Hurt von cu123 ================================================================================ Kapitel 1: "Frühling" --------------------- Titel: Hurt Teil: 1/4 Autor: cu123 Fandom: Weiß Kreuz Kommentar: Die Idee hierzu kam mir - wie nicht anders zu erwarten *grins* - beim Schreiben von "Close Distance". Endlich beendet, nachdem mir ja zwei Shortfics dazwischenfunkten ^^° Die nächsten Teile folgen wie bei "CD" sonntags ^^ Schuldig hat hier wieder den Namen Sebastian verpasst bekommen (ich habe mich einfach zu sehr daran gewöhnt) sowie blaue Augen ^^ AU, Crawford/Schuldig Disclaimer: not my boys, no money make... Widmung: Für alle fleißigen Commi-Schreiber bei "Close Distance" ^___________^ "Frühling" Er wachte auf, als die ersten Sonnenstrahlen durchs Fenster krochen und sich vorwitzig auf sein Gesicht legten. Sebastians Lider zuckten, konnten den Schlaf nicht länger halten und ließen ihn schließlich gehen. Augen, klares Blau, wurden geöffnet, fokussierten sich auf die vertraute Decke. Mit einem ausgiebigen Gähnen begrüßte er die Risse und Flecken. Stille, nur von leisen Atemzügen durchbrochen, grüßte zurück. Typisch, alle anderen schliefen noch. Sebastian setzte sich auf, ließ seinen Blick über die restlichen Betten schweifen. Nichts als ein paar Haarschöpfe. Er grinste breit als sein Magen knurrte, schwang die Beine über die Bettkante und stand auf. Nackte Füße berührten bloße Dielen und rasch suchte er nach seinen Hausschuhen - ohne sie zu finden. Kein Problem, er würde sich die von Thomas borgen, den störte das sicher nicht. Schlurfend begab er sich zur Tür, öffnete sie leise, spähte rechts und links den Flur entlang. Niemand zu sehen. Übermut glitzerte in blauen Augen auf. Die Latschen waren eine Nummer zu groß, so dass er nicht zu rennen wagte, aber dennoch legte Sebastian den Weg zur Küche in Rekordzeit zurück. Was ein leerer Magen nicht alles erreichen konnte. "Du schon wieder..." Ein belustigtes Seufzen. "Guten Morgen", lächelte Sebastian so lieb wie möglich die Köchin an. Die schüttelte nur den Kopf. "Frühstück gibt es erst in anderthalb Stunden. Du solltest nicht immer so früh aufstehen. Kleine Jungs brauchen ihren Schlaf um groß und stark zu werden." "Ich bin nicht klein!", protestierte der Zehnjährige, stemmte die Hände in die Hüften. "Natürlich nicht." Die Köchin lachte. "Na los, nimm dir ein Brötchen und verschwinde dann. Aber lass dich nicht von Fräulein Margot erwischen." Der Name rief Unsicherheit auf Sebastians Gesicht, die schnell wieder unterdrückt wurde. "Danke schön", rief er aus, machte sich anschließend mit seiner Beute davon. Das Brötchen war noch warm, als er es auseinanderbrach. Es ganz langsam verzehrend - schließlich musste er bis zum Frühstück eine Weile durchhalten - wanderte er den leeren Flur entlang. Was nun? Sebastians Stirn legte sich in Falten, dann hellte sich seine Miene auf. Zielstrebiger jetzt ging er geradewegs zum Aufenthaltsraum der älteren Kinder. Bücherregale, eine durchgesessene Couch, ein paar Stühle und zwei Sessel, in der Ecke ein alter aber funktionsfähiger Fernseher. Genau das, was er gesucht hatte. Er schob sich den letzten Bissen in den Mund, streifte die Hände an seiner Schlafanzugshose ab. Ein paar Krümel landeten auf dem Boden. Sebastian bemerkte es nicht einmal. Zufrieden schaltete er den Fernseher an. "Sebastian, du hast hier nichts zu suchen." Sich ertappt fühlend zuckte Sebastian zusammen, dann erst setzte sich die Vertrautheit der Stimme durch. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, noch bevor er sich umgedreht hatte. Brad saß in einem der Sessel, den schwarzen Schopf über ein Buch gebeugt. Jetzt sah der Ältere langsam auf und ein freundliches Lächeln war die Reaktion auf Sebastians eigenes. Den laufenden Trickfilm vergessend lief zu dem Teenager, hockte sich im Schneidersitz neben den Sessel. Eine Hand wurde ausgestreckt, strich durch orange Haare. "Ich hätte wissen müssen, dass du wieder herumschleichst", meinte Brad mit gespielter Verzweiflung. Das Lächeln wich nicht, stand warm in den braunen Augen. Er schob die Unterlippe vor. "Mir war langweilig." "Ganz was Neues..." "Dann mach was dagegen!" Augenbrauen wanderten nach oben. "Soll ich dir vorlesen?" Brad grinste. "Ja!" Diese Antwort erwischte den Teenager auf dem falschen Fuß. ~~*~~ Das Wasser prickelte eiskalt auf seiner Haut, als er in die Tiefe tauchte. Der Schock jagte durch Sebastians Körper, raubte ihm fast das Bewusstsein. Und dann wurde ihm tatsächlich schwarz vor Augen. "Willkommen unter den Lebenden." Sebastian blinzelte. Licht und Dunkelheit. Schließlich schälte sich ein Schatten heraus, wurde zu Brads Gesicht. Schwarze Strähnen hingen dem Älteren in die Stirn, Wasser tropfte davon herab, traf ihn kühl. Das schmale Lächeln verschwand als Brad seine gebeugte Haltung aufgab und sich gerade aufsetzte. "Dummkopf!" Er blinzelte ein weiteres Mal. Sein Kopf dröhnte, so dass er bei dem Versuch sich aufzurichten sehr, sehr vorsichtig vorging. Nicht vorsichtig genug. Sebastians Magen protestierte und er schaffte es gerade noch sich zur Seite zu beugen, als er auch schon begann den Inhalt hervorzuwürgen. Eine kühle Hand legte sich auf seine Stirn, hielt die Haare zurück. Der andere Arm stützte ihn, wofür Sebastian ausgesprochen dankbar war, da seine eigenen zu zittern anfingen und ihn kaum halten konnten. In diesem Moment dachte er überhaupt nichts, viel zu beschäftigt damit sich von seinem Mittagessen zu verabschieden. Sobald sich seine Gedanken etwas geklärt und sein Magen beruhigt hatten, wagte er es Brad seine Aufmerksamkeit zu schenken. Der Teenager ließ ihn mit einem abwägenden Blick los, zog dann das nasse T-Shirt aus, das wie eine zweite Haut an Brad klebte. "Was wird das?" Seine Kehle brannte und jedes Wort kratzte schmerzhaft, als würde es die Form einer Rasierklinge haben. "Du solltest wenigstens ein Mal auf mich hören." Sebastians Frage wurde dadurch beantwortet, dass Brad ihm das Shirt um den Kopf wickelte, ein behelfsmäßiger Verband. "Ich habe dir gesagt, du sollst nicht kopfüber in diesen See springen. Und du machst natürlich genau das." Die braunen Augen sagten ganz klar aus, dass Brad überhaupt nicht erfreut war. Das Klicken, mit dem ihm alles klar wurde, konnte Sebastian fast hören. Langsam sah er zu dem ruhig da liegenden Gewässer hinüber. Nichts ließ vermuten, wie nahe er eben dem Ertrinken gewesen war. Der vorstehende Felsen lockte ihn immer noch mit seinem Ruf, aber er würde dem kein weiteres Mal nachgeben. "Du hast mich rausgeholt..." Es war keine Frage. Blaue Augen suchten die seines Gegenübers. Jetzt war auch klar, warum Brad so vor sich hintropfte. Nachträgliche Panik ließ alles verschwimmen und die darauf folgende Erleichterung war beinahe noch schlimmer. "Danke..." Es war nicht genug, aber alles was er sagen konnte. Einen Herzschlag später klammerte er sich an Brad, so fest, als wäre er immer noch kurz davor zu ertrinken. Sebastian bebte, konnte das Zittern einfach nicht unter Kontrolle bringen. Wenn wenigstens das Hämmern in seinem Kopf nachlassen würde. "Wieso warst du überhaupt hier?" Ein kläglicher Versuch sich abzulenken. Brad schnaubte. "Ich kenne dich doch." Sebastian lachte in sich hinein, was eine neue Welle von Schmerz auslöste, ließ zu, dass der Teenager ihn sanft von sich schob. "Wir sollten zurückgehen, ehe dich noch jemand suchen kommt. Keine Sorge, dir geht es bald wieder besser." Unverrückbare Gewissheit. Warum aber schien