One Wing von black_rain ================================================================================ ACT ONE ------- Kommentar: Tja am Anfang kam wohl kurz mal meine Motorradleidenschaft raus *oops* aber keine Sorge, die Story handelt ja nicht von Hisashis Liebe zu seinen Bikes. Die Story wurde übrigens auf dem Stehgreif geschrieben. Kam mir einfach so zu und ich hatte einfach Lust, noch was anderes als "Absolutely Black Rain" vor meinem Einwöchigen Urlaub zu schreiben und euch damit zu foltern *muhaha*. Ich mein, ich mag es ABR zu schreiben, aber immer an derselben Story zu sitzen ist auf Dauer ganz schön anstrengend, besonders für jemanden wie mich, der immer mehrere Stories nebeneinander her laufen hat, der Abwechslung wegen. Ich denke, dass ich diese Story (geplant sind so 3-4 Teile) ziemlich schnell beenden werde (soll heißen, ich werde mit viel Eifer zur Tat schreiten), vielleicht sogar noch in diesem Monat, auch wenn nach meinem Urlaub meine Schule wieder anfängt (am Anfang ist ja immer soviel Kram zu erledigen...)*heul* Und jaa, guckt nicht so entsetzt - es gibt nur lime! Lemon möchte ich hier irgendwie nicht haben. Das fände ich - keine Ahnung wieso - irgendwie unpassend. Dafür habe ich eine neue Warnung erfunden: "happy end" Was das bedeutet, muss ich wohl nicht extra erklären. Allerdings meine ich mit Happy End hier nicht, dass sie sich am Ende dieser Story zufrieden knutschen und dann alt miteinander werden (*wink zu der "death" warnung*)... Aber ihr werdet schon sehn, ist trotzdem ein HAPPY end. Gewidmet ist die Story sowie das Gedicht am Anfang meinem Wellensittich Rudi (fragt nicht, was mein Haustier mit der Entstehung dieser Story[idee] zu tun haben könnte, es ist halt so). Ein bisschen Feedy wäre nett... "Gesprochen" /Gedacht/ (Im Zwiegespräch mit sich, kennzeichnet das "-" die Sätze der "inneren Stimme") _betontes Wort_ ACT I Volume I Hisashi stöhnte ernsthaft wütend und frustriert auf. Das konnte ja nun wohl in aller Welt doch nicht wahr sein! Irgendwie schien das Schicksal es ihm immer dann, wenn er mal wirklich Glück hatte, heimzahlen zu wollen. Da hatte er nun Freudensprünge gemacht, weil er, kaum dass er ein Jahr lang in der Kanzlei und noch dazu als Partner von Herrn Kilian gearbeitet hatte, diese übernehmen durfte, weil Herr Kilian seines Berufes endgültig müde wurde und sich mit gutem Gewissen in den Ruhestand verabschiedet hatte - und nun so was!! Sein Tag war wirklich hart gewesen, es war der Anfang der dritten Woche, die er nun allein die Kanzlei leitete und nach noch ein paar Überstunden, was schließlich einen Arbeitstag von 12 Stunden ausgemacht hatte, war er nun wirklich am Ende seiner Kräfte und freute sich nur noch auf sein Bett. Aber nein, natürlich wurde ihm das nicht gegönnt, natürlich musste ihm irgendein Hosenscheißer die zwei Reifen seiner geliebten brandneuen schwarzen Kawasaki ZX-10R, die er erst vor wenigen Monaten zu einem Spottpreis bekommen hatte, aufschlitzen. Obwohl er daheim noch eine wunderschön silberne Suzuki SV 1000 S stehen hatte, hatte er, als er das Angebot ungläubig im Internet entdeckt hatte, sofort zum Keyboard greifen müssen um sich das Motorrad zu sichern, bevor es ein anderer tun konnte. Er war nun mal einfach ein Motorradliebhaber und konnte nicht aus seiner Haut. Allerdings sollten zwei solche Prachtstücke dann doch erstmal für ein paar Jährchen reichen, sonst würde sein Konto bald überzogener als überzogen sein. Seufzend holte er sein Handy hervor, um eine Werkstatt anzurufen, die sein Motorrad holen und so schnell wie möglich wieder in Ordnung bringen konnte. Noch einmal seufzte er als er wieder auflegte und schloss für einen Moment die Lider über den grünen Augen. Immerhin hatte er zu so später Stunde noch jemanden erreichen können - was ein kleines Wunder war, selbst in einer Großstadt wie dieser - und zu Hause stand ja noch seine Suzuki, sodass er trotz dieses ärgerlichen Vorfalls morgen nicht früher aufstehen musste. Denn das hätte ihm nun wirklich gerade noch gefehlt. Liebkosend, als müsste er ein weinendes Kind beruhigen, strich er über die Kawasaki und verfluchte den herzlosen Idioten, der so einer wundervollen Maschine mit einem spitzen Gegenstand auch nur nahe kommen konnte. Als er dem Abschleppwagen mit der Kawasaki hinten drauf hinterher sah dachte er das erste mal darüber nach, was er nun tun sollte. Das Verkehrssystem der Stadt war zwar nicht schlecht, aber hier in dieser noblen Gegend gab es allenfalls ein paar Busse, um die Snobs in ihrer teuer erkauften Ruhe nicht zu stören - dazu brauchten sie mit ihren lauten und protzigen Schlitten ja nun auch wirklich keine Hilfe. Und nach Zehn - es war nebenbei bemerkt schon nach Elf - fuhren sie nur noch im Stundentakt. Leise vor sich hinfluchend ging er zur nächsten Bushaltestelle und sah nur noch die Rücklichter und das erleuchtete Rückfenster des Busses am Ende der Straße abbiegen. "Scheiße!", rief Hisashi laut. Es war sonst nicht seine Art, sich so gehen zu lassen, aber was zuviel war, war zuviel. Wütend trat er gegen die Stange des Haltestellenschilds und fing sich eine missbilligenden Blick eines alten Herrn ein, der gerade auf seine Terrasse getreten war. Trotzig blickte Hisashi zurück und