Saepe creat molles aspera spina rosas von Alaska (Often the harsh thorns create tender roses) ================================================================================ Kapitel 1: Leti mille repente viae ---------------------------------- Hier nun die lang versprochene Geschichte. Es hat mich viel Überwindung gekostet sie jetzt schon hochzuladen, da sie noch nicht fertig ist und ich nicht weiß, wie fließend es weiter geht. Ich hoffe, sie gefällt euch. Nicht abschrecken lassen...das erste Kapitel ist ziemlich düster, aber das bleibt nicht die ganze FF so...jedenfalls is das nicht geplant o^.^o Bis hierher sollte das erst mal als Vorwort genügen. Also viel Spaß beim Lesen Leti mille repente viae Plötzlich führen tausend Wege in den Tod Ein kalter Wind strich über sein Gesicht und seinen Körper wie eine streichelnde Hand, die ihn sanft koste, sich jedoch im nächsten Moment in den blanken Tod verwandeln konnte. Die schweren Drahtseile über ihm knarrten verdächtig, dass man meinen könnte, sie würden jeden Augenblick reißen und alle die, die gerade auf der Brücke unterwegs waren mit in den Tod ziehen, in ein nasses Grab. Das Mondlicht brach sich auf der Wasseroberfläche, die im sanften Wind hin und her wiegte. Es war ein beruhigender Anblick und Ryo starrte wie gebannt auf das tiefe Schwarz, dass sich unter ihm dahinzog. Nichts erinnerte an den normalen Fluss bei Tag, der verspielt in der Sonne glitzerte. Nun gab es nur noch gähnende Leere, die alles zu verschlucken drohte, die die Seelen der Unachtsamen mit sich in die unendlichen Tiefen riss, von wo sie nie wieder zurückkehren würden. Das Einzige, was Leben in diese feuchtnasse Decke brachte, waren die Sterne, die sich im Wasser spiegelten, als wären sie dort gefangen und würden nicht frei am Himmelszelt stehen. Auch sie hatten eine beruhigende Wirkung auf ihn, denn allein ihr Licht und das des Mondes zauberten ihm im Moment noch ein Lächeln auf die blassen Lippen. Die Schönheit der Natur war alles, was sein Herz zu erreichen vermochte. Hier saß er nun, am Rande des Abgrunds, nicht wissend, wie es weitergehen sollte. Die starken Böen zerzausten sein schwarzes Haar und zerrten wütend an seinem Mantel, der flatternd um den schlanken Körper wehte. Wie leicht es wäre dem Rufen der Nacht nachzugeben und sich einfach fallen zu lassen. Er müsste sich nur vorlehnen, die Hände lösen und schon konnte ihn die Dunkelheit verschlucken und die Wellen würden seinen leblosen Körper nicht mehr loslassen. Seine Beine baumelten schon über der Brüstung, doch er wollte nicht springen. So trostlos und leer sein Leben auch war, so hart er sein Schicksal auch empfand, er hing letztendlich doch an diesem Dasein. Er wollte nicht sterben, obwohl sich seine Gedanken oft um den Tod drehten. Würden sie um ihn trauern oder sein Dahinscheiden einfach nur bedauern und ihr Leben weiterführen, als wäre nichts gewesen? Würden sie ihn vermissen? So sehr er sich anstrengte, er fand keine Antwort darauf. Sicher, seine Mutter würde sich fragen, was ihn wohl dazu getrieben hatte diesen Entschluss zu fassen, aber verstehen konnte sie es nicht. Niemand konnte das, denn niemand kannte ihn. Sie glaubten nur die Hülle zu kennen, aber die blutende Seele sahen sie nicht. Dafür sorgte er schon. Ein leises Seufzend entfloh seiner Kehle als ihm wieder bewusst wurde, dass er ganz allein war, denn seit er vor einigen Wochen zu Hause ausgezogen war, kümmerte sich keiner mehr um ihn. Seine Mutter war zu sehr mit ihrem aktuellen Freund beschäftigt und obwohl es zwischen ihnen etwas ernsthaftes zu sein schien, war es Ryo egal. Was interessierte ihn jetzt noch das Liebesleben seiner Mutter? Er hatte die letzten Jahre so viele Männer kommen und gehen sehen, da machte es jetzt auch keinen Unterschied mehr. Sie hatte sich nicht einmal gemeldet, seit er in dieser kleinen schäbigen Wohnung Unterschlupf gefunden hatte, trotz der hinterlassenen Nummer. Das zeigte nur wieder, wie egal er ihr war, auch wenn sie immer das Gegenteil beteuerte. Ab und zu hatte sie diese Phasen, in denen sie zu beweisen versuchte, dass sie doch eine gute Mutter war und tat so als hätten die letzten vier Jahre Einsamkeit nie existiert. Genaugenommen hatten sie für sie nie existiert, denn er war es ja, der vergessen worden war. Und dann fragten sich alle, warum er schlechter in der Schule wurde? Warum er sie sogar abbrach? Warum er sich immer mehr in sich zurückzog? Warum er nur noch schwarz trug? Es hatte alles seinen Sinn verloren. Warum sollte er sich anstrengen, wenn er keine Perspektive hatte und seine Träume nicht verwirklichbar waren? Wenn alles so verdammt trostlos war, dass es schon weh tat. Sie verstanden es nicht, weil sie nie ganz unten gewesen waren. Kommentare wie "Dann musst du dich halt anstrengen, schließlich fällt dir nichts in den Schoß" und "Kopf hoch, irgendwie wird es schon weitergehen" halfen nichts. Für jemanden, der sich zeitweise nichts sehnlicher als den Tod wünschte, gab es keine tröstenden Worte, denn sie vertrieben weder Einsamkeit noch Schmerz. Sie waren einfach nur dahin gesagt, damit man sich nicht später Vorwürfe machen musste, dass man nichts getan hatte. Aber wie sollte man so etwas Menschen klar machen, die immer nur an die eigenen Probleme dachten und sich nicht mal Zeit nahmen nachzufragen wie es einem geht? Seine Freunde haben seine Verwandlung still hingenommen. Einer hatte mal gesagt, er wäre so normal geworden. Daraufhin hätte Ryo ihm am liebsten einmal kräftig ins Gesicht geschlagen. Was war bitte schön normal an seinem Verhalten? Es war wahrscheinlich das natürlichste der Welt, dass ein lebensfroher und glücklicher Mensch, zu einem nie lachenden, emotionslosen Geschöpf wurde, dass nur noch in den eigenen Gedanken Frieden fand. Nein, normal war er nicht. Er war innerlich gestorben, Tag für Tag und nichts konnte ihn mehr aus seiner Verzweiflung retten, der er sich mittlerweile hingegeben hatte. Jetzt half nichts mehr. Selbst seine Freunde waren blind für sein Leid. Lange Zeit hatte er versucht sich an seinen besten Freund zu klammern, ihm irgendwie verständlich zu machen, warum er sich so verhielt, aber dieser schenkte ihm nur einen mitleidigen Blick und befasste sich mit anderen Dingen, die wichtiger waren. Aber was konnte wichtiger sein als Freundschaft? Wichtiger als einem Menschen, den man liebte oder wenigstens sehr mochte in einer schweren Zeit beizustehen? Es sollte normal sein, zu helfen, beizustehen, dazusein, aber das war es wohl nicht. Keiner versteht Einsamkeit, wenn er noch einen Menschen hat, der sich für ihn interessiert, wirklich interessiert, und sich um ihn sorgt und bemüht. Er hasste sie, diese gleichgültigen Wesen, die nur zusahen, aber nie eingriffen. Er hasste diese verkorkste Menschheit. Ihre Anwesenheit war genauso unerträglich wie unvermeidlich. Also blieb doch nur noch ein Ausweg, oder? Springen, fallen, stürzen oder als was man es auch immer bezeichnen möchte. Er könnte es tun, aber das wäre wie aufgeben. Und das wollte er nicht, er wollte sich dieser Welt nicht geschlagen geben. Dafür verachtete er sie zu sehr, um ihr diesen Triumph zu gönnen. Er stand schon einmal kurz davor. Hatte sich mit einer Nadel ein Zeichen gesetzt. Doch anstatt an seinen Handgelenken weiterzumachen, beließ er es bei einigen Narben auf dem Unterarm. Er hatte nur etwas spüren wollen, egal ob es Schmerz oder etwas anderes war, denn im Grunde machte das keinen Unterschied. Er fühlte sich innerlich tot und doch konnte er noch Schmerz empfinden. Damals wollte er sich einfach nur vergewissern, dass er immer noch etwas empfand und nicht in diesem schwerelosen Zustand driftete ohne sein Umfeld bewusst wahrzunehmen. Und es hatte gewirkt, der Schmerz hatte ihm bewiesen, dass er nicht alles verloren hatte, denn Leid und Qualen waren ihm geblieben. Also baute er sein Leben nun darauf, wollte sich innerlich und manchmal auch äußerlich verletzten, damit er sah, dass er noch lebte. Aus dieser einen Nacht behielt er eine Narbe zurück, die ihn immer an seine Einsamkeit erinnerte und ihm bewusst machte, dass er niemandem vertrauen durfte, denn sie wollten ihn nur zerbrechen. Doch war er das nicht längst? Lag er nicht schon lange gebrochen am Boden, unfähig wieder auf die Beine zu kommen, weil immer wieder nachgetreten wurde? Wieviel Schmerz konnte ein Mensch ertragen, bis sein Lebenswille erloschen war und er nur noch Erlösung im Tod fand? Vielleicht hätte er sich in dieser Nacht doch umbringen sollen, dann wäre jetzt alles vorbei und er wäre frei. Aber er hatte es nicht getan, sondern sich für das Morgen entschieden. Für einen neuen Tag, der genauso schrecklich sein würde wie der davor, ohne Hoffnung, ohne Glück, ohne Liebe. Liebe war sowieso ein Thema für sich. Er glaubte nicht an sie oder besser gesagt, es war ihm egal. Denn wenn man am eigenen Leib erfährt, dass von einer auf die andere Sekunde all die Liebe, die man immer kannte, verschwinden konnte, stumpfte man mit der Zeit ab. Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht seine Gefühle tief in sich einzuschließen. In seinen Gedanken, in seinem Herzen. Kein Funken Leidenschaft entfloh seinem Körper, wenn jemand mit ihm zusammen war. Dann gab er sich als kalt und arrogant. Was scherten ihn die Probleme Anderer? Sie interessierten sich ja auch nicht für seine. Früher war er immer für seine Freund da gewesen, hatte ihnen zugehört und sich ihrer Probleme angenommen, versucht sie zu lösen oder wenigstens Beistand geleistet, in der Hoffnung, dass sie ihm das Gleiche auch zurückgeben würden. Doch Hoffnung ist in dieser Welt fehl am Platz, das hatte er schon oft erfahren müssen. Also war das Resultat daraus, dass er sich niemandem mehr öffnete und nur noch für sich lebte. Der Einzige, mit dem er sprach, war Akuma. Dieser hatte ihn durch all die Jahre begleitet und war immer an seiner Seite gewesen. Auch wenn er kein wirklicher Ersatz war, spendete er doch Trost. Auch jetzt war er bei ihm. Friedlich lag er auf dem harten Betonboden und döste vor sich hin. Ab und zu drang ein Schnauben aus seiner Kehle, dass sich in kleine Wölkchen auflöste. Genau wie Ryo war er in schwarz gehüllt und abweisend zu Fremden. Doch Ryo wusste, dass in ihm ein gutes Herz schlug, dass allein ihm gehörte, voller Sanftmut und Güte. Nicht umsonst sagte man, dass Hunde die besten Freunde des Menschen waren. So war Akuma, seine majestätische Dogge, sein einziger Freund, den er behandelte wie einen Menschen. Er sprach mit ihm, als könne der Hund ihn verstehen und von Zeit zu Zeit schien er es auch wirklich zu tun. Im Moment allerdings ignorierte er seinen Herrn geflissentlich. Ein leichtes Schmunzeln umspielte Ryos Lippen, als er den schwarzen massigen Körper betrachtete. Dieses Vieh war genauso stur wie er selbst und vermochte es jeden in den Wahnsinn zu treiben, der es wagte ihn heraus zu fordern. Seufzend wandte er sich wieder dem vor ihm liegenden Fluss, den Sternen und der Dunkelheit zu. Er liebte diese Nächte, in denen es nur ihn und die Stille gab. Keine lauten Menschen, kein Verkehr, nur er und die Natur, die in all ihrer Sanftheit erstrahlte. Obwohl er wusste, dass die Nächte ihm nicht allein gehörten, fühlte er sich mit ihnen verbunden, als wären sie alte Freunde, die einen langen steinigen Weg zusammen geschritten. "Sed omnes una manet nox.", flüsterte er leise und ließ den Wind seine Worte davon tragen und sie denjenigen hören, der für all diese Schönheit verantwortlich war. "Doch alle erwartet die gleiche Nacht.", ertönte plötzlich eine Stimme hinter ihm, die ihn aus seinen Gedanken riss und zusammenzucken ließ, so dass er das Gleichgewicht verlor und drohte doch noch in das kalte Wasser zu stürzen. Aber bevor dieses Schicksal in Erfüllung gehen konnte, schlang sich ein starker Arm um seine Taille und bewarte ihn vor seinem nassen Grab. "Hey, ganz ruhig.", erklang schon wieder diese sanfte, leicht belustigt wirkende Stimme. Mit einem Ruck wurde Ryo über die Brüstung gezogen und wieder auf festen Boden gestellt. Für einen Moment stand er noch ruhig da, zu erschrocken und überrascht, um zu reagieren. Sein Herz schlug kräftig gegen den Brustkorb, als wolle es ihm entfliehen. Nur langsam ließ es sich beruhigen, um wieder im gleichmäßigen Takt zu schlagen. Ryo stand immer noch ganz still da, dann kehrte die Erkenntnis zu ihm zurück und er wehrte sich mit Händen und Füßen gegen den Arm, der ihn immer noch umfing, als habe sein Besitzer Angst er könnte doch noch in die Tiefe stürzen. "Was bildest du dir eigentlich ein? Loslassen!", keifte er, während der Arm abrupt verschwand und der Druck auf seinen Bauch nachließ. "Hey, hey, ganz ruhig." Ryo fuhr mit einem mordlustigen Funkeln in den Augen herum und sah direkt in ein tiefes Blau, welches ein sanftes Strahlen über die freundlichen Züge des Mannes gleiten ließ. "Ein Dankeschön hätte auch gereicht.", lachte der Fremde und lehnte sich locker rücklings gegen das Geländer, dabei die Ellenbogen darauf abstützend. Mit einem neugierigen Blick musterte er Ryo, der erst einmal schwieg und sich auf den Bösen-Blick konzentrierte, den er in den letzten Jahren perfektioniert hatte. Misstrauisch betrachtete er sein Gegenüber von der Seite und überlegte sich einige Beleidigungen, die er seinem Retter gegen den Kopf werfen konnte. Obwohl...war er das überhaupt gewesen? Hatte dieser Kerl ihn nicht eher zum Weiterleben verdammt? Denn er bezweifelte, dass es so schlimm gewesen wäre, wenn er einfach in die eiskalten Fluten gestützt und ertrunken wäre. Schließlich konnte man so sagen es war ein Unfall und nicht Selbstmord. Missmutig schnaubte er in die Richtung des Mannes, dessen braunes zerzaustes Haar ihm in wirren Strähnen ins Gesicht fiel. Seine azurblauen Augen waren in die Ferne gerichtet, als wäre dort ein hochinteressantes Schauspiel zu beobachten, dass die volle Aufmerksamkeit erforderte. Unter dem weißen Anzug ließ sich ein durchtrainierter schlanker Körper erahnen, der wohl so manches Herz höher schlagen ließ, doch Ryo interessierte sich nicht im Geringsten dafür. //Was glaubt der eigentlich, wer er ist? Taucht hier auf, erschreckt mich fast zu Tode und verlangt auch noch Dankbarkeit dafür? Wie ich solche Leute doch hasse. Denken sie tun ihren Mitmenschen einen Gefallen, wenn sie deren Leben retten, aber haben keine Ahnung, ob diese das überhaupt wollen// "Ich bin Yota Himitsu. Tut mir leid, wenn ich dich gestört habe, aber du sahst so verloren aus und da dachte ich, sprech ich dich mal an. Hast du irgendwelche Sorgen?", riss ihn die sanfte Stimme aus seinen Gedanken, was Ryo mit einem mürrischen Knurren quittierte. "Meinst du nicht, dass diese Frage etwas unpassend ist, an jemanden, der auf der Brüstung einer Brücke sitzt?" Der Sarkasmus tropfte aus seinen Worten, was dieser Yota allerdings geflissentlich ignorierte. Statt dessen ertönte ein freundliches Lachen, das Ryo einen Schauer über den Rücken jagte und ein weiteres böses Funkeln zur Folge hatte. //Der macht sich doch tatsächlich über mich lustig// Für einen Moment überlegte er, ob es sich lohnen würde, wenn er Akuma auf diesen Typen los ließ, doch ein schneller Blick auf die Dogge, sagte ihm, dass dies gerade wohl unmöglich war, da der Hund seine Augen immer noch geschlossen und nur die Ohren aufgestellt hatte. //Wenn ich dich mal wirklich brauche, pennst du einfach so vor dich hin, toller Freund, echt!