Mein Engel von Cowardly_Lion (Amor in Love) ================================================================================ Kapitel 7: ----------- Hi, Erstmal ein großes Sorry, dass ich so lange nicht weitergeschrieben habe; aber wie ihr gemerkt haben dürftet, dauert es bei mir immer ein bisschen länger... Ich bin beim Schreiben eine ziemliche Perfektionistin, und wenn ich nicht 100%tig mit dem Ergebnis meiner Bemühungen zufrieden bin, stelle ich das Ganze auch nicht online. Und leider war es gerade bei diesem Kapitel so, dass ich mich an einer Stelle verbissen habe und deswegen einfach nicht weiterkam. Tja, besagte Szene habe ich jetzt komplett anders abgehandelt, als sie ursprünglich gedacht war, aber ich bin mit dem Ergebnis glücklich ;-) Ach ja, keine Ahnung, ob das jemanden interessiert, aber hier noch ein paar Lieder, die mir aus der Schreibblockade geholfen haben: 1. Delta Goodrem - Lost without you (Danke nochmal an Claudi für den Tipp ^.~) 2. Texas - I'll see it through 3. Rufus Wainwright - Hallelujah 4. Farin Urlaub - Sonne 5. Die Ärzte - Nie gesagt Was dieses Nichtspeilen bei Enrico & Oliver (und teilweise auch bei Ray) angeht: Bitte glaubt mir, dass ich das nicht nur mache, um die Geschichte künstlich in die Länge zu ziehen. Ich kann so was als Leser selbst nicht besonders leiden und deswegen würde ich das auch nie tun... Aber genauso unrealistisch wäre es, wenn sie sich nach fünf Minuten ewige Liebe schwören würden. Sicher, in Einzelfällen mag so etwas vorkommen, aber wir alle kennen es doch nur zu gut, dass wir bei dem, was uns selbst betrifft, meistens viel eher auf dem Schlauch stehen als wenn es um andere geht. Zumindest geht mir das so... Aber seid beruhigt: In diesem Kapitel tut sich endlich mal was in der Richtung ^.~ Ich wünsche euch allen auf jeden Fall noch viel Spaß beim Lesen! ~~~ ; ~~~ Als Ray am nächsten Morgen aufstand, hatte er einen Entschluss gefasst: Er würde dafür sorgen, dass Kai glücklich wurde. Nicht mehr bloß, weil es sein Job war, sondern weil sein Schützling es verdammt noch mal verdient hatte. Soviel hatte Ray in den unzähligen schlaflosen Stunden der vergangenen Nacht verstanden. Nur gut, dass Engel eigentlich gar keinen Schlaf brauchten; ansonsten hätte er jetzt wohl herumgehangen wie ein Schluck Wasser in der Kurve... So drehte er einfach das Radio auf und summte gutgelaunt bei einem Lied mit, von dessen Text er nur die Hälfte verstand, während er sich daran machte, das Frühstück für sich und Kai vorzubereiten. Hm, mal sehen... Tee mit Milch und Honig, frische Backofenbrötchen, Butter, diverse Marmeladensorten... Gewohnt jugendlich-frisch kam Kai in die Küche getorkelt, lief an Ray vorbei zum Kühlschrank, hielt in der Bewegung inne und drehte sich um: "Was ist denn hier los?" "Morgen, Kai!", gutgelaunt gab Ray Teig in eine Pfanne mit geschmolzener Butter, "Ich mache uns Frühstück. Setz dich doch schon mal hin, ich mache uns nur noch schnell die Pfannkuchen fertig." Sichtlich benommen gehorchte der Blauhaarige. Es dauerte einige Minuten, ehe er sich dazu im Stande sah, seinen Gedanken in zusammenhängenden Sätzen Ausdruck zu verleihen: "Wann bist du aufgestanden? Das alles muss doch eine Heidenarbeit gewesen sein!" "Och, schon okay... Ich dachte, dass sei nach gestern Abend eine gute Idee..." "Das ist sicherlich nett gemeint, aber du brauchst das nicht zu machen... Ich hab keine Lust drauf, dass du aus purem Mitleid Zeit mit mir verbringst. Schließlich bist du ja nur mein Mitbewohner...", Kai gab sich alle Mühe, kalt zu klingen, aber dennoch schwang ein Hauch von... Ja, von was eigentlich? Frustration? Hilflosigkeit? Was immer es war, es schwang auf jeden Fall in Kais Stimme mit. "Nur dein Mitbewohner? Kai, ich dachte, wir wären mehr... Ich dachte, wir wären Freunde! Okay, ich kenne dich erst seit ein paar Tagen... Aber du lässt doch nicht einfach einen Wildfremden so nahe an dich heran!?", wieder einmal war Ray von seinem Schützling restlos verwirrt. "Nein, das tue ich tatsächlich nicht; und genau ist das Problem, Ray...", kurz zögerte Kai, beinahe als ob er noch etwas sagen wollte, dann drehte er sich um, "Ehrlich gesagt ist mir heute nicht nach Frühstücken zumute. Wenn du mich entschuldigen würdest... Ich glaube, ich gehe erst mal joggen." Sprachlos sah Ray dabei zu, wie Kai die Küche verließ und sich allen Ernstes für Frühsport bereit machte. Dass neben ihm der Pfannkuchenteig sich gerade in der Pfanne festbrannte, war momentan die kleinste Sorge des Engels... ~~~ ; ~~~ Enrico fühlte sich erbärmlich, als er an diesem Morgen beobachten musste, was in der Wohngemeinschaft Hiwatari/Kon vor sich ging. Zu sehr erinnerte ihn das Ganze an sein eigenes Privatleben, bzw. an das Fehlen desselbigen. Er fühlte sich immer noch mies, weil Oliver so geschockt auf sein Geständnis reagiert hatte, und die Tatsache, dass der Grünhaarige heute nicht zur Arbeit erschienen war, machte die Situation nicht unbedingt angenehmer... Emily, die nichts von Enricos Gedankengängen wusste und ihm nicht so recht verzeihen konnte, wie weh er Oliver getan hatte, grinste ihn spöttisch an: "Na Meister, haste den Pornokanal verfehlt?" Tja, ein Hangover war eben die Quittung dafür, wenn man die ganze Nacht über in einer Bar rumhängen und irgendwelche Frauen anbaggern musste... Statt zu reagieren, starrte Enrico bloß weiterhin apathisch den Computermonitor an: "Was für ein Idiot..." "Wie bitte?", bedröppelt blinzelte Emily mit den Augen, wusste nicht, wie sie das soeben gehörte einordnen sollte. Diese Äußerung eben hörte sich nicht unbedingt nach dem typischen Resultat eines Katers an... Mit einer schlaffen Hand zeigte ihr blonder Kollege auf Ray: "Ich sagte, dass er ein Idiot ist. Kai hat sich in ihn verliebt, das sieht doch ein Blinder mit nem Krückstock. Und er selbst begreift einfach nicht, dass er sich nur so sehr über seinen Schützling aufregt, weil er auch etwas für ihn empfindet. Das ist doch erbärmlich; die Beiden passen so gut zueinander, und die einzigen, die es nicht