT!!! "Ich geh sterben.", murmelte ich und wollte mich schon gerade wieder umdrehen, als ich aus den Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Direkt am Eingang des Hauses lief jemand herum und schob eine Karre vor sich her. Ich hielt mitten in der Bewegung inne und schärfte meine Augen. Heiliger Strohsack! Mein Atem stockte. Dieser Junge...! Dieses Gesicht...! Ich brauchte nicht lange überlegen, an wen mich das erinnerte... diese hellblonden Haare konnte nur einer haben. Und so wundschöne blaue Augen. "Condor...?", flüsterte ich. Nein, das konnte nicht sein. Aber ich konnte mich unmöglich geirrt haben. Dieser Junge sah ihm so verblüffend ähnlich, dass ich eine Gänsehaut bekam. Ich schüttelte ungläubig den Kopf, konnte aber nicht aufhören, ihn anzustarren. Ich bereitete mich schon drauf vor, gleich meine Augen vom Fußboden aufsammeln zu können, so wie diese hervortraten. Noch einmal schloss ich die Augen, kniff mich und schaute wieder und wieder hin. Condor! Für einen kurzen Moment schien er auch zu mir hinüber zu blicken. Alles bewegte sich in Slowmotion. Als hätte jemand an der Uhr gedreht. Das... war unmöglich! Doch da war er auch schon um die Ecke verschwunden. Ich wollte ihm nachlaufen, ihn genauer mustern und ihn nach seinem Namen fragen... Warte! Unsicher trat ich einen Schritt nach vorne. Dann noch einen. Und dann hörte ich ein komisches Geräusch. Es hörte sich ein wenig schmatzend an, auch ein wenig schlürfend und matschend. Alles sehr seltsame Adjektive, aber allesamt äußerst passend. Ich schaute entsetzt nach unten. "WAS IST DAS?!", schrie ich hysterisch auf. Ein Klimpern verriet mir, dass Glen direkt hinter mich getreten war. Er knackte mit den Fingern, schritt gefährlich nah an mich heran und flüsterte mir mit einem amüsierten Unterton in der Stimme folgendes Wort ins Ohr: "Kuhscheiße." Ich schluckte. Meine Augen weiteten sich. Ein dichter schwarzer Schleier breitete sich vor meinen Augen aus. Ich glaube, ich fiel einfach in Ohnmacht. +++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ Die Dunkelheit um mich herum schloss mich ein, fraß mich von innen auf. Mit jedem Schritt schien mir ein tausendfaches Echo um die Ohren zu fliegen und ich schwitzte am ganzen Körper. Ich wusste weder, wo ich war, noch, wie ich dorthin gekommen war. Mein eigenes Atmen schien mir fast den Kopf zu sprengen. Mir war kalt. Mein Atem hinterließ kleine Dunstwölkchen und ließ mich frösteln. Eine Gänsehaut überzog meinen ganzen Körper. Angst beschlich mich. Wo war ich? Was war passiert? Wer hatte mich hierhin gebracht? Verzweifelt murmelte ich etwas in die Dunkelheit hinein. Ein paar Worte, die wie von selbst aus meinem Mund zu kommen schienen. Ein Name, den ich nie vergessen würde. "Condor...?" Stille. Er kam nicht. Wie denn auch? Er war wahrscheinlich gar nicht hier. Kälte. Einsamkeit. Langsam beschlich mich die Panik. Wer trieb hier seine bösen Scherze mit mir? Wer spielte dieses grausame Spiel mit mir? Ich wollte aus der Dunkelheit heraus, zum Licht. In die Wärme. Das erste mal in meinem Leben wollte ich nicht allein sein und zu anderen Menschen gehen. "Glen...?" Ich schüttelte den Kopf und erschrak, als ich bemerkte, was ich gerade gesagt hatte. Warum kam mir gerade in dieser grässlichen Situation sein Name als zweites in den Kopf? Was zum Teufel ging hier ab? "Glen...!!!" Gegen meinen Willen schrie ich einfach immer wieder seinen Namen. Na geil. Wir rufen den Namen des erstbesten Arschloches, das uns einfiel und hofften darauf, dass er uns aus dieser nicht gerade alltäglichen Situation herausbrachte. Dies hier war nur ein