Brad trotzdem besorgt zu sein? Der Gedanke verflüchtigte sich, ehe die Beobachtung Sebastian wirklich bewusst wurde. ~~*~~ Fräulein Margots Standpauke war überstanden und - natürlich - längst vergessen. Eigentlich hätte Sebastian jetzt anfangen können die gerade begonnenen Sommerferien zu genießen, doch leider blieb es bei einem ,eigentlich'. Ihm blieb nur noch eine Woche für den Aufsatz, den er als Strafarbeit aufbekommen hatte, sobald er wieder völlig gesund gewesen war. Und aus diesem Grund saß Sebastian an einem wundervollen sonnigen Nachmittag allein im Gemeinschaftsraum, kaute auf dem Ende seines Füllers herum und starrte der Verzweiflung nahe auf das Blatt, auf dem seit einer Stunde immer noch nicht mehr als die ursprünglichen Linien standen. "Pah, das wird doch nie was!" Er lehnte sich zurück und verschränkte die Hände hinterm Kopf, der Füller blieb verlassen neben dem Block liegen. Auf der Suche nach Ablenkung tasteten blaue Augen den Raum ab, fanden jedoch nichts Interessantes vor. Nicht einmal einen Fernseher hatten sie hier. Sebastians Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. "Langweilig..." Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und erlöste ihn aus seinem Schicksal selbst auferlegter Einsamkeit. Ein grinsendes, Sommersprossen übersätes Gesicht schaute herein. "Hey, willst du nicht langsam rauskommen? Fräulein Margot hat versprochen mit uns Eis essen zu gehen." Thomas strahlte regelrecht vor Vorfreude und umso schwerer fiel es Sebastian ablehnend den Kopf zu schütteln. Er würde eh nicht mitkommen dürfen, solange er nicht eine einzige Zeile geschrieben hatte. Der Andere sah einen Moment enttäuscht aus, dann aber siegte die Vorfreude. "Kann man nichts machen. Vielleicht... Wenn du dich beeilst, kannst du ja vielleicht nachkommen." Damit wurde die Tür wieder geschlossen. Sebastian sank auf seinem Stuhl in sich zusammen und verlegte sich aufs Schmollen. "Das ist so was von unfair!", beschwerte er sich beim leeren Zimmer. Natürlich machte er sich keine Illusionen darüber, heute noch zu seinem Eis zu kommen. Er versank in Tagträumereien, seine Arbeit genauso wie die Zeit vollkommen vergessend. Sebastian bemerkte überhaupt nicht, dass er nicht mehr allein im Raum war, bis eine bekannte Stimme aufklang. "Wie weit bist du denn gekommen?" Blaue Augen zwinkerten irritiert, dann war Sebastian völlig in die Wirklichkeit zurückgekehrt. Sofort legte sich ein Lächeln auf das Gesicht des Jungen. "Brad!" Der Teenager lächelte zurück, offensichtlich belustigt von der ihm entgegengebrachten Begeisterung. Dann trat der Schwarzhaarige näher, spähte über seine Schulter. "Das sieht etwas... leer aus." Leiser Tadel schwang in den Worten mit, aber keiner Überraschung. Sebastian lief rot an und seine Ohren glühten munter vor sich hin. "Mir fällt eben nichts ein", stieß er schließlich hervor, mürrischer als beabsichtigt. Brad legte ihm beide Hände auf die Schultern, drückte sanft zu. "Soll ich dir vielleicht helfen?" Sich zurücklehnend sah er hinauf in das Gesicht des Älteren. Die braunen Augen erwiderten ruhig seinen Blick. "Ja." Ein kurzes Schweigen folgte. "Danke", fügte er dann leise hinzu. Sein Kopf ruhte eine Weile an Brads Oberkörper, ehe sie sich schlussendlich gemeinsam an die Arbeit machten. ~~*~~ "Nein, nicht!" Sebastian warf sich in seinem Bett hin und her, Schweiß verdunkelte orangefarbene Strähnen. Das Gesicht war kreidebleich, verzerrt vor Schmerz und Angst. Nach und nach versammelten sich die anderen Jungs um das Bett, aus dem Schlaf gerissen von immer verzweifelter klingenden Rufen, die jetzt in ein wimmerndes Flehen übergingen. Schließlich fasste sich einer von ihnen ein Herz, begann an Sebastians Schulter zu rütteln. "Wach auf, Sebastian, es ist nur ein Traum. Du bist in Sicherheit." Keine Reaktion. Thomas musterte besorgt seinen Freund, schickte dann einen der Jüngeren los. "Lauf hinüber und hole Brad!" Der schweigende Kreis öffnete sich um den Blondschopf passieren zu lassen, der zur Tür hastete und sie mit etwas zuviel Schwung aufriss. Die Klinke glitt aus der Hand, als der Gesuchte unerwarteter Weise genau vor ihm stand. Brads gefasste Miene wirkte wie ein Beruhigungsmittel auf die Kinder und widerspruchslos kehrte alle in ihre Betten zurück, kaum dass der Schwarzhaarige die Bitte ausgesprochen hatte. Brad trat leise an Sebastians Bett heran und braune Augen verloren jeglichen Ausdruck, unbemerkt von den anderen, während er auf den Orangehaarigen herunter sah. "Sebastian." Weder Befehl noch Bitte, nicht besonders laut, sondern mit überraschender Sanftheit gesprochen. Von einem Atemzug zum nächsten wurden blaue Augen aufgeschlagen, starrten nahezu zerbrochen ins Nichts. Farbige Scherben. Sebastian blieb noch in dem Traum gefangen. Farbige Scherben, zersplittertes Glas. Blut. So rot. An seinen Händen, überall. Wie durch einen roten Schleier sah er das Autowrack und fragte sich, wie er nach draußen gekommen war. Und dann war da nur noch flackerndes Feuer, das alles verschlang, sich wie eine wunderschöne Blüte entfaltete und die Nacht zum Leuchten brachte. Seine Eltern... Er schrie bis seine Kehle zu wund dafür geworden war. Ganz allmählich kehrte Leben in Sebastians Augen zurück. Kein Feuer. Nur weiches Dämmerlicht, verbreitet von den Lampen im Hof. Es war Vergangenheit, vorbei. Wie ein Mantra wiederholte er den vertrauten Gedanken, der ihn allmählich wieder ins Gleichgewicht brachte. Sebastian blinzelte Tränen weg, konnte aber das Zittern seiner Hände nicht ganz unter Kontrolle bringen. Jemand setzte sich auf sein Bett, es dauerte noch einen Moment, ehe er wusste, wer es war. "Brad? Was machst du denn hier?" Sebastian erkannte seine Stimme kaum wieder, warf sich ohne weitere Überlegung in die Arme des Ältern. Brad hielt ihn fest und willkommene Wärme begann gegen die Kälte in seinem Inneren anzukämpfen. "Hast du von dem Unfall geträumt?" Er legte den Kopf auf Brads Schulter, ließ sich hin und her wiegen. Es war fast wie damals, als er noch klein gewesen war. "Ja..." Es tat weh daran zu denken. Eine wunde Stelle, an der er nicht zu rühren wagte. Als Sebastian hierher gekommen war, hatte nur Brad es geschafft zu ihm durchzudringen. Und auch wenn er nicht wusste, wie es diesem gelungen war, spürte er doch stets Dankbarkeit. Der Teenager strich ihm durch die Haare, löste danach die Umarmung und drückte ihn vorsichtig ins Kissen zurück. "Du musst jetzt weiterschlafen." Die Decke wurde um Sebastian zurechtgezogen. "Keine Angst, der Traum wird nicht wiederkommen." Er lächelte ein wenig. Wenn Brad das sagte, stimmte es auch. Dann jedoch durchfuhr ihn eisiger Schrecken, vollkommen unerwartet. Was, wenn er auch Brad verlieren würde, so wie seine Eltern? "Versprich mir, dass du niemals einfach verschwindest", verlangte Sebastian. Braune Augen verdunkelten sich. "Das kann ich nicht." ~TBC~ Ich hoffe, es gefällt euch einigermaßen *lieb sag* Ich jedenfalls mag die Geschichte *nod* Muss nur noch am letzten Teil ein bissl feilen, aber Zeit genug hab ich ja bis der on ist ^^ cya, cu ^-^ Kapitel 2: "Sommer" ------------------- Titel: Hurt Teil: 2/4 Autor: cu123 Fandom: Weiß Kreuz Kommentar: Halbzeit ^-^ Es tut gut, sowas mal sagen zu können *gg* Bei CD habe ich ja keine Ahnung, wie lang es wird ^^ Schuldig hat hier wieder den Namen Sebastian verpasst bekommen (ich habe mich einfach zu sehr daran gewöhnt) sowie blaue Augen ^^ AU, Crawford/Schuldig Disclaimer: not my boys, no money make... Thanx