Longing von abgemeldet ================================================================================ Prolog: -------- Longing I may be numberless, I may be innocent I may know many things, I may be ignorant Or ride with kings and conquer many lands Or win the world at cards and let it slip my hands I may be cannon food, destroyed a thousand times Rebourn as a fortune's child to judge another's crimes Or wear a pilgrims clook, or be a common thief I've kept this single faith, I have but one belief I still love you I still want you A thousand times these mysteries unfold themselves Like galaxies in my hand And on and on these mysteries unwind themselves Eternities still unfold 'till you love me -a thousand years' sting Kapitel 1: ----------- Hinweis: Ich lade das Kapitel hiermit noch einmal hoch, denn seltsamerweise wurde es beim bis letzten Mal mit Adult-Warnung angezeigt, obwohl ich die für dieses Kapitel gar nicht angegeben hatte. Is doch ganz harmlos, dieser Teil... Na ja, hoffe, diesmal klappt's. Würde mich sehr über weitere Kommis freuen! Longing Bereits in dem Moment, in dem er die Augen aufschlug, wusste er, dass etwas nicht stimmte. Doch zunächst erblickte er nur die Dunkelheit, die ihn in seinem Schlafgemach umhüllte. Offenbar war es noch mitten in der Nacht. Es dauerte eine zeitlang, bis seine eisblauen Augen sich daran gewohnt hatten und zumindest die Umrisse der Möbel wahrnahmen. Langsam richtete Titius sich auf und versuchte das Gefühl, dass ihn aufgeweckt hatte, näher zu ergründen. Es war zweifellos Nervosität, die ihn befallen hatte. Sein Herz klopfte aufgeregt, in seinem Magen breitete sich dieses unruhige Kribbeln aus und sein ganzer Körper war angespannt. Aber warum? Was war passiert? Hatte er etwa wieder geträumt? Aber nein, wenn er diese Träume hatte, konnte er sich immer ganz genau daran erinnern und er wachte zwar immer schweißgebadet und zitternd auf, aber es war dennoch ein anderes Gefühl als das, welches er jetzt verspürte. Aber was war es dann? Sein Körper schien irgendwie alarmiert zu sein, als würde er etwas wittern. In diesem Moment klopfte es an seine Tür, jedoch so plötzlich dass Titius vor Schreck kurz zusammenzuckte, während er immer noch mitten im stockdunklen Zimmer in seinem Bett saß. "Titius-sama! Seid ihr wach?" ertönte die Stimme einer Bediensteten vor der Tür, während sie nochmals klopfte. "Ja... ja, ich bin wach. Was ist denn los?" fragte der Stellvertreter des Dämonenfürsten etwas verwirrt. "Herr Laures schickt nach euch, es ist etwas geschehen und ihr sollt sofort runter ins Kellergewölbe kommen." Kellergewölbe? Was gab es dort außer... außer... nein, das konnte nicht sein! Sieben Jahre war es nun her, sieben Jahre waren vergangen seitdem sie den schlafenden Zadei dort unten untergebracht hatten. Titius hatte schon begonnen, sich zu fragen ob er überhaupt noch mal aufwachen würde. Die ganze Zeit hatte er ja irgendwie damit gerechnet, dass es irgendwann soweit sein würde und zumindest geglaubt, einigermaßen darauf vorbereitet zu sein. Aber jetzt traf es in wie ein Schlag. Was, wenn es wirklich wahr war, was er vermutete? Wenn Zadei jetzt wirklich da unten... Hatte sein Unterbewusstsein es bereits registriert und deshalb so darauf reagiert, ihn aufgeweckt, obwohl er beim Schlafengehen noch gar nicht hatte wissen können, dass es heute Nacht passieren würde? Dem weißhaarigen Dämon schnürte sich die Kehle zusammen, als er sich wie in Trance aus der raschelnden Bettdecke wickelte und unendlich langsam sein Schlafgewand gegen eine seiner weißen Roben tauschte. Anschließend betrat er den durch Kerzen ausreichend erleuchteten Gang vor seinem Gemach und begab sich langsam in Richtung der Katakomben unter dem Schloss. Bedienstete huschten an ihm vorbei, das ganze Schloss schien auf den Beinen zu sein, obwohl es mitten in der Nacht war. Titius Kopf war wie benebelt, er konnte kaum klar denken, konnte nur seinen Gefühlen nachhängen, einer Mischung aus Angst, Aufregung, Verzweiflung und... vielleicht gleichzeitig auch eine gewisse Erleichterung. Es fühlte sich an wie ein Strudel, positive und negative Gefühle verschwammen miteinander, ließen ihn keinen klaren Gedanken mehr fassen... ************************Etwas früher in dieser Nacht**************************** Die dicken Mauern waren mit Fackeln ausgestattet, die den Raum zwar erhellten, aber nicht zu grell, wofür Zadei durchaus dankbar war, als er unendlich langsam die Augen aufschlug. In seinem Kopf herrschte Leere, erst ganz langsam fing sein Geist wieder zu arbeiten an, es war wie eine dichte Nebelwolke, die sich erst langsam lichtete. Seine Augen bewegten sich, tasteten langsam die Decke ab. Es war ein sehr hoher Raum mit einer steinernen Decke. Ja, es kam ihm bekannt vor, aber er konnte sich nicht erinnern... Was war überhaupt geschehen, wo war er hier? Unter seinem Rücken fühlte er weichen Stoff, aber durch diesen spürte er die eiserne Kälte harten Steines. Aber es half nichts, wenn er rausfinden wollte, wo er hier war, konnte er nicht länger einfach hier rumliegen. Vorsichtig begann er sich aufzurichten, wobei ihm allerdings jedes Gelenk schmerzte. "Verflucht!" zischte er und erschrak selbst über das Echo, das an den Wänden abprallte und mehrmals widerhallte. Noch bevor es vollends verklungen war, öffnete sich die große schwere Holztür und das verschreckte Gesicht eines Wachmannes erschien durch den Türspalt. Dessen Augen weiteten sich, als er Zadei sah, aufrecht sitzend, mit seiner mächtigen Rüstung bekleidet auf dem mit Tüchern bedeckten Altar, auf den sie ihn damals auf Herrn Titius Befehl hin gebettet hatten. Er hatte auch befohlen, dass vor dem Raum permanent Wache gehalten werden sollte, für den Fall, dass Zadei aufwachte. Der Mann schauderte, warum musste das auch ausgerechnet während *seiner* Schicht passieren?! Mit zittriger Stimme rief er dem noch immer verwirrt dreinblickenden Shôgun entgegen: "Wa... wartet hier Zadei-sama! Ich... ich hole sofort jemanden." Und damit verschwand der hochrote Kopf aus der Tür und man hörte, wie sich seine Schritte schnell entfernen. Zadei war noch zu sehr mit seinem schmerzenden Körper und seiner Überraschung beschäftigt, um darauf zu reagieren. Aber dann blickte er sich weiter in diesem Raum um und... ja, natürlich, das waren die Katakomben des Schlosses des Dämonenfürsten! Das würde also heißen er war tatsächlich im Laures Schloss!? Aber wie war das möglich? Was war geschehen? Er hatte offenbar geschlafen, aber wie lange? Einige Stunden, vielleicht sogar Tage? Es war ein tiefer, traumloser Schlaf gewesen. Zadei hatte jegliches Zeitgefühl verloren und sofort taten sich tausend Fragen auf, sein Gedächtnis wies klaffende Lücken auf, von dem was sich nach dem Kampf mit Laures ereignet hatte... nur an eines konnte er sich ganz genau erinnern. Titius. Wo war er, ging es ihm gut? "Zum Teufel, was ist hier eigentlich los?" fluchte er, noch immer auf dem Steinaltar sitzend, den Kopf in die Hände vergraben. "Das kann ich dir sagen, alter Freund." Laures Stimme klang kristallklar. Zadei schreckte hoch, blickte sich um und sah den Dämonenfürsten den Raum betreten. Warum musste dieser Typ auch immer so durch die Gegend schleichen? "Na toll, ich dachte schon, schlimmer könnte ich mich nicht mehr fühlen, aber das ich jetzt auch noch deine Visage sehen muss..." Egal wie fertig Zadei auch war und in welcher Lage er sich befand, er konnte einfach nicht anders, als seinen Lieblingsfeind auf diese Weise zu begrüßen. "Das tut mir leid für dich, erträgst du meine Anwesenheit denn noch solange, wie ich dir erzähle was passiert ist? Oder möchtest du es gar nicht wissen?" erklang Laures Stimme nur gelassen, fast schon amüsiert. Wie Zadei das hasste! Warum fühlte er sich in seiner Gegenwart nur immer wie ein kleines Kind?! "Hngh... ich werde es schon durchstehen. Dann lass mal hören," schnaufte er. Auch wenn er sich wie gerädert fühlte und jede Bewegung ihm Schmerzen bereitete, vor diesem verdammten Laures würde er sicher keine Schwäche zeigen. Dieser hingegen lächelte nur das für ihn so typische Lächeln. Zadei war offenbar wieder ganz der alte. Und so berichtete er ihm von den Dingen, die geschehen waren, nachdem der Titan fast völlig Besitz von Zadei genommen hatte. "...schließlich haben wir alle eine neue Chance erhalten, die Kraft die ich freisetzten konnte, hat auch dir ein neues Leben geschenkt. Dann fielst du in diesen Schlaf, das ist jetzt sieben Jahre her," schloss Laures. "Sieben Jahre?!" Die Augen des Dämonengenerals weiteten sich. Solange hatte er geschlafen?! "So ist es. Inzwischen hat sich einiges verändert. Das wirst du schon noch bemerken..." wollte Laures fortfahren, wurde von Zadei jedoch unterbrochen. "Und Titius? Was ist mit Titius?!" wollte dieser aufgebracht wissen. Der Dämonenkaiser schüttelte mit einem Seufzer den Kopf. Nein, Zadei hatte sich wirklich nicht geändert. "Ich habe nach ihm schicken lassen, er müsste eigentlich längst hier sein..." Just in diesem Augenblick hörten sie Schritte durch den Gang hallen. Es waren leichte, federnde Schritte. Zadeis Herz krampfte sich zusammen. ******************* Unendlich langsam kamen ihm seine Schritte vor, als Titius sich dem Raum näherte, dessen Tür er mit den Augen fixierte, als würde sie ihn gleich angreifen. Mittlerweile hatte er keine Zweifel mehr, dass seine erste Vermutung richtig gewesen war: Zadei war bestimmt aufgewacht. Aber wie würde es jetzt weitergehen? Laures hatte Zadei damals in die Verbannung schicken wollen. Aber Titius hatte ihn darum gebeten, dies nicht zu tun, zumindest nicht, bevor er nicht aufgewacht war und sie nicht sicher waren, dass er sich vielleicht geändert hatte. Genau, vielleicht hatte dieser lange Schlaf ihn ja verändert, vielleicht war durch die Wiedergeburt sogar sein Gedächtnis gelöscht worden. Wenn dem so war, konnte er ein sehr wertvolles Mitglied des Hofstaats sein, wenn er Laures Treue schwor. Titius hatte damals genauso argumentiert und als er sich jetzt daran erinnerte, schöpfte er wieder etwas Mut. Diese Argumentation hatte durchaus Hand und Fuß und Laures war schließlich darauf eingegangen, auch wenn er sich sicher war, dass hinter Titius Engagement noch etwas anderes steckte. Was das aber genau war, wusste sein Stellvertreter mit dem silbernen Haar offenbar selber nicht. Die Tür rückte immer näher, bis Titius schließlich vor ihr stand. Jetzt konnte er es nicht mehr hinausschieben, vermutlich hatten sie ihn drinnen schon gehört, ihre Stimmen waren nämlich verstummt. Zum Glück war Laures bereits da! Er atmete einmal tief durch und legte die Hand auf die schwere Eisenklinke, drückte sie langsam. ************** Zadei hielt unmerklich den Atem an. Als er höre, wie die Schritte kurz vor der Tür innehielten und dann einige Sekunden später die Klinke gedrückt wurde. Und dann trat er ein, sein Engel. Die katzenartigen Augen des schwarzhaarigen Dämons verengten sich, als würden sie geblendet. War er es wirklich? Er sah erholt aus, schien wieder ganz bei Kräften zu sein. Sein weißes Haar schien heller zu schimmern als jemals zuvor, seine ganze Gestalt schien aus sich selbst heraus zu leuchten. Und dann war da der Flügel. Der Flügel, den Zadei ihm genommen hatte, aus Wut und Verzweiflung und aus dem Wunsch heraus, dass sein Engel ihm nie wieder würde wegfliegen können. Aber jetzt hatte Titius einen neuen. Jetzt sah er wieder genauso aus, wie der Titius, den er erstmals erblickte, als er aus seinem Gefängnis befreit worden war. Was hatte Zadei damals nur aus ihm gemacht? Natürlich, Titius eigentlicher Schönheit hatte selbst die Eiswüste, in die er ihn gesperrt hatte, nichts anhaben können. Aber Zadei erinnerte sich an den gebrochenen Blick, die wunde Haut, den blutigen Flügelstumpf und den geschwächten Körper. Aber nach diesen sieben Jahren waren davon keine Spuren mehr zu sehen, zumindest keine körperlichen. Das engelsgleiche Wesen schritt lautlos durch den Raum, nur das Rauschen seines Gewandes auf dem Boden war zu hören, als er sich knapp hinter Laures stellte und sich kurz verbeugte, als Laures ihn ansah. "Ihr habt mich rufen lassen?" Eine melodische, aber dennoch unendlich eisige Stimme erklang aus seiner Kehle. Währenddessen sah Titius Zadei nur flüchtig mit einem gleichgültigen Blick an, wandte sich dann aber wieder Laures zu. "Ja, ich denke du siehst, warum," meinte Laures nur gelassen mit einem Nicken in Richtung Zadei, der immer noch wie versteinert dasaß und kein Wort rausbrachte und den Dämonenengel anstarrte. Was hätte er auch sagen können. In der Tat, im Grunde gab es tausend Dinge, die jetzt gesagt werden müssten, aber Zadei wusste nicht, wo er beginnen sollte. Was war jetzt das richtige? Hey, seit wann dachte er überhaupt darüber nach, was er sagte oder tat? ************ Titius schwitze Blut und Wasser, während er versuchte, seine Maske aufrechtzuerhalten. Er wollte so unbeteiligt wie nur möglich wirken, aber wie sollte er dass schaffen, wenn sein Herz bis zum Hals klopfte. Hatten sie es bemerkt? Laures bestimmt, er kannte Titius genau und hatte ein Gespür für so was. Aber Zadei? Er warf einen flüchtigen Blick zu ihm rüber. Was starrte er ihn denn so an? Titius wurde noch nervöser, wenn das überhaupt möglich war. Aber es war kaum zu glauben, der Dämon mit den goldenen Augen, die ihn so fixierten, schien davon wirklich nichts zu bemerken. Wie auch, Zadei-sama war nun mal ein ungehobelter Klotz, der nicht die Spur von Sensibilität besaß. Im Gegensatz zu Laures, Noch dazu machte Zadei nicht wirklich den Eindruck, als hätte er sein Gedächtnis verloren. Er musterte Titius zwar, als sähe er ihn zum ersten mal, aber dennoch verrieten seine Augen, dass er nichts von all dem vergessen hatte, was zwischen ihnen beiden vorgefallen war. Titius schluckte. Laures bemerkte Titius' Sprachlosigkeit und wandte sich wieder an Zadei. "Ich denke, hiermit beantwortet sich deine Frage von selbst. Titius geht es gut. Aber nun zu dir." Laures wanderte ein paar Schritte durch den Raum. Seine Bewegungen waren kaum zu hören, nur sein schwerer dunkler Mantel rauschte im Luftzug. Mit seinen violetten Augen fixierte es den Zadei, wie nur er, der König der Dämonen, es konnte. "Es gibt nur einen Grund, warum ich dich nicht gleich in die Verbannung schicke oder dich töten lasse... Ich weiß, dass du mich nicht leiden kannst, aber ehrlich gesagt, ist mir das ziemlich egal. Es ist nur so, das Titi mich darauf hinwies, dass du durchaus ein Gewinn für uns wärst, würdest du dich auf unsere Seite schlagen und mich als deinen Herrn akzeptieren. In gewisser Weise hat er damit recht. Ich rede nicht gerne um den heißen Brei: Wenn du hier im Schloss bleiben willst, wirst du tun, was ich dir sage und dich benehmen. Wenn du das nicht willst, sag es und du kannst gehen. Aber wenn du sagst, du bleibst, dann bist du verpflichtet, Wort zu halten. Tust du es nicht, töte ich dich." Titius blickte etwas betreten zu Boden. Musste Laures-sama unbedingt erwähnen, dass es seine Idee gewesen war? Aber andererseits freute er sich, dass sein Herr klipp und klar sagte, wie die Dinge lagen. Titius selbst hatte damals, als das heilige Licht sie beide gerettet hatte, Zadei selbst die Leviten lesen wollen, aber er war gerade im Moment kaum in der Lage dazu. Jetzt wartete er nur gespannt Zadeis Entscheidung ab. Er wusste selbst nicht, was er jetzt am liebsten hören wollte... Der Dämon mit den wirren schwarzen Haaren war für einige Minuten sprachlos. Sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Er sollte hier am Hof bleiben? Und dann womöglich noch als Lakai dieses Kerls?! Soweit kam es noch...! Aber was war die Alternative? Ins Exil gehen und allein vor sich hinvegetieren, während Titi hier im Schloss saß? Warum sagte sein Engel eigentlich nichts? Seit er den Raum betreten hatte, hatte er Zadei noch nicht einmal richtig angesehen. Aber was hatte Laures gesagt? Titius selber hatte diesen Vorschlag gemacht... vielleicht... wenn das stimmte... Zadei sah Laures arrogant an. "Nun, wenn ihr meine Anwesenheit so schlecht entbehren könnt, dann denke ich, tu ich euch den Gefallen und bleibe hier." Da! Jetzt sah Titi tatsächlich zu ihm auf! Sein Gesicht schien allerdings Bände zu sprechen. Als ob er denken würde... <> Titius rümpfte die Nase. Allerdings musste er mit Schrecken feststellen, dass ihn das tatsächlich ein wenig amüsierte. "Zadei, ich meine es ernst, ich hoffe du bist dir dessen bewusst" Die Schärfe in Laures Stimme hätte einen kampfwütigen Drachen in die Flucht schlagen können. "Wenn du auch nur versuchst, irgendetwas anzustellen oder die Personen, die mir etwas bedeuten, auch nur ansatzweise bedrohst, bin ich sofort zur Stelle! Ich töte dich, ohne mit der Wimper zu zucken." Zadei war vollkommen klar, dass das keine leere Drohung war, auch wenn er nicht wusste, welche 'Personen' er genau meinte. Was war eigentlich mit Hilda? Na, das würde er schon noch rausfinden. Jedenfalls war es nicht allein Laures Drohung, die ihn mit fester Stimme sagen ließ: "Hab schon verstanden. Ich werde mich benehmen." Zadei war sich durchaus im Klaren darüber, dass er Laures sein Leben verdankte, und nicht zuletzt auch das von Titi, auch wenn er es nicht gerne zugab. Und irgendwo hatte auch er seinen Stolz. Er beglich seine Schulden in der Regel. Auch wenn er dadurch mit Laures unter einem Dach leben musste. Außerdem konnte er Titius sehen, was allein schon Grund genug war, Laures jeden Wunsch von den Lippen abzulesen, wenn es sein musste. Die Frage war nur, wie es in seinem Engel aussah... Laures nickte feierlich, als hätten sie soeben einen großen Deal abgeschlossen. "Gut, ich würde sagen, wir besprechen alles weitere dann morgen. Es ist mitten in der Nacht und du musst wohl auch erst mal wieder zu Kräften kommen. Titius wird sich um ein Zimmer für dich und alles weitere kümmern." Anschließend nickte er seinem Diener zu, nachdem er den Befehl erteilt hatte und verließ den Raum. Die Sache war für ihn hiermit erledigt. Für einen kurzen Moment hatte Titius das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Laures verließ einfach den Raum und ließ sie beide allein hier zurück. Abermals musste er schlucken. Warum musste *er* dass hier übernehmen? Nun ja, er war für diese Aufgaben normalerweise zuständig und natürlich würde er niemals einem Befehl seines Herrn wiedersprechen. Also blickte er nur auf und sah Zadei an, immer bemüht, sein Gesicht nichts von seiner Angst zeigen zu lassen "Also, Zadei-sama, dann folgt mir bitte. Ich werde euch zu eurem Zimmer führen." Wenn das mal gut ging! Ohne Zadeis Reaktion abzuwarten, wandte er sich um und steuerte schnellen Schrittes auf die Tür zu. Wortlos begann Zadei, sich von diesem Steinding runter zu bewegen, was aber nur sehr langsam vonstatten ging, da ihm jede Bewegung Schmerzen bereitete. Er fragte sich schon, ob er eingerostet war und vielleicht etwas Öl gebrauchen könnte... na ja, nach sieben Jahren war das ja auch kein Wunder. Er fühlte sich vollkommen kraftlos und ausgelaugt. Ja, er würde sich wirklich erholen müssen und auch wenn es komisch klang, er würde wohl eine ganze Mütze voll Schlaf brauchen, um wieder fit zu werden. Und was zu Essen. War es nicht seltsam, dass er jetzt am liebsten schlafen wollte, obwohl er die letzten Jahre nichts anderes getan hatte? Nun ja, man konnte wohl diesen Zustand nicht wirklich als erholsamen Schlaf bezeichnen, er war einfach bewusstlos gewesen, hatte noch nicht mal geträumt. Aber im Moment gab es andere Dinge, über die er sich Gedanken machen sollte, als sein körperlicher Zustand. Schweigend schritt er hinter Titius her, der sich nicht umdrehte, obwohl er Zadei vor Schmerzen stöhnen hörte. Warum sagte sein Engel nichts? Warum nur war er wieder so kühl? Im Moment wäre es Zadei sogar recht gewesen, wenn er ihn angeschrieen, ihm Vorwürfe gemacht hätte. Aber dieses Schweigen war unerträglich. Zu zweit schritten sie durch die endlosen Gänge und Flure des Schlosses, in denen man sich verlaufen konnte. Hin und wieder huschte ein Diener mit einer nervösen Verbeugung an ihnen vorbei. Sein Erwachen schien einiges Aufsehen erregt zu haben, dachte der Dämonengeneral bei sich. Aber warum nur gab es von Titi keine Reaktion, kein einziges Wort? Es gab so unendlich viel zu sagen... "Du siehst gut aus Titius. Es scheint dir ja wirklich gut zu gehen," versuchte Zadei es. Dieser zuckte unmerklich zusammen, als er die tiefe Stimme hinter sich vernahm. Oh Gott, wie sehr wünschte er sich jetzt an einen anderen Ort! "Wohingegen ihr keinen sehr guten Eindruck macht. Es wird eine Weile dauern, bis sich eure Kräfte regeneriert haben, Zadei-sama," war die Antwort. "Habe ich dir nicht mal gesagt, du kannst das 'sama' weglassen?" "...." "Laures hat mir erzählt, du hättest dich damals dafür eingesetzt, dass ich bis zu meinem Erwachen hier aufbewahrt werde? Stimmt das?" fragte Zadei nun rund heraus. Er wollte es von Titi selbst wissen und vor allem den Grund dafür. "So, hier rechts wird also euer Gemach sein." Der weißhaarige Dämon öffnete zwei, mit aufwendigen Holzschnitzereien versehene, Flügeltüren, die zu einer ausgedehnten Räumlichkeit führten, bestehend aus einem kleinen Salon, einem Schlafzimmer mit einem riesigen mit blutrotem Samt bezogenem Himmelbett und einem aus Stein gemeißeltem Balkon. Titius eilte in den Raum und erledigte einige Handgriffe im Zimmer, tat so, als hätte er Zadeis Frage nicht gehört. Nein, bitte nicht jetzt! Es war alles zuviel und zu plötzlich, er konnte jetzt nicht darüber sprechen, zu sehr mischten sich seine wirren Gefühle. Wie sollte er auch auf eine Frage antworten, auf die er selbst noch nicht mal eine Antwort wusste? "Ich habe dich was gefragt. Warum antwortest du nicht?" beharrte Zadei dennoch weiter. Verflucht, warum hatte Zadei selbst in seinem so geschwächten Zustand diesen herrischen Ton an sich? Titius bekam eine Gänsehaut und ohne, dass er es stoppen konnte, tauchten auch schon wieder die Bilder der Vergangenheit vor seinem geistigen Auge auf. Bilder, die sich in den letzten Jahren so oft in seine Gedanken geschlichen hatten, mitten am Tag genauso wie nachts in seinen Träumen. Er kannte Zadeis Stimme nur zu gut, wenn sie diesen Ton hatte. Alles krampfte sich in ihm zusammen. "Es ist schon sehr spät, es wäre wirklich besser, ihr würdet euch erst mal ausruhen, Zadei- sama. Ich werde dem Koch Bescheid geben. Er wird noch etwas zu Essen für euch zubereiten." Erneut versuchte Titius mit diesen Worten abzulenken und wandte sich im gleichen Moment auch schon der Tür zu. Als er jedoch an Zadei vorbeischritt, hielt dieser ihn mit seiner Dämonenklaue am Arm fest, zog ihn zurück und drehte den weißhaarigen Dämon zu sich. "Nun hör schon auf mit diesem Getue, hast du etwa schon vergessen, dass ich das nicht leiden kann?" brauste er auf. Titius' Augen weiteten sich vor Schreck, als er plötzlich so nah an Zadei war, wie es eigentlich nie wieder hatte sein wollen. Seine Lippen waren wie gefroren, keinen Laut wollte seine Kehle hervorbringen. Wie hatte er nur denken können, dass sich irgendetwas ändern würde? Die aufbrausende Natur des Dämonengenerals würde nicht einfach vergehen, nur weil er für ein paar Jahre geschlafen hatte! Es würde sich nie etwas ändern... Waren sie beide dazu verdammt, ewig in diesem Teufelkreis gefangen zu sein? Seine Augen mussten irgendetwas von dem, was er empfand, verraten haben, denn plötzlich änderte sich auch Zadeis Gesichtsausdruck. Die wütend funkelnden goldenen Augen wurden plötzlich matt und auf einmal wurde auch die Umklammerung an Titius Arm lockerer. "Tut... tut mir leid, Titi, ich...!" Nervös blickten goldene Augen hin und her, suchten Titius Augen auszuweichen. "Ich will doch nur wissen, was hier los ist. Ich meine, ich war darauf vorbereitet im Kampf mit Laures zu sterben. Oder durch dich. Und jetzt wache ich plötzlich auf und alles ist so anders, so verwirrend. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Was erwartest du, was jetzt geschieht?" Jetzt war Titius erst recht überrascht! Lag es an Zadeis momentanen körperlichen Zustand, dass er nicht wieder ausrastete? Oder an Laures Drohung? Wie auch immer, nachdem der erste Schreck überwunden war, gelang es ihm nun, seine Gedanken wieder einigermaßen zu sammeln und ein paar Worte zu formulieren. "Ich erwarte von euch, dass ihr euch an eure Abmachung mit Laures-sama haltet. Das ist eure Schuld, die ihr ihm gegenüber zu begleichen habt, allein schon, weil er die Güte hatte, euch am Leben zu lassen. Und wenn ihr den Grund wissen wollt, warum ich euch nicht tötete: auch ich begleiche meine Schuld auf diese Weise bei euch. Was ihr getan habt, euch mit dem Titan zu vereinen und den Dämonenkönig anzugreifen, ist unentschuldbar. Allerdings habt ihr es getan, um mein Leben zu retten, was diese Sache zwar in keiner Weise rechtfertigt, aber im Nachhinein bin ich euch trotzdem etwas schuldig und diesem Umstand will ich Abhilfe schaffen. Gibt es noch mehr, was ihr zu wissen wünscht?" erklärte er mit der trockenen Sachlichkeit eines hohen Bediensteten. "Wie du das formulierst... Es geht also nur um diese Sache mit der Schuldigkeit, nicht wahr? Oder gibt es dafür noch andere Gründe?" hakte Zadei weiter nach. Er konnte diesen Hoffnungsschimmer, auch wenn er noch so klein war, nicht aufgeben. Wenn Titi nur nicht so kühl wäre! Oder schien es vielleicht nur so? Warum hatte er versucht ihm auszuweichen? Doch jetzt verengten sich die Augen des Dämonenengels zu Schlitzen, aus denen er Zadei anfunkelte. "Was sollte es denn noch für Gründe geben?!" fragte er mit überraschender Schärfe, die schon fast drohend klang. Selbst so war sein Engel einfach umwerfend, dachte der schwarzhaarige Dämon bei sich. Es war zum verrückt werden! Nach allem, was geschehen war, nach all dem Leid, dass ihnen beiden wegen Zadeis Selbstsucht widerfahren war und nachdem er aus all dem doch eigentlich gelernt haben müsste, wie war es da möglich, dass er sich noch immer nichts sehnlicher wünschte, als seinen Engel jetzt an sich zu reißen, seinen Körper zu spüren, ihn unter dem eigenen zu begraben?! Das weiche Haar zu berühren, die glatte Haut zu ertasten... wenigstens seinen Körper zu besitzen, auch wenn sein wunderschöner Engel sich wehrte, das war es, was er sich jetzt am sehnlichsten wünschte. Aber er konnte nicht schon wieder diesem Verlangen nachgeben. Nicht jetzt, wo er die Hoffnung auf eine neue Chance hatte! Er musste es wenigstens einmal schaffen, wahre Stärke zu zeigen! "Wenn es keine anderen gibt, dann ist es wohl wirklich besser, wenn du jetzt gehst. Ich werde mich an die Abmachung halten," sagte Zadei auf einmal sehr reserviert, worauf Titi auch schon schlagartig erleichtert wirkte, schneller als gewöhnlich seine übliche Verbeugung machte und schon zur Tür eilte, als Zadei ihm noch einen Satz nachrief, der Titius wie ein Blitz traf: "Aber das heißt nicht, dass ich aufgebe Titi. Ich liebe dich noch immer und daran wird sich nichts ändern!" Für zwei Sekunden verharrte Titius regungslos mit dem Rücken zu Zadei, eilte dann aber mit hoher Schnelligkeit weiter auf die Tür zu, die er ohne sich auch nur einmal umzudrehen oder etwas zu sagen durchschritt und schnell hinter sich zuwarf, als könnte er das Unheil so von sich wegsperren. Dann lehnte er sich mit dem Rücken gegen die Tür und vergrub das Gesicht in den Händen. Die Worte, die er am meisten gefürchtet hatte, waren nun doch gefallen! ************ Die Sonne stand bereits hoch am Himmel und auch die schweren Samtvorhänge konnten ihre hellen Strahlen nicht völlig aus Zadeis Schlafzimmer fernhalten. Nachdem dieser sich min- destens ein Dutzend mal von einer Seite auf die andere gewälzt hatte, gab er sich mit einem wütenden Knurren endlich geschlagen und öffnete die Augen. Keinen Augenblick zu früh, denn just in diesem Moment steckte ein Dienstmädchen den Kopf vorsichtig durch die Tür. Und als sie feststellte, dass der Dämonengeneral bereits wach wahr, wünschte sie etwas schüchtern einen guten Morgen und begann, ihre Arbeit zu verrichten, die zum Beispiel darin bestand, die Tabletts und das Geschirr wegzuräumen, dass von Zadeis nächtlichem Imbiss übriggeblieben war. Diesem hingegen ging das Herumgewusel der Untergebenen so auf die Nerven, dass er sich entschloss, nun doch endlich aufzustehen. Immerhin fühlte er sich heute schon etwas besser. Er hatte kaum noch Schmerzen in den Knochen, wozu dass reichliche Mahl in der Nacht und der erholsame Schlaf wohl beigetragen hatten. Nun ja, so erholsam war er nun auch wieder nicht gewesen, hatte er doch die ganze Zeit nichts anderes als seinen Engel im Kopf gehabt. Bis in seine Träume hatte er ihn verfolgt. Wie würde es jetzt wohl weitergehen? Diese Frage hatte er sich immer und wieder gestellt, aber noch keine Antwort darauf gefunden. Missmutig erhob er sich aus dem Bett, schlurfte zur Waschschüssel und schöpfte sich Wasser ins Gesicht. Allerdings ging ihm das Gewusel des Mädchens derart auf den Geist, dass er sie am liebsten in guter alter Manier in Stücke gerissen hätte... das heißt, früher hätte er es getan. Aber davon abgesehen, dass er sich hier benehmen musste, war er gar nicht so sicher, ob ihm dass noch genauso viel Spaß machen würde wie früher. Alleine schon, weil allein bei dem Gedanken daran, automatisch Titius missbilligendes Gesicht wie eine Warnmeldung vor sei- nem geistigen Auge auftauchte. <> stöhnte er in- nerlich auf, entschloss sich aber, zu versuchen, sich mit dem Frühstück abzulenken, dass be- reits im kleinen Salon für ihn bereitstand. Da er allerdings nur mit seiner Hose bekleidet war, suchte er zuerst seine Rüstung, die noch irgendwo herumlag und war gerade dabei sie anzulegen, als die große Eingangstür sich plötz- lich ganz leise und langsam öffnete. Zadei sah es nur aus dem Augenwinkel. Welcher idioti- sche Diener war denn so dreist, nicht anzuklopfen, bevor er das Zimmer eines seiner Herren betrat? Da hatte man's: Laures konnte noch nicht einmal seine Bediensteten richtig ausbilden! Und so was wollte König sein?! Gerade wandte er sich in Richtung Tür, um dem Eindringling gleich einen entsprechenden Kommentar an den Kopf zu schmeißen, als er stutze. In der halb geöffneten Tür war niemand! Zumindest nicht in seiner Augenhöhe. Langsam senkte er den Blick, senkte ihn sogar ein gan- zes Stück, bis seine verblüfften Augen an der Ursache für die geöffnete Tür hängen blieben. "Hallo Onkel, darf ich reinkommen?!" Es war ein... kleines Mädchen?! Die Kleine trat durch die Tür und befand sich nun völlig in Zadeis Blickfeld. Sie mochte etwa 6 Jahre alt sein, hatte pechschwarz glänzende Haare, die sie auf dem Kopf rechts und links zu jeweils einem Zopf zusammengebunden hatte. In weichen und hübsch geschwungenen Wel- len fiel ihr Haar ihr von dort auf die Schultern. Bekleidet war sie mit einem fliederfarbenen Spitzenkleid mit Puffärmeln. Fast wie eine Puppe, hätte Zadei gedacht, aber dass stimmte nicht. Für eine Puppe verströmte sie viel zu viel Lebensenergie. Sie hatte geheimnisvolle, aber auch sehr lebhafte Augen mit einer undefinierbaren Farbe, die Zadei irgendwie bekannt vor- kamen. Das Mädchen hatte offenbar etwas Dämonisches an sich, aber trotzdem meinte er doch ganz schwach auch den Geruch von Mensch wahrzunehmen. Das er sie mit stechendem Blick musterte, schien die Kleine jedoch nicht davon abzuhalten, weiter unaufgefordert in den Raum zu tapsen und ihn genauso zu mustern. "So siehst du also aus, aha. Du bist ja wirklich so groß wie alle sagen. Und ich dachte, die Bediensteten übertreiben bloß wieder," stellte sie trocken fest. "Verschwinde," meinte Zadei nur von oben herab. Das war genau das, was er jetzt brauchte: ein Balg, das ihn auf den Wecker fiel! Doch dieses schien keineswegs von seinem Befehl be- eindruckt zu sein. "Oh, der Onkel ist wohl ein Morgenmuffel. Mama sagt, wenn man morgens schlecht aufste- hen kann, dann sollte man abends früher ins Bett gehen," erklärte sie, dann tapste sie lässig an dem großen Dämonen vorbei und setzte sich auf den großen Ohrensessel vor dem Tisch, auf dem das Frühstück stand. Zadei traute weder seinen Augen noch seinen Ohren. Was bildete sich diese Gör eigentlich ein? "Sag mal, hast du überhaupt eine Ahnung, wer ich bin? Was zum Kuckuck willst du?" Wenn er herausfand, welches der Dienstmädchen hier ihr Kind einfach so durch die Gegend laufen ließ, dann... "Ich weiß wer du bist, Onkel. Du bist Zadei und du bist gestern Nacht hierher gekommen, dass ganze Schloss war total in Aufregung. Es heißt, du hast sieben Jahre lang geschlafen. Und da wollte ich dich halt mal kennen lernen... Sag mal, ist dieses riesige Frühstück hier allein für dich?" "Wahh, das geht dich überhaupt nichts an! Toll, jetzt hast du mich ja gesehen, jetzt geh zu- rück dahin, wo du hergekommen bist! Haben dir deine Eltern keine Manieren beigebracht?!" herrschte Zadei sie nun an. Daraufhin machte das Mädchen für einen kurzen Augenblick ein erschrockenes Gesicht und Zadei dachte schon, er hätte es endlich geschafft, sie ein wenig einzuschüchtern, als sie plötz- lich vom Sessel sprang und sich mit einer Hand vor die Stirn schlug. "Manieren, genau! Tut mit leid, ich habe ja ganz vergessen, mich vorzustellen! Hoffentlich erfährt Papa nichts davon, sonst gibt's