//, meckerte Ryo in Gedanken. "Nun ja, du sahst noch etwas unentschlossen aus, da dachte ich, ich könnte dir etwas behilflich sein.", lächelte Yota freundlich und zwinkerte Ryo zu. Das hatte zur Folge, dass der Schwarzhaarige sich ernsthaft zusammenreißen musste, um ihm nicht gleich eine reinzuschlagen. Das war doch wirklich die Höhe! "Leider kann ich aus deiner Aktion nicht erkennen, ob du mich nun umbringen oder davon abhalten wolltest.", schnappte Ryo. "Wie auch immer. Es wäre besser gewesen, wenn du dich rausgehalten hättest." Und damit wandte er sich mit einem letzten wütenden Blick auf Yota um und wollte davon stapfen. "Akuma, komm.", warf er über seine Schulter zurück zu der schlafenden Dogge, die nun träge den gewaltigen Kopf hob, gähnte und sich einmal ausgiebig streckte. Doch anstatt ihrem Herren zu folgen, tapste sie auf den anderen Mann zu und schnüffelte neugierig an dessen Hose, hinterließ dabei eine kleine Sabberspur und setzte sich schließlich interessiert vor Yota, um ihn genauer zu betrachten. Dieser fand das wohl sehr amüsant und lachte leise vor sich hin. "Ich habe so das Gefühl, dein Hund hat noch keine Lust zu gehen.", grinste Yota auf den schwarzen Riesen herab, der einmal freudig aufbellte. //Ich habe so das Gefühl, dein Hund hat noch keine Lust zu gehen//, äffte Ryo ihn in Gedanken nach und knurrte leise. Sichtlich genervt blieb er stehen, drehte sich um, da er genau wusste, dass es keinen Sinn hatte weiterzugehen, wenn Akuma sich in den Kopf gesetzt hatte, zu bleiben, und marschierte ein leises "Verräter" murmelnd zu dem Braunhaarigen zurück, der immer noch breit grinste. "Hör auf so dämlich zu grinsen und lass meinen Hund in Ruhe.", blaffte Ryo los und baute sich vor dem Größeren auf. Yota legte den Kopf leicht schief und zog einen Schmollmund. "Du musst nicht gleich unfreundlich werden. Ich hab doch gar nichts gemacht." Sofort hellte sich seine Miene wieder auf und das Glitzern kehrte in die azurblauen Augen zurück. "Wie heißt du überhaupt?", fragte er lächelnd und beugte sich etwas vor, womit er Ryos Gesicht für dessen Geschmack viel zu nahe kam. //Kann der Typ eigentlich nichts anderes tun, als grinsen? Is ja schrecklich!// "Das geht dich nichts an.", antwortete der Schwarzhaarige langsam wirklich wütend werdend und machte einen Schritt zurück, da er es nicht leiden konnte, wenn seine Gesprächspartner ihm so auf die Pelle rückten. "Was willst du überhaupt von mir? Hast du kein Zuhause oder Freunde, die du nerven kannst? Musst du mich hier belästigen? Oder wolltest du dir einfach nur einen Spaß erlauben und eine Runde Treiben-wir-Ryo-in-den-Wahnsinn spielen?" "Ah, Ryo also.", lächelte Yota und nickte verstehend. Die groben Worte des Anderen schienen ihn nicht im geringsten zu stören. Währendessen verfluchte sich der Schwarzhaarige innerlich wegen so viel Unvorsichtigkeit und biss sich zerknirscht auf die Unterlippe. Es war doch wirklich nicht zu fassen, dass er sich so leicht austricksen ließ, denn dass der Andere nichts gemacht hatte, überging der Junge geschickt. "Freut mich dich kennen zu lernen, Ryo.", sagte Yota freundlich und hielt ihm die Hand hin, wartete geduldig, dass sein Gegenüber sie ergriff. Doch darauf konnte er lange warten, denn Ryo war nicht gewillt auch nur einen Zentimeter auf diesen Störenfried zuzumachen, geschweige denn dessen Hand zu ergreifen. "Hm, na dann nicht.", seufzte der Mann und ließ die Hand wieder sinken. Die blauen Augen schiene den Jungen fast zu durchbohren und er fühlte sich mehr und mehr unwohl, wollte aber nicht nachgeben und starrte den Anderen stur an. Der Braunhaarige schien dies zu bemerken und lächelte wieder, schüttelte leicht den Kopf und tätschelte Akuma den Nacken, worauf der Hund rau aufbrummte, als Zeichen des Gefallens. "Warum sitzt du denn nun so allein hier draußen? Du wolltest dich doch nicht wirklich umbringen, oder? Willst du reden? Ich bin ein guter Zuhörer, jedenfalls sagen das meine Freunde immer.", lachte er und rieb sich mit der Hand verlegen über den Hinterkopf. //Hab ich irgendwas verpasst? Steht auf meiner Stirn 'Suche ein offenes Ohr' oder was? Ich brauche bestimmt nicht die Hilfe von so einem eingebildeten selbstüberzeugten Samariter, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, wildfremde Leute auf der Straße anzuquatschen// "Warum gehst du dann nicht zu deinen Freund, wenn die dich so gerne zulabern? Ich brauche jedenfalls keinen Pseudo-Psychiater, der mir irgendwelche unsinnigen Tipps gibt, wie ich meine Leben zu leben habe.", gab Ryo schroff zurück und schubste mit dem Knie leicht gegen Akumas Seite, damit er sich endlich hoch bequemte. "Was ist falsch daran anderen zuhören zu wollen? Ich denke, dass man das heutzutage viel zu selten macht, oder?" Yota sah den Schwarzhaarigen fragend an und lächelte leicht, als wolle er eine Bestätigung seiner Worte hören. Doch diesen Gefallen würde Ryo ihm bestimmt nicht tun. Diese Einstellung war wirklich das Letzte und er schüttelte sich innerlich. //Wie kann man nur so gutgläubig und naiv sein?//, überlegte er nachdenklich und sah den Anderen unverwandt an. Yota hatte sich wieder Akumas Ohren gewidmet und kraule ihn leicht dahinter, wie immer ein kleines Lächeln auf den Lippen. "Mir ist es recht egal, ob die Welt an ihrer Ignoranz untergeht oder nicht. Wenn du Leute suchst, denen du zuhören kannst, geh in ein Selbsthilfezentrum und kümmere dich um die Krebspatienten, die sich in Selbstmitleid suhlen und um Aufmerksamkeit heischen. Tu, was du willst, nur lass MICH in Ruhe. Ich brauche kein Mitleid.", schnappte Ryo und drehte sich abrupt um, wobei sein Mantel raschelnd hinter ihm her flog. Das traurige Flackern in den Augen des Anderen hatte er nicht bemerkt oder es geflissentlich ignoriert. Seine Laune lag weit unter Null und wäre man mit einem glimmenden Streichholz nur auf einen Meter an ihn heran getreten, wäre er explodiert. "Akuma! Komm!", rief er über die Schulter mit Nachdruck und deutlichem Zorn in der Stimme. Selbst dieses Monster von Hund wagte es jetzt nicht mehr sich zu widersetzen und lief hinter seinem Besitzer her. Ryo wandte sich nicht einmal um, brodelte nur leise vor sich hin und stapfte zurück zu seiner schäbigen kleinen Wohnung. Yota blieb allein zurück, seufzte noch einmal tief und schüttelte den Kopf. "Armer Junge.", flüsterte er leise und drehte sich dem Fluss zu, um noch ein bisschen den Wind zu genießen. Mit einem lauten Knall schlug die Wohnungstür auf und ein wutentbrannter Ryo stapfte herein, gefolgt von Akuma, der sich reichlich wenig um den Ausbruch seines Herrn kümmerte, sondern sich faul auf seine Decke legte. "Was bildet sich dieser Kerl eigentlich ein? Hat der keine eigenen Probleme, um die er sich kümmern kann, muss er sich da auch noch in meine einmischen?", schrie er durch die Gegend und feuerte seine Schlüssel aufs Sofa, um ihnen gleich darauf zu folgen. Mit einem Blick, der hätte Menschen zu Asche werden lassen können, fixierte er die Wand und stellte sich dort eine immer grinsende Visage mit blauen Augen vor. "Und du, Verräter, bist auch nicht besser!", schnauzte er zu Akuma, der nur kurz den Kopf hob. "Machst mit diesem Yota noch gemeinsame Sache! Ich dachte, ich könnte mich auf dich verlassen, aber nein...warum sollte ich auch?" Eines der Kissen flog auf den Hund, der darauf nur einmal schnaubte und sich dann bequemte aufzustehen und zu Ryo trottete. Dieser war gerade dabei ein zweites Kissen zu werfen, als sich der große Hund direkt vor ihn setzte und ihn anscheinend vorwurfsvoll ansah. "Was ist? Stimmt doch! Du hast ja nicht mal gehört, als ich dich gerufen habe, sondern musstest seine ach so interessanten Beine beschnüffeln. Hättest du nicht wenigstens dran pinkeln können?" Seine aufgebrachte Stimme schien Akuma nicht im geringsten zu beeindrucken, denn er blieb ruhig sitzen und legte schließlich eine seiner riesigen Pranken auf Ryos Bein und fiepte leise. "Was wird das? Eine Entschuldigung oder ein Besänftigungsversuch?", fragte der Schwarzhaarige nun etwas milder gestimmt, da Akuma der Einzige war, dem er nicht lange böse sein konnte. Der Hund legte seinen Kopf schief und stellte die Ohren aufmerksam auf, als würde er darauf antworten wollen. Seufzend tätschelte Ryo ihm den Kopf und ließ sich zurück in die Polster fallen. "Nein, ich bin dir nicht böse. Ich bin auf mich sauer. Ich hätte anders auf diesen Kerl reagieren sollen, so wie sonst auch immer, aber er hat mich einfach auf dem falschen Fuß erwischt. Mich so aus den Gedanken reißen und dann fast umbringen...tz...Idiot." Eine Weile grummelte er noch so vor sich hin, wurde dann aber ruhiger und starrte nur noch an die kahle graue Wand. Seine ganze Wohnung schwankte zwischen gähnender Leere und heruntergekommener Einrichtung. Ryo sah keinen Sinn darin sich ein gemütliches Heim zu schaffen, da er sich hier sowieso nicht Zuhause fühlte und es auch nie tun würde. Vielleicht gab es so einen Ort für ihn nicht, denn dieses rastlose Gefühl, das ihn immer überkam, wollte nicht verschwinden, egal was er machte. Die kahlen Wände spiegelten nur sein Inneres wieder, zeigten die Leere und Einsamkeit in seinem Herzen. Er wollte nichts ausschmücken, brauchte diesen weltlichen Kram nicht. Ihm, der sich manchmal nur wünschte zu sterben, bedeutete Besitz rein gar nichts, deshalb schaffte er sich auch keinen an. Früher hatte er einige Sache mit denen er sich identifizierte, wo er sagte, das durfte nicht fehlen, aber selbst diese Dinge wurden wertlos. Alles, was ihm je etwas bedeutet hatte, wurde verschluckt von der Einsamkeit, die ihre beschützenden Schwingen um ihn gelegt hatte, wie ein Käfig, aus dem er nie entrinnen konnte. Doch Ryo hatte sich schon längst in sein Schicksal gefügt und wehrte sich nicht mehr dagegen. Wenn ihn der Schmerz schier aufzufressen schien...bitte, sollte er doch, er öffnete freiwillig seine zerbrochene Seele. Was nütze es denn dagegen anzukämpfen? Um vielleicht irgendwann mal ein bisschen Glück zu erfahren, das dann wieder von irgendwelchen Menschen zerstört wurde und man noch gebrochener zurückblieb? Nein, danke, darauf konnte er verzichten. Von dem Knarren der alten Feder begleitet, erhob sich der Schwarzhaarige und schlurfte Richtung Bad. Akuma, der mittlerweile wieder auf seiner Decke lag, hob sein mächtiges Haupt und wollte mitkommen, doch Ryo schüttelte nur den Kopf. "Ich geh nachdenken.", erklärte er matt und die Dogge blieb stehen, legte sich jedoch, nachdem der Junge die Tür geschlossen hatte, davor, um Wache zu halten. ,Nachdenken gehen' bedeutete bei Ryo sich in die leere Badewanne legen und die vielen kleinen Löcher in der Wand zu mustern und sich an dem herabbröckelnden Putz zu erfreuen. ,Nachdenken' hieß aber auch sich in der Vergangenheit zu verstricken, sie in die Gegenwart zu tragen und daran zu verzweifeln. Schon automatisch griff der Schwarzhaarige nach einem Handtuch, faltete es abwesend zusammen und platzierte es hinter seinem Kopf, nachdem er die Wanne bestiegen und sich hingelegt hatte. Das Plastik war kalt und unbequem, nur der weiche Stoff an seinem Hinterkopf vermittelte ein Minimum an Komfort. Die Hände lagen schlaff neben seinem Körper, als würden sie nicht dazu gehören, die Augen starr und leer, als hätten sie die Möglichkeit des Sehens verloren und der Brustkorb hob und senkte sich in einem immer schwächer werdenden Rhythmus. //Warum mach ich mir eigentlich nen Kopf darum? Ich werde diesen Yota nie wieder sehen und er ist es nicht wert, dass ich mich aufrege. Es ist egal, genau wie der Rest der Welt. Ich brauche sie nicht, ich brauche niemanden. Egal, wie klischeehaft das jetzt klingt, aber es ist die Wahrheit. Ich komme gut allein zurecht, habe es die letzten fünf Jahre gekonnt. Jetzt ist es zu spät, um irgendeine Beziehung neu aufleben zu lassen...jetzt ist es egal// Seine Gedanken verdunkelten