an Inukichan und kohaku_san ^^ "Sommer" Brad war heute so merkwürdig. Nervös beäugte Sebastian seinen Freund. Das Gesicht des Teenagers war verschlossen, die braunen Augen schienen alles zu sehen, bloß nicht, was gerade vor ihnen lag. Die Ampel schaltete auf Grün um und weitere Unsicherheit gesellte sich zu dem sowieso schon schmerzhaften Knoten in seinem Magen. Es gab Tage, an denen Sebastian es kaum ertrug Autos zu sehen und heute schien es wieder so zu sein. Seine zitternde Hand wurde plötzlich fest umschlossen und als er hochsah, lächelte Brad ihn an. Erleichterung überschwemmte ihn mit Wärme und auf einmal war er wieder in der Lage einen Fuß vor den anderen zu setzen. Gemeinsam mit Brad überquerte er die Straße, während die anderen schon lachend vorausliefen. "Nicht so schnell, sonst kehren wir gleich wieder um." Brad musste seine Stimme nicht extra erheben. Thomas als einer der älteren gehorchte augenblicklich und rief die Jungs zur Ordnung. "Ihr habt ihn gehört. Brav sein oder kein Kino!" Grinsende Gesichter, einige streckten dem Lockenkopf sogar die Zunge raus. "Gib nicht so an!", war zu hören, nichtsdestotrotz verlangsamten alle ihre Schritte. Die Warnung war ernst gemeint und wurde ernst genommen. Sebastian zog an Brads Hand um dessen Aufmerksamkeit zu gewinnen. "Bekomme ich heute mein Eis?" Die blauen Augen hatten ihre Schatten verloren und nahmen jetzt einen bittenden Ausdruck an, der bei jedem außer Fräulein Margot wirkte. Er hatte ihn schon vor einer ganzen Weile perfektioniert. Brad schien für eine Sekunde durch ihn hindurchzusehen, ehe er antwortete. "Du kannst dir im Kino eins aussuchen." "Aber wir wollten doch einen Eisbecher essen gehen." Sebastian zog einen Flunsch. "Ich habe den Aufsatz schließlich fertig geschrieben." Das war inzwischen drei Wochen her. "Sollte das nicht vielmehr _wir_ heißen?" Der Schwarzhaarige lächelte wieder, jedoch abwesend. Der Ausdruck brachte die Angst zurück und so beeilte sich Sebastian zustimmend zu nicken. "Ja, okay. Aber trotzdem." Er konnte stur sein, wenn es um etwas Wichtiges ging. Der Ältere musterte ihn nachdenklich, sagte aber nichts, denn sie hatten inzwischen ihr Ziel erreicht und es gab anderes zu tun. "Stellt euch an und bleibt in der Reihe." Brads Blick brachte erneut Ruhe in die Gruppe und Sebastian gab das Thema vorläufig für verloren. Die Nachmittagsvorstellung war nicht sehr gut besucht, es handelte sich um eine Sondervorführung zur Ferienzeit. Daher mussten sie nicht lange anstehen und ehe Sebastian es sich versah, hatte er nicht nur eine Eintrittskarte in der Hand, sondern auch ein Eis am Stiel. Er zog die Nase kraus. "Das war unfair." Der Teenager lachte leise, zerzauste ihm mit einer Hand das Haar. "Soll ich es essen?", bot er dann an. "Nein, natürlich nicht!" Hastig drückte Sebastian das Eis an sich, bevor Brad den Vorschlag in die Tat umsetzen konnte. Brads Hand kam in seinem Nacken zur Ruhe und begann ihn in den noch beleuchteten Saal hineinzulenken. Thomas hatte sich zusammen mit den Anderen bereits Plätze in den oberen Rängen gesichert und winkte ihnen zu. Bei ihnen angekommen reichte Brad den Popkorneimer weiter, ehe er sich hinsetzte. Rasch nahm Sebastian neben ihm Platz. Auf der Leinwand lief nur Werbung und so beschäftigte er sich damit das Eis auszuwickeln. Das Geschnatter verstummte, als der Film begann. Es handelte sich um die Wiederaufführung eines älteren Disneyfilms. Nervös lutschte Sebastian an seinem Eis und versuchte krampfhaft zu verdrängen, dass er ihn vor ein paar Jahren bereits mit seinen Eltern gesehen hatte. Er scheiterte kläglich. Sebastian sank in dem weichen Sessel immer mehr in sich zusammen, sein Gesicht fahl und viel zu ausdruckslos für das eines Jungen in seinem Alter. Blaue Augen huschten zur Seite, beobachteten Brads reglose Züge. Das war eindeutig besser. Der Teenager schien nicht wirklich dem Verlauf der Handlung zu folgen, sondern blickte auf etwas, das Sebastian nicht sehen konnte. Bunte Bilder spiegelten sich in den blanken Brillengläsern, eine Parodie von Leben. Ohne ihn anzusehen ergriff Brad auf einmal seine Hand, drückte sie beruhigend. Und irgendwie reichte das für Sebastian. Er wandte sich wieder dem Film zu. "Ich bin gleich zurück." Er wusste nicht, wieviel Zeit vergangen war, doch Brads leise Worte holten ihn sofort zurück ins Hier und Jetzt. Sebastian spürte wie seine Hand losgelassen wurde, dann schob sich Brad auch schon an ihm vorbei. Kürzer als einen Herzschlag lang trafen sich ihre Blicke dabei und er vergaß zu atmen. Es war eine Lüge. Dumpf pochte es in seiner Brust, viel zu schnell. Der Film war vollkommen vergessen, während Sebastian wie erstarrt da saß und sich davon zu überzeugen versuchte, dass es nur eine Einbildung gewesen war. Unmöglich. Brad würde ihn niemals anlügen. Urplötzlich dachte er an die Nacht zurück, als er wieder diesen Albtraum gehabt hatte. ,Das kann ich nicht.' Brads Antwort. Sebastian stand auf, als müsste er jede Bewegung neu erlernen, arbeitete sich auf den Ausgang zu. "Hey, wo willst du hin?" Thomas' Stimme. Er hörte sie ohne den Inhalt der Worte zu verstehen. Vor dem Saal stand er einige Sekunden ratlos herum, geblendet vom Licht und verstrickt in eine Angst, die viel realer war als die in seinen Träumen. Brad war nirgendwo zu sehen. Sebastian rannte los. Gerade das Gebäude verlassend, kam er abrupt zum Stehen. Dort war er. Aufgerichtet, fast steif, stand Brad da, blickte zur Straße, wo gerade ein Wagen mit verdunkelten Scheiben hielt. Die Welt wurde verzerrt von ihnen zurückgeworfen, nicht ganz ein Spiegelbild und doch ähnlich genug um erahnen zu können, wie die Wirklichkeit aussehen müsste. "Brad?" Ein heiseres Flüstern, eigentlich zu leise um gehört zu werden. Wind spielte mit schwarzen Strähnen, als der Teenager sich langsam zu ihm umdrehte. Sie wurden von einer ungeduldigen Hand zurückgestrichen, nur um gleich darauf wieder in die Stirn zu fallen. Die Geste war schmerzhaft vertraut. "Du hast hier nichts zu suchen, Sebastian. Geh rein." Kalte Worte, flach und ohne Betonung. Sie hätten ihn innerlich erfrieren lassen können, wenn da nicht die Augen gewesen wären. Gehetzt und voller Sorge, so schnell Brad das auch zu verbergen versuchte. Sebastian setzte sich in Bewegung, stolperte mehr als dass er ging. Und am Ziel angelangt klammerte er sich an den Älteren, als würde dieser sich ansonsten jeden Moment in Luft auflösen. Sekundenbruchteile wurden zu Ewigkeiten, vergingen trotzdem viel zu schnell. Eine Autotür klappte und Brad zuckte unterdrückt zusammen, ehe er Sebastian von sich schob, unerbittlich. "Du musst es vergessen..." Eindringlich geflüstert. Blaue Augen sahen in braune auf, kurz davor zu zerbrechen. Er fühlte sie bereits, die Einsamkeit. Eine alte Bekannte. "Gibt es ein Problem mit ihm?" Die Frage musste keine Drohung in sich tragen um Sebastian vollkommen hilflos werden zu lassen. Brad drehte sich kurz um. "Nein", beeilte er sich zu versichern. Dann die letzten Worte an Sebastian. "Es tut mir Leid." Blicklos sah er zu, wie Brad in den Wagen stieg ohne sich noch mal zu ihm umzuwenden. Und so stand Sebastian immer noch da, als die anderen ihn schließlich fanden. "Sebastian, wo ist Brad?" Warum fühlte er sich so merkwürdig? "Sebastian, was ist los?" Jemand packte ihn an den Schultern, schüttelte ihn. Langsam fokussierte sich Sebastians Blick und er erkannte Thomas, auf dessen Gesicht sich Erleichterung ausbreitete. "Wo. Ist. Brad?" Ganz