Absolutely Black Rain von black_rain ================================================================================ C(L)OVER Your Heart, Black Rain ------------------------------- Disclaimer: Von vorne bis hinten alles meins, bis auf die extra gekennzeichneten Texte! Wer sich was ,ausleihen' will, soll bitte vorher um Erlaubnis fragen. Der Bananen-Kleeblütentee ("Momente des Glücks") ist auch wieder von Meßmer ^-^ Kommentar: WAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAHHHHHHH O.O Waahnsinn! Ein Jubiläum! Der ZEHNTE ACT! *hibbelig hin- und herrenn* *stolpert und schlägt sich das Knie auf* *springt wieder auf, rennt weg und kommt mit Partyhüten und Champagner wieder* Ich fass es nicht O.O Kneift mich mal jemand? Da hab ich gerade nichts ahnend den zehnten ACT angefangen, hab mir nur schnell den Header rüberkopiert und das Teil: 09b/? in Teil: 10/? umgeändert und was fällt mir da auf: Ich habe tatsächlich gerade eine ZEHN eingetippt... Frauofrau... *knutscht ihre Charas ab* Mensch, ich glaub einfach nicht, dass ABR nun schon so lange geht... Ihr entschuldigt also meine _kleine_ Euphorie ^^° An dieser Stelle möchte ich also gleich noch mal allen danken, die mir bei ABR auf ihre Weise so tat- und ratkräftig zur Seite standen und stehen und natürlich auch all den Lesern, die mir bis zu diesem Jubiläum treu geblieben sind... Ihr seid schon ein Volks für euch - und ich hab euch alle wahnsinnig lieb ^-^ Also: Lasst uns anstoßen auf unser Jubiläum - Und auf weitere zehn Teile von ABR ^__^ *klirr klirr* Aber nun mal zurück zur Story selbst... Wisst ihr, was ich - ohne mich selbst loben zu wollen ^^° - an ABR mag? Dass jeder Charakter, und sei es eigentlich auch nur eine Nebenfigur, seine ganz eigene, vorbestimmte "Aufgabe" hat, die nur er erfüllen kann und ohne die das ganze Gefüge in sich zusammenbrechen würde. Eben genau wie im Leben. Natürlich ist Abhängigkeit kein gutes Wort, aber so gesehen gefällt es mir doch, dass jeder jeden auf direkte oder indirekte Weise braucht - denn dies soll ja eine realistische Geschichte sein und ist es denn in der Realität nicht auch so, dass jeder Mensch die Hilfe anderer Menschen braucht? Es mag Einsiedler geben, aber auch Robinson Crusoe brauchte seinen Freitag, in Cast Away macht sich Tom Hanks eine Kokosnuss zum Ersatzgefährten, Kinder sprechen mit ihren Puppen und Kuscheltieren oder haben unsichtbare Freunde. Und genau das ist es doch, was einen Menschen ausmacht: Dass er andere Menschen braucht, um ein Mensch zu sein. Öhm ja, irgendwie hab ich das Gefühl hier grade geschwollenen Mist verzapft zu haben, aber egal -.-° - lasst euch nicht von meiner Möchtegernphilosophie stören Tjaja... wie im Kommi zu ACT 9 erwähnt, hab ich die geplante vierte Volume abgetrennt und hier rüber gerettet... nur sind aus einer Volume mittlerweile schon 5 geworden und während ich das hier schreibe (der Kommi wird mal wieder Stückchenweise Tag für Tag zusammengepfriemelt) bin ich noch nicht mal fertig >.< Dafür werde ich die letzte von ungefähr 9 geplanten Volumes mal wieder abtrennen (nur für die die davon wussten, damit ihr euch nicht wundert...). Diesmal nicht aus Zeitmangel, sondern weil es vom Zusammenhang nicht mehr zum Rest gehört und auch zeitlich gesehen nicht. So habe ich lieber alles an einem Stück. Es hätte auch wirklich merkwürdig gewirkt, glaubt mir (und seid nicht allzu traurig, ya? ^^°). Ein großer Dank gilt übrigens Apocalyptica deren neues Album mich sehr inspiriert hat. Ohne diese grandiose Musik hätte ich es diesen Monat wohl echt kaum geschafft, rechzeitig zum (was sag ich, sogar noch ein bisschen früher VOR dem) Obishi-Update fertig zu werden, weil ja Sylvester, Skilager etc. etc. mir die Hälfte meiner Schreibzeit diesen Monat weggenommen hatten >.< Aber egal: Jetzt erst mal viel Spaß mit dem Jubiläums-ACT von ABR ^-^ Act Ten: C(L)OVER Your Heart, Black Rain ~ Für Brian, einen wundervollen Freund, der sich trotz seiner Männerliebe mit einem Weibchen wie mir abgibt *knutsch und ihn zu meinen Charas schieb* ~ VOLUME 1 . . . ~ Aus dem Postkartenkalender "Lebenszeichen" 2005: ~ März - "Das Schönste und wichtigste lässt sich nicht mit Worten sagen. Es ist auf einmal da, ein Blick, ein Lächeln, ein Schweigen. Ein Nichts, das alles sagt." Mai - "Gelassenheit ist der Garten, in dem Zufriedenheit und Glück blühen." Juni - "Freundschaft ist eine Tür zwischen zwei Menschen. Sie kann manchmal knarren, sie klemmt hin und wieder, aber sie ist nie verschlossen." November - "Schatten, die auf unser Leben fallen, sind nichts anderes als ein sicheres Zeichen dafür, dass es irgendwo ein Licht geben muss, dass es sich lohnt zu suchen." Dezember - "Um vor Freude zu strahlen, beginne mit einem einfachen Lächeln. Auch eine kräftige Flamme entsteht aus einem winzigen Funken." . . . Auriel und Rain hatten sich dazu entschlossen, Essen zu gehen. Zwar hatte Auriel im Moment keinen großen Hunger, aber wenn Rain mal wirklich Hunger hatte - was ja selten genug der Fall war -, dann wollte er dem ganz bestimmt nicht im Wege stehen. Leider schien Rain ähnlich gedacht zu haben, denn er bestellte sich nur einen Salat - und selbst das wohl mehr wegen seiner guten Erziehung. Und die hatte er wirklich. Er war zwar manchmal ganz schön dreist und nahm sich immer wieder was er wollte, aber er konnte auch ebenso galant und charmant sein, und Auriel war sich gewiss, dass der Schauspielstudent es auch vermochte sich selbstsicher durch die höhere Gesellschaft zu bewegen, wenn er sah, wie der Langhaarige sein Grünzeug fachkundig in mundgerechte Stücke zerschnitt und selbst bei dieser Tätigkeit seine beinahe überirdischen Grazie nicht fehlen ließ. Auch der schwarzhaarige Kunststudent hatte sich erst einmal auf einen leckeren Salat verlegt, da er sich sicher war, dass er bei einer richtigen Hauptspeise bestimmt die Hälfte stehen gelassen hätte. Er würde schon noch früh genug Hunger kriegen, das war gar keine Frage. Bei Silius sah die Sache schon anders aus und nach einer Weile, die er sein Gegenüber stillschweigend beobachtet hatte, während er nachdenklich an seinem eigenen Salat kaute, seufzte er schließlich besorgt: "Rain, du isst einfach zu wenig!" "Du isst aber auch nicht gerade viel!", konterte Rain und ließ sich eine schwarze Olive auf der Zunge zergehen. "Ich hab eben noch keinen richtigen Hunger!", verteidigte sich der Jüngere und fragte sich, wie der Ältere es nur immer schaffte - und vor allem _so schnell_ schaffte - vom Angegriffenen selbst zum Angreifer zu werden. Der zuckte nur mit den Schultern und spießte ein Stück Tomate und ein wenig Feta auf, die zwar so gar nicht typisch thailändisch waren, aber trotzdem gut schmeckten. "Siehste - ich auch nicht!" Auriel verdrehte die Augen. "Aber du hast _nie_ Hunger - ich schon!" Silius antwortete nicht, verzog seine Lippen nur zu einem sonderbaren Lächeln. "Rain...", klagte der Grünäugige. "So kann das doch nicht weitergehen! Es ist okay, wenn du Vegetarier bist - ich ess ja selber kein Fleisch. Aber irgendetwas _musst_ du essen!" Das Lächeln vertiefte sich, ging auf Rains glitzernde Augen über. "Du musst dir keine Sorgen um mich machen, Auriel, ich pass schon auf, dass ich nicht umkippe oder magersüchtig werde." Der Jüngere biss sich auf die Unterlippe, schüttelte dann den Kopf und sagte ernst: "Silius, wenn das weiter so geht, frage ich mich bald ernstlich, ob du nicht schon magersüchtig _bist_! Du isst ja manchmal den ganzen Tag nur, was ich allein zu Mittag essen würde." Rain lachte. "Das kannst du nicht vergleichen, mein kleiner Naschkater. Bei deinem hohen Energieausstoß hat sich ein Frühstückstoast ja auch schnell in Luft aufgelöst!" "Was bedeutet das eigentlich genau, dass du einen zu niedrigen Energieausstoß hast?", fragte Auriel, wo sie schon einmal bei dem Thema waren. Wieder zuckte der andere Student nur mit den Schultern, nahm ein Stück Salat auf seine Gabel, schob es sich aber nicht in den Mund, sondern hielt es weiterhin so über seinen Teller, dass Auriel es gut sehen konnte, aber nichts von der Olivenölvinaigrette daneben ging. "Stell dir dieses Blatt vor wie eine Batterie und dich selbst als... sagen wir einen Discman. Der Discman verbraucht die Energie und wenn er an den Punkt kommt, wo die Energie nicht mehr genug ist, geht er aus. Er wird aber nicht die ganze Energie verbraucht haben, sondern es wird ein kleiner Rest in der Batterie übrig geblieben sein, der nur einfach nicht mehr ausreichte. Du brauchst zum Beispiel vielleicht mindestens vier Energieeinheiten, um zu laufen, aber es sind nur noch zwei Einheiten übrig, also gehst du aus ohne die anderen noch verwertet zu haben. Mich musst du dir jetzt als ein Gerät mit einem höheren Mindestverbrauch vorstellen. Das heißt, dass ich schneller ausgehen würde. Der Vergleich stimmt zwar insofern nicht, dass ich keinen höheren Bedarf habe als du vielleicht, aber ich kann die im Essen gebundene Energie nicht so gut verwenden und gebe viel mehr wieder ungenutzt ab als üblich. Entsprechend fährt mein Körper hier und da die Leistung runter um mit dem auszukommen was er kriegt - deswegen bin ich auch immer etwas kühler als andere. Eigentlich bin ich einfach kein guter Futterverwerter... okay, miserabel wäre zutreffender, aber mein Ego mag das Wort nicht." "Aber, wenn du das Essen schlechter verwertest, müsstest du ja trotzdem mehr essen als ein normaler Mensch um die gleiche Energie zu kriegen, oder?", setzte der Kunststudent nach. "Ja schon", erwiderte der schwarzhaarige Beau gedehnt. "Aber ich hab halt einfach nicht so den Hunger... Ich meine, ich verwerte es vielleicht nicht so gut wie du, aber deswegen ist mein Magen auch nicht größer... Mag sein, dass ich ein bisschen zu dünn bin, aber ein Gerippe bin ich ja nun auch noch längst nicht - habe ich auch nicht vor, übrigens, denn ich mag mich so wie ich bin - und große Menschen - besonders Männer - nehmen nun mal auch nicht so schnell zu, wenn man nicht alles in sich reinstopft. Schließlich muss sich das ja dann auf viel mehr Fläche verteilen..." "Es würde trotzdem nicht schaden, wenn du ein bisschen mehr essen würdest", seufzte Auriel. "Und regelmäßiger!" "Ist ja schon gut", gab Rain die Hände in die Luft werfend klein bei und verdrehte die Augen. "Aber beschwer dich ja nicht, wenn ich dich irgendwann mal _aus Versehen_ überrolle!" Der Kleinere beschloss nicht darauf zu antworten und versetzte dem Blauäugigen nur einen strafenden Blick. Das Ziel seiner Blickspeere zuckte nur mit den Achseln und stand dann auf, um noch etwas zu trinken für sie zu holen. Befriedigt konnte er jedoch ebenfalls hören, wie Silius außerdem noch grünes Thai-Curry mit Tofu für sie beide bestellte, und auch wenn er sicher nicht alles schaffen würde, erleichterte es ihn. Wie er sich ehrlich eingestehen musste, machte er sich schon längst viel mehr Sorgen um den Älteren, als er vor anderen je zugegeben hätte. /Außerdem muss ich es ja nicht bezahlen/, grinste er in Gedanken, da Rain schon beim Betreten des Restaurants verlauten lassen hatte, dass er Auriel einladen wolle. "So - geteiltes Leid ist halbes Leid", kommentierte Silius seine doppelte Bestellung trocken, während er Auriels Lycheesaft und seine Kokosmilch abstellte. "Du wirst es überleben - Speckröllchen musst du ja wohl kaum befürchten", frotzelte er und sein Versuch, Rain beweisend in den Bauch zu kneifen, scheiterte kläglich, weil der andere nun mal wirklich kein Gramm überflüssiges Fett an seinem Körper hatte und der trainierte Bauch unter dem knappen Shirt zwar auf athletische aber nicht protzige Weise muskulös war, seinen Fingern jedoch keine _Angriffsfläche_ bot. Rain bedachte sein Scheitern - und wahrscheinlich auch die gesamte auch auf andere Weise auslegbare Geste - nur mit einem amüsierten Grinsen und ging mit aufreizendem Hüftschwung um den kleinen Zweimanntisch herum, um sich wieder zu setzen. Dummerweise übersah er eine ihrer Einkaufstaschen und stolperte prompt, fand zwar sein Gleichgewicht wieder indem er einen Ausfallschritt nach vorne machte, stieß dabei aber mit dem Knöchel unglücklich gegen ein Stuhlbein. Der schöne Student verzog das Gesicht, begann jedoch nicht rumzujammern, grummelte lediglich ein bisschen verstimmt etwas, das sich wie "Was haben diese Einkaufstaschen auf _meinem_ Weg zu suchen? Wenn ich den erwische, der sie dazu angestiftet hat..." anhörte. "Sehr schlimm?", erkundigte sich der Ephebe mit schlechtem Gewissen, da _er_ es gewesen war, der sie da hingestellt hatte, in der Annahme, sie wären dort für jedermann gut sichtbar. Dabei hätte er eigentlich wissen müssen, dass Rain _niemals_ ,jedermann' war - egal in welcher Hinsicht. "Ach was, geht schon", wehrte Rain ab und rieb sich bloß halbherzig ein bisschen den linken inneren Knöchel. Plötzlich aber stutzte Auriel, nahm Silius' Fußgelenk