Another day in paradise... von Deepdream (Die mysteriösen Wirren des Liebens...) ================================================================================ Kapitel 1: Die mysteriösen Wirren des Liebens... ------------------------------------------------ Dieser erbärmliche Versuch einer zu gewissen Teilen Romantik implizierenden Erzählung ist einer Person gewidmet, die mir im zunehmenden Maße lieb und teuer geworden ist. Stets hat sie mich unterstützt und so muss ich gestehen, mit ihrem jovialen Lob auch aufgebaut. Es stimmt, dass unwohliger Zweifel nicht nur einen Menschen und seine Gedanken zu kontaminieren vermag, oftmals leidet auch seine subjektive und persönliche Sicht der Dinge maßgeblich darunter. Aus diesem Grund werde ich mein Bestes - was nicht viel bedeuten möchte - geben, meine ansonsten eher negativen Gedankengänge halbwegs positiv in diesem Genre zu verarbeiten und eine lesenswerte Geschichte zu verfassen. Ich hoffe Kiavalou, wenn du dies hier zu Augen bekommst, wirst du nicht komplett von der kontextlosen Handlung, der fehlenden Sensibilität und dem unangebrachten, teils bitteren und einfallslosen Humor enttäuscht sein. Ebenfalls so möchte ich im Voraus warnen, kann der Effekt der Erzählungsspaltung - was damit gemeint ist, dürfte jedem klar werden, nachdem er das zweite Unterkapitel gelesen hat - manchmal verwirrend anmuten. Doch habe ich mir dabei durchaus etwas gedacht. Eine explizite Begründung dafür, warum die Geschichte in solch' kontextloser Weise verfasst ist, erfolgt am Schluss. Es heißt... Er kam, sah und siegte. In diesem Falle trage ich höchstwahrscheinlich eine metaphorische Blindenbinde.^^° Allen anderen Geschöpfen, die sich diese Vergewaltigung deutschlinguierter Literatur annehmen, sei ein professioneller Seelenklempner nach Abschluss dieser digitalen Lektüre von ganzem Herzen gewünscht. ><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><>< Deepi-Productions presents... Without any rights in using the Ranma-1/2-charakteres... Without gaining any money for the enormous amount of hours... Without any intelligence or pleasent skills in writing... ><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><>< Another day in paradise... [ODER] Die mysteriösen Wirren des Liebens... xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Lovely little angle. Where do you come from? Out from heaven or the cloudless sky? Out of my dreams or the cold reality? Out from my brain or my burning heart? Please baby, tell me! Is it real love? xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx ... ------------------------------------ I: Hot soup on old wheels. ------------------------------------ Die weithin in zinnoberen Schimmern glimmende Abenddämmerung ließ den vergehenden Tag gütig verklingen. Kräftiges Indigo vermischte sich mit dem temperamentvollen Rot pulsierenden Magmas und dem schüchternsanften Blütenweiß sporadischer Zirruswölkchen zu einem Detailverliebten Aquarell. Der unendlichen Schöpfungskraft und dem sagenhaften Ideenreichtum der nimmermüden Mutter Natura entsprungen. Von aufsteigendem Kohlenmonoxid intensiviert, hinterließ das vitale Panorama am prächtigen Horizont seine unscheinbaren und lediglich schwach auffälligen Spuren im städtischen Szenario. Schemenhafte Spiegelungen in vergessenen, bräunlichen Bierflaschen aus dünnem Glas, farbsatte Reflexionen auf Mittagssonnenfarbenem Lack geparkter Taxis und friedliche, liebevolle Stillleben des paradiesischen Himmelsbildes auf blank polierten Schaufenstern, in welchen sich Auslagen neuester Pariser Mode der geschäftig und gehetzt dahinrauschenden Welt präsentierten. Zwielichtig und schummrig dahingegen lagen aufgegebene Geschäfte und geheimnisumwitterte Läden mit aufwendig, dennoch amateurhaft zugenagelten, längst zerbrochenen Fenstern und auf ewig geschlossenen dicken zerkratzten Holztüren im unheimlichen Dämmerlicht neuzeitlicherer Bauten. Seit endlosen Zeiten überfüllte, ausgebeulte, metallene Mülltonen mit rostbraunen Spuren des Zahnes der Gezeiten versehen und gequollene, vergilbte Papiermassen säumten den bedrückenden Weg zu derartigen Zeugen vergangener Epochen. Auch fand man funkelnde, glühende Saphire aus zersplitterten Flaschen und wehleidiges, hungriges Maunzen vereinsamter Streuner nicht selten in solchen trostlosen Gassen. Ebenso verschwommene Schriftzüge auf welligen Plakaten, die pompös längst vergangene Events und phantastische Veranstaltungen anpriesen; alles geht einmal vorbei, Zeugen einer Moral, die dem allem seit jeher zu Grunde liegt. Lederne, nachtschwarze Aktenkoffer schwankten rhythmisch, während muntere Konversationen und ausgelassene Diskussionen rege geführt wurden. Dunkelgrünfarbene Hornbrillen und für die weniger Betuchten im uniformierten Charme gehaltene Nickelbrillen, saßen wippend auf mal großen, mal wieder kleinen Nasenhöckern. Akkurat gekämmtes Haar, in manchen Fällen an den nur mehr dünnen Schläfen silbern schimmernd und pechfarbene Anzüge aus Polyester mit penibelweißen Krawatten zeichneten kleinere Gruppen lachender, scherzender Männer als die aus, um welche es sich zumeist auch handelte. Übermüdete Büroangestellte, engagierte Computerfachleute oder couragierte Anwälte. Ein jeder auf seiner ganz persönlichen Straße des unweigerlichen Karmas. Entweder ins traute, heimische Gefilde zum warmen Abendessen zu gedämpften Licht, einem brisanten Geschäftsessen mit einem wichtigen Vertragspartner oder aber ein gemütliches Beisammensitzen in trauter Runde mit einem alten Kumpan aus längst ergrauten und verflossenen Schultagen. Hoch aufragende Straßenlaternen flankierten die belebten Straßen wie grimmige Wächter und aktivierten sich zeitgleich zum schleichenden Anbruch der Nacht, allesamt in leiser Monotonie summend. Der niedrig stehende, erzürnte Klumpen heißen Bleis am sich zunehmenden verdunkelnden Firmament schmolz dahin und versank lautlos hinter dem von vielen majestätischen Hochbauten begrenzten Horizont. Letzte metallische Ungeheuer reihten sich Stoßstange an Stoßstange vor intensivem Rot an lediglich mehr mäßig befahrenen Kreuzungen, während ab und an ein atonales Hupkonzert sich unter die urbane Geräuschkulisse mischte. Erste einladend wirkende Bars und gemütliche Kneipen präsentierten sich im sanften Neonschein oder phosphorigen synthetischen Glimmen von Leuchtreklamen. Erheitertes Lachen schallte auf gleiche Weise wie stimmungsvoller Jazz oder fetziger Pop durch unscheinbare Spalten und Ritzen hinaus in die erquickend frischkühle Abendluft. Sanfte Böen seichten, warmen Windes umgarnten jedweden Passanten. Angefangen bei von kindlicher Neugier geprägter und euphorischer, jugendlicher Hochschüler beim nächtlichen, aufregenden Abenteuer. Dahingehend zu den runzligen Wangen rüstiger Greise, deren persönlicher Gral eine entspannte Atmosphäre, samt gemütlichem Trunk am angestammten Bahrtresen darstellte. Allesamt jedoch nur eines im Sinn, ein gehaltvolles und wohliges Abklinken des verlebten Tages. Agil und unbedarft huschte ein kobaltfarbener Schemen in waghalsigen Manövern über die schieferfarbene Pflasterung des belebten Gehweges. Wackelnd und schlingernd zog ein leicht angerostetes Fahrradgestell mit sachtem Quietschen an den überraschten Passanten vorbei und zauberte verträumte, lächelnde Minen auf die ausgelassenen Gesichter. Vorwiegend die der pubertären Jungen mit starren, spitzten Haaren - durch kleisterartiges Gel verstärkt - in sämtlichen Farbfacetten. Grundlegend eine verständliche Reaktion, die durchaus entschuldbar war. Erquickende Windströmungen ließen ihr Taillenlanges Haar eifrig hinter ihr hertanzen und lustig in wilden Windströmungen schlingern, die erfrischende Kühle streichelte behutsam ihre zarten Wangen und überzog diese mit samtener, schwacher Röte. Groß und strahlend glitzerte dunkler Scharlach in ihren fein geschwungenen Augen, welche mit je einem schwarzen Baldachin langer Wimpern verziert waren. Helle Lichtstrahlen passierender Straßenlaternen fielen weich auf sie herab. Knappe Momente lang tauchten schwarze Schatten sie in einen unbarmherzigen Mantel, verzogen sich jedoch ebenso rasch, kaum das die nächste städtische Beleuchtung ihre intensive Aufmerksamkeit auf die mit interessierten Blicken bedachte Gestalt warf. Tief inhalierte das hübsche Mädchen seufzend die kalten Wogen anbrandender Kühle und schloss genießerisch die geheimnisvollen, verführerischen Augen. Das monotone Klappern des ausgeleierten Gepäckträgers verschwamm mit - lediglich mehr - sporadischem Hupen und nächtlichem, teils enthusiastischen, teils angeheiterten Gemurmel. Ihre eng geschnittene, anliegende Kleidung umfing sie so geschmeidig wie es nur chinesische Seide vermochte. Der kräftige Griff ihrer zierlichen Hände lag auf der abblätternden Lackierung des Lenkers. Gedankenverloren visierte sie einen unsichtbaren Punkt an. Erheitertes Gelächter drang durch verborgene Ritzen und vergessene Spalten aus einfachen, wenig besuchten Lokalen hinaus in die angehende Nacht. Gedämpftes Licht presste sich verschwommen an dickes, trübes Fensterglas. Stimmungsvoller Bass hallte melodisch und beinahe schüchtern im geruhsamen Hintergrund der lebhaften Geräuschkulisse. Der letzte Kunde des Neko-hanten hatte soeben seine siedende Bestellung in Form zweier chinesischer Wang-Tang-Suppen erhalten und die überteuerte Rechnung großzügig beglichen. Ihre Erinnerungen daran waren noch frisch und auf gewisse Weise tröstlich. Es heißt, dass manche Worte schwerer als jede Münze wögen. Eine wahre Botschaft und Überzeugung. Die - eine - Nacht hatte begonnen. ------------------------------------ II: The old man and the house. ------------------------------------ Die erhabene Front seines gepflegten Domizils war von nahezu blendendem, dennoch freundlichem Weiß. Das phantastische Panorama des Sonnenblumengelben Himmelskörpers reflektierte sich auf den glanzklaren Fenstern. Gleich den gütigen Augen eines sanften Riesen. Unterhalb des Dachansatzes verlief eine horizontale Linie aus heller Buche. Eine hellbraune Kieferntür, überhäuft mit Reliefen geschwungener, zierlicher Rosenranken hieß sie stumm, aber freundlich willkommen. Laut und kräftig intonierte dahingegen die blecherne, doch auf skurrile Weise beruhigende Klingel. Nach einem lang gezogenen Moment wich ihre Fingerkuppe fast widerwillig vom blank polierten Messingknopf. Der antrainierte Bizeps ihres rechten filigran wirkenden Armes verkrampfte sich im Nachhinein plötzlich, dennoch reichlich schmerzhaft, sodass sie dem körperlichen Zwang erlag, die schmackhafte und liquide Last hinüber auf ihre linke Handfläche zu wechseln. Irgendwo aus dem prachtvollen Garten - mitsamt beschnittenen, majestätisch aufragenden Hecken, farbenfrohen, lebendigen Rosenrabatten und einem alterwürdigen, blühenden Kirschbaum - gurrte eine verliebte Taube und ein engagierter Zierkarpfen durchstieß die bis dahin noch im milden Honiggelb schillernde, einstmals glatte Teichoberfläche. Ein geruhsames Tapsen drang gedämpft aus einem, ihr unbekannten Raum oder Korridor hinter der einladenden Außenseite der hölzernen Pforte. Gemächlich schwang diese an den kurz aufblitzenden Messingangeln vollkommen lautlos auf und gab eine passable Perspektive auf einen untersetzen Menschen im greisen, rentenfähigen Alter frei. Tiefe Lachfältchen durchfurchten