langsam, jedes Wort betont. Sebastians Stirn legte sich in Falten. "Wer?" ~~*~~ Langsam hatte er die ganzen Fragen wirklich satt. Sebastian kickte einen Stein weg, der über den Asphalt hüpfte und dann still am Straßenrand liegen blieb. Erst die Kinder, danach Fräulein Margot und schließlich auch noch ein Polizist. Er wusste einfach nicht, was sie von ihm wollten. Die Hände in den Hosentaschen starrte Sebastian zum Himmel hinauf, Blau begegnete Blau. Soviel Leere. Sein Blick verschwamm, als Tränen in seine Augen traten. Heiß rannen sie über bleiche Wangen, während der schmale Jungenkörper sich keinen Millimeter rührte, allein gelassen. Irgendwann erwachte Sebastian aus dem tranceartigen Zustand, wischte sich über das Gesicht, in der Hoffnung das Brennen damit verschwinden lassen zu können. Aber es war nicht oberflächlich, sondern tief in seinem Inneren, an einer Stelle, die er nicht erreichen konnte. Etwas knisterte in seiner Hand und mühsam entkrampfte er die zu einer Faust geballten Finger. Ein zerknittertes Foto. Sorgfältig strich Sebastian es glatt, blaue Augen huschten über die lachenden Gestalten hinweg. Er selbst war da, Thomas, ein paar andere aus seinem Zimmer. Und ein Teenager mit schwarzen Haaren, der nachsichtig in die Kamera lächelte. Das Brennen verstärkte sich und ein Gefühl des Fallens gesellte sich hinzu. Er hatte den Boden unter den Füßen verloren und fiel, unaufhörlich, endlos. Als er sich wieder in Bewegung setzte, ließ er seine Füße den Weg wählen. Sie verließen die kaum befahrene Straße, trugen ihn weiter, einen Trampelpfad entlang. Ab und zu wurde Sebastian von Zweigen eines Busches gestreift, manchmal war es nur ein leichter Windstoß, der ihn berührte. Doch die Einsamkeit ließ sich so nicht vertreiben. Er folgte seinem eigenen Schatten, der ihm stets ein Stück voraus war, im Rücken spürte Sebastian die Sonne. Wärme, durch das T-Shirt hindurch. Sein Ziel erkannte er erst, als er es erreichte, sich der See vor ihm ausbreitete. Stilles Wasser, einige Wolken widerspiegelnd. Sonnenstrahlen wurden gebrochen, verschluckt, Überreste glitzerten auf der Oberfläche. Langsam schlenderte Sebastian zu der überstehenden Felsspitze. Solider Stein unter den Sandalen. Er zog sie aus, Fußsohlen berührten den erhitzten Untergrund. Lautlos, wie sein Schatten. Als wäre er überhaupt nicht vorhanden, nur zu Besuch in dieser friedlichen Landschaft, nicht dazugehörend. Sebastian streckte sich lang auf dem Bauch aus, spähte über den Rand nach unten. Und wieder traf Blau auf Blau. Das Wasser rief nach ihm aber irgendwo in seinem Kopf verbarg sich eine Erinnerung. Und sie warnte ihn leise, nicht auf den Ruf zu hören. Das reflektierte Licht begann in seinen Augen zu schmerzen, doch Sebastian sah nicht weg, konnte nicht wegsehen. Die Zeit verging, Sekunden, Minuten, Stunden. Ungeschützte Haut rötete sich unbemerkt. Und erst als es dunkler wurde, das Wasser seinen Glanz verlor, stand Sebastian auf und begann sich auf den Heimweg zu machen, ungeachtet protestierender Muskeln und spannender Haut. Sie schimpften nicht mit ihm, obwohl er zu spät zum Abendessen kam. Ein Teller mit belegten Broten wartete auf Sebastian, sie wurden mit mechanischer Gründlichkeit verzehrt. Schließlich lag er im Bett, bemerkte nicht die gedrückte Stimmung um ihn herum. Geflüsterte Worte, verstohlene Bewegungen, zurückhaltend. Sebastian hatte in den letzten Nächten kein einziges Mal von dem Unfall geträumt. Und dabei sollte es in den folgenden Jahren bleiben. Wenn er schweißgebadet aufschreckte und in die Finsternis starrte, war es mit den letzten Eindrücken einer gesichtslosen Gestalt, die ihm den Rücken zukehrte und davonging ohne zurückzublicken. Nie verließ ein Aufschrei Sebastians Lippen, aber in ihm weinte in aller Stille ein kleiner Junge. ~~*~~ "Kommst du? Wir wollen los." Der Vierzehnjährige sah von dem Buch auf, strich sich orangefarbene Strähnen aus der Stirn. Sebastians Haare fielen widerspenstig in die alte Position zurück, zu lang, um so einfach gebändigt zu werden. Es dauerte einen Moment bis er aus der Welt zurückfand, in die er bis eben versunken gewesen war. Sein Lächeln fiel nicht unehrlich aus, aber irgendetwas fehlte. Steffen bewegte sich, ein wenig unbehaglich vielleicht und dessen Augen flackerten zum Fernseher hinüber, als würde dort eine interessante Sendung laufen und nicht nur eine leere Mattscheibe sein. Sebastian gab seine zusammengerollte Haltung auf, unterdrückte ein Aufstöhnen. Blut kehrte prickelnd in seine fast tauben Beine zurück, keine angenehme Erfahrung. Mit einer Grimasse erhob er sich, das Buch auf der Armlehne liegen lassend. Schnell genug war er soweit auch wieder laufen zu können, begleitete Steffen nach draußen, nachdem er sich rasch etwas überzogen hatte. Die anderen warteten bereits im Auto. Einer der Erzieher würde sie in die Stadt fahren. Zum Glück nicht Fräulein Margot. Selbst jetzt noch fürchtete sich Sebastian ein wenig vor ihr und stand damit nicht allein da. Thomas hatte sich den Beifahrersitz gesichert, grinste ihm entgegen. "Mal wieder die Zeit vergessen? Wenn wir wegen dir zu spät kommen, kannst du was erleben." Es war eine leere Drohung und sie beide wussten das. Kurz trat Belustigung in blaue Augen, die sonst viel zu oft abwesend wirkten. Auf der Suche nach etwas, jemandem, der eigentlich da sein müsste aber immer ein nicht fassbarer Schatten blieb. Die Fahrt würde nicht lange dauern und Sebastian war froh darüber. Hinter seiner Stirn begann es mal wieder leise zu pochen, ein Zeichen sich anbahnender Kopfschmerzen, das er in den letzten Wochen zu erkennen gelernt hatte. Er lehnte sich gegen die kühle Scheibe, betrachtete die vorbeihuschende Landschaft. Bunt gefärbte Blätter tanzten im Wind. Die verschlungenen Bewegungen verstärkten die Schmerzen und leuchtende Punkte durchzogen plötzlich sein Blickfeld, selbst dann noch, als Sebastian die Augen schloss. Glühende Nadeln stachen mitten durch sein Gehirn, zerrissen alle Gedanken. Sebastian hörte seinen eigenen Schrei nicht mehr. Der Geschmack von Blut lag auf seiner Zunge, als der Vierzehnjährige wieder zu sich kam. Seine Augen ließen sich nur mit Mühe öffnen und selbst dann erhielt er nur ein verschwommenes Bild. Von irgendwoher hörte Sebastian ein leises Stöhnen, war aber nicht in der Lage darauf zu reagieren. Halb betäubt befreite er sich von seinem Gurt, drückte die sich ihm einen Moment lang widersetzende Autotür auf, stolperte nach draußen. In einiger Entfernung kam Sebastian holprig zum Stehen, wandte sich langsam um. Und erstarrte. Geweitete blaue Augen versuchten das Bild des von der Straße abgekommenen Autos aufzunehmen, doch sein Verstand verweigerte die Kooperation. Ohne zu verstehen was er sah, glitt sein Blick über die zusammengestauchte Front, die reglosen Gestalten im Innern. Sebastian begann zu zittern. ~TBC~ o.o Ich hoffe man kann sich denken, wo Brad abgeblieben ist. Ich kann jetzt schon sagen, dass er im nächsten Kapitel wieder auftauchen wird... cya, cu ^-^ Kapitel 3: "Herbst" ------------------- Titel: Hurt Teil: 3/4 Autor: cu123 Fandom: Weiß Kreuz Kommentar: Die Stimmung wird sich nicht wirklich verbessern o.O Aber wenigstens ist Brad zurück - nu ja, zumindest so halbwegs *räusper* Schuldig hat hier wieder den Namen Sebastian verpasst bekommen (ich habe mich einfach zu sehr daran gewöhnt) sowie blaue Augen ^^ AU, Crawford/Schuldig Disclaimer: not my boys, no money make... Thanx an nai-chan, Inukichan und