wieder Ärger!" Daraufhin vollführte sie einen eleganten, für ein Kind diesen Al- ters ungewöhnlich grazilen Knicks und gab mit perfekter Gestik bekannt: "Mein Name ist Sherril, ich bin die erstgeborene Tochter des Königs der Dämonen- und der Unterwelt und Thronerbin des Reiches. Es ist mir eine große Ehre, ihre Bekanntschaft zu machen." Dann ließ sie sich entgegen aller Anmut wieder in den Sessel fallen und sah ihn wieder so frech an wie vorher. Zadei riss vor Verblüffung die Augen auf. "Du bist WAS?!" fragte er fast hysterisch. "Hab ich doch gesagt, Onkel Zadei, hast du mir denn nicht zugehört?" Sie verdrehte vor- wurfsvoll die Augen und Zadei kam sich langsam vor wie der letzte Trottel. "Ich bin die Prinzessin der Dämonenwelt, mein Vater ist der Dämonenkönig Laures und mei- ne Mutter seine menschliche Frau Hilda. Du müsstest sie doch kennen?!" Jetzt war es an Za- dei, sich in einen Sessel fallen zu lassen. Konnte das wahr sein? Hatte der Kerl sich jetzt auch noch fortgepflanzt? Aber jetzt wurde ihm durchaus einiges klar: die glänzenden schwarzen Haare der Kleinen und die seltsamen Augen, das hatte sie eindeutig von ihrem Vater, darum war sie ihm gleich so bekannt vorgekommen. Ihre Gestik erinnerte ganz deutlich an Hilda, ebenso wie das Temperament. Jetzt wurde auch klar, was Laures gemeint hatte, als er sagte, es hätte sich einiges verändert und es gäbe hier Personen, die ihm viel bedeuteten. Und ihr Name! Hatte er den nicht auch schon mal gehört? "Dein Name kommt mir bekannt vor," meinte er nachdenklich. Es wollte ihm einfach nicht einfallen. "Mama sagt, sie hat mir den Namen ihrer besten Freundin gegeben. Sie ist zwar schon tot und ich habe sie nie kennen gelernt, aber Mama meint, dass das der liebste Mensch der Welt für sie war. Bis auf Papa natürlich." Die Kleine plapperte fröhlich vor sich hin, während sie an- fing, sich an Zadeis Frühstück gütlich zu tun, was dieser zunächst nur nebenbei registrierte. "Und Titius sagt sogar, dass sie ein Engel gewesen sein soll und wunderschön. Und er hat auch gesagt, dass ich bestimmt auch mal so schön werde, wenn ich älter bin," verkündete sie stolz. Genau, jetzt fiel es ihm wieder ein, Sherril war das Mädchen gewesen, das sich damals vom Turm gestürzt hatte. Damals hatte er es nur am Rande mitbekommen, er war ja nicht dabei gewesen und außerdem hatte es ihn auch nicht interessiert. Seufzend bediente er sich nun auch an dem Frühstück und warf der Kleinen einen missbilli- genden Blick zu, da sie sich gerade die besten Früchte angelte, was diese aber nicht weiter zu stören schien. Hatte es nicht mal eine Zeit gegeben, in der die Menschen schreiend wegliefen, wenn sie nur seinen Namen hörten? Er musste wirklich viel von seinem ehrfurchtgebietenden Auftreten eingebüßt haben, wenn er nicht mal mehr ein Kind beeindrucken konnte... anderer- seits war sie das Kind von Laures, also konnte man nicht erwarten, dass sie besonders viel Grips aufwies. Er führte gerade einen Becher Wasser zum Mund, um etwas gegen seinen tro- ckenen Hals zu tun, als Sherril fröhlich weiterplapperte. "Und es ist wichtig dass ich später mal ganz wunderhübsch werde, denn wenn ich alt genug bin, werde ich schließlich Titius heiraten..." Zadei prustete den eben in den Mund genommen Schluck Wasser in hohem Bogen wieder hinaus. "Du wirst WAS?! Wer hat das beschlossen?!" keifte er sie ungläubig an. Nun war sie tatsächlich ein wenig erschrocken, verstand seine Reaktion nicht so ganz. "Na ja, eigentlich keiner. Das war meine Idee," sagte sie mit großen Augen. In diesem Mo- ment klopfte es zaghaft an der Tür und Zadei fragte sich schon, ob er hier wohl den Tag der offenen Tür hatte. Schließlich brummte er ein "Ja, herein." als auch schon die Tür geöffnet wurde und eine etwas rundliche Frau eintrat, die sich suchend im Zimmer umsah. "Entschuldigt Zadei-sama, aber habt ihr zufällig... ah da bist du ja! Ich wusste doch, dass du wieder etwas ausgeheckt hast. Was fällt dir eigentlich ein, immer wegzulaufen?" Die Backen aufblasend stampfte die Frau auf Sherril zu, die aufquietschte, vom Sessel aufsprang und weg- rennen wollte, doch Zadei hielt sie grinsend an einem ihrer Zöpfe fest. "Tja, das war's dann wohl für dich. Erwischt!" meinte er gehässig. Aber die 6-jährige fing anstatt zu weinen, an zu giggeln und zu lachen, worauf Zadei sich mit der Hand vor die Stirn schlug. Und schon war die Kinderfrau bei ihr und zog das Mädchen nun an der Hand hinter sich her aus dem Raum, während sie sich nochmals entschuldigte. "Verzeiht bitte die Störung, manchmal ist Lady Sherril nicht zu halten." Besagte "Lady" ließ sich zwar mitziehen, schnitt aber Grimassen hinter Frau. "Dabei haben wir uns gerade so gut unterhalten. Onkel Zadei ist echt lustig! " "Sag nicht, du hast schon wieder rumerzählt, dass du Herrn Titius heiraten willst?" meinte diese nur genervt. "Aber das werde ich, bäh!" Als sie nun die Tür erreicht hatten, drehte Sherril sich noch ein- mal um und winkte mit ihrer kleinen Hand. "Bis dann Onkel Zadei!" rief sie noch, bevor sie schließlich verschwand und die Tür geschlossen wurde. "Ich bin nicht dein Onkel!" rief Zadei noch hinterher, war sich aber nicht sicher, ob sie es noch gehört hatte. Das er sich von einer kleinen Göre auf der Nase rumtanzen ließ, war echt unglaublich! Noch dazu hatte er für einen kurzen Moment tatsächlich einen Schreck bekom- men, als sie Titius erwähnte. Oh Mann, er war echt ein Wrack! Stöhnend ließ er sich ins weiche Polster zurückfallen und versuchte, diesen Morgen erst mal zu verarbeiten. Doch viel Zeit hatte er dazu nicht, denn schon bald erschien ein Bediensteter, der ihm die Nachricht überbrachte, dass Laures ihn in seinem Arbeitszimmer erwartete. Na toll, das fing ja alles super an! Kapitel 2: ----------- Titius war heute schon vor Sonnenaufgang aufgestanden, wie es seine Gewohnheit war. Im- merhin hatte er als oberster Diener und engster Vertrauter des Königs auch immer reichlich zu tun. Aber heute fiel es ihm schwer, sich auf seine Aufgaben zu konzentrieren. Er hatte in der Nacht kaum ein Auge zugemacht und noch immer drehten sich seine Gedanken im Kreis. Er hatte gerade ein paar Anweisungen an die Bediensteten gegeben und war nun dabei, die neuesten Berichte über die Drachenzucht durchzugehen, die eigens für Drachenritter des Schlosses durchgeführt wurden, als es an der Tür zu seinem Arbeitszimmer klopfte. Nachdem er bestätigt hatte, öffnete sich die Tür und die Gestalt von Hilda erschien. Sie trug ihre wallenden blonden Locken zu einem lockeren Zopf gebunden, aus dem einzelne Strähnen frei herausfielen und ihre Gestalt umrahmten. Sie trug eine hellgrüne, weitgeschnit- tene Robe, die die Wölbung an ihrem Bauch jedoch kaum verdeckte. Mit einem Lächeln auf den Lippen trat sie ein und sah Titius fröhlich an. "Na, gibt es wieder viel zu tun, Titius?" Der angesprochene sah auf und setzte eine tadelnde Miene auf. "Aber Lady Hilda, ihr sollt euch doch ausruhen. Es ist nicht gut für euch, wenn ihr in eurem Zustand ständig durch die Gegend lauft. Ihr seid kaum besser als eure Tochter." Titius Stim- me klang zu sanft, als das Hilda sich wirklich von ihm getadelt fühlte. "Einfach nur rumzusitzen oder zu liegen ist auch nicht gesund. Nur weil ich schwanger bin, müsst ihr mich nicht alle wie ein rohes Ei behandeln. Die erste Geburt habe ich immerhin auch überlebt. Aber wo du gerade von Sherril sprichst, sie hatte heute morgen die fixe Idee, dass sie unseren ,Gast' doch unbedingt kennen lernen müsste. Bei all der Aufregung im Schloss ist ihr natürlich nicht entgangen, was heute Nacht passiert ist, du kennst sie ja. Nun, ich habe es ihr natürlich ausgeredet und Laures hat es ihr sogar verboten, aber dass hat sie offenbar nicht davon abgehalten, heute früh direkt in Zadeis Zimmer zu spazieren." Titius, der gerade Hilda seinen Arm angeboten hatte und die Hochschwangere zu einem Ses- sel geleitete, sah sie entsetzt an. "Und, ist ihr was passiert?!" "Nein, sie ist noch an einem Stück. Nicht nur das, sie sagt, sie hätte sich gut unterhalten und Zadei sei ,witzig'," erwiderte sie. Titius seufzte. "Uff, wenn sie sich einmal was in den Kopf gesetzt hat, ist sie nicht mehr da- von abzubringen! Sie ist viel zu arglos." "Na, ich mache mir keine allzu großen Sorgen deswegen. Sherril hat eine besondere Art, auf andere zuzugehen. Außerdem, wenn Laures ernsthaft in Erwägung ziehen würde, dass Zadei sich nicht an die Abmachung hält, dann würde er ihn nicht auf zehn Meilen in unsere Nähe lassen. Er weiß genau, was er tut und ich vertraue auf sein Gespür. Aber der eigentliche Grund dafür, dass ich gekommen bin, ist, weil ich sehen wollte, wie es dir geht." Hilda rückte sich im Sessel solange zurecht, bis sie einigermaßen bequem saß. Oh Gott, würde sie froh sein, wenn das Baby endlich auf der Welt war. War Sherril damals auch so schwer gewesen? Sie versucht sich zu erinnern, es lag immerhin schon etwa sechs Jahre zurück. Sie war sich sicher, dass Kind war direkt in der ersten gemeinsamen Nacht mit Laures ge- zeugt worden, die sie mit ihm verbracht hatte. Denn kurz nachdem der Kampf zwischen ihm und Zadei beendet war und ihr Geliebter zu ihr zurückgekehrt war, um sie zu sich in die Dä- monenwelt mitzunehmen, hatte sie die Schwangerschaft bemerkt. Seitdem lebte sie jetzt hier unten. Laures hatte den Kampf nicht nur überlebt, er war durch die Kraft, die er freigesetzt hatte, sogar noch stärker geworden. Deswegen kostete es ihn kaum noch Mühe, die Luft um sie herum reinzuhalten. Außerdem hatten die Ärzte festgestellt, dass sie sich im Laufe der Jahre sogar immer mehr anpasste. Für Sherril war das sowieso kein Problem, sie war ja Halb- dämonin. Genauso wie das Kind, dass sie jetzt unter dem Herzen trug. Diesmal würde es ein Junge werden, da war sie sich sicher. "Wie soll es mir gehen? Wie immer natürlich," antwortete der Angesprochene trocken. "Na, und dass Zadei quasi von den Toten auferstanden ist, tangiert dich gar nicht, wie? Du hast schon mit ihm geredet, meinte Laures. Welchen Eindruck hattest du von ihm? Hat er sich geändert?" "Was fragt ihr mich das? Weiß ich denn mehr über ihn als ihr alle?" fragte Titius nachdenk- lich, mit tonloser Stimme. "Ja, ich denke, du kennst ihn besser als wir alle zusammen. Du musst doch irgendetwas dazu denken," beharrte die junge Frau weiter. Titius sah sie daraufhin nur traurig an und wandte sich dann ab, als er mit leiser Stimme sagte: "Zadei wird sich nie ändern. Es war dumm, dies anzunehmen." "War es wirklich so dumm? Zadei ist gerade erst erwacht, wie kannst du es da wissen?" frag- te sie mit sanfter Stimme. Titius drehte sich wieder etwas zu ihr. Hilda war immer noch bildschön. Ja, selbst jetzt, während der Schwangerschaft wirkte sie unglaublich grazil und anmutig. Die Luft hier unten hatte irgendeine komische Wirkung auf sie, sie war in den letzten Jahren kaum gealtert. Aber reifer war sie geworden. Das lag ver- mutlich daran, dass sie nun Mutter war. Und sie liebte Laures noch immer von ganzem Her- zen, genauso wie er sie. Dazu musste man nur kurz in ihre sanften hellen Augen schauen, sie sprachen Bände. Am Anfang hatte er sie damals dafür gehasst, aber jetzt... ja, jetzt war alles anders. Seit er damals von Laures aus der Eiswüste gerettet worden war, hatte sich sein Verhältnis zu ihr geändert. Sie hatten viel Zeit hier in diesem Schloss miteinander verbracht und Titius hatte den Eindruck, dass sie ihn recht gut verstand. Sie hatte als erste die Veränderung in ihm be- merkt, die sich durch die Gefangenschaft im ewigen Eis in ihm vollzogen hatte. "Ich habe ihn gestern Nacht gesehen, habe in seine Augen gesehen. Er wird sich vielleicht an die Abmachung mit Laures-sama halten, aber er hat sich nicht geändert." Er erinnerte sich an die Szene gestern im Salon. An Zadei, wie er ihn brutal packte, an seine Augen, die wieder Funken sprühten, an seine letzten Worte. "Ein Mensch - oder ein Dämon - ändert sich auch nicht, in dem er einfach sieben Jahre lang schläft. Es sind die Menschen um uns herum, die Veränderungen in uns hervorrufen. Du *hast* dich verändert, aber auch das geschah nicht von allein, nicht wahr? " Erstaunt drehte Titius sich zu Hilda um. Diese Frau schaffte es immer wieder, die richtigen Worte zu finden. Sie hatte recht mit dem, was sie sagte. Und es stimmte, er selber war schon lange nicht mehr derselbe wie zu der Zeit, als Zadei für ihn noch nicht existiert hatte. Aber die Frage war, zu welchem Preis diese Veränderung vonstatten gegangen war... "Wir werden sehen, ob ihr recht habt, Lady Hilda. Ich für meinen Teil, werde mich aus der Sache raushalten, so gut es geht. Ich habe mit diesem Mann nichts mehr zu tun, es gibt nichts, was mich mit ihm verbindet." Seufzend erhob Hilda sich von ihrem Sessel. "So ist es wohl, die Zeit wird es zeigen." Sie wusste genau, dass Titus' Worte nicht der Wahrheit entsprachen. Er würde es allerdings nie- mals zugeben, er gestand es sich ja noch nicht einmal selber ein. Aber auch das war verständ- lich. Titius hatte zu viel gelitten, seine Seele hatte Risse bekommen. Diese Bruchstücke konn- te man manchmal sehen, wenn man ihm tief Augen sah. Sie fragte sich, wenn Zadei Titius wirklich so sehr liebte, warum war ihm das denn nicht aufgefallen? Oder wusste er einfach nur nicht, damit umzugehen? Titius tat ihr leid. In den letzten Jahren hatte er ihr oft zur Seite gestanden, sie konnte sich immer auf ihn verlassen. Ohne dass sie ihn je darum gebeten hatte, erfüllte er seine Pflicht als Diener und Vertrauter auch ihr gegenüber. Und im Laufe der Zeit hatte sie begonnen, ihn wirklich zu mögen. Ohne das ein weiteres Wort zu diesem Thema zwischen ihnen fiel, geleitete Titius sie ihn ihre Gemächer. Es war ja auch alles gesagt und Hilda bohrte nicht weiter. Die Zeit würde zeigen, was geschehen würde... *************** Es war bereits Nachmittag, als Zadei seine Unterredung mit Laures beendet hatte. Nachdenk- lich schritt er einen langen Säulengang entlang, zu dessen linker Seite sich die Gartenanlage befand, die anscheinend extra für Hilda angelegt worden war. Zumindest konnte Zadei sich nicht daran erinnern, das Gelände zuvor schon mal gesehen zu haben. Es war reichlich be- pflanzt und recht weitläufig und mitten drin befand sich ein See. Gedankenverloren hielt er innen und ließ seinen Blick darüber schweifen. Laures hatte ihm mitgeteilt, dass er vorhatte, Zadei das Kommando der Drachenkompanie zu übertragen. Eine sehr arbeitsreiche und nicht ganz leicht Aufgabe, denn sie beinhaltete nicht nur das Training und die Ausbildung der Drachenritter sondern auch dass Aufziehen, Einfan- gen und Zähmen der Drachen. Für Laures Position war diese Aufgabe einfach zu zeitraubend, er benötigte eine rechte Hand in dieser Sache und Zadei eignete sich am besten für diese Auf- gabe. Denn wie auch immer sein Charakter aussah, keiner konnte bestreiten, dass er ein fähi- ger Feldherr und ein großartiger Kämpfer war. Vielleicht war es ja gar keine so schlechte Idee, dachte Zadei bei sich. So hatte er zumindest eine ernsthafte Aufgabe. Das würde ihm wahrscheinlich etwas Ablenkung verschaffen und es war gleichzeitig eine Herausforderung. So sehr war er mit seinen Gedanken beschäftigt, dass er unheimlich erschrak, als plötzlich etwas an seinem Mantel zog. Verwirrt blickte er nach unten und sah direkt in zwei große Kulleraugen, die ihn fröhlich anblickten. "Hallo, Onkel Zadei! Stimmt es, dass du jetzt die Drachenkompanie leitest?" Genau, jetzt wusste er es! Die Kleine war die Personifikation der geballten Hass- und Rache- gefühle aller Wesen, die er jemals in seinem Leben getötet hatte! Sie hatten ihm einen Fluch in der unscheinbaren Gestalt eines kleinen Mädchens geschickt! Zadei schlug sich mit der Hand vor die Stirn und knurrte etwas von: "Woher weißt du das jetzt schon wieder?" "Ach, ich hörte, dass du zu meinem Vater gerufen wurdest und da..." "...da bist du deiner Kinderfrau wieder entwischt und hast gelauscht," vollendete Zadei den Satz. Es fiel ihm nicht schwer, die Gedankengänge von Sherril nachzuvollziehen, vielleicht, weil sie seinen eigenen vom Prinzip her nicht unähnlich waren? "Na ja, gelauscht nicht direkt, aber ich habe halt gute Ohren und wenn ich halt zufällig an der Tür vorbeikomme... Aber was ich dich fragen wollte, Onkel Zadei, ist, ob du mich mit zu den Drachen nimmst?! Bitte!!" Die kleine setzte einen klassischen Hundeblick auf, der bei Zadei aber statt Mitleid eher ein Gefühl von Übelkeit hervorrief. "Erstens: nenn mich nie wieder Onkel, zweitens: nein, eher hänge ich mich mit der Zunge an der Turmspitze auf, bevor ich dich mitnehme und drittens: VERSCHWINDE!!" Zadei hatte von vorneherein dass Gefühl, dass sie sich nicht einmal davon abschrecken lassen würde. Aber man konnte doch wohl noch hoffen?! Aber nein, als sie nun empört die Backen aufblies, die kleinen Ärmchen verschränkte und sich zur ihrer vollen Größe aufbaute (Zadei also nicht mal bis zur Hüfte reichte), war klar, dass er sich zu früh gefreut hatte. "Dann häng dich doch mit der Zunge an der Turmspitze auf, wenn's dir Spaß macht! Aber ich verschwinde nicht eher, bis du mir nicht versprochen hast, mich mitzunehmen und mir die Drachen zu zeigen!" Um ihren Worten noch mehr Ausdruck zu verleihen, klammerte sie sich nun mit Armen und Beinen an seinem linken Bein fest. "Lass sofort los, du kleines Monster, sonst...!" "Du kannst mir gar nichts tun, weil mein Papa es dir nämlich verboten hat! Also sag, dass du mich mitnimmst, biiiittöööö." Manche Leute durften sich einfach nicht fortpflanzen, beschloss Zadei, wenn die Gefahr be- stand, dass *so* etwas wie das Ding an seinem Bein da dabei herauskam. Obwohl, als Thron- erbin würde sie vielleicht sogar eine gute Figur abgeben. Das Dämonenreich erwartete ein neue Ära der Schreckensherrschaft... In diesem Augenblick, hörten sie beide Schritte auf sich zukommen und Sekunden später er- schien Titius auf dem Gang, der sich die Szene etwas verwundert ansah. Er atmete tief durch. An solche Zufallsbegegnungen würde er sich wohl gewöhnen müssen. Augenblicklich ließ Sherril von ihrem Eroberungsfeldzug gegen Zadeis Bein ab, welcher den weißhaarigen Dämon aus Dankbarkeit am liebsten umarmt hätte und rannte auf Titius zu. "Morgen Titius! Du hast mich doch nicht etwa gesucht?" zwitscherte sie fröhlich, während Titius sich zu ihr hinunterbeugte und ihr durch die Haare strich. "Habe ich dir nicht gesagt, du sollst nicht mehr einfach so deiner Amme weglaufen? Das ist sehr ungehörig für ein Lady und für eine Prinzessin erst recht. Was hast du nur wieder ge- macht?" Meinte er tadelnd, jedoch mit so sanfter Stimme, dass es Zadei gleichzeitig im Herz schmerzte. "Ich habe mich nur mit Onkel Zadei unterhalten. Er will mir vielleicht die Drachen zeigen, die er jetzt befehligt!" gab sie zuckersüß zur Antwort, während sie Titius anstrahlte. Sie liebte es, wenn der wunderschöne Engel sie als Lady bezeichnete! Dieser hingegen richtete sich nun auf und blickte den fassungslosen Zadei durchdringend an, als er mit trockener Stimme fragte: "Ist das wahr? Ihr solltet wirklich wissen, Zadei-sama, dass ein Drachennest nicht gerade der passende Ort für ein Kind ist." "He-hey, Moment mal, ich habe nie gesagt, dass ich...!" "Schimpf bitte nicht mit Onkel Zadei, Titius. Er ist doch so nett, es ist immer ganz lustig mit ihm. Er hat gesagt, er wird sich mit der Zunge am Turm aufhängen, ich glaube aber nicht, dass er das schafft," sagte sie kichernd, machte dann aber einen artigen Knicks und kündigte an, dass sie nun freiwillig wieder zurück zu ihrer Amme gehen würde. Sie wollte ja nicht ris- kieren, dass ihr geliebter Titius ihr böse wurde. Einige Sekunden später war sie davon gewetzt. Die beiden Dämonen blieben allein auf dem Flur zurück. Für ein paar Sekunden herrschte Schweigen. Titius blaue Augen waren noch immer auf die Stelle gerichtet, an der Sherril zuletzt gewesen war. "Ich habe bestimmt nicht vor, dieses kleine Monster irgendwohin mitzunehmen. Wer lässt die eigentlich immer aus ihrem Käfig?!" Im gleichen Moment traf ihn ein stechender Blick aus eisblauen Augen, so dass er sich hätte ohrfeigen können, dass er nicht seine Klappe gehalten hatte. "Ihr solltet etwas mehr Respekt vor den Mitgliedern der Königsfamilie haben! Aber das war ja noch nie eure Stärke. Da hilft es wohl auch nicht mehr viel, wenn ihr euch mit der Zunge am Turm aufhängt... Warum sagt ihr der Kleinen so etwas überhaupt?" "Nein, dass war in einem anderen Zusammenhang, ich meinte... ach, ist ja auch egal. Aber du scheinst dich ja rührend um sie zu kümmern..." "Ist das etwa ungewöhnlich? Mein Aufgabenfeld hier im Schloss ist nun mal sehr ausgedehnt. Ich bin der Familie des Königs gegenüber ebenso verpflichtet wie dem König selber." Titius schritt langsam auf dass Geländer der einen Seite des Säulengangs zu und blickte auf die Gar- tenanlage, während seine Hand auf dem Geländer ruhte. "Trotzdem scheint ihr euch ja außergewöhnlich gut zu verstehen. Sie sagte sogar, dass sie dich heiraten will," meinte Zadei amüsiert, obwohl er zugeben musste, dass er allein bei dem Gedanken schon ein wenig eifersüchtig wurde, obwohl das natürlich völlig grundlos war. Der Dämonenengel sah ihn daraufhin von der Seite mit einer hochgezogenen Augenbraue an, meinte aber nur: "Sherril ist nun mal etwas lebhaft, ihr fällt immer irgendetwas Neues ein. Das legt sich bald wieder. Aber ich werde mich auch noch um sie kümmern, wenn sie wirk- lich verheiratet ist. Ich weiche nicht von der Seite der kleinen Lady." Nun blickte er wieder etwas gedankenverloren auf die Anlage. Es war fast schon surrealistisch, dachte Zadei. Dass sie beide sich so unterhalten würden... damit hätte er nicht gerechnet. Außerdem sah sein Engel mit einem mal so traurig aus. *Sein* Engel?! Was wusste er eigentlich genau über ihn? Eigentlich doch so gut wie nichts! Aber er hatte ja auch nie gefragt. Dabei interessierte es ihn ja, er wollte alles über dieses Wesen neben ihm wissen, aber er war nicht gut in solchen Dingen. Einmal hatte er Titius dazu gekriegt, etwas aus seiner Vergangenheit zu erzählen, aber es war so wenig gewesen, weil Zadei die- sen Augenblick wie immer zerstört hatte. Warum nur fiel ihm das erst jetzt auf? Er hatte immer alles kaputtgemacht, immer Hals über Kopf gehandelt. Er war immer rastlos, haltlos gewesen, war immer vorangeprescht, ohne zu- rückzublicken und ohne zu wissen, wohin er eigentlich wollte. Aber nun waren seine Grenzen zum ersten mal festgelegt. Er durfte sich keinen Fehler mehr erlauben, sonst war es wirklich aus. Er hatte diese Chance bekommen, sein Erwachen war wie eine Wiedergeburt gewesen. Und er musste jetzt auch nicht mehr voranhasten, es bestand keine Notwendigkeit dazu, er hatte Zeit... Zeit, um nachzudenken. "Hat das etwas mit dem Mädchen zu tun, das sich damals das Leben nahm? Ihr Name war auch Sherril, nicht wahr?" fragte er vorsichtig, in der Hoffnung, keinen Fehler zu machen. Für einen Augenblick schloss Titius seine Augen. Als er sie öffnete, waren sie so voller Trau- er, dass es Zadei allein bei deren Anblick fast das Herz brach. Allerdings hatte Titus so we- nigstens kurz seine kühle Maske vor ihm abgelegt, was ihn gleichzeitig fast freute, auch wenn es unfair war. "Es war meine Schuld, dass sie damals sprang. Es ist, als hätte ich sie mit eigenen Händen getötet." Während er dies mit belegter Stimme sagte, schaute er auf seine Hände, als würde er erwarten, dort noch ihr Blut zu sehen. "Ich habe in meinem Leben viel Schuld auf mich gela- den, aber diese war eine der größten. Und dennoch hat sie mir verziehen." Zadei wusste nicht, was er sagen sollte. Diese Situation war völlig neu für ihn. Er hatte noch nie jemanden trösten müssen. Aber was sollte er auch sagen? Eine der üblichen Phrasen? ,Es tut mir leid' oder ,Es ist nicht deine Schuld'?! Diese Worte klangen in Zadeis Ohr so abge- schmackt, so inhaltslos. Aber etwas anderes viel ihm nicht ein, also schwieg er erst mal und blickte etwas hilflos umher. Doch Titius redete von alleine weiter. Es schien mehr ein Mono- log zu sein. Registrierte er überhaupt, mit *wem* er sich da überhaupt unterhielt?! "Deswegen habe ich das Gefühl, dass ich eine Chance bekommen habe, es wieder gutzuma- chen, indem ich dafür sorge, dass der kleinen Sherril nichts zustößt. Ganz werde ich die Schuld natürlich nie abtragen können, aber ich habe einfach das Gefühl, dass sich die alte Sherril darüber freut, wenn sie es von dort aus sieht, wo auch immer sie jetzt ist." So war das also. Titius glaubte also auch an eine zweite Chance! Der kleine Hoffnungs- schimmer wurde zu einem Funken. Ob er jemals zu einem Feuer werden würde? "Die kleine Sherril hat wirklich Glück, muss man sagen." Zadeis Worte rissen Titius offenbar abrupt aus seinen Gedanken. Etwas verwirrt blickte er Zadei nun an. Irgendwie war dieser seltsam heute. Auf diese Art kannte er ihn gar nicht. Und schon fuhr dieser fort: "Sie hat Glück, dass sie dich hat. Wem du einmal die Treue geschworen hast, dem ist deine Loyalität sein Leben lang gewiss, so ist es doch, nicht wahr?! Der einzige, für den das nicht gilt, bin ich." Unverholen sprach der Sarkasmus aus Zadeis Worten. Diesen Wink mit dem Zaunpfahl hatte Titius durchaus verstanden. <> dachte er bei sich. Aber er hatte nicht vor, mit Zadei über die Vergangenheit zu sprechen. Auch gestern war er ihm deswegen ausgewichen. Es wäre ihm am liebsten, es könnten diese Dinge einfach aus ihrer beider Gedächtnisse ge- löscht werden. Aber das war nun mal unmöglich. "Ihr habt mich die Schuld für meinen Verrat an euch mehr als gründlich abzahlen lassen. Da- mit sind wir wohl quitt und die Sache ist vom Tisch." Oh Gott, das hörte sich an, als ginge es um irgendein Geschäft! Aber das war gut so. Er musste sich nur so kalt wie möglich geben, dann würde auch Zadei irgendwann begreifen, dass er nicht mehr darüber reden wollte. Nicht einmal daran denken. Wie hätte er sonst die letzten Jahre hinter sich bringen können, wenn er die Vergangenheit nicht verdrängt hätte? Im Grunde wusste Titius selber, dass das eine Selbstlüge war, denn die Vergangenheit holte ihn immer wieder ein. Er schauderte bei dem Gedanken an die endlosen, kalten, grauenvollen Nächte, in denen er von Alpträumen gequält wurde. Bevor Zadei etwas erwidern konnte, stieß er sich vom Geländer ab und wandte sich zum Ge- hen, während er das Thema rasch wechselte: "Übrigens findet in zwei Tagen die Geburtstags- feier der kleinen Lady statt. Laures-sama hat ein großes Fest angeordnet. Nur damit ihr es wisst..." damit verschwand Titius hinter der nächsten Ecke und ließ einen ratlosen Zadei zu- rück. Vielmehr war er sauer auf sich. Warum musste er auch diesen kurzen Moment des Friedens zwischen ihnen beiden nur wieder zerstören? Seine letzte Bemerkung war wirklich überflüs- sig gewesen, aber er hatte es nun mal nicht lassen können. Aber warum nur ging Titius nicht richtig darauf ein? War er so kalt, dass er das wirklich angehackt hatte? Empfand er rein gar nichts? Hatte er sich damals, als sie sich auf Leben und Tod gegenüberstanden, wirklich nur eingebildet, dass er sich zumindest ein klein wenig Titius Akzeptanz erkämpft hatte? ************ Keine seiner Fragen hatte sich seit seinem Erwachen auch nur ansatzweise geklärt. Und auch in den nächsten zwei Tagen tat sich absolut nichts. Titius war mit den Vorbereitungen für dass große Fest voll ausgelastet und schließlich hatte auch Zadei seine Aufgaben. Wenn es vor- kam, dass sie beide sich zufällig begegneten, dann kamen von Titius nur die üblichen höfli- chen Worte, was bei Zadei jedes mal stille Frustration hervorrief. Er konnte fast von Glück reden, dass er seine Aufgabe mit den Drachen hatte, sonst wäre er vermutlich verrückt gewor- den Am Abend vor dem Tag des großen Festes saß Zadei grummelnd in seinem Zimmer und starr- te gelangweilt das Kristallglas in seiner Hand an, das mit blutrotem Wein gefüllt war. Lang- sam wiegte er es in der Hand hin und her. Er hasste es, nichts zu tun zu haben. Wie eine Ant- wort auf seine Gedanken, öffnete sich plötzlich wieder einmal seine Tür und, wie sollte es auch anders sein, Sherril trat ein. Sie trug ein schneeweißes Nachthemd, dessen Saum über den Boden schleifte, als sie mit nackten Füßen über den weichen Teppich schritt. Ihre Haare waren offen und reichten ihr nun bis zur Hüfte. Sich im hellen Licht des Zimmers die Augen reibend, meinte sie: "Ich kann nicht einschlafen heute Nacht. Ich bin so aufgeregt wegen morgen." Zadei hatte mittlerweile begriffen, dass es vollkommen sinnlos war, sie anzuschreien, wie er es anfangs probiert hatte. In den letzten Tagen hatte die Kleine zwar ihren Plan mit der Drachenbesichtigung (vorerst) aufgegeben, aber sie hatte trotzdem jede Menge neue Einfälle gehabt, so dass Zadei sich beinahe schon daran gewöhnt hatte. "Aha und warum kommst du dann zu mir? Geh deine Eltern oder Titius nerven," brummte er. "Nein, Mama und Papa schimpfen mit mir und Titius will ich nicht stören," gab sie als Ant- wort, während sie wie selbstverständlich wieder auf den riesigen Ohrensessel kletterte. "Na toll, Titius willst du nicht stören, aber mir gehst du gerne auf den Geist, was?!" Sie sah ihn mit großen Augen an, machte dann aber zu Zadeis Erstaunen eine ernste Miene. "Nein, so ist es nicht. Es ist nur, weil Titius immer so wenig schläft. Man braucht doch viel Schlaf und wenn er schon mal schläft, will ich ihn nicht noch stören." Bei diesen Worten horchte er auf, wie immer, wenn es um Titius ging. "Was meinst du damit? Wieso schläft er nicht?" "Na ja, genau weiß ich das nicht. Aber ich glaube, er hat manchmal Alpträume. Manchmal werde ich auch nachts wach und dann laufe ich durchs Schloss und hole mir Wasser oder was Süßes... aber pssst!" sie legte den Finger an die Lippen, bevor sie ihren Bericht fortsetzte: "Aber nicht Mama oder Papa sagen, ja? Jedenfalls sehe ich dann Titius ganz oft. Er steht dann auf dem Balkon oder manchmal auch im dunklen Garten. Er sieht dann immer so traurig aus und ich traue mich nicht, ihn anzusprechen, weil ich ja eigentlich um diese Zeit nicht wach sein darf. Verstehst du jetzt, wenn er so schlecht schlafen kann, dann will ich ihn nicht stören, *wenn* er denn mal schläft." Sieh einer an, dachte Zadei, die Kleine kann ja richtig taktvoll sein. Genaugenommen war die 6jährige taktvoller als er es jemals in seinem Leben gewesen war. Es wurde ihm schwer um's Herz bei dieser Erkenntnis. Er hatte soviel falsch gemacht. War er vielleicht der Grund für Titius Alpträume? Was sonst?! Aber sein Engel würde das niemals zugeben. Er wollte ja nicht mal über das Geschehene reden, blockte alles ab, als sei es nie geschehen. Man sagt, Selbsterkenntnis sei der erste Schritt zur Besserung, nur in Zadeis Fall war er sich nicht wirklich sicher, ob er sich überhaupt bessern konnte... da war dieses allgegenwärtige Verlangen, dass Zadeis Körper gefangen hielt, dessen er sich nicht lossagen konnte und das seinen Verstand einfach ausschaltete. "Was ist los, Onkel Zadei? Du siehst so nachdenklich aus. Ist etwas passiert?" Dieser hatte für einen kurzen Moment ihre Anwesenheit fast vergessen. Im gleichen Moment wunderte er sich, dass das quirlige Mädchen offenbar auch ganz ernsthaft sein konnte. Er grinste um von seiner Verwirrtheit abzulenken. "Du machst dir Sorgen um mich? Hm, du solltest jetzt doch lieber ins Bett gehen. Wenn du nicht schläfst, kommst du morgen nicht raus, auch wenn mich das nicht sonderlich stören würde," meinte er in seinem üblichen gehässigen Ton, den sie aber wie immer überhörte. Und ein weiteres mal überraschte sie ihn an diesem Abend, denn sie tat tatsächlich, was er sagte. "Ja, vom reden bin ich müde geworden. Ich geh jetzt wieder zurück. Aber du musst schwören, dass du meinen Eltern nicht sagst, dass ich hier war, ja?!" "Zisch ab, ich schwör hier gar nichts." "Dann sag ich Titius und Papa, dass es deine Idee war, mich zu den Drachen mitzunehmen," meinte sie plötzlich wieder im normalen, frechen Tonfall, der Zadeis Ohren wesentlich ver- trauter war. "Ok, ich schwöre, dass ich nichts sagen werde und jetzt geh endlich." "Zum schwören musst du aber die Hand he..." "Abgang!!!" "Iiiieeks!" machte es und verschwand mit trippelnden Schritten aus dem Zimmer. Aber im Türrahmen drehte sie sich noch mal um. "Gute Naa-haa-cht!" Und schon war sie verschwun- den und das Zimmer kam Zadei mit einem mal leerer vor als vorher. Kapitel 3: ----------- Hinweis: So, jetzt ist hoffentlich wieder alles an Ort und stelle. Die Adult-Warnung kommt hier hin, wo sie hingehört. Puh... ich hoffe, ich habe beim Neubarbeiten die Schnitt wieder richtig gemacht, habe nämlich vergessen, wo ich ursprünglich beim zweiten Kapitel abgebrochen habe. Ich hoffe, ich verwirre hier niemanden... zumindest nicht mehr als mich selber! ********** An diesem Abend war Titius erst spät ins Bett gekommen. Es hatte so viel zu tun gegeben und er war todmüde. Jetzt lag er eingehüllt in seinen weißen Seidenlaken, blickte an die dunkle Decke und dachte nach. Natürlich über das Thema, dass ihm jetzt seit Tagen keine Ruhe ließ. Er hatte Zadei jetzt zwei Tage lang kaum gesehen. Es waren nur flüchtige Begegnungen ohne besondere Vorkommnisse gewesen, wofür er seinerseits auch sehr dankbar war. Er konnte auch jetzt noch kaum