Judolaufbahn mit Hindernissen von kiranya (Nach dem Motto: Zehn kleine Judokas) ================================================================================ Kapitel 1: Judo-Geschichte ^^° (bis zum 1. Kyu, braun) ------------------------------------------------------ Das ist jetzt die vollständige Geschichte, die auch vorläufig mal so bleiben wird, wie sie ist. Endgültige Version also ^-^° *stolzsei* Eigentlich ist eine Fortsetzung unmöglich, da das ja meine Kyu-Grad-Laufbahn war, und ab jetzt kommen die DAN-Grade (schwarzer Gürtel). Ich freue mich über jeden einzelnen Kommentar und danke denen, die schon einen geschrieben haben! *verbeug* Und ich danke hiermit auch nochmal allen, die mich so tatkräftig bei meinen Vorbereitungen geholfen haben! Danke Leute *knuddel* Conny ----------------------- Judolaufbahn mit Hindernissen - Nach dem Motto: "Zehn kleine Judokas" Es war ein kühler Novembernachmittag im Jahre 1996, so gegen fünf Uhr, als sich viele Kinder, alle etwa acht Jahre alt, auf dem Sportplatz vor einer Schule versammelten. Alle hatten ihre Eltern dabei, waren mit Sporttaschen bepackt und freudig aufgeregt. Viele von ihnen waren ein wenig unsicher, so auch ein kleines Mädchen - das einzige Mädchen. Und das war ich. Ein paar Wochen zuvor hatte ich ohne besonderen Grund gefragt, ob ich denn Judo lernen dürfte, und meine Eltern stimmten zu. Ein Verein in der Nähe war schnell gefunden - der Sportverein Neuperlach, genannt SVN. Doch zu der ersten "Schnupper-Stunde" war es noch lange hin. Ungeduldig zählte ich die Tage bis dahin, bis es endlich soweit war. Und nun warteten wir alle, bis endlich jemand diese verdammte Tür aufsperren würde. Während dieser Warterei wurde mich klar, was mich so unsicher machte und ich fragte bestürzt meinen Vater: "Du, Papa, wieso sind hier nur Jungs?" Mein Vater sagte darauf irgendetwas demotivierendes, in etwa: "Die meisten Mädchen lernen wohl eher Ballett und keinen Kampfsport!" Ich bedankte mich gedanklich für die tolle Ermutigung, sah dann aber erfreut, wie endlich einige Mädchen eintrudelten. Endlich sperrte jemand die Tür auf und wir drängelten und schubsten uns hinein. So landeten wir in einem unbeleuchteten Flur, in dem es ekligerweise nach Chlor roch, denn unter uns, im Keller, befand sich ein Schwimmbad. Hier oben aber gab es zwei Umkleiden, wir Mädchen bekamen die vordere, nah am Eingang, die Jungs mussten bis ans Ende des Gangs laufen. Wir zogen unsere Schuhe aus, die Jogginganzüge an und standen bald darauf drinnen in der Halle und staunten. Es war eine ganz schön große Turnhalle, viel größer jedenfalls als die in meiner Grundschule, und sie war hell beleuchtet. Quer über den ganzen Raum waren Matten ausgelegt - das waren also Judomatten, quadratisch, praktisch und irgendwie total abgenutzt. Es waren graugrüne und knallrote, die grünen Matten verteilten sich zu einem riesigen Rechteck, in dem aus roten Matten zwei große Kreise ausgelegt waren. Da stand unser Trainer, der sich als Jürgen vorstellte und uns ohne langem Hin- und Her diese Aufgabe erteilte: "Lauft querbeet über die Matte und schüttelt allen, die euch begegnen, die Hand und sagt euren Namen!" Das erschien nicht sonderlich schwer und wir taten, was er sagte, und zwar unter den Augen der teils belustigten, teils aufmerksamen Eltern, die da um die Matten herum auf Sportbänken saßen. So ging das über mehrere Freitage hinweg weiter und ich lernte nach und nach ein paar nette Mädels kennen: Da waren zum Beispiel Tanja, Alexandra, Kathrin, Sabrina, Lea, Kristina, Franziska, Sibel, Sevil... Doch am liebsten mochte ich Tanja und Alexandra. Wir mussten von nun an auch die Judomatten immer selbst aufbauen, aber daran gewöhnte man sich recht schnell. Natürlich war es großartig, als wir unsere ersten Judo-Anzüge bekamen und lernten, wie man am besten die weißen, viel zu langen Gürtel um seinen Bauch band. Und die Judopässe nicht zu vergessen! Jeder bekam einen grünlich-grauen Ausweis mit einem Passfoto drin. Dort, so sagte man uns, werden Gürtelprüfungen, Turniere und sonstiges eingetragen und die Jahresmarken hineingeklebt. Irgendwann kamen unsere Eltern natürlich nicht mehr mit, aber das war letztendlich nicht weiter schlimm, denn wir hatten viel zu tun: Wir lernten unsere ersten Würfe wie Tai-Otoshi oder O-Goshi und die Fallschule. Die letztere zu lernen erschien mir irgendwie total schwer und ich stellte mich furchtbar dumm an, so kam es mir jedenfalls vor, aber mit ein bisschen Übung hatte ich den Dreh raus und es klappte immer besser. Mit großer Begeisterung ging ich jeden Freitag brav ins Training. Und dann kam die erste Gürtelprüfung! Man musste dem Prüfer ein paar Würfe zeigen und die Fallrolle vormachen, nichts sehr Schweres also - und nachdem man sie bestanden hatte, bekam man sogar eine hübsche Urkunde und natürlich den Gürtel. Die, die sich den Gürtel nicht kaufen wollten (ich glaube, er kostete so um die neun Mark, plus fünfzehn Mark Prüfungsgebühr), sollten auf ihrem weißen Gürtel einfach die beiden Enden gelb anmalen. Ich jedenfalls bekam einen neuen Gürtel und musste meinen alten nicht anmalen. Hübsch war er schon, der weißgelbe Gürtel: Nicht mehr so einseitig weiß sondern mit einem schönen gelben Streifen in der Mitte. Was natürlich auch toll war, war die "Winterfreizeit": Die ganze Judogruppe sollte in die Nähe vom Schliersee fahren! Tanja und ich waren sofort hellauf begeistert, und sobald das Training aus war und ich bei meinem Vater, der mich immer abholte, draußen stand drückte ich ihm freudig den weißen, bedruckten Zettel in die Hand: "Papa, wir dürfen wegfahren!" "Aha, und wohin?" Ich deutete auf das Blatt. "Da steht's irgendwo... Zum Schliersee... Und