Andromeda ^______________^ "Herbst" Sebastian wusste nicht, was er tun sollte. Er war vollkommen hilflos, so wie damals, als seine Eltern gestorben waren. Sein Körper wurde von immer stärkeren Beben geschüttelt, seine Muskeln begannen zu schmerzen. Der Herbstwind fuhr raschelnd durch halbvertrocknete Blätter, überdeckte für einen Moment das Geräusch des sich nähernden Autos. Sebastian wandte sich zur Straße um, der Blick der blauen Augen so stumpf, wie die dahinter viel zu langsam ablaufenden Gedanken. Dann setzte sich die Idee durch, dass dort Hilfe kommen könnte. Der Wagen hielt bei ihm und Sebastians Stirn legte sich in Falten, als etwas in seinem Gedächtnis aufbegehrte, nach Aufmerksamkeit verlangte. Er schaffte es nicht sich darauf zu konzentrieren. Verdunkelte Scheiben warfen sein Bild zurück, wirkten wie ein Anker auf seinen dahintreibenden Verstand, der bis eben nicht gewusste hatte, in welcher Zeit er sich befand. Die beiden vorderen Türen wurden geöffnet und zwei Männer stiegen aus, bauten sich vor Sebastian auf ohne dem gegen einen Baum gefahrenen Auto mehr als einen flüchtigen Seitenblick zukommen zu lassen. Graue Augen bohrten sich in blaue und Sebastian hatte den seltsamen Eindruck, etwas würde sich durch seinen Kopf bewegen, in seinen Gedanken wie in einem Buch blättern. Sein Mund wurde trocken und Panik flammte auf, löste einen Fluchtreflex aus, dem er nicht gehorchen konnte. Sebastian gelang es nicht einmal wegzusehen, die grauen Augen bannten ihn effektiver an Ort und Stelle als es Fesseln vermocht hätten, forderten seine unbedingte Aufmerksamkeit. Und das war der Grund, weshalb Sebastian nicht mitbekam, dass noch jemand das Auto verließ. "Sie hatten Recht, Sir." Sebastian wurde aus dem Zugriff entlassen, sackte ein Stück in sich zusammen, während der Mann sich dem Neuankömmling zuwandte. "Natürlich." Das eine Wort trug genug Kälte in sich, um Sebastian wieder erzittern zu lassen. Woher kam aber plötzlich das Gefühl der Vertrautheit? Wie in Zeitlupe suchten blaue Augen nach dem Ursprung der Stimme. Eine Windböe kam auf, strich durch schwarze Haare, zupfte an dem Mantel, den die hochgewachsene Gestalt trug. Brillengläser blitzten von einem vereinzelten Sonnenstrahl getroffen für einen Moment auf, verbargen die Augen dahinter. Und in der nächsten Sekunde setzte Sebastians Herzschlag kurz aus, denn das bekannte Braun brachte alles zurück. Eine Kaskade von Erinnerungen. "Brad?" Am Rande seines Bewusstseins sah er die zwei Männer bei dieser Anrede zusammenzucken, verarbeitete die Information aber nicht. "Hallo Sebastian." Ein eisiges Lächeln. Es ließ ihn einen Schritt zurückweichen, obwohl er nichts mehr wollte als zu Brad hinüberzulaufen. Unverständnis spiegelte sich auf Sebastians Gesicht wider. Er fühlte die Bedrohung ohne sie einordnen zu können. "Brad, bist du es wirklich?" Wie hatte er ihn nur vergessen können? Sein Herz schlug schneller, als müsste es etwas aufholen. "Brad..." Ein heiseres Flüstern, Tränen brannten in seinen Augen. Die vergangenen vier Jahre existierten nicht mehr und ohne nachzudenken stolperte Sebastian auf den Schwarzhaarigen zu. Einer der Männer zog eine Waffe, wurde durch eine knappe Geste gestoppt. "Sir?" "Es ist in Ordnung." Braune Augen musterten den Vierzehnjährigen, der die Arme um ihn geschlungen hatte, das Gesicht im Stoff des Mantels vergraben. Sebastian hörte den kurzen Austausch nicht, verloren in Erinnerungen, die viel zu lange verdrängt worden waren. Nach und nach registrierte er jedoch die Tatsache, dass Brad seine Umarmung nicht erwiderte. Mit verschwimmendem Blick sah er auf, voller Angst, alles könnte sich als Irrtum entpuppen. Brad lächelte wieder, aber es war nicht das warme Lächeln, das Sebastian kannte. Und die braunen Augen blieben vollkommen unberührt davon. "Ich hatte nicht erwartet dich wiederzusehen." Brads Hand streichelte über seine Wange und er wusste nicht, was er sagen sollte. "Mein kleiner Sebastian, immer noch so allein." Wie? Die Worte taten weh, schlimmer jedoch war die Erkenntnis, dass der Schwarzhaarige jetzt eine völlig andere Person war. Wer bist du?, fragte er stumm. "Und immer noch hilflos, nicht wahr?" Die Finger glitten weiter, während Brad, der nicht mehr Brad war, fast nachdenklich zu ihm sprach. Sie kamen unter Sebastians Kinn zur Ruhe, übten sanften Druck aus. Unwillkürlich gab er nach, erhob sich auf die Zehenspitzen. Brads Mundwinkel zuckten kurz, ehe sich der Ältere zu ihm herunterbeugte und ihn küsste. Die Zeit blieb stehen. Sebastians Knie drohten nachzugeben, doch ein fester Griff stützte ihn, hielt ihn aufrecht. Er war noch nie auf die Weise geküsst worden, ohne jede Zurückhaltung, mit dem Versprechen, dass sehr viel mehr folgen würde. Sebastian wollte sich losreißen - das hier war falsch, das war nicht Brad - und gleichzeitig wünschte er sich, es würde niemals aufhören. Schließlich beendete der Ältere den Kuss und Sebastian konnte nichts anderes tun als schwer durchzuatmen. Er glaubte immer noch Brad zu schmecken und seine Lippen fühlten sich an, als wären sie geschwollen. "Pass gut auf, Sebastian." Brads Stimme forderte seine Aufmerksamkeit ein und in den braunen Augen konnte er kühles Amüsement erkennen, ehe sie abgewandt wurden. Er folgte Brads Blick zu dem beschädigten Auto hin, das er vollkommen vergessen gehabt hatte und in dem sich jetzt jemand zu rühren begann. Sebastians Magen verknotete sich zu einem schweren Klumpen. "Kümmern Sie sich um die anderen." Sebastian wusste zuerst nicht, mit wem Brad gesprochen hatte, doch die Antwort des einen Mannes beseitigte jeden Zweifel. "Ja, Sir." Eine Waffe, der Mann hatte eine Waffe in der Hand! Als hätte der Andere seinen entsetzten Gedanken aufgefangen, streiften Sebastian kurz graue Augen, ehe die Pistole in Anschlag gebracht wurde. Er wollte aufschreien, aber seine Kehle war wie zugeschnürt. Brad stand hinter ihm, eine warme Mauer, die keinen Schutz bot, hielt ihn immer noch fest. Sebastian spürte, wie Brad sich wieder vorbeugte, Lippen berührten beinahe sein Ohr. Das Flüstern war grausam verständlich, jedes einzelne Wort bohrte sich in sein Inneres. "Sieh genau hin, Sebastian. Das geschieht nur wegen dir." Schüsse peitschten durch die klare Herbstluft, zerrissen die Stille. Mit glasigem Blick sah er zu, wie es ihm befohlen worden war. Die Kugeln mussten den Tank getroffen haben, denn eine Explosion blendete ihn für eine halbe Ewigkeit, die viel zu schnell vorbei war. Und da waren sie wieder, die Flammen, die alles gierig in sich hineinfraßen. Sebastian hörte sie leise sprechen. Du bist schuld, du bist schuld, du bist schuld. Bis er es glaubte. Schuldig. "Ich bin schuldig..." Unbewusst sprach er den Gedanken aus. Brad überraschte ihn mit einem Auflachen, dem es vollkommen an Humor mangelte. "Schuldig also." Als wäre eine Entscheidung gefallen. Hände legten sich auf seine Schultern, zwangen ihn sich umzudrehen. Er fühlte sich so leer. Und die gleiche Leere blickte ihm aus den Augen des Anderen entgegen. "Ich denke es wird Zeit mich ebenfalls vorzustellen, Schuldig. Mein Name ist Crawford." Crawford zog ihn in einen weiteren Kuss und Schuldig reagierte ohne zu zögern, voller Verzweiflung. Aber er weinte nicht. "Wo bist du gewesen?", wollte er anschließend wissen, versuchte das glühende Wrack zu ignorieren, dessen Hitze bis zu ihnen herüberzustrahlen schien. "Ich werde es dir zeigen." Brad - nein, Crawford - winkte den beiden Männern zu ihrem Wagen zurückzukehren. Sie