merken, sind sie selbst." Das sagte jetzt ausgerechnet jemand, der selbst die ganze Zeit über mit Scheuklappen vor den Augen durchs Leben rasselte, wenn es um Liebesdinge ging. Männer... Dennoch machte Emily notgedrungen gute Miene zum bösen Spiel: "Na ja, dieses Gefühlschaos lässt sich wohl nur sehr schwer nachvollziehen, wenn man noch nie verliebt war..." Moment mal, warum lief Mr. "Monogamie ist was für Anfänger" jetzt bitte so rot an? "Es gibt da nicht zufällig etwas, was du mir sagen willst?" "Ähm..." "ENRICO!!!" "Ist ja gut... Also eigentlich bin ich ja auch verliebt; es ist dummerweise nur so, dass derjenige deutlich klar gemacht hat, dass das nicht auf Gegenseitigkeit beruht..." "Derjenige?!" "Ähä... Ja, weißt du...", wenn Blicke Löcher hätten bohren können, wäre Enrico schon längst auf der anderen Seite der Erdkugel herausgekommen; zumindest legte die Intensität, mit er den Boden unter seinen Füßen anstarrte, das nahe. "Nein, ich weiß eben nicht. Warum klärst du mich nicht einfach drüber auf?" "... Ach verdammt, was soll's? Ich hab mich in Oliver verliebt!" Es waren solche Momente, in denen Emily dankbar dafür war, dass ihre Augäpfel fest an den Sehnerv angewachsen waren; andernfalls hätte sie jetzt auf dem Boden herumkriechen und sie suchen dürfen. So stand sie einfach nur da, hatte in etwa die Mimik eines Riesenfisches drauf und sagte kein Wort. Gegenwärtig wäre ihr sowieso nichts eingefallen, mal abgesehen vielleicht von der Frage... "WAS MEINST DU BITTE MIT "ES BERUHT NICHT AUF GEGENSEITIGKEIT"?!" "Genau das, was ich eben gesagt habe... Ich gab Oliver durch die Blumen zu verstehen, dass ich mehr als nur freundschaftliche Gefühle für ihn empfinde - und er hat mich abblitzen lassen. Seine genauen Worte dürften in etwa "Ich empfinde nicht dasselbe für dich wie du für mich" gewesen sein. Deutlicher geht's nicht mehr, oder?" ... Es war also gar nicht so, dass Enrico Olivers Herz hatte brechen wollen... Die Beiden waren lediglich äußerst talentiert darin, aneinander vorbeizureden. Wäre die Situation nicht so verdammt deprimierend gewesen, Emily hätte laut aufgelacht. So entschied sie sich dafür, Enrico vorsichtig an die Wahrheit heranzuführen: "Wenn ich das, was Oliver mir über dich erzählt hat, richtig interpretiere, dann ist es so, dass er durchaus deine Gefühle erwidert. Er ist sich deiner nur ziemlich unsicher und weiß nicht, wie er mit der Situation umgehen soll; immerhin warst du bisher immer nur mit Frauen zusammen, und auch diese Beziehungen waren nicht unbedingt die beständigsten..." Halb hatte Emily damit gerechnet, dass ihr Enrico sofort an den Hals springen würde, doch stattdessen schloss er nur für einen Moment die Augen, überlegte. Dann nickte er langsam, zum Zeichen, dass er verstanden hatte: "Okay, aber wie kann ich ihm zeigen, dass ich es bei ihm ernst meine?" "Das kann ich dir leider auch nicht sagen... Aber ich bin überzeugt, dass dir was einfallen wird.", der Hauch eines Lächelns machte sich auf dem Gesicht des Succubus breit, "Leuten wie uns fällt nun mal nicht alles in den Schoß; wir müssen es uns erarbeiten. Was mich auch schon zum Thema bringt: Ich muss jetzt leider gehen, wenn ich Kai noch von der Uni abfangen will..." "Dann mach's gut. Und danke...", ohne großartig drüber nachzudenken, umarmte Enrico Emily, gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Schließlich verabschiedete man sich so von guten Freunden... ~~~ ; ~~~ Stirnrunzelnd wartete Oliver vor Büro 777; er wurde einfach nicht schlau daraus, warum seine Vorgesetzten ihm noch am gestrigen Abend ein Communique zugesandt hatten, in dem sie ihn so früh am Morgen zu sich bestellten. Zumal der Fall, den er gegenwärtig bearbeitete, ja normalerweise vor allem anderen Vorrang hatte... Ach, warum versuchte er sich eigentlich einzureden, dass es ihm hierbei um seinen Job ging? Im Grunde wollte er doch nur seine egoistische Sehnsucht nach Enricos Nähe befriedigen, die er trotz aller guten Vorsätze noch immer verspürte. Zu wissen, dass Enrico nicht dasselbe für ihn fühlte, es wahrscheinlich nie empfinden würde, änderte daran leider auch nichts... Donnernd schwang das Eisentor auf, holte Oliver so aus seinen trüben Gedanken. Die Tatsache, dass es nicht wie beim letzten Mal mit einem leisen Summen aufschwang, verdankte er wohl Johnny, der aus dem Büro herausgetreten war und nun mit verschränkten Armen an einem der beiden Türflügel lehnte, dabei ganz entgegen seiner vermutlichen Intentionen nicht einschüchternd, sondern bloß wie ein Zwerg wirkte. Eine auffordernde Geste deutete Oliver an, dass er schon erwartet würde. Mit weit ausholenden Schritten kam Robert ihnen entgegen: "Schön, dass Sie sich so kurzfristig für uns Zeit nehmen konnten..." Offenbar wollte sein Vorgesetzter noch etwas hinzufügen, doch wenige Meter bevor er vor Oliver zum Stehen kommen konnte, stolperte er über den Saum seiner Kutte und holte sich dadurch selbst von den Füßen. Verlegen hüstelnd sah Oliver zur Seite, während Johnny hastig an ihm vorbeieilte, um seinem Chef aufzuhelfen. Dass seine Hand dabei einige Sekunden länger als unbedingt nötig auf Roberts Hüfte liegen blieb, war ein kleines Detail am Rand, das zwar nichts zu sagen hatte, aber dennoch eine Menge erklärte... Seinem Sekretär ein flüchtiges Lächeln zuwerfend, wandte Robert sich wieder zu Oliver um: "Entschuldigen Sie die kleine Unterbrechung, so etwas passiert mir ständig in diesen Roben. Aber die Leute erwarten von einem Mann in meiner Position nun mal, dass er gewisse Standards erfüllt. ... Würde es Ihnen vielleicht etwas ausmachen, ..." "Nein nein, schon in Ordnung!", beschwichtigend winkte Oliver ab. Von unsichtbaren Winden gepeitscht, bauschte sich Roberts Kutte auf, flatterte wild hin und her, nur im nächsten Moment rasend schnell einzulaufen, Farben, Form und Schnitt zu ändern. Wenige Sekunden später trug der Violetthaarige einen nachtblauen Nadelstreifenanzug, der ihm regelrecht auf den Leib geschneidert zu sein schien. "So, das ist besser...", verlegen klopfte