drehte sich dann um. Na gut, dann würde er eben laufen müssen. Half ja alles nichts. Ergeben ließ er ein wenig die Schultern hängen und umschloss dann den Griff der Aktentasche etwas fester. Mindestens eine dreiviertel Stunde durch die halbe Stadt zu latschen war nun wirklich nichts, was ihn sonderlich anmachte. Andererseits, dachte er, hatte er sich seit genau zwei Wochen aus einem ganz bestimmten Grund vor dem Laufband daheim und ebenso vor dem Fitnessstudio gedrückt... Während er also an eleganten Häusern mit maximal 3 Etagen vorbeiging ließ er sich grübelnd den Tag noch einmal durch den Kopf gehen. Soweit so gut. Langsam war er mit dem ganzen Papierkram, der an die Übernahme gekoppelt war, fertig und heute hatte er auch endlich einen neuen Assistenten für sich einstellen können, nachdem er schon anderthalb Monate ohne hatte auskommen müssen. Der war wirklich bitter nötig gewesen. Trotz des misslungenen Abschlusses dieses Tages, war er doch zufrieden mit sich und der Arbeit die er geleistet hatte. Wer konnte auch behaupten, in seinem Alter schon so eine in den Himmel gelobte Kanzlei und das dazugehörige Gehalt, das nicht gerade von schlechten Eltern war, zu besitzen? Ein stolzes Lächeln stahl sich auf seine Lippen, verschwand aber ganz schnell, als er an die Konsequenzen der Übernahme dachte: Sein Freund, bei dem er schon von Seelenverwandtschaft gesprochen hatte, hatte ihn vor zwei Wochen sitzen lassen. Er hatte sich anscheinend schon die ganze Zeit vernachlässigt gefühlt, jedoch kein Wort gesagt und dann auf einmal Schluss gemacht. Und das nicht, ohne ihm zu sagen, dass er es nur so lange mit Hisashi ausgehalten hatte, weil jener ihn unwissentlich mit irgendeinem muskelbepackten Fitnesstrainer geteilt hatte, dessen einzige Gehirnmasse sich in dessen Hose befand. Unbewusst ballte er die Hand am Aktentaschengriff zu einer Faust, sodass die Knöchel weiß hervortraten, während er die Zähne zusammenbiss, sodass schon bald seine Kiefer schmerzten. Aber weinen, nein, das konnte er nicht. Irgendetwas in ihm versagte es ihm, dass er sich mit Tränen von seinem Freund - seinem EX-FREUND, korrigierte er sich - losweinen konnte. Vielleicht hatte er einfach schon zu viele derartiger Enttäuschungen erlebt. Er war ein gutverdienender Anwalt, er war jung, er sah gut aus, hatte höchst akzeptable Eltern, war eigentlich der perfekte - schwule - Schwiegersohn. Zudem war er freundlich und hilfsbereit, in der Liebe ebenso leidenschaftlich wie zärtlich und immer um seinen Partner bemüht, versuchte ihn, so gut er konnte, glücklich zu machen. /Aber wie zum Teufel soll man das machen, wenn der nicht den Mund aufreißt, wenn ihm was gegen den Strich geht?/, dachte Hisashi wütend-verzweifelt. /Was kann ich den bitte dafür, dass ich meine Arbeit gerne mache und ernst nehme?/ Außerdem hatte er es satt, dass alle immer nur hinter seinem guten Aussehen, seinem Geld und nicht zu letzt seinen prominenten Eltern her waren. Bedeutete ein guter Charakter denn heutzutage so wenig? Anscheinend Hisashi als einziger gut gesonnen öffnete der Himmel seine Schleusen und schickte einen Platzregen über die Stadt, weinte all die Tränen, die Hisashi nicht fähig war zu weinen. Einen Moment blieb Hisashi dankbar stehen. Der kühle Sommerregen hatte eine seltsam beruhigende Wirkung auf ihn und hielt ihn gleichzeitig wach, sodass er nicht Gefahr lief, fast schlafwandelnd in ein Auto hineinzulaufen. Ohne sich dessen bewusst zu sein ging Hisashi weiter, blind für seine Umgebung, und es war schon ein Wunder, dass er nicht geradewegs in eine Wand hineinlief. Wenigstens auf diesem Gebiet hatte er Glück und wich instinktiv und automatisch allen potentiellen Hindernissen geschickt aus, ohne sie wirklich zu registrieren. Unglücklich verbiss er sich in seiner Unterlippe, bis das Blut in einem dünnen Rinnsal über die volle Lippe und sein markantes Kinn hinablief und nebenbei die - nasse - Hose seines hellgrauen Anzugs versaute, zu dem er nur ein blaues Hemd, das seine grünlich-azurfarbenen Augen betonte, und eine schlichte aber elegante schwarze Seidenkrawatte trug. Er konnte Jean zwar seine Eskapaden - tatsächlich hatte es vor dem Muskelprotz noch einige andere gegeben - nicht verzeihen, aber andererseits fühlte er sich schuldig, weil Jeans "Anklagepunkte" ja durchaus gerechtfertigt waren. /Da hast du's! Du denkst ja wirklich nur an Arbeit, selbst wenn es um die Trennung von deinem Freund geht! Kein Wunder, dass er dich verlassen hat!/, dachte er ärgerlich und schüttelte den Kopf, um die düsteren Gedanken zu vertreiben. Und prompt stolperte er und landete schmerzhaft auf dem linken Schulterblatt. Zischend sog Hisashi die Luft ein. Rein instinktiv hatte er seine Aktentasche schützen wollen und sich im Fall noch so gut es ging gedreht. "Verdammt! Jetzt ist dir deine Arbeit schon wichtiger als dein Leben!", schrie er wütend hinaus und kam, das Gesicht verziehend, mit dem Oberkörper wieder in die Senkrechte. "Na toll...", murmelte er saurer als eine unreife Zitrone, nachdem er sich verständnislos umgesehen hatte. "Als wäre mein Tag nicht schon beschissen genug gewesen, muss ich mich jetzt auch noch in so eine abgefuckte Gegend verirren ohne ein blassen Schimmer zu haben, wo ich bin!" Ein plötzlich erklingendes Wimmern ließ ihn schlagartig verstummen. Unwillkürlich die Luft anhaltend lauschte er angestrengt um die Geräuschquelle auszumachen. Doch das Wimmern wiederholte sich nicht und hinterließ nur einen angespannten Hisashi in fast vollkommener beinahe beängstigender Stille zurück. /Fast?