näher in Augenschein und sah überrascht zu ihm auf. "Ich wusste nicht, dass du ein Tattoo hast - und noch dazu an so einer ungewöhnlichen Stelle!" "Du hast nie gefragt", gab der Blauäugige gleichmütig zurück, doch die meerfarbenen Seelenfenster leuchteten und glänzten ihn wie zwei besonders helle Sterne in einer klaren Neumondnacht an. "Ist das chinesisch oder so? Und was bedeutet es?" "Das ist japanisches Hiragana und bedeutet ,Mondblut'." Auriel musste lächeln. Irgendwie hätte er sich ja denken können, dass Rain bestimmt irgendwo ein Tattoo hatte. Andererseits hatte er sich auch wieder kein Tattoo vorstellen können, das zu diesem elfenhaften Körper und dem rätselhaften Charakter seines Mitbewohners passen sollte. Aber da es an dieser ungewöhnlichen Stelle war und auch die Bedeutung der schwarzen Linien seinem mysteriösen Wesen gut entsprachen, passte es irgendwie doch und das sagte er seinem Gegenüber auch. Ja... Mondblut... Es klang mysteriös, wie die Majestät des nächtlichen Firmaments mit dem dunklen Hauch fließenden Blutes darüber, das zugleich die sonderbare, manchmal erschreckend schöne Ästhetik des Schmerzes in sich verbarg... Der besagte Mitbewohner zuckte nur mit den Achseln und fragte dann neugierig: "Du hast aber keins, oder?" Der schwarze Schopf wurde durch ein Kopfschütteln sachte durch die Luft gewirbelt. "Nein. Aber vielleicht lass ich mir irgendwann eines stechen - mal schaun..." "Na da bin ich dann aber mal gespannt", lächelte Rain und ließ sich seine Kokosmilch schmecken. Bald darauf kam dann auch ihr Curry und schon nach wenigen Bissen musste Auriel erstaunt feststellen, dass das leckere Essen seinen Appetit deutlich angeregt hatte und selbst der Ältere griff mit durchaus normalem Hunger zu - was bei seinen Maßstäben also Rekordversuche bedeutete. "Sag mal, für wen war eigentlich der Brief, den ich letztens mal für dich mit zur Post genommen hatte?", fragte Silius zwischen zwei Bissen, deutlich zögernd. Auriel verschluckte sich an seinem Reis und starrte seinen Mitbewohner entgeistert, um nicht zu sagen entsetzt, an. "Du hast WAS???" "Na er lag auf deinem Schreibtisch, zugeklebt und mit Adresse und allem und da hab ich halt gedacht, dass du nur noch nicht dazu gekommen bist, ihn abzuschicken..." "Falsch gedacht", stöhnte Auriel. Plötzlich war ihm der Hunger vergangen... /Das ist doch mal wieder typisch männliche Intuition: Er hat _gedacht_.../ "Was... was war das eigentlich für ein Brief an... deinen Vater? Er war doch an deinen Vater, nicht nur an einen Onkel, oder? Ich dachte, du bist abgehauen und ihr versteht euch nicht besonders gut, weil er doch getrunken hat und so... Erzählst du mir etwas darüber oder ist es zu schwer für di- oh tut mir Leid, ich hätte eigentlich gar nicht erst fragen dürfen. Wenn du es wollen würdest, hättest du es mir ja schon längst erzählt... Tut mir Leid, das war dumm von mir... Aber du, Auri, ich will dir ja nicht zu nahe treten, aber ist dein Vater vielleicht _der_ ...Ephebe? M.G. Ephebe? Der Autor? Weil auf dem Brief Martin Günther stand und da würden die Initialen ja passen...." Einen Moment war er versucht, einfach in verbissenes Schweigen zu verfallen, doch er sagte sich, dass es Rain gegenüber nicht fair gewesen wäre. Er konnte ja wirklich nichts dafür - Auriel war selbst schuld, wenn er ausgerechnet einen solch bedeutungsschweren Brief so unbedacht rumliegen ließ. "Ja", antwortete er also einsilbig und tonlos. Ihm war schlecht. Was würde sein Vater denken, wenn er den Brief las. Würde er ihn _überhaupt_ lesen? Im selben Moment fragte er sich, ob diese... _Frau_ wohl seine Briefe öffnete, bevor sie ihm diese gab. Silius sah ihn nachdenklich und zugleich betroffen an, und am liebsten hätte Auriel ihm in jenem Augenblick den Mund zugenäht, damit er einfach schwieg, aber er wusste, dass er diese Konfrontation eines Tages so oder so hinter sich hätte bringen müssen - und eigentlich war ein Augenblick so denkbar schlecht wie der andere. "Mann, das ist vielleicht verrückt. Ich habe soviel von ihm gelesen und ihn so sehr für seinen Stil und all die klugen Gedanken bewundert und immer geglaubt, Silius, das muss ein Mann von wahrer Stärke und Größe sein - genauso wie du mal werden willst... Ich hätte nie geglaubt, dass er in der Realität Alkoholiker und so ein miserabler Vater ist..." Auriel riss sprachlos den Mund auf, rief dann heftig: "ER IST KEIN MISERABLER VATER!" Erschrocken über seine eigene Heftigkeit zuckte er ein wenig zusammen, sprach dann aber leise weiter: "Er ist _mein_ Vater und der beste, den ich je haben konnte... er... kann ja nichts für die Tragödien des Lebens und dafür, dass er auf dieses Biest reingefallen ist schon gar nicht... er ist schließlich auch nur ein Mensch... Aber...", er senkte traurig den Blick und fühlte sich wie ein Stückchen reinster Dreck, "ich wünschte, du hättest den Brief nicht abgeschickt... Ich glaube nicht, dass ich jetzt schon stark genug bin, ihm nach meinem Verschwinden wieder in die Augen zu sehen... Schließlich bin ich damit doch selbst nicht besser... Ich habe ihn wie ein Feigling im Stich gelassen und kann mich einfach nicht dazu überwinden, mich umzudrehen und auf das zurückzublicken, was ich hinter mir gelassen habe..." Rain sah ihn mit einem so direktem Blick an, dass er eine größere Durchschlagskraft als ein Armbrustbolzen haben musste, und Auriel fühlte sich wieder einmal durchleuchtet wie von zwei Laserstrahlen. "Du bist sehr stark, Auriel, und ich bewundere dich dafür. Aber trotzdem... Was willst du eigentlich? Meine Eltern sind tot - ich werde sie nie wieder sehen. Damit muss ich klar kommen und versuchen, das Beste daraus zu machen. _Du_ weißt nicht, wo deine leibliche Mutter ist, aber zumindest deinen Vater hast du noch und du weißt verdammt noch mal ganz genau, dass er dich liebt und dass er deine Hilfe braucht. Ich werde nicht sagen, dass wegrennen nichts bringt oder falsch ist - denn das stimmt nicht. Wärest du nicht weggerannt, wärest du zerbrochen und das hilft niemandem. Aber irgendwann muss auch einmal wieder Schluss sein mit dem Wegrennen, verstehst du? Deine Familie mag kleiner geworden sein, aber ihr beide seid noch immer eine. Und Familie bedeutet, dass man füreinander da ist und sich hilft, auch wenn es manchmal wirklich schwierig ist - und diese Hilfe braucht dein Vater jetzt, wenn du zumindest ein Stückchen von dem Mann retten willst, den du früher einmal so sehr geliebt hast und auf den du so stolz warst. Weißt du, als du klein warst, konntest du noch nicht so gut laufen und bist oft hingefallen. Deine Eltern haben dir immer wieder aufgeholfen und heute stehst du da, bist stärker und erwachsener geworden und bist nicht mehr auf sie angewiesen. Jetzt ist die Zeit der Dankbarkeit gekommen: Dein Vater wird älter und schwächer, er ist gestrauchelt und hingefallen und kommt alleine nicht wieder auf die Beine - nun ist es an dir, ihm wieder aufzuhelfen. Ich habe keine Eltern mehr - keine Identität. Doch ich suche mir eine neue, selbst wenn es verdammt schwer ist. Manchmal weiß ich selbst nicht einmal mehr wer ich bin - aber dann gehe ich zu meinen Freunden und weiß es wieder. Selbst ohne eine wirkliche Identität. Du hast jemanden, dem du wirklich etwas bedeutest und immer bedeuten wirst, auch wenn dieser jemand es nicht oft zeigt: Du _hast_ noch eine Identität - also schmeiß sie nicht weg." Der Jüngere sah ihn hilflos an. Er wusste ja, dass Silius im Grunde genommen Recht hatte - wie so oft. Aber er hatte einfach _Angst_ und diese Furcht, die so uralt zu sein schien, dass sie noch aus längst vergessenen Zeiten stammen musste, war so übermächtig, machte ihm so sehr zu schaffen, dass er ihr nicht einfach frech die Zunge rausstrecken und sie überwinden konnte. Er brauchte Zeit - einfach mehr Zeit. Er hatte nun knapp ein Jahr gehabt und das mochte eine lange Zeit sein für sehr viele Dinge - aber um solch eine Urangst zu überwinden war es zu wenig. Deutlich zu wenig. Der Rest des Essens verlief schweigend. Auriel dachte unentwegt über Silius' Worte nach, denn selbst wenn sie ihm nur teilweise etwas Neues eröffnet hatten, so hatte ihm die Tatsache, dass ein Außenstehender die Situation erkannt und begriffen hatte, die Möglichkeit genommen, sie zu verdrängen und _zwang_ ihn förmlich dazu, sich den Kopf darüber zu zerbrechen. Rain seinerseits schien auch dies zu erkennen und schwieg, schwieg und war doch auf jene nicht fassbare Weise für ihn da, wie es nur ein echter Freund sein konnte und einem _wirklich_ half, selbst wenn kein einziges Wort zwischen ihnen fiel. In stummem Einverständnis gingen sie zurück zur Academy und einmal mehr in diesen 24 Tagen, die sie sich nun kannten, war er unendlich dankbar für diesen manchmal ein wenig schwierigen aber wahrhaftigen Freund, der ihn fast immer zu verstehen schien. Leider aber auch nur fast. Denn entgegen dem, was wohl die meisten angenommen hätten, wollte er nun _nicht_ allein sein, auch wenn er nicht den Drang danach verspürte, zu reden. Silius jedoch verabschiedete sich bereits nach etwa zwanzig Minuten, nun aber schon mit einem aufmunternden Grinsen, wieder von Auriel. "Ich muss noch mal weg und komm spät wieder, also warte nicht auf mich - ist vergebene Liebesmüh...", flachste er mit einem schelmischen Augenzwinkern. Und ein wirklich winziges Küsschen auf den linken Mundwinkel des Jüngeren später war er mit seinem Motorradschlüssel auch schon wieder zur Tür hinaus. "LIEBESmüh? Du hast ja wohl nen Knall!", murmelte der Kleinere, jedoch reichlich halbherzig, wenn man es mit der Reaktion verglich, die normalerweise auf so einen Spruch von ihm hätte folgen ,müssen'. Vielleicht lag es ja daran, dass er geradezu _spürte_, dass nicht nur mit seiner eigenen Gefühlslage etwas nicht stimmte. VOLUME 2 . . . "Schwarzer Regen Die Trauer kommt über mich Vollkommen rein Wie weißer Schnee Fällt sie in meine Seele Der glühende Strom Der durch mich schießt Wenn ich dein Gesicht vor mir sehe Bringt ihn zum Schmelzen Wird zu schwarzem Regen Der einsam fällt In mondbeschienener Nacht Löscht das Feuer Meines Zornes Der längst vergessen Noch immer in mir schwelt" ~ Absolutely Black Rain (24. Juni 2004)~ . . . Gedankenverloren ging er über den Academy-Campus, den unterirdischen Parkplätzen und vor allem seiner heißgeliebten Kawasaki Ninja entgegen. Ein dumpfer Schmerz wütete dabei in seinem Brustkasten, der sein Herz mit einem unangenehmen Ziehen immer wieder krampfen ließ. Sein Bewusstsein verdrängte den Fakt, dass er den Grund für diesen Schmerz zumindest unbewusst schon längst kannte, doch er wusste, es konnte nicht mehr lange dauern bis er die Ursache nicht mehr zu ignorieren vermochte. Und _dann_ wollte er auf gar keinen Fall mehr in Auriels Nähe sein. Nicht, weil ihm dessen Nähe unerträglich war, sondern, weil dieser sich nur noch mehr um ihn sorgen und damit alles nur noch schlimmer machen würde... Nachdem seine Eltern gestorben waren, war er immer auf sich selbst gestellt gewesen und hatte gelernt sich allein zu behelfen. Es mochte sein, dass er dabei nicht die effektivste Methode wählte und ganz sicher nicht diejenige, mit der er den Schmerz für immer abtöten konnte, aber zumindest für einige Zeit konnte er ihn unterdrücken und einigermaßen normal leben. Er wusste, letztendlich brachte sie nur noch mehr Schmerz statt wirklicher Linderung, aber es war das einzige System, das er kannte, und als er schließlich Kay, seinen ersten wahren und treuen Freund, kennen gelernt hatte, war es schon zu spät gewesen, als dass er noch hätte lernen können, sich bei der Bewältigung seiner Probleme von jemand anderem helfen zu lassen. Ihm war klar, dass Auriel dies niemals hätte verstehen können und wollte zumindest _ihm_ diese Enttäuschung ersparen, wollte nicht, dass er etwa an Rains Vertrauen in ihn zweifelte, wenn es doch um reine Angst ging, die man weder umgehen noch besiegen konnte: Die Angst eines nicht nur GEbrannten sondern VERbrannten Kindes vor dem Feuer - eine Furcht gegen die man niemals gewinnen, aber umso besser verlieren konnte. /Schluss damit!