sich Robert imaginären Staub vom Jackett, "Um auf das eigentliche Thema zu sprechen zu kommen: Wie verstehen Sie sich denn mit Ihren Arbeitskollegen, Emily und Enrico?" "... Ganz gut eigentlich. Wieso?", abwehrend neigte Oliver den Kopf zur Seite, verschränkte die Arme vor der Brust. Wussten seine Arbeitgeber etwa schon...? "Reines Interesse. Ich wollte Ihre Meinung bezüglich der Beiden wissen, weil uns stichhaltige Beweise dafür vorliegen, dass die Zwei eine Affäre haben..." "Sie lügen." Das konnte nicht sein; Emily liebte diesen Michael und Enrico... Oliver glaubte einfach nicht, dass der Blonde so handeln würde. Nicht, wenn er tatsächlich verliebt war. "Mitnichten. Sehen Sie selbst...", mit einem beiläufigen Schulterzucken betätigte Robert einen kleinen, ovalen Knopf auf einer Fernbedienung, erweckte damit erneut den riesigen Observationsmonitor zum Leben. Flackernd erwachte aus der Schwärze ein Bild, welches Oliver dazu brachte, zischend die Luft einzuziehen: Enrico, wie er Emily überschwänglich umarmte, ihr einen Kuss auf die Wange hauchte. Der Succubus wehrte sich nicht dagegen, vielmehr erwiderte sie die Geste sogar lächelnd, strafte damit all die Worte Lügen, mit denen sie Oliver gestern zu beruhigen gesucht hatte. "Es... Es gibt bestimmt eine Erklärung dafür.", noch während er die Worte herauswürgte, spürte Oliver bereits wie Wut und Enttäuschung in ihm aufwallten. Es tat weh, das mitansehen zu müssen... Nicht, weil er sich ernsthafte Chancen bei Enrico ausgerechnet hatte, sondern weil dieser mit seinem unbedachten Handeln eine Liebe verriet, die Oliver gerade in Anbetracht dessen, dass er sie nie selbst erlangen würde, unendlich kostbar erschien. "Nun, ich bin überzeugt davon, dass es eine Erklärung gibt. Und Sie werden sie uns beschaffen...", sichtlich unberührt von dem zunehmend schmerzverzerrten Gesichtsausdruck seines Untergebenen, überreichte Robert Oliver ein Memo. "Wie bitte?", geschockt starrte Oliver den Zettel an, den man ihm da gerade vors Gesicht hielt. "Tun Sie doch nicht so naiv; Sie arbeiten lange genug hier, um zu wissen, dass wir unsere Angestellten durch ausgewählte Spione überwachen lassen. Tja, und Sie haben die Ehre, ab heute einer von ihnen zu sein!" "Aber warum sollte ich Enrico für Sie bespitzeln?" Sicher, mit seinem Verhalten hatte der andere Oliver enttäuscht, aber... Ein überhebliches Grinsen machte sich auf Roberts Gesicht breit: "Oh, weil Sie keine andere Wahl haben natürlich... Sie wissen, was nach Ihrem Rausschmiss aus dem Himmel kam, also wo werden Sie Ihrer Meinung nach landen, wenn Sie aus der Hölle entlassen werden?" Schwer schluckend nickte Oliver zögerlich: "Ich nehme an, ich soll Ihnen täglich Bericht erstatten?" "Exakt. Sie können jetzt gehen!" Erst als Oliver das Büro mit hängenden Schultern verlassen hatte, wagte Johnny es, zum erstenmal seit langem wieder auszuatmen: "Glaubst du wirklich, dass wir auf diese Weise unser Ziel erreichen?" Mit einer Zärtlichkeit, die man dem ansonsten so kalten Robert gar nicht zugetraut hätte, hauchte er dem Rothaarigen einen Kuss auf die Stirn: "Vertrau mir, Liebling; es wird alles nach Plan laufen." ~~~ ; ~~~ Den ganzen restlichen Morgen über konnte Ray nur an seine Auseinandersetzung mit Kai denken. Bzw. daran, dass es eben keine echte Auseinandersetzung gegeben hatte - was paradoxerweise noch viel frustrierender war. Nach ihren Streitereien hatte zumindest immer so etwas wie eine Aussprache stattgefunden... Nachdem Kai von seiner Joggingrunde zurückgekommen war, hatte hingegen lediglich monotones Schweigen geherrscht, und zwar das von der Sorte, mit der man Trommelfelle zum Platzen bringen kann. Das gesamte Frühstück über hatten sie einander gegenüber gesessen, lustlos Cornflakes gelöffelt und dabei die Tischplatte angestarrt. Dass Ray sich dabei fühlte, als würde die Raumtemperatur gerade merklich sinken, konnte nicht allein an dem aufgrund des Gestanks nach Verbranntem geöffneten Küchenfenster liegen. Na ja, vielleicht doch, immerhin war Winter... Aber nichtsdestotrotz schmerzte es, wie gleichgültig Kai sich ihm gegenüber verhielt, und das nicht nur während des Frühstücks. Auch in der Straßenbahn und auf dem restlichen Weg zur Uni wechselten Ray und sein Schützling kein Wort, keine Geste, nicht mal einen flüchtigen Blick. So dämlich sich das anhörte, aber langsam begann er sogar, Kai zu vermissen - ein Gefühl, das um so deprimierender war, da er direkt neben ihm saß. Am liebsten hätten Ray laut losgeschrien, einfach, um diese entsetzliche Stille zu füllen, doch das hätte ihm bloß schale Blicke eingebracht. Nein, ausrasten war definitiv keine Lösung für dieses Problem... Aber was dann? Diese Frage stellte sich Ray immer noch, als er nach der Uni Lees Lokal betrat, um die Tagesschicht anzutreten. Arbeiten schien jetzt eine gute Möglichkeit zur Ablenkung zu sein, zumal er so vielleicht die Chance hatte, mit einem anderen über die Situation reden zu können... Ray hatte schon die Hälfte des Weges zur Küche zurückgelegt, als er wie angewurzelt stehen blieb. Irgendetwas hatte er bemerkt, was nicht so recht ins Restaurant zu passen schien. Nichts großartiges eigentlich, lediglich der Eindruck, dass ein Detail von dem, was hier gerade geschah, nicht stimmte... Als der Schwarzhaarige seine Umgebung einer genaueren Betrachtung unterzog, wusste er auch, was es war: An einem der Ecktische, halb verborgen unter einer riesigen Bambuspflanze, saßen Kai und eine Frau und unterhielten sich. Aber das war es nicht, was Ray beunruhigte; was ein unangenehmes Kribbeln über seinen Rücken jagte, war die Tatsache, dass die Unbekannte genau Kais Beschreibung seiner Traumfrau entsprach: Mit ihren langen, orangenen Haaren, der selbstbewussten Ausstrahlung einer geborenen Jägerin und ihren großen, dunkelblauen Augen war sie einfach perfekt für seinen Schützling... Ray hatte das Gefühl, sein Magen würde zu Eis erstarren, als sich die besagten blauen Augen wie zufällig auf ihn richteten, ihm einen triumphierenden Blick