/, lenkten ihn seine Gedanken einen Moment ab. /Ja stimmt. Da ist der Regen und dort hinten kann ich ein ganze Menge Autos hören, obwohl es schon so spät ist. Das muss wohl eine der Hauptschlagadern der Stadt sein... Na ein Glück, sonst hätte ich wohl echt in der Tinte gesessen./ Das hätte er allerdings, da die Stadt so groß war, dass man, wenn man es nicht darauf anlegte, selbst nach zehn Jahren kaum ein Viertel davon gesehen hatte - von so gut kennen, dass man es auch jederzeit _wiedererkannte_ ganz zu schweigen... Und schließlich wohnte er erst hier, seitdem er sein Studium abgeschlossen hatte. Vorher hatte er in einem etwa zehn Kilometer entfernten Kaff gewohnt, dass er, voll von mehr oder weniger schwerreichen, auf alle Fälle aber unglaublich versnobten Einwohnern, die kaum ein Wort miteinander wechselten, wenn sie nicht gerade von ihrem Eigentum prahlten, nie hatte leiden können und war jeden Morgen eine gute Stunde bis zu seiner Uni gefahren. Er hatte noch im Haus seiner Eltern gewohnt, die ohnehin nie da waren und ihm frühestens im April zum Geburtstag gratulierten - mit sechs Monaten Verspätung... Mit seinem hervorragenden Studiumsabschluss jedoch hatte er es plötzlich nicht mehr ausgehalten, jeden Morgen seine Räume abzuschließen, damit das Hausmädchen nicht darin rumschnüffeln und sein wohldurchdachtes "Ordnungs"-System durcheinander bringen konnte. Dass seine Eltern ihm dabei die finanziellen Probleme des Umzugs abgenommen hatten, indem sie ihm von irgendeiner Südseeinsel eine horrende Summe überwiesen hatten, nachdem er sie in einem kurzen Pflichtgespräch davon in Kenntnis gesetzt hatte, verdankte er wohl einzig und allein seinen gehässigen Nachbarn, die ja den guten Ruf der nationalen Vorzeigepromieltern hätten beschmutzen und dabei vielleicht noch auf ein paar Leichen in ihrem Keller hätten stoßen können. /Und in so eine heruntergekommene Gegend hätte ich mich jedenfalls ganz bestimmt nicht freiwillig begeben!/, entschied Hisashi stirnrunzelnd. Die dunkle - wie sollte es auch anders sein - nur von Mond und Sternen beleuchtete Gasse glich einer Müllhalde und vermutlich hatte er es nur dem die Luft reinwaschenden Platzregen zu verdanken, dass er nicht augenblicklich ohnmächtig wurde von den ganz bestimmt vorhandenen Gerüchen faulender Sachen, die sich Hisashi gar nicht ausmalen wollte sofern er sie nicht sowieso sah. Angeekelt zog er die Hand zurück, als er merkte, dass er damit ganz leicht ein undefinierbares glitschiges Etwas berührt hatte und wusch sie sich sofort und so gut es eben ging mithilfe des herabprasselnden Regens. Kaum, dass Hisashi wieder auf den Füßen stand, fuhr er herum. Da! Da war es wieder gewesen! Mit einem unguten Gefühl, von dem sich seine Neugier jedoch nicht abhalten ließ, folgte er dem Wimmern zu einem unscheinbaren Hinterausgang - /Wohl eher die Haustür.../, verbesserte sich Hisashi nach einem kurzen Blick -, dessen Tür mit eingetretenem Drahtglasfenster, faustgroßen Löchern im Holz und herausgeschlagenem Schloss leicht offen stand. Irgendwie schien nicht nur seine Schulter etwas abgekriegt zu haben, denn nach einem letzten Moment, den sein Verstand ihn zurückhalten konnte, stieß er vorsichtig die nahe vor dem Zerfall stehende Tür mit seinem teuren Schuh auf und trat zögerlich hindurch. Einen Moment lang stand er blind wie ein Maulwurf am Eingang und alles in ihm schrie danach, sofort wieder kehrtzumachen und das Wimmern zu vergessen, doch da ertönte auch schon ein unterdrücktes Stöhnen und ließ ihn erschrocken einen weiteren Satz in den Raum und seinen Steiß im nächsten Moment Bekanntschaft mit dem Boden machen... Er wollte schon einen wütenden Fluch von sich geben, der seine feinen Eltern vermutlich vor Schreck ins Grab gebracht hätte, doch ein herzzerreißendes Winseln ließ ihn stocken. Erschrocken fuhr sein Kopf nach rechts herum - das Winseln kam aus seiner unmittelbaren Nähe. Und nachdem sich seine Augen an die scheinbar vollkommene Dunkelheit hier drinnen gewöhnt hatten, erkannte er mithilfe des durch die Tür fallenden spärlichen Mondlichts und auch, wenn es zu dunkel war um Farben zu sehen, etwas, dass wohl früher mal ein sehr - sehr - enger Hausflur gewesen sein musste. Und neben ihm... - für einen Moment schien sein Herz auszusetzen und er sah einfach nur geschockt auf die schmale in Stofffetzen, die nicht einmal diese Bezeichnung verdient hatten, gehüllte, sich vor Schmerz krümmende Gestalt. Was ihn aber so schockte war nicht die "Bekleidung" dieses Junkies - oder was auch immer er war -, sondern viel mehr die klaffende stark blutende Wunde, die sich handlang quer über den linken Hüftknochen zog und der helle Knochen der ihn aus dieser Wunde heraus höhnisch angrinste. Das und die dunkle, süßlich riechende Flüssigkeit, die aus den zahlreichen Wunden floss und auf dem Boden eine dunkle Lache bildete, die aus dessen aufgerissenen Mundwinkel rann und den jungen Junkie immer