Traum, das wurde mir schlagartig klar. Nichts weiter als ein dunkler, kleiner Traum. Nichts weiter als eine wieder vorrübergehende Ohnmacht. Ich hatte längst realisiert, dass man so einen Mist eher unwahrscheinlich wirklich erleben konnte. Aber der Verlauf dieses Traums irritierte mich ungemein und bezweckte, dass sich ein ungutes Gefühl in meinen Magen schlich. Irgendwas ging hier nicht mit rechten Dingen zu. "Glen..." Warum zum Teufel flüsterte ich Idiot immer wieder den Namen dieses Typen vor mich hin? Wenn ein bisschen Klebeband zur Hand gewesen wäre, hätte ich mir am liebsten den Mund zugepflastert und nie wieder ein Wort gesprochen. Heißkleber hätte es auch getan. War ja nur ein Traum. Glen. Ich ließ die Buchstaben auf meiner Zunge zergehen und vergrub meinen Kopf in meinem Schoß. G. L. E. N. Ein seltsamer Name. Eine seltsame Person. Und ich hatte ein seltsames Verhältnis zu ihm. Warum fiel er mir gerade jetzt ein? Hatte Sara zu viel über ihn geredet? Hatte ich mich etwa in Gedanken zu viel mit ihm beschäftigt? Hatte sie mich zu oft mit ihm in Verbindung gebracht? Schien uns gar unser Schicksal zu verbinden? Scheiß Gedanken. Raus aus meinem Kopf!!! Zu meiner Überraschung mischten sich plötzlich weitere Geräusche in die Dunkelheit. Meine Muskeln waren bis zu Äußersten gespannt. Wer kam da? Warum zum Teufel noch mal konnte ich in dieser verfluchten Finsternis nichts erkennen??? Wenn Condor schon nicht kam, wollte ich niemanden sehen. Er war wie ein Gott, niemand durfte ihm zuvorkommen. Und schon gar niemand durfte mich aus der Finsternis retten. "NIEMAND, HÖRST DU??!!", schrie ich der Gestalt entgegen, die sich mir näherte. Sie schien ein kleines Licht bei sich zu tragen. Glen...? Ich nahm ein Klimpern und Klingeln war, wie ich es nur zu gut kannte. Nur ein Nietengürtel klimperte so. Super, jetzt kam der Typ auch noch wirklich. Am liebsten hätte ich "Bleib weg! Ich will dich nicht hier! Ich brauch dich nicht!" gerufen, aber nun war meine Kehle plötzlich so trocken, dass ich nichts als ein ersticktes Keuchen hervorbrachte. Und diesmal war er nicht da, um mir ein "Kuhscheiße" ins Ohr zu flüstern. Sara! Was hast du mir da nur eingeredet! Dank dir träume ich jetzt schon von Glen!!! Ich hatte meinen Körper plötzlich nicht mehr unter Kontrolle. Es war ja nur ein Traum. Durch den kleinen Schimmer der Lampe erkannte ich sein Gesicht. Dieser Anblick brannte sich in mein Gedächtnis und ließ alle Gedanken von Condor davonfliegen. Durch einen hellgrauen Schleier verfolgte ich, wie ich meine Hand nach dem Gürtel ausstreckte und ihn zu mir hinunter zog. Ich keuchte und drückte mein Gesicht gegen seine Brust. Ich krallte mich an seinem T-Shirt fest. Drückte mich mit meinem zitternden Körper gegen seinen und hoffte darauf, dass er die Arme noch ein bisschen enger um mich schlang... Sein ganz eigener Duft schlug mir entgegen, dass es mir fast die Kehle zuschnürte. Nur ein Traum. Hier war nichts wahres dran. Nichts, was auch nur annähernd in die Realität mit hineingehörte. Warum träumte ich so eine gequirlte Scheiße? Und wo zum Teufel hatte ich gelesen, dass Träume die tiefsten Sehnsüchte spiegelten? Ich.... hatte mich doch nicht etwa...? Nein, hatte ich nicht. Ich durfte nicht. Ich wollte nicht. Aber ich hatte wohl nicht anders gekonnt. Es war unfair. Mir gegenüber. Sara gegenüber. Ihm gegenüber. Ich spürte einen Stich in meiner Brust. Was war das für eine Qual? Vor mir sah ich seine Lippen, wie sie sich langsam bewegten und mir ein paar Worte zuzuflüstern schienen. Dann lächelte er. Warum gerade er? Warum gerade jetzt? Halt, Stopp, Alarmstufe Rot! Ich