Anfang aller Feindschaft von Lizard (aus den Schatten der Vergangenheit) ================================================================================ Kapitel 27: Morgenröte ---------------------- In der Nachbemerkung des letzten Kapitels habe ich ja schon angedeutet, dass nun die Ruhe vor dem Sturm bevorsteht. Allerdings braucht ihr weiterhin viel Geduld, es erwarten euch noch mehrere Ereignisse. Denn bis Inu Yasha geboren wird dauert es ja immerhin noch viele Monate. Wir sind bei Kapitel 27 angelangt: Allerlei mehr oder weniger drohende Dinge sind geschehen seit Inu Taisho den Verlockungen seiner heimlichen, verbotenen Liebesbeziehung folgte. Koga und seine Freunde haben bei einer Erkundungstour im Osten Japans einen mysteriösen Unbekannten am Meeresstrand gefunden. Währenddessen bereitet der traumatisierte Sohn des Hundefürsten den Getreuen von Inu Taisho große Sorgen. Es ist das letzte Mal, dass der Hundeherr Frieden findet bevor das Schicksal wieder unerbittlich zuschlägt... Enjoy reading! Der neue Morgen begann mild. Gewohnheitsgemäß erwachte Izayoi bereits sehr früh. Noch etwas schlaftrunken öffnete sie die Augen, setzte sich auf und streckte gähnend ihre Arme. Die Dämmerung brach gerade erst an. Im Wald hatte sich über Nacht Feuchtigkeit angesammelt. Hauchzarte, mondweiß leuchtende Nebelschleier hingen verteilt zwischen den von Tau benässten Bäumen. Manchmal lösten sich vereinzelte Stücke aus dem schimmernden Dunst und schwebten als kleine, nur schemenhaft erkennbare Wolkenfetzen davon. Die hohe Hügellage des verfallenen Schreins, vor dessen Schwelle Izayoi und ihr geliebter Dämon einige gemeinsame Stunden verbracht hatten, erlaubte einen weiten Ausblick ins Tal. Der östliche Himmel erhellte sich und bildete eine goldglänzende Linie am Horizont. Für einen flüchtigen , kaum fassbaren Augenblick schien es völlig still zu sein, so als würde die ganze Natur erwartungsvoll den Atem anhalten. Kurz darauf ging die Sonne auf. Es war ein Augenblick unvergleichlicher Schönheit. Izayoi spürte, wie ihr vereinzelte Tränen über die Wangen liefen, einfach, weil sie so unbeschreiblich glücklich war. Sie erfuhr einen jener seltenen Momente absoluter Erfüllung, in denen das Leben seine Einzigartigkeit und das Gefühl allumfassender Ewigkeit offenbarte. Der Augenblick ging vorbei. Izayoi wischte sich die Tränen aus den Augen und legte kurz die rechte Hand auf ihr freudig klopfendes Herz. Dann sah sie lächelnd neben sich. Leicht eingerollt an ihrer Seite, zum Teil auf seinem Fell, das sie beide umschmeichelte, lag Inu Taisho. Sein linker Arm ruhte auf ihrer Hüfte. Er schlief. Der Hundedämon atmete ruhig und gleichmäßig, seine Augen waren locker geschlossen und seine Körperhaltung war gänzlich entspannt. Es war das erste Mal nach langer Zeit, dass Inu Taisho sich seiner Erschöpfung hingab. Nach all den schweren, teils kaum zu verkraftenden Ereignissen der letzten Wochen holten sich sein völlig verausgabter Körper und Geist nun die überfällige Erholung. Im schwachen Morgenlicht wirkte sein Antlitz sehr sanft und weich, nahezu verletzlich. Mit dem ehrfürchtigen Empfinden etwas Einzigartiges und Intimes, sogar fast Sakrales und Verbotenes zu betrachten, schaute Izayoi ihn an. Intuitiv wusste sie, dass der Anblick des friedlich ruhenden Dämonenfürsten ein