wieder verzweifelt husten ließ, wenn es sich genügend in seinem Mund gesammelt hatte und versuchte, in seine Lungen zu fließen. Hisashi hatte von jeher kein Problem damit gehabt, Blut zu sehen, wie etwa seine zartbesaitete Mutter, die schon wie eine schlechte Imitation von Dornröschen in Ohnmacht fiel, wenn sie sich an einem Rosendorn stach. Aber das hier ließ selbst in ihm heftige Übelkeit aufsteigen und einen Moment befürchtete er, dass er sich übergeben müsste. Doch dann bezwang er seine Gefühle und hockte sich neben die Gestalt. Sofort bemerkte er, dass dies nicht die einzige Verletzung, wenn auch die schwerste zu sein schien. Zumindest die schwerste äußerliche, denn so wie sich der blonde Junge, dessen Haar im Mondlicht vollkommen weiß schien, zusammenkrümmte, musste ihm jemand mit mindestens einem schweren Springerstiefel mindestens ein halbes Dutzend Rippen gebrochen haben. An Organschäden wollte er gar nicht erst denken. Vorsichtig wollte Hisashi den Jungen mit dem kalkweißen Gesicht am Unterarm berühren, doch seine Finger verharrten wenige Zentimeter vor der viel zu weich und sauber für ein längeres Straßenleben scheinenden Haut. In seinem Inneren focht er einen harten Kampf. Alles in ihm schrillte Alarm und wollte ihn dazu bringen, abzuhauen und den Jungen aus seinem Gedächtnis zu verbannen. "Aber er wird sterben, wenn ich ihn hier lasse!", protestierte er laut und verzweifelt gegen seine innere Stimme. "AAAAAAAAAAAAHHH!!!!!" Das elende Bündel fuhr wie unter einem starken Fausthieb zusammen, schlug sich verzweifelt die Hände über die Ohren, schrie gellend auf, weinte und schluchzte, dass sein ganzer Körper durchgeschüttelt und davon an den Rand der Bewusstlosigkeit getrieben wurde. Erschrocken verstummte Hisashi. /Nein, niemals! Er muss sofort ins Krankenhaus!/, dachte Hisashi unter dem grauenerregenden Nachhall dieses entsetzlichen Schreis und berührte den Jüngeren nun wirklich, so sanft wie er nur konnte, so sanft, wie er nicht einmal einen seiner Geliebten berührt hatte - und er war, auch wenn es ihm kaum einer glauben wollte, der es nicht selbst erlebt hatte, ein sehr verschmuster und zärtlicher Liebhaber. "Hey, Kleiner...", flüsterte er und strich behutsam über dessen Unterarm. Schlagartig zog der Kleine den Arm zurück, rollte sich vor Schmerz nach Luft schnappend zusammen, machte sich so klein er nur konnte, schluchzte lauter. "Sh... Ich tue dir doch nichts", wisperte Hisashi fast liebevoll und strich dem Bündel über die leichenblasse Wange. "Ganz ruhig, Kleiner. Ich will dir nichts tun, sondern dich hier herausholen. Ich möchte dir helfen, verstehst du? Mit deinen Verletzungen darfst du nicht länger hier bleiben..." Wieder zuckte der schmerzerblasste Junge wie unter einem Hieb zusammen, zog sich jedoch nicht noch einmal zurück, erschlaffte dann schicksalsergeben - sogar die Geräusche, die er beim Weinen von sich gab, wurden leiser und das Schluchzen weniger heftig. "Sh... Jetzt wird alles gut, mein Kleiner", flüsterte Hisashi, und fuhr fort, den Jungen mit seinen Berührungen zu beruhigen. Und die Zärtlichkeit, mit der er zu Werke ging, wirkte. Ohne die Berührung und das sanfte, liebekosende Geflüster zu unterbrechen, holte er mit der Linken sein Handy hervor und hob die Tastatursperre auf. Er wollte gerade auf die grüne Anruftaste drücken, als der Display erlosch. Nur gerade so konnte sich Hisashi von einem verzweifelten Aufschrei abhalten. Verdammt, was sollte er jetzt machen? Wenn der Kleine innere Verletzungen hatte, würde ihn vielleicht allein der Versuch ihn hochzuheben umbringen. Andererseits sträubte sich alles in ihm dagegen, den Jungen allein zu lassen - es konnte schließlich genauso gut sein, dass er der einzige war, der den Jungen vor dem Tod bewahren konnte, wenn es hart auf hart kam. Verzweifelt vergrub er seine Vorderzähne in seiner Unterlippe und hätte sie sich beinahe abgebissen. Der glühende Schmerz, der ihn darauf durchfuhr, brachte ihn wieder zur Besinnung. "Kleiner, kannst du mir sagen, was man dir getan hat, und wo es wehtut?", fragte er leise. Angestrengt hörte Hisashi auf die kurzen, schnellen und sehr unregelmäßigen Atemzüge, lauschte nach einer Antwort. Er hatte nicht mehr an eine Antwort geglaubt, als er sie doch bekam und beinahe wünschte Hisashi sich, er hätte sie nicht erhalten. Die von Schmerz gebrochene, vor Atemnot keuchende Stimme tat Hisashi selbst körperlich weh. "Bauch... so weh..." "Sh, ich weiß, mein Kleiner", versuchte Hisashi ihn zu beruhigen. Der ganze Anblick dieses jämmerlichen Bündels schrie förmlich vor Angst. "Haben sie dir etwas gebrochen?" Nur mit viel Mühe konnte er ein mit noch viel mehr Mühe gehauchtes Nein heraushören, sodass Hisashi der ganze Himalaja vom Herzen fiel. "Was ist mit deinem Bauch?" "Geschla... gen.......", glaubte Hisashi zu hören. Hisashi schluckte. Wenn er es nicht versuchte, dann war der Junge vielleicht schon tot, bis der Krankenwagen wieder da war. Es war schon ein Wunder, dass die Knochen des Jungen heil geblieben sein sollten und vermutlich das meiste abgefangen hatten, aber allein die Wunde an seiner Hüfte blutete so stark, dass er vielleicht bald VERblutete. "Ich bring dich hier raus", versprach Hisashi. Noch einen Moment lang hatte