zuwarfen. Wahrscheinlich wäre er sofort und ohne die geringste Chance auf eine baldige Wiederkehr zu Lee in die Küche gestürmt, hätte Kai nicht dummerweise auch zu ihm aufgesehen. So blieb ihm nur die Flucht nach vorne. Mit einem betont freundlichen Lächeln ging Ray auf den Tisch der Beiden zu: "Hi, mein Name ist Ray, ich bin Kais Mitbewohner. Und du bist?" ~~~ ; ~~~ "Emily; ich studiere hier erst seit kurzem Medizin.", innerlich zuckte der Succubus zusammen. Sie kannte diesen wahnsinnigen Massenmörderblick des Engels nur zu gut; normalerweise hatten den Frauen drauf, die sie dabei erwischten, wie sie aus beruflichen Gründen deren Freunde abzuschleppen versuchte... Ein Vergleich, der wahrscheinlich besser zutraf, als Ray oder Kai sich einzugestehen bereit waren. Aber das war ja nicht Emilys Problem; letztendlich machte sie nur ihren Job. Einen Job, der bei gelungener Ausführung eine gemeinsame Zukunft mit Michael beinhaltete... Da brauchte sie nun wirklich keine Schuldgefühle zu haben, oder? Ihre Zweifel zu ignorieren suchend, schaltete Emily wieder in den Modus "eiskalt und gefährlich" um. Besitzergreifend umklammerte sie Kais Arm: "Wenn du uns jetzt bitte allein lassen könntest; ich habe noch einige Fragen bezüglich des Studiums, die ich lieber unter vier Augen klären würde..." "Ist dem so?", Ray runzelte die Stirn und warf Kai einen fragenden Blick zu. Als dieser nicht reagierte, meinte er seufzend: "Schön, bin schon weg; soll ich Kevin sagen, dass er euch die Speisekarte bringen soll?" "Das wäre nett.", zum Abschied schenkte Emily dem Schwarzhaarigen ein frostiges Lächeln. Kaum war Ray verschwunden, entzog sich Kai ihr und verschränkte die Arme vor der Brust: "Fandest du dein Verhalten eben in Ordnung?" "Ich kann es nun mal nicht ausstehen, wenn einer in meiner Privatsphäre herumstochert." "Das wäre dann wohl die erste und einzige Sache, die wir gemeinsam haben. Warum hast du mich hierher geschleift?" "Ich wollte dich kennenlernen." Oh man, klang das erbärmlich, aber einer bessere Ausrede war Emily auf die Schnelle nicht eingefallen. Was hätte sie denn sonst sagen sollen? 'Ich bin ein Dämon und habe den Auftrag, dir deine Seele zu rauben' war nicht unbedingt die beste Methode um jemandes Vertrauen zu gewinnen. Genau genommen war dieser Spruch nur dann von Vorteil, wenn man unbedingt stolzer Besitzer einer Hab-mich-lieb-Jacke werden wollte... "Nun, darauf lege ich wiederum keinen Wert; ich denke, dein Essen kannst du auch allein verzehren...", ohne Emily noch eines weiteren Blickes zu würdigen stand Kai auf und verließ das Restaurant. Verblüfft sah die Orangehaarige ihm hinterher; so was war ihr ja noch nie passiert... Warum erlag Kai nicht ihren Reizen? Sicher, so wie er sich in Rays Gegenwart verspannt hatte, war es mehr als deutlich, dass er eigentlich auf Kerle - insbesondere auf kleine, schwarzhaarige Asiaten - stand, aber he, andere hatte das auch nicht davon abgehalten mit ihr ins Bett zu hüpfen... Zumal er und Ray ja nicht mal bereit zu sein schienen, sich ihre Gefühle für den jeweils anderen einzugestehen. Herrje, was waren Männer doch kompliziert - und damit sprach sie jetzt nicht nur von Ray und Kai. Bei den Beiden konnte es ihr ja rein beruflich gesehen nur recht sein, wenn sie nicht zusammenkamen... Nein, im Grunde würde es sie im Augenblick viel mehr interessieren, was Enrico und Oliver gerade wieder taten, um ihr Gefühlschaos zu verschlimmern... ~~~ ; ~~~ "Entschuldige die Verspätung, aber ich wurde noch von einem hereinkommenden Auftrag aufgehalten..." Seit seiner Unterredung mit Robert und Johnny war kaum eine halbe Stunde vergangen und doch fühlte Oliver sich Jahrzehnte älter als noch am vorrangegangenen Morgen, als er das gemeinsame Büro betrat. Unwillkürlich zuckte Enrico zusammen; bis eben hatte er noch darüber nachgedacht, mit was er Oliver eine Freude machen könnte. Hastig schaute er auf den Monitor um sicherzugehen, dass er auch ja nichts wichtiges verpasst hatte: "Schon okay. Was ist das denn für ein Auftrag?" "Ach... Nur so eine Kleinigkeit, um die ich mich allein kümmern soll. Wirklich nichts wichtiges. Haben du und Emily schon irgendwelche Fortschritte gemacht?", Oliver musste sich Mühe geben, Verbitterung aus seiner Stimme herauszuhalten, kannte er die Antwort auf diese Frage doch schließlich nur zu gut. Bzm. vermutete wenigstens, sie zu kennen. Und genau das war das Schlimme an der Sache: Er wusste nicht recht, was er glauben sollte. Einerseits hatte er zuviel über Enricos Weibergeschichten gehört, um objektiv urteilen zu können, andererseits war da noch immer die irrwitzige Hoffnung, dass... War ja auch egal. Aber vielleicht war es ja gar nicht so schlecht, die Überwachung seines Kollegen übernommen zu haben... Enrico wusste nicht, was gerade durch Olivers Kopf ging; alles, was er bemerkte, waren die widerstreitenden Gefühle, die sich in dessen Augen widerspiegelten. Konnte es sein...? Vorsichtig legte er Oliver eine Hand auf die Schulter: "Na ja, wir haben... uns über gewisse Dinge unterhalten, wenn du das meinst." Sofort zuckte Oliver zurück. War das eben etwa ein Schuldeingeständnis gewesen? Misstrauisch sah er Enrico in die Augen, suchte in ihnen nach Anzeichen für ein schlechtes Gewissen - vergebens. Alles was er wahrnahm war eine Zufriedenheit, die im Kontext des an ihm nagendes Verdachtes etwas Abstoßendes an sich hatte. Darum bemüht, sich nichts anmerken zu lassen, meinte Oliver in möglichst neutralem Tonfall: "Das ist wirklich... interessant, Enrico. Warum gönnst du dir nicht eine Pause, während ich meinen Arbeitsrückstand aufhole?" Verwirrt legte Enrico den Kopf schief; er konnte nicht wirklich verstehen, warum Oliver sich auf einmal so distanziert verhielt. Sicher, er fühlte sich wahrscheinlich hintergangen weil Enrico sich mit Emily über ihre Beziehung zueinander unterhalten hatte, aber andererseits musste ihm das doch zeigen, dass er für den Blonden mehr als nur ein kleiner Flirt war... Vielleicht sollte er das leidige Thema doch mal von sich aus