ganz besonderes Privileg war, das kaum jemandem zuvor jemals gewährt worden war. Wieder wurde die junge Frau von unermesslicher Freude erfüllt. Behutsam beugte sie sich über den Schlafenden, strich ihm vorsichtig eine vereinzelte Strähne, die sich aus seinem silberweißen Haarzopf gelöst hatte, aus dem Gesicht und küsste ihn zärtlich. „Ich liebe dich“, flüsterte sie. Ihr Kuss holte Inu Taisho aus seinem Schlummer. Er begann sich leicht zu regen. Noch halb im Schlaf versunken ergriff er Izayois Handgelenk, zog die Menschenfrau zu sich heran und drehte sich auf den Rücken, so dass sie auf ihm zu liegen kam. Daraufhin öffnete er seine Augen und musterte seine Geliebte gründlich. Liebkosend spielte er dabei mit ihrem langen, schwarzen Haar und schnupperte genüsslich daran. „Frieden...“, murmelte er schließlich leise, „du schenkst mir Frieden... Wie sehr und wie lange habe ich danach gesucht... Aber es hat sich gelohnt. Allein für nur einen einzigen Augenblick dieses wunderbaren Friedens hat sich alles gelohnt!“ Voller Verlangen erwiderte Izayoi seinen intensiven, goldenen Blick. „Halte die Zeit an“, forderte sie sehnlich, „halte die Sonne auf, mach, dass die Nacht und diese Stunden niemals vorüber gehen!“ „Ich würde es tun“, antwortete er lächelnd, „wenn die ewigen Mächte des Alls, denen sich selbst ein Dämon beugen muss, mir gehören würden, würde ich die ganze Welt für dich zugrunde gehen lassen.“ Langsam ließ sich Izayoi noch enger auf ihn herabsinken, schmiegte sich mit dem Kopf an seine Brust und lauschte seinem dumpfen Herzschlag. „Nein, das würdest du nicht tun“, meinte sie dann: „Du würdest die Welt immer beschützen. Darum bin ich so glücklich ein Teil dieser Welt zu sein. Denn auf diese Weise bin ich auch ein Teil von dir.“ Auf diese Worte fand Inu Taisho keine Antwort mehr. Schweigend strich er seiner Angetrauten durch das Haar und über den Rücken. Wohlig seufzend genoss die Menschenfrau die Wärme des unter ihr liegenden dämonischen Körpers, bis Inu Taisho sich plötzlich versteifte und ruckartig aufrichtete. Verdutzt tat Izayoi es ihm gleich und setzte sich ebenfalls auf. „Was ist?“ „Ein Mensch nähert sich dem Schrein. Weiß jemand, dass du hier bist?“ „Eigentlich nicht“, sagte Izayoi, „ich glaube auch nicht, dass mich jemand gesehen hat oder mir gefolgt ist. Aber vielleicht ist dieser Schrein nicht völlig verlassen, vielleicht kommt ab und zu noch jemand hierher.“ Der Hundedämon schob Izayoi rasch ihre Kleidung zu und griff danach nach seinen eigenen Gewändern. In diesem Moment hörten beide das Rufen einer alten Frau: „Izayoi... Izayoi-san... Bist du hier, meine Kleine? Izayoi-san!“ „Das ist ja meine Amme“, stellte Izayoi überrascht fest, „wie kommt die denn hierher?“ Inu Taisho war aufgestanden und hatte flink seine Beinkleider angelegt. Als er den Rest seiner Kleidung und die Bestandteile seiner Rüstung zusammen sammeln wollte, hielt Izayoi ihn am Arm fest. „Warte, du musst nicht gehen. Sie weiß von uns. Wir brauchen uns nicht vor ihr zu verstecken, wir können ihr vertrauen.