die Tanja fährt auch mit und die Alexandra vielleicht auch!" Zum Schliersee also, und zwar während der Faschingsfeiertage! Das hieß, wir würden wohl auch Fasching feiern!! Nach einigem Hin- und Her, wie das mit dem Diabetes ablaufen sollte, stimmten meine Eltern schließlich zu. Die Tage bis zur Abfahrt vergingen recht schnell, und bald standen alle mit gepackten Taschen, Eltern und Schlitten im Schlepptau vor dem großen Reisebus. Ein paar letzte Worte mit Mama oder Papa wurden gewechselt, diese wiederum sprachen mit den Trainern und ich mit meinen Freundinnen. In der Judo-Winterfreizeit war viel los, eine Faschingsparty gab es auch und vieles mehr. Natürlich gingen wir jeden Tag zum Schlittenfahren, aber was mich wunderte: Wieso machen wir eigentlich kein Judo? Ist es denn keine JUDO-Freizeit? Aber diese Frage (und einige andere) blieben unbeantwortet. Es wurde nicht trainiert, aber viel Zeit, darüber nachzudenken, hatten wir sowieso nicht. Diese eine Woche verbrachten wir mit Schlittenfahren, Schneeballschlachten und Herumalbern. Wieder zu Hause gab es natürlich erst einmal viel zu erzählen. "Und nächstes Jahr fahr ich wieder mit!", lachte ich, was soviel heißen sollte wie: Es war toll, es war lustig, das ganze nochmal, bitte! Im Laufe des Jahres bestand ich den gelben Gürtel, und zur Weihnachtszeit stand schon das nächste Event ins Haus: Das Weihnachtsturnier! Das sollte ein Turnier innerhalb des Vereins sein, kurz vor Weihnachten und mit Besuch vom Nikolaus, der Geschenke verteilen würde. Schon wieder ein bedruckter Papierfetzen, den ich mit nach Hause brachte. Und natürlich durfte ich auch da mitmachen. Durfte, wohl gemerkt, denn im Laufe des Turniers war ich mir nicht mal mehr sicher, ob ich überhaupt wollte. Dummerweise verlor ich jeden Kampf, okay, es hätte schlimmer kommen können - in einer anderen Gewichtsklasse wurde jemandem das Bein gebrochen und kurz darauf irgendwem der Arm (der betreffende Arm- und Beinbrecher, nämlich zweimal derselbe, wurde disqualifiziert). Ich verlor andauernd und landete somit auf dem elften und letzten Platz - den ich glücklicherweise nicht alleine belegen musste, sondern mit einem anderen Mädchen zusammen. Puh, das wäre soweit überstanden! Bei der Siegerehrung kam der Nikolaus und verteilte Diddlstifteboxen mit Inhalt, sprich zwei Bleistifte, die immer abbrachen, und ein Radiergummi. In den nächsten Jahren folgten neue Gürtel, Winterfreizeiten und Weihnachtsturniere. Einmal war ich noch bei einem Weihnachtsturnier, und da wurde ich vierte (von fünf)... Ich muss aber dazu sagen, dass ich bei dem Turnier auch Unterzucker hatte. Weil ich eine Pause machen musste, wurden die Kämpfe in meiner Gewichtsklasse verschoben - extra wegen mir! Während die anderen in der Halle kämpften, saß ich gemütlich mit meiner Mutter und Claudia, einer unserer Trainerinnen, in der Trainerumkleide und schlürfte Spezi. Doch zurück zum Training. Was uns auffiel, war, dass die Leute, die damals mit uns angefangen hatten, fast alle nicht mehr da waren: Die etwas dickliche, aber total liebe Alex und die mittlerweile extrem hochnäsige Tanja hatten zum Montagstraining gewechselt, und Lea, Sibel und Sabrina und einige andere (an die ich mich jetzt nicht mehr erinnern kann...) hatten ganz aufgehört, weil ihnen der Spaß an der ganzen Sache vergangen war. Dafür waren aber Kathrin und Krissi da, wobei Krissi sich aber das Bein brach und eine ganze Zeit lang überhaupt nicht mehr kam. Außerdem trainierte uns jetzt nur noch Claudia, kein Jürgen mehr, keine Monika (die in der Winterfreizeit immer wegen meinem Diabetes auf mich aufgepasst hatte). Claudia mochte ich am Anfang überhaupt nicht, weil sie so viel zu meckern hatte, aber bei ihr hatte man wenigstens das Gefühl, etwas zu lernen. Aber auch sonst gab es noch eine Veränderung: Wir waren jetzt ,Fortgeschrittene' und keine ,Anfänger' mehr, denn wir hatten den gelb-orangen Gürtel erreicht. Wir durften im späteren Training trainieren und mussten praktischerweise keine Judomatten mehr aufbauen. Die Anfänger in der Gruppe vor uns waren total niedlich, einer von ihnen kam einmal zu uns herüber und fragte beeindruckt: "Seid ihr alle schon Fortgeschrittene?" Sevil, eine der wenigen verbliebenen Judo-Kas, nickte zustimmend. Sevil war das Mädchen, mit dem ich die meiste Zeit trainierte. Zufälligerweise ging sie auf die gleiche Schule wie ich: Das Michaeli-Gymnasium. Außerdem hatten wir auch sonst viel zu bequatschen: Wir waren beide auf der selben Grundschule gewesen und hatten beide auch die selben (dummen) Lehrer gehabt. Wir übten immer zusammen, aber Sevil verlor zunehmend die Lust am Judo. Wenn wir zum Aufwärmen oder am Ende des Trainings ein Spiel spielten, saß sie auf der Bank. Aber sie kam trotzdem zum Training, weil, wie sie sagte, ich sonst keinen zum Üben hätte - dafür war ich ihr sehr dankbar. Als die Krissi wieder kam, kam auch Kathrin wieder und wir übten meistens zu viert oder eben zu fünft, Franziska war ja auch dabei. Es war zwar lustig, aber wir lernten immer wieder das Gleiche. Irgendwann hatte ich den orange-grünen Gürtel erreicht, doch dann folgte lange Zeit nicht die geringste Information, wann man wie und wo mit welchen Würfen eine Gürtelprüfung machen könnte. Allerdings haben wir dummerweise auch nicht allzu oft nachgefragt. Was unter anderem aber am mangelnden Elan meiner Trainingspartnerinnen lag, denn allein wollte ich auch keine Prüfung machen! Irgendwann wollte Sevil überhaupt nicht mehr kommen. Da half keine Überredungskunst, keine Bitten, gar nichts: Judo war ihr "zu brutal". Ja, sie hatte sich verändert und laberte alle mit irgendwelchem psychologischen Zeugs zu, das keinen übermäßig interessierte - so sagten die anderen jedenfalls. Aber ich fand's irgendwie cool. Ich fand es aber ganz und gar nicht cool, dass sie kein Judo mehr machen wollte, aber da gab's nichts dran zu rütteln. Zu diesem Zeitpunkt waren wir noch genau vier Mädchen, die regelmäßig zum Training kamen: Krissi, Kathrin, Franziska und ich. Ich meinerseits wäre gerne zweimal die Woche ins Judo gegangen, aber das ging nicht mehr: Freitags war der einzige Tag, an dem überhaupt ein Training stattfand... Als hätte unsere Trainerin das gerochen, meinte sie irgendwann mal zu uns: "Hört's mal zu, Leute! Der Verein Kodokan hat ganz in der Nähe eine neue Halle gebaut und sucht jetzt neue Mitglieder. Wenn ihr Lust habt, könnt ihr da auch mal hingehen, da bei uns nur noch Freitags ein Training ist." Mit diesen Worten drückte sie uns einen Din-A5-Zettel in die Hand. Darauf abgedruckt war die Quiddestraße und der Adenauerring und die Trainingszeiten. Ich überredete Franziska, mit mir mal ins Mittwochstraining zu gehen (mein Vater war von der Idee, dass ich öfter ins Judo gehen kann, schlichtweg begeistert: das sei mal eine sinnvolle Zeitbeschäftigung und bevor ich irgendeine andere Sportart zusätzlich mache, sollte ich lieber zweimal wöchentlich trainieren). Das Mittwochstraining war, soweit ich wusste, das "Kindertraining", genau das, was wir auch von SVN gewöhnt waren (...!!). Nur war es ungefähr zwanzigmal so anstrengend und irgendwie waren wir mit unseren SVN-Aufnähern nicht gerade willkommen. Mir kam es erstens vor, als wären die alle viel besser, als würden sie zweitens damit angeben und als würden sie uns drittens nicht mögen, nur weil wir vom SVN kamen. Ich war zumindest soweit beleidigt, dass ich eben nicht mehr hingehen wollte, und dieser Trainer, Charlie, sagte uns etwas voraus, das für mich einen halben Weltuntergang bedeutete: Der SVN würde die Judogruppe nach den Sommerferien schließen und alle, die weitermachen wollten, sollten erstmal hier weitermachen. Hier! Das hörte sich grausam an. Doch so richtig glaubten wir ihm das nicht, denn bei uns im SVN hatte uns auch niemand Bescheid gesagt! Naja, noch nicht. Aber so etwa zwei Monate später verkündete uns Claudia beim Absitzen: "Hört's mal alle her, das ist jetzt wichtig. Der SVN hat beschlossen, dass die Judoabteilung zugemacht wird, weil zu wenig Trainer da sind und auch sonst nicht mehr viele kommen. Für euch heißt das natürlich nicht, dass ihr mit dem Judo aufhören müsst, denn es gibt ja den Kodokan, und der ist ganz in der Nähe." Wir wechselten entsetzte Blicke und hörten zu, was Claudia weiter vorschlug. "Wenn ihr wollt, gehen wir alle zusammen mal in dieses Training und ihr könnt es euch in aller Ruhe ansehen. Es ist am Freitag zur gleichen Zeit wie das Training hier und wie gesagt, wenn ihr wollt, treffen wir uns am..." Doch da hörte ich schon nicht mehr zu. Nein, die konnten doch nicht einfach die Judoabteilung schließen! Ich war richtig sauer. Dieser Charlie hatte scheinbar doch recht gehabt... Der wollte uns wirklich nur eine Trainingsmöglichkeit bieten und nicht nur einfach ein paar neue Mitglieder haben, die Beiträge zahlen... Ich war so in meine Gedanken vertieft, dass ich mir später von Krissi und Kathrin sagen lassen musste, dass wir uns am nächsten Freitag vor dem Eingang des Kodokan-Dojos treffen sollten. Das taten wir auch, trainierten da und fühlten uns irgendwie ausgeschlossen. Ich zumindest. Kam es mir nur so vor, oder wir waren hier wirklich nicht willkommen? Am Ende setzten wir vier Mädels und zwei SVN-Jungs uns im Halbkreis um Claudia herum und hörten zu, was sie zu sagen hatte: "Ich weiß ja, dass das alles neu für euch ist und dass alles Neue immer ganz furchtbar ist, aber ihr könnt hier trainieren und ihr könnt auch mal zum Charlie hingehen und euch von dem was erklären lassen, wenn ihr was nicht verstanden habt, der beißt euch bestimmt nicht. Ein paar Trainer vom SVN wechseln vielleicht auch hier über." Ein paar? Hieß das denn... Wir ahnten schon Schlimmes, aber irgendwer fragte trotzdem: "Bleibst du denn auch da, Claudia?" Eigentlich kannte jeder die Antwort, und da half kein flehender Blick, die Antwort war nein. Nein. Genau das dachten wir uns auch. Nein, das durfte nicht sein, wir wollten unsere Claudia behalten. Sie hatte uns doch versprochen, dass wir auf dem diesjährigen Weihnachtsturnier alle in einer Gewichtsklasse kämpfen durften, Freundschaftskämpfe also, und jetzt sagt sie sowas. Aber ändern konnte es keiner. Wir redeten noch viel mit Claudia, bevor wir alle nach Hause gingen, und fanden so einiges heraus. Der SVN hatte zum Beispiel alle Trainer rausgeschmissen, nachdem die uns darüber informiert hatten, dass die Judoabteilung vorübergehend schließen würde und wir in der Zwischenzeit beim Kodokan trainieren könnten. Alle einfach rausgeworfen, und zwar mit den Worten: "Ihr vergrault uns unsere Mitglieder, solche Trainer können wir nicht brauchen!" Beim Abschied von Claudia waren wir alle den Tränen nahe, weil wir genau wussten, dass wir sie wahrscheinlich nie wieder sehen würden... Doch wir alle hofften eine Zeit lang, der SVN würde die Judoabteilung wieder eröffnen, sobald genug Trainer da wären. Aber wie es aussah, sollte das nicht so bald sein... Aus Trotz lief ich beim Kodokan noch ziemlich lange mit meinem SVN-Aufnäher herum, denn ich dachte mir: "Ich bin stolz darauf, beim SVN Judo gelernt zu haben, egal was die hier alle über den Verein denken..." Mein Ärger über den Kodokan war nicht verflogen, da ich mir nach wie vor ein wenig fremd und ausgeschlossen vorkam, doch mittlerweile war die Wut über den SVN größer - und diese Wut wuchs immer weiter an. Ich begann diesen Verein sogar richtig zu hassen. Deshalb