er einfach nur Angst, dann versuchte er vorsichtig, seine Arme unter den in sich zusammengesunkenen Körper des Jungen zu schieben. Zur Antwort bekam er einen markerschütternden Schrei. Erschrocken biss sich Hisashi auf die Zunge, bemerkte aber nicht den Schmerz und auch nicht, wie sich sein Mund mit Blut zu füllen begann. Er presste schmerzlich hart die Kiefer zusammen, um nicht selbst zu schreien, widerstand jedoch dem Drang, auch die Augen zu schließen, als er unter schwächerwerdenden Schreien weitermachte. Als Hisashi den Kleinen hoch hob versicherte ihm nur noch ein verzweifeltes Nach-Luft-Schnappen, dass er das er das Bündel mit dieser Aktion nicht über die gefürchtete Schwelle in den Tod gestoßen hatte - zumindest noch nicht. /NEIN! ER WIRD ES SCHAFFEN! GANZ SICHER WIRD ER ES SCHAFFEN!/, rief sich Hisashi panisch in Gedanken zu. /ER MUSS ES SCHAFFEN!!!/ Er verlor nun keine Zeit mehr und verließ so schnell er konnte die heruntergekommene Umgebung. Da er nicht wirklich wusste, wo er war, aber anhand der Zeit, die von seiner Kanzlei bis zu seiner Ankunft hier vergangen war, etwa einschätzen konnte, wie weit er allerhöchsten gekommen sein konnte, wandte er sich nach Norden. Er selbst wohnte auch im Norden und je eher er in auch nur vage bekannte Gebiete kam, desto eher konnte er sich orientieren und den Jungen zu einem Krankenhaus bringen. "Sh.... Jetzt wird alles gut, Kleiner", murmelte er unablässig, wusste nicht mehr, ob er wirklich den Jungen oder nicht doch eher sich selbst damit beruhigen wollte. "Ich bring dich jetzt so schnell wie möglich in ein Krankenhaus und dann-" "NEEEIIIIIN!", schrie der Junge entsetzt auf und setzte sich auf einmal, trotz der unmenschlichen Schmerzen, die er sich damit selbst zufügte, verzweifelt in Hisashis Armen zur Wehr. "NEIN, NICHT. ICH. NICHT. NEIN. WILL. NICHT", stammelte er mit tränenüberströmten Gesicht, ängstlich zusammengekniffenen Augen. Entgeistert versuchte er den Jungen zu beruhigen, bis er schließlich keinen Ausweg mehr sah, und seine Worte zurücknahm, nun als ihr Ziel seine Wohnung angab. Vielleicht war es sogar besser so, immerhin wohnte unter ihm der Direktor eines angesehen Krankenhauses, der, soweit er sich erinnerte - und obwohl er eigentlich nicht an Gott glaubte (oder um ehrlich zu sein, er hatte nie darüber nachgedacht, ob er es tat), betete er inständig, dass er sich _richtig_ erinnerte -, ein sehr guter Arzt war - auch in Notfällen. Als er kaum fünf Minuten später sein Haus erkannte, wäre er vor Erleichterung beinahe in Tränen zerflossen. Und zum ersten Mal in seinem Leben war er überglücklich, weil diese nervige, kaum volljährige Blonde wieder einmal die Tür nicht richtig zugemacht, geschweige denn abgeschlossen hatte. Er hastete auf den Fahrstuhl zu, hämmerte wie wild mit seinem Ellbogen auf die Taste ein. Nichts geschah. Nur langsam drang es zu ihm durch, dass die Taste nicht wie sonst beleuchtet war. /Scheiße, das ist doch nicht wahr!!! Es geht um Leben oder Tod und genau da haben wir einen Stromausfall???/, dachte er hysterisch, fuhr dann auf der Stelle um und raste die langen Treppen hinauf zu seinem Penthouse-Appartement. Er konnte später nicht mehr sagen, wie er es geschafft hatte, die Schlüssel hervorzuholen und die Tür aufzuschließen ohne das zitternde Bündel fallen zu lassen, aber in diesem Moment hätte er vermutlich sogar gelernt, allein durch Gedankenkraft zu fliegen. Im Flur verharrte er eine Sekunde. /Bett oder Badewanne?/, überlegte er unschlüssig. Mit einem kurzen Blick auf zitternde Elend in seinen Armen entschied er sich für das Bett. Er würde danach zwar seine neue Bettwäsche wegschmeißen können, aber das war ihm egal: Bettwäsche konnte man ersetzen - ein Menschenleben nicht. Da er in der Aufregung den Lichtschalter nicht fand (Was hätte es auch genutzt?), tastete er sich mit den Füßen voran, bis er gegen seine Schlafzimmertür stieß. Die Klinke mit dem Ellbogen hinunterdrückend trat er die Tür unsanft auf und taumelte herein. Er war ja nicht gerade schwach und der Kleine ziemlich leicht - beunruhigend leicht -, aber er hatte ihn nun ja auch schon eine ganze Weile getragen und die Treppe hatte auch nicht gerade dazu beigetragen, dass er wieder Kraft schöpfen konnte. /IDIOT! DU HAST JETZT WICHTIGERES ZU TUN, ALS ÜBER DEINE KONDITION NACHZUDENKEN!!!/ So sanft wie möglich legte er ihn auf das Bett, zündete dann alle 7 Kerzen eines schönen Silberkandelabers an. Ein leises, unterdrücktes Stöhnen war die einzige Reaktion. "Ich bin gleich wieder da", flüsterte Hisashi und deckte ihn sanft zu, damit ihm wenigstens nicht kalt wurde. So schnell er konnte, rannte er eine Etage tiefer und klopfte so laut an, dass er das Gefühl hatte, fast die Tür einzuschlagen. Stille war die einzige Antwort, die er erhielt. Hisashi fluchte verzweifelt, rannte wieder nach oben, in seine Küche, riss den Medizinschrank auf und schnappte sich in der Dunkelheit alles, was er für irgend nützlich befand. Der Kleine hatte sich wieder zusammengekrümmt und bei diesem mitleiderregenden Anblick war ihm beinahe, als würde auch er selbst den Schmerz fühlen, den der Kleine fühlte. Nun, im Kerzenlicht, sah er auch, dass der "Kleine" mindestens 16 sein musste und zudem VOLLKOMMEN weißes