glauben, dass er dem schwarzhaarigen Dämon so etwas Per- sönliches erzählt hatte. Aber immerhin hatte dieser zugehört. Na ja, zumindest eine Weile. Ganz interessant war auch, dass Sherril offenbar einen Narren an ihm gefressen hatte. Titius musste lächeln. Ja, mit ihrer freien Art auf andere zuzugehen und zunächst immer nur das beste im Menschen zu sehen, stand sie ihrer Namensvetterin in nichts nach. Es war auf jeden Fall besser, wenn sie nie erfuhr, warum er selber mit Zadei nicht so gut zurechtkam, was sie ihn, unwissend wie sie war, auch schon gefragt hatte. Langsam merkte Titius. Wie seine Augenlider schwerer wurden und ihm das Nachdenken zunehmend schwerer fiel, bis er schließlich in einen tiefen Schlaf glitt. [Das Tosen des Eissturmes hat wieder zugenommen, wovon Titius aus seinem Schlaf er- wacht. Der kalte Wind pfeift unheimlich, als er um die kleine Höhle fegt, in die er sich zu- rückgezogen hatte. Etwas benommen rafft er sich vom gefrorenen Boden auf und lehnt sich gegen eine Eiswand. Wie spät ist es jetzt? Aber das ist eigentlich gleichgültig, er hat ohnehin schon seit langem kein Zeitgefühl mehr. Er zieht das Gewand, dass Zadei ihm gegeben hatte, etwas zu Recht. Wenigstens schützt es ein wenig vor der beißenden Kälte. Zum Glück ist er ein Dämon, ein menschliches Wesen hätte bei diesen Temperaturen nicht lange überlebt. Mit einemmal hört er Schritte durch den Gang hallen, die trotz des tosenden Sturms zu hören sind. Ein Schauder überkommt ihn allein bei diesem viel zu vertrauten Geräusch. ER kommt wieder. Zögernd blickt Titius nun auf und erkennt auch schon Zadeis Silhouette, die sich auf ihn zu bewegt. Und erkennt auch, dass dieser offenbar sehr geladen ist. Sein Gesicht spricht Bände, wahr- scheinlich hat ihn irgendetwas in der Menschenwelt oder wo auch immer er gewesen ist, wie- der gereizt. "Ist irgendwas geschehen? Ihr seht nicht gerade fröhlich aus," spricht Titus ihn an. "Selbst wenn, würde es dich interessieren?" kommt die gereizte Frage zurück. Und schon geschieht der Fehler, der den ohnehin kochenden Zadei zum explodieren bringt. "Nein, nicht wirklich," Titius' nebenbei formulierte Antwort, die so typisch für ihn ist, lässt Zadei rot sehen. Wütend packt er Titius an den Schultern, zieht ihn hoch und presst ihn gegen die Wand. "Wenn's dich nicht interessiert, dann frag gefälligst nicht. Ich mag es nicht, wenn du dich über mich lustig machst! Aber das treibe ich dir auch noch aus!!" "Ich mache mich nicht lus...!" In diesem Moment ist es schon zu spät, Zadei presst seinen Mund auf den seines Engels, fixiert derweil sein Kinn mit der linken Hand, dass er sich nicht entziehen kann und zwängt nun seine Lippen auseinander, dringt mit der Zunge gierig in sei- nen Mund, so dass Titius kaum noch Luft bekommt. Entsetzt kneift er die Augen zu und ver- sucht, Zadei mit den Händen wegzustoßen, erreicht aber nur, dass der Kuss noch härter, der Griff mit dem er festgehalten wird, noch fester wird. Dann löst Zadei den Kuss, lässt seinen kreidebleichen Engel aber nur kurz aufatmen. Seine rechte Klaue fährt flink über die Verschlüsse des Gewandes, das er seinem Engel gerade erst geschenkt hat und entblößt schneeweiße Haut. Die Klaue streift nun über die nackte Haut der Schulter, fährt den Arm entlang nach unten und wieder hoch, während er dem verzweifelt aufstöhnenden Titius abermals einen heftigen Kuss aufzwingt. Die sich wehrenden Hände und die flehenden Worte ignoriert er, hat nun Titius ganzen Oberkörper entblößt und drückt ihn nun grob zu Boden. "Zadei, nicht! Wartet!" versucht Titius es weiter, aber vergeblich. Schon spürt er den harten Boden wieder im Rücken und dann Zadeis schweren Körper, der sich auf seinen legt, wäh- rend dieser sein Gesicht nun in Titius' Halsbeuge vergräbt, sich in der zarten Haut festbeißt. Erste Tränen der Verzweiflung lösen sich aus himmelblauen Augen, tropfen lautlos auf den Eisboden. Doch Zadei bemerkt es nicht, ist zu sehr in seinen eigenen Emotionen gefangen, in seiner Wut und gleichzeitig in seinem Verlangen. Unfähig, überhaupt noch etwas um sich herum wahrzunehmen, nimmt er den engelsgleichen Körper in Besitz. Seine Hände erkunden jeden Zentimeter Haut, als wäre es das erste mal, seine Lippen setzten Küsse auf den Ober- körper. Titius schließt die Augen, versucht, jedes Gefühl in sich abzutöten, wie er es sonst immer tut. Doch in diesem Moment spürt er, wie eine Hand sich in seinen Haaransatz krallt und daran zieht. Erschrocken öffnet Titius die Augen, erneut rollen Tränen des Schmerzes über seine Wangen. "Sieh mich an Titius! Ich will mich in deinen Augen sehen!!" herrscht Zadei ihn an, den Titi- us aber nur noch verschwommen erkennen kann. "Warum tut ihr das? Lasst mich gehen, bitte!" fleht Titius nun, erkennt aber mit Schrecken an Zadeis boshaftem Lächeln, dass es genau das war, was er von ihm hören wollte. Noch immer bedrohlich lächelnd senkt dieser nun seinen Kopf ganz nah zu Titius' Ohr herab und flüstert: "Habe ich's nicht gesagt?! Ich habe dir doch versprochen, dass ich deinen Stolz zerschmettern werde! Hättest nicht gedacht, das ich das schaffe, was?! Aber nun sieh dich an, du kannst am Ende überhaupt nichts gegen mich ausrichten..." Damit beißt er Titius ins Ohr- läppchen und lacht ein heiseres Lachen. Titius starrt entsetzt an die Decke, wünscht sich in diesem Moment nichts mehr als den Tod. Aber noch nicht einmal sterben kann er ohne Zadei, diese bittere Erkenntnis und die Tatsache, dass er wirklich völlig ausgeliefert ist, bringt ihn fast um den Verstand. Dann, plötzlich, schieben sich Hände unter seinen Rücken und die schmale Hüfte, das Gewand wird ihm voll- ständig ausgezogen und er wird schnell und unsanft auf den Bauch gedreht. Alles geschieht, ohne dass Titius es noch richtig realisieren kann. Seine schmalen Handgelenke hält Zadei mit seiner Klaue über dem Kopf fest. Als er in Titius eindringt, ist dieser zu keiner Bewegung mehr fähig, nicht mal seine Stimmbänder arbeiten noch. Unbeschreibliche Demütigung und Panik schnüren ihm die Kehle zu. Nur ein leichtes Wimmern entflieht seiner Kehle, als Zadei endlich nach einer schier endlosen Zeit von ihm ablässt und mit seinem ganzen Gewicht nun auf Titius liegt, seinen Engel fest umarmt und an sich drückt. Wieder lösen sich heisere Töne aus Zadeis Mund, ganz nah an Titius Ohr formen seine Lip- pen Worte, die dieser mittlerweile mehr hasst als alles andere: "Ich liebe dich."] Schlagartig fuhr Titius hoch. Noch ganz benommen vom Schlaf, realisierte er zunächst kaum, dass er senkrecht im Bett saß. "Nicht schon wieder" flüsterte seine tränenerstickte Stimme wie von selbst. Er hatte die gleichen Symptome wie immer nach diesem Traum, sein ganzer Körper zitterte wie Espenlaub, seine Haut war feucht vom Schweiß, sein Mund war trocken und schmeckte gleichzeitig den salzigen Geschmack der Tränen. Erst langsam löste sich der eiserne Griff der Panik, der sein Herz so fest gepackt hatte. Es dauerte eine ganze Weile, bis sein Körper sich etwas beruhigt hatte, das Blut nicht mehr so schnell durch die Venen raste und das Zittern so weit abgeklungen war, das Titius sich trauen konnte, aufzustehen, ohne gleich umzukippen. Obwohl noch immer Tränen ungehalten und still über sein Gesicht flossen, wühlte er sich aus seinem Bett und wanderte durch das Zim- mer. Warum musste er diesen Traum noch immer träumen? Sieben Jahre lang hatte er ihn gequält und auch Zadeis Erwachen und die Tatsache, dass noch nichts schlimmes passiert war, hatten nichts daran geändert. Er versuchte, es tagsüber zu verdängen, was ihm ja auch einigermaßen gelang, nachts jedoch, wenn er allein in seinem Zimmer war und alles um ihn herum so schrecklich still, dann konnte er sich selber nicht entkommen. Als er so durch den Raum schritt, kam er an seinem Kleiderschrank vorbei. Aus einem Reflex heraus öffnete er eine der Türen davon, die er sonst selten benutze und griff nach dem Klei- dungsstück, das dort sorgfältig aufgehängt war. Es war das Gewand, dass Zadei ihm damals geschenkt hatte. Es war völlig fleckenlos, dass Weiß des mantelartigen Überwurfs strahlte noch immer so hell wie am ersten Tag. Nie hatte Titius sich dazu durchringen können, es wegzuschmeißen, wobei ein Teil in ihm es am liebsten verbrannt hätte. Aber dieser Teil war in dieser Beziehung seltsamerweise nicht der Stärkere. Traurig schüttelte Titius den Kopf und hängte es wieder zurück. Nachdem er den Schrank wieder verschlossen hatte, schritt er auf den kleinen Balkon dieses Raumes zu, öffnete die Vorhänge und Tür und trat hinaus in die kühle Nachtluft. Ein leichter Wind wehte und spielte etwas mit seinen Haaren und dem ebenfalls schneeweißen Nachtgewand. So stand er da, wie so oft in den Nächten, in denen er von Alpträumen der Vergangenheit ge- quält wurde und sah gedankenverloren in die Finsternis, noch immer Tränen in den Augen. Und ihm wurde klar, dass Zadei nicht nur von seinem Körper Besitz ergriffen hatte, sondern auch von seiner Seele. Irgendwie war er immer allgegenwärtig, in irgendeiner Form war er immer in Titius Gedanken. Und es war nicht immer so schlecht wie in diesen Nächten. Manchmal kamen ihm auch ganz einfach so irgendwelche anderen Szenen ins Gedächtnis. Die Umarmung von Zadei, kurz vor seinem Abschied, sein Gesicht, als Titius ihm den Ring geschenkt hatte oder der Moment, in dem Zadei den Arm verlor, als er sich schützend vor Laures Attacke vor Titius warf. So viel Titius auch darüber nachdachte, er kam zu keinem Ergebnis. Zu sehr fühlte er sich zwischen den unterschiedlichen Gefühlen hin- und hergerissen. Wie konnte Zadei sich nur seiner Gefühle immer so sicher sein? Wie konnte er immer noch behaupten, Titius zu lieben, nach allem was geschehen war, nach all der Zeit? Aber selbst wenn es eine Antwort auf alle von Titius' Fragen gab, wollte er sie überhaupt wissen? ************* Dichtes Stimmengewirr erfüllte den Raum. Der ganze Hofstaat war im Ballsaal versammelt. Zadei rümpfte die Nase, als er den Raum betrat. "Bälle" -so etwas hatte es zu seiner Zeit hier im Dämonenschloss nicht gegeben. Man sah ziemlich deutlich, dass in den letzten Jahren mit Hilda die weibliche Note hier Einzug gehalten hatte. Kein Wunder, wo Laures ihr wie ein verliebter Trottel noch immer jeden Wunsch von den Augen ablas. Besagtes Paar saß im Üb- rigen ganz hinten im Saal auf zwei goldenen Thronen. Zadei hätte kotzen können, wie er die beiden sah. Aber er unterdrückte seinen Würgreiz und bemerkte, dass heute nicht wirklich dass Königs- paar im Mittelpunkt stand, sondern der nun 7jährige Nachwuchs. Klein-Sherril stand in einem dunkelgrünen Seidenkleid, mit aufwendigem Faltenwurf und jeder Menge Nippes be- schmückt, auf den Stufen zum Thron und ließ sich gerade beschenken. Titius stand bereits neben ihr und beobachtete sie mit einem Lächeln. Langsam schritt Zadei auf sie zu. Eigentlich hatte er keine Lust auf das Getue hier, aber ver- dammt, wie sollte man denn in Ruhe in seinem Zimmer hocken und Trübsal blasen, während hier ein rauschendes Fest stattfand?! Als er näher kam und Sherril ihn erspähte, fing sie heftig an zu winken und als er in Hörweite war, drehte sie sich kurz zur Seite und hob vom Geschenktisch neben sich einen Gegenstand, den sie mit einem Grinsen wild hin und her schwenkte. "Guck mal Zadei, guck mal was ich von Titius geschenkt bekommen habe!" Ihr Grinsen hätte fast einmal um den Kopf herum gereicht, wären die Ohren nicht im Weg gewesen, als sie stolz verkündete: "Er hat mit ein Schmuckkästchen geschenkt, ist das nicht hübsch!" Wild fuchtelte sie damit Zadei unter der Nase herum. "Ja, ganz toll, ich bin begeistert," ließ dieser nur in sarkastischem Tonfall verlauten, als er Titius missbilligenden Blick auf sich fühlte. "Und was hast du für mich? Was, sag schon?" kam die hibbelige Frage. "Was sollte ich schon für dich haben, hä?" "Ach komm, du musst doch was für mich haben, sag schon." Alles was recht war, da die Kleine sonst schon so hyperaktiv war, wirkte sie heute, als stünde sie unter Drogen. Erwar- tungsvoll sah sie ihn mit riesigen Kulleraugen an, dass er schon Angst hatte, sie würden ihr gleich herausfallen und zu seinen Füßen landen. Zadei grummelte etwas Unverständliches, sah kurz zu Titius, den Eltern, die Kleine, wieder Titius, die Kleine... wurde rot um die Nasenspitze und kramte aus seiner Hosentasche etwas Kleines hervor und legte es mit seiner riesigen Dämonenklaue in die kleine Kinderhand. Verwundert führte das Mädchen den Gegenstand näher ans Gesicht und betrachtete ihn ein- dringlich. Es war ein Stein. Ein seltsam aussehender heller Stein, ganz glatt und etwas mil- chigtrüb. In ihrem Gesicht stand ein großes Fragezeichen geschrieben. "Bist du blöd oder was?! Du musst ihn ins Licht halten," grummelte Zadei nun endgültig ner- vös, die Blicke, die ihn aufgrund seines herben Ausdrucks der Prinzessin gegenüber trafen, ignorierte er. Die Prinzessin selber schien es im Übrigen auch nicht im geringsten zu stören. Sherril hielt nun den Stein gegen das Licht einer nah stehenden Kerze und... staunte nicht schlecht, als das Licht sich brach und der Stein es in tausend bunte, leuchtende Farben ver- wandelte. Es war wie ein kleines Feuerwerk, die unterschiedlichen Farbtöne schillerten jedes mal anders, wenn sie den Stein nur einen Millimeter anders ins Licht hielt. Es war faszinie- render als ein Prisma es jemals sein könnte. Mit offenem Mund starrte sie in das Lichtspiel in ihrer Hand. "Hab ihn zufällig in der Nähe eines Drachennestes gefunden. Es ist die versteinerte Schuppe eines weißen Drachen, die gibt's heut nur noch selten," murmelte er kaum hörbar, wand sich dann augenblicklich um und steuerte eine Tisch an, auf dem prall gefüllte Weinkaraffen auf ihn warteten. Jetzt brauchte er Alkohol! Er hätte selbst nicht gedacht, dass er das hier tatsäch- lich tun würde. Obwohl er genau wusste, dass er in dem Moment, in dem er das seltene Stück gefunden hatte, als erstes an den Geburtstag von Sherril gedacht hatte. Das konnte doch alles nicht wahr sein! Das Geburtstagskind hingegen fing an, in die Luft zu springen und hüpfte auf ihrem Platz herum vor Freude, als sie Zadei ein lautes "Daannnkeeeeee!" hinterher rief. Vermutlich wäre sie ihm sogar noch hinterher gerannt um ihm um den Hals zu fallen, aber im rechten Moment kam Zadeis Rettung, der schon dabei gewesen war, eine Fluchtroute durch den Saal festzule- gen. Die Rettung kam in Form von Musik. Ja Musik. Die Kapelle spielte einen Walzer auf und die Paare, darunter auch das Königspaar, schritten zur Tanzfläche. Und während Zadei schon wieder ein Würgreiz überkam, fing die kleine hyperaktive Prinzes- sin vor Freude fast an, zu hyperventilieren. Quietschend griff sie nach Titius Robe, der noch immer hinter ihr stand und zog quengelnd daran. Zadei konnte von seinem Standort, am Tisch mit den Getränken in einer Ecke des Saales, zwar nicht verstehen, was sie sagte, konnte es sich aber lebhaft vorstellen, als der Dämonenengel sie nun schließlich an der Hand nahm und sie zur Tanzfläche geleitete, wo sie zu tanzen begannen. Obwohl Sherril nur halb so groß war wie er und er sich deshalb etwas runterbeugen musste, sahen beide auf ihre Weise sehr ele- gant aus. Sherril strahlte über das ganze Gesicht, hatte offenbar wieder ihren "elegant und geschmei- dig"-Modus eingeschaltet und stand trotz ihres kindlichen Körpers ihrer Mutter in nichts nach, die im übrigen mit Laures ebenfalls über die Tanzfläche schwebte und gemeinsam mit ihrem Mann über ihre Tochter lächelte. Zadei lehrte sein Weinglas, dass er gerade in der Hand hatte, mit einem Zug und griff sich das nächste. Dieses romantische Gesülze war wirklich zu widerlich! Wenn er sich an die früheren Feste in diesem Dämonenschloss erinnerte, die mehr als Gelage oder Orgien zu bezeichnen waren, konnte er kaum seinen Augen trauen. Er wendete seinen Blick wieder Titius zu, der für ihn der größte Blickfang im Saal war. Seine weißen Flügel waren weit ausgebreitet und schienen das Licht der Kronleuchter zu reflektie- ren. Gelegentlich löste eine schneeweiße Feder daraus und tanzte schwebend zu Boden. Sie sahen aus wie Schneeflocken. Versunken betrachtete Zadei das Schauspiel und ohne, dass er es bewusst registrierte, wanderten ein drittes und ein viertes Glas Wein in seinen Magen. Ein fünftes folgte, die Musik wechselte zu einem anderen Stück, beim sechsten waren seine goldenen Augen zu Titius lächelndem Gesicht weitergewandert. Wann hatte er jemals die Gelegenheit gehabt, ihn so zu sehen? Die hellen blauen Augen waren mild, zeigten echte Zu- neigung, eine Art väterliche Liebe zu dem kleinen Mädchen. Ein siebtes, ein achtes Glas, Za- dei hörte auf zu zählen. Er wurde zunehmend verdrossener. Warum war es für andere so leicht, Titius Zuneigung zu erringen, nur ausgerechnet für ihn unmöglich? Was dachte Titius denn nun über ihn? Auf der einen Seite hatte er ihn nicht töten lassen, sondern ließ ihn hier im Schloss bei ihm leben, auf der anderen Seite sprach er kaum mit ihm, ging ihm aus dem Weg, fühlte sich in seiner Ge- genwart offensichtlich unwohl. Wollte er Zadei nun loswerden oder nicht? Oder war das gan- ze gar einer seiner raffinierten Pläne, wollte der intrigante Dämonenengel sich vielleicht an ihm rächen und heckte irgendetwas aus?! Zadeis Gesicht verfinsterte sich, während er ein weiteres Glas Wein an seine Lippen führte. ************* Es war schon weit nach Mitternacht, als Sherrils schier unerschöpfliche Kräfte doch endlich nachließen; dafür geschah es aber schlagartig. Vollkommen erschöpft vom vielen Tanzen und Feiern nickte sie auf ihrem Platz ein. Titius bekam den Auftrag, sie ins Bett zu bringen und so hob er sie sanft auf die Arme und trug das schlafende Mädchen aus dem Saal und brachte sie in ihr Zimmer, dass auf der anderen Seite des Schlosses lag. Da fast der ganze Hofstaat im Ballsaal versammelt war, waren die Flure wie leergefegt und dunkel und auch die laute Musik wurde immer leiser, je weiter sie sich entfernten, bis schließlich Stille um Titius und das schlafende Mädchen herrschte. In ihrem Zimmer angekommen zog er sie vorsichtig bis auf ihr Unterkleid aus und legte sie vorsichtig in ihr Bett, immer darauf bedacht, sie nicht zu wecken. Als er sie zugedeckt hatte, löschte er die Kerzen und verließ das Zimmer. Leise schloss er die Tür hinter sich und trat langsam auf den dunklen und stillen Flur hinaus, der nur ein wenig vom Mondlicht erhellt wurde, das durch die Fenster hinein schien. Deswegen erschrak er umso mehr, als er im Augenwinkel plötzlich etwas aufblitzen sah. Schnell wandte er sich in die entsprechende Richtung, als er auf einmal ein goldenes Augen- paar erkannte, dass ihn fixierte, so wie ein Raubtier seine Beute fixiert, scheinbar in völliger Ruhe, aber dennoch jederzeit sprungbereit. Titius hielt unwillkürlich den Atem an, als er sich nach dem ersten Schreck dem Bann der feuersprühenden Augen entziehen konnte und nun Zadeis Konturen ausmachen konnte. Was machte er hier? Titius war die ganze Sache irgendwie unheimlich. "Zadei-sama, ihr seid es! Ich habe mich richtig erschreckt." Er bemühte sich, seine Stimme so kühl wie möglich klingen zu lassen. "Oh, entschuldige Titius. Das lag gewiss nicht in meiner Absicht." Obwohl diese Worte so harmlos waren, klang jedes einzelne wie eine Drohung. Zadeis Stimme glich einem grollen- den Vulkan, von dem man zwar wusste, dass er ausbrechen würde, aber nicht wann. Langsam wurde die Situation Titius mehr als unbehaglich. "Wenn... wenn ihr mich entschuldigen würdet, ich bin müde und würde mich gerne zurück- ziehen," versuchte er es höflich wie immer, allerdings mit etwas fahriger Stimme. Das Element von Dämonen ist die Dunkelheit. Freilich, auf Titius traf dies nicht gerade zu. Die Helligkeit seiner Haut, das silbrig-weiße Leuchten seiner Flügel, Haare und Kleidung reflektierte selbst das wenige Licht, das es hier gab, so dass er selbst schon wie eine Licht- quelle wirkte. Aber bei Zadei war es anders. Als er sich nun langsam auf Titius zu bewegte, schien er mit den Schatten zu verschmelzen, die über ihn hinweghuschten. Einzig seine Augen stachen her- vor, den Rest seines Gesichtes sowie dessen Ausdruck konnte Titius nicht erkennen. Instink- tiv wich er zurück. "Ich glaube dir, dass du müde bist. Aber ein paar Minuten wirst du doch noch Zeit haben für mich, oder? Ich möchte mich nur etwas mit dir unterhalten, das ist alles." Titius wich noch weiter zurück, je näher Zadei kam, bis er plötzlich den kalten Stein der Mauer in seinem Rü- cken fühlte. "Es wird wohl kaum so wichtig sein, dass wir das nicht auf morgen verschieben könnten, o- der?" Mit diesen Worten wollte Titius sich rasch wegdrehen und gehen, aber augenblicklich versperrte ihm ein Arm links neben seinem Kopf den Weg. Als er sich nun nach rechts wand- te, stemmte sich auch hier ein Arm gegen die Mauer und Titius war zwischen ihnen gefangen. Schockiert blickte er in die Katzenaugen direkt vor ihm. "Oh nein, diesmal läufst du nicht weg, mein Engel. Ich will jetzt endlich wissen, was los ist. Glaubst du, das hier ist ein Spiel? Glaubst du, ich lebe jetzt einfach so die nächsten paar Jahr- hunderte neben dir her, als wäre nichts?! So naiv kannst nicht mal du sein. Immerhin habe ich dir gesagt, was ich fühle, nicht war?" "Lasst mich in Ruhe, wenn Laures-sama das erfährt, da..." "Unser lieber Laures-sama ist jetzt leider nicht hier, der ist vermutlich momentan mit seiner verehrten Gemahlin beschäftigt, im Schlafgemach, wenn du verstehst, was ich meine. Er kann dir jetzt nicht helfen und ich lasse dich nicht eher gehen, bis du mir geantwortet hast." Zadeis Stimme war ruhig, gefährlich ruhig, was Titius fast noch mehr Angst machte, als wenn er ihn einfach wie sonst anschrie. Seine Augen funkelten noch immer in der Dunkelheit, die lange Narbe über dem einen Auge war in einen dunklen Schatten gehüllt. Titius Herz begann schneller zu schlagen. Was sollte er tun? Zadei schien es wirklich ernst zu meinen. Aber was sollte er Zadei antworten? Er wusste doch selbst nicht, was er erwartete oder wie er selber zu dem schwarzhaarigen Dämonen stand. Innerlich völlig zerrissen, schwieg er betre- ten, so dass die Stille zwischen ihnen fast zu knistern begann. Zadei hingegen, der ungeduldig auf ein Wort seines Engels wartete, interpretierte Titius' Schweigen auf seine Weise. Seine Augen begannen auf einmal noch mehr zu glühen, was Titius mit Schrecken feststellte. Er zuckte zusammen, als sich plötzlich Zadeis Klaue auf seine Wange legte. Schnell wollte Titius sie von sich wegschieben, aber blitzschnell hatte Zadei mit seiner linken Hand Titius Rechte gepackt und so heftig gegen die Wand geschlagen und dort festgenagelt, dass Titius erschreckt aufstöhnte. Jetzt hatte er nur noch die eigene linke Hand frei, womit er nicht viel gegen Zadeis Klaue ausrichten konnte, die nun sein Kinn fest umklammert hielt. "Glaubst du wirklich, du kannst deine Spielchen mit mir treiben? Ich habe mich einmal von dir für dumm verkaufen lassen, Titius. Aber das wird mir nicht noch einmal passieren!" Mit dem Daumen seiner Kralle fuhr Zadei nun über Titius Wange, sein Nagel hinterließ dabei einen feinen Streifen, aus dem nach einigen Sekunden Blut quoll. Schockiert hielt Titius den Atem an, als er fühlte, wie die warme Flüssigkeit seine Wange hinunterlief. Was sollte er tun? War er denn nicht mal im Schloss seines mächtigen Herrn vor Zadei si- cher? Aber Laures war doch auch hier im Schloss, Zadei konnte ihm nichts anhaben. Sollte er schreien? Aber nein, Titius besann sich und erkannte mit Schrecken, dass Zadei recht hatte. Laures würde ihn nicht hören, niemand würde es, denn alle waren beim Ball, sie waren in diesem Teil des Schlosses völlig abgeschnitten von all dem Trubel. Das einzige Lebewesen in Hörweite wäre Sherril in ihrem Zimmer. Aber das war dass letzte, was der weißhaarige Dämon gewollt hatte: Sherril da mit hinein zu ziehen, ihr den Anblick dieser Szene hier anzutun. Wieder war Titius ganz allein auf sich an- gewiesen. "Ich weiß nicht, was euer krankes Hirn sich wieder zusammen spinnt, aber ich treibe keine Spielchen," antwortete mit versucht kalter Stimme, dennoch zitterte sie, was Zadei sehr wohl bemerkte. "So, langsam kannst du ja doch wieder Emotionen zeigen. Seit meinem Erwachen hast du mir nur die kalte Schulter gezeigt, dabei war ich mir damals sicher gewesen, dir diese verdammte Arroganz ausgetrieben zu haben!" Mit dem Daumen wanderte er nun weiter zu Titius' Mund, fuhr die schmalen, aufeinander gepressten Lippen langsam nach. Der Dämonenengel versuchte den Kopf zu entziehen, die Dämonenklaue hielt ihn jedoch in eisernem Griff. Wieder kamen ihm die Erinnerungen an damals in den Sinn. Es war schon wieder alles genauso wie damals. Und genau davor hatte er am meisten Angst gehabt. Er fühlte, wie sein Herz sich zusammenkrampfte und ihm die Tränen in die Augen stiegen. Wie weit würde Zadei gehen, er würde doch nicht...? "Ja, vielleicht ist es so, wie ihr sagt, vielleicht hasse ich euch ja wirklich, vielleicht will ich mich ja wirklich an euch rächen, vielleicht habe ich mir ja schon einen Plan zurechtgelegt! Vielleicht will ich mich rächen für all das, was ihr mir angetan habt, für all die seelischen und körperlichen Demütigungen, die ihr mir angetan habt! Dafür, dass ihr mich soweit gebracht habt, euch anzuflehen mich zu töten!", schrie Titius ihn nun mit dem Mut der Verzweiflung an, "Und wenn es so ist, was wollt ihr dann machen, wollt ihr mich wieder mitnehmen, mich in einer Eiswüste einsperren?! Ist es das, was ihr wollt?! Ist das die einzige Lösung, die ihr parat habt?!!!" Fast wie ein Echo hallte Titius Stimme durch die Gänge, er selbst bemerkte kaum, wie sehr er schrie und wie ihm da- bei Tränen in Strömen die Wangen hinunterliefen. Er hatte das alles nie wieder aussprechen wollen, hätte es am liebsten für immer totgeschwiegen. Aber nun war es zu spät. Für einen Moment stand Überraschung über Titius' Ausbruch in Zadeis Gesicht geschrieben. Aber nach Sekunden verfinsterte sich sein Ausdruck wieder. "Ja, du hast recht. Am liebsten würde ich dich wieder einsperren, irgendwo weit weg von al- len anderen und vor allem von Laures. Ich will dich wegsperren von allen Wesen, denen du auch nur ein Lächeln schenkst! Ganz tief in einen Kerker, wo niemand dich sieht, wo niemand außer mir sich in deinen Augen spiegelt... Ich würde am liebsten ohne mit der Wimper zu zucken jedes Wesen töten, das sich dir auch nur auf hundert Meilen nähert!" Die scharfe Stimme Zadeis ließ Titius zu Eis gefrieren. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er Zadei nur an, der nun mit etwas leiserer Stimme weiter sprach. "Aber das kann und werde ich nicht tun. Jedoch nicht wegen Laures und seinen Drohungen, nein. Ich bin vielleicht nicht besonders schlau oder lernfähig, aber ich will nicht, dass es noch einmal so endet wie damals... Wer von uns beiden trägt mehr Schuld dafür, dass es soweit kam? Wer von uns hat den entscheidenden Fehler gemacht und was war es für einer?" Plötz- lich wurde Zadeis Stimme sanfter, er ließ seine Klaue nun hoch wandern zu Titius Haaran- satz, wo er liebevoll eine der seidenen Strähnen zwischen seine Finger nahm und vorsichtig an ihr entlang strich. Titius sah ihn immer noch tränenüberströmt an, konnte den plötzlichen Wandel in Zadei nicht ganz verstehen, der nun fort fuhr zu sprechen, nachdem seine Fragen eine Zeit zwischen ihnen in der Luft geschwebt hatten "Ich kann es nicht sagen, egal wie viel ich darüber nachdenke. Wahrscheinlich gibst du mir an allem die Schuld und vielleicht hast du recht. Und das schlimme ist, dass ich die Vergangen- heit nicht ändern kann. Aber vielleicht gibst du mir ja noch eine Chance? Ich kann nicht in deinen Kopf gucken, weiß auch nicht, was du gerade denkst. Vielleicht, nein, wahrscheinlich hasst du mich jetzt sogar mehr als jemals zuvor und schmiedest weiter deine Rachepläne. A- ber ich gebe trotzdem nicht auf. Ich werde es solange versuchen, bis du mich mit eigenen Händen tötest! Erst dann geben ich auf." Ohne eine Reaktion von Titius abzuwarten, der ohnehin noch zu perplex und schockiert zugleich war, um irgendetwas zu sagen, zog Zadei dessen Gesicht nun zu sich heran, ließ die rechte Hand des Dämonenengels wieder frei, nahm seine eigene linke Hand noch zur Hilfe, um das tränenüberströmte Gesicht in beide Hände zu nehmen und die schmalen Lippen zu küssen. Stille und die Dunkelheit senkten sich für einige Sekunden über sie, die Titius wie die Ewig- keit vorkamen. Seine Glieder waren schlaff und bewegungsfähig, er fühlte sich, als hätte man ihm jeden Funken Energie entzogen. Darum ließ er es einfach geschehen, nahm es nur noch wie durch eine Art Schleier war. Dann löste Zadei ihre Lippen voneinander, ließ auch Titius Gesicht los und ging einen Schritt nach hinten. "Das ist alles, was ich dir sagen wollte." Kurz sah er mit einem undefinierbaren Blick Titius noch einmal von oben bis unten an, wand- te sich aber dann ohne ein weiteres Wort um und verließ Titius so lautlos wie er gekommen war. Noch eine ganze Weile, nachdem Zadeis Schritte in den langen Fluren verklungen waren, starrte Titius, unbeweglich an die Wand gelehnt, ins Leere. Das Blut aus dem Schnitt an der Wange tropfte leise zu Boden, aber selbst dieses Geräusch war laut genug, um Titius aufhor- chen zu lassen und ihn aus seiner Trance zu reißen. Zadei war weg, er war allein. Und nichts war geschehen, der Dämon hatte ihm nichts angetan. Ein Zittern durchlief seinen Körper, als die Anspannung sich mit einemmal löste. Mit einer Hand befühlte er seine Wange, wo soeben noch Zadeis Hand gelegen hatte und ließ sich langsam an der Wand entlang zu Boden sinken, bis er schließlich mit angewinkelten Knien auf dem kalten Boden saß. Dann verschränkte er die Arme auf den Knien und vergrub den Kopf darin, als er anfing, hemmungslos zu schluchzen. Ganz für sich allein ließ er seiner ganzen angestauten Angst und Ratlosigkeit freien Lauf. Er konnte es nicht verhindern, für diesen Moment hatte seine eiserne Selbstdisziplin ihn völlig verlassen. Die Tränen kamen einfach von allein, sein Körper zitterte wie unter Krämpfen. Wie lange er so da saß, wusste er nicht. *********** So in seinem Gefühlsausbruch versunken, merkte er nicht, wie sich hinter einer Ecke am Ende des Flures hinter einer Säule geräuschlos ein Schatten von der Wand löste. Violette Augen blickten etwas besorgt in Titius Richtung. Dann jedoch wandte sich Laures um und ver- schwand leise wie ein Geist, so lautlos und unscheinbar, wie er gekommen war. Mit langsa- men Schritten machte er sich auf den Weg zurück in seine und Hildas gemeinsame Gemächer und ließ Titius allein zurück, der ihn nicht einmal wahrgenommen hatte. Die Szene, die Laures beobachtet hatte, gab ihm zu denken, beruhigte ihn aber trotzdem, weil sie in sein Szenario passte. Es war durchaus eine positive Entwicklung in Zadei vorgegangen, seiner Meinung nach. Das hatte er auch erwartet, jedoch zeichnete sich Zadei durch seine be- rechenbare Unberechenbarkeit aus, weswegen Laures ihn seit seinem Erwachen immer heim- lich beobachten ließ, manchmal auch selber diese Aufgabe übernahm. Ansonsten hätte er na- türlich niemals zugelassen, dass Sherril einfach so Kontakt zu ihm aufnahm. Was seine ge- liebte Familie anging, ging er nicht das geringste Risiko ein. Hätte Zadei auch nur ansatzwei- se versucht, seiner Frau oder Tochter ein Haar zu krümmen, Laures hätte ihn mit einem Fin- gerzeig endgültig ins Jenseits befördert. Aber mittlerweile war er sich sicher, dass Sherril keine Gefahr seitens des Dämonengenerals drohte. Zadei war nämlich durchaus in der Lage, jemanden zu mögen. Und Sherril mochte er in jedem Fall, auch wenn der temperamentvolle Dämon jedem an die Kehle springen würde, der das laut aussprach. Einzig um Titius machte Laures sich Sorgen. Darum war er Zadei auch gefolgt, als dieser kurz nach dem der Engelsdämon mit Sherril gegangen war, ebenfalls aus dem Saal ver- schwunden war. Laures hatte Zadei schon den ganzen Abend nicht aus den Augen gelassen und als dieser so kurz entschlossen und dazu noch angetrunken verschwand, hatte er sich doch ein wenig Sorgen gemacht. Dank seiner verstärkten Kräfte war es ihm ein leichtes gewesen, seine Aura so zu verhüllen, dass nicht einmal Zadei ihn bemerken konnte. Die ganze Zeit hatte er sich dann im dunklen verborgen gehalten und einfach nur beobachtet, allerdings bereit, jeden Augenblick einzugrei- fen, falls Zadei zu weit gehen sollte. Zadei hatte wirklich etwas von einem Barbaren, dachte Laures bei sich, aber er war der einzige, der wirklich an Titius herankommen konnte. In den letzten Jahren hatte Titius sich sehr verschlossen. Er investierte wohl all seine Kraft dafür, so zu wirken, als hätte er alles Geschehene völlig vergessen. Aber Laures kannte seinen engsten Vertrauten zu gut, um nicht zu merken, wie sehr die Vergangenheit an ihm nagte, ihn langsam von innen zerfraß. Aber nicht einmal Hilda, mit der Titius sich mittlerweile so über- aus gut angefreundet hatte, kam an ihn heran, was seine schöne Frau sehr mitnahm. Und ihm selber gegenüber würde Titi sich niemals öffnen, das verbot sein Stolz ihm wohl. Aus diesem Grund hatte Laures sich auch jetzt bei ihm nicht bemerkbar gemacht. Auch wenn ihm unwohl