wechselten wir nach den Ferien zum Kodokan über. Wir, das hieß: Franziska, Krissi und ich, doch Kathrin wollte mit dem Judo aufhören, weil sie lieber beim SVN Badminton spielte als beim Kodokan Judo machte. Und zwei Vereine wären ihr zu teuer. Tja. Jetzt waren wir nur noch drei... Frei nach dem Motto: ,Zehn kleine Judokas, die waren lang dabei, doch irgendwann schloss sich ihr Verein, da waren's nur noch drei...' Soweit so gut (oder sollte ich sagen, schlecht?), Franzi, Krissi und ich kamen regelmäßig zum Training, wie wir es in unserem vorherigen Verein auch getan hatten. Wir freundeten uns gut mit der Heidi an, zumindest Krissi und ich, Franzi mochte die Heidi nicht und umgekehrt - und scheinbar musste es soweit kommen, dass auch Krissi irgendwann keine Zeit mehr für's Judo hatte, weil sie für ihren Quali lernen musste. Sie kam zwar noch ab und an, aber leider nur selten. Schade... Im November war alles unterschrieben, ich war endgültig beim Kodokan und hatte bereits einen Tag nach Vereinswechsel meinen grünen Gürtel. Genau, Gürtelprüfung. Ich war der Ansicht, ich sei besser geworden, und das war ich in gewisser Hinsicht auch: Ich wurde zumindest besser als Franziska. Das änderte aber leider nichts an der Tatsache, dass ich grottenschlecht war. Meine Prüfung bestand ich zwar, aber trotzdem war ich der Meinung, dass der Trainer Charlie der Franzi und mir den Gürtel nur "geschenkt" hat... Ich konnte die ganzen Würfe nicht richtig und Würgen oder Hebeln konnte ich erst recht nicht - dennoch bekam ich den Gürtel. Was ich hier beim Kodokan toll fand, war, dass es hier eine richtige ,Zeremonie' bei Gürtelprüfungen gab. Wie gewohnt führte man dem Prüfer das Gelernte vor. Danach wurde man gefragt: "Prüfung oder Vorprüfung?" Bei der Antwort ,Prüfung' bekam man den Gürtel, wenn man bestanden hatte; wenn man nicht bestanden hatte, musste man sechs Monate warten bis man die Prüfung erneut versuchen durfte. Sagte man aber ,Vorprüfung', war das ganze nur eine Überprüfung, ob man wirklich alles konnte. Die Prüfung konnte man dann an einem anderen Tag machen. Ganz geschenkt war der grüne Gürtel scheinbar doch nicht, denn ein, zwei Trainings später mussten Franzi und ich sozusagen Akkord kämpfen: Wir bekamen jeweils drei Jungs nacheinander. Die sollten wir immer wieder werfen, wobei sich sich nur wehren durften, wenn wir zu langsam wurden. Ich war danach wirklich fertig, aber es war eine Beruhigung, dass die entsprechenden Jungs danach Liegestützen machen mussten... Kurze Zeit nach der Gürtelprüfung war das SVN-Logo durch ein Kodokan-Zeichen ersetzt und das sollte auch so bleiben - nie wieder SVN. Aber scheinbar hatte nicht nur ich schlechte Erfahrungen mit diesem Verein gemacht - auch Heidi war davon betroffen. Sie erzählte Krissi und mir, dass einige hier im Kodokan früher mal beim SVN gewesen waren. Sie zum Beispiel hatte sich bei einem Turnier ein Bein gebrochen - erschrocken dachte ich an mein erstes Weihnachtsturnier, bei dem jemand disqualifiziert worden ist, da er jemand anderem ein Bein gebrochen hatte - was ihren Trainingspartnern einen Anlass gab, sie fertig zu machen, und schließlich war sie hier beim Kodokan gelandet. Dass sie auch nicht aufgegeben hatte, motivierte mich irgendwie und ich bemühte mich so gut es ging, mich mit den anderen irgendwie anzufreunden - denn ich wollte nicht, dass mir das gleiche passierte. Im Gegenteil, ich war mittlerweile der Meinung, dass ich hierhergehörte. Hierher und in keinen anderen Verein. Alles hier war besser, die Leute, der Zusammenhalt und das Training. Ich wunderte mich, wie ich vor ein paar Monaten glauben konnte, alles hier sei schrecklich. Nein, schrecklich war es ganz und gar nicht, ich war sogar (und bin immernoch) der Ansicht, im Kodokan so etwas wie ein zweites Zuhause gefunden zu haben. Ein Ort, an dem man Spaß hatte und gleichzeitig etwas lernte. Ich kam ausreichend gut mit allen aus, aber eine tat das nicht: Franzi. Sie benahm sich mit der Zeit zunehmend merkwürdiger, hatte keine rechte Lust mehr und ging uns auf die Nerven. Sie baute eine bildhafte meterdicke Mauer vor sich auf, und das mochten die anderen sichtlich nicht - Heidi und mir gefiel das auch nicht sonderlich gut. Außerdem weigerte sie sich, mit irgendwem anders als mir zu trainieren und sie klagte andauernd, dass ihr Knie so furchtbar wehtat (und nicht nur das Knie...). Der Andi (ein Trainer, der früher auch mal beim SVN war) fragte sie einmal, was sie denn am Knie hätte, und sie sagte nur: "Ach, ist glaub ich nur ein blauer Fleck.", worauf Andi meinte: "Na, dann kann's ja wohl nicht so schlimm sein!" Daraufhin sah sie ihn so dermaßen giftig an, dass ich mir dachte: Wenn Blicke töten könnten, wäre er wohl innerhalb von zwei Sekunden zu Staub zerfallen. Außerdem wusch sie ihren Anzug nicht. Der war schon ganz lapprig und hat... nicht sehr angenehm gerochen, aber auch auf viele unmissverständliche Andeutungen hat sie ihn nicht gewaschen. Keiner wollte mit ihr trainieren, genauso erging es mir auch. Unfair wollte ich nicht sein, doch irgendwann riss mein Geduldsfaden. Sie machte uns alles haarklein nach. Wenn ich etwas trinken ging, rannte sie mir nach, wenn ich Heidi werfen wollte, stand sie genau in der Wurfrichtung. Wie gesagt, es reichte mir und ich sagte, zugegebenermaßen nicht ganz freundlich zu ihr, sie soll doch bitte mal nicht so an uns dranpappen wie eine Klette weil ich hier gerade einen Wurf übe. Daraufhin rannte sie heulend in die Umkleide. Mir tat sofort Leid was ich gesagt hatte und wir entschuldigten uns auch bei ihr und wollten ihr vorsichtig sagen, dass sie sich mit ihrem Getue nicht gerade beliebt machte, aber das bewirkte genau das Gegenteil. Sie