wollte das nicht! Und doch hatte er diesen Blick, der unter die Haut ging. Irgendwas schien mich tief in meinem Herzen zu berühren... In diesem Traum schlich er sich langsam in mein Herz, wie ein Gift, infizierte all meine Zellen und breitete sich somit in meinem ganzen Körper aus. Und ich ließ es geschehen. Auch wenn ich wusste, dass dieses Gift mich langsam irgendwann sanft töten würde. ++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ Irgendwann verlor ich vor lauter Schwindelgefühl den Halt und stieß ich mit dem Kopf voran mit einem dumpfen Aufprall auf den dunklen Untergrund unter mir. "SCHEIßE!!!", fluchte ich und merkte plötzlich, dass sich der dunkle Schleier hinter meiner Stirn lichtete. Ich war wieder wach. Ich öffnete in Slowmotion die Augen und alles was ich sehen konnte war Schwarz. Toll, was für eine Veränderung. Von Schwarz zu Schwarz, wie unglaublich spannend. Doch dies hier schien glücklicherweise wieder die Realität zu sein. Was für ein erleichterndes Gefühl. Ich drückte mich mit meinen Armen hoch und musste bemerken, dass mein Kopf schmerzhaft pochte. Als ich mich in die Senkrechte gehievt hatte, kam es mir vor, als hätte ich eine Betonplatte auf dem Kopf. Verzweifelt rieb ich mir die Schläfen und blickte mich verwundert um. Erst war alles ein bisschen verschwommen, doch wenn ich genauer hinsah und mich ein bisschen bemühte, konnte ich meine Linsen soweit schärfen, dass die Schemen dreier Holzbetten erkannte. Eins fast über mir und zwei neben mir. Und jetzt wusste ich auch, warum mein Kopf so verdammt hämmerte. Ich Döspaddel war während dieses verwirrenden Traums geradewegs aus dem Bett gekugelt und unsanft kopfüber auf dem Holzfußboden gelandet. Moment mal, Holzfußboden? Betten? Ich sprang auf und ignorierte die Betonplatte auf meinem Kopf. Im ersten Moment fühlte ich mich, als wenn ich direkt rücklinks wieder hinstürzen würde, aber dann konnte ich mein Gleichgewicht halten und mich erst einmal auf das Bett hinter mir setzen. Langsam wartete ich, bis ich wieder voll bei Bewusstsein war. Mittlerweile konnte ich es mir lebhaft vorstellen, wie es war, nach einer durchkifften Nacht in einem fremden Bett aufzuwachen. Nur, dass dieses Bett keiner kleinen Abendaffäre gehörte, sondern der Boden einer Jugendherberge. Ich stöhnte und verdrehte die Augen. Langsam kam die Erinnerung wieder zurück. Plötzlich wusste ich wieder, was mich höchstwahrscheinlich hierher geführt hatte. Mit einem beklemmenden Gefühl schaute ich auf meine selbstleuchtende Armbanduhr von Rolex. Es war mittlerweile schon kurz vor elf Uhr. Also mitten in der Nacht. Ich musste mich ja eine halbe Ewigkeit in dieser komischen Dunkel-Wischi-Waschi-Welt befunden haben. Oh, mein Gott! Ich musste peinlich berührt den Kopf schütteln, als ich mich erinnerte, WAS GENAU ich da eigentlich geträumt hatte!!! Wenn Sara das gewusst hätte, wär sie sicherlich an die Decke gesprungen und hätte mich auf der Stelle aus dem Fenster geschmissen. Aber... wenn ich genauer drüber nachdachte... Bitte nicht. Ich wollte alles, aber nicht im tiefsten Unterbewusstsein in diesen Vorstadtjungen verliebt sein. Schließlich war er ein mindestens genauso großes Egoschwein wie ich. Und das konnte sowieso nicht gut gehen. Kein Wunder, dass ich Kopfschmerzen hatte. Ich musste mich anstrengen, aber aus meinen Gedächtnisfetzen ließ sich mehr oder weniger leicht rekonstruieren, was geschehen war. Ich hatte mich soeben verliebt. Bravo. Nein, falsch. Ich hatte soeben realisiert, dass ich mich vor geraumer Zeit verliebt hatte. Na toll. Hier saß ich also nun, eingepfercht in einem kleinen