sich, drifteten in die Regionen, in denen nur Bitterkeit und Abscheu herrschten. Ein hämisches Lächeln legte sich auf die Züge des Jungen und er schloss die Augen. Ja, er verabscheute sie. Diese Welt, in der jeder nur das sah, was er wollte und die Augen verschloss vor der Wahrheit, denn die konnte einem ja etwas anderes sagen, als dass man in einem Paradies mit ewiger Freude lebte. Er verabscheute die Menschen, ihr Mitleid, ihr Mitgefühl, ihre Heuchelei und das stetige Desinteresse. Warum sollte er sich auch nur einem von ihnen öffnen? Sie hatten es nicht verdient. Nicht dass er etwas Besonderes wäre, auf keinen Fall, denn er verabscheute sich genauso wie alle anderen. Er war keine Ausnahme, schließlich war er ebenso ein Mensch. Ryo kratzte sachte mit den Fingernägeln über den Wannenboden und lächelte noch breiter. Wie erbärmlich er doch war. Nicht im Stande sich aus diesem Sumpf des Selbstmitleids zu ziehen, sondern darin zu ertrinken. Es widerte ihn an und am liebsten hätte er sich all diese falschen Gefühle, die er immer noch tief in sich hatte, einfach herausgeschnitten und sie endgültig weggeworfen, denn wer brauchte so etwas schon? Liebe? Hoffnung? Gerechtigkeit und wie sie noch alle hießen. Er konnte nicht lieben, hatte es verlernt und wollte er nicht wieder können, da einen das immer nur verletzte. Hoffnung war immer vergebens, denn sie erfüllte sich nie, egal wie sehr man sich anstrengte. Ryo hatte schon oft die Vermutung, dass sie nur ein Hirngespinst der Menschheit war, um sich selbst Mut zu machen. Und Gerechtigkeit gab es nicht in einer Welt, in der jeder nur sein Wohl im Sinn hatte und für die eigenen Ziele andere zugrunde richtete. Und was bedeutete Gerechtigkeit schon? Wer hatte festgelegt, was gerecht war und was nicht? Genau, die Menschen und auf die konnte man bekanntlich nicht bauen. Also war das Fazit: alles für den Müll. Je weiter er seine Gedanken in diese tiefen schwarzen Abgründe trieb, je weiter wurde auch sein Herz davon erfasst und mitgerissen. Er konnte spüren wie die vorige Wut durch Leere und schließlich Gleichgültigkeit abgelöst wurde. Es spielte keine Rolle, ob er sich hier den Kopf zerbrach oder nicht. Es war egal, ob er hier in dieser Badewanne liegen blieb und verhungerte, denn kommen, um nach ihm zu sehen, würde keiner. Ryo war allein. Es gab nicht einmal jemanden, der um ihn trauern würde, denn seine Mutter hatte ja ihren Freund, der sie glücklich machte, da brauchte sie keinen missratenen Sohn. Es wäre so einfach zu sterben, er müsste nur hier still liegen bleiben und auf den Tod warten, der ihn irgendwann mit sich nahm und ihm vielleicht ein besseres Leben, falls es so etwas danach noch gab, zeigte. Aber er war zu schwach dafür, würde es nicht durchhalten. Irgendwann würde ihn der Hunger antreiben und er würde aufstehen. Natürlich gab es noch andere Möglichkeiten mit denen man seinem Leben ein Ende setzen konnte. Die Pulsadern aufschneiden zum Beispiel. Aber das war so abgedroschen, das machte doch fast jeder. Wer es überlebte, lief stolz mit seinen Narben herum, als wäre er etwas Besonderes oder versuchte es noch einmal mit Erfolg. Nein, das kam nicht in Frage. Genauso wenig wie erhängen oder irgendwelche Schlaftabletten nehmen, da lief man immer Gefahr doch noch rechtzeitig ,gerettet' zu werden. Wehmütig dachte Ryo einige Stunden zurück, als er auf der Brücke saß und das Wasser so wundervoll ruhig unter ihm dahingeflossen war. Ja, das wäre eine schöne Art zu sterben. Zurück in die Natur, mit ihr Eins werden und sich in ihren Tiefen verlieren. Er hätte es fast geschafft, aber dann kam dieser Idiot dazwischen und hatte ihn aufgehalten. Und zum wiederholten Male kam die Frage auf: wollte er wirklich sterben? Und wieder war die Antwort: Nein. Irgendetwas hielt ihn noch in dieser Welt, auch wenn er nicht wusste, was. Er konnte es sich nicht wirklich erklären. <> Gequält schlossen sich die grünen Augen und Ryo fühlte, wie sich sein Geist von seinem Körper löste und alles taub wurde. Konnte er denn wirklich nichts mehr fühlen? War alles weg? So plötzlich? Für immer? Dabei sehnte er sich doch danach auch einmal etwas anderes als Einsamkeit zu spüren, vielleicht sogar Wärme, denn sein Inneres wurde von erbarmungsloser Kälte regiert. Aber es gab einen Weg, wie er testen konnte, ob es noch Gefühle in ihm gab. Es war egal, welche Art von Gefühlen, Hauptsache irgendetwas. Er wollte aus diesem tauben, schwebenden Zustand heraus und wieder Boden unter den Füßen haben. Und das war nur auf eine Weise möglich, so wie er es immer herausfand. Apathisch glitt sein Blick über den kleinen Schrank unter dem Waschbecken zu seiner Linken, auf dem all das stand, was man in einem Bad benötigte. Seife, Shampoo, Zahnbürste, Rasierer, Kamm, Handtücher. Wie von selbst griff Ryos Hand nach dem Rasierer, trennte geübt die Klinge heraus und legte die Halterung wieder zurück. Hier war er also. Der Weg zu seinen Empfindungen. Damit konnte er testen, ob er noch einen Funken an Gefühl in sich trug. Eine Zeit lang betrachtete der Schwarzhaarige das glatte Silber, drehte er in den Fingern, legte es dann auf den Wannenrand. Langsam streifte er sein schwarzes T-Shirt ab, warf es in eine Ecke und betrachtete seine bleiche Haut, die schon fast von einer schlechten Gesundheit zeugte...oder zu wenig Sonne. Bei diesem Gedanken grinste der Junge breit und nahm die Rasierklinge in die Hand. Kurz überlegte er, wo er denn ansetzen sollte, denn auf blöde Fragen hinterher von Menschen, die es sowieso nicht interessierte, konnte er dankend verzichten. Mit einer seltsamen Ruhe setzte er schließlich auf seinem Bauch an, schnitt nur hauchzart in das Fleisch und zuckte gleich darauf kurz zusammen, als rotes Blut hervorquoll. Ein heißer Schmerz schoss an die Stelle, wo eben noch das Messer gewütet hatte und Ryo lächelte erleichtert. Ja, er konnte noch fühlen. Der Schmerz lenkte ihn ab von den anderen Gedanken und nahm sein volle Aufmerksamkeit in Anspruch. Um wirklich sicher zu gehen, machte er einen weiteren Schnitt, der etwa so groß war wie sein kleiner Finger. Auch hier schoss das Blut hervor, lief langsam an seinen Seiten herab und tropfte in die Wanne. "Also bin ich immer noch ein Mensch und kein gefühlloser Gegenstand.", seufzte Ryo und lehnte seinen Kopf zurück, betrachtete fast liebevoll sein eigenes Blut, das eine seltsame Faszination auf ihn ausübte. Es war so wunderschön; rein und frei von allen Lügen, denn Blut konnte nicht lügen. Die Farbe schien sich in seinen Augen wieder zu spiegeln und der Schwarzhaarige konnte gar nicht genug davon kriegen. Wie in Trance setzte er die Klinge wieder und wieder an. Schnitt tiefer in sein Fleisch und ergötze sich an dem roten Saft, der nun in vielen kleinen Rinnsälen an ihm hinablief. "Wunderschön.", wisperte er und fuhr die Wunden nach, zuckte zwar hin und wieder zusammen, ignorierte es aber. Seine ganze Konzentration galt dem Schmerz, dem Blut. Es machte ihn glücklich, denn jetzt hatte er die Gewissheit noch etwas zu fühlen und es war so herrlich warm. Sein Blut rann so wunderbar warm über seinen Bauch und unterstrich dieses Glücksgefühl. //Das ist also die Wärme, nach der ich mich so gesehnt habe...// Nachdem er unzählige kleine und mehrere große Schnitte, die einmal quer über seinen Bauch liefen, verübt hatte, ließ Ryo die Rasierklinge sinken. Seine Kräfte schwanden und seine Gliedmaßen wurde schwer, genau wie seine Lider. Diese Aktion hatte stark an seinem Kreislauf gezerrt, der nun durch den hohen Blutverlust, der erst einmal ausgeglichen werden musste, zusammenbrach. Langsam schloss er die Augen und driftete in die beschützende Schwärze, die sein Herz füllte und Dunkelheit brachte. Zurück blieb nur das Blut, dass sich in stetigem Fluss seinen Wegen über die Haut suchte und in den Abfluss verschwand, als wäre es nie da gewesen, und ein glückliches Lächeln auf Ryos Gesicht. Kapitel 2: Odi profanium vulgus et arceo ---------------------------------------- Ihr musstet lange warten, aber nun ist es soweit. Das zweite Kapitel von Saepe creat molles ist da und ich hoffe, es gefällt euch. Eigentlich wollte ich noch weiterschreiben, aber die Stelle passte dann so gut als Ende. Wann der dritte Teil kommt, kann ich nicht sagen. Ich versuche mich zu beeilen, aber da ich noch keine Idee dafür habe, kann es sich wieder hinziehen. Ich denke mal, ab dem vierten Teil geht es dann schneller....Mitte und Ende der FF hab ich ja schon alles im Kopf. Also dann viel Spaß beim Lesen ;-) An alle, die zum letzten Kapitel ein Kommi dagelassen haben, ein ganz großes Dankeschön. Ich hoffe, ihr seid noch interessiert an der FF ;-) Odi profanium vulgus et arceo I hate the uninitiate crowed and keep them far away Wie durch einen nebligen Schleier entglitt er der Dunkelheit, die ihn die Nacht über umfangen und sein Bewusstsein niedergedrückt hatte. Es war nicht wie das normale Erwachen, sondern eher, als würde er einer anderen Welt entsteigen, die ihn in seiner Trauer aufgefangen hatte. Er konnte vollkommen in ihr versinken, sich treiben, tragen lassen und gewiss sein, dass ihm hier niemand etwas antun konnte, denn sie gehörte ihm. Er hatte sie geschaffen aus seinen Gedanken und Gefühlen, seinen Sehnsüchten und Träumen. Und das war auch der Grund, warum er alles andere als gerne zu Bewusstsein kam. Viel lieber hätte er sich in dieser phantastischen Welt verloren und sich ihr ganz geopfert, sein Leben aufgegeben, um dort glücklich zu sein. Aber leider, wie so oft im menschlichen Dasein, laufen die Dinge nicht so, wie man es will. Und so erwachte Ryo langsam und blinzelte noch etwas orientierungslos, da die Erkenntnis noch nicht vorgedrungen war und sich sein Geist noch in Sicherheit wiegte. Doch diese Sicherheit wurde schon im nächsten Moment zerstört, als der Schwarzhaarige versuchte sich aufzurichten. Denn genau dann setzte ein heißer Schmerz in seiner Bauchgegend ein, der ihn fast wieder in die Dunkelheit zurück sinken ließ. Mit einem leisen Ächzen lehnte Ryo sich an die Wand und atmete ein paar Mal tief ein, wobei er darauf achtete, dass sich seine Bauchdecke nicht zu sehr spannte, da das die Schmerzen erneut ausbrechen ließ. Vorsichtig schaute er nach unten, um das Zentrum dieser Qualen zu finden, nur leider gab es nicht nur eines. Auf seinem gesamten Bauch waren zahlreiche Schnitte verteilt von verschiedener Länge, an denen verkrustetes Blut klebte und die den Eindruck erweckten, als hätte dort jemand ein Schlachtfest veranstaltet, was ja im gewissen Sinne auch stimmte. Er hatte schließlich die Klinge wie im Rausch geführt und sich auf eine perverse Art an sich ausgetobt und an dem Blut ergötzt. Nun erinnerte Ryo sich auch wieder, was am vorigen Abend geschehen war. Er war in diesen Abgrund gefallen und hatte einfach vergessen aufzuschlagen. Diesen schwerelosen Zustand hatte er schon so oft durchlitten und sich immer nur mit Schmerz an die Welt binden können. Mit ausdrucksloser Miene, die nicht das geringste über seine momentanen Gefühle Preis gab, und viel Willenskraft, schaffte es der Schwarzhaarige sich aufzusetzen und dabei nicht allzu laut vor Schmerz aufzuschreien. Das gedämpfte Wimmern bewirkte eine Reaktion vor der Tür, denn jetzt wurde aufgeregt an ihr gekratzt und gejammert, bevor ein lautes Bellen erklang. "Akuma, halt die Klappe! Mir geht's gut!", rief Ryo atemlos und stemmte sich an dem Wannenrand hoch, sackte aber wieder zurück. "Naja, vielleicht noch etwas schwach, aber sonst...", murmelte er vor sich hin und keuchte angestrengt. Anscheinend hatte sein Körper das fehlende Blut noch nicht ganz ausgleichen können, weshalb sein Kreislauf schlapp machte und ihm immer wieder leicht schwarz vor Augen wurde. Mit einem gedehnten Seufzen gab sich der junge Mann geschlagen und stellte mit seinem Fuß den Wasserhahn an, um dann den Stöpsel in den Abfluss zu schieben. "Mich waschen, kann ich auch im Liegen. Is sowieso viel bequemer." Mit unendlich langsamen Bewegungen, streifte er seine restliche Kleidung ab und griff nach einer groben Bürste und Seife, um sich abzuschruppen. Das Wasser war angenehm warm, fast heiß, und ohne wirklich bemerkt zu werden, stieg es immer höher, bis der Spiegel fast Ryos Bauch erreicht hatte. Er war damit beschäftigt seine Arme einzuseifen, als er laut aufjaulte, nach hinten fiel und wieder schrie. Es war ein ungeheures Brennen, dass ihn aufzufressen schien und tief in seine Eingeweide eindrang. Wimmernd versuchte er seinen Körper aus dem Wasser zu bringen, brachte aber nicht genügend Kraft auf, denn erneut wurde ihm schwarz. Stattdessen zog er schnell den Stöpsel heraus und stellte das Wasser ab. Schwer keuchend blieb er einfach liegen, blinzelte die Tränen weg und kämpfte gegen die Dunkelheit an, die sich wieder über ihn legen wollte. Der Schmerz wurde weniger, aber brannte immer noch auf seinem Bauch. Innerlich verfluchte Ryo sich für seine Unbedachtheit. //Heißes Wasser auf frischen Wunden ist genauso wie Salz darauf zu streuen. Ich hätte daran denken müssen!// Vorsichtig nahm er einen weichen Schwamm und wischte die dünnen Blutrinnsäle ab, die sich gebildet hatten, da einige der Schnitte wieder aufgeplatzt waren. Vor der Tür winselte Akuma immer noch. Hunde hatten ein Gespür für die Leiden ihrer Herren und Ryo litt eindeutig im Moment. "Das ist alles nur die Schuld von diesem blöden Kerl von gestern. Hätte er mich nicht gestört, wäre es bei der Sehnsucht geblieben.", grummelte er vor sich hin und schloss die Augen. Sofort erschien die grinsende Fratze dieses Yotas. //Ich hätte ihm doch eine reinhauen sollen.