meckerte etwas das ziemlich genau so geklungen hatte: "Wurde auch Zeit dass ihr euch bei mir entschuldigt. Wollt ihr mir die letzte Stütze, die ich hier habe, auch noch nehmen?" Nur, was meinte sie mit ,Stütze'? Hätte sie so weitergemacht, würden die anderen sie verdrängen und sie hätte das gleiche Problem wie Heidi es im SVN hatte! Wir wollten ihr eigentlich nur helfen und hatten uns sogar entschuldigt, und sie tat nichts anderes als sich darüber beklagen? Trotzdem versuchten wir weiterhin, nett zu ihr zu sein, aber als sie dann auch noch meinte, dass Heidi daran Schuld sei, dass sie (Franzi) so schlecht sei, war sie bei uns untendurch. Es stimmte, dass Heidi mit mir trainierte, weil ich sie darum gebeten hatte, mit mir für den blauen Gürtel zu üben, aber deshalb war sie noch lange nicht Schuld daran, dass Franzi so schlecht war. Sie hätte Heidi ja auch nur fragen müssen! Und außerdem waren Heidi und ich nicht die einzigen Mitglieder des Kodokan. Um besser zu werden, ging ich zusätzlich ins Kampftraining am Mittwoch. Ich bestand meinen blauen Gürtel, obwohl ich gar nicht wusste, dass ich Prüfung machte. Das kam so: Am Tag der Prüfung waren meine Eltern dabei, ich übte die ganze Zeit, solange, bis der Charlie zu mir und Heidi herkam und meinte: "So, Conny, jetzt zeig mir mal, was du alles für den Blauen geübt hast!" Ich führte ihm meine Würfe vor, konnte größtenteils alles. Das, was ich nicht konnte oder falsch gemacht hatte, schaffte ich nach nochmaliger Erklärung oder kleinen Hilfen trotzdem - abgesehen von Uchi-Mata, für den Wurf schien ich einfach zu dämlich zu sein. Ich brachte allerdings einen mehr oder weniger guten Kata-Guruma hin, den ich erst eine Woche zuvor gelernt hatte! Nachdem ich ihm alles gezeigt hatte, blödelten wir ein bisschen mit Bernd rum, der Probleme hatte, Seio-Nage zu werfen. Er stellte sich einmal so furchtbar dumm an, dass ich mich erstens fragte, ob er nur so tut oder es wirklich nicht kann, und zweitens einen Lachkrampf bekam. Er meinte: "Hey, lach nicht, ich wette du kannst es auch nicht besser!" Ich schnappte mir Franzi, die gerade nichts zu tun hatte, warf den Wurf kurz an ihr und war mir sicher, dass ich den Seio-Nage noch nie so gut gekonnt hatte. Bernd warf sich spaßeshalber ungläubig auf die Matte und meinte: "Ich fass es nicht, sie kann's!" War das lustig! Soviel Spaß gab es beim SVN nie, geschweige denn Jungs, die auch mal mit Mädchen trainiert oder auch nur ein winziges Wort mit ihnen gewechselt hätten. Ich fand heraus, dass auch er früher auch mal beim SVN Judo gemacht hatte. Und nicht nur er, wie uns Heidi schon erzählt hatte. Es war irgendwie gut zu wissen, dass man nicht die einzige aus einem Verein war, den man nicht mehr leiden konnte. Als sich das Training seinem Ende näherte, war ich mehr als nervös, weil ich dachte, ich müsste jetzt Prüfung machen. Wir setzten uns ab und ich wollte schon beinahe aufspringen, doch der Charlie meinte: "Conny? Komm mal her und setz dich hier hin." Ich stand mit zitternden Beinen auf und kniete mich vor meinem Trainer ab. Eigentlich dachte ich, dass er jetzt irgendwie sagen würde, ich sei zu schlecht und sollte die Prüfung nächste Woche nochmal machen, aber stattdessen folgte diese kleine, sehr witzige Szene. Die anderen saßen noch immer alle da, wo sie sich abgesetzt hatten, und warteten stirnrunzelnd darauf, was jetzt wohl passieren könnte. Zur Auflösung der allgemeinen Fraglosigkeit meinte Charlie: "Nicht, dass ihr denkt, dass blaue Gürtel neuerdings verschenkt werden", sagte er, woraufhin ein paar lachten, "aber ich habe die Prüfung vorhin schon abgenommen. Deshalb", er wandte sich zu mir. "Prüfung oder Vorprüfung?" In meinem Kopf bildete sich das große ,HÄÄÄH??' langsam zurück. Stattdessen begann es in meinem Hirn zu rattern: ,Du hast die Prüfung schon gemacht, du musst sie nicht mehr machen!' Ich murmelte: "Prüfung??", woraufhin Charlie sagte, ich solle ihm meinen Gürtel geben, wenn ich ihn wieder zurück bekäme, hätte ich nicht bestanden und dann müsste ich ein halbes Jahr warten und so weiter, das Übliche eben. Ich faltete meinen Gürtel und übergab ihn Charlie, dieser zog aus seiner Jacke einen verpackten blauen Gürtel heraus. Ich glaube, ich hatte noch nie in meinem Leben so gestrahlt wie in diesem Moment. Grinsend stand ich auf und Charlie band mir den Gürtel um die Anzugjacke. Allerdings band er ihn etwas zu fest, jedenfalls schnappte ich kurz nach Luft und Andi, der daneben saß, meinte: "Gesichtsfarbe wie der Gürtel..." Daraufhin lachte jeder, auch ich, während ich mich verbeugte und zu meinem Platz zurückging. Dort band ich mir den Gürtel selbst nocheinmal um und grinste über beide Ohren. Schließlich fragte unser Trainer, Charlie: "Franziska, willst du nicht auch die Prüfung versuchen?" Doch sie wollte nicht. Ich verstehe es bis heute nicht, aber sie weigerte sich einfach. Deshalb entließ uns unser Trainer. Ich ließ meine Eltern ein Foto von Heidi, Franzi und mir machen (Ich in der Mitte, nach Gürtelfarben geordnet: braun, blau, grün) und Franzi sah so beleidigt aus wie noch nie. Aber wenn sie es nicht mal versuchen wollte, dann sollte sie es eben lassen - das war übrigens eines der letzten Male, dass sie beim Training war. Sie kam nicht mehr. Ohne uns Bescheid zu sagen - irgendwann war sie eben einfach weg. Ich hingegen freute mich über den blauen Gürtel und glaubte ihn diesmal sogar verdientermaßen bekommen zu haben. Gleich nach der bestandenen Blaugurtprüfung hängte ich mich ordentlich ins Zeug um für den braunen Gürtel zu trainieren. Ich ließ mir vom Charlie das Prüfungsprogramm zum 1. Kyu zweimal geben, weil ich es sowieso wieder verschlampen würde, und nahm mir fest