/, befahl er sich, um wenigstens die Fahrt über einen annähernd klaren Kopf zu haben und überwand die letzten Meter des saftiggrünen Rasens, der sich wohl als einer von wenigen über den verregneten Sommer gefreut hatte. "Raaiiiin-Schatz", rief im nächsten Augenblick eine ihm äußerst bekannte Stimme und kaum einen Sekundenbruchteil später klebte ein strohblonder junger Mann mit einem Ring-Piercing in der Augenbraue an seinem Hals. "VIN!", machte der junge Schauspielstudent erschrocken. Nicht so sehr, weil Vincent ihn etwa derart überrascht hätte, sondern viel mehr, weil er sich gerade noch davon hatte abhalten können, seinen Kampfinstinkten Folge zu leisten und seinen älteren Freund einfach in einer einzigen fließenden Bewegung _unschädlich_ zu machen... "Wenn du weiter so machst, liegst du eines Tages auf dem Boden und das _nicht_, weil du versucht hast fliegen zu lernen oder ich dich flachgelegt habe...", bemerkte Silius trocken, hatte seine gewohnte äußere Ruhe wiedergefunden. Der Kleinere schnitt ihm nur eine Grimasse und brachte es fertig, zu schmollen, noch während er sich an Rains Hals klammerte. "Nun frag schon!!", forderte er quengelnd. Einen Moment lang dachte der Schwarzhaarige darüber nach, genau das nicht zu tun, befand dann aber, dass er heute noch keine nennenswerte gute Tat vollbracht hatte. Folglich _entfernte_ er Vincent von seinem Hals, stellte ihn auf seine eigenen drei Beine und erkundigte sich dann seufzend und mit gespielt gequälter Miene: "Wer, wann und wo?" "Ein gnadenlos geiler Typ mit dem ich jetzt gleich ins Kino gehen werde", flötete Vincent zufrieden und strahlte Rain so überglücklich an, dass er sich schon denken konnte, wer es da _gewagt_ hatte Vince auf ein Date einzuladen. Daher erkundigte er sich auch in reichlich trockenem, gespielt beiläufigem Ton: "Aber dein Date ist nicht _rein zufällig_ ein durchtrainierter Zweimeterriese, gut im Bett - und heißt Shane Sander?" Vincent starrte ihn empört an und boxte ihm beleidigt in die Rippen. "Du hättest mir ja auch mal sagen können, dass du schon davon wusstest! Jetzt hast du mir den ganzen Spaß verdorben!!" Rain lachte nur und brachte den Blondschopf wieder in Ordnung, dessen Frisur durch die Um-den-Hals-fall-Aktion ein wenig durcheinander geraten war. "Ich habe es nicht gewusst, Vinnie - aber bei dem Gesicht, das du ziehst, konnte es ja nur dein Mr. Traummann sein", grinste er und zwinkerte ihm kurz und verschwörerisch zu. "Entschuldige, Silius, aber ich glaube Vince ist _mein_ Date", erklärte Shane mit seiner weichen, dunklen Stimme und zwar keiner eindeutigen Geste, aber einem umso besitzergreifenderem Blick. Rain, der ihn schon längst gehört hatte - der ältere Student war nun mal kein Kampfsportler so wie er selbst - blieb gelassen und machte einen Schritt zur Seite und dabei eine Viertel-Drehung, sodass er nun beide im Blickfeld hatte. Dann bemerkte er mit einem anzüglichen Grinsen: "Na denn... Macht keinen Scheiß, nehmt Gummis und viel Spaß... _Und_ ich hoffe ihr seid anständig genug in einen Actionfilm zu gehen, der sowieso alle anderen... _verdächtigen Geräusche_ übertönt..." Vincents starrte ihn sprachlos an, während sich ein unübersehbarer Röteschleier über seine Wangen legte. /Vielleicht war es doch ein wenig gemein von mir, seine geheimsten Wünsche auszusprechen/, grinste Silius in sich hinein, aber natürlich dachte er das nicht im Ernst. Man mochte von Vin denken was man wollte, aber einmal abgesehen davon, dass er ein _Kerl_ war - was manchmal zugegebenermaßen alles sagte (und er als leibhaftiger Kerl musste es ja wissen) -, war er ein manchmal ein wenig durchgeknallter, aber liebenswürdiger und ziemlich _anständiger_ Kerl. "Nicht jeder will immer nur Sex!", brach es mit etwas Verspätung aus Vince heraus. Silius lachte nur und schob Vinnie auffordernd zu Shane rüber. "Weiß ich doch", gluckste er versöhnlich - nur, um noch schnell hinzuzufügen: "Aber ihr gehört bestimmt nicht zu dieser Sorte Mensch..." Und ehe sich die beiden versehen hatte, überließ er sie auch schon sich selbst und machte sich schleunigst aus dem Staub. Die Eiskugeln in seinem Eiskaffee würden zwar vermutlich in nächster Zeit deutlich kleiner ausfallen, aber das war es ihm wert gewesen, denn er verwettete seinen linken Schuh darauf, dass die beiden händchenhaltend wieder aus dem Kinosaal kommen würden und hier und da vielleicht noch den ein oder anderen _vollkommen unauffälligen_ Knutschfleck mitbringen würden... Und _dann_ konnte er solche Scherze wie gerade eben zurück in die Schublade stecken, ohne dass er seinen Freunden irgendwie dabei hätte behilflich sein können, eine gesündere Gesichtsfarbe zu bekommen... "Ichhasseihnichhasseihnichhasseihn!!!", murmelte Vincent verdrossen, was ihn jedoch nicht davon abhielt, Shane mit sich in Richtung Zentrum (ab) zu schleppen. "Tust du nicht", erwiderte Shane ruhig, aber ganz offensichtlich auch ein wenig belustigt. "Solltest du zumindest nicht. Er war es schließlich, der dich vorgeschlagen hat, als ich ihm von meinem Kinokartenproblem erzählt habe..." /Ichliebeihnichliebeihnichliebeihn!!!/ Vin murmelte etwas, das er selbst nicht verstand, einfach aus dem Grund, dass er nur noch für ein paar Sekunden eine Schnute ziehen wollte, die bei Shane offensichtlich große Wirkung zeigte. Dann hatte er sein heutiges Ziel erreicht und ein starker Arm legte sich um ihn, warm und trotz der nicht zu verachtenden Muskeln so anschmiegsam, als wäre er dem Blonden auf den Leib geschneidert. Zufrieden ließ er ein leises Gurren von sich vernehmen, das den Jüngeren, dafür aber viel Größeren noch zu einem dieser geradezu magischen Lächeln verleitete und damit war der Kuschelsessel beschlossene Sache... Hoffte er wenigstens, als er mit trockenem Mund fasziniert beobachtete, wie Shanes dunkle Augen im Sonnenlicht funkelten... _ihn_ anfunkelten... VOLUME 3 . . . "Voll Blüten Voll Blüten steht der Pfirsichbaum Nicht jede wird zur Frucht, Sie schimmern hell wie Rosenschaum Durch Blau und Wolkenflucht. Wie Blüten gehn Gedanken auf, Hundert an jedem Tag - Lass blühen! lass dem Ding den Lauf! Frag nicht nach dem Ertrag! Es muss auch Spiel und Unschuld sein Und Blütenüberfluss, Sonst wär die Welt uns viel zu klein Und Leben kein Genuss." ~ Herman Hesse ~ . . . Seufzend ging Auriel in die Küchenecke und stellte den Wasserkocher an, kramte den Bananen-Kleeblütentee heraus und nahm sich einen der einzeln abgepackten Teebeutel. Er wollte die hübsche Verpackung, die mit einer kleinen Ballerina von Edgar Degas geschmückt war, schon zurückstellen, als er an der Seite einen kleinen Text bemerkte, der _nicht_ von der spannenden Geschichte der Zubereitung oder der Inhaltsstoffe dieses Tees handelte. Neugierig zog er seine Hand zurück und ließ seine Augen über die wenigen Zeilen huschen: "Momente des Glücks - Manchmal erfüllt sich ein langgehegter Traum, manchmal reicht ein Lächeln - und wir sind glücklich: das Herz jubelt, der Kopf schwebt in den Wolken, die Welt strahlt in den leuchtendsten Farben. Genießen Sie diese Stimmung mit Meßmer "Momente des Glücks" - eine fruchtig-süße Tee-Komposition mit dem Aroma der Banane und feinen Kleeblüten. Denn das Glück sollte man auskosten - in jeder Beziehung..."[1] Ohne dass er es bemerkte, hatte sich ein Lächeln auf seine Lippen geschlichen, und als es ihm schließlich doch bewusst wurde - der Wasserkocher riss ihn mit seinem Fertig-Klacken aus seinen Gedanken - musste er sich gleichzeitig die Frage stellen, warum er beim Lesen dieser kurzen Abfassung über das Glück (diesen Tee trinken zu können) unwillkürlich an Rain hatte denken müssen... Oder besser gesagt: Er _hätte_ es gemusst, wären in diesem Augenblick nicht mal wieder Kay und Yves wie eine pedantische Schwiegermutter zu ihrem Überraschungsbesuch hereingeschneit. "Hey", begrüßte Auriel sie erfreut, und ließ die Tür für sie offen, während er schon wieder an der Arbeitsfläche stand und sich seinen Tee zubereitete. "Wollt ihr Tee?", erkundigte er sich auch sofort, ganz der freundlich-bemühte Gastgeber. "Nee, lass mal!", schüttelte der Kastanienhaarschopf, was ihn aber nicht davon abhielt, Auriel die Tasse zu entwenden, welcher den gerade mal einen Zentimeter Größeren wiederum ziemlich sauer ansah. Langsam wurde es ihm wirklich zuviel: Dass Rain ihm dauernd sein Essen und Trinken klaute, war er mittlerweile gewohnt, aber dass jetzt auch noch Kay damit anfing... Der schien zu verstehen, dass er sein Leben gerade in bedenkliche Bahnen brachte, und stellte die Tasse schnell und unangetastet wieder zurück und grinste den Kunststudenten kurz achselzuckend aber frech an. "Wo ist denn Rain?", nutzte Yves die Zeit um sich zu Wort zu melden. Auriel hob hilflos die Schultern. "Keine Ahnung", gestand er seufzend und nahm einen großen Schluck - mit dem er sich fast die Zunge verbrannte -, um die ziemlich ernüchterte und unzufrieden klingende Stimme in seinem Hinterkopf "mit dem Aroma der Banane und feinen Kleeblüten" zu besänftigen. "Du darfst nicht böse auf ihn sein, Auri - so ist er nun mal...", tröstete Kay ihn mit mitfühlendem Blick, der deutlich machte, dass Kay solche Situation auch aus erster Hand kannte und sich mittlerweile ein wenig resigniert, aber wohlweißlich daran gewöhnt hatte. "Ich weiß", seufzte er erneut und stellte seine dampfende Tasse ab, ließ seinen Blick abwesend über den weitaus größeren Teil des Raumes schweifen, der von ihrem Wohnzimmer eingenommen wurde, blieb an einem von Silius' zahlreichen Notizbüchern hängen, die er alle gleichzeitig mit den unterschiedlichsten Gedanken zu füllen schien (mit welchen wusste er nicht, da Rain ihn darum gebeten hatte, zumindest in diesem Punkt seine Privatsphäre uneingeschränkt zu achten und er dies auch tat). "Ich bin eigentlich auch gar nicht böse..." "Aber ein bisschen enttäuscht?", half Yves verständnisvoll weiter. Auriel blickte unbehaglich von einem zum anderen. Warum hatte er nur dieses schleichende, dumpfe Gefühl, dass die beiden etwas über ihn wussten, das er noch nicht einmal selbst wusste - aber im Gegensatz zu ihnen _wirklich_ wissen _sollte_?! "Vielleicht...", gab er zu. "Ich weiß auch nicht... Egal - was wolltet ihr?" Yves lächelte nur, überwand die wenigen Schritte zu Auriel und umarmte ihn kurz und schweigend, jedoch so freundlich, dass der Größere nicht anders konnte als ihn dankbar anzulächeln, bevor Kay ebenfalls aufmunternd lächelnd zu erklären begann - und ihn dann ein paar Stunden später widerspruchslos aus der Wohnung schleppte. In der Zwischenzeit hatte Vincent tatsächlich einen Kuschelsessel ergattert, was Shane zwar mit einer hochgezogenen Augenbraue kommentierte - allerdings einer _amüsiert_ hochgezogenen! Denn natürlich hatte Vin nicht einfach über den Kopf des Jüngeren hinweg entschieden - was sich bei dessen beträchtlicher Größe wohl auch als _leicht_ kompliziert herausgestellt hätte -, sondern sich mit - wie es so seine Art war - zur Seite geneigtem Kopf und fragendem Blick zu dem Braunhaarigen umgedreht. Der zugestimmt hatte! Noch immer konnte er sein Glück nicht wirklich fassen, machte es sich in dem gemütlichen roten Sessel bequem und spürte einen wohligen Schauer nach dem anderen über seinen Nacken den Rücken hinabkrabbeln. Jetzt durfte er doch tatsächlich zwei ganze Stunden lang ganz dicht bei Shane sitzen - und war aufgeregt wie bei seinem ersten Date (das nun wirklich schon Ewigkeiten zurücklag). "Na? Was Süßes gefällig?", hauchte ihm den Braunhaarigen dunkel ins Ohr und hielt ihm das gewünschte Eis mit Schoko-Mandelüberzug hin. Vinnie beantwortete es mit seinem strahlendsten Lächeln. /Das auch.../ Und in der Tat schien es dem Jüngeren so strahlend, dass sich der Kinosaal noch einmal zu erhellen schien, obwohl die Vorhänge bereits für die Werbespots aufglitten und es so ziemlich stockdunkel war, als er sich neben den Blonden setzte und zum ersten Mal wirklich nicht wusste, was er mit sich anfangen sollte. Auf einmal war alles an ihm zu groß und grob und Vincent so zart und zerbrechlich wie ein Engel, der schon unter der leichtesten Berührung zu Silberstaub zerfallen könnte. Glücklicherweise schien der Ältere trotz seiner offensichtlichen Aufregung auch jetzt seine wohl angeborene Offenheit noch nicht verloren zu haben und lehnte sich zufällig oder nicht (natürlich ersteres - haHA) gegen ihn, was Shane ob nun nicht so gemeint oder doch (natürlich letzteres - was denn sonst!?) als die Aufforderung dazu auffasste, die weitaus zierlichere Gestalt neben sich noch näher an sich zu ziehen - und hatte Glück, denn Vince wehrte sich nicht dagegen, sondern schmiegte sich im Gegenteil leise und zufrieden schnurrend noch enger an ihn. Ein glückliches Lächeln legte sich über die nicht zu schmalen Lippen, das der Grünäugige, dessen Kopf irgendwo in der Gegend zwischen Shanes Hals und Brustkorb hing, jedoch nicht sehen konnte. Sie verfolgten eine Eiswerbung bei der man und frau zu dem Schluss kam, dass das Gehirn des jungen männlichen Hauptdarstellers offensichtlich ein wenig in der Hitze gelitten hatte, wenn man verfolgte, wie das Plakatgirl mit dem erwähnten Eis in seinen Wahnvorstellungen _zum Leben_ erwachte und auch der Pool plötzlich so real wurde, dass er kurzerhand über die Straße rannte um in das Becken zu springen - und folglich eine Begegnung der eher unangenehmen Art mit der Plakatwand hatte. "Typisch Hetero!", kommentierten Shane und Vincent wie aus einem Munde und mussten lachen. Es war ein befreiendes Lachen und plötzlich war die ohnehin untypische Schüchternheit und Zurückhaltung