die Mundwinkel wie sprödes Brachland, Falten und Runzeln erstreckten sie über das komplette weißliche Hautgewebe und wellte sich scheinbar lose über die breiten Wangenknochen und die verbrauchte Gesichtsmuskulatur. Ein verzerrtes, vages Spiegelbild des Himmels, insbesondere der strahlenden Sonne glomm auf einer angeschlagenen Billardkugel. Sein kahles Haupt. Leise Murmelnd und offensichtlich schläfrig, nichts desto trotz mit überraschtem Lächeln wandte sich der betagte Eigentümer des bezaubernden Hauses ihr zu. "Wie kann man wohl behilflich seien, junge Dame?" Wenige Momente lang verblieb sie fassungslos und unfähig eine jede noch so einfache Bewegung durchzuführen. Sämtliche Alarmglocken begannen lauthals zu kreischen und atonal zu summen und klirren. Angespannt und lauernd lag ihr nunmehr misstrauischer Augenschein auf dem gnomenhaften Zwerg. Verübeln konnte man ihr diese Reaktion beim besten Willen nicht, da ihre mehrfachen Erfahrungen mit dergleichen Gestalten nicht unbedingt stets positiv ausgefallen waren. Ob ein perverser, voyeuristischer, neurotischer, seniler Greis mit einem Faible für getragene Damenunterwäsche oder ein skrupelloser, alter, perfider, infamer, femininer Patriarch mit skurrilen Ansichten bezüglich Heiratsgesetzten. Beiderlei pendelten sie auf Xian-Pus persönlicher Beliebtheitsskala extrem weit am unteren Ende, doch differenzierte sie je nach Person - ob verhasst oder nicht - ihr Verhalten dementsprechend. Brachiale Tritte und wutschnaubende Schläge bei Ranmas laszivem Kampfsportmeister, demutsvolle Knechtschaft und affektierte Naivität ihrer Urgroßmutter gegenüber. Letzteres war ihr noch weitaus unangenehmer, - wie sie sich häufig selbst eingestand - als selbst die unmittelbare Präsenz des Lustgreises. Zwar wusste sie familiäre Antipathie durchaus zu verstecken, doch reservierte sich die tief greifende Verachtung höhnisch lachend immer größere Areale ihres klaren und rationalen Verstandes. Nicht, dass sie etwas gegen eine potentielle Hochzeit einzuwenden hätte. Lediglich der grundlegende Fakt legte ihre Nerven blank, dass sie kompromisslos mit einem Verlobten zusammengebracht werden sollte, der sie zunehmend abweisender behandelte. Sie selbst schien vollkommen uninteressant in diesem von vornherein geplanten Spiel um ideales Erbmaterial und starke Nachkomme zu sein. Korrupt nutzte die alte Hexe - ein Gewohnheit halber und aus steter, bohrender Wut geborener Kosename, den nicht nur sie zu Nutze zog - ihre damalige Niederlage in Joketsozuku aus. Häufig bemächtigte sich ihrer hilfloser Zorn und die hemmungslose Lust einige äußert schmerzhafte Prozeduren an ihrer Urgroßmutter - ob alt oder nicht, sie gebrechlich zu nennen, wäre ein schallender Witz - durchzuführen. Grundlegend forderte Xian-Pu doch nicht viel von ihrem Zukünftigen. Ihr untertäniger Ehemann sollte doch nur kräftig, schnell, kämpferisch, humorvoll, intelligent, gut aussehend, bescheiden und höflich sein. Waren ihre Ansprüche den etwa zu hoch? Unsanft waren ihre konzentrierten Gedankengänge erschlafft, als ein kleine, dennoch erstaunlich kraftvolle Hand um den schön bestickten Rand ihres langärmlichen Hemdes legte und frech daran zupfte. Zumindest ihrer Einschätzung nach. Lauter und bissiger als beabsichtigt, ließ sie eine zickige Reaktion hierauf folgen. "Was sein, alter Mann?", brachte sie ihm barsch und fauchend entgegen. "Sollte es Ihnen nichts ausmachen, wäre ich Ihnen wahrhaftig zu Dank verpflichtet, könnten Sie mir wohl mein Abendessen aushändigen. Befinden Sie sich im Stande hierzu?" Schelmisches Blitzten in den plötzlich ziemlich klaren Augen fixierte sie und ein schiefes Grinsen verlief über seine runzligen Lippen. Beschämt senkte Xian-Pu ihr Haupt - einige Zöpfe liebkosten dabei ihre Pfirsichweiche Haut - und die quietschgelben Lieferverpackungen aus dickem Karton, in ihrer rechten Hand, aus dem kleine, dichte Dampfwölkchen hervortraten. "Shampoo tun leid.", durchschnitt ihr glockenheller Sopran die kurz währende Stilleperiode. Der alte Greis nahm ihr geschwind - so klapprig er auch wirkte - die Wang-Tang-Suppe ab, klappte vorsichtig, fast zärtlich den Deckel auf und atmete tief den köstlichen Geruch der fein gewürzten Suppe durch die Nasenhöhlen auf. Von der kochenden Brühe aufsehend, lächelte er sie munter an und skandierte ruhig. "Entschuldigen Sie sich nicht, junge Dame. In früheren Zeiten als die Tage noch länger waren, zeigte ich mitunter auch nicht unbedingt mehr Autoritätsbewusstsein." Statt ihr stolzes Herz von dieser schweren Schmach - "Ehre immer die Ältern du junger Hüpfer", pflegte Cologne krächzend zu skandieren, woraufhin anschließend zumeist ein "... und mach die Töpfe sauber!" folgte - zu befreien, fühlte sie sich nur umso schuldiger, den greisen Alten unter ihren wankelmütigen Launen leiden gehabt zu lassen. "Und?" Dieses kleine Wort genügt schon wieder vollauf, sie aus ihren intensiven Grübeleien hochkant hinaus zu werfen. "Nani?", entgegnete sie konfus und größtenteils etwas verstört. Die grauweiße Taube gurrte ein weiteres Mal, woraufhin eine genauso melodische Antwort folgte, mitsamt lockendem, scheuen Rascheln im Blätterwerk eines nahen Gehölzes. "Ob Sie wohl Hunger hätten, fragte ich Sie." Jovial bedachte er das hübsche Mädchen mit einem offenen, warmen Lächeln, das sein verbrauchtes Gesicht im verbleichenden Licht des Tages vergleichsweise jung erscheinen ließ. Hektisches, aufgeregtes Geflatter hallte über das nachtschwarze, akkurat mit Schindeln versehene Dach und über den flachen Giebel hinweg. Eine synchrone Gurrserenade folgte hierauf. "Ai....", sprach sie wahrheitsgetreu und sollte es kurz darauf bereits bereuen. Eilig kramte Xian-Pu in ihrem japanischen und reichlich spärlichen Vokabular und registrierte den wesentlichen Umstand, dass dies eindeutig die falsche Antwort war. Schließlich gehörte es sich nicht, sofern auch der leere Magen lautstark protestierte, das reichlich köstliche Essen anderer Leute anzunehmen. Derartiges wäre ein massiver Bruch des hohen Amazonenkodex und noch dazu von einem niedrigen Mann Nahrung entgegenzunehmen, wäre schlichtweg undenkbar. "Nun denn, dann tritt ei...", entgegnete er ihr bereits, sonnig und zufrieden lächelnd. Beinahe unhöflich laut und gehetzt dagegen unterbrach sie ihn mit einem vehementen "Iya!". Schlechten Gewissens verbeugte sie sich, nahm alle ihre Kraft zusammen und setzte ein strahlendes Lächeln - Stets die Fassade wahren. - auf. "Tun Shampoo leid, doch müssen zurück.", skandierte sie brüchig und mit gezwungener naiver Fröhlichkeit. "Oh." Enttäuscht ließ der kleine Mann seine dürren Schultern herab hängen, während die vielen Lachfältchen ein wenig in sich einsanken und verblassten. Eine samtene, rosaweiße Kirschblüte fiel kreiselnd und unbeachtet, vom wispernden Flüstern des Windes getragen auf die die exotischen kobaltblauen Strähnen hinab. Keck zierte das natürliche Kleinod von Mutter Natura den langen, in den müden Lichtwellen der temperamentvollen Sonne glänzenden Haarschopf. Mit einem kleinen Splitter letzter, zerbrechlicher Hoffnung wagte er einen zweiten Versuch und fügte zusätzlich an. "Meine Wenigkeit hätte auch Sekihan, falls euch dies vielleicht eher munden würde?" Nun schillerten seine schmalen, winzigen Augen wieder in nebeliger Trübe. Es brach Xian-Pu das Herz dieses alte, gebrechliche Männlein unter dem hellbraunen Türrahmen in dieser Gestik und Mimik stehen zu sehen. Somit gab sie gekünstelt euphorisch nach. "Okay, nicht ablehnen ich das kann." Die runzligen Wangen zogen sich straff über die kalkweißen Knochen und die trockenen Lippen formten sich zu einem seligen Lächeln. "Dank sie dir beschieden." Der himmlische Klang eines simultanen Duetts der Tauben erklang. Mit leicht mulmigen Gefühl in der aufgewühlten und nebenbei knurrenden Magengruppe - "Moralbruch du Frevlerin!", hörte sie ihre Urgroßmutter fast zetern - erwog sie ein letztes Mal, ob sie nicht doch sofort auf ihr quietschendes Rad steigen und abrupt heimfahren sollte. War dieses bemitleidenswerte, höchstwahrscheinlich einsame Geschöpf es wirklich wert, hierfür jahrhundertealte Traditionen und Wertvorstellungen zu brechen? Er blickte sie mit einem offenen Lächeln an und sein faltiges, betagtes Gesicht erstrahlte im längst vergangenen Glanz der Jugend. Zögerlich setzte sie ihren linken Fuß sachte über die Kastanienholzschwelle und trat unsicher ein... ------------------------------------ III: Home sweet home. ------------------------------------ "Hey, pass doch auf!" Ein genervter und gereizter Laut, der ihre tief greifenden Erinnerungen sprengte und sie brachial in die Realität zurückkatapultierte, schallte auf. Knapp hatte sie einen fein und akkurat gestriegelten Aktentaschenträger - Unnötig zu erwähnen, welches Maß an Verachtung sie diesem Typus Mann zugestand - gestreift und eine kaum merkliche Furche in seinen Nadelstreifenanzug gezogen, die dieser bereits mit feurigem Eifer korrigierte. Ein wenig überzeugendes "Tun leid!" entrang sich ihrer - wie sie überrascht feststellte - Wüstentrockenen Kehle, die sich ein wenig wie raues Sandpapier anfühlte. Umdrehen tat sie sich nicht und ignorierte - Was der gesundheitlichen Verfassung des Bürohengstes zu Gute kam - daher unbeabsichtigt weitere Flüche in ihre Richtung. Spontan begann sie zum blechernen Scheppern der roten Radverkleidung zu summen und kurz darauf zu pfeifen. Genießerisch nahm sie den kühlen Fahrwind durch ihren halboffenen Mund auf. Begierig Einzudringen, huschten die erquickenden Böen über ihre vollen, rosaroten Lippen und durch ihre gereizte Kehle hindurch. Ein jedes ihrer instinktiven Ausweichmanöver erinnerte an akrobatische Höchstleistungen, so sprang sie das eine Mal, samt eifrig klapperndem Fahrrad über einen sich bückenden Passanten, der sich daraufhin erstaunt umdrehte und ein anderes Mal legte sie eine meterlange Strecke fröhlich pfeifend auf einer rostigen Zaunreling zurück. Die Neongelbgekleideten städtischen, mit der Instandhaltung der Straße beauftragten Arbeiter verfolgten dieses unglaubwürdige Szenario mit weit aufgerissenen Augen, wandten sich einander zu, nickten synchron und erklärten unisono "Das war nur Einbildung." Der böige, erfrischende Fahrwind streifte noch immer wie ein winselnder Hund um sie herum, fuhr ihr vorsichtig durch das geschmeidige Haar und streichelte ihre weiblichen Konturen. Unter ihr rumpelte das halbwegs taugliche Fahrradgestell mitsamt roter Blechverkleidung und kämpfte stoisch um jede einzelne rostige Mutter, samt loser Schraube. Ihr offen wirkender Blick taxierte die blühende Umgebung, die niedrigen, verschiedenfarbigen Dächer - im Dunkel der abgeschlossenen Abenddämmerung im monochromen Blaubraun - und das architektonisch gänzlich traditionellchinesisch wirkende Gebäude, dass mit braunen Großbuchstaben die informative Botschaft verkündete, dass es sich hierbei um das Neko-hanten handele. Langsam, um keine unnötige Aufmerksamkeit zu erwecken, fuhr sie verhältnismäßig geräuschlos - Wie zum Trotz klapperte eine lose Radabdeckung frech vor sich her - in eine sich linksseitig zur adretten Fassade befindlichen schmalen Nebengasse. Die großen, aber niedrig gelegenen Fenster in dieser stillen, dunklen Gasse waren allesamt angelehnt und aromatischer Dampf stieg hinaus ins Freie. Direkt darunter befanden