Haar hatte. Und außerdem war er wirklich hübsch. Nein, nicht hübsch, er war schön. Bis auf die Schnitte, die blauen Flecke und die Schürfwunden, wie etwa auf der Stirn, war er absolut makellos. "Shh, alles wird gut", begann Hisashi wieder, wiederholte es wie ein Mantra. Wenn der Strom ausgefallen war, dann konnte er weder sein Telefon, noch seinen Computer benutzen und sein Handy wieder aufladen schon gar nicht. Wenn er nichts tat, war der Kleine höchstwahrscheinlich schon verblutet, ehe er auch nur mit dem Notdienst sprechen konnte! Einen Moment noch sah er unbehaglich auf die vielen blutenden Schnitte, die zweifellos von einem Messer herrührten und langsam aber sicher den Spannbettbezug mit einem dunklen Rot tränkten, dann nahm er eine große Schere und begann die zerfetzte Kleidung vom Körper des jungen Mannes zu schneiden. Nicht nur einmal zischte der junge Fremde auf, wenn Hisashi ein Stück Stoff aus einer Wunde herausziehen musste. "Ich heiße übrigens Hisashi Kigai", erzählte er dem Kleinen, um ihn ein wenig von den Schmerzen abzulenken. "Ich bin 27 Jahre alt und Anwalt. Und außerdem liebe ich Männer, aber das muss dir keine Sorgen machen..." Hisashi hielt eine Moment inne, bevor er sich dazu zwingen konnte, weiterzumachen. /Warum habe ich das jetzt gesagt? Warum habe ich dem Kleinen das erzählt?/ Fakt war, Hisashi wusste es nicht, aber er hatte das dringende, wenn auch unerklärbare Bedürfnis, ehrlich zu dem Kleinen zu sein. "Und wie heißt du, Kleiner?", fragte er sanft. Die angestrengt zusammengepressten Lider flatterten leicht. "Ni-Nico. Und... ich bin nicht... klein..." Ein warmes Lächeln zauberte sich auf Hisashis Lippen. "Entschuldige, Nico." "Macht... ... nichts...", hauchte der schwach, zitterte von der Anstrengung jegliche Schmerzlaute zu unterdrücken, was ihm Schweißperlen über das Gesicht rinnen ließ, die helle Spuren auf der rotgefärbten, feuchten Haut hinterließen. /Immer bei Bewusstsein halten, mit Schwerverletzten soll man reden, damit sie wach bleiben/, fiel es Hisashi in diesem Moment ein. "Ich werde dir jetzt deine Wunden versorgen, in Ordnung Nico? Ich hab so etwas zwar noch nie in einem Ernstfall wie diesem hier gemacht, aber ich hoffe es reicht fürs Erste..." "Wird schon...", wisperte Nico. "Ich... ... hart im Nehmen..." Hisashi strich ihm kurz durch das Haar mit dieser so bemerkenswerten Farbe. "Ja, das habe ich bereits gemerkt. Du bist wirklich ganz schön stark, Nico..." Hisashi schluckte noch einmal hart, bevor er eine spitze Glasscherbe aus Nicos linkem Fuß zog. "KYYAAAA", schrie Nico und warf sich verzweifelt um. "Sh, bitte Nico, es tut mir Leid, aber ich musste sie herausziehen... Bitte, beruhige dich wieder", hauchte Hisashi verzweifelt, streichelte den schlanken Körper so lange, bis das Zittern fast aufhörte und in ein leichtes Beben überging. Dann begann er so vorsichtig er nur konnte die Wunden zu säubern und zu desinfizieren. Es tat ihm im Herzen weh, dass er Nico zu den starken Schmerzen auch noch das Brennen des Desinfizierungsmittels zumuten musste, dass jenem die Tränen in und aus den Augen trieb, aber er wollte nichts riskieren. /Was ist, wenn er AIDS hat?/, fragte plötzlich eine Stimme in seinem Kopf. Hisashi erstarrte einen Moment, machte dann trotzig weiter, schob diesen Gedanken so weit von sich wie es nur ging. /Nur nicht dran denken. Jetzt nur nicht dran denken... Er braucht deine Hilfe, also nicht dran denken.../ Erschöpft fuhr sich Hisashi durch die Haare, registrierte nicht einmal, wie er so das Blut in seinen schwarzen Haaren verteilte. Aber eigentlich machte es auch keinen großen Unterschied mehr, schließlich war seine ganze Kleidung, überhaupt alles an ihm voll davon. Er konnte also nicht nur die Bettwäsche wegschmeißen... Aber es war ihm egal. Der Kleine hatte sich nach einer Weile beruhigt, hatte sogar Durst bekundet. Obwohl er starke Schmerzen haben musste, schien es doch nicht lebensbedrohlich zu sein, so wie Hisashi zuerst angenommen hatte. Hisashi schmiss seine Kleidung und das blutdurchtränkte Stück Stoff in den Mülleimer, goss die Schüssel mit dem blutrot gefärbten Wasser aus und stellte sich dann kurz unter die Dusche, während er Nico nicht aus dem Sinn bekam. Der Kleine hatte entweder verdammt großes Glück gehabt oder der Besitzer des Messers keine große Ahnung von seiner Waffe - oder beides. Und zum ersten Mal fragte er sich, wie es dazu hatte kommen können. Was hatte der Kleine getan, der nun friedlich in dem viel zu großen Bett schlummerte, dass er so fertig gemacht worden war? "Oder war er nur zur falschen Zeit am falschen Ort?", fragte sich Hisashi laut, trocknete sich nachlässig ab und schlüpfte in schwarze Boxershorts. Hisashi war natürlich besorgt, aber als er sah, wie die Stirn des Kleinen, /Nico!