von ihm abgefallen, sodass er auf Vinnies plötzlich auf seinem Knie liegende Hand mit neckenden Fingerkuppen in dessen Genick antwortete. Da der Kinosaal um diese Zeit eher halbleer als halbvoll und die Werbung im Vergleich zu dem grünäugigen Cafébesitzer ohnehin völlig uninteressant war, waren Vins schlanke Hände am Ende der Filmvorschau dann auch schon deutlich höher an seinem Oberschenkel angesiedelt, während sich seine Basketballpranken im Gegenzug dazu unter dem knappen schwarzweißen Shirt wiederfanden. Weil sie jedoch niemanden mit heißen Liebeleien ihrerseits traumatisieren und den Film, der nicht als Vorwand für irgendwelche anderen hollywoodreifen Vorstellungen dienen sollte, _wirklich_ sehen wollten, einigten sie sich in stummem Einverständnis darauf, zwar nicht unbedingt ihre Hände bei sich zu behalten, aber auch keine hinterhältigen Überraschungsangriffe während des Films zu starten - denn darauf würden sie heute Abend garantiert noch _genügend_ Zeit verwenden... - - - - - - [1] Ich wette, ich bin die erste Autorin, die von einer Teeschachtel zitiert, aber hey, ich liebe solche Details ^^° Warum immer die großen Alten zitieren (die ich zweifellos trotzdem sehr verehre - zumindest einige von ihnen), wenn die passenden Worte schon in deinem Küchenschrank lauern und nicht erst in den Untiefen des Worldwideweb oder meiner Bücherschränke. Abgesehen davon habe ich manchmal die Angewohnheit mir solche Texte auf Verpackungen und Co. durchzulesen und warum sollten nicht auch die Figuren einer als realistisch betitelten Story solche Macken haben? Ist schließlich immer noch besser als eine Blumenphobie (bevor ihr fragt: gibt's wirklich! Genauso wie Knopfphobien ^^°), oder? VOLUME 4 . . . "Wollust Nichts als strömen, nichts als brennen, Blindlings in das Feuer rennen, Hingerissen, hingegeben Der unendlichen Flamme: Leben! Plötzlich aber, bang durchzittert, Sehnt aus dem unendlichen Glück Angstvoll sich das Herz zurück, Das den Tod im Lieben wittert..." ~ Herman Hesse ~ . . . Rain starrte in das halbleere Glas, schwenkte gedankenverloren die klare grüne mit dem blauen Curacao durchwirkte Flüssigkeit. Der langhaarige Schöne wusste, er sollte mit dem Alkohol aufhören - besonders wegen Auriel; doch dessen Nähe machte ihn überglücklich und wahnsinnig zugleich, ließ seine Gefühle und Instinkte so leidenschaftlich und impulsiv aufwallen, dass diese gelegentliche Abstumpfung seiner Sinne geradezu lebensnotwendig wurde - egal wie sehr es seinem Geist und seiner Kondition schaden würde, wie sein alter Kampfmeister immer bemerkt hatte. Aber heute würde er nicht den gleichen Fehler begehen wie beim letzten Mal und sich an den Rand der Besinnungslosigkeit trinken. Er hatte sich geschworen, Auriel glücklich zu machen, weshalb er sich nicht noch einmal so gehen lassen konnte, nur um diesem ummantelten Schmerz in ihm für einige Zeit das Tuch des Vergessens überzuwerfen und den Grünäugigen damit zu verletzen, denn er wusste, dass jener es nicht gern sah, wenn er zuviel Alkohol trank - was bei seiner Familiengeschichte ja auch durchaus verständlich war, wobei es dann auch schon wirklich bemerkenswert war, dass er den Alkohol trotz der Auswirkungen auf seinen Vater und damit letztendlich auch auf ihn nicht verteufelte und bei einer angemessenen Dosis durchaus nichts gegen ein Gläschen oder zwei einzuwenden hatte. Rain hatte mehr Recht gehabt als er zuerst angenommen hatte (und er hatte _viel_ angenommen): Auriel _war_ stark. Er war kein Übermensch und natürlich hatte er die ganz normalen Höhen- und Tiefenphasen, die ein Mensch nun einmal hatte. Viel mehr war es eine innere Stärke, für die er den Jüngeren so bewunderte. Auriels Wesenskern schien ihm wie ein zauberhaftes, unbekanntes Material. Situationen und Menschen konnten ihn stark biegen, doch wie Gummi blieb er elastisch und schnellte in seine Ausgangform zurück, wenn der Druck nachließ. Man konnte ihn biegen, doch brechen... nein, _wirklich_ brechen würde man diesen stolzen großen Geist nie. Nur formen konnte man ihn. Durch - menschliche - Kälte, vor allen Dingen aber durch emotionale Wärme und Nähe. (Fast) Mehr als er selbst schien Auriel sowohl körperliche als seelische Geborgenheit zu brauchen, immer wieder zu brauchen, um so glücklich sein zu können, wie ein Mensch glücklich sein konnte. Und wenn er viele Dinge an und in Auriel noch nicht recht verstand, da er Zeit seines bisherigen Lebens ja nicht einmal mit sich selbst klar gekommen war, so war dies doch etwas, das er selbst kannte: In jungen Jahren hatten sie beide nach menschlicher Nähe gesucht und sie doch nicht bekommen können - aber trotz dieses traumatischen Erlebnisses hatten sie nicht aufgegeben, hatten sie nicht aufgeben _können_, weil es so tief in ihrem Wesen verwurzelt war, dass kein Orkan, keine Sturmflut, kein Erdbeben und kein Vulkanausbruch diesen Drang nach dem körperlichen und seelischen sich Berühren auslöschen konnte - und hatte sie schließlich zu dem gemacht, was sie nun waren und noch werden würden. Es war ein schmales, zugleich starkes Band zwischen ihnen, buntschillernd wie alle Schmetterlinge der Welt zusammen, zart und fein wie Raupenseide, aber dennoch äußerst reißfest. Silius seufzte und nahm einen weiteren Schluck. Der Drink lag leicht auf der Zunge und glitt förmlich über den Gaumen in den Rachen hinein, sein Geschmack hingegen war dabei kräftig und nicht zu süß. Doch obwohl sich Auriels Kollege an diesem Abend selbst zu übertreffen schien, war der Langhaarige alles andere als in der Stimmung dies zu würdigen. Stattdessen hatte er sich in eine der Nischen zurückgezogen, von der er das Treiben beobachten oder ignorieren konnte, während er selbst völlig unbemerkt blieb, solange man nicht wusste wo er war oder ihm auf die Füße trat. Es war der einzige angenehme Umstand in diesem Moment, eine richtige Wohltat, einmal wieder aus dem Brennpunkt der Aufmerksamkeit heraustreten zu können, die ihm wie ein Schatten folgte, egal wohin er auch ging. So auch in der Stadt, in der er ziellos hin und her geschlendert war, bis ihm seine unzähligen Verfolger(innen) auf die Nerven gegangen waren. Manche mochten seiner zeitweiligen Abneigung gegen das uneingeschränkte Interesse, das ihm zuteil wurde, mit Unverständnis entgegentreten und natürlich hatte er sich schon längst daran gewöhnt - doch etwas gewöhnt sein und etwas als gut zu erachten waren zwei unterschiedliche Dinge. Es mochte auch sein, dass er bis zu einem gewissen, sicherlich nicht gerade niedrigen Grad die Aufmerksamkeit brauchte und geradezu verlangte - aber man konnte es auch übertreiben und eine Übertreibung schließlich ins Unerträgliche steigern. Natürlich fühlte es sich gut an, nicht links liegen gelassen zu werden, aber es war auch nicht gerade traumhaft schön, wenn wirklich _jeder_ wusste mit welcher Zahnbürste, Zahnpaste und welchem Mundwasser er zur Zeit seine tägliche Mundhygiene absolvierte. Vielleicht war er auch deshalb Schauspieler geworden: Um im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses zu stehen, ohne allzu viel von der eigenen Person preisgeben zu müssen und gleichzeitig die Macht zu haben, sich den Menschen auszudrücken, sie mit Worten und Gesten bis tief in ihr Innerstes zu erreichen - und manche, ganz besondere Person wie seinen Stadtkrieger auch an _Herz und Seele_ zu berühren. /Auriel.../ Er atmete mit einem hörbaren, seltsam resignierten und zugleich gequälten Laut aus, fragte sich, was wäre, wenn er auf sein Daimonion[1] gehört hätte und Auriel aus dem Weg gegangen wäre. Auriel dachte nun über seine Worte nach, Auriel schenkte ihm auch schon Vertrauen und _sorgte_ sich um ihn, ließ sich sogar von ihm küssen, was schon eine kleine Meisterleistung seitens Silius darstellte, in Anbetracht der Tatsache, dass sein kleiner Naschkater ziemlich von seinen momentanen sexuellen, zum Teil - für sein Bewusstsein - wohl gänzlich neuen Neigungen verwirrt schien und auch bei weitem nicht alle davon als positive Veränderungen wahrnahm... Und auch wenn jeder andere glauben musste, dass er sehr glücklich war, über jene kleinen Erfolge, die er erzielte - was er ja durchaus (auch) war -, hatte sich der literarische Feingeist damit selbst eine äußerst schmerzhafte Falle aufgestellt: Wieder hatte er von dem großen, goldenen, sich nie leerenden Honigtopf genascht - gerade soviel um die Süße und Würze des Honigs kennen und lieben zu lernen, hatte dabei jedoch außer Acht gelassen, dass er vielleicht nie wieder davon würde kosten dürfen, geschweige denn, dass er je würde behaupten können, ihn zu _besitzen_. Was er dagegen aber jederzeit können würde, war, sich zu erinnern - ob nun willentlich oder nicht. Und um etwas zu wissen, nach dem man sich Zeit seines Lebens sehnen würde ohne es je bekommen zu können, _das_ war eine _echte_ Crux[2] vor der man nirgendwohin fliehen konnte - außer in den Tod. Und vielleicht nicht einmal das... Unterdessen saß Auriel nur wenige Wegminuten entfernt in einer heimeligen Pizzeria mit guten Preisen und noch besserer Atmosphäre und ließ sich, sich mit allen möglichen Studenten, die Kay hatte überreden können, unterhaltend, eine äußerst delikate Pizza Vegetariana (oder so ähnlich) schmecken, während ein Glas leichter Rotwein seinen Gaumen mit der sprichwörtlichen Freundlichkeit und Wärme eines echten Italieners umschmeichelte. "Nun sag schon!", forderte Kay zum wiederholten Male und meinte damit den blassen, aber eben vorhandenen und vor allen Dingen mehr als nur _verdächtigen_ Bluterguss an seinem Hals, den er zwar nicht verdeckte, aber dessen Herkunft er Yves sowie Kay - zuzüglich aller anderen - auch nicht verriet - und der Rain einen langsamen, äußerst schmerzvollen Tod garantierte... "Nea...", machte Auriel, scheinbar verunsichert, was den Braunhaarigen dazu veranlasste sich weiter zu ihm vorzubeugen. "Jaa?", der Fotografiestudent sah ihn erwartungsvoll an. "Hör endlich auf zu nerven!", führte er ungerührt zu Ende und schob sich ein Stückchen seiner Pizza in den Mund, indes Kay sich enttäuscht wieder zurücklehnte und schmollend etwas murmelte, das sich ziemlich nach "Gemeinheit!" anhörte. Der Kunststudent grinste ihn nur frech an und fühlte sich einfach gut. Gut, weil er hier mit Freunden und vielen anderen mehr oder weniger sympathischen Studenten saß; es wurde gelacht und diskutiert, über Gott und die Welt philosophiert und wen die frohe Botschaft von Kays und Yves' nun endlich auch offizieller Beziehung noch nicht erreicht hatte, der ließ es sich nun nicht nehmen, ihnen und auch Auriel zu gratulieren, der den beiden schließlich die Augen zu öffnen vermocht hatte. "Nun, ich denke, uns wird sich bald die Gelegenheit bieten, uns für Auris Hilfe zu bedanken", meinte der Geliebte des schlanken Blonden mit einem geheimnisvollen Lächeln, welches bei dem Grünäugigen nur einen fragenden Blick auslöste, der wiederum jedoch unbeantwortet blieb. Stattdessen musste jetzt auch der Musikstudent selbst lächeln und Auriel blieb nichts anderes, als sie reichlich verwirrt anzusehen und nur Bahnhof zu verstehen, was das Gefühl, dass die beiden _irgendetwas_ wussten, nicht unbedingt milderte... "Ich weiß nämlich auch so, wer dir den da verpasst hat!", erklärte Kay mit breitem, wissendem Grinsen. Der Angesprochene verzog den Mund zu einer Schnute und streckte ihm beleidigt die Zunge heraus: "Na und?! Wir waren shoppen, mehr nicht! Was kann ich dafür, wenn er dauernd über mich herfällt?" "Du könntest dich gegen ihn wehren und ihn _nicht_ mit in die Umkleide nehmen! Wer nicht will, der hat schon und Rain akzeptiert das", schlug Shane (der mit Vincent - übrigens händchenhaltend - hereingeschneit war, als er die gesellige Runde durch das schöne, große Panoramafenster erblickt hatte) mit einem Gesichtsausdruck vor, der klarmachte, dass er nicht annahm, dass Auriel dies wirklich tun würde... "Na toll", murmelte der Kleinere verschnupft. "Er fällt über mich her, du mir in den Rücken - wer hat noch nicht, wer will noch mal?" Vincent prustete schadenfroh und brachte sich kichernd hinter Shanes breiten Schultern vor Auriels tödlichem Blick in Sicherheit und nicht einmal Yves, dessen Augen lustig funkelten, schien Mitleid mit ihm zu haben, geschweige denn vorzuhaben, ihn zu unterstützen... So überhaupt und gar nicht eingeschnappt rückte er demonstrativ von seinen sogenannten Freunden ab und hängte sich einfach in das Gespräch seines Sitznachbars mit zwei Studentinnen ein, ohne dass ihn jemand irgendwie scheel oder auch nur schief angesehen hätte und begann dann damit, das vielleicht ein wenig überdrehte Quartett für die nächsten zehn Minuten gründlich zu ignorieren, wenn er ihnen natürlich auch _nicht wirklich_ böse war. Und ja, er fühlte sich wohl hier... Doch es fehlte etwas. Etwas Wichtiges. Oder jemand. Auriel, der