“ Zögernd hielt der Dämonenfürst inne und blickte unschlüssig um sich. Darauf setzte er sich steif und etwas verunsichert wirkend neben Izayoi zurück auf den Boden. Die Menschenprinzessin hüllte sich notdürftig in die unterste Stoffschicht ihres Kimonos und sah zur Schreintreppe. Auf der obersten Treppenstufe tauchte eine etwas gebückt gehende, vor Anstrengung keuchende Frau im Alter zwischen fünfzig und sechzig Jahren auf. Sie blieb kurz stehen, um sich nach dem anstrengenden Aufstieg zu sammeln und wandte sich danach dem verfallenen Schreingebäude zu. Ihr Blick fiel auf das außergewöhnliche Liebespaar, das vor dem Schrein zwischen einem bunten Haufen aus abgelegter Bekleidung im Gras saß. Die alte Dienerin erstarrte. Dann ließ sie sich hastig auf die Knie nieder und senkte demütig ihr Haupt zu Boden. „Verzeih Izayoi... ich meine, Izayoi-hime... ehrenwerter Herr... Ich wollte Euch keinesfalls stören...“ „Wie hast du mich denn hier gefunden?“, fragte Izayoi verblüfft. Sie war dermaßen verwundert, dass sie nicht einmal Verlegenheit empfand. Ihre Amme hob etwas den Kopf, ein warmherziges Lächeln umspielte ihre Lippen. „Hast du etwa vergessen, dass ich dich und deine Schwestern aufgezogen habe, Izayoi? Als deine Mutter damals im Kindbett starb, versprach ich ihr immer für dich da zu sein. Es gibt nichts, das du vor mir verbergen kannst. Kaum jemand kennt dich so gut wie ich. Daher war es sehr leicht für mich dein Verhalten beim gestrigen Gartenfest und dein über Nacht verlassenes Zimmer richtig zu deuten. Ich musste nur noch überlegen, an welchem nahe gelegenen Ort sich am ehesten ein Dämon verstecken könnte.“ Zaghaft sah die alte Frau nun zu Inu Taisho. „Ihr seid also der weiße Hund... Es freut mich sehr, dass ich am Ende meiner alten Tage noch das seltene Glück erlebe, den Herrn und Bewahrer des Westens kennen lernen zu dürfen.“ Über die kuriose Situation, in dem sich der Dämonenfürst bei diesem Kennen lernen befand, blickte die Amme höflich hinweg. Inu Taisho selbst schwieg lieber. „Wenn Ihr erlaubt“, fuhr die Dienerin fort, „würde ich Izayoi-sama gerne zurück ins Schloss begleiten. Sonst ist zu befürchten, dass die Abwesenheit der Prinzessin sehr bald auffällt.“ Zögernd stand Izayoi auf. Ihre Amme warf einen kurzen, um Erlaubnis heischenden Blick auf Inu Taisho und ging, als dieser ihr zunickte, zur Prinzessin, um ihr beim Ankleiden zu helfen. Reglos und mit der seltsamen Vorahnung, dass nun unendlich kostbare Stunden unwiederbringlich zuende gingen, sah der Dämonenfürst den beiden Menschenfrauen zu. Er hätte gern etwas gesagt oder etwas getan, um den Moment festzuhalten, doch er wusste nicht was. Selten zuvor hatte er sich so hilflos gefühlt wie in diesem Augenblick, während er das Gefühl hatte die Zeit rinne wie Sand durch seine Finger. Als Izayoi mit dem Ankleiden fertig war, sah sie bedauernd zu ihrem geliebten Dämon. „Wirst du eine Weile hier bleiben? Dann komme ich am Abend wieder zu dir.“ Der Hundedämon lächelte und nickte. „Ja, das werde ich. Ich werde auf dich warten.“ Izayoi gab ein Lächeln zurück, drehte sich um und folgte danach ihrer Amme zur Schreintreppe. Nach einem letzten Blick zurück war sie fort. Weiterhin bewegungslos blieb Inu Taisho sitzen und starrte auf die Stelle, an der Izayoi die Treppe hinabgegangen war. Ihr Duft hing noch in der Luft, es war wie der letzte Nachhall jenes erfüllenden, glücklichen Friedens, nach dem der Hundedämon so lange gesucht hatte. Und er vermisste dieses Glück, das er in einer Menschenfrau gefunden hatte, bereits jetzt. Langsam wurde es wärmer. Mittlerweile