// Nach einer Weile, als die meisten Wunden wieder halbwegs getrocknet und verschorf waren, setzte Ryo zu einem weiteren Versuch an die Wanne zu verlassen, der auch gelang. Frierend wickelte er sich eines der alten Handtücher um die Schultern und sah blicklos in den Spiegel über dem Waschbecken. Die Reflektion sah bemitleidenswert aus, wie Ryo fand, und er hob geringschätzig eine Augenbraue. "Du bist erbärmlich.", warf er seinem Spiegelbild entgegen, das ihm mit dunklen Augenringen und aschfahler Haut entgegen starrte. "Du solltest es wirklich hinter dich bringen. Das nächste Mal setzt du die Klinge gleich ans Handgelenk...dann bleibt dir wenigstens dieser abscheuliche Anblick morgens erspart." Mechanisch zog Ryo sich an, nachdem er die Wunden provisorisch mit Desinfektionsmittel, was eine neue Schmerzenswelle ausgelöst hatte, und Pflastern behandelt hatte. Die schwarze Jeans saß etwas zu locker auf seinen schmalen Hüften, was hauptsächlich durch die Unterernährung zu begründen war. Warum sollte man essen, wenn man doch jeden Tag darüber nachdachte sich umzubringen? Da konnte man es doch gleich lassen und warten, bis man verhungerte, das nimmt einem sogar die Entscheidung ab. Außerdem hatte er kein Geld für solchen Luxus. Mit einem Gesichtsausdruck, der hätte Menschen töten können, öffnete der Schwarzhaarige die Badezimmertür und wurde auch gleich von einem riesigen sabbernden Ungetüm bestürmt und beschnüffelt. Akuma stieß fiepend gegen Ryos Bauch, der daraufhin das Gesicht verzog. "Ja, ich weiß. Du brauchst mich nicht darauf aufmerksam zu machen. Und guck mich nicht so vorwurfsvoll an, das kann ich nicht leiden." Unschlüssig blieb er im Wohnzimmer, das gleichzeitig auch als Schlafzimmer und Küche diente, stehen und überlegte einen Moment. Der Kühlschrank in der Ecke war leer, das wusste er, also brauchte er gar nicht erst versuchen dort etwas Essbares zu finden. Akumas Futter war auch alle, also müsste er sich wieder mal unter diese verhassten Menschen begeben. Sein Geldbeutel wurde mit jedem Tag schmaler und Ryo fragte sich immer wieder, wie er die nächste Miete für diese Bruchbude bezahlen sollte. Doch egal wie wenig Geld er hatte, für Akuma kaufte er immer das beste Futter, selbst wenn das für ihn hieß, hungern. Und danach sah es auch aus, wenn er die Scheine zählte. "Na los, du Monster. Lass uns was zum Beißen suchen und uns irgendwo in einem Park verkriechen, wo wir geschützt sind vor der Krankheit, die die Welt befallen hat...auch Menschheit genannt.", seufzte Ryo und grinste auf den schwarzen Riesen herab, der ein munteres Bellen von sich gab. Gemeinsam verließen sie das Loch, was man als Wohnung vermietete und gingen Richtung Stadtmitte. Es war recht frisch und der Wind fast beißend kalt, wenn er unter die Kleidung schlüpfen konnte. Ryo raffte seinen Mantel enger um sich und zog die Schultern hoch. Sein Blick war düster und er starrte jeden mordlustig an, der es wagte den jungen Mann anzuschauen. Vor der bekannten Tierhandlung, wo er immer Akumas Futter kaufte, blieb er schließlich stehen und öffnete galant die Tür für seinen Hund. Während er durch die Reihen schritt, diskutierte er mit Akuma über das richtige Futter, was den Kunden und Verkäufern verwirrte Blicke entlockte. "Das hier ist mit Lamm und Reis...möchte mal wissen, wo das da drin sein soll?" Misstrauisch beäugte er den Sack von allen Seiten. "Was meinst du? Lust auf Lamm und Reis?" Ein abfälliges Schnauben kam als Antwort und Ryo stemmte die Hände in die Hüften. "Dann such es doch selbst aus. Ich wollte dir ja nur was Gutes tun. Tz, undankbares Vieh." Beleidigt verschränkte er die Arme vor der Brust und verlagerte sein Gewicht auf den linken Fuß. Akuma schupste ihn beim Vorbeigehen an und knurrte auf. "Nein, ich schmolle nicht. Bild dir bloß nichts ein.", blaffte Ryo und sah stur in eine andere Richtung. Die Dogge gab noch ein entnervtes Schnauben von sich und drehte sich um, setzte sich vor den Schwarzhaarigen und hob eine Pfote. Mit zusammen gepressten Lippen starrte Ryo auf den Hund und zögerte einen Moment, griff dann aber doch nach der riesigen Pranke und schüttelte sie. "Okay, vertragen wir uns wieder. Und jetzt such dir endlich dein verdammtes Futter raus, ich will hier nicht übernachten." Akuma bellte einmal auf, was einem Donnerschlag gleich kam, und das faltige Gesicht verzog sich, als würde er grinsen. Zielstrebig lief er auf einen Sack zu und zerrte ihn mit den Zähnen zu seinem Herren. "Huhn? Ist das dein Ernst? Du willst Huhn? Ich glaub's nicht. Na, wenn man dich so glücklich macht." Ohne große Rücksicht auf das Inventar des Geschäftes verfrachtete Ryo den schweren 12 Kilo Sack ächzend an die Kasse, wo sich eine kleine Schlange gebildet hatte. Dabei trat ihm schon der Schweiß auf die Stirn und auf seinem Bauch begann es zu ziepen. Missmutig stellte er sich hinten an und beobachtete die anderen Leute. Akuma schnüffelte interessiert an einigen Regalen herum und schaute in Kisten. "Hey, Großer. Du kannst dir noch nen kleinen Snack aussuchen, wenn du willst.", sagte Ryo schmunzelnd, als er das große Interesse des Hundes an den Leckerlis bemerkte. Mit einem erfreuten Bellen hob die Dogge den Kopf und suchte sich schnaubend aus einer Kiste etwas heraus. "Das ist ein wirklich schönes Tier. Ich hatte auch mal eine Dogge, allerdings war die gelb.", ertönte eine hohe Stimme hinter Ryo und er drehte sich mit hochgezogenen Brauen und herablassendem Blick um. Ein älterer Mann mit Hornbrille und überdimensionalen Augen starrte ihn abwartend an, der schmale Mund kräuselte sich leicht und entblößte tadellose Zähne einer Prothese. "Und? Mach ich den Eindruck, dass mich das interessiert?", gab Ryo mit gelangweilter Stimme zurück, die im krassen Gegensatz zu seinen funkelnden Augen stand. "Ich...ähm...ich wollte nur etwas plaudern.", stammelte der Mann, der offensichtlich nicht mit dieser Reaktion gerechnet hatte. "Dann drehen sie sich um und reden mit dem Regal. Das ist bestimmt ganz scharf auf ihr Gequatsche.", zischte Ryo gereizt. Warum mussten diese Individuen ihn immer ansprechen? Was interessierte ihn deren Lebensgeschichte oder Sorgen? Er hatte selbst genug und kam damit schon nicht zurecht. //Die brauchen doch alle nen Therapeuten, so stark deren Rededrang is.// "Entschuldigen Sie! Könnten sie ihren Hund bitte da wegnehmen? Ich möchte mit meiner Tochter vorbei.", kam es nun vom Eingang her und langsam wurde Ryo ungehalten. Was wollten die alle von ihm? Konnten die sich nicht um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern? Sichtlich genervt drehte sich der Schwarzhaarige um und blickte direkt in das bittende Gesicht einer jungen Frau, die ein etwa vierjähriges Mädchen an der Hand hielt, das ängstlich auf Akuma schaute, der gerade dabei war den Decke der Kiste zu zerfetzen, um besser an den Inhalt heran zu kommen. Zwischen ihm und dem nächsten Regal war noch genug Platz, so dass man ohne Probleme vorbei kommen könnte, doch anscheinend reichte das der Mutter nicht. Normalerweise war für jeden verständlich, dass man vor solch einem großen Hund Angst hatte, vor allem kleine Kinder, doch Ryo sah nicht ein etwas zu unternehmen, wenn nicht die geringste Gefahr bestand. Mit einem zuckersüßen Lächeln ging er in die Hocke, winkte das Mädchen näher, das sich zögerlich von seiner Mutter trennte und zu Ryo ging. "Wie heißt du, Kleine?", fragte er in freundlichem Ton und erhielt darauf ein schüchternes Lächeln. "Kaori." "Gut, Kaori. Hast du Angst vor dem Hund?" Ein zaghaftes Nicken folgte, das Ryo ein böses Grinsen entlockte. "Sehr gut. Denn weißt du, was ich ihm besonders gerne zum Fressen vorwerfe? Kleine nervende Kinder wie dich, die besonders gut schmecken, weil sie so unschuldig und dumm sind.", antwortete er mit eiskaltem Gesichtsausdruck und richtete sich wieder auf. Das Mädchen begann zu zittern und dicke Tränen liefen ihr über die Wange. "Mamiii!!", schluchzte es auf und vergrub sein Gesicht in den Röcken der jungen Frau, die Ryo nun entsetzt anschaute. "Wie können Sie nur so gemein zu einem kleinen Kind sein?", stieß sie hervor, nahm ihre Tochter auf den Arm und verließ das Geschäft ohne ihren Einkauf getätigt zu haben. "Das war wirklich grausam.", mischte sich nun auch der Mann hinter ihm ein und sah ihn tadelnd an, was den Schwarzhaarigen fast zur Weißglut trieb. "Du sei mal ganz still, Opa. Halt lieber dein Gebiss zusammen, als dich in anderer Leute Angelegenheiten zu mischen.", fauchte er böse und wandte sich zu der Dogge, die immer noch ganz vernarrt in den Karton war. "Akuma, such dir endlich was aus, damit wir los können. Ich hab keine Lust mehr mit solchem minderbemittelten Pack rumzuhängen." Mit einer gewissen Genugtuung nahm der Schwarzhaarige das empörte Zischen hinter sich wahr und grinste. Mit hochgezogener Augenbraue nahm Ryo seinem Hund den Kalbsknochen aus dem Maul, den dieser angeschleppt hatte und legte ihn auf den Verkaufstresen. "Was ist eigentlich deine Interpretation von einem kleinen Snack?", fragte er die Dogge und erhielt ein Nicken in Richtung Knochen, als wolle Akuma sagen: ,Für meine Größe ist das eine Kleinigkeit.' "Schon klar, dann macht es dir sicherlich nichts aus auch etwas für dein Essen zu tun, oder?" Mit einem hinterhältigen Grinsen zerrte Ryo den Sack näher und lud ihn dem Hund auf den Rücken, der daraufhin entsetzt auffiepte. "Ja ja, auf einmal hast du gar keinen Hunger mehr, was? Stell dich nicht so an, du bist doch ein starker Bursche." Ryo wusste, dass diese Art Bemerkungen Wunder halfen. Sofort richtete sich Akuma zu seiner vollen Größe auf und hob elegant den riesigen Kopf. Gemeinsam verließen sie das Geschäft, nachdem Ryo bezahlt hatte, und suchten einen Supermarkt, der den Wünschen des Schwarzhaarigen entsprach. Wenig Menschen, einigermaßen große Auswahl, niedrige Preise. Ohne dass Ryo ein Wort hatte sagen müssen, setzte sich Akuma vor den Eingang, dort wo er nicht im Weg war und legte den Kopf leicht schief, um die vorbeiziehenden Kunden im Auge zu behalten. Der Futtersack war ihm dabei von den Schultern gerutscht und umgefallen, was Ryo nicht großartig störte und er sich auch nicht weiter darum kümmerte. "Okay, bleib hier und pass schön auf, dass keiner reinkommt. Und lass die Pfoten von dem Knochen, sonst gibt's Ärger!", befahl er dem Hund und tätschelte ihm noch den Kopf. Jetzt konnte er sicher sein, dass ihn niemand beim Einkaufen stören würde, denn es war durchaus Ernst gemeint, was er Akuma aufgetragen hatte. Die Dogge würde die Kunden zwar rauslassen, aber an ihm vorbei würde keiner kommen. Meistens reichte es aus, wenn er nur vor den Schiebetüre auf und ab tigerte, denn bei seiner Erscheinung hatten alle Respekt und keiner traute sich so recht an ihm vorbei. Sollte es doch jemand versuchen, würde Akuma das mit einem bedrohlichen Knurren unterbinden, was in Ryos Ohren eher belustigt klang, denn der Hund könnte nie jemandem absichtlich weh tun und schien das auch zu wissen. Mit finsterem Gesicht marschierte der Schwarzhaarige durch die Gänge, blieb hier und da stehen und hatte schnell alles zusammen, was er brauchte (oder sich im Moment leisten konnte). "Mal sehen...Nudeln, Reis, verschiedene Fertigsoßen...Schokopudding, Milch, Kekse. Das sollte genug Abwechslung sein für zwei Woche.", murmelte er vor sich hin und stellte sich an der fast leeren Kasse an. //Akuma scheint gute Arbeit zu leisten...//, schmunzelte er in sich hinein, bezahlte und nahm die braune Einkaufstüte auf den Arm. Beim Rausgehen allerdings wurde Ryo doch etwas irritiert, denn ihm kam eine kleine runzlige Frau entgegen, die keinerlei Zeichen von Angst oder fluchtartigem Verhalten aufwies, was sonst bei Akumas Anblick die gewohnte Reaktion war. //Er wird doch nicht....// Eilig lief Ryo hinaus, denn er erinnerte sich an einen Einkauf, bei dem die Dogge so vertieft in das Vernichten ihres Futters gewesen war, das sie nach kräftigem Reißen aus dem Sack befördert hatte, dass er die ein- und ausgehenden Menschen gar nicht weiter beachtete. "Ich zieh dir das Fell über die Ohren, Freundchen, wenn du...." Wie angewurzelt blieb er vor dem Supermarkt stehen und starrte auf das Bild, das sich ihm bot. Er musste zweimal Blinzeln, um zu glauben, was er sah. Ein sichtlich zufriedener Akuma lag auf dem Rücken, alle Viere von sich gestreckt, und hechelte seinen miefenden Atem in die Gegend, während eine in Weiß gekleidete Gestalt ihm den Bauch kraulte und leise mit ihm sprach. "Könnten Sie mir mal erklären, was sie da mit meinem Hund tun?", zischte Ryo wütend und stapfte auf den Mann zu, der sich mit einem freundlichen Lächeln zu ihm umdrehte. "Ach, hallo. Er hat die Tür versperrt, deshalb dachte ich, ich könnte ihn etwas ablenken. Er hat dich wohl vermisst, hat niemanden reingelassen, bis ich ihm eine kleine Massage angeboten habe.", erzählte Yota im Plauderton und brachte Ryo damit schon wieder auf 180. Mit eiskaltem Blick baute er sich vor dem Braunhaarigen auf und stemmte die Hände in die Hüften. "Es hatte seinen Sinn, dass er das macht. Was mischen sie sich da ein? Haben sie ein so ausgeprägtes Helfersyndrom?" Ein amüsiertes Lachen erklang, was nur noch mehr zu der brodelnden Wut beitrug, und Yota erhob sich, um dem Schwarzhaarigen die Hand zur Begrüßung entgegen zu strecken. Als Ryo nicht darauf reagierte, nahm er sie wieder zu sich, verlor dabei jedoch nicht einen Moment sein strahlendes Lächeln. "Aber dann können doch die anderen Kunden nicht hinein.", meinte Yota verwundert und legte den Kopf etwas schief, als würde er den Sinn dahinter nicht verstehen. "Eben, ich kaufe gern allein ein. Ungestört von solchen....Individuen.", nickte Ryo in Richtung eines dicken Mannes, der sich gerade einen Doughnut in den Mund stopfte, obwohl dieser dafür sichtlich zu klein war. Er warf seinem Gegenüber noch einen hasserfüllten Blick zu und bückte sich dann, um Akuma, der sich mittlerweile hoch bequemt hatte, seinen Sack wieder aufzubürden. Dabei zuckten weiße Punkte vor Ryos Augen auf und er biss die Zähne zusammen, um überhaupt auf den Beinen zu bleiben. //Jetzt ganz ruhig. Das geht gleich vorbei. Du bist nur noch nicht ganz auf der Höhe// Mit blassem Gesicht richtete er sich wieder auf und atmete einmal tief durch, um noch einmal zu versuchen das Futter zu bewegen. "Ist der nicht zu schwer für ihn? Ich kann doch tragen helfen.", bot Yota an und erntete nur ein Schnaufen, das dieses Mal von Ryo UND Akuma kam. "Er ist stark genug.", wehrte der Schwarzhaarige ab von einem zustimmenden Bellen begleitet. "Wir sind nicht auf ihre Hilfe angewiesen." Damit drehte er sich um und die Dogge trottete hoch erhobenen Kopfes hinterher. Ryo hatte nun nicht mehr das Bedürfnis in den Park zu gehen, sondern wollte nur noch in seine kleine schäbige Wohnung, die fernab von allem lag, was er so hasste. //Blöde Affe, muss der sich überall einmischen? Da kriegt man ja die Krätze.