in der Ecke neben dem Fenster und praktisch belagert vom Rest des guten Dutzend Studenten saß, schaute durch das ein wenig spiegelnde Glas zum klaren Nachthimmel. Es war schon nach zehn - und seine Pizza, von der er wegen all der Gespräche bis jetzt gerade mal die Hälfte geschafft hatte, kalt, schmeckte aber noch. Von seinem Essen mal abgesehen schwand das Licht nun schnell und am allmählich dunkel werdenden Firmament sah man nun bereits die ersten Sterne aufglimmen wie die Flammen ferner, bunt brennender Kerzen. Sein Blick fiel zufällig auf zwei kleine, leuchtend blaue Pailletten auf dem dunkelblauen Schleier der Nacht und unwillkürlich musste er an zwei andere blaue Sterne denken, fragte sich was diese wohl gerade betrachteten und wo ihr Besitzer sich gerade befand. Immer mehr wurde er sich bewusst, dass Silius am Ende irgendwie komisch geworden war. Es war nichts Greifbares, nichts, das er hätte benennen können, und doch... er _fühlte_ es einfach und machte sich Sorgen um seinen Freund, denn ebenso spürte er, dass Silius' für ihn nicht nur irgendwer war und dies nicht nur wegen dessen schönen Äußeren. Mit wenigen Worten brachte er Auriel dazu, über Dinge nachzudenken, die ihm früher unwichtig oder aber zerstörend erschienen, zeigte ihm eine ganz neue Welt und ließ ihn alles wie durch ein neues Paar Augen sehen, als wären es nur langsam etwas unscharf werdende Kontaktlinsen gewesen, die er gegen neue, bessere eingewechselt hatte. Er hätte es niemals zugegeben, aber er wusste doch, dass, obwohl er sich nach außen hin so sehr dagegen sträubte, er den Gedanken bisexuell zu sein, im Grunde genommen gar nicht mehr so schlimm fand, wie er vorgab. Nicht, wenn er dafür solche unglaublichen Küsse und wahnsinnigmachenden Zärtlichkeiten wie die von Rain bekommen konnte... Und da war er wieder: Silius Rain. _Black_ Rain. Wohin er auch ging, was er auch tat, woran er auch dachte, selbst in jedem Traum - überall fand sich sein schöner Mitstudent plötzlich in Auriels Welt wieder. Er spürte regelmäßig Gänsehaut und wohlige Schauer seinen Nacken hinabkriechen, wenn seine Gedanken dem Langhaarigen nachhingen... Jedoch, er spürte auch Wut und Enttäuschung, Besorgnis und schlichte Verwirrtheit. /Ob er schon wieder irgendwelchen Mist anstellt?/, dachte er innerlich besorgt aufseufzend, blinzelte plötzlich und fragte sich zum nun wohl schon unendlichsten Male: /Warum mache ich mir eigentlich _überhaupt_ solche Sorgen um ihn?! Er ist immerhin erwachsen! Aber verdammt... Ich habe so ein dummes Gefühl im Bauch. Ob es ihm wohl gut geht...?/ - - - - - - [1] Das Daimonion. Der Begriff ist griechisch und bei Sokrates steht er für die warnende innere Stimme der Gottheit (sagt mein Duden - nicht dass ihr glaubt, ich hätte den guten alten Herrn da wirklich gelesen. Eine Intelligenzbestie, die alle alten Griechen und Römer verschlingt, bin ich ja nun auch nicht >.< ). [2] Die Crux. Lateinisch für Kreuz. Im übertragenden Sinne für Last oder Kummer. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, das bezieht sich auf die Bibel und den gekreuzigten Herrn Jesus. Wenn ich mich recht erinnere musste er ja das Kreuz an das er genagelt wurde selbst zu diesem Hügel tragen, nicht wahr ?! Sorry bin nicht wirklich bibelfest ^^° VOLUME 5 . . . "Der Dichter Reiner atmet der Garten im Tau der Nacht, Stiller brandet vom Tale die Stadt herauf, Blumen schimmern im Dunkeln Geisterhaft blass wie aus Träumen her. Mir allein, der ich müde der Sonne bin, Kühlt auch der Abend die brennende Stirne nicht, Mir verschmachten die Sinne Dürstender als am Tage noch. Ungestillt verzehrt mich die Leidenschaft, Die ich des Tags mit so viel Listen betrog, Ach, nun steht sie verzweifelt Aus der kurzen Betäubung auf." ~Herman Hesse~ . . . Yves kuschelte sich mit seinem Glas Wein in der Hand an seinen neuen alten Liebsten Kay und genoss dessen Wärme und Nähe, während er sich mit einer französischen Austauschstudentin unterhielt. Er hatte schon ewig nicht mehr die Sprache seines Vaters benutzt, weil es eben kaum jemanden gab, der ihn wirklich verstand, sobald er richtig loslegte. Entsprechend viel redete er nun auch, sodass er zugegebenermaßen selbst ein wenig von sich erstaunt war. Irgendwie hatte er es vermisst, französisch zu sprechen, schließlich war er zum Teil in Frankreich aufgewachsen... Und da er jetzt auch noch an den Dunkelhaarigen geschmiegt sitzen und sich dabei dessen wahrer Liebe sicher sein konnte... Ja, jetzt in diesem Moment war er schlicht und einfach glücklich. Gedankenverloren strich er mit den freien Fingern über einen der beiden schmalen, aber kräftigen Handrücken seines Freundes, während er der französischen Brünetten lauschte, die völlig begeistert von der Academy schien. Kay unterdessen kraulte ihn immer wieder mit offensichtlichem Vergnügen im Nacken, während er sich mit Vincent und Shane - und Auriel, nachdem jener aufhörte zu schmollen, - unterhielt. Der Blondschopf war ihm sehr dankbar, dass er soviel Geduld zeigte. Er kannte Kay und bestimmt musste sich jener arg zurückhalten - besonders, da er kein Wort Französisch verstand - nicht wenigstens ab und zu ein Wort einzuwerfen, aber wie immer spürte er instinktiv, wie viel es Yves bedeutete, einmal wieder mit einer Landsfrau Französisch sprechen zu können. Es war nicht so, dass er Deutsch nicht mochte - im Gegenteil. Aber das konnte er jeden Tag sprechen, während er nur selten die Gelegenheit für seine andere Sprache bekam, es sei denn er war zu Hause bei seinen Eltern. Kay, der in der Schule Chinesisch als Zweitsprache gewählt hatte ("Hey - immerhin ist ungefähr ein Sechstel meiner zukünftigen Untertanen Chinese!"), kommandierte aber schließlich doch Auriel zum Übersetzer, als ein- oder zweimal sein Name fiel, wobei der Schwarzhaarige aufgrund ihrer Sprechgeschwindigkeit ziemlich unglücklich drein sah, es dann aber doch versuchte, als Kay seinen Bettelblick aufsetzte. Yves und Lysanne machten sich einen Spaß daraus und begannen völlig sinnlose Sätze dahinzuplappern. "Also...", begann der angehende Kunststudent im selben Moment zögernd. "Kay, du hast... du hast... verdammt, was hieß das gleich noch mal? Ach ja: Froschschenkel! ...HÄ???" Yves kicherte als Kay ihm einen beleidigten Knuff zwischen die Rippen verpasste und besänftigte ihn mit kleinen Küsschen auf die Wangen. Auriel indes weigerte sich nun schlicht und einfach weiter zu dolmetschen und schließlich gab Kay es auch auf, mit allen Mitteln verstehen zu wollen, was Yves der jungen Studentin über ihn erzählte - wobei sein Geliebter übrigens selbstverständlich mehr als nur gut wegkam - und schwenkte die weiße Fahne - in diesem Fall seine Stoffserviette. Lachend und schwatzend gingen sie schließlich zurück zum Campus, verteilten sich in mehreren kleineren Grüppchen auf der Wiese zwischen den alten Bäumen und kleinen künstlich angelegten und dennoch sehr natürlich aussehenden Bächen, deren Wasser von einem der größeren Flüsse, die durch die Stadt flossen, abgezweigt wurde. Auriel ließ sich auf die dichte Kleedecke fallen und streckte sich auf der Seite liegend aus, fuhr mit einer Hand zwischen den weichzarten, dunkelgrünen Blättern hindurch. Er musste an den Banane-Kleeblüte-Tee denken und kam zu dem Schluss, dass heute wohl einfach sein Clover-Day[1] war, zumal er sich, wie als hätte er es geahnt, vorher noch einmal umgezogen hatte und nun in den natürlichen Braun- und Grüntönen seiner Kleidung völlig mit seiner Umgebung harmonisierte. Er wusste nicht warum, doch das ungute Gefühl in ihm wuchs trotzdem und steigerte sich langsam in eine Art Frustration: Er hatte gespürt, dass etwas mit Rain war und doch hatte er nichts getan, nichts tun _können_. Dabei hätte er ihm doch so liebend gern geholfen, so fern es irgendwie in seiner Macht stand. Schließlich waren sie doch jetzt Freunde und Silius war noch dazu ein ganz besonderer Freund. Nämlich einer, der auch seine Abgründe wie seinen Selbstmordversuch von damals nicht verurteilte und vor allen Dingen _verstand_. Es war, als wäre Silius eine Art seelischer Zwillingsbruder, den man von ihm getrennt hatte, und dem zwar sicherlich einige andere Dinge zugestoßen waren, aber der doch immer wieder Parallelen und Gemeinsamkeiten zu Auriel aufweisen konnte. Ein inneres Gefühl der Verbundenheit hatte sich zwischen ihnen gebildet, so schnell und doch unmerklich, dass sie - oder zumindest er selbst - es beinahe nicht erkannt hatten. Und eben dieses Gefühl war auch der Grund für jene nagende Sorge in ihm, die ihn einfach nicht mehr loslassen wollte... Kay, der einsah, dass Yves noch eine ganze Weile in jener fremden, aber mit seiner Stimme sehr angenehm klingenden, Sprache reden würde, gesellte sich zu Auriel, der sich auf die Kleewiese fallen gelassen hatte. Sein grünes T-Shirt, das weder besonders lang noch besonders kurz war, war unbemerkt hochgerutscht, sodass man den glatten Bauch und den, wie Rain immer wieder schwärmerisch meinte - und was auch immer das für ein Wort sein sollte -, "wolkenflauschsüßen Nabel" sehen konnte, hatte dabei irgendwie etwas Elfenhaftes an sich und strahlte zugleich unbrechbaren Stolz und innere Stärke aus, vielleicht wie ein junger aber begabter Elfenkrieger. Gleich biegsamem Obsidian umspielte sein Haar das helle, aber nicht zu blasse Gesicht, während er selbstvergessen mit dem Klee zwischen seinen Fingern spielte und hier und da einige Blättchen oder Pflänzchen herauszupfte. Doch trotz der natürlichen Schönheit dieses Bildes, die Kay natürlich sofort mit seiner Kamera einfing, war auch unübersehbar aus den sorgvoll verschleierten kleegrünen Augen zu lesen, dass etwas in Auriel vorging, dass ihm etwas zu schaffen machte, was insgesamt und zusammen mit dem strahlenden Sichelmond und den ungezählten Sternen am Himmel eine Art ästhetische Melancholie erzeugte. Nachdenklich den Jüngeren beobachtend ließ er sich neben diesem nieder, wurde jedoch noch immer nicht wahrgenommen, sodass er sich die Zeit nahm, Auriels Konturen einmal in aller Ruhe näher zu studieren. Wieder fiel ihm auf, dass Auriel seine ganz eigene Eleganz hatte, die so verschieden von der Silius' oder Yves' und doch _schön_ war und begann sich Gedanken darüber zu machen, dass Rains Geburtstag ja langsam heran nahte und er ihm mit dem, was er am Besten konnte - nein, er meinte jetzt nicht Yves vergöttern - vielleicht eine wirkliche Freude machen konnte. Jedenfalls war er sich ziemlich sicher, dass ein Kalender mit ein paar besonderen Fotos von Auriel seinen Geschmack recht genau treffen würden. /Hm, ja, das ist bestimmt eine gute Idee. Darüber muss ich mich mit ihm unbedingt in nächster Zeit mal unterhalten.../ Jedoch noch nicht jetzt. Erst wollte er sehen, wie sich das Ganze zwischen den beiden entwickelte, bzw. wie sehr Auriel auf Rain eingehen und seine Gefühle erwidern würde. Nicht nur für den Größeren hoffte er, dass er sich nicht in der Bedeutung des freudigen Glitzerns in Auriels Augen täuschte, wenn der Langhaarige in der Nähe des Kleineren war. Denn dass der Schauspielstudent nicht nur ein guter Freund für ihn war - _das_ sah ja nun wohl _wirklich_ jeder. Das glockenhelle Lachen der französischen Studentin unterbrach seine Gedanken, und als er zu seinem Schatz hinübersah, hatte jener ein breites Grinsen auf den Lippen. Etwas in ihm zog sich zusammen. Yves redete soviel mit ihr, während er heute kaum ein Wort von ihm bekommen hatte und auch sonst so selten bekam. Natürlich wusste er, dass es bei ihm auch gar nicht nötig war, weil er auch so verstand und Yves nun mal - jedenfalls normalerweise - kein Mann großer Worte war, aber andererseits mochte er die Stimme seines Blondschopfes sehr und wenn jener ihn doch so sehr liebte... warum durfte dann nicht auch er diese Stimme öfter hören? Kay stand kurz davor zu verzweifeln, wegen einer Eifersucht, die er nicht fühlen wollte, weil sie Misstrauen bedeutete. Aber manchmal klang das Französische eben doch sehr aufreizend und da er in der Schule lieber Chinesisch statt Französisch gelernt hatte - was er nun stark bereute - verstand er nun nicht ein einziges Wort. Tief in sich war er sich sicher, alles misszuverstehen, und doch klang es für ihn als würde Yves mit seiner Gesprächspartnerin flirten... ziemlich heftig, um genau zu sein. Dabei wusste er doch genau, dass der Blauäugige ihn nicht anlügen oder gar betrügen würde und so oder so immer noch schwul war und blieb und er wusste auch, dass er ihm vertrauen konnte und wollte es ja auch. Und trotzdem... Er konnte ja noch nicht einmal etwas dafür: Zu sehr liebte er Yves, um nicht Angst davor zu haben, dass er ihn einmal auf die ein oder andere Weise verlieren könnte... - - - - - - [1] Kleetag VOLUME 6 . . . >>"[...]Und die Menschen..." "Was ist mit denen?" "Sie machen lauter bescheuerte Dinge." Ein paar Herzschläge