dabei war, Titius in seiner Verfassung allein zu lassen; hätte er sich ihm gezeigt, hätte er dessen Leid noch dadurch verschlimmert, dass Titi auch noch Scham und Demüti- gung gegenüber seinem Herrn ertragen musste. Titius war einfach zu stolz, er hätte den Ge- danken nicht ertragen können, dass Laures diese ganze Szene mit Zadei gesehen und gehört hatte und ihn nun in Tränen aufgelöst am Boden fand. Also konnte der Dämonenkaiser nur die Rolle des stillen Beobachters einnehmen. Aber er fühlte sich in seiner Annahme, dass es doch noch Hoffnung für Zadei gab, durchaus bestätigt. Nun gut, Zadei hätte bei Titius beinahe einen Herzinfarkt verursacht und während der ganzen Szene, hatte Laures mehrmals befürchtet, Titi würde zusammenbrechen, aber offenbar war es genau diese Art von Zadei, mit der er Titi aus der Reserve locken konnte. Auch wenn dieser jetzt verzweifelt schien, immerhin war er wieder fähig, seinen Emotionen freien Lauf zu las- sen. Das würde auf Dauer bestimmt eine erste Erleichterung für ihn sein. Trotzdem würde Laures auch in Zukunft wachsam bleiben, beschloss er für sich. Ansonsten konnte er nichts tun, außer abzuwarten, wie sich die Sache entwickeln würde. Es hing alles davon ab, ob Zadei Titi dazu bringen konnte, über seinen eigenen Schatten zu springen. Mit dieser Erkenntnis erreichte Laures das Schlafgemach, in dem Hilda schon auf ihn wartete. Als er die goldene Klinke drückte, entschloss er sich, diese Gedanken nun zu vertreiben und sich angenehmeren Dingen zuzuwenden, wie zum Beispiel seiner wunderschönen Frau, die ihn wie immer mit offenen Armen und einem warmen Lächeln empfing. Ja, hier war er zu Hause. ************* Kapitel 4: ----------- Die Sonne stand hoch am Himmel und Zadei war schon seit Stunden mit seiner Arbeit bei den Drachenställen im Schloss beschäftigt. Gerade war er dabei, die Stallungen zu inspizieren und erste Überlegungen zu unternehmen, wie sie die Ställe am besten erweitern konnten, da er geplant hatte, die Drachenkompanie zu vergrößern und zu verstärken, als eine Seitentür zu dem riesigen Gebäude sich öffnete und ein bekannter, schwarz gelockter Haarschopf zum Vorschein kam. Zadei stand mit dem Rücken zu dieser Tür, aber als er sie sich öffnen hörte, brauchte er sich nicht einmal umzudrehen, um zu wissen, wer der Störenfried war. "Guten Morgen. Na, hat unsere erlauchte Prinzessin ihren Schönheitsschlaf aus und geruht nun, ihrem ergebenen Untertanen mal wieder auf den Sack zu gehen?" murmelte Zadei sar- kastisch. So kaputt, wie die kleine Nervensäge gestern gewesen war, hätte sie doch mindes- tens zwei Tage durchschlafen müssen. Das hatte er zumindest gehofft. "Titius sagt immer, ich bin von Natur aus schön genug und brauche deswegen keinen Schön- heitsschlaf," erwiderte die Kleine wie immer gelassen und Zadeis Wortwahl gänzlich ignorie- rend. Sie hatte sich mittlerweile dran gewöhnt, Zadei war halt immer so. "Titius sagt das also? Er sollte aufhören mit diesem Gesülze, das macht mich ganz krank." Erwiderte Zadei etwas gereizt. Musste das Thema ihn schon wieder einholen? Was für ein Scheißtag, er hatte seit dem Morgen eine unglaublichen Kater und jetzt musste auch noch die Göre auftauchen und ihn an das Thema erinnern, dass er die ganze Zeit schon zu verdrängen suchte. Sherril trippelte an ihm vorbei, kletterte dann auf einen großen Strohballen an der Wand, ließ die Beinchen hinunterbaumeln und sah Zadei seltsam an. "Weißt du, du solltest wirklich etwas netter über Titius reden. Irgendwie scheint es ihm heute nicht so gut zu gehen. Und er hat auch eine Verletzung an der Wange. Ich habe, das Gefühl, irgendetwas stimmt nicht mit ihm in letzter Zeit. Er sieht so traurig aus..." "Hat er irgendwas zu dir gesagt?" fragte Zadei plötzlich ein bisschen panisch. Wenn Laures von der Sache gestern etwas erfuhr, konnte es durchaus sein, dass er ihn endgültig verbannte... Er war eigentlich davon ausgegangen, dass Titius die Sache für sich behielt. Mittlerweile meinte er den Engelsdämon gut genug zu kennen, um zu wissen, wie er sich verhalten würde. Aber Sherril schüttelte nur den Kopf, dass die Zöpfe durch die Luft wirbelten. "Nein, Titius sagt nie etwas, wenn ich ihn frage. Er spricht nie viel über sich. Als ich ihn nach der Wunde gefragt habe, hat er gesagt, er hätte sich versehentlich geschnitten..." Sherril hatte die ganze Zeit im Raum umhergeblickt und es war wohl Zufall, dass ihr Blick genau während des letzten Satzes Zadeis Dämonenkralle streifte, an der ihre violetten Augen plötzlich hängen blieben. Ein nachdenklicher Ausdruck legte sich über ihr Gesicht, sie schien zu grübeln, als sie die spitzen Krallen betrachtete. Zadei wurde das überaus unangenehm und unwillkürlich zog er seine Klaue etwas zurück, so dass sie halb von seiner Hüfte verdeckt wurde. Nach ein paar Minuten Stille, in denen Sherril kein Wort gesagt hatte und immer noch nachzudenken schien, startete Zadei nun einen ver- zweifelten Ablenkungsversuch, der diese peinliche Stille unterbrechen sollte. "Warum bist du eigentlich gekommen? Ich habe viel zu tun. Wir haben einen neuen Jungdra- chen, den wir aufziehen müssen, da er verletzt war, als wir ihn fanden." Sherril wurde sofort hellhörig. "Was, ihr habt einen Jungdrachen hier? Darf ich den mal se- hen? Oh Bittebittebitte!" fragte sie direkt aufgeregt. "Na ja, ich weiß nicht, der Drache ist zwar schon fast gezähmt, aber du würdest dir sowieso in die Hosen machen, du traust dich bestimmt nicht auf zehn Meter an ihn ran..." meinte Zadei mit übertrieben herablassender Stimme. Doch Sherril sprang sofort drauf an. Aufgeregt sprang sie von dem Strohballen runter und hüpfte von einem Fuß auf den anderen. "Doch, doch, ich traue mich ganz bestimmt! Bitte lass mich den Jungdrachen sehen, ja? Nimm mich bitte mit, ja?!" quengelte sie und Zadei atmete innerlich erleichtert auf. Die Klei- ne war tatsächlich drauf reingefallen! Sie hatte ihre Gedanken von eben wahrscheinlich schon wieder völlig vergessen. "Na gut, wenn's denn sein muss und du danach aufhörst, mich zu nerven. Also komm mit." Er durchquerte die weitläufigen Stallungen und während Sherril aufgeregt und mit großen Augen neben ihm her trippelte, begann er zu erzählen, um ihre Aufmerksamkeit bloß nicht wieder abschweifen zu lassen: "Wie du wahrscheinlich weißt, befinden sich hier im Schloss nur die gezähmten Drachen. Es sind gerade so viele, dass die Drachenritter mit ihnen bei einem spontanen Angriff gut genug gewappnet sind, um das Schloss zu verteidigen. Aber die Trainingsgelände für die Drachen befinden sich weit außerhalb des Schlosses, damit nichts passiert, wenn beim gefährlichen Zähmen und Trainieren wilder Drachen etwas schief geht. Und die Gefahr besteht ja immer. Aber bevor wir sie Zähmen können, müssen wir sie erstmal einfangen. Das ist eine sehr ge- fährliche Sache, deshalb versuchen wir sie nach Möglichkeit direkt nach dem Schlüpfen zu fangen. Deshalb ist es wichtig, die Drachennistplätze zu kennen, die es überall in der Makai gibt..." "Nistplätze? Du meinst, wo die Dracheneier liegen, aus denen dann die Babys schlüpfen? Aber woher wisst ihr denn, wo die sind?" Sherrils Wangen glühten vor Aufregung, so dass Zadei fast schon versucht war, zu schmunzeln, was er im letzten Moment zum Glück noch verhindern konnte. Dieses kleine Biest! "Na ja, wenn durch Zufall Nester entdeckt werden, tragen wir sie in Karten ein. Und wir ha- ben schon Jahrhunderte alte Karten, auf denen die Drachennistplätze verzeichnet sind. Weißt du, Drachen pflegen immer wieder an ihren eigenen Geburtsort zurückzukehren und dort auch selbst zu nisten." "Und wo sind diese Karten?" fragte das Mädchen weiterhin aufgeregt. Zadei wunderte sich in der Tat ein wenig, dass sie das interessierte, dachte sich aber weiter nichts dabei und gab ihr Auskunft: "Die befinden sich bei den anderen Aufzeichnungen über die Drachenzucht in der Bibliothek." In diesem Moment hatten sie das letzte Stallungsgebäu- de erreicht und waren vor einem großen massiven Holztor angekommen, das mit zwei sehr schweren Eisenriegeln verschlossen war, die Zadei zurückschob. Dann öffnete er das Tor und bedeutete Sherril, ihm zu folgen. Sie betraten einen großen Raum, dessen Boden vollkommen mit einer dicken Strohschicht bedeckt war. "In diesem Stall behandeln wir kranke Tiere, es ist besser, wenn sie von den anderen getrennt sind," kommentierte Zadei beiläufig, während Sherrils Augen tellergroß wurden. In der Mitte des Raumes, mit einer Eisenkette angebunden, lag ein mittelgroßer, dunkelgrüner Drache auf dem Boden. Er hatte wohl geschlafen, als er die Besucher jedoch bemerkte, öffnete er seine scharlachroten Augen und breitete majestätisch seine Flügel aus und erst jetzt sah die kleine Prinzessin die verbundene Wunde am rechten Flügel. Begeistert hüpfte sie von einem Bein aufs andere. Für die anderen Dämonen mochte der Um- gang mit Drachen etwas Alltägliches sein, aber da ihr Vater sie ja immer so behandelte, als wäre sie aus Glas, war sie noch nie näher als 30 Meter an einen Drachen herangekommen. "Darf... darf ich ihn anfassen?" fragte sie begeistert. "Wenn's sein muss. Er ist ja schon zahm. Aber sei vorsichtig!" <> fluchte Zadei insgeheim, lehnte sich aber dann mit verschränkten Armen an die Stallwand und beobachtete, wie die Kleine sich dem großen Tier vorsichtig näherte und dann mit den kleinen Händen zaghaft über die schuppige Haut fuhr. Der Drache ließ es sich gefallen. Sherrils Wirkung auf lebende Wesen war wirklich ein Phänomen, dachte der Dämonengeneral, während er eine Weile schweigend die Szene beo- bachtete. Sherril war vollkommen versunken. Ein paar Minuten herrschte eine fast schon friedliche Stille zwischen ihnen. "Was ist eigentlich passiert?" Diese plötzliche Frage von Sherril, die die Stille zwischen ihnen zerriss, traf Zadei so unvor- bereitet, dass er deren Inhalt erst gar nicht richtig wahrnahm. "Was?" "Na ja, ich meine, du hast sieben Jahre im Keller unseres Palastes geschlafen, ich weiß prak- tisch seit meiner Geburt, dass es dich gibt. Aber sonst weiß ich nichts. Die Bediensteten haben manchmal über dich geredet. Oft habe ich ihr Geschwätz durch Zufall mitbekommen. Es machte mich neugierig. Besonders die jüngeren Dienerinnen und Mägde, die noch nicht so lange hier im Schloss sind, erzählten sich schauerliche Dinge. Sie sagten Dinge wie, dass ein sehr mächtiger, gefährlicher und blutrünstiger Dämon unten in den Katakomben ruhen würde und dass sein Erwachen Unheil über uns bringen würde. Einige sagten sogar, du wärst ein Rachegespenst oder so was. Ich habe so viele Geschichten gehört. Aber weder Mama, noch Papa oder Titius sprachen je ein Wort darüber." Während Sherril erzählte, um ihre Frage nä- her zu erläutern, sah sie Zadei nicht an. Gedankenverloren fuhr sie immerzu fort, den Drachen zu streicheln, ihre Stimme war ernst. Wieder hatte sie dieses kindliche Etwas verloren, das ansonsten ihr Wesen ausmachte. Zadei hatte das Gefühl, mit einer Erwachsenen zu reden. Aufmerksam lauschte er ihren Worten. Währenddessen musste er sich eingestehen, dass er geirrt hatte: Sherril hatte sich keineswegs durch sein Ablenkungsmanöver mit dem Drachen von ihrem Gedankengang abbringen lassen. Also war die ganze Aktion hier völlig unnötig gewesen und Zadei selber war hier der naive Kindskopf. Am liebsten hätte er sich mit der Hand vor den Kopf geschlagen. Die Kleine war wirklich nicht dumm! Aber diesen Gedanken schob er nun beiseite, kommentierte dabei Sherrils Aussage mit einem: "Klingt ja echt gruse- lig. Ist ja interessant, dass man innerhalb von so kurzer Zeit schon fast so was wie ein Mythos wird, über den man sich Geschichten erzählt." Das kleine Mädchen lächelte kurz über den Kommentar, fuhr dann aber fort zu erzählen: "Ich sprach meine Eltern und Titius darauf an, aber sie sagten mir nichts, außer dass ich diesen Gruselmärchen keine Beachtung schenken sollte. Nur wurde Titius immer sehr nervös, wenn ich mit dem Thema anfing. Das hat mich halt so unheimlich neugierig gemacht und deshalb bin ich des Öfteren am Kellereingang rum geschlichen und habe festgestellt, dass dort unten wohl regelmäßig Wache gehalten wurde. Die Wachposten haben sich Tag und Nacht immer abgewechselt." Zadei musste fast schmunzeln, als er sich vorstellte, wie Sherril sich auf die Lauer gelegt und in der Erwartung, ein großes Geheimnis zu lüften, die Geschehnisse um den mysteriösen Kel- lereingang genau verfolgt hatte. Was sie aber nun erzählte, ließ ihn den Atem anhalten. "Und dann habe ich gemerkt, dass Titius öfter hinunterging! Und das, obwohl niemand sonst außer den Wachen dies tat. Es war ja allen anderen -und vor allem mir- verboten, dort hinun- ter zu gehen. Na ja, und als ich öfter gesehen hatte, wie Titius herunter gegangen und erst nach einer ganz schön langen Zeit wieder heraufgekommen ist, bin ich irgendwann halt ein- fach hinterher geschlichen..." Sherril erzählte dies wie nebenbei, war sich absolut keiner Schuld bewusst, dass sie ein Verbot gebrochen hatte, was Zadei auch sehr gewundert hätte. Sie handelte halt ohne lange darüber nachzudenken. Irgendwie kam Zadei das bekannt vor... Aber das Gesagte gab ihm zu denken: "Titius... Titius ist nach unten gegangen?" fragte er etwas aufgeregt und auch ein klein wenig ungläubig. "Ja, sag ich doch! Also, ich bin jedenfalls hinterher. Ich folgte ihm heimlich bis in das Ge- wölbe, in dem du lagst und beobachtete alles von einem Versteck aus. Ich hatte mit den gruse- ligsten Sachen gerechnet und hatte ganz schön Angst! Ich glaubte zwar nicht das Geschwätz von einem Geist oder Ähnlichem, aber ich hatte trotzdem was Schlimmes erwartet. Einen brutalen, kaltblütigen Tyrannen vielleicht, bar jeden positiven Gefühls. Aber bereits nach ein paar Sekunden wusste ich, dass das gar nicht stimmen konnte. Dass das alles nur Geschichten und Geschwätz waren, denen man keine Beachtung schenken sollte. Denn du bist ja gar nicht so, wie alle gesagt haben. Das habe ich in diesem Moment begriffen." Zadei war etwas verwirrt, dass ging ihm alles ein wenig schnell. Sherrils Worte gaben keinen richtigen Sinn. "Woher glaubst du, zu wissen, wie ich bin? Und vor allem damals, ich meine, ich habe doch geschlafen, da konntest du wohl schlecht meinen Charakter feststellen, oder?" fragte er skeptisch. Eigentlich ärgerte es ihn, dass er sein Image des grausamen und mächtigen Dämonen in ihren Augen wohl verloren hatte, wodurch auch immer, aber zunächst wollte er diese Frage geklärt haben. Wie kam sie darauf, ihn so einzuschätzen? "Na, weil ich Titius Blick gesehen habe, als er dich ansah. Das hat mir gereicht, um zu wis- sen, was du bist. Den Ausdruck in seinen Augen werde ich nie vergessen, dass habe ich noch nie bei ihm gesehen." Einige Minuten lang herrschte Stille in dem kleinen Stall. Nur das Schnauben des Drachen war gelegentlich zu hören, während Sherril ihn weiterhin unermüdlich streichelte. Zadei war verwirrt, tausend Gedanken schossen durch seinen Kopf und doch war er unfähig, einen da- von genau zu erfassen. Sherrils Worte klangen wie eine Endlosschleife in seinem Kopf nach. <> Die Stille zwischen ihnen füllte sich mit unausgesprochenen Worten. Was auch immer Zadei sagen wollte, es erreichte Sherrils Ohren nicht. Nichts geschah und erst nach einer ganzen Weile sprach Sherril langsam weiter. Aus ihrer Stimme sprach Aufrichtigkeit, nichts davon war gelogen, daran bestand kein Zweifel. "Titius Augen sind immer so kalt. Ich meine, er ist immer so lieb und herzlich zu mir und auch Papa scheint sehr viel von ihm zu halten, Titi ist ja sein engster Vertrauter. Aber seine Augen sind so seltsam, sie machen mich traurig, wann immer ich hineinblicke. Meistens sind sie kalt und leer. Ich kenne ihn so seit meiner Geburt. Aber als wir in diesem Kellergewölbe waren, da war es irgendwie so anders. Ich meine, er wirkte zwar so unheimlich traurig, aber, na ja, seine Augen waren auch... na, lebendig halt." Nun sah Sherril ihn direkt an. Sie musterte genau sein Gesicht, schien etwas darin zu suchen, als sie fragte: "Du magst ihn, nicht wahr?" Zadei schluckte, als diese Frage so direkt an ihn gerichtet wurde. Die Kleine war wirklich nicht dumm! Kaum zu glauben, wenn man sich die Eltern so ansah... aber diese nervende Art sich in alles einmischen zu müssen, hatte sie definitiv von ihrer Mutter! Aber zurück zu seinem Problem: Was sagen? "Und wenn es so wäre?" Er würde dieser kleinen Rotznase bestimmt nicht auf die Nase bin- den, was er wirklich für Titius empfand. Obwohl Zadei absolut keinen Schimmer hatte, wie viel die Kleine eigentlich wirklich wusste... "Dann hast du ein Problem. Zwischen euch steht eine Mauer. Und Titius verstärkt sie immer mehr..." "Hör mal du Klugscheißer, ich weiß nicht, wo du das alles her hast, aber ich brauche ver- dammt noch mal nicht den Rat eines Quälgeistes wie dir!" fauchte Zadei das Mädchen nun ungehalten an. Was ging sie das überhaupt an? Aber innerlich musste er sich eingestehen, dass das Problem eigentlich eher daran lag, dass er die ganze Misere nicht noch mal vor Au- gen geführt bekommen wollte. Verdammt, er wusste selber, dass sie in einer gottverdammten Sackgasse steckten! Aber war er gestern Nacht nicht noch zuversichtlich gewesen? Er hatte mit Titius Klartext geredet und so was wie ein Versprechen, auch sich selber gegenüber, ab- gegeben: Er würde nicht aufgeben! Sherril verengte die Augen etwas zu Schlitzen und zog ob des lauten Tonfalls Zadeis eine Augenbraue hoch. Mit seinen Ausbrüchen konnte er sie nicht einschüchtern! "Ich bin selbst darauf gekommen! Ich bin doch nicht blöde! Jedes mal, wenn ihr euch begeg- net, fängt die Luft Feuer! Aber ich weiß nicht warum. Was ist vor meiner Geburt passiert? Bevor du in den Schlaf gefallen bist? Du und Titi, ihr habt euch doch vorher schon gekannt? Und irgendetwas muss passiert sein, weswegen Titius so ist... na ja, wie er halt ist." Zadei konnte nur noch schnaufend den Kopf schütteln. Mit Gebrüll würde er hier nicht wei- terkommen. Mit normaler Stimme, die allerdings bitter und sarkastisch klang, antwortete er: "Nein Sherril, das willst du nicht wissen, glaub mir. Und ich werde es dir auch nicht sagen. Nur eines: in der Vergangenheit ist soviel passiert, dass Titius Grund genug hat, mich ab- grundtief zu hassen. Das ist nun mal Tatsache und keiner kann es ändern, denn niemand ist in der Lage, die Vergangenheit zu ändern." "Die Vergangenheit nicht, aber man kann sich selber ändern. Auch wenn es schwierig ist. Und man kann es auch nicht alleine," erwiderte sie mit fester Stimme. Und dann folgte wieder Stille. Zadei fiel nichts mehr ein, was er sagen konnte. Es gab auch nichts mehr zu sagen. Sherril hatte ihm einen Rat gegeben. Auf ihre Weise. Auch sie schien alles gesagt zu haben, was sie wollte. Offenbar hatte sie akzeptiert, dass Zadei ihr nichts über die Vergangenheit erzählen wollte. Eigentlich wäre es typischer für sie gewesen, jetzt noch so lange nachzuha- ken, bis sie hatte, was sie wollte. Aber sie tat es nicht, erstaunlicherweise. "Lass uns gehen, bestimmt suchen sie dich schon. Und wenn rauskommt, dass ich dich hier rein gelassen habe, sind wir beide dran. Also komm jetzt," forderte Zadei sie schließlich. "Du hast recht," stimmte das Mädchen zu, beugte sich dann zu dem Ohr des Drachen hinüber und flüsterte etwas, wobei sie allerdings Zadei genau ansah. Ihre Stimme war gerade laut ge- nug, dass er sie verstehen konnte. "Das ist hier ist unser kleines Geheimnis. Niemand außer uns wird es erfahren," meinte sie in verschwörerischem Ton. Dann aber sprang sie auf und setzte ein Grinsen auf und hopste an Zadei vorbei in Richtung Tür, nachdem sie sich von dem Tier verabschiedet hatte. "Komm schon du Transuse, sonst finden sie uns echt noch." Jetzt war sie wieder ganz die alte, dachte Zadei bei sich. Und doch hatte er die Doppeldeutigkeit ihrer Aussage vorhin durchaus ver- standen. Ihr "Geheimnis" betraf nicht nur die Tatsache, dass er sie verbotenerweise zu dem Drachen gebracht hatte. Es ging vor allem darum, was in diesem Raum gesprochen worden war. Keines dieser Worte würde diesen Raum verlassen, dass war ihrer beider stummes Ver- sprechen. Draußen angekommen, verließen sie die Stallungen und überquerten den Hof, als sie von wei- tem schon zwei Gestalten hektisch auf sich zulaufen sahen. Es waren Hilda und die Amme. Obwohl Hilda bereits hochschwanger war, stand sie der anderen Frau in Geschäftigkeit in nichts nach (auch wenn es sie in ihrem Zustand wesentlich mehr Kraft zu kosten schien.) Schon von weitem rief sie vorwurfsvoll: "Sherril! Wo hast du nur gesteckt? Wir haben dich überall gesucht!" Besagtes Mädchen, das neben Zadei ging, quiekte mal wieder erschrocken auf, als sie die bei- den durchaus verstimmten Frauen auf sich zukommen sah und setzte wieder zur Flucht an. Und diesmal war sie schlau: Mit den Händen hielt sie ihre Zöpfe rasch fest, so dass Zadei nicht danach greifen und sie festhalten konnte, wie er es schon einmal getan hatte. Fast schon siegessicher begann sie in die entgegengesetzte Richtung zu rennen. Doch leider hatte sie die Reaktionsgeschwindigkeit des Dämonengenerals unterschätzt. Dieser streckte nämlich nur blitzschnell den rechten Fuß aus, was die Kleine zu spät bemerkte, da sie ja damit beschäftigt war, ihr Haupt zu schützen. Somit stolperte sie über den ausgestreckten Fuß und klatschte der Länge nach auf den Boden, war somit erfolgreich außer Gefecht gesetzt. Dort lag sie dann einige Minuten mit dem Gesicht auf dem Boden, ohne sich zu bewegen. Zadei grinste inzwischen über beide Ohren. "Tja, netter Versuch, aber um mich auszutricksen, musst du schon früher aufstehen." Die Tatsache, dass es für einen Dämonengeneral kein Kunststück sein sollte, ein kleines Mädchen am Weglaufen zu hindern, ignorierte er geflis- sentlich. Vom besagten Mädchen kam im Übrigen keine Reaktion. Sie lag weiterhin regungs- los am Boden. "Hey, Kleine, was soll das denn jetzt?" Mit der Stiefelspitze stupste er leicht in ihre Seite, worauf er endlich ein paar Worte vernehmen konnte, die gegen den kalten Stein gemurmelt wurden: "Lass mich, ich bin jetzt tot. Das hast du nun davon." Noch bevor er etwas sagen konnte, waren die beiden Frauen endlich bei ihnen angekommen. Sie hatten das kleine Spiel nicht genau mitbekommen, glaubten, Sherril sei über ihre eigenen Füße gestolpert. Das Kindermädchen zog sie mit einem Ruck auf die Beine und Hilda meinte: "Siehst du, das hast du nun davon. Warum hörst du nur nie auf uns und haust immer einfach ab?!" Da mischte sich jedoch die Amme ein. "Mit Verlaub Lady Hilda, ihr solltet auch besser auf die Ratschläge des Arztes hören. In eurem Zustand dürftet ihr gar nicht mehr so hier he- rumlaufen. Ich bitte euch, geht wieder in eurer Gemach. Herr Laures wird mir den Hals um- drehen, wenn er erfährt, dass ich zugelassen habe, dass ihr hier herumlauft! Und vielen Dank an euch, Herr Zadei, dass ihr sie gefunden habt!" meinte sie an besagten Dämon gewandt, wurde aber sogleich energisch von Hilda angesprochen. "Keine Sorge, ich weiß was ich tue. Und ich habe definitiv nicht vor, den ganzen Tag nur in meinem Zimmer rum zu sitzen und abzuwarten. Und jetzt bringt Sherril bitte schon mal rauf, ich komme gleich nach." Die Amme konnte nach diesen Worten nur seufzend nicken. Gegen die Energie ihrer Herrin kam sie nicht an. Also tat sie, wie ihr geheißen. Sie verbeugte sich vor Zadei höflich und zog Sherril mit sich, die Zadei noch einmal die Zunge rausstreckte um ihm klarzumachen, was sie davon hielt, dass er sie "verraten" hatte. Als die Amme und das Kind außer Sichtweite waren, erlaubte Hilda sich nun doch, ange- strengt Luft zu holen. Sie stützte sich mir einer Hand an einer Mauer ab und man sah ihr plötzlich deutlich an, dass sie die Herumlauferei doch ziemlich viel Kraft kostete. Zadei sah sie an. "Versteh mich nicht falsch, Lady Hilda, es interessiert mich eigentlich nicht wirklich und ich habe auch nicht viel Ahnung von Schwangerschaft, aber es scheint ja ganz schön an- strengend zu sein, so herum zu rennen. Wäre es da nicht wirklich klüger, sich auszuruhen? Ich frage nur, weil du so aussiehst, als würdest du gleich zusammenklappen." Hilda sah ihn daraufhin nur verbissen an. "Natürlich wäre es angenehmer für mich, wenn ich einfach auf meinem Zimmer bliebe, aber ich will beweisen, dass ich mir nichts vorschreiben lasse, von niemandem!" "Ich fürchte, ich kann nicht ganz folgen..." Die blonde Frau strich sich eine Haarsträhne aus dem verschwitzten Gesicht. "Na, Laures und Titius würden mich am liebsten in einen goldenen Käfig sperren, sie behandeln mich als wäre ich aus Glas! Also..." "...rennst du allein aus Trotz hier rum und verausgabst dicht total," schloss Zadei, während er eine Augenbraue hochzog. Einen Moment lang war er sich nicht sicher, ob er Sherril oder ihre Mutter vor sich stehen hatte. Denkensweise und Dickschädel waren exakt dieselben. Hilda hatte durch ihre Mutterschaft offenbar doch nicht soviel an Ver- nunft hinzugewonnen, wie er anfänglich geglaubt hatte. Diese bemerkte Zadeis herablassenden Blick und meinte: "Ich weiß genau, was du jetzt denkst. Wahrscheinlich denkst du, ich bin total irre. Aber es ist nun mal meine Art, ich kann's nicht ändern. Ich hasse es, wenn man mich bevormunden oder einsperren will. Ich weiß, dass Laures das alles tut, weil er mich liebt. Er will nur das beste für mich. Aber manchmal habe ich das Gefühl, dass er mich am liebsten vor jedem und allem wegsperren würde, um mich ausschließlich für sich allein zu haben. Darum muss ich regelmäßig zeigen, dass ich so etwas nicht will, damit er wieder auf den Teppich kommt." <> Zadei erinnerte sich seiner eigenen Worte, die er zu Titius in jener Nacht nach dem Ball ge- sagt hatte. "Aber ist es denn nicht normal, dass man das Wesen, welches man liebt, allein für sich haben möchte?" "Ja, aber es ist auch egoistisch." "Liebe ist egoistisch. Wie alles andere, was wir tun auch." "Das stimmt. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Man darf in seinem Egoismus nicht soweit gehen, dass man den anderen einschränkt oder ihn verletzt. Solange das der Fall ist, handelt es sich nicht um Liebe. Es ist etwas anderes. Begehren, Verlangen vielleicht, aber keine Liebe." Sie sah Zadei direkt an und er sie. Eine Weile tauschten sie nur ihre Blicke, bis Zadei sich schließlich abwandte. "Interessant. Deine Tochter hat auch schon versucht, mir Ratschläge zu erteilen. Wer kommt als nächstes? Will dein ungeborenes Baby mir vielleicht auch noch ein paar Tipps geben?" sagte er mürrisch. Allerdings herrschte er sie nicht an wie sonst jemanden, der versuchte, ihm Ratschläge zu geben. Wahrscheinlich hatte ihn Sherril schon zu mürbe gemacht. Aber Hilda sah ihn nicht mit einem missbilligendem Blick an, wie Titi es vielleicht getan hät- te, sondern sie lachte auf. Es war ein klares, helles Lachen, wie der Klang kleiner Glöckchen. "Nun, du kannst ihn ja mal fragen. Aber ich fürchte, du wirst dich noch etwas gedulden müs- sen. Der Arzt meinte, es kann noch zwei, vielleicht auch drei Wochen dauern, bis Laures Sohn das Licht der Welt erblickt. Ich bin mir sicher, dass es ein Junge wird..." Damit strich sie liebevoll über die Wölbung unter ihrem Kleid." Zadei verdrehte die Augen. Na toll, noch so'n Balg, dass ihm auf die Nerven ging! Vielleicht sollte er Titius doch aufgeben und das Weite suchen, so lange er noch konnte... Aber als er in Hildas liebevoll lächelndes Gesicht sah, verkniff er sich zum ersten Mal eine derartige Be- merkung, warum, wusste er selber nicht. "Na, dann werd ich mal. Hab noch zu tun," verab- schiedete er sich kurz angebunden und ließ die junge Frau stehen. Hilda war etwas überrascht über Zadeis fluchtartigen Abgang, zuckte dann aber nur mit den Schultern und beschloss, doch lieber wieder in ihr Zimmer hinauf zu gehen. Man musste ja nicht zu sehr übertreiben... ********** Der restliche Tag hielt für Zadei noch ziemlich viel Arbeit bereit, so dass er recht schnell ver- ging und Zadei abends mit der Feststellung ins Bett ging, Titius nicht einmal zu Gesicht be- kommen zu haben. Es war doch alles in Ordnung? Die Wunde, die er ihm zugefügt hatte, war ja wohl nicht so schlimm gewesen... er hatte ihn ja nur etwas einschüchtern wollen, um ihn aus der Reserve zu locken, was ihm scheinbar auch gelungen war. Nun, es würde sich für Za- dei schon noch eine Gelegenheit bieten, sich mit eigenen Augen davon zu überzeugen, wie es seinem Engel ging. Diese Gelegenheit bot sich schon am nächsten Morgen, allerdings für beide ziemlich unver- hofft. Zadei war auf dem Weg zu Laures Arbeitszimmer, um mit ihm über seine Pläne bezüg- lich der Erweiterung der Dracheställe zu sprechen. Dort angekommen, klopfte er an die Tür, aber wie es nun mal seine Art war, wartete er nicht auf eine Antwort, sondern betrat einfach das Zimmer, auch wenn er sich dafür wieder einen Verweis einhandeln würde. Er mochte es einfach zu sehr, den Dämonenfürsten zu provozieren. Aber der Verweis blieb aus, aus dem einfachen Grunde, dass Laures nicht im Zimmer war. Dafür allerdings Titius, der erschreckt aufblickte, als er so plötzlich Zadei durch die Tür treten sah. Fast hätte er den Stapel Papiere fallen lassen, den er soeben auf den riesigen Schreibtisch seines Herrn legen wollte. Auch Zadei war im ersten Moment etwas verdutzt, sprach ihn dann aber in völlig gewöhnli- chem Tonfall an. "Ich hatte eigentlich Laures erhofft zu sehen. Ich wollte was mit ihm be- sprechen. Weißt, wo er ist?" Der Dämon mit den weißen Flügeln begann, die Blätter wieder zu ordnen und sie gut sichtbar auf die Mitte des Schreibtischs zu legen. Er bemühte sich merklich um einen ebenso nebensächlichen Tonfall, hielt dabei aber den Kopf gesengt, so dass sein Haar sein Gesicht verdeckte und Zadei es nicht sehen konnte. Er konnte ihm offen- bar nicht in die Augen schauen. "Ich hatte auch geglaubt, ihn hier zu finden, normalerweise ist er um die Zeit immer hier. Vielleicht kommt er ja gleich. Wenn ihr ihn seht, könnt ihr ihm bitte ausrichten, dass ich die Papiere auf den Schreibtisch gelegt habe?" Damit wandte Titius sich zum Gehen, noch immer ohne ihn anzusehen. Trotzdem bemerkte Zadei seine angespannte Haltung, als Titi an ihm vorbeiging. "Du hast Sherril gesagt, du hättest dich versehentlich geschnitten?" fragte er ganz unvermit- telt. Titi blieb stehen und hob den Kopf. Der kleine Schnitt unter dem Auge war schon fast wieder verheilt, wie Zadei mit Erleichterung feststellte. "Hätte ich ihr etwa die Wahrheit sagen sollen?" "Hättest du es getan, würde Laures mich mit Sicherheit aus dem Schloss verbannen." Er be- merkte genau, wie Titius sich auf die Unterlippe biss. Zadei hätte jetzt gerne eine Antwort gehört, die ihn weiterbrachte. Aber dazu kam es nicht, denn in diesem Moment wurde die Tür zum Arbeitszimmer aufgerissen und Sherrils Kinderfrau stürzte hektisch hinein. "Oh, Zadei-sama, Titius-sama, gut, dass ich euch hier finde! Wo ist Sherril? Haben sie sie gesehen?" Die gute Frau wirkte eigentlich immer irgendwie hektisch, aber diesmal war es schlimmer als sonst. "Nun, hier ist sie nicht", stellte Zadei fest, sah aber sicherheitshalber noch mal an seinem Bein hinunter, nur um sicherzustellen, dass nicht doch das gewünschte Objekt daran klebte. Aber nein, da war nichts. Doch nun wurde die Amme geradezu panisch. "Oh, nein, dass sie bei ihnen wäre, war unsere letzte Hoffnung. Dann hat Laures-sama doch recht..." Plötzlich begann sie zu schluchzen und schlug die Hände vors Gesicht. Zadei überkam ein ziemlich unangenehmes Gefühl und auch Titius wurde sichtbar nervös. Er eilte zu der Frau und fasste sie sanft, aber bestimmt an den Schultern. "Was ist denn passiert? Womit hat Laures-sama recht?" Schluchzend blickte sie ihn an: "Als ich heute Morgen in ihr Zimmer kam, war ihr Bett leer. Ich dachte, sie ist halt wie sonst wieder ausgebüchst, aber auch nach langem Suchen konnte ich sie nicht finden, obwohl ich schon alle Bediensteten eingespannt habe. Also musste ich es dem Herrn sagen und er hat gleich gesagt, dass er ihre Aura nicht in der unmittelbaren Nähe spüren kann. Wo kann sie nur sein?" Wie auf Bestellung kam nun einer der Soldaten angehetzt, rannte ins Zimmer und fiel vor den höher gestellten Dämonen auf die Knie, ehe er atemlos verkündete: "Zadei-sama, der Jung- drache, den wir neulich fanden, der Verletzte, er ist weg! Ich habe es nur durch Zufall be- merkt!" Zadeis Augen weiteten sich für einen Augenblick, als er eins und eins zusammenzählte. Er blickte die Amme an, die erneut in Tränen ausbrach und dann zu Titius, der seinen Blick mit versteinerter Miene erwiderte. "Zadei-sama, der Drache... meint ihr, Sherril hat... sie kann doch nicht... und, wo sollte sie denn hin...?" stammelte er fassungslos, als der Soldat fort fuhr, ehe Zadei antworten konnte. "Bitte kommen sie beide sofort in den Hof, es wird eine groß angelegte Suchaktion gestartet! Laures-sama hat angeordnet, dass die ganze Kompanie ausrücken soll. Kommen sie bitte schnell, er ist völlig außer sich!" Die Amme sank auf einem Sessel in sich zusammen. "Was kann sie nur wieder vorhaben? Warum hat sie das Schloss verlassen?" Zadei blickte einen Moment zu Boden, als er nachdachte. Ja, was konnte der Grund dafür sein? Konnte es vielleicht sein, dass...?! Titius wandte