Rêve Noir and Blue Fake von black_rain ================================================================================ I/8 --- Zitternd kauerte er sich auf die zirka eindreiviertel Meter lange rot-schwarz-gepolsterte Sitzfläche seiner Hängebank, die an drei Seiten von ebenfalls gepolsterten sehr hohen Lehnen umschlossen und nur durch eine unscheinbare in die Wand eingelassene Leiter zu erreichen war, da sie logischerweise unter der Decke hing. Er wusste, dass er Yasunari verärgert und jener in diesem Moment nicht daran gedacht hatte, und trotzdem tat es weh. Verzweifelt presste er die Lider zusammen und dennoch tauchten die Bilder seiner Vergangenheit wieder auf: Als kleines Kind hatte er gerne zugesehen wie seine Mutter zu besonderen Anlässen einen ihrer wunderschönen Kimonos, die er noch heute aufbewahrte, anlegte und ihr vergnügt geholfen, wenn sie sich schminkte und ihre Frisur kunstvoll zurechtlegte. Bevor sie ihren Mann, Nereis' Vater, kennen gelernt und ihren Beruf niedergelegt hatte, um dessen Frau zu werden, war sie eine der berühmtesten Kyotoer Geishas überhaupt gewesen, in ganz Japan bekannt sowohl angesichts ihrer Schönheit und Eleganz als auch ihrer Wortgewandtheit und ihres sanften, guten Charakters wegen. Nereis erinnerte sich gern daran wie freundlich, humorvoll und doch bescheiden sie gewesen war. Nur auf ihre langen, seidigen Haare, so wusste er, war sie immer sehr stolz gewesen und hatte daher ausschließlich einen ganz bestimmten der auf Geishas spezialisierten Friseure an diese herangelassen. Da jener aber ob seiner Gefragtheit nicht immer zur rechten Zeit verfügbar gewesen war, hatte sie mit viel Geduld gelernt, sich selbst zu frisieren, was ihr sowohl Spott als auch Bewunderung eingebracht hatte. Ja, er hatte seine Eltern aufrichtig geliebt... Aber im Gedenken an seine Mutter hatte er es auch nie wieder geschafft, jemanden zu frisieren, zu schminken oder einzukleiden, ohne nach einer Weile unter all den noch immer äußerst lebendigen Erinnerungen zusammenzubrechen. Allein bei ihm selbst ging es - und selbst das hatte eine Menge Zeit und zahllose psychosomatische[1] Krämpfe gefordert... Shays leises charakteristisches Klopfen schreckte ihn aus seinen Gedanken, doch er antwortete nicht, konnte nicht antworten, wegen dem dicken Knoten in seiner Kehle und den zahllosen Tränen, die unzählige erstickte Schluchzer mit sich brachten und so seinen Körper erbeben ließen. Hilflos lauschte er, wie Shay das Zimmer betrat und durchquerte, schnell und gewandt die Leiter hinaufkletterte, um neben ihm Platz und Nereis rücklings in seine Arme zu nehmen, ihm sinnlose aber tröstliche Laute ins Ohr zu hauchen. Dennoch wagte er es nicht, sich umzudrehen und Ayumi anzusehen, denn _er_ war der einzige Teil seiner Vergangenheit, den ihm die Zeit in die Gegenwart hinübergerettet hatte und er fürchtete sich davor, gerade jetzt in die wunderschönen goldgesprenkelten schwarzen Augen zu sehen, weil er wusste, dass er _ihren_ Verlust nicht eine Sekunde lang ertragen würde und ihm im Augenblick schon die bloße Vorstellung den Verstand geraubt hätte. "Hey... Kleiner...", flüsterte Ayumi ihm sanft ins Ohr. Verzweifelt drückte er sich noch mehr in die wärmende Umarmung. "Bitte, Nereis, hör auf zu weinen... Du weißt doch, dass ich es nicht ertrage, wenn du traurig bist... Sh... komm schon, Rei, hm?" "Ich... ich...", würgte Nereis hervor und musste wieder abbrechen. "Hab keine Angst, Nereis... wir sind doch Freunde, oder? Nicht einmal der Tod wird mich dir je wegnehmen können, hörst du? Egal was ist, ich werde immer bei dir sein, mein Kleiner...", hauchte Ayumi ihm zu - und ließ die Dämme brechen. Verzweifelt fuhr er herum, klammerte sich haltlos an den Menschen, der für ihn _alles_ darstellte, was er brauchte... Er wusste nicht, wie Shay erraten hatte, was ihm durch den Kopf gegangen war, aber er wusste, dass ihm dieses Versprechen, so romantisch-naiv es auch war, mehr bedeutete, als alle Liebesgeständnisse der ganzen Welt - und sogar mehr, als sein eigenes Leben... - - - - - - [1] Psychosomatisch nennt man Krankheiten etc., die allein durch seelische Probleme etc. ausgelöst und auch ausschließlich von ihr beeinflusst werden. D.h. jemand kann rein körperlich vollkommen gesund und trotzdem nahezu sterbenskrank sein. Es wird auch vermutet, dass zum Beispiel der Tod von Leuten, die kurz nach einem geliebten Menschen wie etwa dem Ehepartner sterben, ebenfalls durch psychosomatische Reaktionen ausgelöst wird. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)