lang herrscht Ruhe. Schließlich spricht er wieder: "Weißt du, natürlich machen die Menschen lauter bescheuerte Dinge, allgemein, meine ich. Und sie sind widerlich und alles. Aber sie sind auch irgendwie herzzerreißend. Sie wissen, dass sie eines Tages sterben werden. Sie haben keine Ahnung, was danach mit ihnen geschieht. Sie wissen nicht, ob sie allein sind in dem unendlichen Universum oder ob sie überhaupt jemand sieht, der sich denkt: die waren aber tapfer heute! Sie wissen nicht einmal, ob sie für irgendetwas vorgesehen sind oder ihre Existenz nur ein Zufall, Unfall und so weiter ist. Und trotzdem versuchen sie sich zum Beispiel über eine Tasse Tee zu freuen oder sie erzählen sich Geschichten in einem Nachtzug. Oder sie reisen, wenn sie Sommerferien haben, von einer Seite ihrer im Verhältnis zum Universum winzigen Erdkugel zur anderen, wo sie sich an den Strand legen und versuchen dort dann glücklich zu sein." [...] Ich finde, das ist eine sehr gute Idee. Auch ich will gerne kurz woandershin. Lieber wäre mir noch allein. Aber man kann ja nicht alles haben. Henry klettert wieder die Leiter an seinem Bett herunter. Auf dem Gang brennt schummriges Licht. Von der Landschaft draußen sieht man gar nichts. Man sieht nur sich selbst. Aber wenn ich mich selbst im Spiegelbild ansehe, schaue ich in eine viel tiefere Dunkelheit als in die, die draußen vor den Fenstern ist. Wir stellen uns beide nebeneinander ans Fenster. Es ist komisch, Henrys Gesicht wieder ganz und gar sehen zu können. Er blickt mit traurigen Augen auf irgendetwas Unwirkliches hinter seinem Spiegelbild. Er kreuzt die Arme vor seiner mageren, nackten Brust. [...] "Wir sind ganz allein", sagt er. In seiner Stimme liegt Trauer. "Du meinst hier?", frage ich. "In dem Abteil? Wir sind nicht allein. Wir sind zu zweit." "Nein, ich meine generell. Auf der Welt. Ist jeder Mensch allein. Man kann auch zu zweit zusammen in einem Zugabteil sein. Aber man bleibt allein."<< ~ Aus dem Buch "Der Vogel ist ein Rabe" von Benjamin Lebert ~ . . . /Schluss!/, rief Silius sich zurecht. Ganz entgegen seiner Gewohnheiten hatte er es bei drei bis auf einen nicht einmal hochprozentigen Getränken belassen. Was nichts daran änderte, dass er sich miserabel fühlte. Am Tiefpunkt seiner schlechten Laune angekommen schwang er sich schließlich auf sein Motorrad, auch wenn er wusste, dass er es bei dem Alkohol in seinem Blut nicht mehr gedurft hätte, und genoss das sanfte Vibrieren seines Bikes, während der Asphalt mattschwarz im Laternenlicht glänzend unter ihm vorbeizog. Als er jedoch an einen der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte der Stadt kam, schwenkte er plötzlich ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein nach rechts, statt nach links zur Academy. Erst als er fast an dem See, den er von den umliegenden fünf am Liebsten mochte und im Sommer regelmäßig besuchte, angekommen war, wurde er sich recht bewusst, wohin er fuhr und dass er - eigentlich - in die vollkommen falsche Richtung gefahren war. Oder auch nicht. Er hatte ein schlechtes Gewissen wegen Auriel, der sich bestimmt Sorgen um ihn machen würde, wie er es jedes Mal tat, wenn er _wirklich_ spät zurück kam, aber er konnte einfach nicht... konnte einfach noch nicht in die grünen, vorwurfsvoll blickenden Tiefen sehen. Er hatte schlicht und einfach _Angst_ ihrem Blick in seiner Verfassung zu begegnen, denn er wusste, dass der junge Ephebe seine sorgsam aufgelegte Maske innerhalb von Sekundenbruchteilen durchschauen würde, gerade so als bestünde sie aus hauchdünnem Glas. Und genau das musste er auf jeden Fall verhindern. Auriel _durfte_ ihm seine "Maske" heute Nacht nicht vom Gesicht reißen oder er würde auf einen Schlag alle seine Gefühle für ihn erkennen, was in etwa der Situation gleichkam, in der man sich befand, wenn man mitten in einer panischen Elefantenhorde stand. Er würde schlicht und einfach von Silius' Gefühlen überrannt werden, sich sofort wieder in sein Schneckenhaus zurückziehen - und vielleicht nie wieder daraus hervorkommen, egal mit wie vielen Zuckerstückchen der schwarzhaarige Beau den Naschkater auch zu locken versuchte. Wenn sich der Langhaarige darauf besann, wie oft er dem Grünäugigen praktisch _ansehen_ konnte, wenn er mit seinen Selbstzweifeln und dem aus seinen alten Wunden schwärenden Misstrauen zu kämpfen hatte, so konnte er sich genau genommen zur Erschaffung mehrerer mittelgroßer Weltwunder beglückwünschen, aber er war sich auch bewusst, dass er das noch sehr zarte Vertrauen nicht missbrauchen durfte, dass er Auriel zwar einladend die Hand hinhalten, ihn jedoch nicht gewaltsam zu sich zerren durfte. Seufzend stieg er ab, bockte seine Maschine auf, zog seine Schuhe aus und ließ sie bei seiner Kawasaki. Der Mond war hinter einer dichten Wolkendecke verschwunden und so fiel es selbst ihm, der nun wahrlich nicht mit Nachtblindheit geschlagen war, schwer, sich über den aus auf einem Gerüst aneinander gelegten Holzbohlen bestehenden und daher nicht gerade ebenen Pfad vorzutasten in dieser Nacht, die so dunkel war, dass er sich in einen Backroom[1] versetzt glaubte. Schließlich fand er sich aber doch am Ende der langen, sehr sanft abfallenden Treppe, die vom Hauptweg abzweigte, und spürte den trotz des vielen Sommerregens völlig trockenen Sandes unter seinen Zehen. Für einen Moment blieb er stehen, sog tief die verhältnismäßig kühle Nachtluft ein, spannte immer wieder die Zehen an und ließ wieder locker, wippte leicht vor und zurück, begann dann auch die anderen direkt kontrollierbaren Muskeln seines Körpers erst der Reihe nach, dann alle auf einmal anzuspannen bis er sich von Kopf bis Fuß spüren konnte. Es war ein beruhigendes Gefühl, denn es sagte ihm, dass er am Leben war, auch ohne, dass er sich die Unterarme oder Waden aufritzte, wie er es vor noch nicht allzu vielen Jahren getan hatte... Damals hatte er normale Berührungen oft gar nicht mehr gefühlt, seine eigenen Hände und Füße als etwas empfunden, das ihm zwar Zeit seines Lebens folgte, aber doch nicht wirklich zu ihm gehörte. Dann hatte Kay diese Methode entdeckt, als er aus reiner Neugier in einem Buch über Traumdeutung gelesen hatte. Eigentlich war sie als Entspannungsübung und Einschlafhilfe gedacht gewesen und da sein Kumpel mit dem Kastanienhaarschopf von seiner chronischen Schlaflosigkeit gewusst hatte, hatte er versucht, sie ihm beizubringen. Sie hatte ihm zwar weniger als gar nicht beim Einschlafen geholfen, dafür aber seiner kaputten Psyche. Natürlich war es nicht von heute auf morgen geschehen, doch nach und nach hatte er den geschärften Brieföffnerdolch immer öfter mit einem langen Blick unbenutzt wieder zur Seite legen können und schließlich war unbemerkt der Tag gekommen, an dem der Dolch nur noch für seine wahre Bestimmung genutzt wurde. Rain hörte auf, seinen Körper mit Anspannung und Entspannung zu kontrollieren, fühlte den leichten Wind mit seinen Haaren spielen, während er zögerlich und doch wie von Auriel an der Hand genommen auf die bewegte schwarze Fläche vor ihm zuging. Gleich einer unbekannten Magie schien das Wasser jegliche Helligkeit in sich aufzusaugen, war ein formloses Ungeheuer, welches mit tausend Zungen an seinen nackten Füßen leckte, als er es langsam jedoch ohne zu stocken betrat. Dann, als das Wasser seinen weißen Knöchel und die schwarzen Zeichen darauf streichelte, blieb er doch stehen, sah wieder hinauf und konnte doch nicht viel erkennen, so sehr er sich auch bemühte. Aber eigentlich war es auch egal... Der Himmel, so wie die Menschen ihn nun sahen, war alt, nur noch ein schönes Trugbild. Viele der Sterne an jenem dunkelblauen Gewölbe, so wusste er, waren schon längst verloschen... Von einer unbestimmten Trauer ergriffen fragte er sich, ob man _seinen_ Stern nach seinem Tod auch noch sehen können, ob man sich an ihn _erinnern_ würde... Er starrte auf seine Handflächen die in Höhe seines Bauchnabels als zwei verschwommene Schatten erkennbar waren und beantwortete sich diese Frage selbst: Nein. Und wenn, dann nicht als das, was er sich wünschte. - - - - - - [1] Backrooms - auch Darkrooms genannt - sind jene schlicht und einfach zur Schwulenszene gehörenden Räumlichkeiten in denen reeeiiin zufällig jedes Mal die Glühbirne durchgebrannt ist, wenn man sich gerade in ihnen aufhält, wobei die Dunkelheit die Anwesenden dann merkwürdigerweise immer zu den gleichen gewissen Aktivitäten verleitet... VOLUME 7 . . . "Ich werde nicht aufgeben... Ich werde nicht aufgeben, Egal was ihr wollt. Ich werde nicht aufgeben, Ob ihr lacht oder grollt. Ich lebe mein Leben So wie ich es will. Ich werde vergeben Wem immer ich will. Ihr könnt mich nicht biegen Was ihr auch tut. Lieber im eigenen Blute liegen Als lebendig und ohne Mut. Ich bin anders als ihr Und stolz darauf. Da ist etwas in mir Das gibt es nicht zuhauf. Ich zeige keine Furcht vor euch Auch wenn ich ängstlich bin. Dass ich euch entfleuch Eurem Leben ohne Sinn. Ich bin gekommen Die Welt zu lieben. Nicht wie der Messias vollkommen, Aber auch bis zum Ende geblieben." ~ Absolutely Black Rain ~ . . . Auriel erwachte wie aus einem leichten Schlaf, stand mit nachdenklicher Miene auf. Er schien wirklich erstaunt, als er Kay erblickte, erklärte dann leise, dass er müde sei. Kay biss sich leicht auf die Unterlippe. Mit dem Schwarzhaarigen stimmte etwas nicht und der Fotograf hatte das ebenso unbestimmte wie untrügliche Gefühl, dass es mit Silius zusammenhing. Mit einem kurzen Seitenblick auf Yves, der ihn im Moment sowieso beinahe übersah, rief er seinem Geliebten zu, dass er Auriel noch schnell hochbringen wollte um ein bisschen Bewegung zu kriegen, da ihm langsam die Beine einschliefen. Ein wenig unbeholfener als sonst richtete er sich auf, spürte ein leichtes nicht unbedingt angenehmes Prickeln in seinen Waden. Indessen drehte sich Yves zu ihm um, nickte lächelnd und berührte ihn kurz und sanft an der Schläfe, fuhr über die Wange bis zum Kinn, ließ ihn dann los, ohne dass jenes warme Gefühl, welches in Kay aufwallte, verschwand. Sein Waldelf hatte verstanden. Danach jedoch wandte er sich wieder der Studentin zu und sofort war der heftige, stechende Schmerz in seiner Brust wieder da. Er atmete tief, um sich nicht zu verraten, jedoch so lautlos wie möglich, durch, ging dann mit Auriel über den Campus Richtung Studenteneingang und fragte ihn, um sich abzulenken, was mit ihm los sei. Der angehende Kunststudent hielt überrascht inne, sah ihn zögernd an, starrte dann verlegen irgendwo anders hin. Zufall oder nicht war dieses Irgendwo jedoch ein Kirschbaum - _Rains_ Kirschbaum. Schließlich hörte er Auriel leise atmen und seine noch viel leiseren Worte, die nur geflüstert an sein Ohr schwebten: "Ich hab so ein schlechtes Gefühl... Rain war irgendwie komisch als er gegangen ist und ich mache mir Sorgen, dass er wieder irgendetwas Idiotisches anstellt... Deswegen möchte ich vorsichtshalber schon da sein, wenn Silius wiederkommt... Ich hoffe zwar, dass er sich nicht schon wieder betrinkt, aber bei ihm weiß man nie..." Kay verstand, sah den Kleineren jedoch auch gedankenvoll an, fragte sich im Stillen, wie viel Auriel wohl wirklich wusste - oder ahnte - und wie sehr er die Gefühle seines Mitbewohners tatsächlich erwiderte... "Weißt du, Auriel... Auch wenn ihr euch erst so kurz kennt... Du bedeutest Rain sehr viel... Euch verbindet etwas, das nicht ein Jahrzehnt braucht, um zu wachsen und zu erstarken, sondern viel mehr nur jenen einen Augenblick, in dem ihr euch das erste Mal saht...", sprach er vorsichtig, verstummte dann, beobachtete den anderen jedoch sehr genau auf dessen Reaktion. Mehr zu sagen war im Moment nicht gut, dass wusste er, aber vielleicht hatte der andere trotzdem ein wenig begriffen, was ihm da gerade erklärt worden war... Und tatsächlich... Der Jüngere begann versonnen zu lächeln, wobei er sich jedoch ziemlich sicher war, dass dieser es gar nicht wirklich bemerkte. Daher machte er schnell noch ein Foto, bevor jener besondere Moment auch schon wieder vorüber war. Es war seltsam und schade, dass solche speziellen Augenblicke immer nur eine Sache von Sekunden waren, sodass es zum Teil wirklich schwierig war, sie einzufangen, bevor sie unwiederbringlich verloren waren, aber andererseits... machte sie diese kurze Dauer vielleicht auch erst so kostbar... Auriel blinzelte verdutzt, lächelte dann aber nur breit und klopfte ihm auf die Schulter. "Du kannst es echt nicht lassen, was? Nea egal... Für heute aber keine Fotos mehr!" Dann ging er und ließ einen milde verblüfften Kay zurück, der ihm abwesend nachsah. Seufzend legte sich Kay nach einer Weile wieder ins Gras, spielte mit den Fingern in einem der kleinen Bäche, über dessen kleine Brücke Auriel gerade verschwunden war. Eigentlich hatte er gehofft, sich ein wenig länger ablenken zu