sich augenblicklich zum Gehen, blickte sich aber nach Zadei um. "Was ist, Za- dei-sama? Wir müssen uns beeilen! Der Befehl gilt auch für euch!" Aus seinen Gedanken gerissen blickte Zadei auf. "Titius, geh schon mal vor, ich komme so- fort nach. Ich muss nur noch etwas nachprüfen!" Damit ging er schnellen Schrittes an dem verdutzten Titius vorbei. Er eilte die Flure entlang, durchquerte im Laufschritt das halbe Schloss, bis er endlich den Raum erreicht hatte, den er suchte. Er öffnete die großen Flügeltüren der Bibliothek, eilte an den zahllosen Bücherregalen vorbei bis in den hinteren Teil der großen Halle, wo sich die wichtigeren Aufzeichnungen des Schlosses befanden. Und mit einem Blick auf einen großen Holztisch, der vor den Regalen stand, bestätigte sich seine Vermutung, ohne dass er näher hinsehen musste. Trotzdem ging er zu dem Tisch und betrachtete die ausgebreiteten Papiere und Karten, die fast den ganzen Tisch bedeckten. Es waren die Aufzeichnungen über die Drachennistplätze. Natürlich. Darum hatte Sherril ihn also nach deren Aufbewahrungsort gefragt! Und er hatte es ihr auch noch so genau erklärt! Sie hatte ihren Plan, die Drachennistplätze zu sehen, also nicht aufgegeben. Und da Zadei sie nicht mitnahm, versuchte sie es nun auf eigene Faust. Dieser verdammte Sturkopf! Wütend fegte Zadei mit einer einzigen Bewegung die Papiere zum Tisch. Ein kleines Mäd- chen, allein mitten in der Makai! Und wenn sie tausendmal die Tochter des Dämonenfürsten war, die dummen Monster und Unterdämonen, die hier hausten, fragten nicht lange nach dem Rang des Opfers, dass sie gerade im Begriff waren zu fressen! Zadei schlug mit der Faust auf den Tisch. Was war er auch so dumm gewesen, ihr den Jungdrachen zu zeigen! Er hatte sie ja förmlich zu dieser Tat eingeladen! Aber die Grübelei half jetzt auch nicht. Sie mussten sie so schnell wie möglich finden. Er zog aus dem Gewühl eine große Karte hervor, auf denen die Nistplätze mitsamt den vermuteten Schlüpfdaten verzeichnet waren. Er überflog die Daten. Es kamen fünf Nester in Frage, in denen entweder gerade junge Drachen geschlüpft waren oder in denen es vermutlich in diesen Tagen dazu kommen würde. Welches hatte Sherril gewählt? Das größte, das kleinste, das, was am nächsten lag oder das, was am weitesten weg war? Herr Gott, sie würden einfach alle abklappern müssen! Hektisch packte Zadei die Karte und eilte auch zum Schlosshof, wo sich bereits die komplette Kompa- nie rüstete. Es herrschte reges Chaos, der Hof wimmelte von Drachen, die bereit gemacht wurden. Schon von weitem sah er Laures und Titius mitten im Gewühl. Es war nicht schwer, denn Laures verströmte eine Aura, die man nur schwer übersehen konnte. Seine Aura hatte momentan et- was von einem Sturm, eine Gewitternacht über dem tosenden Meer. Auch die Bediensteten und Soldaten, die um ihn herum liefen, merkten es: sie machten alle einen großen Bogen um ihn, nahmen seine herrischen Kommandos mit bleichen Gesichtern entgegen. Zielstrebig hielt Zadei auf ihn zu. "Laures! Es scheint so, als ob Sherril aufgebrochen ist, um ein Drachennest zu sehen. Ich habe hier eine Karte mit möglichen Zielen!" Laures drehte sich um, als er Zadeis Stimme hinter sich vernahm. Titius tat es ihm nach. Za- dei stockte einen Augenblick. Sein Engel war kreidebleich. "Was sagst du da?! Woher weißt du das?" Laures packte Zadei am Kragen und zog ihn zu sich heran. Und dieser musste zugeben, dass die Bediensteten gut daran taten, Abstand von ihm zu halten. So hatte selbst er den Dämonenfürsten selten erlebt. Laures, der doch immer diese gewisse Überlegenheit ausstrahlte, diese Gelassenheit, die Zadei immer den letzten Nerv geraubt hatte. Aber genau dieser Mann zeigte nun mehr den je, was er eigentlich war: Ein Dämon. Seine unergründlichen violetten Augen versprühten Funken und eine stumme Dro- hung, das Lächeln war einer steinernen Maske gewichen, die keinen Zweifel daran ließ, dass er bereit war, jeden ohne mit der Wimper zu töten, der sich ihm den Weg stellte. So hatte Za- dei ihn wirklich selten erlebt. Eigentlich immer nur dann, wenn es um Laures geliebte Hilda ging. Und jetzt ging es um seine Tochter. Seine Familie schien wirklich das einzige zu sein, was ihn aus der Fassung bringen konnte. Dafür aber so richtig. Zadei beschloss klugerweise, sich jetzt nicht unbeliebt zu machen. Laures jetzt zu provozie- ren, konnte ziemlich gefährlich sein; er war völlig außer sich. Also meinte Zadei mit betont ruhiger Stimme: "Ich kann es mir denken, weil sie mir gegenüber oft erwähnte, dass sie gerne mal ein Dra- chennest sehen wollte. Ich habe es ihr natürlich verboten und darum ist sie jetzt wohl auf ei- gene Faust los!" Den Teil über die Tatsache, dass er selber ihre Neugier noch geschürt und ihr den Jungdrachen gezeigt hatte, ließ er geflissentlich erst mal weg. Verdammt, er hatte doch auch nicht ahnen können, dass das solche Konsequenzen nach sich ziehen würde! Und Laures ließ ihn tatsächlich los, blickte ihn nur weiterhin finster an. "Dann kümmere dich schnell darum, dass alle von den Zielen erfahren. Ich will keine Sekunde mehr verlieren. Ich will, dass alles verfügbaren Soldaten ausrücken. Erste Trupps habe ich schon rausgeschickt," donnerte er im Befehlston, wandte sich dann seinem eigenen, riesigen schwarzen Drachen zu. Auch Titius ließ sich ein Tier bringen. Die Sorge um Sherril stand ihm ins Gesicht geschrie- ben, natürlich wollte er bei der Suche helfen. In diesem Moment hörte man einen Tumult, der vom Schlosstor herrührte. Mehrere Bediens- tete stürmten aus dem Schloss hektisch auf den Platz und auf Laures und Titius zu. Bei ihnen angekommen, warfen sie sich in den Staub und der erste brachte atemlos hervor: "Laures- sama, verzeiht, Lady Hilda geht es nicht gut! Sie war so geschockt von der Nachricht von Lady Sherrils Verschwinden. Die Wehen haben eingesetzt!" "Oh nein, nicht jetzt!" Laures sprang wieder von seinem Drachen, fasste aber augenblicklich einen Entschluss. "Titius!" Allein der Name klang wie ein Befehl und augenblicklich stand dieser neben seinem Fürsten. "Titius, du nimmst nicht an der Suchaktion teil. Du bleibst hier im Schloss und kümmerst dich um die Geburt. Du trägst die Verantwortung!" "Aber Laures-sama, ich will auch helfen! Wir brauchen doch jeden Mann, den wir kriegen können. Und der Arzt ist doch da... Ich kann doch nicht hier bleiben, wenn Sherril..." Blitz- schnell hatte Laures ihn am Hals gepackt und mehrere Zentimeter hoch in die Luft gehoben. Seine Stimme war ein einziges Donnergrollen. "Wage es nicht, mir ausgerechnet jetzt zu widersprechen! Du warst bei der ersten Geburt da- bei, Hilda vertraut dir! Du musst sie beruhigen, weil ich es jetzt nicht kann. Du trägst die Ver- antwortung dafür, dass dieses Kind gesund zur Welt kommt!" Dann zog er den entsetzten Engelsdämon noch näher an sich heran und durchbohrte ihn mit seinen Blicken. "Wenn mei- ner Frau oder dem Kind etwas zustößt, ziehe ich dich dafür zur Rechenschaft, hast du das verstanden?!" Titius nickte nur stumm, mit aufgerissenen Augen, worauf Laures ihn unsanft zu Boden fallen ließ. Zadei beobachtete die Szene von einigen Metern Entfernung. Als er sah, wie Laures Titius so schroff behandelte, wollte er eingreifen, wurde aber von mehreren Soldaten eingekeilt, die ihn mit Fragen und der Bitte nach Anweisungen bestürmten. Zu seiner Erleichterung stellte er fest, dass Laures seinen Diener wieder losließ, mehr bekam er nicht mit, da er versuchen musste, den chaotischen Haufen zu koordinieren. Die Soldaten waren überaus hektisch, wuss- ten sie doch, dass vielleicht ihr letztes Stündlein geschlagen hatte, sollte der kleinen Lady etwas zustoßen. Ihr Fürst war zwar besonders in den letzten Jahren zu einem sehr gerechten Herrscher geworden, aber wenn er selber geladen war, würde er nicht zögern, allein aus Wut alle zur Hölle zu schicken, die sich in seiner Nähe befanden. Auch wenn der Dämonengeneral es sich nicht gerne eingestand, er begann selber, ziemlich hektisch zu werden und die Soldaten anzubrüllen, als gelte es, einen Krieg zu gewinnen, der dass Ende der Welt entschied. Es konnte doch nicht sein, dass ihn das ganze so mitnahm?! Verdammtes Gör! Er teilte schnell Geschwader ein, nannte ihnen Ziele und Vorgehensweise, bis er sich schließ- lich selbst an die Spitze des letzten Trupps stellte. Alle anderen Geschwader rückten aus und Laures war schon längst alleine los geflogen. Gerade wollte Zadei seinen eigenen Drachen besteigen, als er spürte, wie jemand ihn am Arm zurückhielt. Er fuhr herum und wollte den Idioten gerade anschnauzen, der immer noch nicht kapiert hatte, in welche Reihe er gehörte, als er mit Überraschung feststellte, dass es sich um Titius handelte, der ihn am Arm festhielt und mit verzweifelter Miene anschaute. Zadei liebte die helle, sanfte Haut seines wunder- schönen Engels, aber so bleich, wie dieser jetzt war, sah es selbst bei ihm ungesund aus. "Zadei-sama... ihr werdet Sherril doch sicher zurückbringen, oder?" fragte er mit zitternder Stimme. "Ich kann nicht mithelfen, dabei wollte ich doch auf sie aufpassen! Ich hatte... doch geschwo- ren...", seine blauen Augen füllten sich mit Tränen, die Unterlippe zitterte, "Wenn Sherril etwas zustößt, dann..." Zadei legte einen Finger auf Titius bebende Lippen. "Keine Sorge. Wir wissen, wo wir sie suchen müssen. Und wir finden sie. Bestimmt," sagte Zadei mit fester Stimme, verzog dabei seine Mundwinkel zu einem kleinen Lächeln. Und zu seiner Überraschung entspannten die Gesichtszüge des weißhaarigen Engelsdämonen etwas, der Griff an Zadeis Arm ließ etwas nach. Dann ließ er schließlich ganz los und ging einen Schritt zurück. Im Hintergrund hörte man ein Dienstmädchen rufen: "Titius-sama! Lady Hilda ruft nach ihnen! Und wir haben die Tücher, wie viel heißes Wasser brauchen sie?" Titius blickte sich kurz um. "Ich komme sofort, einen Moment!" Schnell wandte Titius sich wieder an Zadei. Er zwang sich sichtlich zur Ruhe, um seinen Pflichten nachkommen zu kön- nen. "Zadei-sama, Lady Sherril verfügt noch nicht über Angriffsmagie. Sie beherrscht bis jetzt nur ein paar einfache Schutzzauber. Ich dachte, es ist gut, wenn ihr das wisst," erklärte er noch hastig. "Gut zu wissen. Also, wird schon schief gehen. Ich bring sie zurück!" versprach Zadei. Er musste sehr zuversichtlich wirken, denn Titius' Züge entspannten sich noch mehr. Nickend trat er zurück, um den Drachen beim Abheben nicht im Weg zu sein. Und Zadei glaubte sogar den Ansatz eines kleinen Lächelns zu sehen, als er sich nun mit dem großen Tier in die Lüfte erhob. Es war so schön, zu sehen, dass er sich wünschte, dass er sein Versprechen halten konnte. Aber leider war er nicht so zuversichtlich, wie es wohl ausgesehen hatte. Die Dämonenwelt außerhalb des Schlosses bot viele Gefahren. Nicht nur für ein kleines Mädchen. Aber Titius vertraute ihm doch nicht etwa wirklich? Nie, kein einziges Mal, seit Zadeis Erwa- chen, war der Dämonenengel ihm freiwillig so nah gekommen. Wahrscheinlich wusste dieser in dieser Ausnahmesituation, in der er voller Sorge um Sherril war, gar nicht wirklich was er tat. Aber er war zu Zadei gekommen. Er hatte Zadei darum gebeten, seinen Schützling wieder zurückzubringen. Das bedeutete Zadei mehr, als alles andere. ********** Eine ganze Weile waren Zadei und seine Truppe nun schon unterwegs zu einem Nest, dass Zadei ganz bewusst für sich ausgesucht hatte. Er hoffte inständig, dass sein Gefühl richtig war, das ihm sagte, dass Sherril sich genau dieses ausgesucht hatte. Es war nämlich das, in dem auch ihr Jungdrache geschlüpft war. Und Sherril war nicht dumm. Sie hatte Zadei wohl genau zugehört und wusste, dass Drachen ihren eigenen Geburtsort immer quasi blind wieder fanden. So ersparte sie sich das Kartenlesen. Eigentlich müssten sie sie bald eingeholt haben, wenn sie wirklich diese Route genommen hatte. Sie hatte zwar einen enormen zeitlichen Vorsprung, allerdings war ihr kleinerer Drache um einiges langsamer als die größeren von Zadei und seinen Leuten. Hinzu kam noch, dass die Verletzung an dessen Flügel zwar weitestgehend verheilt war, das Fliegen allerdings im- mer noch beeinträchtigen würde. Das Mädchen würde also gezwungen sein, Pausen zu ma- chen. Zadei konnte nur hoffen, dass sie das mit dem Fliegen einigermaßen hinbekam und das Tier kontrollieren konnte und der Drache sie nicht hintrug, wohin er wollte. Denn dann war sie wirklich verloren. Gerade, als ihn dieser Gedanke beinahe entmutigen wollte, erblickte er am Horizont einige schwarze Punkte. Er trieb seinen Drachen zu mehr Schnelligkeit an, so dass seine Männer kaum noch mithalten konnten, deren Tiere nicht so kräftig und wendig waren wie sein eigenes. Dann, endlich erkannte er das Mädchen! Aber diese kurze Erleichterung wurde direkt vom nächsten Schreck zunichte gemacht. Denn sie war nicht alleine. Drei riesige Ungetüme umschwebten sie. Noch nicht mal Zadei konnte ihre Rasse genau ausmachen. Sie sahen aus, wie etwas zu groß geratene, fliegende Zitterrochen. Es war schon seltsam, was die Makai so an Lebewesen hervorbrachte. Aber für solche Gedanken hatte er jetzt keine Zeit. Er trieb seinen Drachen noch einmal kräftig an. Er war immer noch zu weit entfernt! Sherril blickte panisch um sich. Wo waren diese Viecher denn auf einmal hergekommen?! Sie kreisten sie ein, umflogen sie in immer enger werdenden Kreisen. Ein paar mal schlugen sie mit ihren Tentakeln nach ihr, bis jetzt hatte sie immer entweder ausweichen oder kurz einen kleinen Schild erschaffen können. Aber die Dinger schienen sie nur zu testen, sie wusste nicht, was sie tun sollte, wenn sie nun anfangen sollten, sie ernsthaft anzugreifen. Tränen stie- gen ihr in die Augen. So hatte sie sich das eigentlich nicht vorgestellt. Und nun kam das erste der drei Biester mit weit geöffnetem Maul auf sie zu. Sherril schloss die Augen, errichtete einen weiteren kleinen Schild und betete, dass er halten würde. Doch dann hörte sie nur ein lautes Zischen, dass Vieh gab einen schrillen Laut von sich und dann roch es nach verbrann- tem Fleisch. Erschrocken riss Sherril die Augen auf und automatisch ließ Erleichterung Tränen über ihre Wangen laufen, als sie Zadei in einigen Metern Entfernung sah. "Onkel-Zadei!" "Freu dich nicht zu früh! Du bist die nächste, die ich mit eigenen Händen umbringen werde. Wie viel geballte Blödheit passt eigentlich in deinen kleinen Schädel?!" knurrte er, musste sich aber dann auf die beiden Viecher konzentrieren, die ihn nun zu zweit ins Visier nahmen. Und dann ging alles plötzlich Schlag auf Schlag. Er kämpfte mit ihnen, wich aus, attackierte den einen, verlor dabei für einige Momente das Mädchen aus dem Blick, hörte sie nur krei- schen, erledigte auch den zweiten, um mit Erschrecken festzustellen, dass weitere Tiere auf der Bildfläche erschienen waren. Die drei ersten waren nur die Kundschafter für eine ganze Herde gewesen! Sherril war abermals umzingelt. Ein kurzer Blick nach hinten sagte Zadei, dass seine Leute immer noch zu weit entfernt waren, um zu helfen. Und schon griffen zwei Monster gleichzeitig das Mädchen an. "Verdammte Mistviecher!" Der kleine Drache schaffte es, auszuweichen, doch Sherril verlor den Halt und stürzte nach unten. Im Schock sah sie nur noch den dichten Wald unter sich näher kommen, bekam sonst nichts mehr mit, konnte deshalb auch zunächst kaum realisieren, das etwas sie auf einmal festhielt und am weiteren fallen hinderte. Als sie benommen aufblickte, sah sie über sich Za- dei, der sie von seinem Drachen aus am Arm festhielt, während sie in der Luft baumelte. Er sah sie an, achtete für einen Augenblick nicht darauf, was hinter ihm geschah. "Alles in Ord- nung?" Sherrils Augen weiteten sich. "Pass auf, hinter dir!!! Doch es war schon zu spät. Eines der Viecher hatte eine Energiekugel abgefeuert, die direkt auf Zadei zielte, der erst aufblickte, als das Ding direkt vor ihm war. Dann war es nur noch gleißend hell. Sherril musste die Augen schließen, hörte noch das Ge- schrei der anderen Soldaten, dass Kreischen der Biester, noch mehr Explosionen. Und das letzte, was sie spürte, war, wie der eiserne Griff, der die ganze Zeit sicher ihren Arm hielt, plötzlich kraftlos wurde und sich langsam löste. Dann stürzte sie abermals in die Tiefe. Kapitel 5: ----------- Seufzend sah Titi aus dem großen Fenster in Hildas Schlafgemach und legte die Hand an die kühle Scheibe, suchte mit den Augen den blauen Himmel ab. "Immer noch nichts zu sehen?" erklang hinter ihm die leise Stimme von Hilda. Titius drehte sich kopfschüttelnd zu der blonden Frau um, die in viele weiche Kissen und Decken gehüllt halb in ihrem Bett saß. Sie sah sehr erschöpft aus, war etwas blass und ihre Augen machten einen müden Eindruck. Aber dennoch wirkte sie unglaublich schön. Ihre blonden Haare waren offen und flossen in weichen Locken um sie herum über die seidenen Kissen. Und man sah das Glück in ihren Augen und das sanfte Lächeln, dass ihre Lippen umspielte, als sie auf das kleine, in warme Decken eingehüllte Bündel in ihren Armen hinuntersah. Titius trat an das Bett heran und ließ sich sachte auf die Bettkante gleiten. Die letzten Stunden waren für alle Beteiligten recht anstrengend gewesen. Hilda hatte einige Stunden in den Wehen gelegen, bevor es endlich soweit war. Und ständig waren Dienstboten geschäftig durch das Zimmer gewuselt, die Stimmung war ungewöhnlich hektisch gewesen. Denn zum einen schwebte nicht nur die Angst um Sherril die ganze Zeit wie eine dunkle Wolke über ihnen, sondern nun auch noch die Sorge um das Baby, dass immerhin eine Frühgeburt war. Hilda war von der Nachricht vom Verschwinden ihrer Tochter derart geschockt gewesen, dass dies die Geburtswehen ausgelöst hatte. Aber es war gut gegangen. Das Kind war gesund zur Welt gekommen, wenn auch etwas kleiner und schwächer als gewöhnlich. Das war allerdings normal für eine Frühgeburt und würde sich bald legen. Nach dem alles überstanden war hatte Titius jedenfalls erstmal alle aus dem Zimmer rausgeschickt, damit die junge Mutter endlich etwas Ruhe haben konnte. Und nun herrschte erstmals seit den letzten Stunden Ruhe um sie beide. Liebevoll strich Titius Hilda eine feuchte Strähne aus dem Gesicht. "Es wird schon gut gehen. Ich meine, die gesamte Drachenkompanie befindet sich draußen. Sie werden es schon schaffen." Sagte Titius mit beruhigender Stimme, wie er es die letzten Stunden schon so oft getan hatte, um wenigstens Hilda ihre Angst etwas zu nehmen. Er versuchte dadurch auch seine eigene Unsicherheit zu verbergen, die ihn langsam aber sicher von innen immer mehr zerfraß, je mehr Zeit verstrich. Laures Frau nickte nur leicht. "Ja, du hast Recht." Allerdings wirkte ihre Stimme nicht so sicher, wie sie den Engelsdämon glauben machen wollte. "Aber ich bin froh, dass wenigstens du hier geblieben bist. Wenn ich allein gewesen wäre, ich glaub ich wäre verrückt geworden. Dabei weiß ich doch, dass du lieber bei der Suche nach Sherril mitgeholfen hättest...Es tut mir leid." Sie lächelte Titius entschuldigend an. "Nein, nein, denkt bitte nicht, dass ihr an irgendetwas Schuld seid! Ich bin froh, wenn ich euch helfen kann! Ich bin genauso euer ergebener Diener wie der von Laures-sama!" "Daran zweifle ich auch gar nicht. Aber glaub mir, wäre mein kleiner ungeduldiger Sohn nicht dazwischen gekommen, ich hätte mich selber auf einen Drachen geschwungen und hätte Sherril selber gesucht!" "Das hättet ihr gewiss, daran besteht kein Zweifel. Und im Notfall hättet ihr das Kind halt unterwegs zur Welt gebracht. Ihr habt den gleichen Dickschädel wie eure Tochter." Beide fingen an, leise zu lachen, merkten aber nach wenigen Sekunden, wie ihnen beiden die Tränen in die Augen stiegen. Sie wurden beide ganz still und Titius wandte sich hilflos ab, um ein weiteres Mal zum Fenster zu gehen und wieder hinauszuschauen, wie er es die ganze Zeit immer wieder hoffnungsvoll tat. Und obwohl er es jetzt schon kaum mehr erwartete, sah er dieses Mal endlich das ersehnte. Gerade landeten mehrere Drachen im Hof, wurden von ungeduldigen Bediensteten umzingelt. Das einzige, was Titius genau ausmachen konnte, war der große Drachen von Laures, der aus der Menge deutlich hervorstach. Mehr Details konnte er von hier oben nicht erkennen. Augenblicklich fuhr Titi herum und eilte schon zur Tür. "Sie sind angekommen. Laures-sama ist da!" rief er Hilda noch zu. "Schick ihn bitte zu mir ja?" rief ihm Hilda aufgeregt hinter her, die ihre Tränen nun nicht mehr zurückhalten konnte, während sie gleichzeitig ein Stoßgebet zum Himmel schickte, dass ihr Geliebter gute Nachrichten bringen würde. Titius nickte ihr eilig zu und war schon aus der Tür. Er würde Laures wohl nicht extra auffordern müssen, zu seiner Frau und seinem neugeborenen Sohn zu gehen. Auch Titius betete inständig, dass Laures und Hilda an diesem Tag nicht ein Kinderleben gegen ein anderes eintauschen mussten. Schnell hastete er die Flure entlang, die große Treppe zur Eingangshalle hinunter und durchquerte diese in Richtung Ausgang, als das große Eingangstor auch schon aufschwang und eine Gruppe Leute, angeführt von Laures, die Halle betrat. Titius erstarrte und spürte, wie seine Knie weich wurden. Fast wäre er zu Boden gesunken, als er die kleine Lady in Laures-samas Armen liegen sah. Körperlich offenbar unverletzt. Vor Erleichterung aufseufzend, hielt Titius sich an einem Geländer fest. "Sherril, Gott sei Dank! Laures-sama, wie ist...?" "Wo ist meine Frau? Wie geht es ihr und dem Kind?" unterbrach ihn der Dämonenfürst schroff. Er stand nun direkt vor Titius und erst jetzt viel diesem auf, dass etwas mit Sherril nicht stimmte. Sie war wohl bei Bewusstsein, die Augen waren immerhin geöffnet, aber sie schienen irgendwie ins Leere zu starren. Bewegungslos lag sie in den Armen ihres Vaters. "Beiden geht es hervorragend. Es ist alles gut gegangen. Aber sagt, was ist mit Sherril?" Auf diese Antwort hin wirkte auch Laures mit einem mal erleichtert. Dann jedoch sah er Titius mit einem merkwürdig traurigen Blick an. "Sherril steht nur unter Schock. Das wird sich schon legen. Aber...Zadei...wie soll ich dir das sagen...?!" meinte er vorsichtig, als sich Titius Augen schon panisch weiteten, als ihm fürchterliches schwante. "Was...was ist mit ihm passiert?" fragte er mit belegter Stimme. In diesem Moment kam eine weitere Gruppe herein. Mehrere Soldaten und Diener schienen sich um etwas Bestimmtes zu drängen. Einige gaben Laute des Entsetzens von sich, andere riefen etwas von Arzt und man solle ihn nach oben bringen. Titius setzte sich augenblicklich in Bewegung um mit eigenen Augen zu sehen, was passiert war. Doch Laures hielt ihn rau am Arm fest, meinte aber dann mit besorgter Stimme. "Ich weiß nicht, ob du das unbedingt sehen solltest. Es ist..." Doch Titius war schon längst nicht mehr ganz aufnahmefähig. Ohne auf seinen Herrn zu hören riss er sich los und hastete zu der Menge, die sofort ein wenig vor ihm wich, als sie ihn erkannte. Er bahnte sich einen Weg durch die Leute, zum Mittelpunkt des Tumults, der, wie er mittlerweile sicher wusste, Zadei sein musste. Aber als er ihn dann tatsächlich sah, traf es ihn wie ein Schlag ins Gesicht. Als hätte man ihm einen kräftigen Stoß versetzt, taumelte er nach hinten und schlug sich entsetzt die Hand vor's Gesicht. Fassungslos starrte er auf das Bild, das sich ihm bot. Sie hatten Zadei auf eine Art provisorische Bahre gelegt, um ihn besser tragen zu können. Dort lag er bewußtslos, die Klaue hing leblos auf der einen Seite herunter, war auf seltsame Weise verkrampft, als würde sie etwas festhalten. Aber das wirklich schlimme war Zadeis linke Körperhälfte, besonders das Gesicht. Es war zu Hälfte verbrannt, die Haut war dunkel gefärbt, hing teilweise in blutigen Fetzen herunter. Noch mehr Blut quoll von überall her und durchtränkte die Stofffetzen, die man provisorisch darauf gelegt hatte. Die linke Seite seiner Rüstung war förmlich geschmolzen und zum Teil weggefetzt. Das Gesicht war völlig bewegungslos, das linke Auge unter all dem verkrusteten Blut kaum zu erkennen. Nur das ganz leichte heben und senken des Brustkorbs verriet, dass noch Leben in ihm war. Titius musste hart schlucken. Er hatte schon so viel in seinem Leben gesehen, aber dieses Bild füllte sogar ihn mit Entsetzen. Langsam und unter Aufwendung all seiner Kraft zwang er sich, wenigstens halbwegs die Ruhe zu bewahren und seine Stimme zu erheben, um den Bediensteten, die selber sehr schockiert waren, Anweisungen zu erteilen. "Bringt...bringt ihn nach oben in sein eigenes Zimmer. Schnell! Und holt den Arzt." Er hörte seine eigene Stimme nur wie aus der Ferne und nahm seine eigenen Handlungen nur war, als würde er sich selber von wo anders her beobachten. Nur wenige Minuten später befanden sie sich in Zadeis Zimmer und legten ihn auf sein Bett. Titius und ein weiterer Soldat bemühten sich, die teilweise verschmolzene Rüstung von dessen Oberkörper zu entfernen. Nach einiger Zeit gelang es ihnen auch. Und zur Erleichterung stellten sie fest, dass der Oberkörper weitgehenst durch die Rüstung geschützt worden war und dort nur leichte Verbrennungen anzutreffen waren. Aber wirklich Sorgen machte ihnen Zadeis linke Gesichtshälfte. Dann traf der Arzt ein, der für heute auch schon überstrapaziert schien. Er schickte die Diener und auch Titius und die Soldaten erst mal raus, um in Ruhe seine Untersuchungen durchführen zu können. Dann stand Titi draußen vor der Tür zu Zadei Gemach und hatte erst mal wieder Zeit zum Durchatmen. Der Stress hatte ihm kaum Zeit zum Nachdenken und er hatte überhaupt nicht fragen können, was eigentlich passiert war. Also wandte er sich an den Drachenritter, der ihm soeben mit Zadeis Rüstung geholfen hatte und der jetzt mit ihm zusammen vor die Tür gesetzt worden war, und im übrigen genau wie Titius etwas verloren auf dem Flur rumstand. Auf Titis Frage hin, musste er sich selber erstmal sammeln, um die chaotischen Ereignisse dieses Tages in eine Reihenfolge zu bringen. Dann fing er langsam an zu erzählen, schilderte die Dinge so, wie er sie erlebt hatte. "Ich war in Zadeis Trupp eingeteilt. Wir flogen zu einem der Drachennester, wo Zadei-sama Lady Sherril vermutete. Nach einigen Stunden fanden wir sie dann tatsächlich. Wir sahen sie erst nur von weitem. Sie wurde von drei Monstern angegriffen. Zadei-sama ist sofort vorrausgeprescht, wir konnten überhaupt nicht mithalten. Er hatte wirklich so ein halsbrecherisches Tempo, wir konnten mit unseren Drachen nicht..." "Ja ja, ist ja gut! Du musst dich nicht rechtfertigen. Erzähl einfach weiter!" fuhr Titius ihn etwas ungehalten an, so dass der Soldat ihn etwas verwundert anblickte. Man erlebte den stillen Dämonenengel selten so. Dann fuhr er aber schnell fort, um sich nicht noch weiter dessen Unmut zu zuziehen. "Er konnte einen Angriff auf Lady Sherril abwenden, wurde aber dann von den beiden übrigen Biestern angegriffen. Er kämpfte mit ihnen und plötzlich tauchten noch weitere Biester auf. Wir waren immer noch zu weit entfernt und es ging alles so schnell. Eines der Viecher stieß die kleine Lady von ihrem Drachen runter. Ich weiß nicht wie er das gemacht hat, aber Zadei-sama hat es tatsächlich geschafft, sie aufzufangen! Er konnte gerade noch ihre Hand schnappen, als sie fiel." Der Soldat kniff die Augen zusammen, als er versuchte, alles genauso zu schildern, wie er es gesehen hatte. "Sie hing in der Luft und er hielt sie mit seiner rechten Hand, seiner Klaue, fest. Dabei musste er sich ziemlich weit nach rechts von seinem Drachen runterbeugen. Aber dabei er hat nicht gesehen, wie eines der Viecher auf ihn schoss, im gleichen Moment wie er sein Flugmanöver vollendet und die Kleine geschnappt hatte. Es ging alles so schnell und gleichzeitig. Auf einmal schrie einer der Jungs auf und wir sahen wie Laures-sama von weitem angeflogen kam, auch so unheimlich schnell. Es passierte alles so schnell, wir wussten nicht, wo wir hinschauen sollten. Aber Zadei hatte nur auf Lady Sherril geschaut, er sah den Feuerball erst, als dieser direkt vor ihm war. Er konnte sich kaum noch schützen und so traf das Ding ihn mit voller Wucht. Im gleichen Moment hatte Laures uns erreicht und mit einer einzigen Attacke, machte er der ganzen Herde innerhalb von einer Sekunde den Garaus!" Der Mann gestikulierte wild mit den Armen. Titius konnte verstehen, wie sehr er von Laures Kräften beeindruckt war. Er erinnerte sich an seine Ergriffenheit, als er seinen Fürsten zum ersten Mal in Aktion gesehen hatte. Damals, als Laures ihn gerettet hatte...Titius vertrieb den Gedanken. Das gehörte jetzt wirklich nicht hier her. Außerdem fuhr der Andere weiter fort. "Ich habe nur noch einen hellen Blitz gesehen, sah noch so gerade eben, wie Zadei zusammenbrach und das Mädchen fallen ließ. Zum Glück war Laures schnell genug um sie aufzufangen, sie muß wohl ohnmächtig geworden sein. Sonst hat sie keine Verletzungen davon getragen. Zadei-sama...war ja vor ihr, als der Feuerball in ihre Richtung flog. Na ja, und dann..." "Schon gut, das reicht. Den Rest kann ich mir auch so denken. Danke, du kannst jetzt gehen." Titius machte eine Bewegung mit der Hand, die deutlich machte, dass er allein zu sein wünschte. Der Aufforderung kam er nur zu gerne nach. Titi indes lehnte sich gegen die Wand hinter sich, vergrub das Gesicht in den Händen. Er konnte sich gut vorstellen, wie das alles abgelaufen war. Und es machte ihn zunehmend fassungsloser, je mehr er sich darüber klar wurde, was Zadei getan hatte. Er hatte Sherril festgehalten, konnte in dem Gewühl das Geschoss nicht bemerken. Und als es auf ihn zukam und er es endlich sah, hätte er nur die rechte Hand heben müssen um einen Schutzzauber aufzubauen, oder wenigstens mit der Hand das Gesicht schützen können. Oder mit dem Drachen ein Ausweichmanöver starten. Das alles aber ging nicht, solange er Sherril festhielt. Und er hatte sie bis zum Schluss nicht losgelassen... Er hatte noch nicht lange so da gestanden, als sich wieder Schritte vernehmen ließen. Doch Titius musste nicht mal aufsehen, um zu wissen, um wen es sich hier handelte. Die Aura, die Laures verströmte, würde Titi unter tausenden widererkennen. Als sein Herr vor ihm stand, vollführte der weißhaarige Dämon seine übliche, ehrerbietende Verbeugung, fragte aber sofort: "Wie geht es Sherril?" Laures lächelte milde. Er war soeben bei seiner Frau gewesen und hatte seinen gesunden Sohn das erste mal sehen können. Außerdem hatte er auch seine Tochter wieder. Eigentlich hatte er allen Grund, erleichtert zu sein. Wenn da die Sache mit Zadei nicht wäre... "Im Moment in ihrem Zimmer. Hilda hat schon versucht mit ihr zu sprechen, aber sie sagt keinen Ton. Sie muss das alles wohl erst mal für sich verarbeiten. Sie ist direkt in Ohnmacht gefallen, nachdem Zadei attackiert wurde und ich weiß nicht, wie viel sie gesehen hat. Sie ist zwar während der Rückreise aufgewacht, hat aber seitdem kein Wort gesprochen. Es braucht wohl Zeit, bis sie damit fertig geworden ist." "Werdet ihr sie strafen?" Laures seufzte. "Ich denke, der Schock und das, was sie gesehen hat, ist erstmal Strafe genug für sie. Und es ist ja noch nicht vorbei..." Laures deutete mit einem Nicken in Richtung Zadeis Zimmertür, bemerkte dabei aus dem Augenwinkel, wie Titius sich auf die Lippen biss. Sein engster Vertrauter sah nicht besonders gut aus. Der Tag war lang und anstrengend gewesen und hatte einen Schock nach dem anderen für sie alle bereitgehalten. Und der vermeintliche Engel schien am meisten mitgenommen worden zu sein. Laures streckte eine Hand nach ihm aus und nahm das fein geschwungene Kinn seines Dieners zwischen die Finger. Dieser schaute ihn etwas verwirrt an. "Zadei wird sich wieder regenerieren. Er hat die Kraft dazu. In ein paar Tagen ist er wieder hergestellt. Er schafft es ganz bestimmt. Und wegen der Sache heute morgen: Ich wollte, dass du deine Aufgabe richtig erledigst, so dass ich mir nicht so viel Sorgen wegen Hilda machen muss. Ich wusste, dass sie bei dir in guten Händen sein würde. Ich hätte dich nicht gestraft, wäre bei der Geburt etwas schiefgegangen. Ich weiß nämlich, dass du immer dein bestes gibst, wenn ich es von dir verlange. Immerhin...hast du mich noch nie im Stich gelassen, nicht wahr?!", raunte er leise, nahm dabei eine von Titis silbernen Haarsträhnen zwischen die Finger und ließ sie zärtlich hindurch gleiten. Titi sah ihn verwundert an. Versuchte sein Fürst gerade tatsächlich, ihn aufzumuntern? Und wieder kam ihm der Gedanke, dass an seinem Herrn wirklich alles so unheimlich perfekt war. Er war durch und durch ein Herrscher, eine stolze und aufrichtige Seele, die durch nichts beschmutzt werden konnte. Ergeben sank er auf den Boden, küsste den Saum des Mantels seines Herrn und bekundete: "Ich würde mich niemals widersetzen, Laures-sama. Ihr könnt euch immer auf mich verlassen." In diesem Moment öffnete sich die Tür zu Zadeis Räumlichkeiten und der Arzt erschien. Als er den Dämonenfürst und seinen Diener erblickte, der noch immer vor ihm kniete, ging er zu ihnen rüber, verneigte sich und erstattete Bericht. "Zadei-sama hat schwere Verbrennungen im Gesicht und auch teilweise am Oberkörper. Aber er hat genügend Regenerationskräfte, ich schätze, in ein bis zwei Tagen wird die fehlende