sich zwei leicht zerbeulte, noch dazu überfüllte Mülltonnen. Eine rostig und wackelig; wahrscheinlich noch vom Vorbesitzer - Die raffgierige Stammesführerin hasste es Dinge wegzuwerfen - ; eine andere im eintönigen, stereotypischen Metallgrau. Beide, wie schon erwähnt, in ihrer Kapazität weitgehend überschritten. Der blecherne, matte Deckel der ramponierten Tonne lag vereinsamt auf dem schmutzigen Pflasterweg, neben einer aufgequollenen, schon längst getrockneten, vergilbten Zeitung und ein paar vereinzelten, smaragdgrünen Glasscherben. Gedämpft drang eine semidefekte Funzel mit ihrem trüben Schein durch das dicke, gemaserte Fensterglas hindurch und erhellte den spartanischen Dienstboteneingang, samt umliegenden Szenario im fahlen, letzten Dämmerlicht. Achtlos stolzierte sie an den Metalleimern vorbei und öffnete mit den weichen Fingerspitzen, bedacht auf verschwörerische Heimlichkeit, die kaum merklich in ihren Scharnieren quietschende Tür. Mit beidhändig gedrückter Klinke ließ sie das widerständige Holz langsam zurück gleiten und schloss es bedachtsam, was wiederum mit einem ignoranten Klicken belohnt wurde. Scheu sah sie sich um, bemerkte aber niemanden. Urgroßmutter schien anderweitig - Immer auf der energischen Suche nach stammtypischen Methoden ihren zukünftigen Schwiegersohn umzustimmen - beschäftigt zu sein. Den halbblinden Mu-Tsu hingegen vermutete sie im sicherlich voll besetzten Gastraum. Selbst sollte er sie, so unwahrscheinlich das auch schien, registrieren, würde er stillschweigen bewahren. Ein anzügliches Zwinkern mit ihren langen Wimpern und er täte ihr jeden Wunsch erfüllen. Er war eindeutig ein treudummer, schwächlicher Volltrottel. Theatralisch seufzte sie und zuckte gespielt resignierend die schön geformten, schlanken Schultern. Vorsichtig wandte sie sich zum Gehen und passierte mit übertriebener Achtsamkeit sämtliche verräterischen Geräuschquellen. Angefangen bei übergroßen Wokpfannen, über hohe Töpfe und anderweitige, verdächtig scheppernde Küchenutensilien. Die 60-Watt-Glühbirne flackerte lose in ihrer Halterung über dem vor allerlei tiefen und flachen Tellern, verzierten Teetassen, ihrer bescheidenen Meinung nach verunzierten Gläsern und mittelgroßen Schüsseln starrendem Waschbecken. Ein gutturales Seufzen huschte über den blassrosa Teint ihrer geschmeidigen Lippen und so machte sich das halbzeitige Katzenmädchen mit mangelndem Elan und fehlendem Eifer an die langwierigen Aufräum- und Säuberungsarbeiten. Schmutziges Geschirr von diversen Essensresten, zumeist Papierservierten und klebrigen Nudelresten befreien, die betreffenden Behältnisse im klaren, siedenden Wasser aufweichen und anschließend kalt abspülen. Das synthetische Licht glitzerte über das seifige, allmählich trüb werdende Wasser, während die wellige Reflexion ihrer - nahm man die verschwommenen Konturen ernst - fabulösen Gestalt auf der schimmernden und unruhigen Oberfläche regelmäßig von einer durch die unangenehme Temperatur geröteten Hand durchstoßen wurde. Gedankenverloren kramte sie in den trüben Fluten, zog eine kleine Suppentasse hervor, in welcher noch ein letzter Bestandteil des schlammig rötlichen Currypulvers klebte, tauchte es nochmals unter und putzte es mit dem fadenscheinigen, einstmals bläulichen, nun jedoch eher an getrockneten Wacholder erinnernden Waschlappen aus. Mit stiller Satisfaktion tauchte sie es in den klaren, kalten Gegenpart des ersten Waschbeckens, - achtete jedoch sorgfältig und instinktiv darauf, die im verschwörerischen Funkeln liegende Reflexion ihrer eigenen Hand nicht zu berühren - wusch die gischtartigen Schaumspuren aus und stellte das nunmehr saubere Behältnis zum natürlichen Trocknungsvorgang auf ein bereitgelegtes dünnes und mit magentafarbenen Karos besticktes Handtuch. Diese monotone Prozedur wiederholte sie routinemäßig und hing dabei ihren träumerischen Gedankengängen nach. Durch diese unbewusste Taktik verrann Minute um Minute und Sekunden anstelle von Stunden. Es war ein gnädiger Versuch ihres regen Unterbewusstseins die unmenschlichen Forderungen von und die regelrechte Sklaverei unter ihrer einzigen - noch - lebenden Verwandte zu ertragen. Einzelne Eskapaden mit ihrem glorifizierten Verlobten rekapitulierten sich vor ihrem inneren Auge. Handele es sich dabei um mutig geführte Kämpfe oder kurze Momente der gemütlichen Zweisamkeit, welche viel zu oft von dieser dummen Küchenzerstörerin gestört wurden. Sie war sich sicher, dass er nur mit ihr glücklich werden konnte. Mit wem sonst? Dem maskulinen Spachtelmädchen und zugleich der größten Essenskonkurrentin im Stadtbezirk Nerima? Der paranoiden und an chronischen Wahnvorstellungen, wie einer grässlichen Stimme leidenden Gymnastik-Fetischistin? Ihre härteste Rivalin jedoch war diese tollpatschige, gewaltkranke, unhöfliche und ewig zornige Zimtzicke mit ihrem dämlichen Hammer! Dabei war es doch offensichtlich, dass er sich nur zurückhielt, um die Herzen der anderen Mädchen nicht zu brechen. Dessen war sich Xian-Pu definitiv sicher. Aber trotz dieser enormen Verbundenheit mit ihrem Airen existierte doch ein beunruhigender Aspekt, mal abgesehen von seiner offen präsentierten, selbstverständlich rein gemimten Antipathie gegenüber ihren bescheidenen Annäherungsversuchen. Sie fühle dieses warme, wohlige Gefühl in ihrer Magengrube nicht mehr. Bereits seit einigen Wochen herrschte bei dem Gedanken an den bezopften Kampfkünstler nur noch starre Kälte, wie als wäre sie lediglich ein passiver, neutraler Beobachter im Hintergrund. Als wäre ihre Gefühlswelt eine öde Landschaft über die überraschend, doch umso kraftvoller der unerbittliche Winter hereingebrochen war. Noch immer erinnerte sie sich an sein selbstgefälliges Grinsen, das imponierende Auftreten und seine überragenden Kampfkünste. Aber all diese Aspekte verblassten hinter einem vagen Schleier der Bedeutungslosigkeit. Liebe ich ihn denn überhaupt noch? Mit dieser Botschaft kursierte nur allzu häufig ein nagender Zweifel hinter ihrer glatten Stirn und zauberte eine feine, aber merkliche Gänsehaut auf ihr beinahe wachsartiges und nahezu ideales Hautgewebe. Früher redete sie sich stets ein, dass es natürlich so sei. Gar nicht anders sein könnte. Nun jedoch kamen ihr klammheimlich, des Öfteren ein Gefühl der Unsicherheit in den Sinn. Doch was war der Grund für diese gewiss unberechtigte Empfindung? Sie wusste jene nicht konkret beim Namen zu nennen, doch hatte eine düstere, Unheil verkündende Vermutung. Eben jenige, die personifizierte Dummheit in ihren Augen, passierte soeben den niedrigen Türrahmen und schlug sich unachtsam ihr mit speziösem Obsidian verziertes Haupt an. Eine wüste, chinesische Verwünschung schlug über blasse Lippen, die sich zu einem zornigen Fauchen verzogen hatten. Wie es den unmittelbaren Anschein hatte, war hier jemand ziemlich sauer. Dann fiel sein negativ erregter Blick auf sie und verlosch schlagartig, wie von einer unsichtbaren Böe hinweg getragen. "Zam... Zampoo... Eh, wie geht's?", stotterte er krampfhaft und gepresst hervor, sichtlich bemüht normal und beiläufig zu lächeln. Ein hoffnungsloses Unterfangen. "Mouse sprechen nicht höflich." Mit strenger Mine bedachte sie ihn eines forschen Blickes, der die überhitzte Hölle hätte zufrieren lassen können. Mu-Tsu senkte betroffen sein schwarzes Paar Augen und stierte auf die weißschwarzen Kacheln, die im synthetischen Licht wie Narrengold und Traumsilber funkelten. ------------------------------------ IV: Curious night. ------------------------------------ Der fahle Schein einer einsamen Straßenlaterne schlug einzelne Schattenfetzen auf sein kummervolles Gesicht. Von großer Müdigkeit war das matte Lächeln, das er sich mühsam abrang und ihr darbot. Seine elfenbeinweiße Robe umhüllte ihn fast wie eine mysteriöse Korona und leichtes Scheppern klang aus seinen weiten Ärmeln. Die an der Vorderseite des Textils aufgenähten Karos verschwanden fast vollständig in der Dunkelheit und ließen nur schemenhaft ihre Existenz verlauten. Mu-Tsus schüchterner Blick lag noch immer auf dem rauen, ozeanblauen Teppich, der das glatte Parkett aus chinesischen Hölzern latent verborgen hielt. "Was du wollen?" Mit schneidender Kälte huschte die grammatikalisch katastrophale Phrase über die weichen, vollen Lippen. Versteckte Oberarmmuskulatur spielte unter ihrer wächsern wirkenden Haut. Beide Arme hatte sie gewohnheitsmäßig vor ihrer üppigen Brust verschränkt und nun starrte die erboste Besitzerin dessen den blinden Amazonen voller, unverhohlener Verachtung an. Kalt glänzte der Schimmer der gegenüberliegenden Laterne auf dem Braunroten Farbton ihrer Iris, inmitten der atemberaubenden, strengen Augen. "Ich..., fing er stotternd und verkrampft an und brach wieder ab. Einen tiefen Zug der frischen, erquickenden Abendluft zog er bis tief in seine Lungenflügel und atmete daraufhin rasselnd durch die aufeinander gepressten Lippen wieder aus. Ungeduldig und wütend betrachtete sie das vergebliche Ringen Mu-Tsus nach innerlicher Ruhe. Bösartiger Spott lag auf ihrer stark durchbluteten Zunge, auf welche sie sich konvulsivisch biss und ihr bestes gab, den stotternden, verbalen Spastiker in seiner - ihrer Meinung nach - peinlichen Tirade nicht zu unterbrechen. Idioten sollte man ihren Willen lassen. Kraftvoll seufzte er, rückte das im Dunkel unsichtbare Gestell, samt schimmernden und glänzenden Brillenglas auf dem Nasenrücken zurecht und setzte erneut an. Sein Magen fühlte sich überlastet, kalter Schweiß trat aus seinen Poren, die sich rhythmisch weiteten und Furchteinflößende Panik ergriff sein pochendes Herz gleich einer unbarmherzigen Klaue. "Zeit meines Lebens empfand ich sehr viel für dich. Ich bemühte mich deine Aufmerksamkeit zu erregen, was mir auch durchaus gelang..., eine nicht zu ignorierende Prise Ironie floss in seine Stimme, ...doch was du in mir sahst, war ein idiotischer Prügelknabe." Trauer und unverkennbare Wut züngelten in seiner sonst ruhigen Stimme auf. Seine zitternden, zu Fäusten geballten Hände hingen seitlich seines athletischen Torsos. Transparente, im matten Licht der sporadischen Straßenbeleuchtung glitzernde Tränen sammelten sich versteckt auf den Membranen seiner zu scharfen Schlitzen verengten Augen an. Vehement schloss er seine Lider und sammelte Kraft die Geduld und innere Balance zu wahren. "Sein du doch!", sprach sie frigide und bar jeglicher Gefühlsregung. Innerlich tobte jedoch ein gewaltiges, unbestreitbares Chaos diverser Emotionen, welche zwanghaft zurückgehalten wurden. Als täte man Wildpferde auf einer viel zu kleinen Koppel zusammenpferchen. Sie musste das Gespräch sofort beenden, das war ihr klar. Ansonsten würde sie sich nicht zügeln können und ihm alles gestehen. Doch was dann? Würde Cologne dies etwa gut heißen und ihr gestatten Ranma - der nach Amazonengesetz ihr Fast-Ehemann war - aufzugeben, um Mu-Tsu an dessen Stelle zu ehelichen? Niemals, dessen war sie sich felsenfest sicher. "Du jetzt verschwinden." Unglaublich viel Kraft musste sie aufwenden, um ihm dies zu suggerieren. Wie ein kalter Dolch stachen ihre eigenen Worte sie ins Herz, welches unbeschreibliche Höllenqualen litt. Mu-Tsus fixierte ihr Gesicht, indem er sein geneigtes Haupt hob und sie zerknirscht ansah. "Du machst es dir wirklich leicht, weißt du das? Mich fortschicken, um dein