/, korrigierte er sich, als er sah, wie seine Stirn im Schlaf wieder völlig glatt wurde und nur noch der kalte Schweiß an die Schmerzen erinnerte, die Nico hatte ertragen müssen, da konnte er sich nicht davon abhalten zu lächeln. Im Schlaf sah der Kleine vollkommen friedlich und - unschuldig aus und er fragte sich ernstlich entsetzt, wie man diesem Wesen nur weh tun konnte - weh tun _wollte_. Der Kleine wurde ein wenig unruhig und ehe Hisashis verhindern konnte, versuchte sich der junge Fremde zu drehen. Sofort sog Nico zischend die Luft ein und zuckte zurück, begann wieder leicht zu zittern. "Nicht! Du tust dir noch weh, kleiner Dummkopf!", flüsterte Hisashi mit sanfter Stimme und strich durch die weißen Haare. Aber egal ob Nico seine Worte verstanden hatte oder nicht, der sanfte Ton und die behutsam durch sein Haar streichelnde Hand beruhigten ihn wieder. /Weißes Haar.../, dachte Hisashi. /Aber wenn die gefärbt sind, dann bin ich ne Hete... Trotzdem... Selbst weißblond wäre noch zu dunkel. Hätte er nicht diese dunklen Augenbrauen und Wimpern würde ich sagen, er ist ein Albino, so weiß sind seine Haare!/ "Wie ein Albino", murmelte Hisashi laut denkend. "Oder ein Engel..." Eigentlich glaubte Hisashi ja nicht an Engel - auch wenn er den Gedanken sehr romantisch fand -, aber wenn es sie doch geben sollte, so dachte er, dann würden sie sicher so aussehen, wie die schmale, zerbrechliche Gestalt in seinem Bett. Hisashi musste wohl ein wenig vor sich hingeträumt haben, denn das nächste, was er wahrnahm, war ein kurzes Ziehen an seinem Hemdsaum. Erstaunt blickte er nach unten und sah, wie die schlanken Finger, die sich in den Stoff vergraben hatte, erneut daran zupften. Erst dachte Hisashi, der Kleine wäre wieder aufgewacht, doch nein, er atmete noch immer in demselben langsam-gleichmäßigen Rhythmus. /Aber irgendwie... Ich kann mir nicht helfen - in dem großen Bett sieht er irgendwie so klein, so... verloren aus.../, grübelte Hisashi nachdenklich in den Anblick des blassen Gesichts vertieft. Und bevor er sich versehen hatte, hatte er auch schon der ungeduldigen Hand nachgegeben und legte sich neben den kleinen Engel, zog ihn nach kurzem Zögern schließlich auch in seine Arme... ...Und musste lächeln, als er merkte, wie sich Nico anschmiegsam an ihn kuschelte und dann sogar leise schnurrte. /Ein Glück, dass du den Schmerzen wenigstens im Schlaf entkommst.../, dachte er mitleidig und begann wieder, die elfenhaft zarte und blasse Haut mit seinen Fingerkuppen zu liebkosen, was durch ein leichtes aber glückliches Lächeln belohnt wurde. Hisashi errötete leicht bei dem Anblick. /Vergiss es, er ist viel zu jung für dich! Du könntest wahrscheinlich fast sein Vater sein!/ "Schlaf gut, Kleiner", flüsterte er und schloss dann erschöpft die Augen um sofort in das Reich der möglichen Unmöglichkeiten zu gleiten. Volume II Verwirrt wurde sich Nico bewusst, dass er noch immer lebte. /Aber wie.../ Dann fiel es ihm ein, fuhr es wie ein warmer Schauer durch ihn. Hisashi hatte ihn gefunden... Ausgerechnet Hisashi... Manchmal war das Schicksal doch ganz schön merkwürdig. Am liebsten hätte er Gott dafür gedankt, dass das Schicksal - fast - unbeeinflussbar war, aber der hätte ihn dafür vermutlich auf der Stelle ausgelöscht. Er öffnete vorsichtig ein Auge, immer darauf vorbereitet einen seiner ehemaligen Brüder zu Gesicht zu bekommen und zu sterben, immer noch darauf wartend, dass sich alles als ein grausamer Scherz entpuppte. Doch es war kein Scherz. Er konnte den vom Schlaf gewärmten Körper wenn nicht sehen, so doch neben sich spüren. Konnte den Arm fühlen, der ihn beschützend umschlungen hielt. Traurig schmiegte er sich enger an die tröstliche, schlafwarme Haut, die ihn umgab. Ein stechender Schmerz durchfuhr ihn an seinem rechten Schulterblatt. Noch immer tat es weh. Und obwohl er nun beide Augen offen hatte und er warme Sonnenstrahlen in seinem Gesicht spürte, war alles, was er sah, bloß ein finsteres Grau. Aber für Hisashi hätte Nico alles ertragen - sogar den Tod oder noch schlimmer: das völlige Erlöschen. Schläfrig glitt er aus einem angenehmen Traum hinüber in einen noch recht benebelten aber nicht weniger angenehmen Wachzustand. Hisashi tat sein Steiß mächtig weh, ganz zu schweigen von seinem ziemlich angeschlagenen Schulterblatt, aber die unglaubliche Wärme, die er fühlte, hätte ihn für noch viel größere Schmerzen vollkommen entschädigt. Verschlafen öffnete er die Augen. Als Hisashi sah, wie sich ein weißer Wuschelkopf, der je nach dem, wie sich das Sonnenlicht darin brach, silbrig und golden schimmerte, an seine Brust schmiegte, musste er lächeln. Selbst durch die Verbände und die unzähligen Pflaster und Pflästerchen konnte er noch diese unbegreifliche Wärme spüren, die ihm ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit vermittelte. Hisashi musste innerlich über sich selbst lachen. /Dabei sollte man doch meinen, ich würde ihn beschützen.../ Tatsächlich hatte er den Kleinen fast besitzergreifend an sich gezogen, als hüte er einen kostbaren Schatz, den es um jeden Preis zu verteidigen galt. Und sein Arm hielt die schmale Taille, kurz über der grässlichen Wunde, die Hisashi gestern so geschockt hatte, als wolle er verhindern, dass man ihm den jungen Mann in seinen Armen wegnahm - oder dass der von ihm fortlief. Der Gedanke stimmte ihn traurig. Er wusste nicht weshalb und es verwirrte ihn sehr, aber es war wirklich so: Er wollte nicht, das Nico wieder ging. "Mach ich nich... dazu schmerzt mein Fuß zu sehr...", nuschelte plötzlich eine noch recht verschlafene Stimme. Hisashi lief schlagartig so rot wie ein Feuerlöscher an. "Du bist wach?", fragte er überflüssigerweise und zog sich ein wenig