hatte die Sonne genug Kraft, um den morgendlichen Dunst im Wald gänzlich aufzulösen. Mit dem Nebel verschwand schließlich auch Izayois Geruch. Der Wind frischte etwas auf und brachte neue Gerüche mit sich. Leise seufzend schloss der Dämonenfürst die Augen und studierte die Nachrichten, die der Wind aus nordwestlicher Richtung zu ihm brachte. Irgendwie waren es keine guten Nachrichten, etwas Beunruhigendes musste geschehen sein. Für einen kurzen Moment glaubte Inu Taisho den Hauch einer vertrauten Aura wahrnehmen zu können und die Stimme seines Sohnes, die anklagend nach ihm rief. Dieser Moment war allerdings so schnell vorbei, dass es wohl nur Einbildung war. Dennoch ergriff sofort tiefe Besorgnis und ein bohrendes Schuldgefühl von Inu Taisho Besitz. Hatte er etwa schon wieder einen schweren Fehler begangen, weil er seinen Sohn erneut alleingelassen hatte? Warum nur wollte diese plötzliche Angst und diese erdrückende Gewissensqual nicht weichen? Wie eine Bestätigung auf Inu Taishos düstere Ahnungen verfinsterte sich auf einmal der sonnige Himmel. Alarmiert öffnete der Dämonenfürst die Augen und sprang verteidigungsbereit auf. Ein greller, blendender Blitz zerriss den verdunkelten Himmel und vertrieb die kurzfristige Schwärze wieder. Direkt vor Inu Taisho stand nun eine dreiäugige, braune Kuh. Auf dem breiten Rücken des Tieres hockte mit überkreuzten Beinen ein alter, menschenähnlicher Dämon in einem verlotterten, grün-schwarz gestreiften Gewand. Auf seinem Schoß lagen drei Schwerter. Hinter ihm saß ein junger, neugierig dreinschauender Fuchsdämon. „Totosai.“ Inu Taisho entspannte seine Haltung wieder. „Habe ich dir eigentlich schon mal gesagt, dass ich deine unerwarteten Blitzüberfälle nicht besonders leiden kann?“ „Was heißt hier unerwartet?“, empörte sich der Dämonenschmied und hüpfte von seinem Reittier: „Habt Ihr etwa vergessen, dass Ihr was bei mir bestellt hattet?“ Daraufhin reckte Totosai dem Hundedämonen die zwei Schwerter entgegen, die er neben dem gut versiegelten Höllenschwert Sou’unga in Händen hielt. „Ach so, deswegen bist du hier?“ Musternd betrachtete Inu Taisho die beiden neuen Waffen. „Sind die sechs Tage schon um? Ich gebe zu, ich habe etwas die Zeit vergessen...“ „Wie bitte?“ Totosais Empörung wuchs: „Da erschaffe ich für Euch die großartigsten Klingen, welche die Welt je gesehen hat, und Ihr kümmert Euch gar nicht darum?! Was war denn bitteschön so wichtig, dass Ihr mich tagelang warten lasst?“ Die kugelrunden Augen des Dämonenschmieds wanderten verärgert über Inu Taishos eher dürftige Bekleidung. Als ihm klar wurde, was diese Erscheinung des Dämonenfürsten zu bedeuten hatte, war es mit Totosais Selbstbeherrschung endgültig vorbei. „So ist das also. Während ich für Euch schufte, gebt Ihr Euch den Lebensfreuden hin. Wer ist denn dieses Mal die Glückliche oder eher die Bedauernswerte? Habt Ihr überhaupt noch einen Funken Verstand, Oyakata-sama? Müsst Ihr unbedingt die hündische Familientradition heimlicher und verkorkster Beziehungsgeschichten weiterführen? Fast alle derartiger Liebschaften in Eurer Familie sind schließlich schief gegangen...“ „Das reicht!“, unterbrach Inu Taisho den Schmied äußerst scharf: „Meine Privatsphäre geht dich nichts an. Wenn du nur hier bist, um mir eine Moralpredigt zu halten, gehst du besser wieder!