können, aber nun kam sein Unglücklichsein mit unverminderter Wucht zurück und versenkte ihn ohne Gnade in seine Unseligkeit. Er verlor das Zeitgefühl. Stunden wurden zu Sekunden, Minuten zu Jahren. Am eindeutigsten war wohl aber doch, dass er es nicht einmal unbewusst registrierte, als Yves herankam und sich zu ihm setzte. Erst als jener ihn zögerlich am Arm berührte, schreckte er auf und erkannte das beunruhigte Gesicht seines Liebsten. ,Was ist mit dir, Kay?', schien es zu fragen, eindringlicher noch als es Worte gekonnt hätten. Doch anstatt zu antworten - ob nun über Blicke oder Worte - fragte er nur: "Was ist mit deiner Studentin?", und wählte ohne es zu merken einen sehr seltsamen Ton. Daher konnte er sich auch Yves' missbilligendes Stirnrunzeln nicht erklären, als dieser leise erwiderte, dass sie sich bereits verabschiedet hatten, da er doch schon eine ganze Weile hier herumliegen musste. "Ich habe mir Sorgen gemacht, weil du nicht wiedergekommen bist...", schloss sein Schatz leise, aber mit einem, wenn auch leichten, so doch unüberhörbaren Vorwurf in der Stimme. Kay zuckte unangenehm zusammen, versuchte dem Blick seines Geliebten auszuweichen. Doch natürlich half es nichts: "Nein... oder?!", fragte der Kleinere ein wenig ungläubig. "Und was wäre, wenn?", gab Kay leise zurück, schaffte es noch immer nicht, seinem Liebsten in die Augen zu sehen. Wortlos wurde er von Yves in dessen Arme gezogen, erschauerte leicht, als ihm der Jüngere seine liebevollen Worte ins Gesicht blies. "Kay, du hast keinen Grund zur Eifersucht, weil ich...", er senkte sein Gesicht über das seine, "nur dich, dich und nochmals dich liebe ", und hauchte ihm bei jedem "dich" einen Kuss auf die Lippen. Dann legte er sich neben ihn, schmiegte sich in seine Arme und während Kay wieder wunschlos glücklich war und über das ganze Gesicht strahlte wie ein leckes Atomkraftwerk, träumte Yves mit ihm noch ein bisschen und zusammen genossen sie einfach nur die Nähe des anderen und den mittlerweile wolkenverhangenen Nachthimmel, der von den Lichtern der Stadt ausgeleuchtet wurde. Nachdenklich drehte er sich in ihrem gemeinsamen Zimmer. "Wohin zum Teufel sind meine Acrylfarben verschwunden?", murmelte er leicht hilflos. Schließlich fand er sie durch Zufall unter Silius' Bett - wie immer sie auch dorthin gelangt sein mochten... Sobald er jedoch seine Farben gefunden hatte - und vorsorglich das Fenster geöffnet hatte, damit sich ihr Geruch nicht im Zimmer einnistete - und einen Pinsel in der Hand hielt, war er nicht mehr zu stoppen. Er wusste genau, was er an seinem Clover-Day malen wollte, und da ihn seine Sorge halb wahnsinnig gemacht hätte, hätte er sie nicht in seinem Bild verarbeitet, war auch das Motiv schnell gefunden. Aber natürlich war es nicht so, als bliebe ihm nicht die Wahl. Im Gegenteil war er froh darüber, Rain und die mit ihm verbundenen Ängste und Fragen aufmalen zu können. Auriel war sich darüber bewusst, dass er heute vielleicht nicht hier gesessen hätte, hätte er nicht immer die Möglichkeit gehabt, alles was ihn bedrückte, aber auch alles was ihn glücklich machte, in seinen Bildern zu verarbeiten. Vertieft in seine Gedanken und alle bildlichen Erinnerungen an den Größeren nutzend, um seine Darstellung von Silius so realitätsgetreu wie möglich zu machen, beugte er sich über den noch weißen recht großformatigen Untergrund. Und so entstand nach und nach ein scheinbar unendliches Feld von saftig grünem Glücksklee[1] auf dem sich ein Elf in Gestalt seines Mitbewohner niedergelegt hatte, mit offenen Augen von glückseligen Momenten träumte, was sich in dem feinen, verträumten Lächeln auf seinem zartblassen Gesicht wiederspiegelte. Sein fließend blaues, unirdisch wirkendes Hemd war geöffnet, einer der Zipfel flatterte leicht im Wind, während lilafarbene und mattweiße Kleeblüten auf seinem Oberkörper verstreut lagen, Kleeblätter dagegen durch die Gegend wirbelten um sich in Rains wogenden, langen Haaren zu verfangen. Bedächtig beendete er sein Bild indem er die Glanzlichter und Schatten in die tiefen Blauen setzte und wurde sich dabei darüber klar, dass der Schwarzhaarige ja DUNKELblaue Augen hatte, was tatsächlich ziemlich selten war... Fast wie besonders schöne, noch flüssige Tinte und doch... anders... Vielleicht war es bloß die Augenform, vielleicht auch weil Silius nicht nur studierender, sondern wirklich geborener Schauspieler war und so gut mit seinem Gesicht umgehen konnte oder... oder war es vielleicht doch wirklich die _Seele_ hinter diesen Seelenfenstern, die ihnen diesen unvergleichlichen Ausdruck gab, den er so liebte... Auriel stockte. /Liebte...?/ So, wie er war, ging er plötzlich mitten in die Fluten, spürte, wie sich das Wasser in seiner Kleidung voll sog und sie schwer werden ließ, ihn noch mehr ins Wasser zu ziehen schien, und so ging er weiter hinein bis nicht einmal Silius darin stehen konnte, begann zu schwimmen bis in die Mitte des Sees hinaus. Und plötzlich riss die Wolkendecke auf, der Mond war wieder zu sehen. Es hätte ein besonderer, großartiger Moment sein müssen, ein Symbol für die Ankunft des von göttlichem Licht bestrahlten Helden oder dergleichen, es hätte ein Augenblick sein sollen, in dem seiner Künstlerseele jede Menge Inspiration geschenkt wurde... Aber so war es nicht. Das einzige, was war, war, dass er hier draußen wie ein Vollidiot rumschwamm, obwohl ihm kalt und sein Mund bestimmt schon _schwarz_ angelaufen war. Auch seine Kleidung schien immer schwerer zu werden und wollte ihn zum Grund hinabziehen. Er schloss die Augen und auf einmal hielt er tatsächlich in seinen Schwimmbewegungen inne, hielt ganz ruhig und versank langsam, dann immer schneller im Wasser. Es schlug über seinem Kopf zusammen, dann Stille... Diese wunderbare, allumfassende Stille, die er von jeher so am Wasser geliebt hatte...[2] "Musst du morgen früh arbeiten?", erkundigte sich Shane, während er auf seine Armbanduhr blickte. Vincent schüttelte nur schweigend den Kopf, was reichlich merkwürdig aussah, da dieser wie so oft schräg angewinkelt war. Shane konnte nicht anders und zog ihn wortlos an sich, küsste ihn so tief und lange wie es ihre Lungen zuließen. Heftig keuchend ließen sie voneinander ab und nach einem kurzen Blick in Vincents blaugrüne Augen stellte er klar: "Dann schläfst du heute Nacht bei mir..." Vinnie wollte gerade anfangen, etwas einzuwenden, doch der bedeutend Größere ließ ihn nicht ausreden, sondern schleppte ihn einfach mit: "...Und Basta!" Wenige Minuten später sah sich der Blonde dann auch schon auf Shanes Kanapee verfrachtet, während jener ihn nach seinen Getränkewünschen fragte. "Das ist mein Text!", schmollte der Cafébesitzer mit der Barkeeperseele, ließ sich dann aber in Anbetracht des ausgezeichneten Services doch noch zu einem Gute-Nacht-Tee überreden. Völlig entspannt und zugleich so aufgeregt wie zu einem wichtigen Spiel, hatte er dem Kleineren gegenüber auf einer Sitzgelegenheit Platz genommen, die irgendwo zwischen Sessel und gepolstertem Stuhl lag, aber nichtsdestotrotz durch seine Gemütlichkeit und Formschönheit bestach. "Bist du sicher, dass ich heute Nacht hier bleiben soll?", fragte Vincent plötzlich und klang dabei seltsam ernst. "Was ist das denn für eine Frage?", protestierte Shane ziemlich empört. "_Natürlich_ bin ich sicher!" Vin zuckte mit den Schultern, während er weiter an seinem wohl noch zu heißen Tee nippte. "Sorry... Wusste ja nicht, dass du bei deiner Größe so heiß auf eine Nacht auf deiner Couch bist..." Der Basketballer verschluckte sich an seinem Tee und hustete qualvoll, als sich das brühheiße Getränk durch seine Speiseröhre fraß. "WAS?", ächzte er ungläubig. /Also _so_ falsch kann ich ihn ja wohl kaum verstanden haben - ODER?!/ Nun verlor sich auch das letzte Quäntchen Humor aus dem Gesicht des Älteren, der seelenruhig seine Teetasse abstellte und ihm dann bitterernst in die Augen sah. "Hör zu, Shane...", seufzte er, und es war deutlich wie schwer ihm das Ganze fiel. "Ich habe nichts dagegen, ab und an ein One oder Two Night Stand mit geklärten Fronten und ohne Verpflichtungen zu haben... Aber ich will ehrlich zu dir sein - Mit dir will ich nicht einfach ins Bett und am nächsten Tag wieder getrennte Wege gehen... Wenn ich mit dir "Liebe machen" will, dann im wahrsten Sinne des Wortes... Ich erwarte mehr von dir als guten Sex und einen freundschaftlichen Abschiedskuss morgen früh - und wenn du mir _das_ nicht geben kannst, dann möchte ich jetzt lieber gehen, um nicht die Freundschaft zwischen uns zu zerstören... verstehst du?" "Nein", erwiderte Shane benommen. "Ich verstehe ganz und gar nicht! ...warum zum Teufel du mir das erst _jetzt_ sagst???" Der Blonde blinzelte verdutzt und dann ging endlich wieder die Sonne auf. >>>Er schloss die Augen und auf einmal hielt er tatsächlich in seinen Schwimmbewegungen inne, hielt ganz ruhig und versank langsam, dann immer schneller im Wasser. Es schlug über seinem Kopf zusammen, dann Stille... Diese wunderbare, allumfassende Stille, die er von jeher so am Wasser geliebt hatte...<<< Dann ein Schrei. Auriel. Er war nicht hier und unter Wasser hätte er ohnehin nicht richtig schreien können, aber Silius hörte ihn, gellend und panisch. Rain schlug die Augen auf, begann hastig nach oben zu tauchen bevor die Luft knapp wurde und durchstieß mit brennenden Lungen die Wasseroberfläche, atmete heftig ein. Nie zuvor hatte die Luft so süß geschmeckt. Er meinte sogar einen Hauch von Auriel in ihr zu riechen. Mit den Füßen wassertretend und das kalte Nass mit den Händen immer wieder zur Seite schiebend, während es ihm immer wieder in die Augen lief und ihn beständig blinzeln ließ, blickte er wieder zum Mond hinauf, dann zum nun fahl beleuchteten Strand und unvermittelt fühlte er die Magie, die er vor wenigen Sekunden so vermisst hatte, mit aller Heftigkeit über ihm zusammenbrechen wie eine meterhohe Welle - und er begann zu schwimmen, als ginge es um sein Leben, hielt erst inne, als er aus dem Wasser war und sich auf den Sand fallen lassen konnte, krallte seine Finger hinein, durchpflügte ihn bis er krümelig und aufgewühlt unter seinen Händen lag. Und er lachte. Ganz leise nur, aber in seinen Ohren klang es so laut wie ein mittelgroßes Konzertorchester. Dann verstummtes es ebenso urplötzlich, wie es aus ihm hervorgebrochen war und schweigend ging er zu seinem Bike, fuhr zurück. Nach Hause. Oder besser: zu einer kleinen Studentenwohnung mitten in der Innenstadt, die er seit Auriels Einzug "zu Hause" nannte. Und es fühlte sich gut an, wieder "zu Hause" sagen zu können und es auch so zu meinen. - - - - - - [1] Ihr wisst schon, der mit vier Blättern, der angeblich Glück bringt, weil er sooo selten ist (und deshalb auch jedes Jahr zu Sylvester in jedem Blumenladen zu kaufen ist -.-)... [2] Das nennt man dann wohl einen echt gemeinen Cliffhanger... *fiesgrins* Aber Achtung: Wer versucht runterzuscrollen um erst mal zu schauen, ob er jetzt tatsächlich irgendwie was auch immer, der darf _überhaupt_ nicht mehr weiterlesen, klar!? Ein bisschen Spannung muss schließlich auch sein! VOLUME 8 . . . "Mensch Momentan ist richtig, momentan ist gut Nichts ist wirklich wichtig, Nach der Ebbe kommt die Flut. Am Stand des Lebens, Ohne Grund, ohne Verstand, Ist nichts vergebens, Ich bau die Träume auf den Sand. Und es ist, es ist okay, Alles auf dem Weg Und es ist Sonnenzeit, Unbeschwert und frei Und der Mensch heißt Mensch, Weil er vergisst, weil er verdrängt Und weil er schwärmt und stellt, Weil er wärmt, wenn er erzählt, Weil er lacht, weil er lebt, Du fehlst. Das Firmament hat geöffnet, Brückenlos und ozeanblau, Telefon, Gas, Elektrik, Unbezahlt und das geht auch, Teil mit mir deinen Frieden, Wenn auch nur geborgt, Ich will nicht deine Liebe, Ich will nur dein Wort. Und es ist, es ist okay, Alles auf dem Weg Und es ist Sonnenzeit, Ungetrübt und leicht Und der Mensch heißt Mensch, Weil er ehrt und weil er kämpft Und weil er hofft und liebt, Weil er mitfühlt und vergibt, Weil er lacht und weil er lebt, Du fehlst, Oh, weil er lacht und weil er lebt, Du fehlst. Es ist okay, Alles auf dem Weg Und es ist Sonnenzeit, Ungetrübt und leicht Und der Mensch heißt Mensch, Weil er vergisst, weil er verdrängt Weil er schwärmt und glaubt, Sich anlehnt und vertraut Und weil er lacht und weil er lebt, Du fehlst. Oh, es ist okay, Es tut gleichmäßig weh Und es ist Sonnenzeit, Ohne Plan, ohne Geleit Und der Mensch heißt Mensch, Weil er erinnert, weil er kämpft Und weil er hofft und liebt, Weil er mitfühlt und vergibt, Weil er lacht und weil er lebt, Du fehlst, Oh, weil er lacht, weil er lebt. Du fehlst." ~ Herbert Grönemeyer ~ . . . Noch während Auriel seine Farben wegräumte, begann er zu gähnen. Irgendwie wurde er nach dem Malen unabhängig von Zeit und tatsächlichem Erschöpfungsgrad immer müde. /Nicht einschlafen... Rain ist noch nicht da/, versuchte er sich wortwörtlich aufzumuntern, aber sobald er sein Bild auf dem Schreibtisch vor sich selbst in Sicherheit gebracht und sich dann ans Kopfende von Rains Bett gepflanzt hatte, um aus dem Fenster schauend Rains Ankunft zu harren, war er auch schon in Morpheus' Arme geglitten, die ihn sanft umfingen. Leises Regenprasseln... /Rain!