schlechtes Gewissen zu beruhigen. Ist es das was in deinem Ansinnen liegt?" Der Klang seiner Akustik war mehrere Oktaven gestiegen und befand sich kurz vor einem krächzenden Überschlag, die Stimmbänder waren bis zum Zerreißen gespannt. Deutlich leiser fuhr er fort. "So wie ich dich stets liebte, hast du mich gehasst. Während ich dir Blumensträuße schenkte, als einziger an deinen Geburtstag dachte und jeden deiner Schritte verehrte, zeigtest du mir die kalte Schulter, spieltest mit meinen Gefühlen und entscheidest dich für einen gottverdammten Typen, der lieber mit einer brutalen Verrückten zusammen ist, als mit einer Schönheit wie dir!" Der letzte Satz traf sie wie ein elektrischer Schlag und veranlasste sie reflexartig zum verbalen Gegenangriff. Eine Amazone lässt sich nicht in die Defensive drängen, Offensive heißt die Maxime. So auch in diesem Fall. "Das nicht wahr sein, dummer Entenjunge! Er mich lieben, nur nicht wissen das! Brutale Küchenzerstörerin er hassen!" Mitleidig lag sein Augenschein auf ihr und fraß sich in ihre gepeitschte Seele. "Wie viele Stunden, nein Tage, brauchtest du, um dir dies einzureden? Was verleitete dich derartigen Unsinn zu glauben, nein, glauben zu wollen? Warum redest du dir ein, dank eines traditionellen und längst veralteten Gesetztes, jemanden lieben zu müssen, der dich gar nicht verdient?" Jede einzelne Frage ließ sie heftig zusammenzucken. Soeben hatte Mu-Tsu ihr gesamtes Seelenleben in Worte gefasst. All die elementaren Fragen, die sie sich selbst stellte. Jeden dämmrigen Morgen und jede tiefdunkle Nacht, wenn sie einsam und verlassen auf ihrem Futon lag und sich liebevolle Wärme herbeisehnte. "Du... du... du lügen...", zu kaum mehr als einem säuselnden Flüstern war ihr heller Sopran verkümmert. Erschöpft und den Tränen nahe stierte sie ein unsichtbares Dunkel an, welches exakt vor ihr lag und ihr gehässig zuzugrinsen schien. Mu-Tsus intensivem Blick jedoch wich sie aus. "Ich werde dich immer lieben. Egal wie du dich entscheidest oder entwickelst. Jedes einzelne Lachfältchen, jedes kleine, noch so unscheinbare Grübchen und jedes einzelne Lächeln wird ein Heiligtum für mich sein. Wirklich schade, dass all dies nie mir gegolten hatte. Für mich bleibt nur der kümmerliche Rest deiner negativen Emotionen. Angeballter Hass, triefender Verachtung und panische Angst. Angst davor von deinem gesetzmäßigen Verlobten offiziell abgelehnt zu werden. Angst davor deine Ehre zu verlieren. Angst davor deinen Status als ranghohe Amazone einbüßen zu müssen. Und ich? Stehe hier rum und lamentiere, wo es dir doch so viel schlechter geht." Bissig und kaltherzig klang eine jede einzelne Silbe in dem stillen, dunklen Zimmer nach und hallte gleich einer Operette in Xian-Pus Ohren wieder. "Verzeih, dass es mich gibt. Entschuldige, dass ich dich liebe. Tut mir leid, dass ich nicht würdig bin mich dein Partner nennen zu dürfen." Dünne, klare Rinnsale beißenden Tränenflusses rannen nun ungehindert aus seinen entzündeten Augenwinkeln und zogen die Wangenknochen und das Kinn entlang. Wie Donnerschläge fiel eine jedes perlmutfarbene Tröpfchen zu Boden und verfärbte die dicke blaue Wolle dunkel. "Ich bin wohl zu sentimental, nicht?" Ohne eine etwaige Antwort zu erwarten, drehte er sich abgeschlafft und trostlos um. Der weite Stoff bauschte sich kurz und lag sogleich wieder an seinem durchtrainierten Körper an. Die Fassade seiner Mimik glich einem zerbombten Schlachtfeld. Wäre auch nur der Schimmer eines Lichts auf seine Gesichtshaut gefallen, hätte man die karmesinen Rötungen und aufgedunsenen Ringe, um die Augen registriert. Die roten Äderchen, die sich durch seine weißen Augäpfel bis hin zu seiner Iris kämpften. Das ansonsten aschfahle Gesicht eines geschlagenen Kriegers, den die Last der Liebe zu Boden gezwungen hatte. Sie antwortete, knapp und fast geräuschlos, dennoch tat sie es. "Nein." Wäre es nicht schlichtweg unmöglich gewesen, hätte Mu-Tsu darauf getippt, dass ihr Sopran fast einen weinerlichen Klang hatte. "Was, nein?", entgegnete er ihr, den Kopf seitlich über die linke Schulter und das breite Kreuz geneigt. Ein wehleidiges Schluchzen fand seinen Luftweg zu seinen Ohren und er glaubte sich verhört zu haben. "Du sein,... du bist nicht zu sentimental..." Daraufhin fiel sie auf die Knie und ließ all die angestauten Tränen fließen, die sich in den Jahren voller Pein und Agonie angesammelt hatten. Zwei muskulöse Arme umfingen sie und drückten ihren bebenden unter Tränen geschüttelten Körper an sich. Sie ließ es zu und presste sich wie ein kleines Kind, ein Ertrinkender in der See der Einsamkeit, nur umso näher an ihn, suchte Schutz, Geborgenheit, ja sogar Liebe. Sie fand alle diese Dinge, vereint in einem Menschen, welcher sie soeben - selbst unter schweren Tränen, doch diesmal des Glücks - in einen sanften und traumlosen Schlaf wiegte. So schlief sie, eng an seine Robe geklammert, das Schluchzen langsam verebbend ein und bettete ihren Kopf auf seiner Brust. Noch stundenlang sollte Mu-Tsu wach bleiben. Die ansonsten trostlose, nun jedoch in sämtlichen Spektralfarben schimmernde Raufaserdecke aufmerksam betrachten, jede einzelne Unebenheit erkunden und ihr - ,seiner' Xian-Pu - sanft über die weiche Haut ihres Rückens fahren. Ganz vorsichtig, nur mit den Fingerspitzen und auf diese Weise ihren Schlaf behüten. Als die Morgendämmerung dann schließlich hereinbrach, sollten beide längst eingeschlafen sein. Mu-Tsu mit einem ruhenden und zufriedenen Lächeln und die kobaltblauhaarige Amazone in seinen Armen mit ebenso glücklicher Miene und einem Traum voll Nostalgie und Erinnerung, beiderlei Aspekte, die er nie sollte zu sehen bekommen. ------------------------------------ V: Dreamlike adventures. ------------------------------------ Wolkenlos präsentierte sich das gewaltige Himmelszelt im blassen Babyblau. Kein keusches Zirruskumulus wagte sich auch nur im Entferntesten über das ätherische, nahtlose Gewebe. Einzig und allein der farbsatte Topas dominierte und regierte uneingeschränkt inmitten der schnörkellosen Leinwand. Der Sommer war hereingebrochen. Die farbenfrohen Blüten begannen zu verblassen. An ihrer Stelle folgten saftige Früchte an den alterwürdigen Bäumen und schmackhaftes Gemüse auf den weiten, bearbeiteten Feldern. Ihre Mitmenschen im belebten Dorf lächelten mehr und das veranlasste auch das kleine Mädchen der sengenden Sonne mit ihrem erlesenen Strahlen Konkurrenz zu machen. Dieses junge Wesen, kaum mehr als ein weibliches Kind von sechs Jahren, hüpfte aufgeregt, dennoch problemlos von einem Dach zum Dach, stets auf der endlosen Suche nach neuen Abenteuern. Ein geringfügig größerer Junge sprang ihr eilig, bemüht zu dem wilden Wirbelwind aufzuschließen, hinterher. Sein Alter dem ihrigen entsprechend. Die restlichen Bewohner schienen diesen kuriosen Vorgang überhaupt nicht zu registrieren, es zu ignorieren oder es schlichtweg als Selbstverständlichkeit anzusehen. Ob alt oder jung, allerseits verrichtete man seine ihm aufgetragene Aufgabe mit tiefem Stolz und erstaunlichem Geschick. Joketsuzoku, Dorf der Amazonen nahe der Quinghai-Provinz. Viele große Kämpfer entstammten diesem sagenumwobenen Gebiet. Vorzugweise feminine muss hierbei erwähnt werden, da die dortige Hierarchie zum einen reichlich rückständig und zum anderen von Emanzipation nie etwas gehört zu haben schien. Kaum mehr zwei Tagesmärsche entfernt, existierte ein mystischer und unheilvoller Ort namens Jusenkyo. Doch über diesen verfluchten Platz mit seinen hundert und acht Quellen des Unglücks wusste die Xian-Pu aus der damaligen Zeit noch nichts. Weder darüber, noch ihren zukünftigen Verlobten oder ihren animalischen, wie kontraproduktiven Fluch. Manchmal erscheint Unwissenheit als Segen, heißt es. Wahre Worte, so dürften die meisten Menschen mit gewisser Lebenserfahrung beipflichten. "Zampo! Hey Zampo bleib doch mal stehen!", rief der kleine Junge, mit einer erstaunlichen Mähne langen schwarzen Haars, dem gleichaltrigen Mädchen unmittelbar vor ihm zu. Besagte Amazone würdigte ihren aufdringlichen Begleiter keines verabscheuungswürdigen Blickes und setzte ihre rasante Erkundungstür über die mit getrocknetem Stroh und gebranntem Lehm bedeckten Dächer ihres im mittelalterlichen Flair vor vielen Jahrhunderten erbautes Heimatdorfes fort. Ihre winzigen Füßchen fanden offensichtlich überall mühelos halt und so stieß sie sich ohne sonderliche Bedenken vom morschen Ende des vergleichsweise flachen Dachgiebels ab. Der euphorische Rausch kalter Luft versetzte sie ein jedes Mal in einen ekstatischen Zustand. So auch diesmal. Das sachte Kitzeln ihrer samtenen Haarsträhnen auf ihrer weichen Haut. Unruhiges Flattern ihres hellblauen Trainingsanzuges aus feinster Seide, wobei die aufgenähten weißen Rosen sich wie bei heftigem Wellengang mitbewegten. Ein jauchzender, gutturaler Laut, der klammheimlich ihrer jungen Kehle entwich. Es war die unbeschreibliche Empfindung der absoluten Sorglosigkeit. Ein im Magen rebellierendes Gefühl, als wenn sämtliche unsichtbaren, eisernen Ketten geborsten wären und sie freigegeben hätten, ihre vorgesehene Straße des verschleierten Schicksals zu folgen. Xian-Pu genoss diese phantastische Vorstellung sichtlich. Ein winselnder Laut jedoch lenkte ihre verklärte Aufmerksamkeit barsch zurück in das feste Gefüge der Realität. "Mouse, du blinde Kuh!", entgegnete sie ihm auf akzentfreiem Mandarin mit einem abwertenden Blick über die schmächtige Schulter. Ohne sonderliches Interesse hierauf zu fixieren, platzierten sich ihre baren Füße nach knapp drei überbrückten Metern auf dem pieksenden Strohdach. Automatisch und bereits längst zum Reflex konditioniert, federten ihre kurzen Beine den verbleibenden Schwung ab. Das spröde Material unter ihr knackste und knirschte missmutig. Derweil bedachte sie die junge, reichlich unbedarfte Version Mu-Tsus abschätzig. Dieser hirnverbrannte, unreife Trottel war wie üblich hoffnungslos am erbärmlichen Versuch gescheitert mit ihr angestrengt Schritt zu halten. Nicht, dass sie ihm das nicht gleich hätte suggerieren können. Vielmehr besaß der, bereits selbst in jungen Jahren, halbblinde Amazone keinen müden Rest an Konzentrationsfähigkeit, litt an überdurchschnittlicher Dummheit oder unterdurchschnittlicher Intelligenz oder die hoffnungslose Liebe hatte sich seiner bemächtigt. Angesichts der inzwischen an profane Routine erinnernden, miserabel gebundenen Blumensträuße von ihm zog sie letzteres unweigerlich in Betracht. Ein weiterer tiefer Luftzug wurde dankbar von ihrer unverbrauchten Lunge entgegengenommen, während ihr flacher Brustkorb sich ruhig hob und senkte. Einen groben Meter horizontal und knappe zwei in der Vertikalen befand sich der in eine strahlendweiße Robe zu Boden gegangene Mu-Tsu. Eben jener lag, unbeachtet von Erwachsenen, geschweige denn den Kindern in seinem Alter, scheinbar bewusstlos auf der blanken Erde. An der kleinen Gestalt schritten unachtsam große Füße von starken Amazonenkriegerinnen vorbei. Deren zumeist taillenlange Haare fassten schier das komplette Farbspektrum auf. Von Honiggelb zu Aschblond, von Magenta zu Zinnober, von Smaragd zu Jade. Ein Meer diverser Farbtöne und sie - Die zukünftige Führerin des Amazonenstamms, dachte sie mit stolz geschwellter, nicht vorhandener Brust. - hatte den idealen, uneingeschränkten