ansprechen? "Eigentlich wollte ich noch mit dir..." "Enrico, bitte geh jetzt!", schneidend unterbrach ihn Olivers Stimme, ließ keinen weiteren Widerspruch zu. Resigniert nickte Enrico. Eine Diskussion hatte momentan wohl eh keinen Sinn... ~~~ ; ~~~ Nur unter großer Anstrengung gelang es Ray Haltung zu bewahren, als er den Tatsachen ins Auge blickend in der Küche verschwand. Normalerweise hätte der Engel sich ja freuen müssen, dass Kai so schnell eine Frau gefunden hatte und er bald in den Himmel zurückkehren konnte, aber irgendwie war dem nicht so. Sicher, er hatte gewollt, dass Kai glücklich wurde, aber... "Aber eigentlich habe ich gehofft, dass ich derjenige bin, der Kai glücklich macht.", plötzlich wusste Ray sehr genau, was mit ihm los war, warum sein Körper in letzter Zeit verrückt spielte. Was nicht bedeutete, dass er verstand, wie es dazu gekommen war. Lächelnd sah Lee von dem Suppentopf auf, in dem er mit einer großen Suppenkelle herumrührte: "Hallo Ray, du kommst genau richtig! Könntest du mir vielleicht bei den Frühlingsrollen helfen, die..." "Tut mir Leid, aber ich wollte dir nur Bescheid sagen, dass ich gleich wieder verschwinde. Ähm... Könntest du mir ein bisschen was an Geld leihen?" "Sicher, aber wofür..." "Erklär ich dir später. Danke auch!", seinem besten Freund einfach das Portemonnaie aus der Hand schnappend, eilte Ray auch schon wieder aus der Küche eilte. Für einige Sekunden sah Lee ihm noch verwirrt hinterher, ehe er sich grinsend wieder seiner Arbeit zuwandte: "Also hast du es endlich kapiert, kleiner Bruder..." Auf seinem Weg nach draußen wäre Ray beinahe mit Kevin zusammengestoßen, der nur durch viel Glück sein Tablett mit den Bestellungen vor einem unsanften Aufprall auf den Boden bewahren konnte. "Tisch Vier braucht ne Bedienung!", rief er dem leise vor sich hinfluchenden Kellner noch zu, ehe er endgültig verschwunden war. Natürlich hatte Ray ein schlechtes Gewissen weil er statt seinen Freunden bei der Arbeit zu helfen abgehauen war, aber er hatte zu viel im Kopf umherschwirren, als dass er sich auf das Zubereiten und Servieren von Mahlzeiten hätte konzentrieren können. Wahrscheinlich wären derartige Versuche momentan sowieso eher auf eine akute Lebensmittelvergiftung der Gäste hinausgelaufen... Allerdings stellte sich ihm nun, da er Lees Restaurant, das White Tiger Inn, verlassen hatte, die Frage, wohin er nun gehen sollte. Zurück konnte er nicht, ebenso wenig wie in ihre Wohnung, ganz einfach weil Kai dort mit Emily auftauchen könnte; Max und Tyson wollte er nicht stören. Und sonst kannte er logischerweise niemanden in dieser Stadt. Vielleicht sollte er sich einfach irgendwo in ein Café setzen, einen Kaffee bestellen und abwarten, bis es wieder halbwegs sicher war, in die Wohnung zurückzukehren; eigentlich hatte er sich zwar das Geld von Lee geliehen, um sich so schnell wie möglich aus der WG mit Kai herauszukaufen, aber soviel war wohl auch noch drin. Hier in der Nähe dürfte sich ja irgendwo was Passendes finden lassen, immerhin versprachen die vielen Studenten einen satten Gewinn.. Suchend sah Ray sich nach jemandem um, der ihm aus einem seiner Kurse bekannt vorkam und den er dann fragen konnte. Doch der einzige, der ihm vage vertraut erschien, war ein braungebrannter Blondschopf, der auf der anderen Straßenseite an der Bushaltestelle stand und grade den Kopf in seine Richtung drehte. "Enrico!?" Unwillkürlich zuckte der Angesprochene zusammen, als er Ray seinen Namen rufen hörte. Eigentlich war er Ray rein aus Trotz hinterhergeschlichen, weil Oliver ihn nicht bei ihrem Auftrag dabeihaben wollte, und nicht, damit der Engel ihn entdeckte... Ein gezwungenes Lächeln aufsetzend, versuchte Enrico dennoch das Beste aus der Situation zu machen; bereitwillig ging er einige Schritte auf seinen ehemaligen Arbeitskollegen zu "Ray? Lange nicht gesehen, Mann! Wie geht's dir?" "Na ja, könnte besser sein; meine Arbeit ist grade verdammt kompliziert...", mit einem gequälten Gesichtsausdruck lächelte Ray, ehe er geschockt die Augen aufriss, "Entschuldige, ich hab nicht dran gedacht, dass du..." "Schon gut, ich hab schon was neues gefunden... Kein besonders großartiger Job, aber es ist Arbeit.", verlegen sah Enrico zur Seite, "Wie auch immer, im Grunde habe ich es mir ja selbst zuzuschreiben, nicht?" Irgendwie berührte es Ray, seinen ehemaligen Vorgesetzten so ... erschüttert zu sehen; sicher, sie waren nie besonders gut miteinander ausgekommen, dafür hatte Enrico sich einfach zu arrogant seinen Untergebenen gegenüber verhalten, aber... "Wenn du Zeit und Lust hättest, könnten wir ja hier irgendwo in ein Lokal gehen und reden..." Überrascht blickte Enrico Ray in die Augen, versuchte herauszufinden, ob der Andere ihn auf die Schleuder nehmen wollte. Dann lächelte er zögerlich: "Hört sich gut an..." Zu seinem eigenen Erstaunen machte es Enrico wirklich Spaß, sich mit Ray zu unterhalten. Entgegen seiner früheren Meinung redete der Schwarzhaarige nicht nur sinnloses Zeug, sondern hatte wirklich was zu sagen; dabei achtete er jedoch auch darauf, seinen Gesprächspartner nicht zu demütigen oder auf andere Art zu verletzen. Wer weiß, wären sie nicht für verschiedene Seiten tätig gewesen, hätten sie vielleicht tatsächlich so etwas wie Freunde werden können... Mit einem einzigen Satz schaffte Ray es, die gute Stimmung zu zerstören: "Kann sein, dass ich jetzt ein wenig zu neugierig bin, aber was machst du eigentlich hier auf der Erde?" Schlagartig wurde Enrico wieder bewusst, dass es falsch war, dass sie so einträchtig beieinander saßen, und auf einmal hatte er das Gefühl, in der schalen, abgestandenen Kneipenluft nicht mehr atmen zu können. Ohne genau zu wissen, weshalb er das überhaupt zugab, stammelte er: "Na ja, ich... Ich hatte Streit mit einem Arbeitskollegen." "So, wie du das sagst, ist er mehr als nur ein Arbeitskollege für dich.", auch wenn er das bei Enricos ganzen Weibergeschichten nie für möglich gehalten hätte, erkannte Ray doch instinktiv, was los war. "Nein... Nein, das