//, grummelte er vor sich hin. Ein leises Brummen zu seiner Rechten ließ ihn aufhorchen und auf Akuma hinuntersehen, der irgendwie anders aussah, als noch vor einer Minute. So frei und unbeschwert. So...unbelastet. "Wo ist dein Futter, verdammt?", stieß Ryo hervor und blieb stehen, wollte sich gerade umdrehen, als eine freundliche Stimme zu seiner Linken antwortete. "Keine Sorge, hab alles beisammen. Er tat mir so Leid, deshalb dachte ich, ich könnte vielleicht doch...." Weiter kam der Braunhaarige nicht, denn Ryos Gesicht färbte sich unnatürlich Rot und der Schwarzhaarige keifte wütend los. "Anscheinend haben sie nicht alle beisammen! Haben sie auf Durchzug geschaltet oder was ist? Ich glaub, es hackt! Spreche ich eine andere Sprach? Du heiliger Samariter sollst uns in Ruhe lassen!" Das Lächeln auf Yota Gesicht verschwand und hinterließ nur einen milden Ausdruck, der alle Feindlichkeit nachzusehen schien. Die blauen Augen wirkten nicht im geringsten verärgert über die schroffen Worte, sondern ruhten sanft auf dem Schwarzhaarigen. Dieser stand kurz vorm Explodieren und ballte seine freie Hand zu einer Faust. "Pass bloß auf, Freundchen.", knurrte er mit finsterer Miene, hätte sich am liebsten auf ihn gestürzt, doch aus irgendeinem Grund stellte sich sein vermaledeiter Hund zwischen sie und verhinderte dies. //Ich glaub es nicht! Dieser Verräter schlägt sich auf seine Seite!// Ungläubig starrte er die schwarze Dogge an und war nun auch versucht ihr eine zu kleben. Aber Ryo wusste aus Erfahrung, dass Akuma so etwas weder beeindruckte, noch es auf sich sitzen ließ. "Warum bist du eigentlich immer so unfreundlich zu allen Menschen? Was haben sie dir getan?", wollte Yota wissen und Ryo wurde bereits schlecht von diesem Lächeln. "Sie sind auf der Welt. Das haben sie mir getan. Und du bist genau so ein elender Mistkerl.", erklärte er in überreiztem Ton und sprühte Funken aus den Augen. "Du siehst alles so negativ. Es gibt viele Menschen, die durchaus auf andere Acht geben und sie respektieren. Nicht alle sind schlecht, weißt du? Sei doch etwas offener, dann hättest du bestimmt weniger Probleme.", konterte Yota und lächelte wieder so freundlich wie immer. Hier, genau hier an diesem Punkt war es genug. Ryo wusste, dass er schon immer leicht zu reizen war, doch dieser Yota trieb es wirklich auf die Spitze! Mit einem wütenden Brummen holte er aus und rammte seine Faust gegen Yotas Wangenknochen, was diesem ein schmerzerfülltes Stöhnen entlockte und er rückwärts nach hinten kippte, da er das Gleichgewicht verlor. Nun saß er etwas verwirrt dreinschauend auf dem Boden und hielt sich die Wange. "Ich sage es ein letztes Mal! Lass mich in Ruhe! Was weißt du schon von meinen Problemen? Einen Scheißdreck und es geht dich auch nichts an!", brüllte Ryo und sah auf den Anderen herab. Akuma knurrte drohend und stellte sich zwischen seinen Besitzer und Yota, damit dieser nicht aus heiterem Himmel noch eine verpasst bekam. "Ich hasse Menschen wie dich! So gönnerhaft und heuchlerisch. Nichts wisst ihr, nichts! Ihr lebt doch nur in eurer kleinen heilen Welt und es ist euch egal, wie es anderen geht. Scher dich zum Teufel, du Mistkerl!", fauchte der Schwarzhaarige und bückte sich nach dem Futtersack. Gerade wollte er ihn anheben, als ein heißer Schmerz durch seinen Bauch fuhr und ihm schwarz vor Augen wurde. //Nein, nicht jetzt! Ich muss wach bleiben! Ich muss nach Hause// Mit all seiner Kraft kämpfte er gegen die Ohnmacht an, denn wenn er hier auf offener Straße das Bewusstsein verlor, wäre er jedem hilflos ausgeliefert, in erster Linie dieser braunhaarigen Nervensäge. Als seine Sicht wieder klarer wurde, bemerkte Ryo, dass er kniete und sich mit den Händen abstütze. Sein Körper war mir kaltem Schweiß bedeckt, der furchtbar in den Wunden brannte. Sein Atem ging keuchend, seine Augen tränten vor Anstrengung und er stöhnte leise. "Was ist los? Hast du Schmerzen? Soll ich einen Krankenwagen rufen?", ertönte diese wohlbekannte Stimme und Ryo sah mit verschleiertem Blick zur Seite und direkt in das besorgte Gesicht Yotas. //Was ist denn jetzt kaputt?//, schoss es ihm durch den Kopf. Hatte er diesem Typen nicht gerade einen ordentlichen Schlag verpasst? Und jetzt erkundigte der sich wie es IHM ging? "Lass...mich...", brachte Ryo zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor. Er versuchte sich aufzurichten, doch sackte mit einem Zwischen wieder zusammen und hielt sich den Bauch. "Tut mir leid, aber das kann ich nicht. Das lässt mein Helfersyndrom nicht zu.", lächelte Yota ohne Sarkasmus und es klang genau wie immer, freundlich, höflich, zum Kotzen. Ohne dass Ryo etwas hätte tun können, half der Braunhaarige ihm auf, was wieder ein Stöhnen seinerseits bewirkte, da die Bauchdecke spannte. Er meinte etwas Feuchtes unter seinem Hemd zu spüren und er konnte sich denken, was es war. "Akuma.", wimmerte er. Etwas weiches großes schmiegte sich winselnd an seine Hand. Yota schenkte er keinerlei Beachtung, machte sich einfach von ihm los. "Trägst du deinen Sack jetzt allein?", wollte Ryo anklagend wissen und erhielt ein zustimmendes Winseln. Yota wirkte etwas unschlüssig, denn einerseits konnte man jemanden, dem es sichtlich schlecht ging, nicht allein lassen. Andererseits sagte einem der eigene Selbsterhaltungstrieb, es in Ryos Fall zu tun. Unter weiteren Schmerzen versuchte dieser nun das Futter auf Akumas Rücken zu laden, was sich schwieriger gestaltete, als gedacht. "Warte, ich helfe dir.", sprang Yota sofort hinzu und hob den Sack an seinen Platz, worauf Ryo seine Hand unwirsch wegschob. "Du hast es immer noch nicht verstanden, was?" Ein langer durchdringender Blick in azurblaue Augen, dann wandte er sich ab. "Akuma, komm." Damit war das Gespräch beendet und Ryo schlurfte schwer atmend Richtung Wohnung. Die Dogge trabte brav neben ihm her, sah immer wieder zu ihm auf und fiepte entschuldigend. Irgendwann wurde es Ryo zu viel und er tätschelte dem Hund einmal über den Kopf. "Mach dir keine Sorgen. Mir geht es gut, ich brauch nur ein neues Hemd. Das hier ist etwas vollgesudelt." Keiner von beiden schenkte Yota noch Beachtung. Kapitel 3: Cura ut valeas ------------------------- Will mich vielleicht jemand knuddln? Oder doch lieber schlagen? Hey, seht es positiv...es hat nur ein halbes Jahr gedauert ähehehe *verlegen räusper* Es tut mir ja leid und ich kann es vollkommen verstehen, wenn mir jetzt niemand mehr ein Kommi schreibt *snüff* aber ich hatte wirklich keine Ahnung, wie ich die Beiden näher zusammen bringen sollte. Aber jetzt weiß ichs *freu* Deswegen denke ich mal, wenn nichts dazwischen kommt...wird das 4. Kapitel auch schneller fertig sein, aber ich mache keine Versprechungen mehr *langsam aus Fehlern lern* Wer mir einen Kommi schreiben will, kann das gerne tun...es lohnt sich auch in dem Sinne, dass man dann automatisch von mir informiert wird, wenn es was neues gibt...also würd ichs mir noch mal überlegen bei meinem Tempo höhö Auf jeden Fall wünsche ich allen viel Spaß und bitte noch einmal untertänigst um Verzeihung...gomen nasai! Cura ut valeas Take care of yourself Mit einem letzten Stöhnen sank Ryo auf die Couch und verschnaufte erst einmal. Der Schmerz hatte nachgelassen, doch er fühlte sich ausgelaugt und völlig am Ende. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn und perlte langsam an seinen Schläfen hinab. Vielleicht war es doch ein Fehler gewesen, sofort einen so langen Weg zu machen. Sein Kreislauf war schon immer anfällig gewesen. Manchmal wurde ihm schwarz vor Augen oder seine Muskeln zuckten so stark, dass er sich schnell auf den Boden setzten musste, um sich nirgends zu verletzten. Zum Glück hatte er es bis hierher geschafft. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn er auf offener Straße zusammen gebrochen wäre. Wahrscheinlich wäre Yota ihm dann gleich zu Hilfe geeilt und hätte ihn wie ein Held in glänzender Rüstung auf seinen Armen zehn Kilometer zum nächsten Krankenhaus getragen und anschließend er eine Medaille für Nächstenliebe bekommen. Ryo schüttelte es bei diesem Gedanken und er schloss kurz die Augen, bis die kleinen schwarzen Punkte verschwanden und er sich wieder richtig aufsetzen konnte. Der Schmerz pulsierte leicht auf seinem Bauch, doch es war nicht schlimmer, als ein unangenehmes Ziehen. Mit Schmerzen konnte er umgehen. "Akuma? Mach die Tür zu, ich bin zu schwach dafür." Ächzend sank Ryo rücklings auf das Sofa und atmete tief durch. Ein Klappen ertönte, tapsende Schritte und eine feuchte Schnauze stupste gegen die Wange des Schwarzhaarigen. "Geh weg, ich bin k.o. Leg dich auf deine Decke oder kau ein bisschen auf deinem neuen Knochen rum. Du warst doch so scharf darauf." Das Grummeln schien die Dogge nicht im geringsten zu interessieren. Sie stupste und schleckte weiter, bis sich Ryo sauer aufsetzte und im nächsten Moment einen lauten erschrockenen Schrei ausstieß, wobei er gleich darauf zischend zusammen sackte, da diese Aktion seinem Bauch nicht sonderlich gut getan hatte. "Was machst du in meiner Wohnung?" Entsetzt starrte er Yota an, der ihm freundlich lächelnd begegnete und abwehrend die Hände hob. "Tut mir Leid, ich wollte dich nicht so erschrecken. Ich habe mir nur Sorgen gemacht, weil es dir vorhin nicht gut zu gehen schien. Die Tür war offen. Ich habe geklopft, aber Akuma ist nur gekommen, hat sich umgedreht, und da bin ich ihm gefolgt." "Folgst du jedem Hund, der sich direkt vor dir umdreht? Mensch, dann musst du ja viel unterwegs sein.", bemerkte Ryo bissig und presste die Hand auf den Bauch. Wieder erklang dieses warme Lachen und der Junge glaubte, sich übergeben zu müssen. //Meine Güte, der ist doch krank. Leidet an der Grinser-Krankheit. Vielleicht kann man ihn ja heilen, wenn man mit etwas schwerem auf seinen Schädel haut// Suchend blickte er sich um, aber konnte in dem spärlich möblierten Zimmer nichts geeignetes finden. Lag da nicht irgendwo noch ein Messer von seiner letzten Mahlzeit? "Du scheinst Schmerzen zu haben, kann ich dir irgendwie helfen? Hast du dich verletzt?", riss ihn die besorgte Stimme aus den Gedanken und er verdrehte nur die Augen. "Was geht es dich an? Verschwinde lieber aus meiner Wohnung, anstatt den barmherzigen Samariter zu spielen. Und guck mich nicht so mitleidig an, als würde ich gleich sterben.", fauchte er und erhob sich langsam, eine Hand auf den Bauch gepresst. Er musste dringend ins Bad und den Verband wechseln, wahrscheinlich war er schon ganz durchgeweicht. //Warum musste er auch gerade jetzt kommen? Das ist der unpassendste Zeitpunkt, den es gibt. Na ja...bei dem Kerl gibt es eigentlich nie einen passenden Zeitpunkt, er stört immer// "Du bist aber ganz blass und schwitzt. Ich kann dich doch jetzt hier nicht allein lassen. Nachher kippst du wirklich noch tot um." Die blauen Augen lächelten ihn an und Ryo wurde wieder nervös unter diesen Blicken. Was war denn daran so schwer, ihn einfach in Ruhe zu lassen? Er wollte keine Menschen um sich, die dann doch nur logen und ihn wieder verstießen, wenn sie seiner überdrüssig wurden. Er konnte einfach nicht mit Anderen umgehen. So etwas verlernte man schon mal, wenn es niemanden gab, der genug Geduld aufbrachte, um seine Launen zu ertragen. //Aber wer ist in dieser Welt schon bereit eigene Zeit zu investieren, um einem Anderen wirklich zuzuhören? Jeder ist doch nur an sich interessiert!