Einblick hierauf. Das einzige was sie entfernt am Rande störte war lediglich das ehemals saubere Bündel wachsfarbener Wäsche zwischen den hektisch passierenden Kämpferinnen. Entnervt seufzte die kleine Amazone auf, schob mit ihren zierlichen Puppenhändchen ein paar dicke Strähnen des Kobaltblauen Haars hinter das rechte Ohr und beschrieb einen gelenkigen Salto. Mit einem dumpfen Laut nahmen ihre schmutzigen Fußsohlen Kontakt zum ausgetretenen Boden auf. Gemächlich flanierte sie über den belebten Weg und kickte nebenbei einige größere Steine hinfort. Erst am frühen Morgen - ihre reguläre Zeit den Tag mit einem kleinen Sparringsmatch zu beginnen - hatte sie ihre Mutter gefragt, weshalb denn solch ein Trubel von statten gehe. Ihre Mutter, eine schöne Frau mit ebenen Gesichtszügen und schlanker Taille, hatte ihr patentiertes, erwartungsvolles Lächeln aufgesetzt und ihr bedeutet sich auf ihrem Schoß nieder zusetzten. Xian-Pu war der freundlichen Aufforderung gefolgt und hatte die schöne Frau aus großen Augen von auffälligem Rot sondiert. Das ältere Ebenbild des Kindes hatte daraufhin still gelächelt und war kurzzeitig in ihren eigenen Gedanken versunken. Xian-Pu war noch nie von allzu großer Geduld beseelt gewesen und die Anfänge hatten sich in der Kindheit gezeigt. "Mama! Was ist los hier?", brauste sie die verträumt dreinschauende Frau an. "Hier los, mein Schatz, hier los", entgegnete die Angesprochene verhalten schmunzelnd. Genervt rollten die aufregenden Augen unter der kobaltfarbenen Haarpracht. Tei-No jedoch blieb weiterhin die Ruhe in persona, genoss die pittoreske Aussicht aus dem unverglasten, quadratischen Fensterrahmen und fing nach einigen Momenten an dem kleinen Mädchen beruhigend durch das dichte Haar zu streicheln. Oftmals verhaarten die geschickten, geschmeidigen Hände der erfahrenen Amazonenkriegerin an einer der vielen Verzierungen in Xian-Pus Haar und liebkosten geistesabwesend den Haarschmuck ihrer Tochter. Einzelne Kampfgeräusche klangen dumpf zu ihnen. Wie es schien, trainierten wieder ein paar der Jugendlichen auf eigene Faust. Schließlich sprengte das nervenaufreibende Warten die - um ehrlich zu sein - nicht allzu massiven Ketten von Xian-Pus Geduldsreservoir. Bevor sich die zukünftige Verlobte eines Hermaphroditen und Kampfsportlers jedoch quengelnd zu der inakzeptablen Stillepause kritisch äußern konnte, brach Tei-No das kurze Schweigen. Der nostalgische Ausdruck auf ihrem Gesicht schwand, nicht abrupt wie vielmehr schleichend. "Heute bricht das alljährliche Turnier der Amazonen an." Kurz herrschte wieder diese bedeutsame Stille. Auf dem vorstehenden Dach oberhalb der einzigen, augenblicklichen Lichtquelle zwitscherte ein energisches Vögelchen und flatterte unwirsch davon. Tei-No verlor sich augenscheinlich in Gedanken, ein frisches Lächeln taute ihre gefrorenen Züge und dieser ganz bestimmte, vertraute und verklärte Gesichtsausdruck keimte auf. "Was machen die Amazonenkragerinnen da?", murmelte Xian-Pu verdrossen. Wenn es etwas seit jeher gab, das sie nicht besaß, war es Geduld. "Amazonenkriegerinnen, Liebes, Amazonenkriegerinnen", flüsterte ihre Mutter lediglich. Diesmal wiederholte das kleine Mädchen ihre Lektion nicht und verschränkte stattdessen trotzig ihre Ärmchen vor ihrem schmächtigen Brustkorb und schmollte. Ihre Mutter nahm einen tiefen Zug Luft und fuhr fort, mit leicht belegter Stimme. "Die besten Kriegerinnen unseres Stammes werden gegeneinander antreten. Eine jede wird ihr bestes geben, um den Sieg zu erringen und das Siegesessen zu erhalten." "Essen?", konfus sondierte die kobaltblauhaarige Kleine ihre Mutter. Mit einem stummen Nicken antwortete diese. Xian-Pus Gesicht erhellte ein Lächeln, als sie ihrerseits sprach. "Habe Hunger, wenn Amazonenschwester Essen kriegen, möchte ich auch." Die Xian-Pu aus zukünftigen Tagen wird noch häufig verfluchen, ihr herbes Problem mit Grammatik nie gelöst zu haben. Tei-No bedachte ihre Tochter amüsiert schmunzelnd und stach sie in die Seiten. Mit einem erstaunen Quieken stieß sich das kleine Mädchen ab, schlug einen Salto und landete nach einer anschließenden hundertachtzig Grad Drehung in angespannter Lauerstellung. Ihre Mutter jedoch hob nur den Zeigefinger und intonierte spielerisch "Was habe ich vom Kämpfen und im Haus gesagt?" Die Kleine ließ die schmalen Schultern hängen und seufzte tief. "Das ist nicht fair! Du darfst dich..., gezwungen ruhig atmete der Kobaltschopf wieder ein, ...mich necken, aber ich darf das nicht." "So ist das Leben, mein Schatz", erwiderte Tei-No schief lächelnd und erhob sich vom quietschenden Bambusstuhl. Mit übertriebener Energie krempelte die Mutter die langen, weiten Ärmel ihres Seidenanzugs, der für heutige Verhältnisse eher an einen Pyjama erinnert hätte, zurück und machte sich auf, ihrer Tochter etwas zuzubereiten. Xian-Pu lief ihr glücklich und freudestrahlend hinterher. Die Kampfgeräusche hielten noch stundenlang an. Mürrisch kniff das kleine Mädchen ihre Augen zusammen und überwachte den großen Platz unmittelbar vor ihr. Lässig baumelten ihre Beinchen im seichten Wind von der ausgefransten Dachkante. "Wo sein..., wenig enthusiastisch seufzte sie auf und verdrehte ihre Augen, ...ist er?" Die zukünftige Beste ihrer Alterklasse verfolgte jede verdächtige Bewegung im dichten Tumult unter ihr. Die Amazonen reihten sich an ihresgleichen und wenngleich Joketsuzoku, ebenso wie seine vermeintliche Bewohnerzahl erbärmlich wirkte, herrschte heute und hier absoluter Hochbetrieb und enormes Durcheinander. Eine Tatsache, die es Xian-Pu nur umso schwieriger machte Ausschau nach ihrem waffenstarrenden wie halbblinden Verehrer zu machen. Die Sonne senkte allmählich ihr loderndes Haupt und die Hauptkämpfe begannen. Nach dem, was sie bis jetzt hatte sehen können, befanden sich viele, talentierte, junge Kämpferinnen unter den Teilnehmern. Besonders eine Kriegerin mit seltsamen Eisenkugeln, die eine spätere Xian-Pu Bonboris nennen und auch benutzten würde, hatte ihr Interesse eingefangen. Ein jeder Kampf war von ihr rasch und ohne große Tricks beendet worden. So wollte sie auch einmal ihre Gegner niederstrecken können. Ein verräterisches Knarren klang hinter ihr auf. Mu-Tsu hatte es doch tatsächlich geschafft auf einen der drei morschen Stützbalken auf dieser Seite des Daches zu treten. Was war er doch für ein Idiot. "Auch schon da, Trottel?", sprach sie frostig und machte sich noch nicht mal die Mühe ihren Kopf zu ihm zu drehen. "Nun... ich... ähm... weißt du da...", stotterte der in einer viel zu große, weiße Robe verloren wirkende Junge. "Was?", fauchte sie ihn ungehalten an. Wenn es etwas gab, das sie noch mehr als ihn hasste, war es der Fakt seiner elenden Blindheit. Höchstwahrscheinlich hatte er einmal mehr seine Brille nicht aufgesetzt und war hoffnungslos von einer Häuserwand zur nächsten gerannt. "Tut mir... tut mir leid, dass ich erst jetzt komme, aber mein Vater...", setzte er betrübt, gegen Ende des Satzes jedoch stetig enthusiastischer an, wurde dennoch unterbrochen. "Nicht wieder diese Ausrade, für wie dumm hältst du mich eigentlich!" "Ausrede, Zampo, Ausrede", sprach er ohne sich viel dabei zu denken. Außer sich vor Zorn drehte sich das weibliche Geschöpf um und musterte ihren Gegenüber erbost. "Du wagst es mich zu kategorisieren?" In wimmernder Defensivhaltung hielt Mu-Tsu nicht davon ab, auch diesmal seinen Mund wieder zu öffnen. "Es heißt aber kritisieren und das tue ich doch gar nich..." Mit einem wütenden Ausdruck auf dem kindlichen Gesicht stampfte Klein-Xian-Pu zu ihrem Verehrer und stemmte die winzigen Fäuste in die Seiten. Resignierend warf sich der Amazone voll Endens zu Boden und erflehte wimmernd ihre Verzeihung. Typisch Männer, immer musste man sie richtig erziehen. Was sich diese dummen Affen alles anmaßten, zügelte man sie nicht. Missgestimmt schnaufte sie und schlug ihm mit ihrer Faust auf den Kopf. Ein dumpfer Laut klang auf und der kleine Junge sah seinen Kopf unfreiwillig im Stroh vergraben. Mit zufriedener Miene begab sich Xian-Pu zurück an ihre provisorische Aussichtsplattform. Das wurmstichige Holz knarrte kurz, aber bedrohlich unter ihrem Allerwertesten als sie sich wieder niederließ, doch machte es keine Anstalten der verhaltenen Drohung Taten folgen zu lassen. Ein weiterer Kampf begann. Voll Anspannung wartete die versammelte Amazonengemeinde auf das ersehnte Finale. Zwei langhaarige Mädchen hatten sich auf dem, knappe zwei Meter über dem weichen Erdboden von bloßen Pfeilern gestützten, Balken eingefunden. Ihre Blicke waren tatendurstig und energetisch. Beiderseits stießen sie sich mit einem hitzigen Schrei ins Gefecht. Bonbori traf Schmetterlingsschwert. Eisenkugel traf Klinge. Zinnober auf Indigo. Letztere Haarfarben besaßen die beiden verbliebenen Kontrahenten. Mit verbissenen Mienen griffen sie gekonnt an, jedoch nur um jeweils von ihrem Antagonisten tückisch geblockt und mit einem gefährlichen Konterangriff attackiert zu werden. Innerhalb von zwei Wimpernschlägen hatte sich das alles vollzogen. Mit nervösem Erstaunen fieberte Xian-Pu mit wie als wäre sie selbst es, die dort kämpfen, aller Augen erwartungsvoll auf sich spüren und den körperwarmen Schweiß in ihrem Nacken brennen spüren könnte. Dermaßen gefesselt registrierte sie überhaupt gar nicht erst, dass sich Mu-Tsu nun doch zu ihr bequemt hatte. Still und reglos sondierte er den rasanten und furiosen Schlagabtausch. Er gab sich alle nur erdenkliche Mühe jeder Bewegung mit seinen ungeschulten Augen folgen zu können. Nachdenklich beobachtete das Mädchen dieses Verhalten und kam nicht umhin ihn Respekt für seinen Ehrgeiz zu zollen. Sie war sich ziemlich sicher, er würde einmal ein guter Krieger werden, für einen Mann versteht sich. Beileibe ihren Level würde er nie aufholen können, aber unter den anderen Männern würde er sich durchaus beweisen können. Ihre Gedanken brachen ab, als sie registrierte, dass er sie mit einem Mal intensiv anstarrte. Das lange, schimmernde Haar hing wie nachtschwarze Seide von seinem unteren Haaransatz. Einige dünne Strähnen hingen ihm vor der Nase und die Ärmel seiner Kutte verhinderten den Blick auf seine Hände. Die Erkenntnis dämmerte kurz darauf. Nicht er war es, der sie so aufmerksam gemustert hatte, vielmehr sie selbst. Mu-Tsu erwiderte lediglich ihren Blick. Eine Tatsache, die sie dennoch nicht davon abhielt mit einem bösen Murren einen Abdruck ihrer Fingerknöchel in seinem Gesicht zu hinterlassen. Mit einem dumpfen Ächzen kippte das Opfer der Attacke auf den Rücken und hielt sich die Nase, welche unweigerlich ebenso in Kontakt mit ihrer Faust gekommen war, wie der Rest von seiner Mimik. Nicht ohne Befriedigung bedachte sie das wimmernde Bündel eines abwertenden Blickes und wandte sich wieder ihrem eigentlichen Hauptgrund hier zu verweilen wieder zu. Die letzte verbissene Austragung vor der Bestimmung und Kür der Siegerin. Xian-Pu war voller Aufregung und verfolgte jede Bewegung ihrer Favoritin. Jeder graziöse Tritt wirkte wie ein Part aus einem Tanz, jeder Schlag kam einer Ballettbewegung gleich und jedes dissonante Auftreffen der eisernen Bonbori auf den kalten Stahl zauberte eine Gänsehaut auf die Unterarme des kleinen Mädchens. "Du bist gemein!" Durch diesen Ruf wurde sie aus der aufwallenden Atmosphäre gnadenlos