“ Totosai erstarrte und sah erschreckt in die goldfunkelnden Augen des Hundeherrn. Ihm wurde klar, dass er in Entrüstung über die Missachtung seiner Meisterwerke sehr unüberlegt gehandelt hatte und mit seinen Äußerungen eindeutig zu weit gegangen war. Der Fuchsdämon Zuisou, der das ganze Geschehen und den Dialog verfolgt hatte, kam nun zögernd hinzu und schüttelte kaum merklich den Kopf. Dieser alte Metallbieger besaß noch weniger diplomatisches Geschick als seine Kuh. „Also eigentlich sind wir auch noch wegen etwas anderem hier“, wagte Zuisou vorsichtig einzuwerfen, „es geht um Eurem Sohn...“ Inu Taisho spürte eine eiskalte Hand nach seinem Herzen greifen. „Sesshomaru? Was ist mit ihm?“ „Vielleicht hättet Ihr Euch nicht dem Tod entgegen stellen dürfen“, bemerkte Totosai, „es ist eben sehr gefährlich über solche Grenzen zu gehen und die natürliche Ordnung des Lebens durcheinander zu bringen... Was Sesshomaru angeht... nun ja, den hat die ganze Sache offensichtlich zu sehr mitgenommen. Wahrscheinlich ist er total wahnsinnig geworden, er ist abgehauen und rennt jetzt völlig außer Sinnen irgendwo durch die Lande.“ Zuisou sah Inu Taishos entsetzten, fassungslosen Blick und hätte Totosai für dessen mangelndes Feingefühl am liebsten erschlagen. „Eurer Heiler, dieser Ieyasu, kümmert sich bereits darum“, versuchte der Fuchsdämon den Fürsten zu beruhigen, „es wird bestimmt alles wieder gut.“ Inu Taisho reagierte nicht darauf. Fieberhaft sammelte er seine restlichen Kleidungstücke zusammen, zog sich rasch fertig an und legte seine Rüstung an. Daraufhin suchte er hastig den Boden in der näheren Umgebung ab. „MYOGA! Du verwünschter Floh, wo steckst du? Wenn du nicht augenblicklich herkommst, werde ich deine gesamte blutsaugende Sippe ausrotten!“ Mit leisem, gequältem Stöhnen meldete sich eine Stimme vom Boden: „Wa-was ist denn los, mein Herr? Bitte...ah, mein Kopf... schreit doch bitte nicht so... ooh, mir geht’s gar nicht gut...“ Mitleidlos fischte Inu Taisho den verkaterten Flohdämonen unter Waldlaub heraus und hielt ihn zwischen seinen scharfen Krallen eingeklemmt in die Höhe. „Du gehst zu Izayoi und erklärst ihr, dass wir uns eine Weile nicht mehr sehen können. Und dann bleibst du bei ihr und passt auf sie auf. Und wenn du jemals wieder Sake anrührst, ertränke ich dich darin!“ Nach diesen Worten schnippte der Hundedämon seinen winzigen Diener fort, verwandelte sich in einen blauweiß leuchtenden Energieball und war augenblicklich verschwunden. „He! Moment mal!“ Wild gestikulierend sprang Totosai auf der Stelle herum und fuchtelte dabei heftig mit den Schwertern in seinen Händen in der Luft herum. „Wartet, Ihr habt da schon wieder was vergessen, Oyakata-sama! Soll ich Euch denn ständig damit hinterher laufen? Ihr habt Euch meine Meisterwerke ja nicht einmal richtig angeschaut! Sind Euch die armen Schwerter denn egal? Nehmt mir dann doch wenigstens dieses grässliche Sou’unga ab! Hallo?!? Ja, so ein Mist noch mal, sind diese Köter denn alle völlig durchgedreht?!“ „Daran seid Ihr schuld, Meister“, meinte Zuisou, „Ihr hättet dem Hundefürsten das mit seinem Sohn ja wirklich etwas schonender beibringen können!“ „Kann mir mal bitte jemand erklären, was eigentlich vorgefallen ist?