// Die dunklen Gedanken kehrten langsam wieder und Ryo fühlte sich eigenartig geblendet von Yotas weißem Anzug. Er wirkte wie ein Lichtwesen, hell, freundlich und ohne Kummer. Ganz im Gegensatz zu dem Schwarzhaarigen, der regelrecht fühlte, wie er immer weiter in der Dunkelheit versank und von seinem inneren Schmerz und der Einsamkeit erdrückt wurde. "Und wenn ich tot umkippe? Wen kümmert's? Es ist egal.", knurrte Ryo forsch und suchte ein sauberes T-shirt, das er anziehen konnte. In der hintersten Ecke des Zimmers entdeckte er eines und schnappte es sich schnell, verschwand ohne ein weiteres Wort im Badezimmer. Akuma sah ihm nach, schnaufte auf, was einem Seufzen sehr ähnelte, und legte den großen Kopf auf das Sofa. Ryo konnte den Braunhaarigen durch die dünne Badenzimmertür mit seinem Hund reden hören und verdrehte die Augen. Yota entwickelte sich zu einer nervenden Pestklette. Allein diese sanfte ruhige Stimme machte ihn ganz wuschig. "Dein Herrchen hat aber eine schlechte Meinung von seiner Umwelt.", lächelte Yota auf den schwarzen Hund und ließ sich auf der Couch nieder. Mit der linken Hand klopfte er auf die Polster und nickte mit dem Kopf. "Willst du nicht her kommen und dir ein paar Streicheleinheiten abholen, so lange ich auf Ryo warte?" Überraschend schnell sprang die Dogge schwanzwedelnd neben ihm aufs Sofa und fläzte sich leise vor Wohlgefallen knurrend über dessen Beine. Er wäre ja schön blöd, wenn er sich eine kostenlose Krauleinheit entgehen ließe. "Akuma, du elender Verräter!", tönte es aus dem Bad, denn Ryo kannte seinen Hund. Der ließ sich keine Massage entgehen. "Als würde er von mir nicht schon genug bekommen.", murmelte der Schwarzhaarige vor sich hin und zog langsam das Hemd aus. Wie erwartet, hatte sich der Verband rot verfärbt und mit Blut vollgesaugt. Mit zitternden Fingern, da ihm schon wieder leicht schwarz vor Augen wurde, wickelte er ihn ab und ließ ihn sorglos auf den Boden fallen. "Das sieht ja wirklich lecker aus.", kommentierte Ryo die Betrachtung seines Bauches, während er vorsichtig an den einzelnen Schnitten herumtastete und sich in den Anblick des Blutes, das daraufhin hervorquoll, verlor. Natürlich brannte und stach es höllisch, aber für ihn war das ein gutes Zeichen. Es bedeutete, er konnte fühlen, war am leben. Im Gegensatz zu seinem Normalzustand war das ein Fortschritt. //Es sieht so schön aus, wie es meine Haut benetzt// Der Drang sich in diese Farbe zu flüchten, wieder zur Klinge zu greifen, wurde mit jedem Tropfen größer und Ryo streckte schon die Hand aus, als es plötzlich nachdrücklich klopfte. "Alles okay da drin? Kann ich dir irgendwie helfen?" Verstört blickte der Schwarzhaarige auf und brauchte ein paar Sekunden, um wieder ganz in die grausame Wirklichkeit zu gelangen und zu verstehen, dass es Yota war, der ihn gerade störte. "Was willst du machen? Mir den Schwanz halten beim Pinkeln?", rief er zurück und schnaubte verärgert. Nicht mal in seinen Selbstmordgedanken konnte er allein sein! "Entschuldige! Ich dachte, du wärst vielleicht umgekippt", kam es lachend von draußen und die Schritte entfernten sich. //Ich wünschte, DU würdest umkippen. Dann hätte ich ein Problem weniger// Unwirsch, da er dieses Bedrängen nicht leiden konnte und zunehmend nervöser wurde, achtete Ryo nicht auf die Desinfektionsflasche und deren Verschluss. Statt nur die kleine Kappe aufzudrehen, unter der der Sprühknopf lag, öffnete der Schwarzhaarige die gesamte Flasche. Als er nun den Inhalt auf ein Stück Klopapier kippen wollte, schwappte ein ganzer Schwall heraus und ihm über den Bauch. Den Schrei, der sich aus seinem Körper bahnte, hörte man noch in der Nebenwohnung und Ryo ging wimmernd in die Knie. "Verdammte Scheiße.", fluchte er und presste die Hände vor den Bauch. Der Schmerz trieb ihm die Tränen in die Augen, seine Sicht wurde unscharf und er schwankte leicht zur Seite. //Nein, ich darf hier jetzt nicht das Bewusstsein verlieren. Dann bricht Superman da draußen die Tür auf und rettet mich// Dieser Gedanke hielt ihn wach. Yota durfte das hier nicht sehen, niemand durfte das. Es war sein Geheimnis. Es dauerte etwas, bis Ryo wieder auf die Beine kam. Das Desinfektionsmittel fraß sich wie Säure in seinen Bauch und hinterließ eine brennende Spur überall dort, wo sein Fleisch offen da lag. Mit mahlendem Kiefer stemmte er sich hoch und klammerte sich am Waschbecken fest. Vor seinen Augen tanzten schwarze und weiße Punkte, nahmen ihm die Sicht in den Spiegel, so dass er zu seinem Glück nicht in dieses kalkweißes Gesicht schauen musste. //DAS...war wirklich ungeschickt//, dachte er ironisch und wartete, bis sich wieder Umrisse vor seinen Augen bildeten und er nicht Gefahr rannte, irgendwo gegen zustoßen. Ohne seiner Reflektion Beachtung zu schenken, holte er mit langsamen Bewegungen frisches Verbandszeug aus einem Schrank - das Bad war noch karger eingerichtet, als der Hauptraum - und benutzte nun lieber Wasser, um das Blut abzuwaschen. Man sollte meinen, dass seine Wunden genug desinfiziert waren. Erst jetzt drang das Bellen und Kratzen an der Tür zu ihm und auch die besorgte Stimme Yotas war zu hören. "Könnt ihr Beiden euch mal abregen?" rief er ärgerlich nach draußen und wickelte eine Lage Mull um seinen Bauch. Den schmutzigen Verband ließ er achtlos auf dem Boden liegen. Das würde er später wegräumen, wenn die Schmerzen nicht mehr ganz so stark waren und er sich wieder bücken konnte. Sorgfältig wurde der Verband unter dem schwarzen T-shirt versteckt und das Bad verlassen. Sofort blickte Ryo in zwei azurblaue Augen, die für seinen Geschmack viel zu nahe waren. Sie machten ihn nervös und unruhig. Yota sah ihn an, als wüsste er genau, was da gerade passiert war. "Du bist ja immer noch hier." "Was ist denn passiert? Ich dachte schon, das Klo hätte dir dein bestes Stück abgebissen." Das leichte Lächeln erleichterte Ryo einerseits, da er nun sicher sein konnte, dass der Braunhaarige rein gar nichts wusste, andererseits hätte er am liebsten hinein geschlagen. Doch er ließ den Scherz lieber unkommentiert, da sein Körper immer schwerer wurde und die Couch ihn beinahe magnetisch anzog. So ganz über den Berg war er wohl noch nicht. Vorsichtig ließ sich der Junge auf den Polstern nieder und streckte sich der Länge nach aus. Seine Beine versperrten Yota sowie Akuma den Platz neben ihm, was Ryo nur recht sein konnte. Er wollte niemanden um sich haben, hätte Yota nur zu gern rausgeschmissen, wenn dieser blöde Kerl nur mal auf ihn hören würde. Aber nein, seine Meinung war ja nicht gefragt, er konnte sich bis aufs Äußerste verausgaben, aber Yota blieb immer noch lächelnd im Sessel sitzen. Auf diesem hatte es sich der Mann nämlich bequem gemacht, was Ryo das Quietschen der Federn gesagt hatte. Akuma stand winselnd vor ihm, als wolle er fragen, ob wirklich alles in Ordnung war. Mit geschlossenen Augen streckte Ryo die Hand nach der Dogge aus, wurde auch gleich von einer feuchten Schnauze begrüßt und abgeschleckt. Das Tätscheln seines Kopfes schien den Hund zu beruhigen und er beschränkte sich auf vertrauensvolles Anschmiegen, anstatt seinen Herren zu belagern. "Gönn mir ne Pause, Großer", murmelte dieser schwach und legte sich einen Arm über die Augen. Das Brennen hörte immer noch nicht auf und Ryo hatte schon den Verdacht, dass die Wunden noch tiefer geworden waren. Wahrscheinlich hingen irgendwo schon seine Gedärme heraus. //Wie nennt man das? Situationskomik? Wohl eher makaber.// Was anderes als lachen konnte man ja auch nicht über ihn. Er war erbärmlich. "Was ist denn nun passiert?" Yota unterbrach seine trüben selbstzerstörerischen Gedanken und schien immer noch sehr besorgt und hilfsbereit. //Es gibt so viele arme Geschöpfe auf der Welt, die nichts im Leben haben. Warum kann er sein Helfersyndrom nicht an ihnen stillen? Bin ich verflucht? Oder hasst Gott mich so sehr, dass er mir schon den Teufel auf den Leib hetzt? Ob Weihwasser gegen diesen penetranten Kerl hilft? Vielleicht löst er sich ja dann in Luft auf// "Ich hab mir den Kopf gestoßen. Das ist alles!" antwortete Ryo schließlich lahm, aber es war ihm so ziemlich egal, ob der Andere diese Ausrede glaubte oder nicht. Der Blutverlust und die Schmerzen hatten ihn wieder geschwächt. Da von Yota keine direkte Gefahr auszugehen schien, entspannte sich der Schwarzhaarige und atmete ruhig ein und aus. Er wollte nur ein bisschen Ruhe, um sich zu erholen und wieder klar sehen zu können. Natürlich ginge das am besten allein, aber dieser Luxus war ihm nicht vergönnt. Manchmal musste man einfach nehmen, was man bekam. "Hübsch eingerichtet deine Wohnung", durchbrach Yota die Stille und es war deutlich zu hören, dass er grinste. "Wenn du zwei Zimmer als Wohnung bezeichnest. Mein Innenarchitekt meinte, der spartanische Look wäre wieder in." Der Sarkasmus tropfte von seinen Lippen, aber nicht mehr so aggressiv und beißend, was wahrscheinlich auf Ryos Verfassung zurückzuführen war. Das warme Lachen erfüllte mal wieder den Raum, ließ ihn etwas heller und weniger trostlos wirken. In diesen vier Wänden wurde sowieso viel zu wenig gelacht, aber warum sollte Ryo es auch tun? In seinem Leben war selten etwas Freude zu finde. Es gab nur Einsamkeit, Schmerz, Wut und Hass. Vor allem auf fröhliche Menschen wie Yota. Aber wie sollte in so einer Umgebung auch gute Laune entstehen? Die grauen kahlen Wände, von denen schon der Putz bröckelte, waren einengend und wiesen nur zu deutlich auf den schlechten Zustand des Hauses hin. Wahrscheinlich konnte man, selbst wenn Ryo es gewollt hätte, gar keine Bilder aufhängen, weil beim ersten Hammerschlag die Wände eingestürzt wären. Die einzigen Möbel waren das Sofa, ein Sessel, ein kleines Tischchen und ein klappriger modriger Schrank, die alle noch vom Vormieter stammten. Die ,Küche' bestand aus Kühlschrank, zwei Kochplatten und einem kleinen Schränkchen, in dem sich gerade mal zwei Teller, eine Tasse und ein Besteckpaar befanden. Darüber hinaus gab es keinerlei persönliche Dinge, keine Fotos, Bücher oder sonstige Erinnerungsstücke an ein voriges Leben. Hatte es überhaupt je ein anderes gegeben? Ryo kam es mittlerweile schon vor, als habe er schon immer in dieser trostlosen Einsamkeit gelebt, ohne einen Menschen, dem er vertrauen konnte. Immer allein, immer auf sich gestellt - hilflos. Nach einer ausgiebigen Musterung erhob sich Yota, um ins Bad zu gehen. Dem Jungen schien es wirklich nicht gut zu gehen und er dachte, ein kühler Lappen könnte vielleicht etwas Linderung bewirken. Weit kam er jedoch nicht, denn Ryo fiel siedendheiß ein, dass der blutige Verband noch auf dem Boden lag und das sicherlich zu unangenehmen Fragen führen würde. "Hey, hab ich dir erlaubt hier rumzuschnüffeln?" Ryo setzte sich mühsam auf, sah aber gleich wieder schwarz. Es war unmöglich aufzustehen. Er konnte Yota ja nicht mal erkennen in den dunklen Schatten, die ihn umgaben. "Ich will dir doch nur einen kalten Lappen holen. Du schwitzt und siehst nicht gesund aus. Vielleicht wäre es sogar besser, wenn ich einen Arzt hole?" "Mir geht's gut. Mach dir keine Mühe", schnappte Ryo und kämpfte sich weiter hoch. Langsam bekam er es doch mit der Angst zu tun. Der Braunhaarige durfte auf keinen Fall in dieses Zimmer gehen. Es wäre ein Eingriff in seine Privatsphäre und er könnte es nicht verhindern. Diese Hilflosigkeit ließ ihn schon am Rande der Panik taumeln. Sein Herz schlug aufgeregt in der Brust, pumpte das Blut in jeden Körperteil und wie es schien vor allem in seinen Bauch. Yota hatte die Hand schon auf der Klinke, gleich flog alles auf, wenn Ryo nicht bald etwas unternahm. So griff er zum letzten Mittel. "Akuma!" Der alarmierte Ton in der Stimme seines Herren ließ den Hund sofort aufspringen und sich zwischen Yota und die Tür stellen. Es war schon fast unheimlich, dass er die Gedanken des Schwarzhaarigen so gut erraten konnte, aber das machte ein Team aus, oder? Seine Loyalität konnte selbst die Sympathie anderen Menschen gegenüber nicht trüben. Es war seine Aufgabe Ryo das bisschen Freundschaft und Liebe entgegenzubringen, das ihn am Leben hielt. Akuma war nicht irgendein Hund. Er war Ryos bester und treuester Freund. Er musste ihn beschützen. Yota blickte verwundert auf die schwarze Dogge hinunter und zog eine Augenbraue hoch. "Du scheinst wirklich etwas dagegen zu haben, dass Andere dir helfen wollen", lächelte er traurig und Ryo funkelte ihn nur wütend an. "Ja und ich denke, es ist besser, wenn du jetzt gehst! Du bist hier nicht willkommen!" knurrte er und krallte die Hände in die Polster, um sich damit gleichzeitig bei Bewusstsein zu halten. Die ganze Aufregung und Anstrengung lastete schwer auf seinem Körper und Ryo traute sich nicht mehr aufzustehen. Er keuchte und musste immer wieder blinzeln, damit das Bild klar blieb. Es dauerte nicht mehr lange und er verlor wieder das Bewusstsein. "Ryo, ich glaube nicht, dass-" "Verschwinde endlich! Ich will deine Hilfe nicht! Kannst du das nicht akzeptieren? In deiner Welt scheint jeder jedem zu helfen, aber in meiner ist man auf sich allein gestellt und ich will, dass das so bleibt! Akuma, bring ihn zur Tür." Mit schwerem Atem wies er mit dem Finger auf die Tür und blinzelte angestrengt. //Scheiße, ich kann nicht mehr. Alles dreht sich// Yota machte einen Schritt auf Ryo zu, doch Akuma stellte sich brummend vor ihn und stieß den Braunhaarigen mit der Schnauze vorwärts. Durch die enorme Größe der Dogge konnte man sich ihr schlecht widersetzen. "Ist gut, mein Freund. Ich habe verstanden. Ich wollte nicht aufdringlich erscheinen", entschuldigte er sich und lächelte sanft auf den Hund herab, während er ihm den Kopf tätschelte. "Ich hoffe, es geht dir bald besser. Ich werde in nächster Zeit mal vorbei schauen, okay?" verabschiedete er sich und lächelte noch einmal. Ryo saß immer noch regungslos auf dem Sofa und starrte in Yotas Richtung, konnte ihn aber nicht erkennen, da es immer dunkler wurde. Die Tür fiel ins Schloss und er entspannte sich etwas. Kraftlos sank Ryo zurück, war kaum noch bei Bewusstsein. "Akuma...komm...her...bitte...will nicht...allein sein." Die Augenlider fielen herab und Ryos Kopf rollte zur Seite. Sein Körper gab auf und verlangte Ruhe. Wie ein dunkler Schatten setzte sich die Dogge neben das Sofa und wachte über seinen Schlaf. Die nächsten Tage vergingen schleppend, waren voll dunkler Schatten und verschwommener Erinnerungen, die Ryo niederdrückten und unter sich begruben. Er verließ selten seinen Platz auf der Couch, nur um die nötigsten Gänge ins Bad und zum Kühlschrank zu tun. Akuma ließ sich meistens selbst hinaus, da er instinktiv wusste, dass sein Herr nicht unter Menschen wollte und geistig