Haut wieder hergestellt sein. Einzig das linke Auge macht mir sorgen. Die Verletzung ist sehr schwer, ich kann nicht sagen, ob es ganz wieder hergestellt werden kann. Um ehrlich zu sein, bezweifle ich es sehr. Es tut mir leid." Sein Blick fiel dabei auf Titius, der sich langsam wieder erhob und ihn mit traurigen, blauen Augen ansah. "Ich habe den Heilungsprozess mit Salben unterstützt. Außerdem habe ich ihm ein starkes Schlafmittel verabreicht, damit er nicht aufwacht, bevor er zumindest teilweise wiederhergestellt ist. Er wird vor morgen nicht aufwachen. Und er muss in dieser Nacht absolute Ruhe haben", meinte er noch, bevor er sich abermals verbeugte und sich verabschiedete, natürlich mit dem Hinweis, ihn jede Zeit zu wecken, wenn es Probleme geben sollte. Er war sichtlich erschöpft. Laures wandte sich darauf wieder an seinen Untergebenen. "Ich denke, wir können im Moment nicht mehr tun, als abzuwarten. Und vor allem solltest du dich jetzt etwas ausruhen. Du siehst wirklich fertig aus." "Ich würde gerne noch mal nach Zadei sehen bevor..." wandte Titi ein, als Laures auch schon den Kopf schüttelte. "Du hast gehört, was der Arzt gesagt hat. Er braucht absolute Ruhe. Und du brauchst sie auch dringend." Titi gab sich daraufhin geschlagen. Er nickte nur schwach, verbeugte sich noch einmal und wandte sich ab. Er versuchte sich selbst Mut zuzusprechen. Immerhin hatte Zadei schon einmal seine ganze Hand verloren, damals, als er Titius vor Laures hatte beschützen wollen. Und die hatte sich ja auch wieder regeneriert. Und, hey, der Typ hatte auch die Höllendimension überlebt. Auch das hier würde er irgendwie überstehen...Zadei war nicht so leicht unterzukriegen, wie der Dämonenengel nun schon allzu oft festgestellt hatte. Er war schon ein paar Schritte gegangen, als er Laures' Stimme noch einmal hinter sich hörte. "Du hast bestimmt schon gehört, was genau passiert ist. Du weißt, was Zadei getan hat. Und ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie er sie noch immer festhielt, auch als er getroffen wurde... bis er schließlich das Bewusstsein verlor. Ich ziehe meine Schlüsse daraus. Was ist mit dir?" Titius wollte sich umdrehen und etwas erwidern, aber als er sich umsah, hatte Laures sich bereits abgewandt und war schon halb in den Schatten der weiten Flure verschwunden. So schwebte die Frage unbeantwortet in der Luft, setzte sich in Titius' Kopf fest. Aber wie auf so viele andere auch, wusste er auch auf diese keine Antwort. ********* Rastlos lief Titius durch die Gänge. Er war einerseits erschöpft und müde, andererseits hielt irgendetwas ihn davon ab, in sein Zimmer zu gehen. Er wusste nicht warum, aber die Vorstellung von der Abgeschiedenheit seines kalten Zimmers bereitete ihm größtes Unbehagen. Darum wanderte er eine Weile ziellos durch die Gänge, versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen und seine Gefühle zu ordnen. Er merkte, wie sehr er sich um Zadei sorgte und das ängstigte ihn gleichzeitig. Irgendwann, er wusste nicht wie lange er durch die endlosen Gänge des Palastes gewandert war, als er sich plötzlich vor der Tür zu Sherrils Zimmer wieder fand. Einen Moment hielt er inne, musste aber nicht lange überlegen, schon ging er zur Tür und klopfte. Er hatte ja noch gar nicht mit ihr gesprochen. Wie musste sie sich fühlen, nach allem, was sie erlebt hatte? Laures hatte gesagt, Sherril hatte kein Wort gesprochen, seit sie angekommen waren. Bestimmt brauchte sie Zeit allein, um alles zu verarbeiten und vermutlich hatten Hilda und Laures schon mit ihr geredet, aber Titius wollte sie trotzdem noch mal sehen, selbst sehen, wie es ihr ging. Auf sein Klopfen kam keine Antwort. Er klopfte ein zweites mal und als wieder nichts geschah, kam er mit dem Gesicht nah an die Tür und sagte mit sanfter Stimme, die jedoch laut genug war, dass das Mädchen sie hören konnte: "Sherril? Du bist doch da, nicht war? Ich komme rein, in Ordnung?" Obwohl wieder keine Antwort kam, drückte Titi langsam die Klinke und trat ein in Sherrils Zimmer. Es war recht dunkel hier, nur ein paar Kerzen brannten auf den Nachttischchen um das große Himmelbett, auf dem Sherril lag. Sie lag auf der Seite und hatte Titi den Rücken zugekehrt. Sie hatte sich zusammengekrümmt wie ein Embryo und sagte noch immer kein Wort. Ein sehr ungewöhnlicher Anblick bei dem Mädchen, auch für Titius. Langsamen Schrittes ging er um das Bett herum, bis er sie von vorne sehen konnte. Dann strich er den violetten, fast durchsichtigen Vorhang des Himmelbettes beiseite und betrachtete das Mädchen. "Ich bin's, kleine Lady. Darf ich mich setzen?" Jetzt sah Sherril zu ihm auf. Ihre Augen glitzerten feucht in dem schwachen Licht. "Bist du gekommen, um mit mir zu schimpfen?" kam die leise Frage. Titi lächelte leicht. "Hat denn bis jetzt jemand mit dir geschimpft? Ich glaube nicht. Und ich glaube auch, dass das nicht nötig ist. Ich denke du weißt ganz genau, was du getan hast und welche Konsequenzen es nach sich gezogen hat." Sherril beobachtete die weiß glänzende Gestalt vor sich, die sich mit traurigem Gesicht langsam auf die Bettkante sinken ließ. Die weißen Flügel umrahmten Titius' Gestalt, wölbten sich leicht nach unten. Abrupt richtete sie sich auf und erneut stiegen ihr Tränen in die Augen. "Ich hab das wirklich nicht gewollt, Titius, bitte, du musst mir glauben! Du darfst mir nicht böse sein, bitte...Es tut mir alles so leid, ich...hab das doch nicht gewollt!" Erst jetzt bemerkte der Engelsdämon, dass sie einen Gegenstand in den Armen hatte und ihn fest an sich drückte, als würde sie sich daran festhalten. "Ich glaube dir, dass du das nicht gewollt hast, Sherril. Du hast einfach unüberlegt gehandelt...Sag mal, was hast du da eigentlich?" Er deutete mit einem Kopfnicken auf den Gegenstand in ihren kleinen Ärmchen. Sie folgte seinem Blick, sah an sich runter und drückte den Gegenstand noch fester an sich. "Das ist mein Schatz", meinte sie leise, hörte für einen Moment auf zu Schluchzen. "Darf ich mal sehen?" "Wenn du willst..." Das Mädchen öffnete ihre Umklammerung und reichte Titius den Gegenstand, den Titi als das Schmuckkästchen erkannte, das er ihr zum Geburtstag geschenkt hatte. Aber es war genauso leicht wie damals. "Ist da nichts drin?" fragte er irritiert. "Doch, da ist was drin", meinte Sherril heftig nickend. Skeptisch öffnete er daraufhin das Kästchen und sein Blick fiel sofort auf das einzige, was es enthielt: Einen kleinen, unscheinbar wirkenden, milchigtrüben Stein. Titius seufzte. "Die Drachenschuppe, die Zadei dir geschenkt hat...das ist dein Schatz?!" stellte er überrascht fest, dann blickte er auf, sah die kleine Lady aus traurigen, blauen Augen an. "Es tut mir so leid! Ich wollte nicht, dass das passiert! Ich wollte doch nur die Drachen sehen. Es tut mir so..." sie fiel wieder ins Schluchzen zurück und wiederholte ihre Entschuldigungen tausendfach, ging gar nicht auf Titius Frage ein, die ohnehin mehr eine Feststellung war. Mit einem milden Lächeln streckte der Engelsdämon nun eine Hand aus und streichelte dem schluchzenden Mädchen tröstend über den Kopf. "Schon gut. Komm, hör auf zu weinen. Einer hübschen Lady wie dir stehen keine Tränen", tröstete er sie mit sanfter Stimme. Daraufhin sah sie ihn wieder an, begann aber noch heftiger zu schluchzen und warf sich schließlich in seine Arme, klammerte sich an den weißen Stoff über seiner Brust und weinte hemmungslos. Liebevoll nahm er sie in die Arme und streichelte den kleinen zitternden Körper. << "Wem du einmal die Treue geschworen hast, dem ist deine Loyalität sein Leben lang gewiss, so ist es doch, nicht wahr?! Der einzige, für den das nicht gilt, bin ich.">> Plötzlich kamen Titius Zadeis Worte in den Sinn, die er zu ihm gesagt hatte, als sie sich über Sherril unterhalten hatten. Nun war Titi noch elender zumute als vorher. Irgendwie hatte ja Zadei Recht. Es fiel Titius nicht schwer, für die Kleine oder Hilda oder Laures da zu sein. Nur bei Zadei war das anders. Aber woran lag es denn? Seufzend ließ er sich zurücksinken an die Lehne des Bettes, behielt das Mädchen dabei in den Armen. Er strich weiter über ihren Kopf, versuchte sie weiterhin zu beruhigen. "Mach dir keine Sogen mehr, Sherril. Zadei wird das schon schaffen. Der Arzt sagt, er hat gute Chancen." Von der Sache mit Zadeis linkem Auge sagte er erst mal nichts. "Ist das wirklich wahr?" Mit tränennassem Gesicht sah sie zu ihm auf. "Es hat so schrecklich ausgesehen...als die Feuerkugel auf uns zu kam...es war alles so hell...ich dachte wirklich, er stirbt...dass er das nicht überlebt und ich auch nicht. Sein ganzes Gesicht war verbrannt. Ich krieg das Bild nicht mehr aus dem Kopf", stammelte sie unwirsch, war dabei so aufgewühlt, dass sie zu allem Überfluss auch noch einen Schluckauf bekam. Bei diesem Anblick kamen Titius selbst fast die Tränen. Schnell drückte er sie wieder fest an seine bereits tränennasse Brust. Er versuchte, seine Stimme so sicher wie möglich klingen zu lassen, als er beschwörend meinte: "Glaub mir, Zadei-sama hat schon ganz andere Dinge durchgestanden. Er war sogar schon in einer Höllendimension gefangen und selbst daraus kam er wieder hervorgekrochen. Er ist wie Unkraut und Unkraut vergeht ja bekanntlich nicht." Seine Worte verfehlten ihre Wirkung nicht, sie beruhigte sich tatsächlich eine klein wenig. "Das mit dem Unkraut ist aber ein sehr unschöner Vergleich", murmelte sie unter ihm. "Tja, vielleicht hast du Recht. Aber mir fällt...nichts anderes ein." Er schmunzelte dabei ein wenig, wurde aber plötzlich wieder ernst. <> Noch eine ganze Weile saßen sie so zusammen. Titius versuchte weiter, sie mit Worten zu trösten, aber nach einiger Zeit schwiegen sie beide, jeder in seine eigenen Gedanken versunken. Aber es dauerte gar nicht mehr lange, bis Titi merkte, wie Sherrils Atmung zunehmend ruhiger wurde, bis sie schließlich völlig erschöpft auf seinem Schoß einschlief, immer noch fest an ihn geschmiegt. Einen Moment lang überlegte Titius, ob er sie von sich runterschieben und in sein eigenes Zimmer gehen sollte, aber wieder kam ihm das Bild von der kühlen Einsamkeit seines Zimmers in den Sinn. Außerdem wollte er nicht riskieren, die Kleine wieder zu wecken. Also ließ er sich noch etwas tiefer in die weichen Kissen in seinem Rücken sinken, bis er einigermaßen bequem lag bzw. halb saß, und schloss nun auch die Augen. Auch ihm hatte der Tag reichlich zugesetzt. Darum dauerte es auch bei ihm nicht lange, bis er in einen tiefen Erschöpfungsschlaf fiel, zum Glück frei von jedem Traum. ******* Der nächste Tag begann für Titius erst gegen Mittag, als er und Sherril durch die Amme geweckt wurden, die ins Zimmer kam um die kleine Lady zum Essen zu holen. Als sie festgestellt hatte, dass auch Titius sich im Zimmer befand und sie ihn geweckt hatte, entschuldigte sie sich tausendfach, aber Titius winkte ab; er hatte sowieso nicht vor gehabt, so lange zu schlafen. Doch Sherril war bei weitem nicht so gelassen, sie wollte nicht aufstehen und ihr Zimmer verlassen und schon gar nicht essen. Trotzig klammerte sie sich an dem Engel fest. Aber schließlich gelang es der Amme und Titius mit vereinten Kräften, die kleine Prinzessin davon zu überzeugen, dass sie in jedem Fall etwas essen musste, wenn sie nicht krank werden wollte. Außerdem durfte sie mit ihrer Mutter und ihrem kleinen Bruder zusammen essen, was sie dann doch schnell umstimmte und sie beinahe wieder etwas fröhlich werden ließ. Als die beiden Frauen verschwunden waren, verließ auch Titius das Zimmer. Aber er hatte keineswegs vor, seinen üblichen Arbeiten nachzugehen. Stattdessen steuerte er Zadeis Räumlichkeiten an. Der Arzt hatte gesagt, dass er heute aufwachen würde, also hatte er beschlossen, darauf zu warten. Es war in jedem Fall besser, wenn jemand da war, wenn er zu sich kam. Den Dienstboten, denen der engste Vertraute des Dämonenfürsts unterwegs begegnete, gab er einige Anweisungen und teilte ihnen mit, wo er im Notfall zu finden sein würde. Und schließlich gelangte er am Zielort an und öffnete leise die Tür zu Zadeis Zimmer. Es war völlig still hier drin. Langsam schritt er auf das große, rot bezogene Himmelbett zu, auf dem der Dämonengeneral lag und zog sachte einen der dunkelroten Samtvorhänge zurück. Irgendwie erschien es ihm wie ein dejà-vue. Genau so hatte er den schlafenden Zadei schon oft betrachtet während der vergangenen sieben Jahre, als er unten in den Katakomben gelegen hatte. Und auch jetzt stellte er sich wieder ungeduldig die Frage, wann er wohl aufwachen würde. Titius seufzte. Und wenn er dann aufgewacht war, dann wusste er wieder nicht, wie er sich verhalten sollte. Und dann würde wieder irgendetwas schiefgehen. Es war immer das gleiche. Immer wenn Zadei vor ihm stand, kam er sich so hilflos und gleichzeitig ratlos vor. Und ohne es zu wollen, provozierte er Zadei dann immer. Warum verstand Zadei ihn denn nur nicht? Aber andererseits...hatte er seinerseits jemals versucht, Zadei zu verstehen? Titius nahm sich einen Stuhl, der in einer Ecke des Zimmers stand, schob ihn neben das Bett und setzte sich darauf. Dann betrachtete er das schlafende Gesicht unter sich. Um den schwarzhaarigen Kopf war ein Verband gewickelt, der das linke Auge verbarg. Die zerstörte Haut schien sich schon ziemlich gut regeneriert zu haben, auch an der bandagierten Brust, soweit Titi es erkennen konnte. Nein, Unkraut verging wirklich nicht. Egal, was Zadei bis jetzt zugestoßen war, am Ende landete er irgendwie immer wieder an Titius' Seite. Er kam immer zurück zu ihm. Warum war Zadei nur so besessen von ihm, der er ja eigentlich nur ein kleiner Unterdämon war, der nur durch reinen Zufall überhaupt noch am Leben war?! Und dabei hatte er Zadei von Anfang von sich gestoßen, ihn immer die volle Härte seiner Ablehnung und Verachtung spüren lassen. Und Zadei hatte es ihm ja auch leicht gemacht, nach allem, was er ihm angetan hatte, hatte Titi durchaus Grund genug, ihn zu verabscheuen. Aber wenn Titius ganz ehrlich mit sich war...hatte er den anderen nicht schon verurteilt, noch bevor er damals das Siegel gebrochen und ihn befreit hatte? Angenommen, der Dämonengeneral hätte sich von Anfang an anders verhalten, hätte Titi nicht verletzt, wäre vielleicht sogar freundlich zu ihm gewesen und hätte genau so agiert, wie Titi es in seinem damaligen Plan vorgesehen hatte...hätte er selber sich dann auch anders verhalten...? Die Erkenntnis, wie die ehrliche Antwort auf diese Frage lautete, schockierte Titius in diesem Moment selber... Viele Stunden saß er auf diese Weise grübelnd an Zadeis Seite, ohne eine Regung seitens des anderen wahrzunehmen. Inzwischen war eine Dienerin gekommen, hatte ihrem Vorgesetzten etwas zu Essen angeboten, was dieser aber dankend ablehnte. Ähnlich wie Sherril, hatte auch er keinen Appetit. So verging die Zeit und Titi fragte sich schon, ob der Arzt sich nicht vielleicht geirrt hatte oder das Schlafmittel zu stark gewesen war. Aber endlich, es musste schon später Nachmittag sein, begann Zadei sich zu regen. Titius bemerkte zunächst nur die etwas zuckende Hand und die unregelmäßiger werdende Atmung. Aufgeregt blickte er in das maskuline Gesicht, das langsam zu zucken begann. Und dann öffnete sich tatsächlich Zadeis rechtes Auge und er gab ein mühsames Stöhnen von sich. "Zadei-sama! Endlich seid ihr wach. Wie fühlt ihr euch?" fragte Titius etwas erleichtert. Etwas verwirrt richtete sich das goldene Auge nun auf ihn. Zadei schien nicht ganz glauben zu können, das Titius es war, der hier bei ihm saß. Dann formten seine Lippen Worte, allerdings versagte seine Stimme und er musste sich erst räuspern, um seine Stimmbänder wieder in Bewegung zu bringen. "Ähm...na ja, wenn du das genau wissen willst: ich fühle mich, als hätte mich eine Horde Elefanten überrannt", sagte er mit heiserer Stimme. "Bin ich im Schloss? Oder vielleicht doch schon tot und im Himmel und du erscheinst mir jetzt als echter Engel?" Natürlich. Selbst in diesem Zustand hatte Zadei einen dummen Spruch drauf. Titius schüttelte den Kopf. "Ich bezweifle, dass ihr nach eurem Tod in den Himmel kommen würdet. Und ich wohl genauso wenig...Ich weiß nicht, ob ihr euch erinnern könnt, aber Laures-sama hat in den Kampf eingegriffen und euch hierher gebracht. Und das ihr euch so kraftlos fühlt ist normal, euer Körper hat sehr viel Kraft für die Regeneration verbraucht. Ihr habt sehr schwere Verbrennungen erlitten...aber das meiste scheint ja wieder verheilt zu sein." Zadei hörte aufmerksam zu, aber Titius merkte, dass ihm das einige Mühe bereitete. Sein Körper war vermutlich so ausgelaugt, dass er sich kaum bewegen konnte und wahrscheinlich hatte er noch Schmerzen, wovon er sich natürlich nichts anmerken lassen wollte. "Aha. Und was ist mit dem Monster?" "Oh, keine Sorge, Laures hat jedes von ihnen vernichtet." "Herr Gott nein, ich meine nicht die Viecher, sondern Sherril...ist sie noch an einem Stück?" Schon machte Zadei sich bereit für einen stechenden Blick von Titius, gefolgt von einem herablassenden Tadel. Umso erstaunter war er, als nichts dergleichen folgte. Titius senkte den Blick nur etwas. "Der kleinen Lady geht es körperlich gut. Sie hat nur einen Schock erlitten." "Sehr gut, dann kann ich das Gör ja mit eigenen Händen umbringen!", knurrte Zadei, aber auch jetzt bekam er keine Strafpredigt. Oh Gott, er musste mitleiderregent aussehen, wenn Titius nicht mal darauf einging! Stattdessen sah Titi ihn nur mit einem seltsamen Blick an. "Ihr würdet es ja doch nicht tun." Zadei schwieg daraufhin, richtete seinen Blick an die Decke. "Sherrils neuer kleiner Bruder ist im Übrigen auch bei bester Gesundheit. Die Geburt verlief gut", teilte Titi ihm noch mit, was er aber nur mit einem gedankenverlorenen Nicken registrierte. Dann war es einige Minuten still zwischen ihnen. Titius beobachtete Zadei etwas verwundert, wie er so schweigsam an die Decke starrte. So war er ihn gar nicht gewöhnt. Als einige Minuten der Stille verstrichen waren, in denen Zadei sich kein bisschen geregt hatte, hielt Titius es nicht mehr aus, verzweifelt suchte er nach etwas, um das betretene Schweigen zu unterbrechen. "Kann...kann ich vielleicht etwas für euch tun, Zadei-sama? Wünscht ihr etwas zu essen? Oder soll ich den Arzt kommen lassen?" Damit hatte er den anderen wohl aus seinen Gedanken gerissen, denn erst etwas verzögert drehte er den Kopf zu ihm, sah ihn mit dem einen goldenen Auge an. "Was? Ähm, nein danke...obwohl, wenn du den Verband um meinen Kopf abmachen könntest...Er stört und es ist so dunkel auf dem linken Auge." "Ja, natürlich." Titius stand auf, beugte sich rüber und begann, vorsichtig an dem Verband zu nesteln und ihn dann langsam abzuwickeln. Er arbeitete langsam, um den geschwächten Zadei nicht noch zu verletzen. Bahn um Bahn entfernte er den weißen Stoff, bis er schließlich auch den letzten Streifen entfernte, doch was er dann sah, ließ ihn zusammenzucken. Statt des erwarteten goldenen Auges mit dem katzenartigen Schlitz blickte er in eine hellgraue, milchigtrübe Iris ohne Pupille. Augenblicklich schlug er eine Hand vor den Mund, konnte aber den kehligen Laut, der sich ihm vor Schreck entwand, nicht unterdrücken. "Was ist, Titi? Ist der Verband schon runter? Es fühlt sich noch immer so komisch an..." Zadei sah ihn fragend an und Titius glitt zitternd mit dem Verband in der Hand auf seinen Stuhl zurück. "Es...es tut mir so leid, Zadei-sama...euer Auge...euer Auge...es..." Noch während Titius stammelte, hob Zadei eine Hand vor die Augen und kniff dass rechte zu. Aber alles, was er durch das linke Auge sah, waren ein paar Lichtreflexe, weder Formen noch Farben. Er konnte seine eigene Hand nicht sehen... Für einen Moment verdüsterte sich sein Gesichtsausdruck, er ballte die Hand zur Faust und ließ sie langsam wieder auf die Decke sinken, wobei er einmal hörbar tief einatmete und beide Augen schloss. Zwei Sekunden blieb er so, dann öffnete er die Augen wieder und drehte den Kopf zu dem Engel neben sich, der inzwischen verstummt war. "Tja, auch meine Regenerationskräfte haben scheinbar ihre Grenzen", meinte er mit einem schiefen Lächeln. "Es tut mir so leid, Zadei-sama. Das...meine ich wirklich ernst." Titius senkte den Blick, sah ihn nicht an, aber Zadei blieb der Mund offen stehen. War das wirklich ein feuchtes Glitzern in den eisblauen Augen seines Engels? Konnte das wirklich sein?! Zadei reckte den Kopf etwas, um das ebenmäßige Gesicht genauer betrachten zu können, aber Titius hatte den Kopf so zur Seite geneigt, dass er es nicht genau sehen konnte. "Sag mal, kann es wirklich sein, dass du dir Sorgen um mich machst? Weißt du, Titius, ein Auge reicht vollkommen aus um zu sehen. Es ist in Ordnung, für mich ist das genug." <> Titi wandte ihm sein Gesicht noch immer nicht zu, schwieg eine Weile und Zadei hätte in diesem Moment auch sein anderes Auge dafür gegeben, jetzt die Kraft zu haben sich aufzusetzen und in das Gesicht seines Engels zu sehen, nur um sicher zu gehen, dass er sich nicht irrte. Aber sein Körper war wie Blei, sogar das Atmen fiel ihm sehr schwer, er war einfach zu erschöpft. Also konnte er nicht feststellen, ob Titi wirklich Tränen wegen ihm vergoss. Plötzlich erhob sich wieder die sanfte Stimme des Engelsgleichen. "Ich weiß nicht, warum ihr das getan habt, aber ich bin euch dankbar dafür, dass ihr Sherril beschützt habt. Und ich denke, ich spreche auch für Laures-sama. Auch er war beeindruckt von eurer Tat...Danke..." Zadei konnte seinen Ohren kaum trauen. Was wurde denn hier gespielt? "Also, ich hatte bestimmt nicht vor, den strahlenden Helden zu spielen. Ich wollte lediglich verhindern, dass Laures mir den Schädel spaltet, weil ich seine unerzogene Rotzgöre von ein paar dummen Riesenrochen fressen lasse. Ich hatte also die Wahl zwischen gegrillt werden oder von ihm persönlich gekillt zu werden. Und du weißt, dass ich ihn nicht leiden kann, da habe ich den Rochen halt vorgezogen", erklärte er in einem beiläufigen Ton, hoffte, die Stimmung dadurch etwas aufzulockern, merkte aber gleichzeitig, wie es ihm zunehmend schwerer fiel, konzentriert zu bleiben und die Augen offen zu halten. Er kämpfte gegen den Schlaf an, der ihn wieder überkommen wollte. In diesem Moment drehte Titius sein Gesicht wieder zu ihm um und Zadei glaubte, sein Herz würde zerspringen, als er in dem engelhaften Gesicht über sich Tränenspuren entdeckte und schließlich...ein leichtes, zaghaftes Lächeln. Es war genau das Lächeln, dass er schon oft in Titius' Gesicht gesehen hatte, das aber nie ihm gegolten hatte. Aber jetzt lächelte sein Engel ihn tatsächlich zaghaft an. Dieses Bild war das letzte, was er sah, bevor der Schlaf ihn endgültig überkam und die leisen Worte "Natürlich, Zadei-sama. Nur aus diesem Grund..." waren das letzte, was er hörte. Titius merkte, wie Zadei langsam wegdriftete, wie ihm die Augen zufielen, obwohl er dagegen ankämpfte. Sein Körper forderte nun mal seinen Tribut für all die Kräfte, die er verbraucht hatte. Leise stand er auf und ging zum großen Fenster. Die Abenddämmerung setzte langsam ein und der Himmel über der Dämonenwelt nahm einen rötlichen Ton an. Vorsichtig tastete er über sein eigenes Gesicht. Es war tatsächlich etwas feucht. Kaum zu glauben, dass ihn das ganze so mitnahm. Aber wie er es auch drehte und wendete, er konnte nicht verleugnen, dass es ihm wehtat, Zadei so zu sehen. Ärgerlich war nur, dass er sich vor ihm so die Blöße gegeben und seine Gefühle so offen gezeigt hatte. Aber bei allem was recht war, dies war die friedlichste Konversation zwischen ihnen gewesen, die jemals stattgefunden hatte... Er zog die schweren Vorhänge zu, dann ging er durchs Zimmer und entzündete eine Kerze, die er auf den Nachttisch stellte. Dann setzte er sich wieder auf seinen Stuhl. Er würde noch ein wenig hier sitzen bleiben, nur noch ein wenig, etwas anderes hatte er sowieso nicht zu tun. ******** Die Kerze war ausgegangen. Das war es wohl, was Titius geweckt hatte. Etwas verwirrt blickte er sich in dem dunklen Zimmer um, das nur ganz leicht vom Mondlicht erhellt wurde, das gedämpft durch die Vorhänge am Fenster fiel. Es war offenbar mitten in der Nacht. Titius legte eine Hand in seinen steifen Nacken. Er musste wohl auf dem Stuhl eingeschlafen sein. Na, das hatte er ja eigentlich nicht geplant. Er warf einen Blick auf die friedlich schlafende Gestalt im Bett vor ihm. Dann stand er auf und ging auf das Fenster mit dem Balkon zu, während er sich den schmerzenden Nacken rieb. Er zog die Vorhänge zurück und öffnete die Tür, trat hinaus ins Mondlicht. Immer, wenn er nachts wach war, zog es ihn nach draußen. Er betrachtete den weißen, fast vollen Mond über sich, während der kühle Wind mit seinen offenen Haaren spielte. Wie viele Nächte hatte er schon so verbracht? Es kam so oft vor, dass er nicht schlafen konnte, er konnte schon nicht mehr zählen wie oft er einfach stundenlang auf dem Balkon in seinem Zimmer stand und darauf wartete, dass es endlich morgen wurde. Die Nacht war seltsam und beängstigend. Die Zeit schien stillzustehen und alle Gefühle und Emotionen schienen so viel stärker zu sein als am Tag. "Du bist wie der Mond, Titius. Genau so strahlend weiß und wunderschön. Aber auch vollkommen unerreichbar für mich." Titius fuhr blitzartig herum. Für einen Moment machte sein Herz einen Aussetzer vor Schreck, als er Zadei im Türrahmen lehnen sah. "Zadei-sama, ich dachte ihr schliefet...Ihr dürft doch noch gar nicht aufstehen! Ihr hättet doch nur zu rufen brauchen, wenn ihr etwas wünscht." "Tja, ich bin halt von Natur aus neugierig und ich wollte halt wissen, warum meine Balkontür aufstand. Es geht mir schon etwas besser als vorhin. Außerdem brauche ich frische Luft." "Entschuldigt, ich wollte eigentlich gar nicht mehr hier sein, aber ich muss eingeschlafen sein." "Deine Gegenwart stört mich nicht im Geringsten. Stört dich meine?" Zadei stieß sich vom Türrahmen ab und trat nun endgültig hinaus in die kühle Nachtluft. Dabei näherte er sich Titius, der wie immer instinktiv zurückwich. Und zu seiner Überraschung hielt Zadei tatsächlich inne. "Ich...werde dich nicht berühren, keine Angst." Mit diesen leise gesprochenen Worten ging er tatsächlich an Titius vorbei und stützte sich auf das Geländer, blickte in die Ferne. Ein paar Minuten haderte Titius mit sich, aber dann fasste er einen Entschluss, trat neben den anderen, allerdings mit einem gewissen Sicherheitsabstand, und stützte sich genau wie er auf das Geländer. "Ihr könnt es einfach nicht lassen, was?", sagte er dann unvermittelt, ohne Zadei anzusehen. "Was meinst du?" Der Schwarzhaarige blickte ihn fragend von der Seite an. "Ihr sagt immer solche Dinge zu mir. Ich frage mich immer wieder, warum ihr das tut." "Weil ich dich lie..." "Shht!" Titius drehte sich nun zu ihm um und legte mahnend den Finger an die Lippen. "Sagt das nicht! Sprecht diese Worte nicht aus, ohne zu wissen, wovon ihr redet. Ich...hasse es, diese Worte aus eurem Mund zu hören!" Zadei zog die Augenbrauen zusammen und sah das helle Geschöpf neben sich mit seinem goldenen Auge ernst an. "Und warum glaubst du nicht, dass ich weiß wovon ich rede?" "Weil eure Taten diesen Worten immer widersprechen. Das tun sie immer." Erneut wandte Titius seinen Blick ab, konnte selbst nicht ganz fassen, dass er so offen mit dem anderen sprach. Auch Zadei wendete den Blick wieder in den schwarzen Nachthimmel und dabei erinnerte er sich Hildas Worte. <> "Ich habe dich verletzt. Ich weiß das. Auch neulich Nacht, nach dem Ball. Aber ich kann es nicht verhindern. Ich will dich, das weiss ich mit jeder Faser meines Körpers. Und wenn du in meiner Nähe bist, nimmt dieses Gefühl einfach viel zu sehr überhand. Ich kann dich einfach nicht aufgeben! Es ist genau so, wie ich dir in jener Nacht sagte: ich gebe erst dann auf, wenn du mich mit eigenen Händen tötest." "Lügner!" rief Titius anklagend, wurde dann aber wieder ruhiger. "Im Grunde habe ich euch schon einmal getötet. Oder habt ihr schon vergessen, dass ich es war, der euch das Schwert der Azeel in die Brust rammte?" "Aber es ist dir letztlich nicht gelungen." "Weil Laures-sama uns alle gerettet hat." "Natürlich...Laures..." Zadei lächelte bitter. "In deinen Augen ist er immer der strahlendste Held von allen, egal was er tut. Und nach dem, was er damals getan hat, musst du ihn ja erst recht vergöttern. Ich kann einfach nicht zu ihm aufschließen, egal was ich tue, denn er vergrößert den Abstand zwischen sich und mir immer mehr." "Ihr hattet von Anfang an keine Chance gegen ihn...ihr konntet gar nicht zu ihm aufschließen, egal was ihr getan hättet, denn ich hätte es nicht zugelassen." Titius schloss die Augen, als er in sich ging. "Ihr habt in der Nacht nach dem Ball gefragt, wer von uns beiden mehr Schuld an der Situation trägt. Ich habe viel darüber nachgedacht. Ich habe darüber nachgedacht, was gewesen wäre, wenn ihr euch von Anfang an anders verhalten hättet. Darauf habe ich eine Antwort gefunden, auch, wenn sie mich selber schockiert hat." Titius schluckte, als er so ehrlich mit sich selber war wie noch nie zuvor in seinem Leben. "Ich hätte euch umgebracht. Ihr wart eine Figur in meinem Spiel, ich wollte euch benutzen um Laures-sama wieder an seine Pflichten zu erinnern. Ich hatte von Anfang an geplant, euch dafür zu opfern. Und...es hätte nichts geändert, wenn ihr euch mir gegenüber anders verhalten hättet. Ich hätte euch benutzt, wie ich auch Sherril für meine Zwecke benutzt habe, eiskalt und das, obwohl ich sie wirklich mochte. Das ist die Wahrheit." Er sah Zadei von der Seite aus den Augenwinkeln an. Seine blauen Augen glänzten so kalt wie eh und je. Sie ließen keinen Zweifel an seiner Entschlußkraft zu. Zadei schwieg. Obwohl der Inhalt dieser Worte ihm bekannt war, schmerzten sie trotzdem. Aber er sagte nichts, denn er hatte das Gefühl, dass Titius noch mehr zu sagen hatte und er behielt recht, denn schon fuhr dieser fort. "Was ich damit sagen will, ist...ich hatte euch von vornherein verurteilt, ich hätte in keinem Fall auch nur die geringste Chance gegeben. Diese Schuld nehme ich auf mich. Aber all das andere...das Siegel, die Eiswüste...all das, was ihr mir angetan habt, dass kann ich nicht...", seine Stimme versagte, er musste hart schlucken, als die Bilder der Vergangenheit abermals vor seinem geistigen Auge auftauchten. "Aber ich habe dir einen ganz schönen Strich durch die Rechnung gemacht, was? Hättste nicht gedacht, dass ich doch nicht ganz so blöd bin, wie du glaubtest?! Ich habe dir das Siegel auferlegt, weil ich ahnte, dass du mich vielleicht hintergehen würdest. Zumindest war das am Anfang der Grund. Später diente das Siegel vor allem dazu, dich an mich zu binden. Aber, na ja. Das hat ja auch nicht geklappt. In dem Punkt hast du mir einen Strich durch die Rechnung gemacht." "Ich schätze, wir sind beide ziemlich dickköpfig..." "...und verbohrt", ergänzte Zadei noch immer mit einem traurigen Lächeln. Dann sog er die Luft scharf ein. "Das, was ich getan habe...Sherril sagte, du hast oft Albträume. Ich weiß nicht, was du träumst, aber wenn es dir schlecht geht, wenn du wieder so etwas träumst, dann...komm einfach rüber und hau' mir eine rein! Einfach so, egal zu welcher Zeit!" Titius sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an. "Ihr seid kindisch, Zadei." "Ich weiß. Und ich meine es ernst. Ich weiß, dass du mir nicht verzeihen kannst und ich habe nicht das geringste Recht, dich darum zu bitten. Ich kann nichts sagen, was dir helfen könnte. Ich kann dir zwar sagen, dass so etwas nicht mehr vorkommen wird, aber du hast keinen Grund, mir zu glauben. Es tut mir so leid, aber ich kann es nicht ändern, ich kann meine Gefühle nicht ändern, egal, wie du sie nennst, ob Liebe oder nicht!" Blaue Augen richteten sich auf ihn, musterten ihn nachdenklich. "Ihr habt euch verändert, Zadei-sama." Dieser seufzte nur. "Wahrscheinlich war ich zuviel mit dieser kleinen Rotzgöre zusammen. Vielleicht hat sie mich ja schon so viel genervt, dass ich langsam wahnsinnig werde. Wenn ich bald meine Stiefel auf dem Kopf trage und dabei Alle-meine-Entchen singend durch den Palast hüpfe, dann bring mich bitte um." "Ich werde dran denken." Zadei lächelte, als er sah, wie Titius Gesichtszüge wieder etwas milder wurden. Um so mehr tat es ihm leid, dass er ihm jetzt eine Frage stellen mußte, die ihm jetzt so sehr auf der Seele brannte. "Sag mal Titius, hasst du mich?" Und wie er es vorrausgesagt hatte, verdüsterte sich die Miene des anderen wieder und am liebsten hätte er sich selbst dafür geohrfeigt, aber er wollte unbedingt die ehrliche Antwort hören. Aber wie lautete die Antwort? Titius wußte es selber nicht. So oft hatte er sie sich selber schon gestellt. In manchen Momenten war er sich sicher, dass er ihn hasste, zum Beispiel, wenn ihn die Erinnerungen im Traum quälten. In anderen wiederrum, glaubte er eine gewisse Wärme in sich zu spüren, zum Beispiel wenn er Zadei beim Schlafen betrachtete. Und es gab Momente wie diesen, in denen er einfach nur ratlos war. Er schloss noch einmal die Augen. Was fühlte er jetzt, nur jetzt in diesem Moment? Er versuchte alle Erinnerungen in den Schatten zu stellen, die positiven und die negativen. Was blieb übrig? Langsam öffnete er die Augen. "Ich kann euch nicht hassen", sagte er mit