“, mischte sich Myoga ein. Er saß nun auf Totosais Schulter und rieb sich seinen schmerzenden Kopf. „Ich hoffe, du kannst mir auch einiges erklären“, antwortete der alte Schwertschmied, „so wie es aussieht kommt künftig jede Menge Ärger auf uns zu. Und da sollte jeder von uns wenigstens einigermaßen wissen, was hier vorgeht, damit wir Oyakata-sama gegebenenfalls helfen können. Also fangen wir mal damit an: wer beim ewigen Höllenfeuer ist Izayoi?“ Myoga seufzte. Das zu erklären würde gewiss nicht leicht werden, schließlich verstand er doch selbst nicht so ganz, wie und warum die Liebesbeziehung zwischen dem Hundedämonen und einer Menschenfrau zustande gekommen war. Außerdem bezweifelte er, ob es gut war das alles ausgerechnet mit Totosai auszudiskutieren. Andererseits konnte sich der Dämonenschmied das meiste wahrscheinlich eh schon zusammenreimen und außerdem stimmte es, was Totosai gesagt hat. Man konnte Inu Taisho nur helfen, wenn man über alles Bescheid wusste. Und der Dämonenfürst würde künftig sicherlich jede Hilfe brauchen, die er kriegen konnte. * * * * * So wie sonst in ganz Japan herrschte auch in den westlichen Bergen seit mehreren Tagen sehr freundliches Wetter. Zwei ärmlich gekleidete Bauersfrauen nutzten den sonnigen Tag, um im Wald Beeren zu sammeln. Sie stammten aus einem abgelegenen Bergdorf nahe der ehemaligen, nun verlassenen Höhlen des fortgezogenen, westlichen Wolfsrudels. Bisher hatten die Menschen die urwüchsigen Waldhänge, die von den Wolfsdämonen gerne als Jagdgebiet genutzt worden waren, eher gemieden. Doch seit einiger Zeit wagten sie sich immer weiter dort hinein vor, denn vor Dämonen hatten sie nun nichts mehr zu befürchten. Erst vor kurzem hatte eine Gruppe Mönche in Begleitung von Dämonenjägern das ganze Gebiet gründlich abgesucht, aber keine einzige dämonische Spur mehr gefunden. Fröhlich miteinander schwatzend streiften die Frauen durch den Wald. Ihre Ausbeute an saftigen Beeren war beträchtlich, ihre Körbe waren bereits fast voll. Nach einiger Zeit erreichten sie einen hohen Hügel, der ihnen einen schönen Ausblick auf das umliegende Land bot und entschlossen sich dort eine Essenspause zu machen. Sie hatte sich gerade hingesetzt und begonnen ihr mitgebrachtes Essen zu verzehren, als die jüngere der beiden plötzlich aufschrie und zitternd nach unten zu einer Waldlichtung zeigte. „Sieh nur, da! Was ist das?“ Die andere Frau richtete sich auf und sah zu der bezeichneten Stelle. Am Rande der Waldlichtung, zwischen den hohen Bäumen bewegte sich etwas Großes, doch sie konnte es auf die Entfernung nur schemenhaft erkennen. Es sah aus wie ein riesiges, weißes Tier. Der seltsame Schemen kam näher bis zur Lichtung, verharrte dort auf der Stelle und schien sich umzusehen. Dann sackte er etwas zusammen und rührte sich nicht mehr. Hin und her gerissen von Angst und Neugier sahen die beiden Bäuerinnen von ihrem Aussichtspunkt zu der rätselhaften Gestalt auf der Lichtung hinab. Die junge Frau, die zuerst darauf aufmerksam geworden war, rang sich schließlich zu einer Entscheidung durch und packte ihren Beerenkorb. „Los, lass uns nachsehen, was das ist!