ist Oliver tatsächlich nicht. Aber dummerweise hat er wegen meiner Vergangenheit begründete Zweifel daran, dass ich es ernst meine." Verdammt, warum hatte er das schon wieder gesagt? "Hast du es ihm denn zu beweisen versucht?" "Ich wollte mit ihm drüber reden, aber er hat abgeblockt. Und ansonsten fällt mir nichts ein, was ich machen könnte." Aufmunternd lächelte Ray ihm zu: "Warum probierst du es nicht mit Blumen? Ich hatte zwar noch nicht sonderlich viele Fälle, in denen ich zwei Männer verkuppeln sollte, aber bei Frauen funktionieren sie als Entschuldigung meistens recht gut. Und wenn du Hilfe benötigst, können wir ja gemeinsam einen Strauß kaufen gehen..." "Danke. Ich... Hilfe wäre wirklich wunderbar." Enrico wusste, dass die Situation mehr als bizarr war; mit dem Mann, dessen Arbeit er sabotieren sollte, zum Floristen zu stapfen und ein Geschenk zu kaufen entsprach ganz sicher nicht den gesellschaftlichen Normen. Und doch... Vom Zentrum der Spirale aus Wahnsinn, in der er grade feststeckte, betrachtet schien es vollkommen schlüssig zu sein. Falls er je eine Beziehung mit Oliver führen wollte brauchte er die Unterstützung eines Profis - Ray war das. Das hatte nichts mit ihrem Job zu tun. Und wenn man es genau betrachtete, war Enrico ja auch grade gar nicht richtig im Dienst... Im Grunde wusste Ray selbst nicht so genau, warum er angeboten hatte, Enrico zu helfen. Logisch betrachtet hatte er nach all dem Ärger, den der Blonde ihm in der Vergangenheit bereitet hatte, nicht die mindeste Veranlassung dazu. Aber ebenso traf es nun mal auch zu, dass Ray schon immer ein Gefühlsmensch gewesen war, und dass ihn Enricos gegenwärtige Situation nur zu schmerzlich an seine eigene erinnerte. Sich alle weiteren in diese Richtung gehenden Gedanken verbietend, winkte der Engel einen Kellner zu sich heran, um den Espresso und das Wasser zu zahlen, die er getrunken hatte. Keine Viertelstunde später standen sie in einem auf den ersten Blick unscheinbaren Blumenladen, der jedoch bei genauerer Betrachtung über eine geradezu unerhört große Auswahl an verschiedenen Pflanzen verfügte. Ob Sonnenblumen, Rosen, Stiefmütterchen oder Dahlien - alles war hier zu finden, unabhängig davon, ob die richtige Jahreszeit für diese Blumen war oder nicht. "Und, hast du schon eine ungefähre Ahnung, was das Richtige für deinen Angebeteten wäre?" "Na ja...", ratlos sah Enrico sich um; inmitten all dieser Formen, Farben und Gerüche kam er sich ein wenig verloren vor... Sein Blick fiel auf einen Eimer voller weißer Blumen, die ihn mit ihren sechs sternförmig angeordneten, an den Spitzen leicht nach unten gebogenen Blütenblättern sofort in ihren Bann zogen "Wie wäre es mit denen?" "Ah, Lilien - Symbol für Reinheit und Unschuld. Ja, das dürfte passend sein...", lächelnd suchte Ray einige besonders schöne Exemplare aus und überreichte sie der Floristin: "Die hier bitte." Bedächtig nickend machte die Frau sich an die Arbeit, strafte ihr augenscheinliches Alter von Ende Fünfzig, Anfang Sechzig Lügen durch die Geschicklichkeit mit der sie in Sekundenschnelle einen prachtvollen Strauß gebunden hatte. Die Blumen mit Papier unwickelnd, sah sie noch einmal auf: "Sonst noch irgendetwas?" Ray wollte schon verneinen, da blieben seine Augen an etwas hängen: Ein einfaches Gesteck, bestehend aus einigen Tannenzweigen und einer einzelnen, roten Kerze. Weder überwältigend an Schönheit noch an Einfallsreichtum, aber dennoch löste es bei ihm ein Gefühl von ... Sympathie aus. Unwillkürlich musste er an einen mit einem Phönix verzierten Marmorgrabstein denken und daran, dass dieser mit ein wenig Zierrat wohl nicht mehr ganz so kahl und trostlos wirken würde... "Ja, ich nehme noch das hier.", ohne weiter drüber nachzudenken kramte Ray sein Portemonnaie hervor und bezahlte sowohl den Blumenstrauß als auch das Gesteck. Als Enrico dem widersprechen wollte, winkte er ab: "Schon in Ordnung; betrachte es als meinen Beitrag dazu, aus dir einen Ehrenmann zu machen. Schönen Tag noch!" Dem Blonden die Lilien in die Hand drückend, verließ Ray den Laden und machte sich auf den Weg zum Friedhof. Ohne Kais Gesellschaft wirkte die Einsamkeit der friedlich daliegenden Gräber sogar noch bedrückender. Orte wie dieser sorgten mit ihrer Ruhe dafür, dass man seinen Gefühlen nachhing, und momentan war Ray mit seinen Gefühlen hoffnungslos überfordert. Er fühlte sich allein, verloren in einem Chaos aus Gedanken und Emotionen, die er nicht verstand. Und genau das war das deprimierende daran, immerhin war es sein Beruf, eben diese Empfindungen bei anderen Menschen zu fördern. Bei allen anderen bekam er das auch problemlos hin, also warum konnte er selbst nicht einfach aussprechen, dass er Kai... Seufzend stellte Ray das Gesteck auf dem Grab von Kais Eltern ab, zündete die Kerze mit einem Einwegfeuerzeug an, das er auf dem Weg hierher noch rasch in einem Supermarkt besorgt hatte. Er konnte es nun mal nicht. Kai war sein Auftrag, ein ziemlich problematischer noch dazu, da konnte er es sich nicht leisten, dessen mögliches Lebensglück zu gefährden, indem er mehr für seinen Schützling empfand als für sie beide gut war. Zumal Kai jetzt endlich all das zu finden schien, was er immer gesucht hatte... Aber obwohl er all das wusste, tat diese Entscheidung weh. Verdammt weh sogar. Eine behandschuhte Hand legte sich sanft auf Rays Schulter. Als er sich umdrehte, stand Mariah vor ihm: "Hallo Ray; Ich wollte nur mal vor Ort überprüfen, wie Sie mit dem Auftrag zurechtkommen. Und, schon irgendwelche Fortschritte mit Kai gemacht?" Mit ausdrucksloser Miene sah Ray seine Vorgesetzte an, brachte kein Wort hervor. Sie musste doch ganz genau wissen, was er für Kai empfand. Und damit war klar, dass er von dem Fall abgezogen werden würde... Theatralisch aufseufzend, setzte Mariah das Gespräch in einem vertrauteren Tonfall fort: "Schön, dann sprichst du's eben nicht aus; wir wissen schließlich beide, was los ist. Morgen werden die restlichen Möbel vorbeigebracht, damit du dich soweit in deinem Zimmer einrichten kannst." Sie wollte sich zum Gehen wenden, da packte Ray sie am Handgelenk: "Warte, ich ... hätte da eine Frage." Leicht verzogen sich Mariahs Mundwinkel nach oben: "Schieß los..." "Hat... Hat sich schon mal jemand aus unserer Abteilung in einen seiner Schützlinge verliebt?" "Einmal. Schwierige Geschichte das Ganze; der arme Kerl verliebte sich so sehr in ein Mädchen, das er eigentlich mit einem völligen Taugenichts hätte verkuppeln sollen, dass er alle Befehle ignorierte und stattdessen mit ihr durchbrannte. Wie man sich vorstellen kann, waren weder ihre Familie, noch seine leitenden Vorgesetzten besonders glücklich drüber..." "Und... was ist aus ihm geworden?" "Nun, gegenwärtig ist er unser beider Arbeitgeber...