herausgerissen. Wer konnte das wohl sein? Nachdem sie ihren Kopf leicht nach links geschwenkt hatte, sah sie ihre milden Erwartungen erfüllt. Natürlich dieser Trottel. Konnte er noch nicht einmal während eines solch spannenden Ereignisses Stille walten lassen? Waren ein paar ruhige Minuten zu viel verlangt? Ironisch, wenn man diese augenblickliche Auffassung mit dem Verhalten aus ihrer Erinnerung vergleicht. "Und du bist ein Trottel", schnaubte sie kurz angebunden und legte ihr Augenmerk zurück auf die duellierenden Kontrahenten. Im Hintergrund loderte ein Jahrmillionenalter Hochofen. Ein junges Vogelpaar passierte zwitschernd und aufgeregt flatternd den geheimnisvollen Augenblick. Die unterhalb der Dachkante und entlang des Konstrukts versammelten Amazonen tuschelten interessiert über das ihnen dargebotene Schauspiel. Unter ihren Füßen knirschte der Sand widerwillig, während einerseits der helle und anderseits der dunkle Klang, der jeweiligen Waffe dröhnte. Dann geschah es. Eine der Amazonen - mit Freude sah Xian-Pu, dass es die Rothaarige war - verlor für einen kurzen Moment die Balance. Die glatte Schneide wurde knapp über dem Schaft mit einem wuchtigen Klirren von der schweren Eisenkugel abgeschlagen. Das gesplitterte Metallfragment blitzte und glitzerte, während sich ein schwammiges, dunkles Rot sich entlang des Horizonts bildete. Durch die zusätzliche Wucht verlor die angeschlagene Kriegerin auch noch den letzten Rest an Halt und fiel. Gekonnt schlug sie einen Salto - ihr Haar wirbelte wie in eine zinnobere Windhose - und sie landete schnaufend in einer knienden Haltung. Scharf zog die Geschlagene Luft ein, ihr Torso bebte und sie erhob sich, das Antlitz nach oben gerichtet. Ihrer Antagonistin entgegen, die müde lächelnd auf dem dicken Holzbalken stand, einen Bonbori in ihrer Hand verblieben. Das Haar flatterte im aufziehenden Wind, während dünne, purpurne Wolkenberge die verbleibende, halb versunkene Magma Kugel flankierten. Stilles Erstaunen herrschte in den Reihen. Vereinzeltes Scharren von Seide an Seide. Irgendwo knackste es störrisch. Dann brach Begeisterung aus und die Amazonen stürmten auf das inzwischen herab gesprungene Mädchen zu. Diese machte den Anschein reichlich mitgenommen zu sein, zwang sich jedoch mit Mühe ein wenig überzeugendes Lächeln ab. Ihren Ruhm jedoch genoss sie aus vollen Zügen. "Das war wirklich gut", kommentierte Mu-Tsu den Ausgang ernst. "Natürlich, es war ja auch eine Ammenzone!", bestätigte Xian-Pu stolz. "Es heißt... Ach, ist ja auch egal." Mu-Tsu begnügte sich damit aus ihrer Mimik zu lesen. Das prägnante Lächeln, das übernatürliche Funkeln in ihren vom Feuer geküssten Augen und diese offen getragene Maske der Zuversicht und Selbstsicherheit. Er musste sachte lächeln, als er sie sich so betrachtete. Es war unklar was seine Gedanken besagten, doch dafür offensichtlich um wen sie sich drehten. Immer und immer wieder um einen einzigen Fokus, wie ein Leuchtturm bei Nacht Schiffe und eine lodernde Öllampe Motten anzuziehen vermag. "Was grinsen..., mürrisch nahm sie den Fehler in ihrer Aussprache zur Kenntnis, ...grinst du so dämlich?" Der Angesprochene schüttelte lediglich bedächtig seinen Kopf und sah in das wilde, ungezügelte Flammenmeer entlang der unebenen Linie wo sich Himmel und Erde trafen. Ohne sie anzusehen, antwortete er. "Ich..., er sog einen tiefen Zug der frischen Luft ein, ...ich habe etwas für dich." Abschätzig grinste das kleine Gesicht unter der Aufwallung kobaltfarbenen, langen Haares. "Und was das sein könnte?" Entweder ging Mu-Tsu nicht auf die provozierende Satzstellung ein oder registrierte sie nicht. Egal aus welchem Grunde, Kritik folgte diesmal keine. Beinahe schüchtern, ihrem intensiven Blick ausweichend, wandte er seinen Blick nur noch weiter nach links und kramte in seinem diesseitigen Ärmel. Erwartungsvoll lauschte Xian-Pu auf das geschäftige Scheppern und Klimpern, dass nur gedämpft aus seinen Ärmeln schall. Ein Vögelchen piepste in der angespannten Stille. Der Tumult auf dem Platz hatte sich gelegt, die Kriegerinnen strömten auseinander, die beieinander stehenden Gruppen wurden zunehmend lichter. Die Siegerin war längst entschwunden ihre Glorie auszukosten und bei der großen Feier ihr zu Gunsten teilzunehmen. Die altbekannte Ungeduld kroch wieder einmal aus den unerschöpflichen Tiefen ihrer Empfindungen, doch sie zwang jene zurück. Notfalls könnte sie etwaigen Zorn ja später, nach Aushändigung des Präsents loswerden. Ein finales Rascheln intonierte, als etwas für einen kurzen Moment an Mu-Tsus weiten Ärmeln hängen blieb. Es klimperte glockenhell. Xian-Pus Augen weiteten sich im Gleichtakt. "Was das sein?", hauchte sie, vergessen war - vorerst - ihre stete Wut auf den Jungen. Das Klimpern erhöhte sich einige weitere Nuancen und schien sämtliche Tonlagen des Himmelschors inne zu haben. Mu-Tsu drehte sich zögerlich um. In seinen Händen ein silbernes Windspiel. Kleine zierliche Glöckchen befestigt an feingliedrigen, verschieden langen Ketten klimperten als eine neckische Böe aufkam und die kleinen Schlägel gegen die Innenwände der Glocken schlugen. Es sollte die Melodie ihres Herzens in vielen einsamen und traurigen Stunden werden. Ihr heimlicher Hort in der Suche nach Zuneigung und Akzeptanz. Das wirkliche Refugium und der mit Erinnerungen behaftete Talisman eines lieben Menschen. "Zampo?", sprach der kleine Junge in ruhiger Stimme. "Hm?", gab das angesprochene Kind ihm zu verstehen. "Gefällt es dir?" Hoffnung und wohlmögliche Freude ergriffen seine Stimme, ließen sie schwanken. Xian-Pu sah in eindringlich an, ihre kleinen Finger fuhren über die glatte Oberfläche eines der Glöckchen. Es bimmelte keusch und hell. "Ja", hauchte sie mit einem verschmitzten Schmunzeln und strich entlang des bearbeiteten Materials. "Zampo?" Einen fragenden Blick warf sie auf ihn, ihre Hand noch immer das wundervolle Geschmeide erkundend. Das junge Vogelpaar flatterte in die Lüfte, der straff gezogene Baldachin über den Köpfen aller nahm eine tiefblaue Färbung an. Die Wolken waren verschwunden. Er sah ihr fest und unbeugsam in das exotische Rot ihrer Iris. Kindlich lächelte er und Xian-Pus Zeigefinger fühlte plötzlich nicht mehr die Kühle des Windspiels, sondern die lebendige Wärme ihres Gegenübers. Es war einer dieser gewissen Momente, in denen sich einem sein zukünftiges Leben nahezu enthüllt und preisgegeben wird. Nur zu schade, dass man dergleichen Augenblicke, die keinen Wimpernschlag lang andauern viel zu rasch vergessen. "Ich habe dich gern..." ------------------------------------ VI: Another day in paradise. ------------------------------------ Helle, diagonale Lichtsäulen blitzten durch das angekippte Zimmerfenster. Winzige Flocken des Zimmerstaubes glitzerten wie zerriebenes Silber. Ein rostiger Blechwecker tickte monoton in der Frühe des neuen Tages. Die hauchdünne, kalkweiße Gardine bauschte sich unter unsichtbaren Hieben des jungen Morgenwindes. Zwei Leiber lagen eng aneinander geschmiegt beisammen. Ein junges Mädchen, von auffallender Schönheit und aufregendem Haar und ein junger Mann, nachtschwarze Strähnen und athletischer Körperbau. Beider Atmung verlief ruhig. Kein Anzeichen von Hektik. Und doch verstießen sie gegen einen der Grundregeln, die ihr Leben formten. Missachteten Traditionen aus längst vergangenen Tagen, die ihren Weg bis in die Neuzeit fanden. Ließen Gesetzte, die die Existenz vieler jahrtausendelang gesichert hatte außer Acht. "Zampo..." "Ai?" "Ich..." Ihr auf seiner Brust gebetteter Kopf hob sich und sie sah ihm in die dunklen Augen. Ihr langer Zeigefinger legte sich auf seine Lippen und sie lächelte ihn bedeutungsvoll an. Er nickte behäbig und streichelte mit seinen kräftigen Händen behutsam entlang ihrer Wirbelsäule hinab bis zur Taille und wieder hinauf. Eine Bodendiele knirschte kurz und beide zuckten sie zusammen. "Zampo, du weißt, dass es nicht rechtens ist, was wir hier mach..." Zärtlich strich ihre linke Zeigefingerkuppe entlang seiner Oberlippe. "Wir stehen das durch..., kurz verhaarte ihr Finger und auch ihre Stimme,...zusammen", fügte sie glücklich hinzu. "Ankämpfen gegen die eigenen Traditionen... Interessant wie sich das Leben doch entwickelt." "Ja, hauchte sie und unmerklich zog sich eine leichte Gänsehaut über Mu-Tsus Nacken, wenn man etwas Hilfe hat..." Mu-Tsu ging darauf nicht ein. Ihn tangierte nicht ihr Beweggrund, ihm war dieser ehrlich gestanden einerlei. Er verfiel dem Schicksal aller Verliebten und so schenkte er seine ganze Aufmerksamkeit nur dem Genuss des Augenblicks. "Zampo?", in nahezu perfekter Imitation erschall seine damalige Kinderstimme über die Stimmbänder, welche den Stimmbruch schon längst hinter sich gelassen hatten. "Wo ai ni Airen." Ihre Lippen versiegelten die seinen und Schweigen herrschte. ------------------------------------ VII: The talk of her life. ------------------------------------ "Liebe fließt, von nichts und niemandem aufzuhalten. Wahrlich, dass ist sie", skandierte der auf dem hohen Küchenstuhl verloren wirkende Greis. Obwohl seine vergilbte Haut wie eine vergessene Zeitung und sein Haar dünn, wie erschlafft wirkte, lächelte er beinahe knabenhaft. Das Alter kann Pest wie Leben gleichermaßen sein. Alles beginnt an ein und demselben stereotypischen Ausgangspunkt, nur um in einem furiosen Finale einzumünden. Ein jedes zumindest die sanfte Spur einer geringen Nuance verschieden. Auf ähnliche Weise wie Xian-Pu ihre matriarchalische, störrische Urgroßmutter allmählich für ihre Attitüde zu verachten gelernt hatte, begann sie jenes schicksalhafte, joviale Väterchen zu lieben. Keine reine, ungestüme Liebe im dem Sinne, eher eine solides, rückhaltlose Empfindung ihm Vertrauen zuzugestehen zu können. Ein fast in launenhafte Vergessenheit zerflossenes Gefühl. Es trug zu ihrem schüchtern aufkeimenden Wohlbefinden bei, diese rar empfundene Emotion einem bis dahin bedeutungslosen Unbekannten zu empfinden. Das streifenfreie, nach dem ungewöhnlich süßen Aroma eines Putzmittels - Lavendel mit einem kräftigen Schuss Erdbeere, überlegte sie sich - riechende Küchenfenster blitzte in ihrem rechten Augenwinkel. Intensiver honiggelber Sonneschein des vergehenden Spätnachmittags beschien als kurios geformtes Quadrat den glänzenden Esstisch aus hellem Buchenholz. Verirrte Staubpartikel wirbelten hektisch und systemlos im starren Lichteinfall. Sie funkelnden wie Miniatursternschnuppen mit eigenwilligem Charakter. "Wünscht Ihr nicht zu speisen?", mit einem fragenden Ausdruck in den wachen Augen bedachte er sie amüsiert. Ein sachter Ausdruck offensichtlicher Verwirrung trat auf ihr Mienenspiel. Vor ihr stand noch immer, unangetastet die würzige Wang-Tang-Suppe. Leicht beschämt blinzelte die junge Amazone die Speichelanregende Flüssigkeit an. Filigrane Fächer aneinander gereihter Wimpernkämme bewegten sich gezwungenermaßen mit. Entschuldigend fügte Xian-Pu ein hastiges "Doch, doch!" bei. Der Alte - wie sie ihn insgeheim längst benannt hatte - neigte sein größtenteils kahles Haupt und schenkte ihr ein weiteres sonniges Lächeln. Die kraftvollen Strahlen warfen sich auf die aufgebrachte, von tiefen Furchen verunzierte Haut. Schmückten jene mit eurem, Unikaten Glanz und ließen sporadische Schatten neben dem gedrungenen Nasenbein und den breiten Wangenerhebungen, sowie