“ Ihre Begleiterin war zunächst nicht damit einverstanden, aber nach einiger Zeit wurde auch bei ihr die Neugierde größer als die Angst. So gingen die zwei langsam den Waldhang hinunter. Nach etwa einer halben Stunde hatten die Frauen ihr Ziel erreicht und starrten staunend auf die sonnige Lichtung. Dort lag im weichen Gras ein gewaltiger Hund. Er hatte ein langes, weißes, über den Schultern zu einem molligen Wulst verdichtetes Fell. Auf seiner Stirn trug er ein blaues, sichelmondförmiges Zeichen. Seine riesigen Pranken und die großen, dolchartigen Zähne, die in seinem leicht geöffneten Maul zu erkennen waren, wirkten beängstigend. Doch er schien die Frauen nicht bemerkt zu haben, denn er bewegte sich nicht und seine Augen blieben geschlossen. „Ein mononoke“, flüsterte die ältere der Frauen furchtsam. „Was macht der hier? Ist er tot?“, fragte die Jüngere und betrachtete den riesenhaften Hund nun mitleidig: „Er scheint stark verletzt worden zu sein. Sieh dir doch nur diese vielen, grausigen Wunden an.“ „Das sind schon ältere, verheilende Verletzungen“, meinte die erste Frau, „und er ist auch nicht tot, er atmet ja. Wahrscheinlich liegt er in einem Heilschlaf. Ich habe mal gehört, dass Dämonen in solch einen Zustand fallen, wenn sie übermäßig geschwächt sind, und dass sie sich auf diese Weise regenerieren... Wir müssen rasch etwas unternehmen, bevor dieses Monster wieder aufwacht, denn es könnte uns sicher alle mit Leichtigkeit töten. Wir kehren am besten schnell ins Dorf zurück. Bestimmt sind die Dämonenjäger, die gestern bei uns übernachtet haben und heute früh weiter ziehen wollten, noch nicht sehr weit gekommen. Wir schicken ihnen einen Boten hinterher, dann können sie zurückkommen und unseren Männern helfen diese Bestie zu vernichten.“ „Aber das können wir doch nicht machen! Dieser Hund hat uns doch gar nichts getan. Und er ist verletzt!“ „Was redest du da für einen Unsinn? Das ist ein Dämon!“ Die ältere Frau packte ihre jüngere Freundin energisch am Handgelenk und zog sie mit sich fort. Diese ließ sich widerstandslos mitzerren, warf aber nochmals einen letzten Blick zurück auf die Lichtung. Erbarmen war eigentlich fehl am Platz. Dämonen waren Ungeheuer, das wusste jeder, das war ihr von Kindheit an eingehämmert worden, da hieß es fressen oder gefressen werden. Trotzdem konnte sich die junge Frau, während sie zu dem verletzten, schlafenden Hundedämon zurück sah, ihres Mitleids und ihrer Zweifel nicht ganz erwehren. Irgendwie fand sie es unfair einen nicht wehrfähigen Dämonen anzugreifen, das war irgendwie nicht richtig. Manchmal erwuchs aus dem Bestreben ein Unheil zu bekämpfen ein noch viel größeres Unheil. Aber das war eine Erkenntnis, die allen Beteiligten leider zu spät kam. Soweit das siebenundzwanzigste Kapitel. Schlafende Geister sollte man eben nicht wecken. Ich mag der Anblick von schlafenden Personen und Tieren sehr gerne, deshalb ist die Stelle, als Izayoi den friedlich schlafenden Dämonenfürsten betrachtet und ihn danach durch einen Kuss aufgeweckt (das ist ja wie bei Dornröschen, *lach*) eine meiner Lieblingsstellen. Ich hoffe, euch gefiel dieses Kapitel auch. Denn Romantik werde ich nun nicht mehr viel bieten, es wird wieder actionhaltiger. Der Anfang des Kapitels ist übrigens durch das Lied 'Morning has broken' und durch eine andere Morgenstimmungsszene aus dem Jugendbuch 'Die Outsider' von Susan E. Hinton inspiriert. Kritik, Lob und hilfreiche Anmerkungen in Form von Kommentaren sind wie immer heiß begehrt. Danke! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)