gehorchten augenblicklich. "Komm, Schuldig." Er hörte auf den Namen, als wäre er nie anders genannte worden, versuchte zu vergessen, wen er zurückließ. Thomas, Steffen, die anderen. Sie waren... tot. Von einer Sekunde zur nächsten wich alles Blut aus Schuldigs Gesicht und ihm wurde so schlecht, dass er nicht mehr klar sehen konnte. "Reiß dich zusammen." Crawfords Finger umschlossen seinen Oberarm in einem stählernen Griff, vertrieben die Übelkeit. Schuldig folgte dem Schwarzhaarigen, nahm neben ihm auf der Rückbank Platz. Das Auto fuhr sachte an, noch ehe er angeschnallt war, aber Schuldig war zu sehr damit beschäftigt die Angst niederzuringen um es zu bemerken. Was, wenn sie auch einen Unfall hatten? Kalter Schweiß trat auf seine Stirn. Crawford zog ihm die Jacke aus, dann den Pullover. Er ließ es mit sich geschehen, apathisch. Hinter Schuldigs Stirn begannen neue Kopfschmerzen zu pochen. "Er steht vor einem neuen Ausbruch, Sir." "Ich weiß." Braune Augen glitten über Schuldigs Gesicht, das jetzt schmerzverzerrt war. Dann griff der Schwarzhaarige in eine Innentasche des Mantels, holte eine Spritze heraus. Blaue Augen fokussierten sich darauf, beobachteten wie die Nadel unter die Haut drang, die klare Flüssigkeit in seinen Körper gepresst wurde. Schuldig zwinkerte. Und dann konnte er die Augen nicht länger offen halten. Schwärze umfing ihn, löschte endlich jeden bewussten Gedanken aus. Schuldig kam auf dem Boden liegend zu sich, in seinem Rücken eine kalte Mauer. Um ihn herum standen, hockten oder lagen weitere Kinder. Jungs, keiner schien älter zu sein als er selbst. Vorsichtig richtete er sich auf, verharrte, als der Raum sich zu drehen begann. Wo war nur? Crawford? Irgendwie schaffte er es in eine sitzende Position zu kommen, sah sich mit geweiteten Augen um. Kahle Wände, Betonfußboden. Ein Keller? "Hoch mit euch!" Der Befehl wirkte wie ein Peitschenschlag. Um Schuldig herum kam Bewegung auf, jeder rappelte sich auf so schnell er konnte. Und nicht ein Wort wurde dabei gewechselt, so groß war der Schock. Der eingetretene Mann zeigte ein maliziöses Lächeln. "Hört mir gut zu. Ihr seid jetzt auf Rosenkreuz und das wird sich für eine ganze Weile nicht ändern. Kommt gar nicht erst auf die Idee, ihr könntet von hier abhauen. Da ich genau weiß, dass ihr im Moment sowieso kaum etwas versteht, hier ein paar einfache Anweisungen: Ihr haltet den Mund, solange ihr nicht angesprochen werdet. Draußen bekommt ihr Sachen und werdet dann zu den Duschen geführt. Ich erwarte euch in fünfzehn Minuten zurück. Und jetzt Tempo!" Immer noch nicht ganz klar im Kopf ließ sich Schuldig einfach mittreiben. Als ihm etwas in die Arme gedrückt wurde, hielt er es fest, erhaschte nur einen Eindruck von grau, ehe es auch schon weiterging. Es blieb keine Zeit zum Nachdenken, selbst wenn er dazu in der Lage gewesen wäre. Als er aus der Dusche heraustrat, waren seine alten Sachen verschwunden und rasch schlüpfte er in graue Hosen, streifte ein gleichfarbiges Shirt über den Kopf. Nackte Füße hasteten eilig weiter. Schuldig war sich nicht sicher, ob sie rechtzeitig zurück waren, er hatte keine Uhr mehr. Der Mann begrüßte sie mit einem ungeduldigen Blick, war jetzt nicht mehr allein. Crawford. Lautlos formten Schuldigs Lippen den Namen seines Freundes. Wenn der das überhaupt noch war. "Mein Name ist Roberts. Ihr müsst ihn euch nicht merken. Denkt einfach nur an eine ganz simple Regel: alles was nicht in dieser Uniform herumläuft", der dunkelblonde Mann zog einen Jungen an dessen Shirt zu sich heran, "wird mit 'Sir' angesprochen. Und sei es der Hausmeister. Verstanden?" "Ja", kam es mehr oder weniger laut von allen und außer Schuldig hängten nur zwei, drei andere ein ,Sir' an die Antwort. Crawfords Mundwinkel verzogen sich zu einem unfreundlichen Lächeln, verächtlich. "Ich glaube dieses Mal haben wir nicht besonders viele geistige Leuchten dabei", wandte der Schwarzhaarige sich dann an Roberts. "Sie werden es lernen." Roberts hielt immer noch den Jungen fest, zwang diesen hochzusehen. Schuldig gefiel die Szene nicht, aber er war auch nicht verrückt genug etwas zu sagen. Der Junge hielt sehr still, himmelblaue Augen weit aufgerissen. Mit den ebenmäßigen Zügen und den leuchtendblonden Haaren sah er wie ein kleiner Engel aus. "Wirklich schade darum..." Roberts' Finger spielten mit einigen Strähnen. "Wie heißt du?" "Daniel, Sir." Gestammelt, aber verständlich. "Gut, ich werde es mir merken." Schuldig sah ein Zittern durch den Körper des Jungen laufen, driftete unwillkürlich näher an Crawford heran, als wäre der Ältere ein Schwerkraftzentrum, das ihn unaufhaltsam anzog. Egal wie sehr sich Brad verändert hatte, hier war er das einzig Vertraute. Braune Augen fingen die Bewegung auf, doch Crawford zeigte keine Regung. "Weiter zum Haare schneiden, schlaft nicht ein." Roberts musste seine Stimme nicht erheben um ungeteilte Aufmerksamkeit zu erhalten. Sie wurden in einen weiteren Raum geführt, wo die ersten fünf auf bereitstehenden Stühlen Platz nahmen. Haare fielen zu Boden, nur ein paar Stoppeln blieben stehen. Ein Junge fing an zu schluchzen. Er hatte gepflegte schwarze Locken und ebenso dunkle Augen. "Ich will nicht..." Crawford erreichte ihn mit wenigen Schritten, ohrfeigte den Jungen mit der Rückseite seiner Hand, so dass der Jüngere wimmernd auf dem Boden landete. Roberts lachte kurz, packte den Jungen dann am Kragen und zog ihn mühelos hoch. Er wurde auf einen Stuhl gestoßen und festgehalten. Und dann mussten sie alle zusehen, wie der Junge vollkommen kahlgeschoren wurde. Schuldig kam an die Reihe, fiel mehr als dass er sich setzte auf den Stuhl. Er hörte bereits die Schere neben seinem Ohr, als Crawfords Geste den Jugendlichen stoppte. "Sir?" "Ihn nicht." Um sie herum hielten auch die anderen Möchtegern-Friseure inne, nur um umso eifriger fortzufahren, sobald ihnen bewusst wurde, was für eine dumme Idee das war. Schuldig war wie erstarrt, als sich Crawford ihm näherte. Eine Hand unter seinem Kinn zwang ihn in braune Augen zu blicken. "Es ist nicht notwendig, nicht wahr, mein kleiner Schuldig?" Er wollte nicken, aber der Griff hinderte ihn daran. Schuldig suchte nach Brad in den braunen Augen ohne ihn zu finden. Dennoch hoffte er weiter. ~TBC~ Irgendwie ist es mir gelungen mich mit diesem Teil selbst zu deprimieren... o.O Ich hoffe euch beim letzten Teil wiederzusehen ^^ cya, cu ^-^ Kapitel 4: "Winter" ------------------- Titel: Hurt Teil: 4/4 Autor: cu123 Fandom: Weiß Kreuz Kommentar: das traurige Finale .