¹", mit einem verschwörerischen Zwinkern umarmte Mariah Ray, "Bis morgen!" ~~~ ; ~~~ Mit einer Mischung aus Verwirrung und Ekel sah Voltaire dabei zu, wie Rei, die Mitbewohnerin seines Enkels eine andere Frau umarmte, als ob sie sie nie wieder loslassen wollte. Dabei fiel ihm auf, wie groß Rei für eine Frau war, und dass sie bei genauerer Betrachtung über noch weniger Oberweite verfügte, als es so schon den Anschein gehabt hatte. Und dann ging ihm auf, dass nicht jedes Wesen mit langen Haaren auch tatsächlich eine Frau war. "Dieser Bastard!", murmelte Voltaire und wusste dabei nicht mal genau, ob er Kai oder diesen Möchtegerneunuchen da vorne meinte. Er wusste nur, dass er betrogen worden war, und das war etwas, was das Ego einen Voltaire Hiwatari nur schwerlich verkraftete... Ein fieses Grinsen machte sich auf dem Gesicht des alten Mannes breit. Nachlässig ließ er die Blumen fallen, die eigentlich für das Grab von Kais Eltern gedacht gewesen waren, zog stattdessen sein Handy hervor und tätigte einen gezielten Anruf: "Tala, hier Voltaire. Ich habe da einen Auftrag für dich und deine Jungs..." ~~~ ; ~~~ Auch wenn Oliver sich das nicht gerne eingestand, so fühlte er sich doch bedeutend besser, als Enrico endlich zurückkehrte. Er fühlte sich mies wegen seinem Verhalten; Enrico hatte versucht sich ihm anzuvertrauen und alles, was er fertig gebracht hatte, war, seinen Schmerz und seine Wut an ihm auszulassen. Ein schöner Freund war er! Unsicher biss Oliver sich auf die Unterlippe: "Hallo.." "Hi.", auch Enrico wusste nicht so recht, wie er sich am Besten verhalten sollte. "Ähm... Die hier sind für dich, als Entschuldigung sozusagen...", mit zitternden Händen überreichte er Oliver den Strauß Lilien. Verwirrt starrte Oliver die Blumen an: "Danke, sie sind wunderschön. Aber warum denkst du, dass du dich bei mir entschuldigen musst?" Wenn überhaupt, dann war er doch derjenige, der einen Fehler gemacht hatte... "Mir ist klar geworden, dass es falsch war, dich so mit meinen Gefühlen für dich zu überfahren. Doch nachdem ich mit Emily drüber gesprochen hatte und sie mir gesagt hat, dass du genauso für mich empfindest... Ich weiß, dass du Zeit brauchen wirst, um mir zu vertrauen, aber... Es wäre wirklich schön, wenn du soviel Geduld für mich aufbringen könntest.", erst jetzt wagte Enrico es wieder, seinem Kollegen in die Augen zu sehen. "Du... Du meinst, du hast mit Emily einfach nur darüber geredet, dass du..." "Dass ich mich in dich verliebt habe, ja. Ich hoffe, du bist mir nicht zu böse deswegen..." Böse? Im Moment hätte Oliver eher vor Erleichterung laut loslachen können, so surreal war die ganze Situation... Stattdessen warf er die Blumen in seiner Hand auf den nächstbesten Schreibtisch und schlang dann seine Arme um Enrico: "Wir sind doch echt zwei gottverdammte Idioten!" "Mit dem gottverdammt könntest du recht haben...", lächelnd hauchte Enrico Oliver einen Kuss auf die Wange, "Aber wie ich schon sagte: Ich bin froh, hier gelandet zu sein, denn immerhin habe ich dich dadurch kennengelernt..." ~~~ ; ~~~ Gutgelaunt verließ Ray den Friedhof; nach dem Gespräch mit Mariah fühlte er sich bedeutend besser, zumal ihm er Besuch beim Grab von Kais Eltern noch mal zusätzlich Zeit gegeben hatte, über seine Situation nachzudenken... Es war nicht so, dass alle seine Probleme in Bezug auf Kai und seinen Auftrag schlagartig verschwunden waren, ganz sicher nicht, aber zumindest hatte er das Gefühl, wieder einigermaßen mit sich selbst im Reinen zu sein. Na ja, wahrscheinlich war es jetzt das Beste, erst mal nachhause zurückzukehren und den Dingen ihren Lauf zu lassen... Als der Engel sich gerade auf die Suche nach der nächstgelegenen Haltestelle begeben wollte, wurde er von hinten unsanft am Kragen gepackt und herumgewirbelt. Während einer, ein blonder Hüne mit der Statur eines Panzerschrankes, ihn weiterhin festhielt, bauten sich drei weitere Typen vor ihm auf. Zwei von ihnen - ein grauhaariger Zwerg mit Kartoffelnase und ein Kerl, der mit seinen kinnlangen lilanen Haaren und seiner mit Pelz besetzten Weste irgendwie nach Schafshirte aussah - standen einfach nur herum, doch ihr offensichtlicher Anführer, ein Rotschopf mit kalten, eisblauen Augen, packte Rays Haare und zog dessen Kopf gewaltsam auf seine Augenhöhe: "Nicht so schnell, Freundchen! Du hast einen Kunden von uns verarscht und dem gefällt das so gar nicht..." Nur mühsam konnte sich Ray ein schmerzerfülltes Zischen verkneifen: Seine Kopfhaut fühlte sich grade an, als würde jemand Unmengen glühend heißer Nadeln in sie stechen... Gleichzeitig brachte der Schmerz jedoch auch wieder Klarheit, löste ihm aus dem Schockzustand heraus, indem er sich bis eben noch befunden hatte. Verzweifelt begann er herumzustrampeln, versuchte alles, um sich aus Griff des Blonden hinter ihm herauszuwinden. Amüsiert sahen seine Angreifer ihm bei seinen vergeblichen Befreiungsversuchen zu, genossen offensichtlich seine Panik. Wahrscheinlich wussten sie genau, dass sie ihn dadurch dazu brachten, sich noch hilfloser, noch ausgelieferter zu fühlen... "Das Kätzchen vermisst seinen Kratzbaum - wie niedlich!", ein schadenfrohes Grinsen glitt über das Gesicht des Rothaarigen. Wut stieg in Ray auf, vermischte sich mit der Übelkeit, die er ohnehin schon ob der eigenen