vor, den ganzen Kram so schnell wie möglich zu lernen. Die Würfe hörten sich eigentlich ganz einfach an - Kata-Guruma konnte ich bereits mehr oder weniger - , weshalb ich mir anfangs eher wegen der Kata Sorgen machte. Die "Kata", beziehungsweise die erste Gruppe davon, die ich vorführen wollte, weil sie mir am leichtesten vorkam, bestand aus der Aneinanderreihung von drei Würfen: Zuerst kam ein Wurf, bei dem ich nie wusste, wie er hieß, danach folgte Seio-Nage und schließlich Kata-Guruma. Dieser dämliche Wurf schien mich wahrhaftig zu verfolgen... Allerdings war die ganze Sache nicht halb so einfach, wie sie sich anhörte. Die Art, wie die einzelnen Würfe geworfen werden mussten und die Schrittabfolgen waren ziemlich ungewohnt. Deshalb kümmerte ich mich in der ersten Zeit der Vorbereitung ausschließlich um die Kata. Später sollte ich feststellen, dass dies beinahe der Nagel zu meinem Sarg gewesen wäre, aber vorerst war ich der Meinung, die restlichen Würfe zum braunen Gürtel seien furchtbar leicht und nur die Kata schwer. Als ich die Kata dann mehr oder weniger konnte, merkte ich aber, dass es eigentlich umgekehrt war. Zudem geriet ich unter Zeitdruck, da ich nur noch einen Monat hatte, um den ganzen Rest zu lernen. Und dieser Rest war wahnsinnig viel - nämlich eine ganze, in nicht gerade großer Schrift bedruckte Din-A4-Seite! Von Würfen über Komplexaufgaben bis hin zu Bodentechniken - nichts hatten sie ausgelassen, um angehende Braungürtler zu quälen! Ich nahm mir seufzend die Würfe vor und stellte fest, dass ich außer den Kata-Guruma keinen einzigen konnte! Demotiviert trottete ich zum Andi und fragte: "Hey, Andi, kannst du mir vielleicht Soto-Maki-Komi beibringen? Wie sieht denn der Wurf überhaupt aus?" Zu Heidis großer Verblüffung grinste Andi sie an. "Heidi, den Wurf kannst du doch auch. Mach ihn der Conny doch mal vor!" Dummerweise wusste auch sie nicht so recht, wie der Wurf funktionieren sollte, doch als der Andi ihr ,unauffällig' "Schweinerolle... Schweinerolle!" zumurmelte, wusste sie, worum es ging. Der Wurf stellte sich als doch gar nicht so kompliziert heraus, als sich sein Name anhörte. Nein, ich war nur mal wieder zu dämlich, ihn zu werfen... Die Bezeichnung "Schweinerolle" war nämlich mehr als treffend und scheinbar für bewegungsunfähige Fettklöße gedacht - man packte seinen Gegner am Arm und ließ sich zusammen mit ihm einfach auf die Matte fallen! Plumps! Auch der Wurf, bei dem ich schon mit dem Namen Probleme hatte, nämlich Sasae-Tsuri-Komi-Ashi, bedeutete schlicht und einfach "belastetes Bein blocken". Nun gut, dachte ich, als ich mir den Rest des Blattes durchlas und keine Ahnung hatte, was der ehrenwerte Verfasser, der sich dieses Mist ausgedacht hatte, denn nun von mir wollte, packen wir's an... Ich hatte zu diesem Zeitpunkt nur noch zwei Wochen, um den Rest zu lernen - denn ich wollte am 26. November Prüfung machen, genau zwei Tage nach meinem Geburtstag. Ich hatte keine Ahnung, wer mein Prüfer sein sollte, denn mehrere Leute erzählten mir, dass man ab dem Braunen zwei bis drei von der Sorte bekäme - und das hieße in meinem Fall schlicht und einfach "Haase". Dieser Prüfer war angeblich sehr streng und würde mich unter tausendprozentiger Garantie durchfallen lassen, denn wirklich perfekt war keine meiner Techniken... An der Kata beispielsweise hatte anfangs jeder seinen Teil auszusetzen, aber nach und nach schaffte ich es, die Würfe mehr oder weniger ohne Fehler und sogar in der richtigen Reihenfolge zu werfen. Es waren zwar nur drei Würfe, aber wenn man sich auf zwanzig Dinge auf einmal konzentrieren muss, sieht die ganze Sache schon nicht mehr so einfach aus... Ich sollte mich so hinstellen und laufen, als hätte ich einen Besen verschluckt, bei dem ersten Wurf musste ich mich so hinsetzten, dass Heidi an mir vorbeifallen konnte, und den dritten und letzten Wurf namens Kata-Guruma musste ich noch üben - der ging nämlich meistens schief (vor allem links...). Ganz zu schweigen vom Absitzen und Aufstehen - ich brachte immer mein rechtes Bein mit dem linken durcheinander und so mussten wir allein dafür schon mehrere Trainingsstunden in Anspruch nehmen. Wegen dem Zeitdruck oder einfach nur aus Hilfsbereitschaft half mir der halbe Verein, so kam es mir zumindest vor, um die Techniken zu lernen. Erklärungen bekam ich von den Trainern Charlie oder Andi. Manche, die wirklich gut waren, sahen sich meine Kata an und gaben mir Verbesserungsvorschläge oder konstruktive Kritik. Sabrina ließ sich werfen - aber am meisten half mir natürlich Heidi - denn mit ihr wollte ich schließlich die Prüfung machen! Zu meinem großen Erstaunen gab es sogar Leute, die mir freiwillig helfen wollten! Heidi konnte einmal nicht zum Training kommen und ich wusste natürlich, dass ich an diesem Tag auf keinen Fall schwänzen durfte, sondern mich wohl an meine Würfe halten musste. Die Kata konnte ich ohne Heidi leider nicht üben. ,Lustigerweise' waren nur Orange-Grün-Gürtler da und ich befürchtete schon, an diesem Tag gar nicht üben zu können. Wahrscheinlich würde Charlie mich mit Sabrina trainieren lassen, da sie außer mir das einzige Mädchen war. Ich setzte mich also seufzend gürtelgemäß fast ganz an den Anfang der Reihe von Judo-Kas, doch dann bemerkte ich, dass ich doch nicht die Höchstgraduierte war, sondern vor mir noch Bernd als einziger Braungürtler saß. Plötzlich meinte er zu mir: "Wir üben heute aber schon für deinen Gürtel, oder? Wird mal Zeit, dass du auch hier am Anfang sitzen kannst!" Ganz am Anfang zu sitzen war natürlich toll, hatte allerdings auch einen Haken: Man musste ,Mate' und ,Mokuso' sagen. Und weil das keiner so gerne tat, stellte man sich, wenn möglich, eben nicht