deren Ausbuchtungen keimen. Dies war der funkelnde Schimmer unverfälschten Glücks und schier ewig währender Erquickung. Unbewusst dessen begannen ihre Augenwinkel brennend zu jucken. Erst verschüchtert und klammheimlich, dann penetrant und fordernd. Kurz darauf folgten transparente, runde Tränenperlen, die langsam und widerwillig abperlten. Einem alten Reflex folgend, wischte sie sich das körpereigene Salzwasser von den weichen Wangen. Noch immer lächelte er auf dieser hintergründigen, wissenden Facon. Noch immer wellte topasfarbener Schein über das kommode Ambiente des Zimmers. Noch immer stiegen nach oben hin blässer werdende Dampfschwaden von den beiden chinesischen Suppen auf. Vergessene Erinnerungen an ehemals knurrende Mägen. Und noch immer wälzten sich ununterbrochen, unbestimmte Tränenbahnen über den chremefarbenen Teint ihres Gesichtes. Als sie wahrnahm, welch demütige Geste sie gegenüber einem total Fremden offen legte, schüttelte sich unbändig ihren vollen, kobaltblauen Haarschopf. Fassungslosigkeit vernarbte ihre aufgelöste Mimik. "Warum?", flüsterte sie leise. "Kleiner Engel, lasse deinen Tränen fliehen. Viel zu lange hast du diese eingesperrt." Keine unverbindliche Forderung wie sie es gewohnt war, lag in dem sonoren Klang der kehligen Stimme. Vielmehr handelte es sich um einen sensibel vorgebrachten Vorschlag. Keine dieser unerbittlichen, kalten Demütigungen mit denen sie so häufig konfrontiert wurde. Nein, reelle Anteilnahme schlug ihr entgegen, wie säuselnde Wellenberge an eine schroffe Klippe branden. Hätte es nur in seinem Sinn gelegen sie zu verletzen, wäre er derjenige gewesen, welcher anschließend einen Arzt dringend nötig gehabt hätte. So jedoch fühlte Xian-Pu all die für einen unbekannten Moment aufgesparte Dankbarkeit entfliehen. Es war einer dieser Augenblicke, die uns zeichnen mit ihren charakteristischen Farben und weiter schicken, auf unseren Weg in Richtung Ungewissheit. Die unverhohlene Glücklichkeit musste äußert gut auf ihrem verweinten Antlitz zu sehen sein. Beinahe einer Billardkugel gleichend und längst verbraucht, trotzdem wuchs die Expression der Zufriedenheit auf seinen Lippen. Wann die spröde, abgetragene Hautschicht wohl wie ein wässriges Taschentuch entzwei reißen würde? Könnte dieser einnehmende Ausdruck auf dem beschriebenen Gesicht wohl je bröckeln, brechen? Arge Zweifel hegte sie diesbezüglich und kicherte ungehalten daraufhin. Es war dieses berühmte, nostalgische Kinderlachen. Kaum das es zu verebben schien, kam es abrupt wieder auf und trug die Last ihrer Seele hinfort. Sie vermutete den scheinbaren Grund für ihr vollkommen unehrenhaftes Verhalten im alten Mann. Ob bewusst, intuitiv oder latent wirkte er wie ein positives Hormonpräparat, eine runzlige Pille voll Endorphin. Regelrecht erbärmlich das so viele dieser schwächlichen Stadtmenschen in eine dieser überlaufenen Apotheken drängten, um sich Medikamente als Stimmungsaufheller zu kaufen. Dieses boshafte Teufelswerk, dem man nur mit absoluter Schmähung zu begegnen hatte. Trotzdem verstand das oft unbedarft und naiv wirkende Mädchen die stille, drängende Sehnsucht aller derer, die dazu griffen. Sie akzeptiere was gegeben war. Sie tolerierte es dennoch nicht. Weshalb semitoxische Mittel konsumieren, wenn doch so kleine, unscheinbare Merkmale des Lebens eine solche signifikante Wirkung haben konnten? Das von den Begleiterscheinungen des Rentnerdaseins schraffierte Wesen betrachtete den seichten Tränenfluss. Die Sonnenblumengelben Kartonkästchen nahmen weiterhin ein grobes Drittel des hübschen Küchentischs in Beschlag. Verlockender, aromatischer Dampf entkam wie zuvor durch enge Spalten und Schlitze aus der einheitlichen Verpackung. Der markante Geruch der Nudelsuppe hing in der frischen, wohl temperierten Luft. Angenehm, köstlich und gut. Derweil kramte das ergraute Väterchen in der linken, weiträumigen Tasche seiner pfefferminzgrünen Baumwollhose. Seine karikaturhaft kurzen Beine - Wie Stummel, formte es sich hinter ihrer ebenmäßigen Stirn - wippten im Gleichtakt zu einem unbekannten Rhythmus. Sein engmaschiger, dicker Pullover hob und senkte sich leicht, während eines jeden sachten Atemzugs. "Hier", skandierte er - wie auch sonst? - lächelnd. Ein von zartrosa Rüschen flankiertes Taschentuch war zu Tage gefördert worden. Es wechselte soeben den Besitzer; die blütenweißen Turteltauben setzten ihre melodische Serenade fort. Auf den ersten, zumeist oberflächlichen Blick banal und profan, bot dieses unscheinbare Stück viereckigen Stoffs weitaus mehr. Besaß Seele, hatte trauernde wie Freudesprühende Quellen zum Erlischen gebracht. Xian-Pu bemerkte diese interessante Begebenheit anhand des verwaschenen Musters. Zierliche Reliefen aus roter Seide verliefen sich zu dem bezaubernden Blütenkelch einer stolzen Rose. Jadegrüne Wollfaser stellte die deutliche Silhouette des Dornenbesetzten Stiels dar. Der Hintergrund war dahingegen nur ein augenscheinlich schraffiertes Kobalt. Zu den geringfügig zerschlissenen Rändern des sauberen Textils herrschte ein langsamer Übergang zu einem verflossenen Zirrokumulusweiß. Ob beabsichtigt oder nicht, ließ sich unmöglich ergründen. Aber war es nicht schlussendlich egal? Zählte nicht der faszinierende, anziehende Effekt des lebhaften Zusammenspiels? Die aufregende Kombination aus Primär- und Sekundärfarbe? Aus Reinheit und Mixtur? An Xian-Pus geröteten Wangen begann es störend zu beißen. Das vergossene Salzgeschwängerte Wasser - ob Trauer oder Freude - forderte wie seit jeher seinen Tribut, es begann zu trocknen und zu piesacken. Trotzdem zögerte sie das temporäre Geschenk seinem zugedachten Zweck zuzuführen. Einige flatterhafte Gedanken hatten sich hinter ihrer makellosen Stirn eingenistet und verweigerten beharrlich einen Rückzug, ehe die aus ihren resultierende Neugierde nicht gestillt wäre. "Wem gehören das? Nicht ihres, oder?", stieß die exotische Jugendliche spontan hervor, nur um sogleich beschämt mit einem Hauch Magenta das Haupt zu senken. Auch wenn manch einer - oder eine - sie als schamlos bezeichneten, besaß sie zu gewissem Maß Anstand. Zugegeben, manches Mal war sie etwas direkt, aber noch lange nicht frivol. Zumindest erlag sie der Hoffnung, dass dem nicht so war. "Interessant diese Frage zu vernehmen." Seine raue Handfläche, respektiv der von leichter Gicht geformte Zeigefinger rieb über die gespannte Pergamenthaut seines kurzen Kinns. Ein einnehmendes, von leichter Melancholie durchzogenes Grinsen blühte auf seinen blassen, spröden Lippen. Wie lavendelfarbene Vergissmeinnicht zu einer feierlichen Beisetzung. "Meiner Frau", gab er bedeutungsvoll, nach einem gepressten Seufzen von sich. Ihr starker chinesischer Akzent ließ sich auch in ihrer darauf folgenden Frage kaum unterdrücken. "Wo sie seien?" Seine nahezu konstant ausgelassene, erhellte Miene brach kurz, für einen Standardmenschen unmerklich ein. Xian-Pu jedoch verfolgte dies mit Entsetzen. Der trauervolle Schimmer, der über seine smaragdgleiche Iris wabberte. Um der nachfolgenden unangenehmen Stille und Situation zu entfliehen - zumindest im Geiste - schenkte sie dem bestickten, ausgebleichten Kleinod einen weiteren, intensiven Blick. Fuhr kriechend mit dem erstaunlichen Rot ihrer Augen die sorgfältige Stickarbeit nach. Sezierte jene regelrecht. Schlürfendes Saugen spross plötzlich in der gegenwärtigen Ruhe und machte ihre verbissene Konzentration zunichte. Ihre sonst abweisenden Kanoniersaugen starrten konfus über den oberen, mittig leicht eingerissenen Rand des in der Luft ausgebreiteten Stofftaschentuches. Beidseitig zwischen Daumen und Zeigefinger gepresst, schwankte es wie ein Segel bei einer laschen Brise. Ein knabenhaftes, Feixen lag auf den aufgebrauchten Zügen des Alten. Ein fast mythischer Anblick - Jugend und Alter ineinander verwoben für den Bruchteil eines Wimperschlags - bekam eine humorvolle Note in Form einer frechen Glasnudel, die wie ein wirres, durchsichtiges Barthaar seinen Kiefer in zwei ungleiche Hälften teilte. Xian-Pus Wangen begannen zu beben, die hohen, schmalen Jochbeine hoben sich und sie brach in fanatisches Mädchengekicher aus. Der Alte bedachte sie mir ernstem, ermahnendem Blick seiner grünen Augen, schmunzelte dann doch verkniffen und erlag einer nicht minder heftigen Lachsalve, die sein marodes Zwerchfell über alle Maßen belastete. Während die knallgelben Kartons weiterhin träge Schwaden entsandten, die blütenweißen Turteltauben sich selbst keinen Einhalt geboten und die Sonne sich in einen melancholischen Glanz flüchtete, lachten die zwei unterschiedlichen Menschen Tränen der Heiterkeit. Alle Sorgen minutenlang abgeworfen wie einen stinkenden Flickenmantel. "Kleines...", presste der Alte gezwungen ruhig die Luft inhalierend ein, während er seinen Bauch hielt. "Ai?", keuchte die ansehnliche Schönheit ihm gegenüber hervor, während sie mit ihrem Handrücken glänzende Perlen aus ihrem linken und rechten Augenwinkel strich. "Du solltest beileibe mehr lachen. Das macht dich nur noch schöner", sonnig strahlte er ihr bei diesen Worten entgegen. "Zampo aber nicht viel Grund zum Lachen haben, wenn daheim im Neko hanten", skandierte sie bitter und die ausgelassene Expression auf ihrem Antlitz gefror. Als hätte ein spontaner Schneefall eine heitere Frühlingspromenade in eine düstere Winterkulisse verwandelt. "Gibt es denn nichts wahrlich Gütiges und Schönes in deinem Leben?", kontrapunktisierte er. "Dieser Junge... Ranma", tat sie mit übertriebener Freude kund, faltete die Hände wie zu einem Gebet und ließ ihre feinen Wimpern klimpern. Der Greis schien von dieser Antwort nicht zufrieden gestellt worden zu sein. Nicht, dass dieses wissende Schmunzeln in seiner Mimik geschmolzen wäre, nein, vielmehr glomm je ein konzentriertes Irrlicht in jeder jadegrünen Iris. "Liebt er dich?", warf er abrupt in ihren Elysiumstaumel ein. Kurz stockte Xian-Pu, besann sich jedoch auf die lang gewahrte Maske. "Natürlich er mich lieben." Selbstsicher nickte sie wie zur Bestätigung. Und als täte sie ihren Worten selbst kaum Glauben schenken. Dann stellte er eine Frage, die ihr wesentlich mehr zusetzte, allein schon aus dem Grunde, dass sie eine solche nicht erwartet hätte. "Und du, liebst du ihn vom ganzen Herzen?", entgegnete er amüsiert. Sie ertappte sich, wie sie mit einem Mal um eine Antwort verlegen war. Mit kindlicher Einfalt sah sie auf den Küchentisch und sein Inventar. Eine kurze, bauchige Kerze aus Bienenwachs mit verkohltem Docht, ein paar leere Notizblätter und ein dazugehöriger aquamarinfarbener, transparenter Kugelschreiber. Was war bloß mit ihr los? Selbstverständlich liebte sie ihn, oder? Oder? Woher die Fragen, woher das Zaudern und Zagen? Weshalb konnte sie es nicht einfach sagen? War diese wahre Lüge ihr nicht so häufig und ungezwungenen über die Lippen gerutscht? Sie musste ihn doch lieben. Schließlich hatte er sie doch fair und ehrlich besiegt. Sie gehörte ihm und er ihr. Aber hatte er sie je gewollt? Wollte sie ihn denn selbst überhaupt noch? "Nun?", mit hochgezogenen Augenbrauen animierte er sie fort zu fahren. "Ich... ich... ich...", brabbelte sie konvulsivisch vor sich hin, unschlüssig was es zu sagen gälte. Der alte Mann studierte sie gründlich und nickte bedächtig, einen wissenden Eindruck vermittelnd. "Dein Herz gehört einem