stickigen Zimmer mit drei Klappbetten, auf einem mikroskopisch kleinen Bauernhof mitten in der Pampa. Und auch noch frisch verliebt in meinen schlimmsten Alptraum. Hurra, holt die Luftschlangen raus! Willkommen in der Hölle auf Erden für so ein von sich selbst eingenommenes Großstadtgirl wie mich! Ich seufzte und ließ mich zurück auf das durchwuschelte Bett hinter mir fallen. Geil, geil, geil. Fast hätte ich laut aufgestöhnt. Selbst die imaginäre Betonplatte auf meinem Kopf war weicher als dieses steinharte Teil hier. Mit einem schmerzverzerrten Gesicht richtete ich mich wieder auf und machte die kleine Nachttischlampe an, damit ich besser sehen konnte. Zu meinem entsetzen musste ich feststellen, dass das Zimmer erleuchtet noch viel schlimmer war als im Halbdunkel. Wo war ich denn hier gelandet? Das war ja mal wieder eine tolle Jugendherberge, die sich unser allseits beliebter Mr. Taylor mit seinen Argusaugen ausgeguckt hatte. Die Betten allein schon waren das absolute Highlight. In meins schienen auf jeden Fall schon mehrere Mädchen dermaßen reingeblutet zu haben, dass das Zeug nicht mehr auszuwaschen war. Aber auch andere unidentifizierbare Flecken tummelten sich auf Bettwäsche, Kopfkissen und Steinmatratze. Verdammt, was hatten die in diesem Bett gemacht? Gyros gegessen? Angewidert stand ich auf. Und in dem Ding hatte ich geschlafen? Noch viel schlimmer: In dem Ding sollte ich die nächsten fünf Tage verbringen? Also nee. Verächtlich schüttelte ich den Kopf und sah mich weiter im Zimmer um. Eigentlich hatte ich schon fast geahnt, was mich erwartete, aber ich wagte dennoch einen Blick nach oben und musste feststellen, dass ich mit meiner Vermutung richtig gelegen hatte. SPINNEN!!! ÜBERALL UNGEZIEFER, WO MAN NUR HINSCHAUTE!!! Erschrocken wich ich zwei Schritte zurück und prallte mit dem Rücken gegen den einzigen Schrank im Raum, in dem daraufhin etwas gewaltig rumpelte. Was ging denn jetzt ab? Mit einer weiteren dunklen Vorahnung öffnete ich den Schrank. Keine Ahnung, wie ich das hinbekommen hatte, da ja die Griffe fehlten und stattdessen Kaugummi drüber geklebt worden war. Zwei Bretter hatten sich verabschiedet und eins war in der Mitte durchgebrochen. Langsam wurde mir eins klar. Das war keine Jugendherberge. Das war auch kein Mini-Bauernhof. Das war nichts weiter als eine Bruchbude. Womit hatte ich das verdient...? Mit einem lauten Krachen schmiss ich die Schranktür wieder zu, woraufhin ein weiteres Poltern zu vernehmen war, was mir in diesem Moment aber scheißegal war. Sollte der Schrank doch ruhig in sich zusammenfallen. Meine heiligen Sachen würde ich in dieses Ungeziefernest bestimmt nicht reintun. Noch einmal ließ ich meinen Blick durchs Zimmer schweifen. Na, immerhin hatten wir ein Waschbecken. Ich wollte zwar nicht wissen, wie viele Schichten Kalk dieses bedeckte und was da für ein Güllewasser rauskam, aber es zählte ja allein die Tatsache, dass wir eins hatten. Doch... was war das??? Ich schritt näher an das gelblich-weiße Teil heran. Die ganze Ablage war schon belegt. Ha, das konnte doch nicht angehen! Werter Herr Glen hatte den kleinen Vorsprung zur Unterbringung seines ganz persönlichen kleinen Haarstudios genutzt. Überall tummelten sich Tönungen, Farbsprays, Haarfestiger und Gel. Wie unglaublich witzig. Dachte er etwa, dass ich gar keinen Platz brauchte? Mit einem entschlossenen Handgriff wischte ich die Utensilien von der Ablage und stapelte sie auf dem Boden. Blitzschnell würde ich morgen bei Tageslicht mein ganz persönliches Schminkstudio dort aufbauen. Soweit ging die Liebe dann doch nicht. Wenn ihm das nicht