ganz vorne hin. Ich übte mit Sabrina, weil Charlie uns so aufteilte, und mit Bernd, weil der scheinbar keine Lust hatte mit den Kleinen zu trainieren. Am Ende konnte ich sowohl Sabrinas Würfe (für mein Grundwissen) als auch einige meiner Techniken, oder zumindest konnte ich sie besser als vorher. Es war zwar nichts perfekt, aber ich hatte danach das Gefühl, das Training wenigstens sinnvoll verbracht zu haben. Grinsend stand Heidi vor meiner Haustür und winkte. Heute war ein ganz besonderer Tag, nämlich der 26. November, und das hieß: Gürtelprüfung! Meine Eltern wollten Heidi und mich mit dem Auto zum Training fahren. Wir waren beide höllisch nervös. Was, wenn das ganze letzte halbe Jahr umsonst gewesen war? Was, wenn ich bei der Gürtelprüfung vor Aufregung alles vergessen würde? Oder gar durchfiele?? Als wir nach einer kurzen Autofahrt das Dojo erreicht hatten, platzierten wir meine Eltern auf den Stühlen und verschwanden in der Umkleide. Heidi versuchte mich zu beruhigen, indem sie vorschlug: "Ich kann dir ja einsagen!" "Klar, das ist eine gute Idee... Aber wie wollen wir das machen?", entgegnete ich. "Keine Ahnung... Aber bei Soto-Maki-Komi kann ich ,Schweinerolle' sagen!" "Oder du kannst kurz grunzen, das ist unauffälliger!", meinte ich prustend. Zur Ablenkung vor der bevorstehenden Prüfung blödelten wir eine Zeit lang herum, traten schließlich hinaus und setzten uns in die erste Reihe, vor meine Eltern, die direkt hinter uns in der zweiten Reihe saßen. Zu uns gesellte sich nach einer Weile Bernd, kurze Zeit später tauchten auch Sabrina und Susi auf. Mit ihnen plauderten wir ein wenig über die Prüfung. Nachdem wir uns aufgewärmt hatten, ging ich noch einmal meine Techniken durch und stellte zu meiner großen Beruhigung fest, dass ich weder etwas vergessen oder verlernt hatte. Mehr oder weniger erleichtert beschloss ich, lieber nicht weiter zu üben, da ich mich sonst möglicherweise verletzten könnte - dann konnte ich die Prüfung nämlich vergessen! So wartete ich mit Bangen auf das Zeichen des Trainers, dass sich alle in eine Reihe setzen sollten. Wann würde er es denn endlich sagen? Ungeduldig starrte ich den Zeiger der Uhr an, der in einem unrealistischen Schneckentempo vorwärtstickte. "Conny!!", hallte es von der Einganstüre. "Sonni?" Verwirrt aber erfreut tappte ich zu meiner Freundin hinüber, die gekommen war, um mir bei meiner Prüfung zuzusehen. Ich sprach kurz mit ihr und setzte sie bei meinen Eltern ab, um wieder zu den anderen zurückzukehren. Aber ich hörte ihnen kaum noch zu. Dazu war ich viel zu aufgeregt. Meine Blicke klebten förmlich an dem Zeiger der großen Uhr fest, doch die Zeit schien noch immer still zustehen. In Gedanken überprüfte ich ein letztes Mal meine Techniken. Hatte ich auch wirklich nichts vergessen? "Mate!" Erschrocken fuhr ich hoch. Oh nein! Jetzt musste ich die Prüfung machen! Mein Herz fühlte sich an, als wäre es in diesen Moment meinen Hals gehüpft und wollte durch heftiges Pochen wieder zurück an seinen Platz. Verschwommen nahm ich wahr, dass sich alle absetzten. Ein paar von den Jüngeren wünschten mir Glück - ich wollte mich bedanken, doch ich brachte kein Wort hervor, sondern warf einen verzweifelten Blick zu meinen Eltern. Ich hörte Charlie etwas sagen. "Conny, alle warten auf dich!", meinte er und ich wollte mich zu ihm umwenden, zögerte aber noch kurz. Sollte ich mich wirklich umdrehen? Ich wollte gar nicht wissen, wieviele Prüfer da nun auf mich warten würden... Ich drehte mich also langsam um - daraufhin hätte ich fast ungläubig losgelacht. Von wegen drei Prüfer - links und rechts neben Charlie hockten nur ganz gelassen Martin und Bernd. Okay, dachte ich, jetzt ist wenigstens keiner da, der mich absichtlich durchfallen lassen würde - jetzt liegt's nur noch an mir, ob ich den Gürtel bekomme! Nur an mir. Ich holte tief Luft und führte nach Charlies Anweisung meine Fallschule vor. Als dieser Teil überstanden war, sagte Charlie: "Gut, Conny, als nächstes möchte ich die Kata sehen. Heidi?" Heidi trat auf ihre Seite und ich auf meine, dann schritten wir los. Wie ein Besen laufen, dachte ich, danach setzte mein eigenständiges Denken irgendwie aus. Beinahe mechanisch, allerdings mit zitternden Knien und viiiel zu hektisch warf ich die ersten beiden Würfe und erinnerte mich dunkel daran, dass sie zuerst an meine Jacke greifen durfte, und nicht ich, wie ich es gerade getan hatte... Beim nächsten Wurf, Seio-Nage, musste ich einen Handschlag von oben abwehren und mit einem Wurf kontern. Einigermaßen flüssig warf ich auch diesen in beide Richtungen. Doch dann folgte Kata-Guruma und ich dachte schon, jetzt wäre alles aus. Heidi musste zuerst greifen - allerdings griff sie auf der falschen Seite! Naiv glaubte ich, es würde keiner bemerken, wenn ich mitten in der Kata einfach so stehenblieb, richtigherum griff und weiterlief - natürlich war das vollkommener Unsinn, aber ich tat es trotzdem. Schließlich war die Kata zu Ende und ich wartete zitternd auf Charlies Kommentar. "Du weißt, dass du einen Schrittfehler gemacht hast?" "Ja", murmelte ich und dachte schon, ich wäre durchgefallen. "Du hast es aber gut korrigiert! Wenn das die angehenden Schwarzgürtler nur annähernd so gut machen würden, wäre ich ganz froh..." Wie jetzt?, dachte ich, wird man für seine Fehler jetzt auch noch gelobt? Es schien wohl so. Nun sollte ich einfach alle Würfe die mir einfielen, inklusive der neuen zum braunen Gürtel, aus der Bewegung vorführen. Ich wählte einigermaßen einfache Würfe wie Sasae-Tsuri-Komi-Ashi, den ich mittlerweile recht gut konnte, oder Würfe, die immer gut ankamen, wie Harai-Goshi. Schließlich sollte ich Uchi-Mata werfen, den ich bei der Blaugurtprüfung