wie körperlich auch gar keine Kraft dafür hatte. Leben unter anderen homo sapiens war für Ryo anstrengend, da sein Hass auf alles Glückliche und Freundliche viel Energie verbrauchte. Seit Yota gegangen war, schaffte er es einfach nicht aus diesem schwarzen Loch der Depression herauszukommen. Nichts konnte seine Stimmung bessern, er lag nur rum, fühlte sich aber rastlos, als habe er noch etwas zu erledigen. Aber es gab nichts, was seine Aufmerksamkeit benötigte. Die meiste Zeit starrte er nur an die Decke, versuchte sich selbst zu fühlen und sich an seinem Bewusstsein festzuklammern. Die Schnitte auf seinem Körper heilten langsam ab, obwohl manche bei unglücklichen Bewegungen wieder aufrissen. Jedes Mal war es wie ein Wiedersehen mit dem Leben. Wenn das rote Blut über seine Haut rann und der Schmerz an ihm nagte, empfand es Ryo als Bestätigung für seine Existenz. Es machte alles so leicht. Kein Schwarz oder Weiß mehr, alles verschwamm zu einem unbestimmten Grau. Tod und Leben waren so dicht beieinander, dass der schmale Grad zwischen ihnen verwischte und den Jungen in seinen Bann zog. Doch jedes Mal riss ihn etwas aus dieser Melancholie und Todessehnsucht. Meist war es Akuma, der ihn mit seiner feuchten Zunge aus diesen Träumen weckte und nach Zuneigung verlangte. Ryo zögerte immer einige Augenblicke, überwandt dann aber die Grenze zum Leben und streichelte ihn. Der Hund war zeitweise seine einzige Verbindung zu dieser Welt und irgendwie war er ihm dankbar dafür, auch wenn er sich ab und zu wünschte, er würde zu spät kommen. Nach zwei Wochen waren all seine Wunden verheilt und ließen nur rote Narben zurück, die im Laufe der Zeit weiter verblassen würden. Nun konnte er sich auch freier bewegen und begleitete Akuma auf seinen kurzen Streifzügen. Der Alltag stellte sich langsam wieder ein und Ryo gewann etwas von dieser Routine zurück, die die dunklen Schatten in den Hintergrund drängte. Für längere Ausflüge war er noch nicht bereit, da auch sein Kreislauf etwas schwächelte. Wenn er lange lag oder saß und dann aufstand, wurde ihm schwindelig und schwarz vor Augen, so dass er schnell irgendwo Halt suchen musste, um nicht zu fallen. An diesem Tag drängte Akuma geradezu nach draußen und an dem aufgeregten Schwanzwedeln und dem Japsen erkannte Ryo, dass die Dogge mal wieder einen langen Ausflug machen wollte, bei dem sie sich so richtig austoben konnte. Misstrauisch schaute er aus dem Fenster. Das Wetter war eher ungemütlich, grau Wolken verdeckten den sonst so blauen Himmel und es sah nach Schnee aus. Der Winter hielt langsam Einzug und Ryo seufzte. Das würde wieder kalt und anstrengend werden. Seine Wohnung war alles andere als gut gedämmt gegen Feuchtigkeit und Kälte, so dass er mindestens dreimal pro Winter mit einer wirklich üblen Erkältung auf der Couch lag und sich nicht rühren konnte. In dieser Zeit baute er immer stark ab und fiel vom Fleisch, da er einfach nicht die Kraft aufbrachte, um einzukaufen. In den Lebensmittelläden waren Hunde verboten, also konnte er Akuma auch nicht schicken. Wenn er Glück hatte merkte er es rechtzeitig und besorgte sich genügend Verpflegung, aber meistens kam das zusätzliche Problem des Geldes hinzu. Wenn keines da war, konnte er sich nichts kaufen und von klauen hielt er nichts. "Ich sage dir eins, Freundchen, wenn ich nachher mit einer Lungenentzündung zurückkomme, kannst du was erleben! Ich habe darauf echt keine Lust verstanden? Und du kriegst die Zeit dann auch nichts zum Beißen, klar? Warum sollte ich das allein auslöffeln?" warnte er Akuma schon mal vor, der unruhig an der Wohnungstür kratzte und fiepte. "Jaja, ich weiß, das interessiert dich überhaupt nicht. Du denkst immer nur an deinen Spaß, elender Egoist." Wie auf ein Kommando drehte sich der Hund um, tapste zu Ryo und schnappte sich einen Ärmel seines dünnen Shirts, um ihn zur Tür zu bewegen. Es entlockte dem Schwarzhaarigen ein kleines Lachen. "Verstehe, du denkst auch an meinen Spaß. Wie freundlich. Aber warte, ich muss mich erst noch anziehen." Er streichelte den riesigen Kopf einmal und holte dann seinen Mantel. Das war eigentlich das einzige Kleidungsstück, das noch einigermaßen in Takt war. Alles andere hatten Zeit und Wetter zerschlissen, obwohl Ryo vermutete, dass auch Motten eine Rolle spielten. Seine Schuhe waren recht durchgelaufen und nicht wirklich wasserdicht, aber darum kümmerte er sich nicht weiter. Geld für neue hatte er nicht, das war alles für die letzte Miete draufgegangen, wobei er diese auch nicht hatte vollständig begleichen können. Wenn das so weiter ging, würde ihn sein Vermieter noch rausschmeißen. Er stand jetzt schon zwei Monate im Rückstand. Endlich fertig angezogen öffnete Ryo die Tür und wurde von einem schwarzen Monster fast umgeschmissen, als dieses Richtung Treppe galoppierte und aufgeregt bellte. "Jaja, ich komme schon. Halt lieber die Klappe, sonst beschwert sich wieder jemand." Nicht, dass Ryo das etwas ausgemacht hätte, es nervte nur, wenn die alte Frau aus dem zweiten Stock demonstrativ mit dem Besen gegen die Wand klopfte und irgendetwas unverständlichen keifte. Die Wohngemeinschaft war sowieso nicht die beste. Es gab zu viele Parteien in diesem Haus, die man nicht auf freundlichem Weg vereinen konnte. Alles sozial schwache Familien, Penner, bei denen er sich immer fragten, woher sie das Geld für die überteuerten Zimmer nahmen und Nervensägen, wie diese Oma, die den ganzen Tag nichts anderes zu tun hatten, als mit viel Gepolter und Gezeter auf ihre verdiente Ruhe hinzuweisen, wobei sie natürlich damit den meisten Krach machten. Kopfschüttelnd stieg Ryo die Treppe hinunter und öffnete gerade die Haustür, um Akumas aufgeregtem Drängen nachzugeben, da stieß er auch schon mit einem seiner lieben Nachbarn zusammen, der anscheinend gerade ins Haus wollte. "Können Sie nicht-", blaffte er schon los, erstarrte dann aber mit weit aufgerissenen Augen. Das hatte ihm an diesem Tag wirklich noch gefehlt! "Hallo, da habe ich ja Glück gehabt, wenn du gerade auf dem Sprung bist. Ich dachte, ich sehe mal, wie es dir geht. Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, aber ich musste arbeiten." Yota schien wirklich erfreut Ryo zu sehen, was nicht wirklich auf Gegenseitigkeit beruhte, wie schnell klar wurde. Das blasse Gesicht umwölkte sich und die Augen wurden dunkel. Die Mundwinkel zogen sich angespannt herab und zeigten, was ihr Besitzer von der Anwesenheit des Braunhaarigen hielt. Mit einem genervten Schnauben und ohne ein Wort zu sagen, schob er sich an Yota vorbei und rief nach Akuma. Die Dogge weigerte sich aber auch nur einen Schritt zu gehen und umschwänzelte den Mann freudig, stupste seine nasse Schnauze gegen dessen Hand und heischte mal wieder nach Streicheleinheiten. "Akuma! Komm her oder du kannst sehen, wo du dein Futter herkriegst!" Manchmal wünschte sich Ryo wirklich, sein Hund wäre wie er selbst. Feinselig, aggressiv und abweisend. Doch leider war er genau das Gegenteil, wenn auch teilweise ebenso gleichgültig wie sein Besitzer. Diesem stand schon wieder deutlich der Ärger im Gesicht und der vorher so kräftig wedelnde Schwanz sank herab. Verwirrt schaute Akuma von Ryo zu Yota und wieder zurück, als wolle es sagen ,Was hast du gegen ihn? Er ist doch nett'. Aber der Schwarzhaarige duldete kein weiteres Zögern und drehte sich einfach um. Mit ausgreifenden Schritten, die ihn weit von dem ungebetenen Gast wegbringen sollten, stapfte er davon und ließ die Beiden einfach stehen. Doch anstatt wieder zu gehen, setzte sich auch Yota in Bewegung und folgte dem Jungen, zur Freude von Akuma, der nun schwanzwedelnd neben dem Mann hertänzelte und leise Laute des Wohlbefindens von sich gab. "Und wie ging es dir, mein Freund?" fragte der Braunhaarige und sog die kalte Luft tief ein. Die Temperaturen waren bereits so tief gesunken, dass man seinen Atem in der Luft in Form von kleinen Wölkchen sehen konnte. Die Nächte waren besonders frostig und würden bald für so manchen Obdachlosen zur Gefahr werden. Yota zog die Schultern höher und kuschelte sich tiefer in seine weiße Jacke. Gleichzeitig fragte er sich, ob Ryo nicht fror, denn trotz des Mantels war ein T-Shirt nicht das Richtige, um längere Spaziergänge zu machen. Ein kräftiger Stoß gegen die Seite ließ den Mann taumeln und verwundert zu Boden gucken, wo Akuma verspielt neben ihm hersprang. "Du willst spielen? Hmm..." Er blickte sich um und schüttelte den Kopf. "Tut mir leid, aber ich glaube nicht, dass hier der geeignete Ort dafür ist. Hier sind zu viele Autos und es ist doch schöner, wenn man etwas über Wiesen tollen kann, oder?" Man konnte die Zustimmung geradezu in den Augen des Hundes ablesen, der nun plötzlich lospreschte und neben Ryo herlief, bis dieser zu ihm schaute. "Was willst du? Geh doch zurück zu deinem neuen Freund", knurrte der und entriss der Dogge seinen Ärmel, den sie sich geschnappt hatte, um ihn auf den richtigen Weg zu bringen. "Wir gehen nicht in irgendeinen Park, das kannst du dir abschminken! Ich habe genug von deinem Verhalten! Erinnerst du dich noch an die Zeit, wo es nur uns Beide gab? Ja? Das ist gar nicht mal so lange her. Warum fängst du jetzt an mit Anderen anzubändeln, hm? Das geht mir auf den Senkel!" Akuma blieb stehen und legte den Kopf schief. Ryo klang ja schon fast...eifersüchtig. Er stapfte einfach weiter ohne seinen Hund weiter zu beachten und grollte leise vor sich hin. Das war doch nun wirklich nicht zu fassen! Da kam so ein dahergelaufener Kerl, der auch noch ständig grinste, und sein bester Freund wurde untreu. //Was man nicht alles tut für ein paar Streicheleinheiten. Als ob ich die ihm nicht geben würde! Er darf ja sogar auf der Couch schlafen und das ist, weiß Gott, zu eng für uns Beide. Ich dachte immer, ich könnte mich auf ihn verlassen, aber nein...// Lautes Gebell riss ihn aus seinen Gedanken und er drehte sich mit bösem Blick zu Akuma um, der sehr aufgeregt schien. "Was ist? Was passt dir jetzt schon wieder nicht? Ich bin sauer, wann ich will und du hast mir da gar nichts vorzuschreiben!" war Ryos Antwort auf das wütende Gekläffe. Akuma trabte knurrend zu ihm heran und fing wieder an seine tiefe Stimme zu verbreiten. Ryo blitzte ihn nur an und verschränkte die Arme vor der Brust. "Nun tu mal nicht so! Sei lieber dankbar, dass ich mit dir rausgehe! Du kannst auch gerne allein laufen, keiner zwingt mich mitzukommen. Außerdem hast du ja jetzt einen neuen Freund, nicht wahr? Frag doch ihn, ob er mitkommen will!" Die Beiden schaukelten sich immer höher und es sah wirklich aus, als würden sie sich streiten. Akuma bellte lautstark und Ryo motzte ihn an. Das ging eine ganze Weile so, bis es dem Jungen zu viel wurde. "Fein! Dann gehen wir eben in deinen blöden Park. Wenn du unbedingt deinen Dickschädel durchsetzen willst. Aber glaub nicht, dass ich auch nur einen Stock für dich werfe! Du kannst sehen, wem du hinterher jagen kannst." Eingeschnappt drehte Ryo sich um und stiefelte in eine andere Richtung weiter. Ein paar Straßen weiter war der große Stadtpark, in dem sie manchmal an versteckten Orten rumlümmelten, wo niemand hinkam. Aber heute musste man keine Bedenken haben, dass es voll sein würde. Bei der Kälte blieben die Meisten lieber Zuhause, was ihnen keiner übel nehmen konnte. Während Ryo vornweg stürmte und leise vor sich hinschimpfte, wobei man immer nur Wörter wie "Verräter" und "dämliche Grinsebacke" heraushören konnte. "Tut mir leid, ich wollte nicht, dass ihr euch streitet", seufzte Yota, der dem ganzen Schauspiel etwas verwundert zugesehen hatte. Akuma lief neben ihm und schüttelte nur einmal schnaubend den riesigen Schädel, als wolle er sage ,Der kriegt sich schon wieder ein'. "Er scheint eifersüchtig zu sein, dabei hat er doch gar keinen Grund. Und diese ständige schlechte Laune kann einem doch gar nicht gut tun. Vielleicht sollte ich ihm mal zeigen, dass es wirklich viele Gründe zum Lachen gibt in dieser Welt. Das Leben ist zu kurz, um immer nur traurig zu sein." Die Dogge schnaubte wieder und stupste zustimmend gegen Yotas Hand. Eine viertel Stunde später hatte sich ihre Umgebung von einer trostlosen kargen Steinlandschaft mit glasigen Fensteraugen und leblosen Straßen, in eine ebenso trostlose und karge Grünanlage verwandelt. Der Unterschied bestand jedoch darin, dass man sich hier nicht ganz so klein und unbedeutend vorkam. Ryo fühlte immer eine Art von Integrität, wenn er im Wald oder Park spazieren ging. Die Pflanzen waren nicht einfach an eine Stelle gesetzt worden, wo sie nun nach den Vorstellungen der Menschen wuchsen, wie es die Häuser und Gebäude der Stadt taten. Hier war alles willkürlich und unerwartet. Es gab keinen sichtbaren Plan, niemand kümmerte sich wirklich um das Wachsen und Gedeihen der Umgebung, doch trotzdem strebte alles empor zur Sonne, die mit ihren Strahlen Leben schenkte oder auch verwirkte. Die Bäume, auch wenn sie nun kahl und knorrig waren, bildeten ein Stadium im Kreislauf des Lebens. Sie schienen abzusterben, all ihre Pracht zu verlieren, die am Fuße der Stämme braun und gelb verteilt war. Und doch würden sie in einem halben Jahr neu wiedergeboren werden. Dann wenn ihre Umwelt nicht mehr kalt und einsam war, sondern alles erwachte aus seinem tiefen Schlaf. Dann würde vielleicht auch er selbst zu neuem Leben erblühen. Jedes Jahr hoffte er darauf, doch immer war es ihm verwehrt geblieben. Er hatte sich oft gefragt, was denn in seinem Dasein - denn Leben konnte man es nicht mehr nennen - fehlen würde, aber die Antwort machte ihm jedes Mal Angst, denn sie beinhaltete etwas, das er sich geschworen hatte niemals wieder aufzubauen. Vertrauen. Denn