____. Schuldig hat hier wieder den Namen Sebastian verpasst bekommen (ich habe mich einfach zu sehr daran gewöhnt) sowie blaue Augen ^^ AU, Crawford/Schuldig Disclaimer: not my boys, no money make... BGM: Auf jeden Fall "Hurt" von Nine Inch Nails. Der Song ging mir nicht mehr aus dem Kopf, daher habe ich das hier *nach unten deut* sozusagen schreiben müssen ^^y Die Kapitel davon waren eigentlich nur zur Erklärung gedacht... Thanx an nai-chan, Taowaki, kohaku_san, Inukichan und Andromeda "Winter" Schuldig streckte sich, tastete im Dunkeln nach dem Nachttisch. Kurz darauf flammte ein Feuerzeug auf, entriss seinen nackten Körper für einen Moment dem ungewissen Dämmerlicht, mehr Finsternis als alles andere. Vor dem Fenster trieben schwere Schneeflocken vorbei, reduzierten die Scheinwerfer zu dunkelgrauem Licht. Kalt und abweisend. Es machte es fast erträglich hier eingesperrt zu sein. Besser hier als dort draußen. Dann glomm nur noch das Ende seiner Zigarette, etwas heller mit jedem Zug, den Schuldig nahm. Leise Atemzüge ließen den Sechzehnjährigen zur Seite blicken. Crawford schlief wie immer auf dem Bauch, das Gesicht von ihm abgewandt. Gestern erst war der Ältere von einem seiner Aufträge nach Rosenkreuz zurückgekehrt und natürlich hatte Schuldig die Gelegenheit genutzt dem Schlafsaal zu entkommen. Seine Augen gewöhnten sich an den Mangel an Helligkeit, zeichneten Crawfords Körper nach. Sie tat immer noch weh, die Erinnerung an Brad, die dabei wachgerufen wurde. Es war ihm nie wieder gelungen sie zu verdrängen, egal wie sehr er es manchmal versuchte. Seufzend drückte Schuldig die Zigarette aus. "Du solltest eigentlich schlafen." Crawford drehte sich auf den Rücken, schien zur Decke zu sprechen. "Morgen ist der Test." "Bist du deswegen hier?" "Auch." Bewegung. Dann spürte Schuldig den Blick ruhiger Augen, wusste um das Fehlen von Teilnahme darin, ohne es sehen zu müssen. Seine linke Armbeuge begann zu jucken und ohne nachzudenken kratzte er sich. "Habe ich dir nicht gesagt, dass du damit aufhören sollst?" Kalter Ärger. Schuldig reagierte nicht darauf, zu abgestumpft. "Warum hast du mich hierher geholt?" War es nicht der perfekte Zeitpunkt diese Frage zu stellen, die er nie laut auszusprechen gewagt hatte? Reflexartig versuchte er die Antwort telepathisch zu erfassen, scheiterte wie so oft an Crawfords Schilden. "Weil ich dich brauchte um meine Position zu festigen. Du bist der stärkste Telepath seit Jahren auf Rosenkreuz." Crawford zögerte nicht eine Sekunde. Die Erklärung kam mit kühler Belustigung, versetzte Schuldig einen weiteren Stich. Er zählte sie schon gar nicht mehr, zu vertraut war der Schmerz. Natürlich profitierte er von Crawfords Stellung, niemand kam mitten in der Nacht in den Schlafsaal um ihn aus dem Bett zu zerren. Nein, er musste sich nur zur Wand drehen, die blauen Augen fest zusammen gekniffen. Vorgebend nicht zu wissen, was da vor sich ging. Er war Crawfords persönliches Spielzeug, wer sollte es da wagen, sich an ihm zu vergreifen. Selbst wenn der Ältere nicht da war, schützte ihn das. Schuldig hatte gelernt zu überleben, aber mit jedem Tag erfror er innerlich etwas mehr. Und morgen war der Test, das letzte Hindernis vor dem endgültigen Training. Er würde die graue Uniform gegen eine blaue austauschen können und ganz offiziell nicht mehr zum letzten Dreck hier gehören. Blind griff er nach Crawford, versuchte das Eis hinwegzubrennen. Doch unter der geteilten Hitze ihrer Körper war Crawford kalt, schlimmer als die Kälte in Schuldigs Innern. Es war Hide and Seek, auf eine grausam verzerrte Art und Weise. Und damit absolut nichts Ungewöhnliches für Rosenkreuz. Zu jeder anderen Zeit hätte dieser Gedanke ein bitteres Lächeln auf seine Lippen gerufen, aber er war zu beschäftigt damit den heutigen Tag zu überleben. Wahrscheinlich ahnte niemand auf der Welt auch nur, wie viele Begabte es unter ihnen gab. Doch Rosenkreuz wusste es, hatte das Aufspüren solcher Kinder perfektioniert. Und so konnten sie es sich leisten ihre Schüler einer Probe zu unterziehen, die für die Hälfte von ihnen schnell tödlich enden konnte. Schuldig hastete durch die labyrinthartigen Gänge, nichts bei sich habend außer der Kleidung, die er am Leib trug. Und in seinem Kopf die Signatur seines Gegners. Der andere Telepath war dumm genug auf die scheinbare Aufgabe der Deckung hereinzufallen, hatte Schuldig kurz eingepeilt gehabt und seine Position damit deutlicher verraten, als wenn er laut schreiend durch die Gegend gehüpft wäre. Ohne jede Anstrengung hatte sich Schuldig sofort wieder hinter seinen Schilden versteckt und folgte nun der unsichtbaren Verbindung, die der andere nicht zu kappen in der Lage war. Ja, Crawford hatte Recht, Schuldig _war_ der stärkste Telepath hier. Mit einem wölfischen Grinsen bog er um eine weitere Ecke, getrieben von Adrenalin und dem Wissen, dass er auf keinen Fall versagen durfte. Schuldig hatte keine Ahnung, wie die anderen Talente getestet wurden und in diesen Minuten kümmerte es ihn auch herzlich wenig. In seinem Geist blinkte es immer stärker auf, eine kleine Barke, die ihn zielsicher zu einer Sackgasse führte, deren einzigen Ausgang er somit versperrte. Daniel hatte seinen Irrtum gerade bemerkt und wollte zurückgehen, aber dort wartete Schuldig auf ihn. Blaue Augen beobachteten konzentriert jede Bewegung des Gleichaltrigen. Es war ein Wunder, dass Daniel mit seinem Aussehen so lange überlebt hatte. Immer noch dieses hübsche Gesicht mit dem unschuldigen Ausdruck. "Das war es dann wohl, nicht wahr?" Schuldigs Worte brachen das angespannte Schweigen. "Ich werde nicht verlieren!" Eine Welle purer Willenskraft traf Schuldigs Schilde, wurde mit einer Mühelosigkeit abgeschüttelt, die Daniel sichtlich erschütterte. Doch der Blondschopf fasste sich rasch wieder und plötzlich hielt er ein Messer in der Hand. Da wollte wohl jemand seinen Bettgefährten nicht verlieren. Schuldig tippte auf Roberts. Nun ja, niemand hatte je behaupt, dass das Leben fair sei. Etwas das echter Belustigung nahe kam, funkelte in blauen Augen auf. Und dann übernahm sein Training die Kontrolle, als Daniel auf ihn zugerannt kam. Zeit wurde zu einen bloßen Konzept, schien keine Bedeutung mehr für Schuldig zu haben. Er wehrte sowohl mental als auch körperlich den Angriff ab, nicht ein Mal in Gefahr selbst dabei verletzt zu werden. Als sich der Nebel lichtete und er wieder klar denken konnte, lag Daniel vor ihm auf dem Boden. Schuldig zwinkerte. Einmal, zweimal, aber das Bild blieb das gleiche. Blut strömte aus unzähligen Stichen, rann aus Daniels Augen und Ohren, sammelte sich neben dem Toten. Ja, der Andere war wirklich tot. Hatte er etwas anderes erwartet? Er sollte nicht schockiert sein, nicht wahr? Schuldigs Hände fingen an zu zittern, das Messer fiel laut klirrend zu Boden. Was hatte er getan? Etwas in Schuldig schrie auf. Es gab keine Glückwünsche, nur die zur Kenntnisnahme seines Sieges. Blutüberströmt - nichts davon sein eigenes - ging Schuldig durch die Gänge, betäubt. Es war wieder geschehen. Verlust der Kontrolle. Warum sah er das erst jetzt? Der Unfall damals war wirklich seine Schuld gewesen. Wie Geister hingen die Bilder seiner früheren Freunde vor seinem inneren Auge, klagten ihn stumm an. Hatte er tatsächlich geglaubt, nichts mehr verdrängen zu können? Bis eben war ihm das doch ganz gut gelungen... Er fühlte nichts, absolut leer. Im Schlafsaal war niemand und so hielt ihn auch keiner auf, als Schuldig zu seinem Bett ging, dort für einen Moment stehen blieb, als wüsste er nicht weiter. >I hurt myself today< >to see if I still feel< Ohne klar denken zu können zog er das Messer hervor, das er vorhin aufgehoben und eingesteckt hatte. Finger umklammerten es auf der Suche nach Halt, einem Anker in der Realität. Schuldig merkte zunächst nicht, dass er nicht das Heft in der Hand hielt. Haut wich auseinander und warmes Blut lief über bereits antrocknendes kaltes. Und endlich wich auch die Betäubung. Sebastian schluchzte auf, rieb über die selbst zugefügte Wunde, die noch stärker zu brennen begann. >I focus on the pain< >the only thing that's real< Für einen Moment schien nichts als der Schmerz zu existieren, war viel zu schnell vorüber. Blut klebte an seinen Händen und Sebastian konnte dieses Wissen nicht ertragen. Er hatte es so sehr versucht, stets darauf hoffend, Brad wiederzufinden. Aber dieser war längst verloren, egal ob Sebastian es wahrhaben