/, schoss es durch ihn, freudige Erwartung rieselte in angenehmen Schauern seinen Nacken hinab wie feinkalter Puderschnee. Erst hatten ihn diese Träume verängstigt, dann verwirrt, schließlich hatte er sich an ihre tägliche - oder sollte er sagen _nächtliche_? - Anwesenheit gewöhnt - aber jetzt... jetzt mochte er sie. Ein Lachen! Gespannt drehte sich Auriel nach seinem Ursprung um und wie nicht anders zu erwarten erblickte er Black Rain. Sein Gegenüber erkannte ihn ebenfalls und blieb stehen, schaute ihn fragend an, schien eine bestimmte Reaktion von ihm zu erwarten. Vollkommen nackt wurde er von schwarzen Tropfen eingekleidet, die seine samtige Haut mit schwarzflüssigem Satin überzogen. Der Träumende schluckte hart. Er hatte Silius nun schon einige Male unbekleidet gesehen, doch ohne dass er es sich recht erklären - oder doch nur _eingestehen_? - konnte, raubte es ihm jedes Mal aufs Neue den Atem und trieb ihm die Röte in die Wangen. Gleich eines männlichen Aktes von Michelangelo schien er nicht aus dem Marmor _gehauen_, sondern viel mehr aus ihm herausgestreichelt oder gar aus Alabaster _gegossen_, so makellos schien er ihm in diesem Moment, während der Regen in fremdartigen Arabesken über seine Haut rann und im Namen der Schönheit jeglichen Gesetzen der Schwerkraft widerstand. Plötzlich aber wob sich in das monotone Prasseln ein helles Tropfen, das seltsame Ähnlichkeit zu den helleren Klängen eines Klaviers aufwies, und nach und nach konnte er noch ein Terzett aus Violine, Viola und Cello heraushören, welches die Bewegungen des Regens auf Rains Haut zu bestimmen schien. Doch nicht nur der Regen schien den Naturgesetzen zu trotzen - auch sein, zumindest namentlich, Verwandter begann zu schweben, als die fließende Seide seine Zehenspitzen berührte und ihn vom feuchtkalten Untergrund löste. Wie das im Wind taumelnde Blütenblatt einer schwarzweißen Rose bewegte sich der hüllenlose Körper in eleganter Anmut zu den fragilen Tönen der unsichtbaren und doch allgegenwärtigen Instrumente, wurde nicht länger vom Regen getroffen, sodass die Ornamente auf seiner Haut erhalten blieben. Wieder ein Lachen. Es erklang aus der Richtung aus der der barhäuptige Tänzer vor nicht allzu vielen Minuten erschienen war und wo er auch jetzt wieder stand und seinen Oberkörper sanft wiegte. Nun aber begriff Auriel, dass es nicht Silius gewesen war, der dieses Lachen von sich gab. Es entstand _hinter_ ihm und zudem hatte er die unmissverständliche Ahnung das helle Stimmchen erkennen zu müssen. /Aber woher...?/ Bevor er seinen Gedanken zu Ende fließen lassen konnte tat der leichtfüßige Elf einen Schritt zur Seite und drehte sich im Wind in höhere Gefilde. Ein Kind, nein, ein kleiner Junge kam mit ausgebreiteten Armen auf ihn zugerannt. Er hatte schwarzes Haar und ungewöhnlich klare grüne Augen. Es war Auriel selbst. Oder besser: Es war seine Vergangenheit, kurz vor dem Abschied von seiner Mutter. Der Kunststudent ging in die Knie, öffnete nun selbst die Arme um sein kleines Abbild zu umarmen, doch noch bevor er reagieren konnte, war der kleine Auriel auch schon gestolpert und schlug sich das Knie blutig. Erschrocken wollte der Größere aufspringen, doch plötzlich hörte er Rain aufschreien. Überrascht hielt er inne, blickte auf und sah, was dem scheinbar stummem Silius zu seinem angsterfüllten Laut bewogen hatte: Zwei Pfeile aus schimmernd schwarzem Eis flogen direkt auf Auriels Vergangenheit zu. Doch bevor sie sich nahezu lautlos, vor allem aber _tödlich_, in den schutzlos ausgelieferten Kleinen bohren konnten, war der schwarzbemalte Tänzer heran und warf sich über den erstarrten Jungen. Mit letaler Präzision fraßen sie sich in beide Schulterblätter, der Getroffene warf in Agonie den Kopf zurück, nicht einmal mehr fähig einen Schmerzenslaut von sich zu geben. Dunkelrotes Blut, neben den Augen der Beiden das einzig Farbliche, quoll aus den Wunden. Doch wie es ein Traum so an sich hatte, dachte der Lebenssaft nicht im Geringsten daran, sich normal zu verhalten, sondern kroch an den Pfeilen empor, vermischte sich mit dem schwarzen Regen, begann in dunklen Schlieren aufzusteigen bis sich zwei prachtvolle Schmetterlingsflügel gleich denen eines Schwalbenschwanzes dem Himmel entgegenstreckten. Ungläubig schloss Auriel die Augen. Selbst für einen Traum war dieser Anblick etwas, das einfach _zu_ schön war. Silius glich einer fremden Gottheit, wie er sich erneut in die Luft emporschwang. Als sich seine Lider jedoch wieder von den Augäpfeln hoben, waren Silius und der kleine Junge verschwunden, selbst die schwarzen Tropfen waren nur noch ein leichter Nieselregen, der allmählich verblasste. Was blieb war ein wunderschöner kleiner Schmetterling, dessen Flügel wie Blut auf polierter Kohle aussahen, der sich, als der Grünäugige seine Hand für ihn öffnete, tatsächlich auf seiner Handinnenfläche niederließ und ein wenig mit den Flügeln klimperte. Dann der Knall wie von einer zugeschlagenen Tür und der flatterhafte Geselle löste sich samt des Traumes in Nichts auf. Leicht erschrocken sprang Auriel auf und eilte aus dem Zimmer. Und blieb wie angewurzelt wieder stehen. "Was zum...?", keuchte er geschockt. Auch wenn Rain dieses Mal eindeutig nüchternER war und wohl eher nicht die Gefahr bestand, dass er wieder kotzen musste, so sah er trotz seines seltsamen leichten Lächelns so unendlich müde und geschafft aus, dass es dem Jüngeren Angst machte. Und wie er aussah! Er war bis unter die Haut durchnässt und triefte förmlich aus jeder einzelnen Pore, zitterte zugleich - seine Lippen waren nicht mehr lilafarben sondern _wirklich_ blau - stärker als die Barthaare eines witternden Mäusleins und noch dazu war er über und über von Sand bedeckt, als wäre er rücklings mitten in die Sahara gefallen! Heftig sog er die Luft ein, sodass sich seine enganliegenden Nasenflügel bebend blähten, dann fragte er möglichst ruhig: "Alles in Ordnung mit dir?" Silius nickte nur und auch wenn es bei seiner offensichtlichen Verfassung fast lächerlich erschien, glaubte Auriel ihm. Vielleicht lag es an dem Lächeln, das wirklich bis in Rains Augen reichte und selbst seine starre Maske durchdrang, aber etwas sagte ihm unmissverständlich, dass die Gefahr, die er gewittert hatte, vorrübergegangen und der Langhaarige einigermaßen schadlos daraus hervorgegangen war. Der Kleinere verbiss sich die Frage nach dem Was und Warum, dirigierte ihn stattdessen ins Bad, nahm ihm dabei seine Kleidung ab, stellte ihn kurz unter die Dusche, bevor er ihn eilends ins Bett steckte. Fast sofort senkten sich die zarten Lider über die blauen Tiefen und Auriel musste nicht lange warten, bis flacher, rhythmisch-gleichmäßiger Atem das nicht übertrieben große, aber geräumige Doppelzimmer erfüllte. Trotzdem wartete er noch eine Weile bei ihm, ehe er aufhörte, Silius' Handrücken beruhigend mit seinem Daumen zu streicheln und die Hand zu drücken, um ihm schweigend zu sagen, dass er für ihn da war. Dann ging er leise ins Bad um die Kleidung seines Mitbewohners auszuwaschen und vor allem den Sand aus dem Gewebe zu spülen. Leider lastete diese Tätigkeit seinen Kopf nicht aus, sodass er ohne es recht zu merken ins Grübeln kam und sich schließlich verzweifelt den Kopf darüber zermarterte, wo zur Hölle Rain gewesen war. Zugleich fühlte er aber auch eine gewisse Bitternis in sich aufsteigen, da der englisch-schweizerische Mischling sich ausschwieg. Er _musste_ einfach die Frage in Auriels Augen bemerkt haben und doch... /Aber wieso sollte er sich jemandem wie dir auch anvertrauen... Was willst du eigentlich? Du hast nicht das Recht, dich einfach in sein Leben zu drängen und dann auch noch zu verlangen, er solle mit dir so offen sprechen als wärest du sein Ehemann... schon gar nicht _du_!/, rief die gehässige Stimme der Selbstzweifel ihm zu und wie so oft gelang es ihm nicht, sie niederzukämpfen oder sie auch nur zu verdrängen. Verdrossen kehrte er in ihr gemeinsames Zimmer zurück, zog sich aus und kniete sich dann noch einmal nachdenklich vor das Bett des Schlafenden, strich Rain ein paar Strähnen weg, die sein Gesicht bedeckten, betrachtete ihn im Schlaf, während es an ihm nagte, dass er vor nicht allzu langer Zeit tatsächlich _liebte_ gedacht hatte und irgendwie glaubte er nicht an einen Zufall... nicht bei diesem sonderbaren, unbestimmten, einfach nicht greifbarem Gefühl in ihm... Und gleichzeitig konnte er es nicht einfach akzeptieren. Schon das Zugeständnis, vielleicht eventuell ein ganz klein wenig bisexuell zu sein und Rains Annäherungen, Zärtlichkeiten, überhaupt _diese_ Art der Nähe, zuzulassen, war mehr als man normalerweise von ihm verlangen konnte. Zu sehr war er von Menschen enttäuscht worden, um noch schnell und vorbehaltlos Vertrauen fassen zu können. Auriel wollte einfach nicht noch mehr verletzt werden, wollte nicht, dass jemand das blutige Messer nahm und das Werk der anderen fortsetzte. Er fühlte sich wie ein scheues Reh, das immer wieder zurückschreckte, selbst wenn es instinktiv die Gutherzigkeit des anderen spürte. "Aber du würdest mir nicht absichtlich weh tun, nein? Lass mir noch ein bisschen Zeit, okay? Ich _will_ dir ja vertrauen, aber so einfach ist es nicht..." Er seufzte leise, stand dann auf und streckte sich müde, wollte gerade gehen, als der schlafende Rain ihn unbewusst zurückhielt. "Nein! Lass mich nicht allein... bitte... ich will nicht, dass es schon wieder...", Rains Worte ebbten zu einem leisen nicht länger verständlichen Gemurmel ab und doch fröstelte Auriel, blieb unschlüssig wo er war. Auf einmal jedoch legte er sich aus einer Eingebung heraus neben Rain und wärmte sich an dem mittlerweile schon leicht schlafwarmen Körper auf, beruhigte den anderen gleichzeitig, der bereits im Begriff gewesen war, wieder zu weinen. Immer wieder streichelte er den Älteren behutsam. /Was soll's... ich schlaf doch eh die Hälfte der Zeit nur in seinem Bett und neben ihm... auf eine Nacht mehr oder weniger kommt es da auch nicht an.../, dachte er, zugegebenermaßen auch ein wenig, um sich vor der inneren Stimme verteidigen zu können, deswegen jedoch nicht minder zufrieden, ob des Geborgenheit spendenden jungen Mannes neben sich. Unwillkürlich schmiegte er sich bei diesem Gedanken etwas näher an den anderen, ohne in seinen trostspendenden Gesten innezuhalten und ohne es zu merken schlief er friedlich darüber ein. Rain jedoch wachte langsam aber sicher auf, als sich Auriel, gerade eingeschlafen, noch näher an ihn kuschelte und sich ein wenig bewegte, um in eine bequeme Schlafposition zu finden. Mit einem leichten Lächeln und einem Kuss auf die warme Stirn des Jüngeren kroch er vorsichtig über den anderen hinweg aus dem Bett um sich noch etwas Wasser an sein Bett zu holen, da er nun wieder Durst bekam, und das sperrangelweit geöffnete Fenster anzukippen. Obwohl er so gut wie lautlos gewesen war, um den Kleineren, der bestimmt nur wegen ihm noch aufgewesen war, nicht zu wecken, war Auri doch aufgewacht und blinzelte ihn bei seiner Rückkehr reichlich verschlafen an: "Rain...?" "Sh... Alles in Ordnung, Auri!" "Hnn?" "Schlaf weiter", hauchte er ihm - samt eines zarten Kusses auf die Lippen - zu, während er sich wieder neben ihn legte und prompt von Auriel als lebendiges Kuscheltier in Beschlag genommen wurde. "Ich liebe dich..." Zuerst glaubte er, dass der andere bereits wieder weggedöst wäre, doch dann kam es noch leise: "Hm... wirklich?" Und erst jetzt wurde ihm wirklich bewusst, was er da so selbstverständlich gesagt hatte. Seine Gedanken rasten und er fragte sich, _wie_ wach sein Stadtkrieger war und an wie viel er sich morgen noch würde erinnern können... Schließlich gab er dem Drängen seines Herzens nach und flüsterte ihm nach einem trockenen Schlucken ein leises "Ja, Auri..." zu. "Dann ist ja gut...", murmelte der Grünäugige an seinen Hals und war keine drei Sekunden später schon wieder auf dem direkten Wege ins Land der Träume. Silius dagegen lächelte gerührt. "Ja, mein Herz. Solange du hier bist, ist alles gut..." Noch einen letzten Kuss für diese Nacht gab er ihm, dann zog er ihn wieder fest in seine Arme und schenkte ihm die Nähe, die er zuvor von dem Kleineren erhalten hatte. Als Auriel sich dann noch aus eigenem Antrieb etwas näher an ihn schmiegte war es um ihn geschehen. Er war einfach nur glücklich, denn Auriel war da, wo er hingehörte: In Rains Armen... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)