passte, konnte er ja versuchen, sich mit mir anzulegen. Gerade, als ich fertig war mir auszumalen, wie ich morgen mit einer eleganten Bewegung das komplette Liedschatten-Set mit den 70 verschiedenen Farben dort aufbauen würde, und meinen Blick noch einmal durchs Zimmer schweifen ließ, stieß mein Auge auf etwas sehr Entzückendes. Ich war nicht allein im Zimmer. Glen war ja auch immer noch da. Ich unterdrückte einen spitzen Aufschrei, als ich bemerkte, wie sich sein vor Schweiß glänzender Oberkörper in dem schummrigen Licht der Nachttischlampe bewegte. Der ganzen Bewegung folgte ein gequältes Quietschen von seiner durchgelegenen Matratze, die schon fast auf dem Boden hing. Oh mein Gott! Licht schnell wieder aus!!! Ich hastete zurück zu meinem Betonkasten, der das genaue Gegenteil von seinem ausgelutschten Bett war und löschte blitzschnell das Licht. Nein, ich würde jetzt nicht den Verstand verlieren. Super, das machte die Umstände natürlich noch schöner. Hätte ich nicht ein paar Tage später realisieren können, dass er mir den Kopf verdreht hatte? Ich konnte mich jetzt noch nicht wieder aufs Ohr hauen. Nicht, dass ich Angst vor so einem weiteren Traum gehabt hätte. Ich hatte gerade erst gepennt und Glens Anwesenheit machte mich nervös. Ich wunderte mich schon, warum er nicht von meiner unsanften Begegnung mit dem sicherlich nicht ausreichend gewischten Fußboden wach geworden war. Er pennte aber auch wirklich wie ein Stein. Ich erschrak ein bisschen, als draußen ein gleißend heller Blitz aufzuckte und das Zimmer kurz in grelles Licht tauchte. Foto, bitte lächeln. Ich riss das Fenster auf und ließ ein bisschen frische Gülle-Luft herein. Es fing leicht an zu nieseln und ich hielt meine Hand raus, die kurz darauf eine dünne Schicht von Wassertröpfchen bedeckte. Ein Sommergewitter. Wie wundervoll. Ich atmete noch einmal tief durch, dann bewegte ich mich auf Glens Bett zu und hockte mich davor. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich ihn in der Dunkelheit einfach nur anstarrte. Wenn er sich umgedreht hätte und die Augen geöffnet hätte, wusste ich, dass ich in seinen Augen versunken wäre. Auch wenn ich wieder hätte auftauchen müssen. Ich hatte ein schlechtes Gewissen. Wegen Sara. Warum war ich so blind gewesen, es die ganze Zeit nicht zu merken, wo es schon längst meine beste Freundin realisiert hatte? Irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass sie mich besser kannte, als ich mich selbst. Dabei hatte ich es von Anfang an gar nicht gewollt. Meine Abwehrhaltung hatte mir diese Gefühlskälte eingebracht. Diese Gedanken hatte mir nicht Sara eingeredet. Sie waren in meinem kranken Hirn entstanden, genau wie dieser Traum von eben. Eigentlich wollte ich das nicht. Ich wollte das wirklich nicht. Ich musste etwas dagegen tun. Aber nicht mehr heute. Morgen würde ich mir was einfallen lassen, um die Situation zu retten. Ich legte gegen meinen Willen die Hand auf Glens Rücken. Langsam hob sie sich auf und ab, wie sein Atem. Er schlief ganz ruhig. Bekam nichts von meinem Gefühlschaos mit. Junge, du bist aber auch nicht ganz unschuldig!, wiederholte ich immer wieder in Gedanken. Genau. Er war Schuld an meiner jetzigen Lage. Da merkte man mal wieder, wie gern ich die Schuld anderen Leuten in die Schuhe schob. "Arschloch." Ich lächelte. In dieser verregneten Sommernacht hoffte ich... dass ich untergehen würde... wie der Mond, der verschleiert am Himmel stand. *************************************************************************** Chapter V://** Sweet Little Nightmare **\\ END Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)