leiser, aber fester Stimme. Zadei glaubte, sein Herz würde zerspringen. Eine Welle des Glücks überflutete ihn mit einem Mal und er spürte nur noch den spontanen Drang, Titius in seine Arme zu schließen, ihn ganz fest zu halten. Und nur mit größtem Kraftaufwand gelang es ihm, sich zurück zu halten. Er hatte versprochen, ihn nicht zu berühren, jetzt musste er ihm beweisen, dass es ihm ernst war, das er ihm vetrauen konnte. Er durfte nicht wieder alles kaputtmachen. "Ich danke dir." War das einzige, was er mit bebender Stimme hervorbrachte. Titius öffnete seine Augen wieder und sah den anderen an. Trotz der Dunkelheit konnte er erkennen, wie ein Beben durch Zadeis Körper fuhr. Für einen Moment sah es so aus, als würde er dazu ansetzen, Titius an sich zu ziehen, aber überraschenderweise tat er es nicht, sondern hielt inne. Aber Zadeis Gesicht sprach Bände. Ein glückliches Lächeln umspielte seine Lippen, es wirkte unheimlich warm und dadurch begann auch Titius, sich besser zu fühlen. Und so begann auch er, zaghaft zu lächeln, schon zum zweiten mal an diesem Tag. "Tja, ich schätze, damit wäre alles gesagt. Ich denke, es ist besser, wenn ich jetzt gehe. Es ist kalt", wisperte er, zögerte aber noch. "Wenn...wenn du meinst", war die etwas traurige Antwort. Titius nickte und setzte sich schließlich in Bewegung. Den Blick auf den Boden gerichtet ging er an Zadei vorbei auf die Blakontür zu. Als er so dicht an ihm vorbei kam, konnte er die Wärme spüren, die vom Körper des anderen ausging. Wie würde es sich wohl anfühlen, wenn...?! In diesem Moment bemerkte er, wie sich eine Hand um sein Handgelenk schloß. Dann wurde er mit einer schnellen Bewegung zurückgezogen und fand sich plötzlich in Zadeis Armen wieder, der ihn so fest an sich drückte, als wäre er eine Rettungsanker. "Es tut mir so leid. Ich habe schon wieder gelogen. Ich wollte dich nicht anfassen, aber dennoch...lass mir nur einen Augenblick, bitte." Titius fühlte das Herz des anderen pochen, wie es stark gegen die breiten Brust hämmerte. Er roch Zadeis Geruch, der ihm mittlerweile so vertraut war. Und er fühlte seinen warmen Atem, der über seinen Hals strich, denn Zadei hatte den Kopf in seiner Halsbeuge vergraben. Ein warmes Gefühl durchströmt Titius. Und seltsamerweise begann auch sein eigenes Herz schneller zu pochen, schien sich dem Rythmus des anderen anzugleichen. Irgendetwas in ihm begann zu bröckeln und er merkte, wie sich etwas in ihm freisetzte, was diese Situation genoss, was wollte, dass es genau so blieb wie es jetzt war. Es sagte ihm, dass Zadeis Arme ein guter Ort waren, dass es richtig war, hier zu sein. Als Titius das registrierte, begann er sofort, sich mit allen Mitteln dagegen zu wehren. Mit Mühe kratzte er das letzte bisschen Verstand zusammen und zwang sich zur Beherrschung. "Lasst mich los, Zadei. Haltet euer Versprechen. Bitte." Im ersten Moment allerdings verfestigte sich Zadeis Griff noch und Titius spürte, wie der andere hart schluckte und einmal tief durchatmete. Und dann ließ er ihn tatsächlich los, trat einen Schritt zurück. "Entschuldige. Es ist wohl wirklich besser, wenn du jetzt gehst", sagte der Dämonengeneral mit rauer Stimme und Titius nickte nur. Einmal noch sah er kurz in Zadeis Gesicht, ließ den Blick über das blinde Auge schweifen, dann über das andere goldene, dass noch immer die Narbe von damals zierte und das bewegungslos auf ihn gerichtet war. Dann atmete auch er noch einmal durch und drehte sich schließlich auf dem Absatz um, verließ diesen Ort, verließ das Zimmer, verließ Zadei, der allein auf dem Mondlicht beschienenen Balkon zurückblieb. Kapitel 6: ----------- Allmählich begann Zadeis Körper, sich zu erholen. Die restliche Nacht und fast den ganzen nächsten Tag hatte er schlafend verbracht und er merkte, wie langsam seine Kräfte wieder zurückkehrten. Jetzt saß er wach in seinem Bett und dachte nach. In seinen Händen hielt er eine von Titius Federn, die der Engel hier an seinem Bett verloren hatte. Nachdenklich drehte er das strahlend weiße Objekt immer wieder zwischen den Fingern. Wenn er sonst schon kaum an etwas anderes denken konnte, als an das Wesen, das diese Feder hinterlassen hatte, so war es jetzt reine Besessenheit. Immer wieder überdachte er das Gespräch von gestern. All die Dinge, die Titius gesagt hatte. Er hatte gesagt, dass es zum Teil seine Schuld gewesen war, dass es so schlimm zwischen ihnen enden musste. Aber, was noch tausendmal wichtiger war, er hasste Zadei nicht. Das hatte er gesagt. Und warum hätte er lügen sollen? Nun ja, vielleicht spann er ja eine erneute Intrige gegen Zadei und hatte es gesagt, um ihn in die Irre zu führen, aber das konnte er ein- fach nicht glauben. Und selbst wenn es so war, dass sein Engel ihn erneut betrog, dann war es dieses Gefühl allein wert, welches diese Worte auch jetzt noch in Zadei auslösten. Aber Titius Augen hatten so anders ausgesehen als sonst... er musste einfach die Wahrheit gesprochen haben. Sein wunderschöner Engel... Es klopfte an der Tür und Zadei wurde sofort ganz aufgeregt. Kam Titius jetzt wieder zu ihm? Er war den ganzen Tag noch nicht bei ihm gewesen. „Herein!“ Auf seine Aufforderung hin öffnete die Tür sich langsam und Zadei sah freudig in die ent- sprechende Richtung, in der Erwartung, das Geschöpf zu entdecken, das er so sehr vermisste. Aber es war nicht Titius. „OH NEIN!“ Sherril trippelte herein, schloss die Tür hinter sich und sah kleinlaut zu Zadei rüber, der sich gerade überlegte, ob es möglich war, über den Balkon zu fliehen. Na ja, er befand sich in gut 50 Metern Höhe, aber wenn er vielleicht das Bettlaken in Streifen riss und verknotete... „Onkel Zadei, hast du kurz Zeit? Wie geht es dir?“ fragte die Kleine vorsichtig. „Bis du herein getreten bist, ging es mir eigentlich recht gut... Warum bist du hier, willst du mir jetzt endgültig den Gnadenstoß versetzen? Immerhin bin ich ja nur fast draufgegangen.“ „Du tust ja fast so, als hätte ich das absichtlich gemacht! Dabei wollte ich doch nur die Dra- chen sehen,“ versuchte Sherril sich zu verteidigen, stieß sich dabei aber von der Tür ab und trat auf das Bett zu, ließ sich schließlich auf dem gleichen Stuhl nieder, auf dem auch Titius gesessen hatte. Jetzt bemerkte sie auch die Feder in Zadeis Hand. Sie deutete mit einem Kopfnicken darauf. „Ist die von Titius?“ „Wer hat denn hier noch weiße Flügel? Und ich halte mir hier auch keine Hühner, die gerade in der Mauser sind.“ Angestrengt versuchte Zadei, seine Verlegenheit zu überspielen. Das sie ihn auch ausgerechnet so erwischen musste! Schnell legte er die Feder auf den Nachttisch. Sherril sah ihm jetzt direkt ins Gesicht und sah nun auch zum ersten Mal Zadeis blindes Auge. Sie hatte schon davon gehört und hatte versucht, sich darauf einzustellen. Aber als sie es sel- ber sah, die leblose trübe Leere, überkam es sie einfach wieder, ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Das mit deinem Auge... das tut mir so leid. Alles, alles tut mir so leid. Ich habe das echt nicht gewollt.“ Zadei überkam die blanke Panik, als er sah, wie Sherrils Augen sich mit Tränen füllten. „Wa-wa-warte, fang jetzt hier bloß nicht an zu flennen! Ich warne dich! HERR GOTT NOCHMAL!!“ Aber er konnte nicht verhindern, dass sich erste dicke Tropfen aus ihren Au- gen lösten und ihre Wangen hinunterliefen, auf den Teppich tropften. Warum hatte er nur geahnt, dass so etwas passieren würde?! „Hör zu Sherril! Wenn du heulen willst, dann geh zu deinen Eltern oder zu Titi. Aber nicht hier bei mir. Außerdem hast auch keinen Grund dazu. Mir geht es super und ich habe schon wesentlich schlimmere Sachen überstanden als das hier. Und ich habe noch ein vollkommen gesundes Auge, das reicht völlig aus!“ Schniefend sah Sherril ihn an. „Willst du damit sagen, du bist mir nicht böse? Du kannst mich noch leiden?“ Ihre Stimme bebte etwas. „Ich konnte dich schon vorher nicht leiden. Und das hat sich nicht geändert. Es ist noch alles genauso wie vorher!“ Urplötzlich schien sich Sherrils Miene aufzuhellen. Mit einer Hand wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht und schon geschah das Unausweichliche: Sie warf sich Zadei in die Arme und klammert sich an ihm fest. „Danke. Ich bin so froh!“ „Waaah, lass los, geh sofort darunter! Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe? Ich habe gesagt, ich kann dich nicht leiden. Und jetzt runter oder ich vergesse mich!“ Damit packte er Sherril mit beiden Händen und wollte sie von sich runterzerren, aber sie hielt sich mit Leibes- kräften fest. „Ich weiß, du sagst mir immer, dass du mich nicht leiden kannst. Aber ich weiß, dass es nicht so ist. Und der beste Beweis ist, dass du mir das Leben gerettet hast. Das einzi- ge, was für mich zählt, ist, dass du gesagt hast, das sich im Vergleich zu vorher nichts geän- dert hat,“ erklärte sie fröhlich, während sie sich fast einen Spaß daraus machte, sich mit Za- deis Kräften zu messen, der noch immer versuchte, sie von sich weg zu ziehen, während sie sich immer weiter festkrallte. „Ich glaub, ich muss gleich kotzen! Lass endlich los du Mistvieh!“ Da er zu ihren Ausführun- gen nichts mehr sagen konnte, was ihn nicht weiter reinritt und er das Thema auch nicht wei- ter vertiefen wollte, konzentrierte er sich jetzt voll und ganz darauf, sie mit Gewalt von sich weg zu ziehen, was ihm mit einem kräftigen Ruck auch gelang. Mit einem lauten „Iiieks“ und einem dumpfen Plumps landete die kleine Prinzessin auf dem Boden. Etwas benommen rap- pelte sie sich nach ein paar Sekunden der Orientierung wieder auf. Dann jedoch stand sie mit verschränkten Armen wieder neben dem Bett und verkündete mit kühler Stimme: „Weißt du, Onkel Zadei, manchmal habe ich das Gefühl, du hast ein Problem mit sozialen Kontakten.“ „Ich geb‘ dir gleich soziale Kontakte! Was willst du eigentlich von mir?“ Plötzlich wurde ihre Miene wieder ernster, sie löste ihre Arme, die sie vor der Brust ver- schränkt hatte und nestelte nun am Saum ihres heute grünen Kleidchens herum. „Ich bin eigentlich gekommen, um mich bei dir zu bedanken. Und um mich zu entschuldigen. Aber diesen Punkt haben wir ja schon geklärt. Bleibt also nur noch die Sache mit dem Bedan- ken.“ „Na toll, dann bedank dich und hau ab!“ „Hm, so schnell geht das nicht, ich möchte mich nämlich noch revangieren. Oder vielmehr, möchte ich wieder gut machen, was dir passiert ist, weil du dich für mich eingesetzt hast.“ „Ich wüsste nicht, wie du dich revangieren könntest,“ meinte Zadei nur kühl. Diese Gefühls- duselei ging ihm allmählich mächtig auf die Nerven. „Oh, unterschätze mich nicht. Ich glaube, ich habe etwas, was dich brennend interessieren dürfte. Und ich kann natürlich nicht wieder gut machen, was du erlitten hast, als du von dem Feuerball getroffen wurdest. Aber ich kann die Folgen wieder gut machen.“ Damit holte sie aus ihrer Rocktasche ein kleines Ledersäckchen heraus. Dann holte sie eine Hand voll violett schimmerndem Staub daraus hervor. „Was ist das?“ fragte Zadei skeptisch. „Vertrau mir einfach. Schließ die Augen.“ „Dir vertrauen? Ich bin doch nicht lebensmüde!“ „Augen zu oder ich verrate Papa, dass _du_ mir den Jungdrachen gezeigt hast!“ Zadei sah sie überrascht an. „Du hast es ihm noch nicht gesagt?!“ Sie schüttelte empört den Kopf. „Natürlich nicht! Ich weiß, dass das alles meine Schuld war. Ich will doch nicht, dass du da mit reingeritten wirst! Das ist unser Geheimnis, nicht wahr?“ Und plötzlich konnte der Dämonengeneral nicht anders, er musste tatsächlich leicht Lächeln. „Mhm, ok. Unser Geheimnis...“ murmelte er, lehnte sich im Kissen zurück und schloss die Augen. „So ist’s gut,“ meinte Sherril und hob die Hand mit dem Pulver über Zadeis blindes Auge und ließ ganz langsam das Pulver darauf rieseln. Dann legte sie ihre kleine Hand über das Lid und konzentrierte sich. Zadei merkte, wie eine warme Welle ihn durchflutete, es wurde regelrecht heiß unter der Hand und sein Blut begann, in seinem Lid zu pochen. Außerdem wurde er selt- sam schläfrig. „Was machst du da?“ fragte er leise. „Shht, keine Sorge, vertrau mir. Du wirst jetzt etwas müde werden und vielleicht ein paar Stunden schlafen. Und danach ist alles wieder in Ordnung.“ Zadei spürte die Wärme weiter durch seinen Körper fluten, ausgehend von der kleinen Kin- derhand, aber es war nicht unangenehm, eher im Gegenteil. Es wirkte irgendwie so beruhi- gend und langsam merkte er, wie er wegdriftete. Er konnte noch spüren, wie sich die Hand entfernte, die angenehme Wärme aber blieb. Durch eine dicke Wand aus Watte hörte er noch eine leise, sanfte Stimme an seinem Ohr flüstern. „Danke für alles, Zadei.“ Leichte Schritte entfernten sich. Das war das letzte, was er wahrnahm, bevor er endgültig in tiefem Schlaf versank. *********** Langsam drückte Titius die Klinke der Tür zu seinem eigenen Zimmer und trat ein. Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, lehnte er sich von innen dagegen und ließ nachdenklich den Blick durch seinen Raum streifen. Er war jetzt die letzten 48 Stunden nicht mehr hier gewe- sen. Und es war kalt hier. Es war bereits Nacht und es brannte keine einzige Kerze, kein Feuer im Kamin. Die einzige Lichtquelle war der Mond, der heute Nacht voll war und durch die großen Fenster hinein schien. Keine Farben hier, nur das silbrige Mondlicht und die dunklen Schatten. Mit einem Mal kam Titius sein eigenes Zimmer, in dem er jetzt schon so viele Jahre lebte, schrecklich unpersön- lich und fremd vor. Er seufzte. Den ganzen Tag war er nicht ein Mal bei Zadei gewesen. Er war nicht mal in die Nähe des Flures gekommen, in dem es lag. Stattdessen hatte er sich in Arbeit gestürzt, im- merhin gab es auch reichlich zu tun, nachdem er mehr als einen ganzen Tag ausgefallen war. Aber die Stimmung im Palast war wieder ausgelassen, von allen waren die Spannung und die Angst mit einem Mal abgefallen. Und alle freuten sich über den Neuankömmling in der Königsfamilie. Hilda war so glücklich, allein in ihrer Nähe zu sein, machte die Menschen um sie herum fröhlich. Alle schienen zu- frieden, nur Titius selber konnte nicht wirklich mit ihnen lachen. Zu sehr quälte ihn seine ei- gene Ratlosigkeit, die seit dem gestrigen Gespräch mit Zadei noch schlimmer geworden war. Außerdem empfand er etwas, was ihm große Angst machte. Er wusste nicht, wie er es nennen sollte, aber es zog ihn unweigerlich in Zadeis Richtung. Darum hatte er heute mit aller Kraft vermieden, ihm zu begegnen. Wie würde das alles noch enden? Titius schritt langsam auf sein weißes Himmelbett zu, an dem die fast durchsichtigen Seiden- vorhänge leicht im Luftzug wehten. Zadeis Bett war anders, kam ihm der Gedanke. Die Vor- hänge bestanden aus schwerem, dunkelrotem Samt und wenn man sie zuzog, war man im Bett bestimmt geradezu abgeschirmt von der Außenwelt. Bei Zadei war alles so unendlich viel anders als hier, überlegte Titius, als er den Vorhang zur Seite schob, hindurch schlüpfte und sich in sein Bett legte. Er hatte keine Lust, sich umzuziehen. Er zog die weiße Seidendecke über sich und versank in den weichen Daunenkissen. Und dann lag er einfach so da und starrte in die Dunkelheit. Er hätte eigentlich müde sein müssen, aber er war hellwach. Ein paar mal wälzte er sich hin und her, bis er schließlich auf dem Rücken lag und an die hohe Decke starrte, die größtenteils im Dunkel verbogen lag. Es war alles so still. Kein Geräusch drang von außen hier herein. Und es war noch immer so kalt. Die Decke wärmte ihn nicht wirklich. Titius zwang sich, die Augen zu schließen und wenigstens zu versuchen zu schlafen. Aber alles, was er sah, waren Erinnerungen. Zadeis Gesicht, als er ihn aus dem Kerker befreit hatte, Zadeis Gesicht, als dieser den Verrat durch Titius erkannte, Zadeis Gesicht, als er sich verab- schiedete, mit dem Versprechen, ihm ein neues Leben zu besorgen. Zadeis Gesicht, als er nach sieben Jahren wieder erwacht war und Titius zum ersten Mal ansah, Zadei gestern Nacht, das blinde Auge, so leer und ausdruckslos, das andere so voller Feuer. Doch dann wie- der die Bilder der Eiswüste. So kalt. So kalt wie hier. Zadeis Gesicht, als Titius sagte, er wür- de ihn nicht hassen... Titius schreckte auf. War er in einen Dämmerschlaf gefallen? Er setzte sich auf und vergrub das Gesicht in den Händen. „Ich werde verrückt, ich werde verrückt...“ murmelte er schon tränenerstickt vor sich hin. Was sollte er nur tun? Er war sich plötzlich sicher, wenn er sich jetzt wieder hinlegte, würde es nur genau so weitergehen wie gerade. Was sollte er tun? Wach bleiben, bis der Morgen kam? Auf den Balkon gehen? Er befand sich wieder mitten in einer dieser trostlosen Nächte, in denen ihm seine eigenen Gefühle zur Last wurden. Und er war allein. Es gab niemanden hier, der ihm half. Wenn Sherril einsam war, konnte sie zu ihren Eltern gehen. Laures und Hilda hatten einander. Ja, Laures hatte Hilda. Er sorgte sich zwar um Titius, aber er war nicht derjenige, der für ihn da sein konnte, zu jeder Zeit. Das hatte Titius im Laufe der letzten Jahre begriffen. Es war nicht mehr so zwischen ihnen, wie damals. Und es würde auch niemals wieder so sein. Sie waren nicht mehr allein im Schloss und herrschten über die Dämonenwelt. Laures Leben hatte einen neuen Mittelpunkt. Es hatte keinen Sinn mehr für Titius, sich Tag und Nacht für ihn aufzuopfern. Früher hatte ihm das gereicht. Ja, die Pflicht war für ihn alles gewesen. Alles, was der Engelsdämon ge- wollt hatte, war, seinen Herrn glücklich zu machen. Etwas anderes hatte es für ihn nicht gege- ben. Aber er hatte einsehen müssen, dass nicht er es war, der für Laures‘ Glück zuständig war, denn das war allein seine Familie. Und mit einem Mal erschien Titius sein Leben so leer. Was blieb für ihn noch übrig, wenn er seines einzigen Lebensinhaltes beraubt wurde? Es war alles leer und kalt, wie dieses Zimmer. Er war einfach allein. Gab es denn wirklich keinen Menschen, der für ihn da war? Doch, den gab es und das wusste Titius ganz genau. Er musste es nur zulassen... Aber konnte er wirklich...? Was, wenn...? Wie unter Hypnose stand er auf, stieg aus dem Bett und bewegte sich langsamen Schrittes durch sein Zimmer. Ohne zu wissen, warum, stand er plötzlich vor seinem Kleiderschrank und öffnete eine der Türen. Und schon hielt er jenes Gewand in den Händen. Zögernd fuhr seine Hand über den weichen Stoff. Die Halsketten, die vorsichtig um den Kragen drapiert waren, klimperten leise. Titius Hand fuhr zitternd darüber, tastete am Kragen entlang. Die Verschlüsse ließen sich noch genau so leicht öffnen, wie am ersten Tag. Eine einzelne Träne rann über sein Gesicht, tropfte auf den Stoff, als er das schwarz-weiße Gewand an sich drückte. Kapitel 7: ----------- Kommentar: *lach* ich muss mich jetzt erst mal entschuldigen, ich habe die Fic vor jahren angefangen hochzuladen und dann... schlichtweg vergessen weiter hochzuladen *lol* Aber ich dachte auch, sie ist von yaoi.de eh schon denen bekannt, die sich dafür interessieren, darum muss ich das irgendwie geistig abgehakt haben. Na ja, aber etwas offen lassen ist ja auch nicht schön, also hier endlich der letzte Teil auch hier auf Animexx^^ Und t´schuldigung nochmal! ~~~ Zadei lag wach in seinem Bett. Er hatte die letzte Zeit auch wirklich mehr als genug geschlafen. Nachdenklich tastete er über sein linkes Auge. Ein weiches Pflaster, gefüllt mit Heilkräutern befand sich darauf. Was hatte sie nur gemacht? Was war das für ein Pulver gewesen? Er fühlte sich körperlich so erholt wie lange nicht mehr. Aber was sollte er jetzt anfangen? Es war mitten in der Nacht. Und es war langweilig. Vermutlich waren alle im Palast am Schlafen. Oder in bestimmter Weise anders beschäftigt... «Wie komme ich denn schon wieder auf so etwas? Ist kein guter Zeitpunkt jetzt.» Warum war Titius eigentlich den ganzen Tag nicht erschienen? Obwohl, eigentlich kannte er die Antwort ja. Nach dem gestrigen Gespräch war es ihm wahrscheinlich höchst unangenehm, Zadei unter die Augen zu treten. Mittlerweile konnte er die Gefühle seines Engels ja doch einigermaßen nachvollziehen. Es hatte ihn gestern bestimmt viel Mühe gekostet, all diese Eingeständnisse zu machen. Und dazu hatte er noch immer ganz offensichtlich Angst vor ihm. Wie konnte er Titius nur diese Angst nehmen? Wahrscheinlich war das unmöglich, immerhin hatte er jede Vertrauensbasis zwischen ihnen von Anfang an mehr als gründlich zerstört. Aber hatte er seit seinem Erwachen nicht bereits mehrmals bewiesen, dass er eine gewisse Grenze Titius gegenüber nicht mehr überschreiten würde? Er hatte Titius zwar mehrmals einen Schrecken eingejagt, aber er war nie zu weit gegangen. Das wollte er auch nicht, er wollte ihm ja nicht mehr wehtun, egal, wie sehr ihn sein eigenes Verlangen auch quälte. Er würde diese Grenze zwischen ihnen nie wieder gegen Titis Willen überschreiten, ihn nicht mehr berühren, wenn er es nicht wollte. Warum dachte er eigentlich nur noch daran, ihn zu berühren? Das Gespräch zwischen ihnen hatte ihn wohl viel zu euphorisch werden lassen! Aber... wenn er jetzt nur hier wäre... Er schloss die Augen und hatte nur noch Titius wunderschöne Gestalt vor sich. Die helle Haut, dass weiche Haar, Zadei konnte seinen Geruch fast riechen, so lebhaft hatte er ihn in Erinnerung. Und gleichzeitig merkte er, wie sehr ihn diese Vorstellungen nervös machten. Sollte er sich vielleicht eins der Mädchen kommen lassen? Im Grunde fand er schon lange nicht mehr viel an ihnen, aber andererseits hatte er jetzt schon ziemlich lange in Abstinenz gelebt. Die sieben Jahre Schlaf zählte er einfach dazu. Das konnte ja alles nicht so ganz gesund sein... In diesem Moment klopfte es prompt an seiner Tür. Etwas verwirrt und aus seinen schlüpfrigen Gedanken gerissen, setzte Zadei sich aufrecht hin. Wer konnte das nur sein, um diese Zeit? Es konnte eigentlich nur Sherril sein... «Oh nein, was tun?!» Vielleicht half es ja, wenn er sich schlafend stellte? Prompt ließ er sich in die Kissen fallen und schloss die Augen. Es klopfte noch einmal zaghaft an seiner Tür und als Zadei wieder keine Antwort gab, wurde tatsächlich die Klinke leise gedrückt. «Aha, natürlich. Sie ist ganz schön penetrant, aber ich tue so, als stünde ich noch unter dem Schlafmittel. Sie wird schon abhauen.» machte Zadei sich selber Mut. Federnde Schritte näherten sich seinem Bett, hielten dann neben ihm inne. Einige Sekunden verstrichen, in denen Zadei nur ein gleichmäßiges Atmen über sich vernahm. Doch dann spürte er plötzlich eine kühle Hand, die sich auf seine Wange legte und mit feinen Fingerspitzen sanft darüber strich. Mit einem Mal erstarrte er. Diese Hand, dieser Geruch... das war doch nicht Sherril!! „Titius!“ Ruckartig fuhr Zadei hoch und riss die Augen vor Überraschung auf. Allerdings war er nicht der Einzige, der überrascht war. Vollkommen schockiert taumelte Titius nach hinten, stolperte über seine eigenen Füße und landete mit einem dumpfen Aufprall auf dem Teppich. Augenblicklich war Zadei aus dem Bett gehechtet und bei ihm. „Das tut mir leid, Titi! Hast du dir was getan?“ fragte er hektisch. Verdammt, das hatte er wirklich nicht gewollt! Titius sah ihn noch immer mit weit aufgerissenen Augen an. „Ich, ich... ihr habt doch geschlafen... wie....?“ Peinlich berührt kratzte Zadei sich am Hinterkopf. „Na ja, ich dachte, es wäre Sherril. Da habe ich mich schlafend gestellt... Warte, ich helfe dir.“ Er griff nach Titius Hand und zog ihn wieder auf die Beine. Dieser war noch immer etwas benommen vom Schreck, begann nervös, seine Haare zu ordnen. „Ihr habt euch schlafend gestellt? Manchmal frage ich mich wirklich, wer hier der größere Kindskopf ist, das siebenjährige Mädchen oder ihr.“ „Du hast leicht reden, du weißt ja nicht, was ich durchmachen mu...“ Erst jetzt, wo Zadei seinen Engel vor sich stehen sah und bewusst betrachten konnte, bemerkte er die Veränderung an ihm. Er schluckte. „Das... Ist das das Gewand, das ich dir damals geschenkt habe?“ fragte er atemlos. Titius wurde sichtlich nervös und blickte ziellos im Zimmer umher. „Es ist mir irgendwie in die Hände gefallen. Ich weiß auch nicht wie... ich meine... Herr Gott, jetzt bin ich kindisch! Verzeiht, ich wollte euch gewiss nicht stören. Entschuldigt mich bitte.“ Er drehte sich schon um, als Zadei ihn leicht am Arm festhielt. „Bleib doch, bitte. Das Gewand... du siehst so wunderschön aus.“ Zadei biss sich auf die Zunge. Titius hatte ihm gesagt, dass er so etwas nicht gern von ihm hörte, aber er konnte nicht anders. Er sah so atemberaubend schön aus wie damals, als er es zum ersten Mal getragen hatte. Schon damals hatte der Anblick Zadei fast den Atem geraubt. Er hätte nie gedacht, dass er es jemals wieder an ihm sehen würde. Zu viele negative Erinnerungen hingen daran. Aber der Anblick machte ihn glücklich und er wollte so sehr, dass sein Engel jetzt blieb, auch, wenn er ihn nicht zwingen konnte. „Warum bist du denn hergekommen? Willst du mir vielleicht eine reinhauen? Tu das doch, ich habe doch gesagt, du kannst jederzeit kommen, wenn dir danach ist! Lass es ruhig an mir aus, wenn es hilft!“ redete er eifrig auf den anderen ein. Titius hielt inne und drehte sich wieder zu Zadei, allerdings mit gesenktem Blick. „Als ob ich euch schlagen würde... Aber genau genommen weiß ich selbst nicht so genau, warum ich hier bin. Ich habe mein Zimmer verlassen und auf einmal war ich hier. Ich konnte einfach nicht schlafen,“ erklärte Titius ehrlich. Es war einerseits unangenehm, sich hier bei Zadei mit all diesen Fragen und Gefühlen auseinander zu setzen. Aber einerseits hatte er schon direkt beim Betreten dieses Raumes diese anziehende Wärme gefühlt, die ihm in seinem Zimmer gefehlt hatte. Hier war es nicht so dunkel. Mehrere Kerzen brannten und tauchten das Zimmer in warmes Licht. Die rötlichen Teppiche und Sitzmöbel und das dunkle Holz, das hier vorherrschte, unterstrichen dies. Hier drin war Leben. Und auch wenn es schwierig mit Zadei war, jetzt wieder allein in sein zwar elegantes, aber dennoch kaltes Zimmer zurück zu kehren, erschien ihm plötzlich wesentlich unangenehmer. Er hob den Blick und musterte Zadeis Gesicht. „Was ist das für ein Pflaster auf eurem Auge?“ fragte er interessiert. „Ich weiß nicht, das kleine Monster war hier und hat irgendetwas damit gemacht. Sie muss das Pflaster drüber geklebt haben, als ich bereits schlief... Aber ich denke, ich sollte es jetzt abmachen, wer weiß, was sie jetzt wieder angestellt hat.“ Er hob die Hand nach oben, aber plötzlich ergriff Titius seine Hand und hielt sie fest. „Lasst mich das machen.“ Verwundert sah Zadei ihn an. „Wenn du meinst.“ Er ließ seine Hand wieder sinken und schon hob Titius seine Hände. Etwas zögerlich berührten die kühlen Fingerspitzen Zadeis Haut, fuhren über den Rand des Pflasters und begannen, es vorsichtig zu lösen. Zadei schloss die Augen, diese sanften Berührungen jagten wohlige kleine Schauer durch seinen Körper. Wie dankbar war er plötzlich für dieses Pflaster! „So, es ist runter, Zadei-sama. Ihr könnt die Augen jetzt öffnen.“ Viel zu früh, wie Zadei fand, lösten sich die sanften Finger wieder. Aber er tat, wie ihm geheißen. Langsam öffnete er seine Lider und blinzelte eine paar mal, bis er schließlich klar und deutlich vor sich erkennen konnte, wie Titius‘ Augen sich vor Verwunderung weiteten und er sich erneut die Hand vor den Mund schlug. „Was ist los, Titi?“ „Merkt ihr es nicht? Euer Auge...!!“ Wo zuvor noch die milchigtrübe Fläche gewesen war, funkelte ihn jetzt wieder ein goldener Bernstein an. Die geschlitzte Pupille bewegte sich flink hin und her. Es löste so ein Gefühl in Titius aus... Zadei fuhr unwillkürlich mit der Hand über sein linkes Auge. Es konnte tatsächlich wieder damit sehen! „Wow, wer hätte das gedacht! Die Kleine ist ja doch zu was gut. Es sei denn, sie hat einen Fluch über mich verhängt und ich verwandele mich gleich in eine Kröte...“ Er hatte kaum zu Ende gesprochen, als er plötzlich nicht mehr wusste, wie ihm geschah. Er sah nur noch, wie Titius‘ Gesicht sich ihm näherte und dann spürte er kühle, sanfte Lippen auf den seinen. Für einen Moment erstarrte er zu Stein, glaubte schon, noch immer unter Sherrils Schlafmittel zu stehen und sich alles nur einzubilden. Aber er konnte ihn fühlen, Titius‘ Hände auf seinen Schultern, das weiche Haar, das seine Wange berührte und die Lippen, die leicht zitternd die seinen berührten. Es musste einfach real sein! Mehr automatisch als bewusst hob Zadei langsam seine Hände und legte sie um den schlanken Körper vor sich, drückte ihn fest an sich. Eine kleine Ewigkeit schien zu verstreichen, bis Titi seine Lippen langsam wieder von den seinen trennte. Und fast augenblicklich überkam ihn ein Zitterkrampf, als er seine weißen Finger an die eigenen Lippen legte. Er schien selbst nicht fassen zu können, was er gerade getan hatte. „Titi, alles in Ordnung?“ stieß Zadei ebenso besorgt wie fassungslos hervor. Der Engelsdämon sah zu ihm auf, brachte aber kein Wort hervor. Doch Zadei merkte, wie er immer stärker zitterte und drückte ihn noch fester an sich, wollte ihn irgendwie beruhigen. Seine Klaue fuhr in den weißen Haarschopf und drückte ihn gegen seine Brust. „Shht, beruhige dich,“ flüsterte er mit beruhigender Stimme. Aber es schien nur noch schlimmer zu werden. Der schmächtige Körper begann noch stärker zu beben und schon spürte er heiße Tränen, die auf seine Brust tropften. Er konnte Titius leicht schluchzen hören. Zadei wurde zunehmend unsicherer. Mit solchen Situationen konnte er nicht umgehen. Er wollte Titius ja helfen, aber er begriff auch nicht so richtig, was eigentlich los war. „Du... musst mir schon sagen, was los ist, Titi, ich verstehe es nicht. Sag doch etwas!“ versuchte er es verzweifelt, aber er bekam auch jetzt keine Antwort, außer Schluchzen. Titius lag einfach so in seinen Armen, die Hände zu Fäusten geballt gegen seine Brust gedrückt, und seinen Körper überkamen immer neue Zitterkrämpfe, während die Tränen einfach flossen, als würden sie nie wieder versiegen. Eine ganze Zeit standen sie so da und Zadei wurde zunehmend hilfloser. Er konnte nichts anderes tun, als den anderen fest zu halten. Titius schien wie von einer Art Krampf befallen zu sein. Was konnte er nur tun? Immer wieder flüsterte er beruhigende Worte, vom Inhalt eigentlich völlig bedeutungslos, aber er hoffte, dass seine Stimme Titius vielleicht helfen würde. Dabei hielt er ihn fest an sich gedrückt und er bekam fast schon Angst, der zarte Körper könnte in seinen Armen zusammenbrechen. Aber was konnte er nur dagegen tun, außer immer wieder beschwörend auf ihn einzureden?! Und endlich, nach einer ganzen Weile zwar, aber dann doch deutlich spürbar, begann das Zittern und auch das Schluchzen abzuebben. Titius fühlte sich, als wäre in ihm ein ganzer Damm gebrochen. Irgendetwas war endgültig aufgesprungen, das Gleiche, was er gestern Abend schon gespürt hatte. Und er konnte es nicht länger unterdrücken und das machte ihm unheimliche Angst. So sehr, dass er jegliche Kontrolle über sich verloren hatte und einfach psychisch zusammengebrochen war. Aber endlich merkte er, wie er langsam wieder in die Realität zurückfand. Zadei war da. Er konnte ihn spüren und hören. Er war etwas Reales, etwas, was einfach immer da war, ob Titi es wollte oder nicht. Jetzt ging es ihm langsam wieder etwas besser. Und nach ein paar weiteren Minuten, in denen er sich immer mehr beruhigt hatte, konnte er sich langsam wieder aus seiner Starre lösen. Zadei bemerkte, wie der andere zusehends ruhiger wurde und schließlich anfing, sich wieder zu regen. Da löste er die feste Umarmung ein klein wenig und hob seine linke Hand, schob sie unter Titis Kinn und hob es leicht an. Er blickte in ein Tränenüberströmtes Gesicht. „Geht’s wieder?“ fragte er besorgt. „Mhm, ich weiß auch nicht, warum... ich meine, es tut mir leid.“ „Shht, hey, schon gut. Was ist, fühlst du dich nicht gut? Möchtest du lieber gehen?“ Zadei wunderte sich über sich selber, dass er das fragte, wobei er ja eigentlich das genaue Gegenteil wollte. Er wollte nicht, dass Titi ging, aber andererseits wusste er, dass es richtig war, ihn das zu fragen und es ihm freizustellen. Nur so konnte er sein Vertrauen gewinnen, wenn das überhaupt möglich war. Aber auch jetzt reagierte Titius anders als erwartet. Mit einer Hand wischte er sich die Tränen aus den blauen Augen, was ihm aber nicht ganz gelang, weil noch immer welche hinaus flossen, und sah geradeaus, hatte also gerade mal Zadeis Halsansatz vor Augen. Dessen Arme waren immer noch um seinen Körper geschlungen. Leise murmelte er: „Und was würdet ihr denken, wenn ich sagen würde, dass ich gar nicht gehen will?“ Zadei schwieg kurz, meinte dann aber, während er an dem weißen Haarschopf vorbei sah: „Mhm, zuerst würde ich mich fragen, ob ich mich nicht verhört habe. Und wenn ich dann rausfinden würde, dass ich mich nicht getäuscht habe, tja, dann würde ich als nächstes Angst bekommen.“ „Angst? Ihr? Wovor solltet ihr denn Angst haben?!“ kam die arglose Frage. „Vor so vielen Dingen. Zum Beispiel fürchte ich mich davor, dass es alles nur ein Traum sein könnte, aus dem ich gleich erwache. Oder auch davor, dass du mir wieder nur was vorspielst. Aber am allermeisten Angst habe ich davor, wieder etwas falsch zu machen. Jedes Wort, jede Bewegung... mir passieren so oft Dinge, die ich gar nicht will“ meinte er wie zu sich selber. „Ist das so...