anderen, ist es nicht so?" Dieser ewige, verhasste Zwiespalt tat sich auf. Einerseits ihr Kopf, den Richtlinien folgend, die ihr gesetzt worden waren, andererseits ihr Herz, uneinsichtig gegenüber Regeln, wollte es die Wahrheit verkündigen. Ihr Körper entschied für sie. Sie nickte kurz, sardonisch grimassierend. "Soso, junge Liebe und bereits so viele Blockaden auf dem Weg zum Glück", schwelgte das nahezu kahle Väterchen hinter einem Hauch Nostalgie. "Du bist an ihn, diesen Ranma gebunden, oder?" Ein weiteres Mal nickte Xian-Pu stumm, diesmal dennoch energischer. "Und es erscheint dir unmöglich diese lastenden Fesseln zu bersten?", die Phrase schwankte zwischen Frage und Feststellung. Sie exakt zu fixieren, grenzte an ein Ding der Unmöglichkeit. Mit einem Anflug von Niedergeschlagenheit wippte ihr Haupt wiederum. "Was erscheint dir wichtiger? Dein persönliches Wohlbefinden oder das der Person, die dir diese schwere Bürde auferlegte?" Trotz dem Faktum, dass seine Stimme prosaisch wirkte, klang etwas Undeutbares darin mit. Appellierte er an ihre angebliche Arroganz? Zwang er sie abzuwägen was eine höhere Relevanz in ihrer Wunsch-Hierarchie besaß? Oder suggerierte er ihr wohl, dass sie vor einer imaginären Weggabelung stand, sich entscheiden müsse? Der Greis nahm ihre Unentschlossenheit wahr und setzte erneut an, formulierte geschickter. "Wem möchtest du eher das Glück deiner Aufmerksamkeit zu Teil werden lassen?" Dem Schema einer Affekthandlung folgend, intonierte sie. "Mousse..." Dann registrierte sie erst, was ihr über die Lippen geschlüpft war und unternahm einen hastigen Versuch ihre Aussage zu revidieren. Eine ungewöhnlich unwirsche Handbewegung des Alten ließ sie verharren. "Dein Herz hat gesprochen mein Kind, respektiere dessen Worte, denn sie sind wahr und bedürfen keiner Läuterung." Beide seiner ausgemergelten Hände platzierten sich auf der glatt polierten Oberflächenstruktur des Tisches, als er ruckartig aufstand. Erschrocken verblieb Xian-Pu nicht mehr Möglichkeiten, als ihm mit ihren Augen zu folgen. Leicht beugte er sich nach vorne, den Kontakt zum Boden würde er vollkommen verlieren, rutschte der Stuhl nun davon, doch geschah dies nicht. "Mädchen, du hast deine Wahl getroffen. Vergeude nicht deines Herzen Sinnes. Nutze die wallende, heiße Kraft, die darin brodelt. Hüte nicht dein Innerstes vor dem Menschen, dem du es offenbaren möchtest." Dies alles posaunte der alte Greis mit dem sonoren Klang seiner Stimme in gemäßigter Lautstärke, jedoch in einer Pastorähnlichen Facon hervor. Wäre die kobalthaarige Jugendliche nicht viel zu gefesselt vom beinahe hypnotischen Anblick dieses energetischen alten Männchens gewesen, hätte sie wahrscheinlich wegen seiner theatralischen Darbietung gelacht. Auf dem Dach bekundeten die zwei verliebten Vögel ihre Affirmation und gurrten unisono. "Aber... ich nicht wissen, ob Urgroßmutter...", stammelte sie mit seichter Verzweiflung. "Wenn du nie den Versuch unternimmst aufzubegehren, wird dir dein Leben wie es sein könnte stetig verwehrt bleiben. Die Wahl jedoch, ebenso wie die Konsequenzen bleiben an dir haften", skandierte er, gegen Ende hin schwächte seine Stimme sacht ab. "Doch was... wenn...", hilflos fügte sie zusammenhangslose Satzmuster aneinander, selbst nicht wissend weshalb und wieso. "Gehe einfach den Weg, welchen du einzuschlagen gewillt bist. Es wird der richtige sein... Und überhaupt, verzeih, ich alter Knacker palavere kontinuierlich und nutzte auch noch deine Höflichkeit mich nicht zu unterbrechen aus." Der Alte präsentierte ein einnehmendes Feixen, betrachtete sie dennoch unablässig. "Zampo sagen danke." Ruckartig erhob sich das junge Mädchen von dem ihr gegenüber dargebotenen Stuhl. Ihr Haar stob ob der raschen Bewegung kurz auf, glitzerte wie dunkles Meereswasser, legte sich jedoch gleich daraufhin wieder. "Oh, habe ich dir Angst gemacht?", betroffen vereinnahmte der Blick des untersetzten Gastgebers die feurige Schönheit. "Nein, Sie mir Augen geöffnet haben, Zampo werden gehen und machen ihren Weg." In einer Traditionsbetonten Geste faltete sie ihre Hände vor ihrem üppigen Busen und vollführte eine Verbeugung. Ein Privileg, das sonst nur den höchsten Rängen der Männer zustand. Beinahe flehentlich fügte das Männchen bei "Aber die Suppe?", wurde jedoch von Xian-Pus jugendlichem Elan überrannt. "Essen Sie. Keinen Hunger haben, viel Besseres dafür bekommen haben." Mit einer geschickten Drehung machte sie kehrt und trat durch den dubiosen Korridor mit den Holzvertäfelten Wänden, die ihr einstmals - wie viele Stunden war das wohl her? - Angst gemacht, sie nun jedoch kalt ließen. Mit einem gewaltigen Schwung öffnete sie die erstaunliche schwere Holztüre und sog tief den Schwall kühler ein, der mit der startenden Abenddämmerung einherging. Einer inneren Stimme folgend, fiel ihr Blick ein letztes Mal zurück, über ihre linke Schulter. Da stand er, sah sie an und dieses typische Lächeln lag auf seinen Lippen. Ein Person von vielleicht achtzig Jahren, von den Gezeiten ausgezehrt und dürre. Dennoch besaß dieses Wesen mehr frisches Herz und Lebensgeist als sie für möglich gehalten hätte. "Geh deiner Wege, Zampo", sprach er leise und sah ihr dabei intensiv in die Augen. Sie nickte und trat über die Schwelle. Nach langen Perioden der Farce und der Hoffnungslosigkeit fühlte sie friedvolle Ruhe in ihrem Herzen ruhen. Von nun an würde sie ihr Herz die Entscheidungsgewalt übertragen, ihr Kopf hatte bereits zuviel kaputt gemacht. Xian-Pus blassrosa Lippen überzog ein leichter Hauch von besonnen Lächeln und sie ging ihren Weg. Zurück zum Neko-hanten, fort von ihm. Ihre Schuhsohlen konnte sie flach auf dem, mit Natursteinen ausgelegten, Verbindungsweg zur Straße klacken hören. Seine Blicke konnte sie auf ihrem Rücken spüren. Das väterliche Lächeln auf seinem Gesicht sehen. Eine tiefe, wohlklingende Tonlage in ihren Ohren nachhallen hören. Zu alledem spielte in einer Brise die leise Komposition des Windes. Es war ein Windspiel. Zum Schluss und ehe, dass einige Aspekte meiner Geschichte gleich im Vorfeld zerrissen werden, möchte ich mich in einigen Punkten rechtfertigen. A) Weshalb schreibe ich den Namen der Amazone in zwei Varianten? Aus dem einfachen Grund, da ich versuche zwischen der standardgemäßen ostasiatischen Weise ihren Namen in lateinischen Buchstaben auszudrücken und der Facon ,wie' ihr Name betont ausgesprochen wird, differenzieren möchte. Hierzu berufe ich mich auf den Wissensfundus einiger anderer Mitglieder des Animexx.de und meinen begrenzten Erkenntnissen aus der Animeserie. Der Leser soll unterscheiden können, wann ein Charakter ihren Namen ausspricht und wann lediglich der Autor in der dritten Form von ihren Erlebnissen und Gedankengängen berichtet. B) Schön und gut, dass du die Umgebung beschreibst, aber lenkt das nicht von der eigentlichen Storyline ab? Keineswegs. Ich bin der Auffassung, dass gerade der Rahmen einer Geschichte von enormem Belang für den Aufbau der Atmosphäre ist. Wie soll sich der Leser in bestimmte Empfindungen und Gefühle hineinversetzen können, wenn er keinen blassen Schimmer davon hat, wo dies alles überhaupt stattfindet, respektiv was explizit der Auslöser hierfür ist? C) Erscheint es nicht verwirrend und undurchsichtig für den Leser, dass du keinerlei spezielle Zeichen zum Markieren von Gedanken benutzt hast? Ich hoffe mal nicht. Aber ist dergleichen überhaupt nötig? Der Fokus liegt schließlich kontinuierlich auf Xian-Pu. Sie ist der uneingeschränkte Protagonist und wir verfolgen eine jede ihrer Gefühlsregungen und Gedankengänge sozusagen hautnah. Um eine Rezension über eines von Hemingsways Werke zu rezitieren, ziehe auch ich eine >>personelle Sicht der Dinge<< vor. Meine Leser sind die Zuschauer, ich gestatte mir im Gegenzug nur das Privileg die metaphorische ,Kamera' zu führen. D) Woher rührt Xian-Pus Affinitätsumschwung, wo sie doch Ranma bis zum Schluss der Manga-, wie Animeserie regelrecht fanatisch in ihren Besitz bringen wollte? Spätestens nach der zweiten kinematischen Produktion dürfte selbst dem fundamentalistischsten Zweifler Xian-Pus ,tatsächliche Aversion' - Achtung: Ironie - aufgefallen sein. Bettete sie nicht Mu-Tsus geschundenen Körper nach dem Gefecht gegen den Vogelmenschen auf ihrem Schoß und wirkte sie dabei etwa über seinen schlechten Zustand erquickt? Ersteres ja, zweites mitnichten. Ich bin der tiefsten Überzeugung, dass sie weitaus mehr als bloße, noch zudem eher kalte freundschaftliche Gefühle für ihn hegt. E) Hast du nicht eventuell ein wenig viele Überlegungen in die Amazone hineininterpretiert? Wirkt das nicht etwas OOC? Hm, es wäre durchaus möglich. Jedoch sollte man anführen, dass Xian-Pu keineswegs minderbemittelt oder dermaßen naiv ist, wie sie vorgibt zu sein. Man denke nur an all die netten, kleinen Mittelchen und Verlockungen, die sie im Verlauf der Serie angewandt hatte, um Ranma ,gefügig' - Die Folge mit dem wuchtigen Dojo-Zerstörer, wäre als Beispiel zu nennen - zu machen. Sogar ihre physischen Reize setzt sie rigoros zu ihrem Vorteil ein. Vielmehr bin ich der uneingeschränkten Meinung, dass sie zu leichter Ignoranz tendiert. Schlichtweg missachtet sie die reellen Empfindungen anderer - nicht chronisch, aber immerhin intermittierend - und verschließt oftmals die Augen vor der offensichtlichen Wahrheit. F) Erzeugen die heftigen Gefühlsausbrüche von Xian-Pu nicht eine etwas seltsame Stimmung? Tun sie das? *grinst verschlagen* Wer von uns könnte behaupten, nie aus einem unbestimmten, uns unbekannten Grund geweint zu haben? Wer von uns könnte behaupten, nie verwirrt oder misstrauisch gewesen zu sein, befand man sich in einer unangenehmen oder fremden Situation? Wer von uns könnte behaupten, nie ambivalente Gefühle gehabt zu haben und dadurch nie Mensch gewesen zu sein? In meinen Augen ist auch das stolze Amazonenmädchen nichts anderes als ein Teenager mit Problemen, Wünschen und Träumen. Und irgendwann bricht bei einem jeden von uns die Fassade und es zeigt sich, wie verletzlich wir doch sein können. G) Ist die Art und Weise in der du die Geschichte portioniert hast, nicht ein wenig verwirrend? Möglicherweise. Das gebe ich auch durchaus zu. Doch war dies die einzige, mir erkenntliche Möglichkeit etwas frischen Wind ins Fanfiktiongewerbe zu bringen. Die meisten Erzählungen verlaufen nach einem festen Strang und lassen nur hier und da ein paar Backflashs zu. Ich jedoch probiere primär Schlüsselszenen herauszufiltern und dadurch hervorzuheben, dass ich nicht die gesamten Hintergründe vorzeitig entfalte, sondern den Leser bis zum Schluss schmoren lasse. Ob es mir gelingt? Keine Ahnung und ich bezweifle es auch arg.^^° ><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><>< [Knapper Japanischglossar] Iya = Nein. Ai = Ja. Sekihan = Mit roten Bohnen gekochter Reis - Ein Festessen. ><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><>< Was verbleibt noch zu sagen? Nicht mehr viel, so möchte ich meinen. Ich hoffe, die Erzählung gefiel all jenen, die sie lasen. Eventuell gab sie ja dem einen oder anderen etwas. Selbst handele es sich dabei nur um einen weiteren Grund den Autor zu verteufeln und die eigene Kompetenz in der Nutzung des Voodoo zu erweitern.^^° Ciao, bis die Tage, euer Deepdream Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)