Schwäche empfand. Vielleicht konnte er ja tatsächlich nicht abhauen, und ganz sicher würden diese Brutalos in Grün und Blau schlagen, aber garantiert würde er das nicht einfach so kampflos hinnehmen. Nächstenliebe hin oder her, aber dieser Mistkerl vor ihm hatte definitiv einen Tritt in die Eier verdient... Einige Millisekunden starrte ihm sein Gegenüber ungläubig in die Augen, ehe er mit einem schmerzverzerrtem Keuchen zu Boden sank. Sofort war der Lilahaarige bei seinem Kameraden, schaute zuerst diesen, dann Ray mit einem ungläubig-mordlüsternen Glitzern in den Augen an. "Du verdammter...", mit voller Wucht rammte er Ray seine Faust in den Magen. Als wäre das ein Startschuss gewesen, stürzten sich auch die anderen Bandenmitglieder auf den Engel, fielen über ihn her wie eine Meute ausgehungerter Wölfe über die Beute. Jeder weitere Schlag, jeder Tritt ließ neue Qualen durch seine Nerven toben, bis alles in einer Kaskade aus Schmerz explodierte. Während alles um ihn herum immer dunkler wurde, hörte Ray plötzlich jemanden etwas in einer fremden Sprache schreien. Wie getretene Hunde hielten seine Angreifer in ihrem Handeln inne, drehten sich stattdessen zu dem Neuankömmling herum. Hastig wurden einige Worte ausgetauscht und dann rannten sie auch schon davon, ließen ihr Opfer einfach liegen. Das letzte, was Ray sah bevor sein Verstand endgültig in die Ohnmacht abglitt, war Kais Gesicht, das sich über ihn beugte. "Halt still!", entschlossen drückte Kai Ray eine kalte Dose Hering in Tomatensoße aufs Auge, nicht grade zärtlich, aber dennoch behutsamer als man es dem Blauhaarigen zugetraut hätte, "Du hast Glück, dass ich noch mal zum Grab meines Eltern wollte; andernfalls wäre die Sache nicht so glimpflich für dich ausgegangen..." "Das nennst du glimpflich?", schnaubte Ray und konnte nicht verhindern, dass er unter der Berührung des eisigen Metalls doch zusammenzuckte. Es tat ihm ja leid, wenn er Kais Arbeit dadurch erschwerte, aber ab gewissen Temperaturen reagierte der Körper nun mal empfindlich! "Oh, glaub mir, du bist noch gut dabei weggekommen... Ich kenne Tala, Bryan, Ian und Spencer seit meiner Kindheit. Und jetzt hör auf rumzumeckern und setz dich im Wohnzimmer auf die Couch; ich geh den Verbandskasten holen und dann sehe ich mir deine restlichen Wunden an.", kurzentschlossen packte Kai Rays eigene Hand zum Halten auf die Dose und scheuchte ihn dann aus der Küche heraus. Grummelnd leistete Ray der Aufforderung Folge; momentan hatte er einfach keine Kraft zum Streiten. War ja schon erbärmlich genug, wie er wieder hier angelangt war: Anscheinend hatte Kai ihn den ganzen Nachhauseweg getragen, denn er war erst wieder zu sich gekommen, als sein Schützling grade dabei war, mit ihm über die eine Schulter geschwungen den Wohnungsschlüssel aus der Tasche zu fischen und dann aufzuschließen. Und statt sich gegen eine solche Behandlung zu wehren hatte Ray es sich gefallen lassen, weil er viel zu sehr damit beschäftigt war rapide dahinhämmernde Stakkato seines Herzschlages wieder unter Kontrolle zu bringen. Mittlerweile hatte Kai auch seine Suche beendet und war ins Wohnzimmer gekommen. Sich neben Ray aufs Sofa setzend, stellte er den Verbandskasten auf dem Couchtisch ab und kramte eine Rolle Mullbinden hervor: "Zieh deinen Pullover aus." Sich ein Stöhnen verbeißend als er den rechten Arm hob, zog sich Ray besagtes Kleidungsstück über den Kopf - und wurde prompt mit einem angenehm dunklen Lachen seitens Kai belohnt. Stirnrunzelnd sah er seinen Schützling an: "Was?" "Nettes T-Shirt...", zwar hatte Kai sich wieder halbwegs in der Lautstärke eingekriegt, aber noch immer zuckte sein linker Mundwinkel verdächtig. Irritiert sah Ray an sich herab; er trug doch ein ganz normales schwarzes T-Shirt... das mit dem Bild einer Katze, die von einem Hund verfolgt wurde, sowie mit dem Untertitel "Fast Food" versehen war. Stimmte ja. "Hör auf zu grinsen; das macht mir Angst...", spaßeshalber schlug er Kai auf den Arm - und musste feststellen, dass auch das im Augenblick höllisch wehtat. Geistesgegenwärtig versuchte Ray von der Situation abzulenken, indem er auf ihr vorheriges Gespräch zurückkam: "Du hast vorhin gemeint, dass du meine Angreifer seit deiner Kindheit kennst; wie hast du das gemeint?" "Mein Großvater hat sie als Spielkameraden für mich aus einem russischen Waisenhaus rausgekauft; er wollte eben schon immer vollkommene Kontrolle über mein Leben haben... Wie dem auch sei, mal abgesehen von ihrer rabiaten Ader sind die Vier ganz in Ordnung. Zumindest waren sie die einzigen, die offen zugegeben haben, dass sie nur mit mir befreundet sind, weil ich reich bin." "Kai!", entsetzt sah Ray seinen Schützling an. Der verteilte unbeeindruckt weiterhin eine kühlende Salbe auf der Brust des Engels, ehe er vorsichtig den Verband um die einzelnen Verletzungen wickelte: "Das war nur ein Scherz - na ja, fast. Warum denkst du, dass ich mich so sehr dagegen wehre, mir eine Freundin andrehen zu lassen? Wenn ich mit jemandem zusammenbin, dann nur weil ich denjenigen wirklich mag, und ganz sicher nicht, weil es in die Firmenplanung meines Großvaters passt..." Heißer Atem strich über Rays Haut hinweg, machte ihm erst jetzt bewusst, wie nahe er und Kai sich momentan wirklich waren. Ihre Gesichter waren nur Zentimeter voneinander entfernt, als Kai sich zu ihm hinabbeugte und... Flüchtig hauchte der Blauhaarige ihm einen Kuss auf die Stirn, ehe er den Verband über Rays rechter Schulter verknotete und aufstand: "So, fertig!" An der Schwelle der Wohnzimmertür drehte Kai sich noch mal um, schenkte Ray ein Lächeln, das so rätselhaft wie das einer Sphinx war: "Ich wünsch dir noch schöne Träume..." ¹ Nun, zugegeben ist meine Darstellung von Amor und Psyche eine recht freie Interpretation; wer sich einen kurzen Überblick über die tatsächlichen mythologischen Hintergründe verschaffen will, dem sei http://de.wikipedia.org/wiki/Amor_und_Psyche ans Herz gelegt... Hosted by Animexx e.V. 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