“ In Titius schien es stark zu arbeiten. „Sag mal, Titius, ich habe dir jetzt gesagt, wovor ich Angst habe. Verrätst du mir jetzt, wovor du Angst hast?“ Ein paar Minuten war es still. Titius dachte wohl sehr gut darüber nach, was er sagen sollte. Aber während der ganzen Zeit löste er sich keinen Zentimeter von dem anderen Körper. Dann schließlich atmete er tief ein und sagte: „Irgendwie habe ich vor allem Angst. Vor euch auch. Ja, noch immer. Aber das ist nichts im Vergleich zu der Angst, die ich im Moment vor mir selber habe. Ich mache Dinge, die ich nicht tun dürfte. Ich bin unvernünftig und kindisch. Aber irgendwie kann ich es nicht mehr ändern. Ich wäre so gerne wieder der, der ich war. Damals, als ich euch noch nicht kannte, als alles noch so einfach war. Da wäre mir so etwas wie gerade nie passiert. Ich wusste genau, was ich wollte und ich war zufrieden. Mein Lebensinhalt war, Laures-sama zu dienen und mein Leben für ihn zu geben, wenn es notwendig ist. Sein Glück war alles, was ich brauchte... Aber im Laufe der letzten Zeit habe ich erkannt, dass das mittlerweile einfach nicht mehr ausreicht. Ich bin nicht mehr zufrieden, so wie es ist. Aber ich weiß einfach nicht, was ich wirklich will.“ Zadei seufzte. Er senkte den Kopf wieder und sah den anderen wieder an, schob dabei eine Strähne des silbernen Haares aus dem hellen Gesicht, das so fein geschnitten war, dass Titius glatt als Frau durchgehen konnte. „Du weißt also nicht, was du willst. Aber vielleicht weißt du ja, was du nicht willst? Du hast gesagt, du willst nicht gehen...“ „Ich sagte, was *wäre*, wenn ich sagen *würde*...“ „Haha, du bist unverbesserlich.“ Zu Titius Verwunderung fing Zadei leise an zu lachen. Er kam mit dem Gesicht dicht an seine Schläfe, strich mit der Nase durch das Haar und setzte unvermittelt einen kleinen Kuss darauf. „Weißt du, Titius, es ist immer so mit uns. Wir finden nie die richtigen Worte für den anderen. Endlich verstehe ich das!“ Vorsichtig nahm er Titius‘ Gesicht in beide Hände und sah ihn fest an. „Sag mir einfach, willst du bleiben oder gehen. Du brauchst es nur sagen. Hab keine Angst, ich werde dir beweisen, dass ich keine Bedrohung für dich sein will.“ Nachdenklich blickte der vermeintliche Engel in das goldene Augenpaar. Er wusste, wie gefährlich sie glänzen konnten, wie sie aussahen, wenn Zadei rasend vor Wut war oder wenn er verzweifelt schien. All diese Seiten kannte Titius an dem höher gestellten Dämon so gut. Sie waren ihm so vertraut. Und jetzt konnte er nichts Gefährliches darin erkennen. Er atmete einmal tief durch. „Ich glaube, ich kann gar nicht mehr zurück.“ Titius selber wurde die Doppeldeutigkeit seiner eigenen Aussage nicht mal richtig bewusst, aber sie war eine Erkenntnis, eine Entscheidung, die er in seinem Herzen bereits gefällt hatte. Plötzlich zogen Zadeis Augenbrauen sich zusammen und seine goldenen Augen begannen zu glitzern, bekamen einen fast traurigen Ausdruck, während er leicht den Kopf schüttelte. Aber gleichzeitig umspielte ein Lächeln seine Lippen. Es war ein undefinierbarer Gesichtsausdruck, irgendwo zwischen Unglauben, Angst, Überraschung und auch unsagbarer Freude. Langsam beugte er sich vor zu dem anderen Gesicht, das er in beiden Händen hielt und hauchte kaum hörbar: „Wenn das so ist, dann bleib doch einfach.“ Dann beugte er sich weiter vor und küsste Titius. Langsam und vorsichtig berührte er nur seine Lippen. Und eigentlich hatte er sofort wieder von ihm ablassen wollen, aber die süßen Lippen hielten ihn gefangen. Und Titius wich keinen Zentimeter von ihm. Denn dieser fühlte sich wie benebelt, hatte die Augen geschlossen und konnte sich nur auf das Gefühl der Wärme konzentrieren, das von Zadeis Lippen ausgehend durch seinen ganzen Körper flutete. Es war neu für ihn. Zadei hatte ihn schon so oft geküsst, aber er hatte es verabscheut, hatte bis jetzt nie etwas Positives daran finden können. Aber im Moment hatte er tatsächlich keine Angst. Aus irgendeinem Grund vertraute er einfach blind darauf, dass Zadei ihn gehen lassen würde, wenn er es so wollte. Zadeis Hände ließen inzwischen das Gesicht los, glitten nach unten, den Hals entlang und die Schultern. Die Klaue blieb darauf liegen, aber die linke Hand fuhr langsam weiter nach unten, Titius‘ rechten Arm hinunter und wieder hinauf. Mit seiner rechten Hand begann er mit den einzelnen Haarsträhnen zu spielen, wie er es so gern tat. Es durch die Finger gleiten zu lassen, sie darin zu verzwirbeln... Was tat er hier eigentlich? Unwillig löste er seine Lippen wieder, nahm schnell wieder seine Hände zu sich und wich einen ganzen Schritt nach hinten. Er räusperte sich etwas heiser. „Ähem, ich denke, das war keine besonders gute Idee. T’schuldige, kann halt nicht ganz aus meiner Haut.“ Etwas nervös kratzte er sich am Hinterkopf. „Tja, was sollen wir jetzt machen? Wir könnten ein wenig... reden vielleicht. Du bist doch noch nicht müde? Vielleicht setzen wir uns einfach aufs Sofa... Möchtest du was trinken? Wir kriegen die Zeit schon rum!“ plapperte er, während er schnellen Schrittes zur Bar ging und auch schon Gläser hervorholte. Titius hingegen stand etwas verloren im Zimmer herum. War etwas zu schnell herausgerissen worden aus seinen Empfindungen, hatte sie gar nicht richtig erkunden können. Mit den Blicken folgte er dem schwarzhaarigen Dämon, der sichtlich nervös durchs Zimmer eilte und jetzt mit den Gläsern klimperte. Langsam setzte er sich in Bewegung und war nach ein paar Schritten auf dem weichen Teppich neben dem anderen angelangt. Er beobachtete Zadeis Bewegungen, als er versuchte, Wein aus einer Karaffe in die Gläser zu füllen. „Ich weiß nicht, ich bin gar nicht durstig. Ich will nur... bei euch sein... glaub ich...“ Schon fiel die Weinkaraffe mit einem lauten Klirren zu Boden, färbte den ohnehin roten Teppich noch dunkler. Völlig konfus sah Zadei die weiße Gestalt neben sich an. Doch Titius legte nur seine Hand auf die von Zadei, ergriff sie und führte sie nach oben, schmiegte sein Gesicht daran. Der Dämonengeneral schauderte. Wollte sein Engel wirklich von ihm berührt werden? „Vorsicht, Titius, du weißt nicht, was du tust...“ warnte er ihn, aber schon war er wieder an Titius heran getreten und küsste die süßen Lippen abermals. Allerdings diesmal etwas verlangender. Aber als Titius noch immer nicht zurückwich, eher im Gegenteil, sich tatsächlich an ihn zu schmiegen begann, wagte er es und strich vorsichtig mit der Zungenspitze über die schmalen Lippen. Und tatsächlich öffnete Titi die seinen fast augenblicklich. Schon überkam Zadei ein schlechtes Gewissen, immerhin hatte er ihn schon so oft geküsst, aber nie hatte er Titius dabei eine Wahl gelassen. Hatte seine Lippen und seinen Mund einfach immer in Besitz genommen, ohne Rücksicht zu nehmen. Umso erstaunlicher war es jetzt, dass er es freiwillig tat. So kam es Zadei fast vor, als wäre es das erste Mal, dass sich ihre Lippen berührten. Und Titius fühlte ähnlich. Nur war es für ihn etwas noch viel Unbekannteres als für Zadei, immerhin hatte er vor ihm noch überhaupt niemanden richtig geküsst... Vorsichtig ließ Zadei seine Zunge in die warme Mundhöhle gleiten und erkundete sie langsam und nur sehr zurückhaltend. Nach mehreren Aufforderungen ließ auch Titius‘ Zunge sich auf das Spiel ein, wenn auch nur sehr zaghaft. Inzwischen waren auch Zadeis Hände wieder auf Wanderschaft gegangen. Die Klaue hatte sich im weißen Haar vergraben und die andere strich unermüdlich über Schulter, Hals und Arm. Ohne es zu merken drängte er Titius dabei etwas zurück und als sich ihre Lippen wieder trennten, stand Titi bereits mit dem Rücken zur Wand. Er schnappte etwas nach Luft und Zadei lachte leise. Er kam wieder nah an Titis Ohr und flüsterte: „Weißt du, wie du schmeckst? Nach Honig. Oder auch Zucker. Weißer Zucker. Jedenfalls ist es sehr süß.“ Neckisch strich er mit der Zunge über die Ohrmuschel. Titius‘ errötete und lächelte ein wenig hilflos. Diese Situation war zu neu für ihn, er wusste nicht so recht damit umzugehen. Aber schon merkte er, wie Zadeis Lippen weiter nach unten glitten, kleine Küsse auf den Hals setzten. Unwillkürlich bog Titius ihm den Hals etwas entgegen. Doch weit kam Zadei nicht, denn der enge Kragen am Hals war ihm im Weg. Automatisch hob er seine Hand und begann schon an dem Kragenverschluss zu nesteln, als er merkte, wie der andere sich versteifte und sich eine Hand reflexartig auf seine legte. Er hob den Kopf und sah in Titius‘ blaue Augen, die ihn etwas unsicher anblickten. «Wusst ich’s doch, er hat wirklich keine Ahnung, worauf er sich einlässt.» stellte Zadei etwas betrübt fest. „Soll ich aufhören? Wäre wohl besser, was? Ist sowieso total irrsinnig,“ meinte er leise und wollte sich schon lösen, wurde aber überraschenderweise von seinem Engel festgehalten. „Hm, nein, ähm... ich...“ Er atmete tief ein, schien mit sich selber einen kleinen Kampf auszufechten, traf aber dann eine Entscheidung. Langsam und etwas zitternd entfernte er seine Hand von Zadeis, legte sie an dessen Gesicht und zog ihn zu sich herab. Nur zu gern kam dieser der Aufforderung nach, stockte aber, bevor sich ihre Münder erneut berührten. „Sag mal, ich freue mich zwar, aber ich verstehe nicht, warum auf einmal?“ Die blauen Augen vor ihm wichen ihm nicht aus. „Wir haben vorhin über Ängste gesprochen. Ich will meine endlich loswerden. Die Angst vorm alleine sein und auch die Angst vor...“ „Aber deswegen musst du nicht...“ Ein schlanker Finger legte sich auf seine Lippen. „Schon gut, fragt nicht weiter. Es ist in Ordnung.“ „Aber wenn wir jetzt weiter machen, ich weiß nicht, ob ich dann noch aufhören kann...“ Diesmal erhielt er als Antwort einen hungrigen Kuss und bald hatte er seine eigene Frage vergessen. Erneut spielten ihr Zungen miteinander, Titius verlor etwas von seiner Zurückhaltung. Zadei drückte ihn leicht an die Wand, intensivierte den Kuss immer mehr, während seine nun wieder freigelassene Hand den Kragen ein paar Zentimeter weit öffnete. Etwas widerwillig verließ er die süßen Lippen, nur um sie auf der fast sahneweißen Haut ein Stück weiter unten wieder aufzusetzen. Kleine Küsse setzte er in einer Kette bis zum Halsansatz hinab, beendete sie bei den Schlüsselbeinen. Titius war so angenehm kühl und weich, kein anderes Wesen hatte ihn in all seinen Details je so fasziniert. Und er spürte von Sekunde zu Sekunde mehr, wie es ihm immer unmöglicher wurde, von ihm abzulassen, ganz im Gegenteil. Er wurde immer gieriger nach diesem Körper, wollte noch so viel mehr von ihm. Auf der linken Seite verfolgte er seine Spur über den Hals wieder nach oben und stellte erfreut fest, wie Titius seinen Kopf mit einem ganz leisen Seufzer in die andere Richtung neigte, um ihm mehr Fläche zu bieten, die Augen dabei geschlossen hielt. Er war vollkommen versunken in seine Gefühle, konzentrierte sich auf die warmen Wellen, die jeder von Zadeis Küssen in ihm auslöste. So ein Gefühl hatte er noch nie gehabt. Er spürte, wie Zadei die Kälte aus seinem Körper vertrieb, Stück für Stück. Und das fühlte sich einfach gut an, auch wenn er solche Dinge schon aus Prinzip früher immer verabscheut hatte. Aber was bedeutete es jetzt noch, was er früher gedacht und empfunden hatte? Man kann sich ändern, wenn auch nur langsam und nicht von alleine. Endlich machten Hildas Worte Sinn für ihn. Langsam glitten Zadei Hände zu Titius‘ Schultern, legten sich darauf und fuhren unter den weißen Stoff des Mantels, schoben ihn immer weiter nach außen, bis er schließlich über die Schultern hinab fiel, über Titius‘ Arme rutschte und zu Boden glitt. Jetzt stand der Engel nur noch im pechschwarzen Gewand vor ihm, der Stoff bildete einen scharfen Kontrast zur der hellen Haut und den silbernen Haaren. Zadei entfernte sein Gesicht wieder etwas von dem anderen und besah sich seinen Engel von oben bis unten. Titi sah ihn etwas unsicher an, lehnte mit angehaltenem Atem an der Wand hinter ihm. Dann streckte Zadei seine Klaue aus, strich mit dem Zeigefinger und dem langen Nagel über die Öffnung am Kragen, lenkte ihn nach unten und löste vorsichtig ein paar weitere Hacken, so lange bis die helle Brust als dünner Streifen zwischen dem schwarzen Stoff erschien. Gedankenverloren begann der Dämon, diesen schmalen Streifen Haut hinunter zu küssen, dann wieder nach oben. Seine Hände legten sich um die schmalen Hüften. Titius seufzte abermals, überrascht über seine eigenen Gefühle, aber auch über Zadei. Was er tat, war ihm einfach fremd. Zadei war der einzige in seinem Leben gewesen, der ihn überhaupt jemals so berührt hatte, aber so wie jetzt war es mit ihm noch nie gewesen. Warum hatte er das nicht vorher schon mal so gemacht? Na, weil Titi es niemals zugelassen hätte, so einfach war die Antwort! Aber jetzt, wo er diese Zärtlichkeiten spürte, merkte er, wie gut es seinem Körper und auch seiner Seele tat. Ja, es war gut gewesen, hierher zu kommen... Zadei kam wieder an Titis Ohr, während dieser noch mit diesen Gedanken beschäftigt war, und fragte mit leiser, etwas rauer Stimme: „Kommst du mit mir?“ Titius nickte. Er wusste nicht, was Zadei meinte, an welchen Ort er mitkommen sollte und warum. Aber er nickte. Und dann fühlte er, wie sich zwei Arme unter ihn schoben und er federleicht hochgehoben wurde, sich plötzlich in Zadeis Armen wieder fand. Dieser lächelte über die leichte Verwirrung seines Engels, wendete dabei seinen Blick aber keine Sekunde von den blauen Augen, während er ihn langsam durchs Zimmer trug. Als sie an dem großen, dunklen Himmelbett angekommen waren, legte er das leichte Geschöpf vorsichtig hinein in die weichen Kissen. Dann kletterte auch er auf die Matratze und schloss schließlich alle dunkelroten Samtvorhänge um das Bett herum. Das Bett wirkte jetzt wie eine kleine, abgeschlossene Welt, in der es jetzt nur noch sie beide gab. Nichts und niemand konnte von außen eindringen. Es war genauso, wie Titius es sich bereits vorgestellt hatte. Irgendwie überkam ihn ein Gefühl von Geborgenheit auf der einen Seite. Auf der anderen Seite war da aber immer noch die Angst, das leichte Misstrauen. Zadei selber legte sich erstmal nur neben ihn. Er merkte, wie Titius ein wenig nervös wurde. Er küsste ihn auf den Mund, strich mit der rechten Hand beruhigend über dessen Wange, dann den Hals hinunter und dann über die Brust, schob dabei das Gewand noch weiter beiseite. Schließlich hatte er die weiße Brust und auch die Schultern entblößt. Allerdings spürte er im Kuss, wie Titius leise wimmerte. Er löste ihre Lippen voneinander und sah forschend in die blauen Augen. „Alles in Ordnung?“ Titius nickte mit dem Kopf, brachte keinen Ton heraus. Es war nicht nur das Ungewohnte und die Angst, die er trotz allem irgendwo in sich verspürte, sondern auch ein gewisses Schamgefühl. Und das, obwohl er gerade vor Zadei nichts mehr zu verbergen hatte... Der schwarzhaarige Dämon senkte seinen Kopf und küsste den nun nackten Oberkörper seines Geliebten, strich mit der Hand unermüdlich über die weiche Haut. Dabei lehnte er sich automatisch immer weiter rüber, bis er schließlich schon halb auf dem anderen lag. Eine Zeit lang verblieb er einfach so, fuhr unermüdlich fort, Titius zu streicheln und zu liebkosen. Dabei wurde er selber allerdings immer aufgeregter. Er konnte es selber kaum fassen. Eigentlich war es ja stets sein Traum gewesen, dass es zwischen ihnen so war wie jetzt. Das war es, was er von Anfang an gewollt hatte. Nicht einen gefühlstoten Körper unter sich, nicht die aufgezwungenen Küsse, nicht diese einseitige Befriedigung auf Kosten des anderen. Erst jetzt begriff er das vollkommen. Aber das änderte natürlich nichts daran, dass sein Verlangen nach dem anderen ihn von Sekunde zu Sekunde mehr um den Verstand brachte. Schließlich ging er nun weiter, streifte das Oberteil der Robe ganz von den schmalen Schultern. Dazu bewegte er sich nun endgültig auf Titius, schwang sein Bein über ihn und kniete über ihm. Das hieß, sein Gewicht hatte er in erster Linie auf seinen Knien verteilt. Von oben betrachtete er den freien Oberkörper, dann das Gesicht, um das die silbernen Haare in langen Bahnen über das Kissen flossen. Die schön geschwungenen Flügel wirkten, als hätte ein Künstler sie bewusst so drapiert, wie sie jetzt lagen. Titius allerdings sog dabei scharf die Luft ein. So sehr er es auch zu unterdrücken suchte, die Bilder seiner Albträume kamen ihm in dieser Situation wieder ins Gedächtnis. Er schloss die Augen, versuchte verzweifelt dagegen anzukämpfen. In seinem Magen stieg Panik auf, als er Zadei so über sich sah, einen Teil seines Gewichts auf sich spürte, dazu der Blick aus den goldenen Augen, deren verlangenden Ausdruck er mittlerweile auch sehr gut kannte. Auch wenn diesmal nicht diese Aggressivität und diese Wildheit, die fast an Besinnungslosigkeit grenzte, darin zu finden waren. Mühsam kämpfte er gegen die aufkommende Panik und das Zittern an, mit dem sein Körper automatisch reagierte. Zadei sah, wie Titius seine Augen qualvoll schloss, sichtlich unruhig wurde. Das Zittern setzte wieder ein und erneute drangen Tränen aus den Augenwinkeln. Die Lippen waren aufeinander gepresst und die zarten Hände verkrampften sich. Und ohne nachfragen zu müssen, wusste Zadei plötzlich, an welche Szenen sein Engel sich erinnert fühlte. In diesem Moment hätte er sich am liebsten selber in Stücke gerissen. Was hatte er nur getan? Was hatte er getan? „Hör zu, Titi... bitte, es tut mir leid! Es tut mir so leid! Was soll ich denn nur tun? Ich kann es nicht ungeschehen machen, ich kann einfach nicht, auch wenn ich alles dafür tun würde! Alles würde ich ändern, alles! Aber ich kann nicht, ich kann einfach nicht!“ brach es aus ihm hervor. Er beugte sich vor, legte sich der Länge nach auf Titius, schob seine Hände unter seinen Rücken und drückte ihn fest an sich. Ihm kamen die Tränen, ehe er es verhindern konnte. „Oh Gott, es tut mir alles so leid!“ Titius öffnete seine Augen wieder, als er spürte, wie Zadei sich an ihm festklammerte, seinen Kopf neben seinem im Kissen vergrub. Er selber hob seine Hände, legte sie um den Rücken des anderen. Konnte es tatsächlich sein... weinte Zadei? Nur einmal hatte er ihn so erlebt. Ein einziges Mal in der Eiswüste. Titius erinnerte sich. Er hatte ihm damals noch einmal klar gemacht, dass er seinen Körper wohl haben könne, niemals aber seine Seele. Und mit einem Mal tat Zadei ihm tatsächlich leid. Über dieses Gefühl vergaß er im Moment alles andere. Er schloss seine Arme nun endgültig um den anderen, vergrub eine Hand in dem schwarzen Haarschopf, strich liebevoll darüber. „Es ist okay, Zadei. Ich weiß, du würdest alles tun. Du sagst immer die Wahrheit.“ Langsam hob Zadei den Kopf, blickte offen in Titis Gesicht. Nicht nur die Worte hatten ihn überrascht, sondern auch die Tatsache, dass er ihn duzte, nicht mehr in der höflichen Form mit ihm sprach. Ein weiterer Beweis, dass Titius die Distanz zwischen ihnen einreißen wollte. „Kannst du mir verzeihen, Titius?“ „Ich weiß nicht. Aber vielleicht... kann ich ja lernen, damit zu leben.“ Titius lächelte leicht. Und endlich sah Zadei die Wärme in den blauen Augen, die er sich so oft zu sehen gewünscht hatte. Von der er gedacht hatte, das sie niemals ihm gelten würde. Aber das Eis war jetzt geschmolzen. „Du brauchst mir nicht verzeihen, das einzige was ich will, ist, dass du keine Angst mehr vor mit hast.“ Glücklich küsste er die geliebten Lippen erneut und stieß auch nicht auf Widerstand. Nach einiger Zeit versiegte das Zittern sogar abermals und endlich hatte Zadei das Gefühl, zu dem anderen durchgedrungen zu sein. Nachdem er noch eine ganze Weile einfach nur so verharrt hatte und mit der Hand vorsichtig über den Oberkörper gestrichen hatte, intensivierte er den Kuss, strich dann mit der Hand nach unten und streifte nun die schwarze Robe weiter nach unten, die Beine hinab, wobei Titius die Augen schloss. Dann löste er sich kurz, wenn auch unwillig von dem geliebten Körper und zog ihm das Kleidungsstück schließlich ganz aus. Aber um Titius nicht zu lange nachdenken zu lassen und ihm das Gefühl der Scham zu ersparen, dem er offenbar immer noch unterlag, legte er sich sofort wieder auf ihn und zog die Decke über sie beide. Und Titius fühlte sich so tatsächlich etwas wohler, nahm Zadei in die Arme, als er wieder zu ihm kam. Weiter Küsse über dessen Haut verteilend, streichelte Zadei ihn weiter, fuhr dann aber mit der rechten Hand immer weiter nach unten, über den Bauch, verharrte dort. Titius begann leise zu stöhnen, wusste kaum, wie ihm geschah, als der andere seine Hand darauf weiter sinken ließ und schließlich ganz leicht seinen Schritt berührte. Völlig neue Emotionen prasselten über ihn herein, er merkte, wie ihm heiß und kalt gleichzeitig wurde. Aber schon ließ Zadei wieder von ihm ab, streichelte nun über seine Oberschenkel, erst herunter, dann an der Oberseite wieder hinauf. Sein Stöhnen wurde lauter und ohne es zu registrieren, erregte er Zadei damit gleichzeitig mit. Dieser war sich selber nur zu gut darüber im Klaren, dass in der Regel schon ein Blick zu Titius, ein Gedanke an ihn ausreichte, um seinen Körper deutliche Signale geben zu lassen. Umso extremer war es natürlich jetzt. Verbissen kämpfte er um seine eigene Beherrschung, ermahnte sich tausendmal, langsam zu sein, bloß nichts zu überstürzen. Aber Titius‘ Atem ging zunehmend schneller, während er in seinen Bewegungen fort fuhr. Außerdem klammerten die weißen Arme sich fest um seinen Rücken, drückten ihn immer fester an sich. Zadei verdrehte die Augen, als er selber mit dem Schritt eher versehentlich kurz gegen Titis Schenkel stieß. Und als dieser nun auch noch ein Bein anwinkelte, es gegen seine Hüfte drückte, musste er selber laut aufkeuchen, stieß stoßartig die Luft aus. Er wusste, dass er jetzt nicht mehr lange würde an sich halten können. Schnell warf er einen Blick in Titius‘ Augen, sah allerdings, wie benommen sie wirkten, geradezu glasig. Sein Engel war so von den neuen Emotionen, die ihn überfluteten, eingenommen, dass er kaum noch etwas um sich herum wahrnahm. Also fasste auch er jetzt Mut. Schnell, aber nicht zu hastig, öffnete Zadei auch seine Hose, zog sie aus. Dann ließ er sich wieder zwischen Titius Beine gleiten, dirigierte die weißen Schenkel ganz vorsichtig ein wenig weiter auseinander und in die Richtige Position, fürchtete dabei immer noch, Titius würde vielleicht wieder einen Anfall bekommen, würde mit der Situation nicht umgehen können. Aber als dieser Zadeis Hüfte spürte, zuckte er zwar kurz und seine Atmung beschleunigte sich abermals, er machte aber dennoch keinen Rückzieher, war schon gar nicht mehr in der Lage dazu. Natürlich wusste er, was jetzt kam. Und natürlich erinnerte er sich daran, wie sehr er sich immer davor gefürchtet hatte und wie er es verabscheut hatte. Aber er merkte selber, wie seine Haut an den Stellen brannte, wo Zadei sie berührt hatte, wie sein ganzer Körper sich extrem sensibilisierte. Und er war sich auch der Hitze bewusst, die sich in seiner eigenen Mitte sammelte. Sein Körper machte ihm ganz unmissverständlich klar, dass er jetzt gar nicht mehr aufhören konnte. Und vielleicht war das auch gut so, viel zu selten ließ Titius seinen Körper den Verstand beherrschen. Und dann spürte er, wie Zadei in ihn eindrang. Keuchend schnappte er nach Luft, warf den Kopf nach hinten und kniff die Augen zusammen, als er den ersten Schmerz spürte, der ihm mittlerweile gut bekannt war. Aber er spürte Zadeis Lippen, an seinem Ohr die ein paar beruhigende Worte flüsterten, dessen Inhalt er nicht mal wirklich verstand. Dann wieder ein hungriger Kuss. Und langsam merkte er, wie der erste Schmerz langsam versiegte, sein Körper sich ein wenig daran gewöhnte. Dann begann Zadei, sich langsam in ihm zu bewegen. Erst in langsamen Rhythmus, dann zunehmend schneller. Aber es tat schon nicht mehr so weh wie zuvor, zumindest glaubte Titius dies, wusste eigentlich gar nicht mehr genau, was er fühlte. Nur noch Hitze. Dann wieder Kälte. Er schloss die Augen, konnte kaum noch denken. Er fühlte so vieles. Nie zuvor hatte er so empfunden, aber er fühlte sich, als wäre er eins mit Zadei, und das war ein gutes Gefühl, soviel war sicher. Er ließ sich vollkommen fallen, merkte, wie ihm immer heißer wurde, bis er dachte, er müsse verbrennen, bis er schließlich zu bersten schien. Im selben Moment spürte er, wie Zadeis Körper stark erzitterte und sich dann mit einem heftigen, letzten Stoß in ihm ergoss. Auch in ihm schien etwas zu explodieren und mit einem erstickten Schrei kam auch er. Für ein paar Sekunden nahm er gar nichts mehr wahr, erst dann registrierte er, wie Zadeis Körper erschlaffte und er sich zitternd auf ihn legte. Erneut schoben sich starke Arme unter Titius, drückten ihn diesmal so fest an den größeren Körper, dass ihm fast die Luft wegblieb. Aber er fühlte sich wohl, spürte, wie Zadei, sein Gesicht in seinem Nacken vergrub und ihn noch immer so fest an sich presste, als fürchte er, sein Engel könnte sich jeden Moment in Luft auflösen. In diesem Moment hatte Titi das Gefühl, dass nichts und niemand ihm mehr etwas anhaben konnte. Hier war er sicher, die starken Arme um ihm herum würden das nicht zulassen. Er war nicht allein, auch für ihn gab es jemanden, der ihn liebevoll hielt. Und das trotz allem, was sie sich gegenseitig angetan hatten. Und jetzt wurde ihm auch klar, dass Zadei ihn schon die ganze Zeit auf diese Weise angezogen hatte. Darum war er immer wieder hinunter in den Keller gegangen, während Zadei geschlafen hatte, darum waren ihm die einsamen Nächte so trostlos vorgekommen, darum hatte sein Körper in der Nacht, als Zadei nach sieben Jahren endlich wieder zu sich gekommen war, sofort auf ihn reagiert. Er war nicht ganz allein. Es war jemand da für ihn. Eine Seite in ihm hatte es die ganze Zeit gewusst, er hatte es nur nicht zulassen können. Aber jetzt bereute er es auch nicht mehr. So, wie es jetzt war, war es gut. Und mit dieser Erkenntnis schlief er ein. ********** Trippelnde Schritte tapsten durch den Flur, hielten an einer Ecke an. Ein kurzes Lauschen, ein schneller Blick, schon huschte Sherril um die letzte Ecke zu Zadeis Flur. Wie gut, dass sie so früh aufgestanden war, noch suchte sie niemand! Da würde sie schnell noch zu Zadei können. Schon war die Tür und somit das Ziel in Sichtweite und der Sieg gewiss, als urplötzlich eine Hand nach ihr griff und sie an ihrem Kragen festgehalten wurde. Mit einem Quieken drehte sie sich um. Mist, man hatte sie erwischt! Aber wer...? „Oh, guten Morgen, Papa!“ «So ein Mist, ausgerechnet er. Wie schafft er es nur immer, so aus dem nichts aufzutauchen?» „Einen schönen guten Morgen. Wo wollen wir denn so früh hin, junge Dame?“ fragte Laures mit ernster Miene. „Wenn ich sagen würde, ich bin extra früher aufgestanden um zu lernen, dann glaubst du mir das wahrscheinlich nicht, was?“ „Nein.“ „Ich wollte zu Zadei, wissen, ob das mit dem Auge geklappt hat,“ sagte sie sofort, sich rauszureden hatte ja doch keinen Sinn. „Das kannst du auch später noch. Jetzt ist kein guter Zeitpunkt.“ „Warum nicht?“ „Zadei ist gerade nicht alleine, darum.“ „Wer ist denn bei ihm?“ fragte sie neugierig. „Das kannst du ihn später selber fragen, aber jetzt wirst du ihn nicht stören.“ Damit hob er seine Tochter hoch und nahm sie auf den Arm. „Du könntest es mir ruhig sagen. Allein schon als Dank dafür, dass ich gestern für dich den Boten gespielt habe und Onkel Zadei das Heilpulver gebracht habe, dass du extra erschaffen hast. Ich verstehe übrigens immer noch nicht, warum du es ihm nicht selber gegeben hast.“ Laures lächelte auf seine übliche, geheimnisvolle Art. „Zadei hätte sich lieber auch noch das zweite Auge ausgestochen, als Hilfe von _mir_ anzunehmen. Darum habe ich dich geschickt. Außerdem entwickelst du langsam immer bessere Heilkräfte, es ist wichtig, dass du sie oft anwendest.“ Sie seufzte plötzlich, als würde eine schwere Last auf ihren Schultern liegen. Laures sah seine Tochter an. „Sherril, ist etwas?“ „Hach, es ist einfach schade, dass du und Zadei nicht so gut miteinander auskommt. Das macht alles etwas kompliziert, vor allem, wo ich ihn doch heiraten werde, wenn ich groß bin...“ „WAS?!“ Es kam seeehr selten vor, dass Sherril ihren Vater so erlebte, aber jetzt schienen für den Bruchteil einer Sekunde seine Gesichtszüge zu entgleisen. Aber er hatte sich innerhalb weniger Sekunden wieder gefangen. Lediglich unter seinem rechten Auge zuckte es ein wenig verräterisch. Mit betont ruhiger, aber dennoch bedrohlich klingender Stimmer sagte er dann: „Ich dachte, du wolltest Titius heiraten, wenn du groß bist?!“ „Ja klar, mache ich ja auch. Ihn und Zadei. Weißt du, wenn ich erst mal das Reich regiere, führe ich die Polygraphie ein,“ verkündete sie fachmännisch. „Ähm, du meinst wahrscheinlich Polygamie‘?! Wo hast du denn das schon wieder her? Außerdem glaube ich nicht, dass Zadei damit so einverstanden wäre. Auch nicht im Bezug auf Titius.“ „Ach was, alle sagen immer, als Dämonenfürst ist man die höchste Instanz, niemand darf sich unserem Willen widersetzen, nicht war? Im Notfall zwinge ich die beiden einfach zu ihrem Glück.“ Laures musste tatsächlich ein wenig schmunzeln. Es war eine durchaus interessante Vorstellung, allein Zadeis Gesicht, wenn sie ihm ihren Vorschlag unterbreitete... Lächelnd meinte er: „Na ja, ich denke, bis du meinen Platz einnimmst, wird noch einige Zeit verstreichen. Und da wird sich sicher noch die eine oder andere Alternative zur Heirat auftun, denke ich. Komm jetzt, wir gehen mal nachschauen, wie es deinem Bruder und deiner Mutter geht, in Ordnung?“ Sherril nickte zwar und ließ sich bereitwillig von Zadeis Zimmer wegtragen, ließ es sich aber nicht nehmen, noch ausführlich zu erklären, dass andere Männer als diese beiden nicht in Frage kommen würden, einfach aus den und den Gründen und sowieso und überhaupt. Leise diskutierend verschwanden die beiden im Dunkel der Flure, bis wieder friedliche Stille vor Zadeis Zimmertür herrschte. ******* Titius erwachte durch eine Berührung an der Wange. Noch bevor er die Augen auf hatte, wusste er, dass es Zadeis Klaue war, die zärtlich an seinem Gesicht entlang fuhr. Und er hatte Recht, als er die Augen öffnete, blickte er direkt wieder in die beiden goldenen über sich. Verschlafen blinzelte er, bemerkte dann, wie Zadei leicht lächelte. „Guten Morgen,“ hauchte dieser, streifte dann mit seinen Lippen kurz Titius‘. „T’schuldige, ich wollte dich bestimmt nicht wecken, aber ich konnte es einfach nicht lassen.“ Titius lächelte nun auch, machte aber sogleich ein tadelndes Gesicht. „Ich weiß, ihr seid unverbesserlich.“ Aber Zadei verzog das Gesicht. „Schau doch nicht so. Ich bin nun mal, wie ich bin. Ein unverbesserlicher Egoist eben. Lächle lieber noch mal, ich will das noch mal sehen.“ Sein Engel zog eine Augenbraue hoch. „Ich soll was?“ „Lächeln, so wie gerade. Bitte, lass mich das noch einmal sehen.“ Titius kam sich dabei irgendwie doof vor. „Und wenn ich nicht will?“ Zadei verdrehte die Augen. „Du bist echt ein Dickschädel! Du bist kein Stück besser als ich!“ Damit streckte er entschlossen eine Hand nach einem von den beiden weißen Flügeln aus und griff nach einer mittellangen Schwungfeder. Mit einem kurzen Ruck zog er sie raus und Titius verzog das Gesicht, blickte ihn dann finster an. „Hey, das tut weh!“ beschwerte er sich. Zadei grinste nur und drehte das weiße Objekt zwischen den Fingern. „Die ist doch nicht giftig oder?“ „Das wüsstet ihr jetzt gerne, was? Probiert es doch aus!“ „An dir?“ „Also, Zadei-sama, wenn mein eigenes Gift mir schaden würde, hätte ich ein gewaltiges Problem, nicht wahr?“ „Da hast du Recht. Aber mittlerweile kenne ich dich auch gut genug, um zu wissen, dass die unteren Schwungfedern bei dir nicht giftig sind. Davon abgesehen schadet mir dein Gift sowieso nicht wirklich,“ grinste er triumphierend. „Schön für euch.“ „Titius, du siezt mich schon wieder,“ fiel Zadei auf. Titius dachte kurz nach. Stimmt, er hatte es gar nicht bemerkt. „Entschuldigt... Entschuldige, ich kann halt auch nicht ganz aus meiner Haut. Aber ich arbeite dran, zumindest, wenn wir alleine sind.“ „Dann ist’s gut. Ich bin wahrscheinlich der erste, den du duzt, der nicht im Rang unter dir steht. Aber ich glaube es gibt auch noch eine andere Premiere. Du hast vor mir noch nie mit jemandem geschlafen, oder?“ Titius sah ihn kleinlaut und mit etwas geröteten Wangen an, im gleichen Moment begann Zadei aber, mit der weichen Feder sanft über sein Gesicht zu streifen. Gedankenverloren fuhr der schwarzhaarige Dämon die hübschen Gesichtszüge seines, ja _seines_ Engels nach, der durch die kitzelnden Berührungen tatsächlich lächeln musste. Mit kühler Stimme meinte Zadei dann ganz unvermittelt: „Du gehörst jetzt mir, Titius.“ Einige Sekunden wurde es still, beide sahen einander fest in die Augen. Titius‘ blaue Augen wichen Zadeis goldenen nicht aus, als er kaum merklich nickte. Dann hob er seine Hand an Zadeis Gesicht über sich und zog ihn zu sich runter, bis sich ihre Lippen berührten und erneut zu einem Kuss zusammen fanden. „Ja, so ist es wohl.“ ~~~~~~~~ **Ende** ~~~~~~~~ Hosted by Animexx e.V. 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