nur wenn man vertraute, konnte man jemanden finden, der einem zum Licht führte und den Frühling einläutete. Aber wo sollte es schon so eine Person für ihn geben? "Es ist schön hier, nicht wahr? So friedlich." Ryo zuckte bei der freundlichen Stimme zusammen und warf Yota nur einen bösen Blick zu. Er wollte immer noch nicht mit ihm reden und jetzt, wo Akuma den Braunhaarigen lieber hatte als ihn, hasste er den Mann noch mehr. "Kannst du mich nicht einfach-" "..in Ruhe lassen? Natürlich könnte ich das, aber wieso sollten wir Beide den Tag allein verbringen, wenn es zu zweit doch viel lustiger ist?" schmunzelte Yota und ließ sich neben Ryo auf die Bank sinken. //Ob er jemals auf die Idee kommen wird, dass ich allein sein WILL? Gott, der muss ja in einer verdammt heilen Welt leben// Der Schwarzhaarige starrte stur geradeaus, obwohl er die erwartungsvollen Blicke des Mannes auf sich spürte. Akuma tappte vor ihnen auf und ab, die Nase dicht über dem Boden gehalten und freudig mit dem Schwanz wedelnd. "Wenigstens einer, der hier Spaß hat", grummelte Ryo leise und kickte ein kleines Steinchen weg. "Fühlst du dich nicht manchmal sehr einsam mit dieser Einstellung?" bemerkte Yota ruhig und mit einer leichten Bedrückung in der Stimme. Ryo zog nur eine Augenbraue hoch und blickte ihn zweifelnd an. "Ich weiß nicht, was du meinst." "Ich denke doch. Du siehst in der Welt nur die schlechten Seiten. Alles ist ungerecht und grausam, niemand ist für einen Anderen da. Vielleicht ist das so, aber meinst du nicht, dass man mit einem Lächeln daran etwas ändern kann?" "Das bezweifle ich doch sehr stark." "Warum? Hast du es jemals versucht? Wie viele Menschen sehnen sich danach ein Lächeln geschenkt zu bekommen? Es würde ihr Leben aufhellen und ihnen Mut geben. Was kostet es dich, wenn du es einmal versuchst?" "Überwindung. Ich sehe keinen Grund mir völlig fremde Menschen blöd anzugrinsen. Und ich glaube auch nicht, dass es ihnen gut tut. Nimm mich, du grinst mich die ganze Zeit so dämlich an und ich möchte am liebsten kotzen." Die Worte waren ruppig und verletzend, aber Ryo wollte es, er wollte dem Anderen zeigen, dass nichts besser wurde, wenn man jemanden anlächelte. Wie oft hatte er das versucht in den letzten Jahren? Hatte seine Mutter es einmal erwidert? Hatte sie ihm etwas Hoffnung auf Liebe und Zuneigung gegeben mit einem kleinen Verziehen der Mundwinkel? Nein. Niemals. Sie hatte nur abfällige Worte für ihn übrig, die jedes Mal wie Nadeln in sein Herz stachen und ihn an den Rande der Verzweiflung trieben. Es war ein halbes Jahr her, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte. Damals war er überstützt nach einem Streit ausgezogen, hatte alles hinter sich gelassen. Mit viel Glück hatte er dieses Rattenloch, was er Wohnung schimpfte, gefunden und sich dort verkrochen mit tiefen seelischen Wunden. Und hatte ihn in dieser Zeit auch nur ein Mensch angelächelt? Nein. Der Vermieter drohte ihm jeden Monat mit dem Rausschmiss, wenn er die Miete nicht pünktlich bezahlte. Die Nachbarn beschwerten sich über Akuma, wenn er einmal bellte. Sie beschimpften Ryo als Satanisten, nur weil er immer schwarz trug. Auf die Idee, dass er damit unterbewusst nur versuchte jemanden auf seine Schmerzen aufmerksam zu machen, kamen sie nicht. Er war der Außenseiter, abgestempelt und verdammt zum Alleinsein. Ryo hatte sich nie so gesehen, aber jetzt, wo er am Rande der Gesellschaft lebte, wurde ihm bewusst, dass er schon immer einen Hang zum Außenseitertum hatte. In seiner Kindheit hatte er immer allein in seinem Zimmer gespielt, weil keiner seiner Freunde anrief, um sich mit ihm zu verabreden. Später hatte er die Leute auch immer etwas auf Distanz gehalten, aus Angst verletzt zu werden. Schon damals hatte sich dieses Gefühl der Hilflosigkeit, das ihn langsam, aber sicher, zu ersticken drohte, bemerkbar gemacht. Und als dann der endgültige Bruch mit der Welt und allem, was mit ihr zusammenhing, kam, verfing er sich immer mehr in dem Netz der Depression, dass sich um ihn wob, wie eine zweite Haut. Mit jeder Bewegung schien es sich noch fester um ihn zu ziehen, bis er schließlich einfach aufgeben würde. Und jetzt kam dieser Yota daher und wollte ihm allen Ernstes weiß machen, dass man sich mit einem Lächeln besser fühlte? "Dich muss jemand einmal sehr verletzt haben, dass du nun alles so hasst", stellte der Braunhaarige fest und Ryo hob müde den Kopf. Seine Gedanken hatten ihn wieder einmal in ein tiefes schwarzes Loch gezogen, aus dem er nur langsam wieder auftauchte. "Und wenn schon. Was spielt es für eine Rolle?" antwortete er frei von Aggression oder Abwehr. Das Bedürfnis zurück in die Wohnung zu gehen, wurde übermächtig. Vielleicht war er doch noch nicht bereit gewesen der Welt entgegen zu treten. Aber wer konnte schon ahnen, dass dieser barmherzige Samariter auftauchte und einem keine andere Wahl ließ, als die Flucht zu ergreifen? "Es werden bestimmt in jeder Minute etliche Menschen auf dieser Welt seelisch oder körperlich verletzt, warum suchst du dir nicht einen davon aus, dem du auf die Nerven gehen kannst?" In dem blassen Gesicht stand eine Mischung aus Melancholie und Traurigkeit, die Ryo in diesen dunklen Phasen immer überfluteten. Sein Schutzwall war geschwächt, er konnte sich nicht hinter seinem Hass und der Wut verstecken. Es machte ihn anfällig, verletzlich und viel zu redselig. Sein Verstand drängte ihm zum Aufbruch, doch sein Körper schien so schwer, beraubt all seiner Kräfte, dass er am liebsten nur noch hier sitzen und weinen würde. //Wieso ist meine Stimmung jetzt so schnell umgeschlagen? Ich stand doch gerade noch kurz davor ihm eine zu knallen und jetzt ist mir nach heulen. Warum bin ich nicht einfach auf der Couch liegen geblieben? Ich muss nach Hause// Aber er bewegte keinen Finger, starrte nur mit glasigem Blick auf den Boden vor der Bank. Yota schien dieser Ausdruck aufgefallen zu sein, denn er rückte etwas näher, so dass sich ihre Schultern berührten. "Warum sollte ich in die Welt hinaus reisen und dort helfen, anstatt direkt vor meinen Augen zu beginnen? Was spielt es für eine Rolle, wo ich einem Menschen helfe? Die Hauptsache ist doch, ich tue es. Es gibt so viel Leid um uns herum, doch wir sehen es nicht. Oder wollen es nicht sehen. Immer wenn ich jemanden sehe, der traurig ist, macht mich das auch traurig. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das Leben zu wertvoll ist, um es mit trüben Gedanken zu füllen. Ich möchte noch so viele Sachen erleben, aber habe viel zu wenig Zeit. Das ist der einzige Nachteil am Leben. Es ist zu kurz. Deshalb muss man es auch nutzen und jede Sekunde dankbar annehmen, denn es könnte deine letzte sein." "Verlockende Vorstellung", bemerkte Ryo trocken und konnte sich ein schiefes Grinsen nicht verkneifen. Yota hingegen sah ihn mit zusammen gekniffenen Lippen an. "Würdest du das auch zu einem Menschen sagen, der immer nur Schlechtes erlebt hat? Der ganz allein auf der Welt ist und niemanden hat, der um ihn trauern würde? Sagst du ihm auch, dass jede Sekunde kostbar ist, auch wenn es für ihn nur eine weitere Qual wäre? Ich denke, diese Sichtweise der Dinge ist reichlich überholt. Ich erkenne keine positiven Seiten an Schmerz und Einsamkeit. Es gibt eben Menschen, die glücklich sind und ein erfülltes Leben haben und es gibt Menschen, die niemals Glück erfahren oder denen es entrissen wird, obwohl sie niemandem etwas getan haben." Ryo erwiderte den Blick in die azurblauen Augen und hielt ihm stand, obwohl er sich dabei unwohl fühlte. Yota schien durch ihn hindurch zu blicken, bis auf das Innerste seines Herzens und das war das Letzte, was Ryo wollte. Niemand durfte jemals so nahe an ihn heran, dass es ihm möglich war den Schwarzhaarigen zu verletzten. "Es gibt aber auch Menschen, die sich davon nicht unterkriegen lassen. Natürlich kann es nicht immer nur bergauf gehen, schließlich hat jeder Berg eine Spitze. Aber liegt es nicht immer daran, wie man den Abstieg bewältigt? Du kannst springen und schlägst schnell und schmerzhaft auf oder du steigst mit der gleichen Anstrengung ab, die du schon beim Aufstieg bewältigen musstest. Der Unterschied liegt darin, dass du vorher ein Ziel hattest, das dir jetzt fehlt, aber es gibt genug Träume im Leben, so dass man noch viele Berge besteigen kann." Yota glaubte wirklich an die Dinge, die er da von sich gab. Das stellte Ryo fest, als er seine Augen von den anderen abwandte, da ihr Glitzern ihn blendete und nervös machte. "Und wenn man nicht freiwillig gesprungen ist, sondern gestoßen wurde? Was ist dann?" wollte er mit einer gewissen Herausforderung wissen. "Nun ja, dann gibt es doch immer jemanden, der einen auffängt. Familie, Freunde, Bekannte, Nachbarn....irgendjemand ist immer da, auch wenn man es auf den ersten Blick nicht sehen mag." Für diese Antwort hatte Ryo nur ein abfälliges Schnauben übrig. Das war der größte Mist, den er je gehört hatte! "Dann hab ich eine Neuigkeit für dich, du Samariter! Es gibt Menschen, die niemanden auf der Welt haben! Nur sich selbst! Was sagst du dazu? Das muss ja dein Weltbild ziemlich einreißen, nicht wahr?" rief er lauter, als wäre Yota schwerhörig. In einiger Entfernung hob Akuma den Kopf und stellte die Ohren auf. Das klang nach Aufbruchsstimmung. Er musste sich also bereithalten, seinem wütenden Herren hinterher zu laufen, um nicht ausgesperrt zu werden. "Nein, ich weiß, dass es solche Menschen auch gibt", lächelte er freundlich und blieb ungerührt von diesem Ausbruch. Ryo glaubte etwas in den blauen Augen erkennen zu können, war es Traurigkeit? Aber er ignorierte es und raffte seinen Mantel enger um sich, da ein beißender Wind aufgekommen war. "Es wird kalt. Ich sollte mich auch langsam mal wieder an die Arbeit machen." Yota sagte es ohne Ryo direkt anzusprechen. War es ein Friedensangebot? Ein einfacher Themenwechsel, weil es ihm unangenehm wurde? "Auch wenn du sie vielleicht gleich in die nächste Mülltonne schmeißt...hier. Mein Karte. Wenn du reden möchtest oder Hilfe brauchst, kannst du mich jeder Zeit erreichen. Es ist meine Privatadresse, also auch keine anderen aufdringlichen Mensch dort." Er zwinkerte wissend und erhob sich. Ryo blickte das kleine Kärtchen misstrauisch an und weigerte sich es entgegen zu nehmen, also legte es Yota einfach neben ihn auf die Bank. "Überleg es dir, okay?" Damit drehte er sich um, winkte Akuma noch einmal zu und spazierte Richtung Parkausgang. Zurück blieb ein schwarzhaariger Junge, der Schwierigkeiten hatte diese aufdringliche Hilfsbereitschaft zu verstehen. Es war bereits dunkel, als Ryo die Tür zu seiner Wohnung aufschloss. Er hatte noch lange im Park gesessen und vor sich hingestarrt, während Akuma Enten gejagt oder Bäume bepinkelt hatte. Das Gespräch mit Yota ging ihm einfach nicht mehr aus dem Kopf. Wie konnte ein Mensch so viel Zuversicht besitzen und auch noch glauben, sie an Andere weitergeben zu können? Irgendwann hatte es ihn nur noch geärgert und er ließ die Karte unbeachtet liegen. Er sah es gar nicht ein, sich bei einem Wildfremden zu melden, obwohl dieser nicht die leiseste Ahnung von seinen Problemen hatte. Eher würde er sich von einer Brücke stürzten, als zu dem Kerl zu gehen! Mit einem tiefen Seufzen ließ er sich auf das Sofa fallen und streifte die Stiefel von den Füßen. Durch den Wind und seine doch recht leichte Kleidung war er völlig durchgefroren, was ihm aber auch erst auf dem Rückweg aufgefallen war. Der Drang sich einfach hinzulegen und die Augen zu schließen wurde immer größer und er klappte mit etwas Mühe die Lehne der Couch zurück. "Komm, Großer. Mir ist kalt, lass uns etwas kuscheln, ja?" lächelte Ryo zu der Dogge, die gerade sehr beschäftigt zu sein schien. Er runzelte die Stirn und zog eine schlanke Braue hoch. "Hey, was ist los? Hast du ein Blatt zwischen den Zähnen?" Der Hund schüttelte einmal kräftig den Kopf, so dass einige Speichelfäden an die Wände spritzten und brummte auf. Dann lief er Schwanz wedelnd zu Ryo und ließ etwas vor ihm auf den Boden fallen. Irritiert nahm der Schwarzhaarige das vollgesabberte Ding auf und sog im nächsten Moment scharf die Luft ein. "Wieso hast du sie mitgenommen? Es war Absicht sie liegen zu lassen", knurrte er und warf Yotas Visitenkarte auf den kleinen Tisch. Das war das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte. "Nun komm schon ins Bett, mir tut schon der Rücken weh." Es war eine alte Verletzung, die er sich bei einem Sportunfall zugezogen hatte. Bei einem Fall aus großer Höhe war er unglücklich auf dem Rücken aufgekommen und hatte sich einen Nerv eingeklemmt. Die Schmerzen dabei waren kaum vorzustellen, doch nach einigen Spritzen und Massagen war das Schlimmste überstanden. Ryo hatte lange Zeit geglaubt, es sei wieder alles in Ordnung, doch dann in einem besonders kalten Winter, in dem er mit seiner Mutter Schlitten gefahren war, traten die Schmerzen wieder auf und er konnte sich kaum bewegen. Der Arzt hatte gemeint, dass die Nerven durch diesen Vorfall nachhaltig geschädigt wären und es bei Kälte nun passieren konnte, dass Ryo Muskelkrämpfe und Rückenschmerzen bekam. Genau das machte sich nun bemerkbar. Der Schmerz zog sich langsam seine Wirbelsäule entlang und bündelte sich im Kreuz. Ryo wusste, dass er versuchen sollte sich zu entspannen, doch das war nicht immer so einfach. Erst als Akuma auf das Sofa sprang und sich hinter ihn legte, mit seiner Körperwärme die Muskeln beruhigte, gelang es dem Schwarzhaarigen zu entkrampfen und sich an seinen Freund zu kuscheln. Der Streit vom Nachmittag war längst vergessen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)