auf Teufel-komm-raus nicht hinbekommen hatte. Als ich damit fertig war, folgte der erste Schock, denn Charlie sagte: "Heidi, du darfst dich absetzen. Sabrina, komm du bitte her!" Nach Charlies Anleitung sollte ich nun ein paar Techniken vorführen, die, soweit ich das recht in Erinnerung hatte, auf meinem Zettel als "Komplexaufgabe" angeführt waren. Eine Technik klappte nicht auf Anhieb, deswegen fegte ich Sabrina beim zweiten Versuch einfach das Bein weg. Ich hatte ohnehin keine Zeit, großartig darüber nachzudenken. Zu meiner großen Überraschung schien das sogar richtig gewesen zu sein! Gott sei Dank, nun ist's vorbei mit dieser blöden Werferei, dachte ich, denn nun sollten eigentlich die Bodentechniken an die Reihe kommen, die ich so gut konnte. Doch dem war nicht so - denn der nächste große Schock folgte sogleich: "Sabrina, du darfst dich auch absetzten. Conny?", Charlie wandte sich an mich. "Du musst jetzt gegen drei Gegner kämpfen und gegen mindestens einen gewinnen." Verständnislos sah ich meinen Trainer an. Kämpfen? Dieses Wort existierte in meinem Wortschatz nicht! Es fiel mir daher äußerst schwer, zustimmend zu nicken. Ich? Ausgerechnet ICH und kämpfen? Dieses Programm ist mit dem Rechner nicht kompatibel. Kontrollieren sie den Anschluss. Beep. Zuerst musste ich gegen den "Zappelphilipp" antreten, der mir viel zu hektisch war, als dass ich kapiert hätte, dass ich ihm einfach nur die Beine hätte wegfegen müssen - doch plumps! lag ich auch schon auf der Matte. Na super, dachte ich, gegen den ersten Gegner verloren. Und der war kleiner als ich... Den nächsten Wurf setzte zwar auch er an, doch diesmal warf er mich so, dass ich auf und nicht unter ihm landete - dieser Punkt ging sicherlich an mich. Meinen nächsten Gegner knallte ich zweimal auf die Matte. Zu guter Letzt folgte der dritte Schock für diesen Tag - aller guten Dinge sind bekanntlich drei... "Heidi!", rief mein Trainer. Entsetzt sahen Heidi und ich uns an, schließlich stand sie auf und trat vor mich. Oh nein, dachte ich, nicht gegen Heidi. Nicht gegen meine Freundin mit der ich ALLES geübt hatte. Bitte nicht! Doch es half nichts, da musste ich wohl oder übel durch. Während die anderen beiden Kämpfer eher hektisch waren, herrschte zwischen Heidi und mir eine angespannte Gelassenheit. Ich wusste, dass ich keine Chance hatte, da ich eine schlechte Kämpferin war, und während ich so überlegte und wir uns gegenseitig mit Blicken töteten und versuchten, den Griffkampf zu gewinnen, stellte ich fest, dass Heidi keineswegs die Absicht hatte, zu verlieren. Ich ermahnte mich dazu, nicht andauernd so naiv zu sein. Außerdem war es mehr oder weniger egal, ob ich diesen Kampf verlieren würde, da ich gegen die anderen beiden (oder auf jeden Fall mal gegen einen davon) schon gewonnen hatte. Ich wollte irgendetwas ansetzen, irgendeinen Wurf... Doch dann lag ich schon auf der Matte. Ich rappelte mich auf und Charlie bedeutete Heidi, sich wieder auf ihren Platz zu begeben und mir, mich links von ihm abzusetzten. Ich schluckte den schweren Kloß in meinem Hals hinunter und hörte nur mit halbem Ohr zu, was der Trainer von sich gab - den Text kannte ich ja schon. Prüfung oder Vorprüfung, ein halbes Jahr Pause oder Gürtel und so weiter und so fort. Alle möglichen Alternativen schwebten in meinem Kopf herum und ich überlegte: ,Wie groß ist die Chance, dass ich durchfalle? Fünfzig zu fünfzig, würde ich sagen. Und außerdem, ich plage mich doch nicht ein halbes Jahr ab, schleppe meine Eltern und eine Freundin mit um mich letztendlich doch vor dem Risiko zu drücken?' Nein, jetzt war es auch schon egal. "Prüfung!", rief ich laut und entschlossen. Seit der letzten Prüfung war ich wohl auch etwas selbstsicherer geworden. Ich stand auf und setzte mich vor Charlie ab, band meinen Gürtel auf und wollte ihn meinem Trainer geben - doch dieser meinte lächelnd: "Langsam solltest du wissen, dass meine Arme nicht so lang sind!" Grinsend rutschte ich etwas näher hin und überreichte ihm meinen zusammengefalteten Gürtel. Mein Grinsen wurde breiter, als ich sah, wie Charlie meinen blauen Gürtel, beiseite legte und einen nagelneuen braunen Gürtel aus seiner Verpackung befreite und schließlich sagte, dass ich aufstehen sollte. Mit großer Erleichterung ließ ich mir den Gürtel umbinden, verbeugte mich und ging strahlend zu meinem Platz zurück. Zwar mit schmerzendem Zeh, den ich während der Prüfung scheinbar irgendwie verdreht hatte (und das komischerweise erst jetzt bemerkte), aber doch höchst motiviert absolvierte ich den Rest des Trainings und nahm mir vor, besser Kämpfen zu lernen. Das schien man immer gut gebrauchen zu können... Jetzt gehe ich zusätzlich ins Montagstraining und bin zuversichtlich, dass das mit dem Kämpfen nur eine Frage der Übung ist. Bekanntlich ist noch kein Meister vom Himmel gefallen - kann ich auch gut verstehen. Es tut sicher weh, von soweit oben runterzufallen und keinen Fallschirm dabeizuhaben! Obwohl ich nicht gut kämpfe, bin ich doch um einiges besser geworden. Ich habe viele neue Freunde gefunden, mit denen ich viel Spaß habe und am Kampfrichtertisch sitzen darf, wenn die Kleineren ein Turnier haben. Die Kleinen, die einen daran erinnern, wie man selbst einmal angefangen hat... Und deshalb habe ich diese Geschichte geschrieben. Es war die Geschichte über meine bisherige Judolaufbahn oder auch die Geschichte über den Weg eines Mädchens vom weißen bis zum braunen Gürtel. Und außerdem ist es auch eine traurige Geschichte, weil von all jenen, die damals an diesem kühlen November tag im Jahre 1996 zusammen mit mir Judo angefangen haben, nur ich übrig geblieben bin... -Ende- Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)