wollte oder nicht. In blauen Augen irrlichterte Wahnsinn, drohte ihn zu überwältigen. Doch noch konnte Sebastian ihn zurückhalten. Und er würde niemals wieder Schuldig sein. Nicht einmal für Crawford. Eine bebende Hand griff in das Loch in der Matratze, sein Geheimversteck. Mundwinkel zuckten in etwas, das nicht weiter entfernt sein konnte von einem Lächeln. Spritze und Foto wurden hervorgeholt, zusammen mit dem Messer auf das Bett gelegt, ehe Sebastian sich neben das setzte, was gerade seinen einzigen Besitz darstellte. Das Foto. Zerknickt und mit Wasserflecken versehen, konnte man immer noch die lachenden Gesichter erkennen. Brad mit seinem nachsichtigen Lächeln. Er selbst daneben. Ein blutiger Fingerdruck war auf dem Bild zurückgeblieben, drehte ihm beinahe den Magen um. Und trotzdem musste Sebastian sich geradezu dazu zwingen, den Blick abzuwenden, der schließlich an der Spritze hängen blieb. >The needle tears a hole< >the old familiar sting< Es war ein Betäubungsmittel, das er aus der Krankenstation hatte mitgehen lassen. Manchmal half nichts anderes mehr, wenn die Stimmen in seinem Kopf zu laut wurden. Der Einstich schmerzte kurz, so vertraut, dass Sebastian ihn kaum wahrnahm. >Try to kill it all away< >but I remember everything< Das Mittel rann wie Eis durch seine Adern, rasch, als wollte es sich mit der Kälte in seinem Inneren vereinigen. Sebastian schloss die Augen und lehnte sich zurück, versuchte die Erinnerungen zurückzudrängen, die das Foto ihm so klar vor Augen gerufen hatte. Aber es war zwecklos. Zu wenig. "Brad..." >What have I become?< >My sweetest friend< >Everyone I know< >goes away in the end< Sebastian sah sie wieder vor sich, die Zeit im Kinderheim. Brad an seiner Seite. Der große Bruder, den er nie gehabt hatte. Tränen rannen lautlos über blasse Wangen. Thomas zog ihn lachend hinter sich her, um Sebastian den eben gefangenen Frosch zu zeigen, der hilflos hin und her hüpfte, stets von den anderen Jungs zurückgescheucht. Und als nächstes war sein Freund nichts mehr als eine regungslose Gestalt, die in den Gurten hing, ehe der Wagen explodierte. Der Unfall seiner Eltern, aufgenommen und erneut abgespielt, nur dass er an diesem Tag noch sehr viel mehr verloren hatte. >You could have it all< >my empire of dirt< >I will let you down< >I will make you hurt< Was nutzte es ihm, dass er dank Crawford nahezu alles auf Rosenkreuz erreichen konnte? Hatte er jemals darum gebeten? Er hätte niemals die Hölle gewählt, selbst wenn er hier König sein könnte. Crawford dachte anders darüber. Das war nicht mehr Brad, sie hatten den Älteren zu einem der ihren gemacht. Würde Crawford enttäuscht von ihm sein? >I wear this crown of shit< >on my liar's chair< >full of broken thoughts< >I cannot repair< Er hätte sich niemals darauf einlassen dürfen. Aber Crawford hatte es von Anfang an erkannt. Er war zu schwach. Niemand riskierte es, sich mit dem von den Ältesten verhätschelten Precog anzulegen. Für eine Weile hatte Sebastian geglaubt das würde reichen. Doch es war nur eine Lüge. Illusion. Er hatte versucht ein anderer Mensch zu werden, jemand, der zu Crawford passte und annahm, was ihm hier angeboten wurde. Innerlich war er jedoch immer Sebastian geblieben. Gebrochener Geist, aber noch nicht zerstört. Denn so einfach ließ sich die Vergangenheit nicht aus der Welt schaffen, selbst wenn er noch soviel Übung darin zu haben schien. Aber in diesem Moment musste Sebastian erkennen, dass er auch nicht zurückkehren konnte. Zuviel hatte er geopfert und immer einen Teil seiner selbst damit aufgegeben. >Beneath the stain of time< >the feelings disappear< >You are someone else< >I am still right here< Mehr als zwei Jahre waren vergangen, hatten sein Inneres ausgehöhlt und fast dankbar hatte er der zurückbleibenden Kälte erlaubt seine Gefühle zu betäuben. Sie waren einfach verschwunden, bis nur noch der Schmerz übrig war, wann immer er Crawford ansah. Crawford, der nicht mehr Brad war. Aber er selbst hatte sich nie wirklich verändert und die dünne Schicht, die etwas anderes vorgab, war jetzt endgültig abgeblättert. Es hätte vielleicht ewig so weitergehen können. Doppelte Lügen. Nur dass sich nun alles verändert hatte. >What have I become?< >My sweetest friend< >Everyone I know< >goes away in the end< Er war endgültig zum Mörder geworden und nichts konnte ihm noch Trost bieten, ihn vor dieser Gewissheit schützen. Sie waren weg, alle. Alpträume wurden wach, als das Betäubungsmittel in Sebastian zu arbeiten begann. Alle, mit denen er in Berührung kam, starben. Sebastian hatte nicht genug Tränen in sich um die Verzweiflung herauszuweinen, nicht genug Luft um sie herauszuschreien. Rosenkreuz hatte es beinahe geschafft: Heute war er ihr Werkzeug gewesen, hatte ohne zu überlegen angewendet, was ihm beigebracht worden war. Kein Unfall. Nicht seine Telepathie hatte verrückt gespielt. Was war nur aus ihm geworden? Er erkannte sich selbst nicht wieder. Und das hatte ihn letztendlich aus seiner Lethargie gerissen, seine letzte Hoffnung zerstört. Wie sollte er Brad retten können, wenn er nicht einmal in der Lage war sich selbst zu retten? Ehe er sich völlig verlor, würde er dem ein Ende bereiten. Sebastian rollte sich auf dem Bett zusammen, gefährlich nahe an dem Messer, dessen Klinge mit Blut befleckt war. Er hätte damals sterben sollen, zusammen mit seinen Eltern. Thomas und die anderen wären noch am Leben und er wäre Brad niemals begegnet, hätte ihn niemals gehen sehen müssen. >You could have it all< >my empire of dirt< >I will let you down< >I will make you hurt< Immer noch drang kein Laut über Sebastians Lippen, egal wie sehr er schreien wollte. Crawford anschreien, für das, was der Ältere ihm angetan hatte. Für das, was aus seinem Freund geworden war. Sebastian bedeutete rein gar nichts für Crawford, nur das Versprechen, das er in sich barg. Crawford wollte Schuldig haben, seine Telepathie. Und Crawford... hatte keine Bedeutung für Sebastian. Das wusste er jetzt. Er hatte in dem fremd gewordenen Mann stets nach Brad gesucht ohne auch nur eine Spur von ihm zu finden. Und falls er nachgab, zu Schuldig wurde, würde auch der letzte Rest von Brad verschwinden. Der Rest, der bis heute in Sebastians Erinnerung überlebt hatte. Dieses unglaubliche Lächeln, die warmen Augen. Nein, das konnte er nicht zulassen. Und Sebastian war sich sehr wohl darüber im Klaren, wie er Crawford treffen konnte. Er tastete nach dem Messer, hatte Probleme es zu ergreifen. Weitere Schnitte zerstörten seine Handfläche, doch er war schon zu weit weggetreten um etwas zu spüren. Blaue Augen waren nur noch leere Spiegel, alles Leben hatte sich in Sebastians Inneres zurückgezogen, kämpfte gegen das Betäubungsmittel an, nur lange genug um das Vorhaben auszuführen. >If I could start again< >a million miles away< Tränen fielen wie gläserne Scherben, gefroren, zerbrochene Hoffnung aus dem Körper herausschwemmend. Ein Neuanfang wäre das einzige, was Sebastian noch hätte aufhalten können. Aber er gab sich keinen Illusionen mehr hin. Von Rosenkreuz entkam niemand. Man wurde zu ihrer Kreatur oder starb. Das Messer war so scharf, dass er kaum Druck ausüben musste. Und dann war es geschafft. Sebastian wurde auf einen Schlag noch viel müder und nun gab es nichts mehr, das den Schlaf zurückhalten wollte. Er lächelte. Weder Crawford noch Rosenkreuz würden ihn bekommen. >I would keep myself< >I would find a way< ~Owari~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)