zurück. Das Letzte, was er wollte, war, dass sich Nico von ihm belästigt fühlte. "Hm-m. Nun bleib schon hier...", machte Nico nur unwillig und rutschte wieder näher an seine Wärmequelle. Ein glückliches Lächeln schlich sich in Hisashis Antlitz. Doch bevor er sich noch ein Ohr abbeißen konnte vor Freude, fragte er schnell: "Bist du schon lange wach?" "Mh-h", verneinte Nico. /Nicht sehr gesprächig am Morgen, der Kleine/, fuhr es dem belustigten Hisashi durch den Kopf. "Was ist mit deinen Verletzungen? Hast du starke Schmerzen? Du könntest ein Aspirin kriegen, wenn du magst." "Ich mag keine Tabletten", murrte Nico. "Und es tut auch gar nicht mehr so sehr weh..." Dieser Mensch hatte einen einzigen, wie Nico fand, im Moment ziemlich schwerwiegenden Fehler: Er redete zuviel. "Sicher?", machte Hisashi zweifelnd. Nico verlor die Geduld - und wenn er die Geduld verlor, konnte er für nichts mehr garantieren. Ehe sich Hisashi versehen hatte, lagen auch schon zwei weiche Lippen auf den seinen und hießen ihn so sehr wirksam, endlich den Mund zu halten. Überrascht riss Hisashi die Augen auf und ließ einfach nur geschehen, schloss nach einem Moment genießerisch die Augen und wollte schon den Kuss zurückgeben, als er tief bedauernd registrierte, wie sich der andere wieder zurückzog und zurück an seine Brust kuschelte. Dann jedoch musste er grinsen. Der Kleine war ganz schön heißhungrig. Jedenfalls war er, obwohl doch nur ein kleiner, "unschuldiger" Kuss, so verlangend gewesen, dass Hisashi beinahe befürchtet hatte, er würde im nächsten Moment aufgefressen. /Wogegen ich, wenn ich ehrlich bin, eigentlich nichts einzuwenden gehabt hätte.../, grinste Hisashi. Dann fragte er Nico: "Hast wohl Hunger, hm? Aber auch wenn ich hoffentlich nicht ganz schlecht schmecke - _richtiges_ Frühstück ist vielleicht ein wenig bekömmlicher und sättigender..." "Muss ich dir erst das Maul stopfen, damit du Ruhe gibst?", knurrte Nico. Okay, er liebte seinen Menschen ja, ebenso dessen beruhigende, kosende Stimme, aber langsam fühlte er sich versucht, ihm die vorlaute Zunge zu verknoten... Allerdings, er hatte schon Gottes Zorn und den seiner Diener auf sich gezogen - da wollte er nicht auch noch Hisashi erzürnen. _Besonders_ ihn nicht! /~Nicht mehr dran denken... -Genau, denk nicht mehr dran. Du hast Hisashi gefunden und nun sollen sie doch versuchen, euch wieder auseinander zu reißen... ~Nein... Niemals... Jetzt wo ich ihn endlich gefunden habe, werden sie mich niemals wieder von ihm trennen können... Nicht von Hisashi.../ Er rutschte ein wenig höher und nachdem er Hisashi spielerisch drohend in die Kehle gebissen hatte, vergrub er sein Gesicht in Hisashis Halsbeuge. /Eins muss man dir lassen, Misuke[1] du fühlst dich wunderbar an - und du riechst wie der Himmel... Nein, sogar noch viel besser - und ich muss es ja wissen.../ Hisashi lachte über die geknurrte Antwort, dann rieselte ihm auf einmal ein warmer Schauer den Rücken hinunter, als er spürte, wie Nico an seiner Kehle knabberte und dann sein Antlitz in seiner Halsbeuge versenkte. "Da habe ich mir wohl ein kleines Wölfchen eingefangen, hm?", neckte er Nico, seine Nase an dem weichen Haar reibend, nahm ihren sanften Duft tief in sich auf - und konnte dabei nicht glauben, dass er so ungezwungen mit dem Kleinen umging. Er kannte ihn nicht einmal 24 Stunden lang und wusste kaum mehr als seine Namen - noch dazu war er eigentlich viel zu jung für Hisashi-, sehnte sich jedoch schon jetzt nach jeder noch so kleinen Berührung, die er bekommen konnte. "Hnn?", brummte der Jüngere verwirrt und zugleich ein wenig verärgert, weil Hisashi schon wieder geredet hatte. "Du knurrst wie ein Wolf und um ihre Macht zu demonstrieren, beißen ranghöhere Wölfe auch in die Kehle des niedereren." "Gnn... Streber!", kam nur die ergebene, jedoch sehr trockene klingende Antwort. Hisashi lachte nur, hielt dann aber erst mal den Mund und kuschelte sich nur zufrieden an den Kleinen. Nach einer Weile meldete sich jedoch langsam sein Magen mit einem ziemlich flauen Gefühl, dass nur eine Bedeutung hatte: Hunger. Schließlich hatte er gestern hart gearbeitet und für die viele Denkarbeit, die er geleistet hatte, hatte er aus Zeitmangel viel zu wenig gegessen und dann war auch noch das Abendessen ausgefallen... "Was hältst du von Frühstück im Bett, Kurzer?" "Gn...", knurrte Nico. "Ich bin weder klein noch kurz, klar? Und solange du mich nicht vergiftest mit deinen "Kochkünsten" ist mir alles recht..." Hisashi biss ihm zum Dank für dieses überaus nette Kompliment ins Ohrläppchen, bevor er schmollend erwiderte: "Damit du's weißt! Ich kann kochen - sehr gut sogar." "Aus welchem Märchen hast du denn den Unsinn? Seit wann können Männer kochen?", kam die Antwort, jetzt jedoch eindeutig nur, um ihn ein wenig zu ärgern. Hisashi gab es auf zu schmollen, lachte stattdessen nur, löste sich dann vorsichtig von Nico, strich ihm nur kurz noch einmal durch die Haare, während er ihn fürsorglich zudeckte, dann ging er, nur in seinen Unterhosen bekleidet und nachdem er einem menschlichen Bedürfnis nachgegangen war, in die Küche, um ein leckeres Frühstück zu zaubern. - - - - [1] Himmlische Sprache für: "Mein Schützling" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)