Die Monochroniken von Dels (02 :: Der Junge und das Seil) ================================================================================ Kapitel 1: Prolog ----------------- Ein Tag und eine Nacht Der Rauhreif glitzert in den ersten hellen Momenten, warmer Atem verdampft jetzt sichtbar in flüchtigen Nebelschwaden. Die Feuchte der Nacht kriecht langsam aus den Grashalmen und Blütenkelchen. Das Leben erwacht mit den ersten Sonnenstrahlen, die den trüben Himmel in sanftes, milchiges Licht tauchen. Ein zögerndes Zirpen, ein leises Rascheln, die Natur streckt gähnend ihre Glieder und macht sich schlaftrunken daran, sich für diesen neuen Tag zu rüsten. Das Seil ist klamm vor Kälte und Nässe, schmiegt sich an die knorrige Rinde der alten Eiche. Die ersten Ameisen lugen aus ihren verzweigten Höhlen, machen sich sofort auf die Suche nach Nahrung oder Baumaterial, erklimmen dabei ohne Probleme den rauhen Hosenstoff. Manche finden auch einen Weg hinein, klettern die Hosenbeine entlang, doch kitzeln sie nicht. Die Haut ist zu kühl von der Nacht. Versteckte Käfer klettern die Rinde hinunter, ein leises Zwitschern aus einiger Entfernung weckt den Schlafenden. Sofort versucht er sich zu bewegen, doch die Glieder sind steif und gehorchen ihrem Besitzer nicht. Seine Augen suchen die Umgebung ab, der trübe Morgenschimmer zeigt ihm dasselbe Fleckchen Erde wie schon vor Stunden. Ein Tag und eine Nacht. Lautloses Seufzen kommt über die starren Lippen, die im gleichen Atemzug nach der feuchten Luft schnappen. Das Seil spannt sich, straff zerrt es an der abgescheuerten Rinde unter sich, wetzt helles Holz wie Fleisch darunter hervor. Kleine Ästchen rascheln, eine Brise Wind schüttelt sanft die Blätter aus dem Schlaf. Gutmütig knarrt die alte Eiche, als sich der junge Körper mit aller Kraft dagegen stemmt, keuchend aufgibt. Das gescheuerte Holz wird warm von der Reibung, Fasern zerreissen ungehört. Tautropfen fallen nach unten, als eine scharfe Bö die Zweige der Eiche schüttelt; über den verkrampften Muskeln stellen sich die spärlichen, zarten Haare. Der Leib senkt sich wieder, die Knie werden angezogen, um dem Wind weniger Fläche zu bieten. Der erste, bellende Laut bricht aus der Kehle, der Körper schüttelt sich durch die Heftigkeit des Ausbruchs. Wieder rollt eine Triade unnatürlicher Töne durch den Wald, doch bald ersetzen fröhliche Vogelstimmen diese mißtönenden Klänge. Ermattet konzentriert er sich auf's Luftholen und bleibt so wohl eine ganze Weile sitzen. Um ihn beginnen die Blumen sich in Zeitlupe zu entfalten, strecken ihre Blütenblätter der wärmer werdenden Sonne entgegen. Auch die kühle Haut des Jungen erwärmt sich schnell, beginnt jedoch zu jucken, da sich mittlerweile eine Menge Insekten unter seiner Kleidung verlaufen haben. Deshalb strampelt er eine Weile, bis die kleinen Tiere entweder tot oder verscheucht sind. Neben ihm im Gras lauert eine helle Spinne in ihrem kunstvoll gewebten Netz auf unvorsichtige Beute. Die drei Grashalme, die ihrem Netz die Basis bilden, erzittern. Gleich darauf sind Netz und Spinne im kniehohen Gras verschwunden. Er hat Angst vor Spinnen. Überhaupt hat er sehr viel Angst. Vor allem, was krabbelt, kriecht, summt oder mehr als vier Beine hat. Aber das ist nicht seine größte Angst. Seit gestern hat er zum ersten Mal Angst um sein Leben. [ # ] Kapitel 2: Der Fremde --------------------- Der Fremde Es war der erste Tag nach dem Fest der Sieben Heiligen. Die Straßen waren verstopft von den Händlern, Gauklern und den heimreisenden Gästen, die für eine ganze Woche unsere Stadt belagert hatten. Mein Onkel hatte fast seine gesamten Lagerbestände verkauft und das noch zu sensationellen Preisen. Zur Feier dieses großen Gewinns wurde abends ein junges Schwein geschlachtet und sogar wir Lehrlinge durften ohne Scham zugreifen soviel wir wollten. Nicht einmal mit dem Wein hatte der alte Herr geknausert, obwohl er doch sonst immer so sparsam war - mit seinem Geld und mit Lob. Doch an diesem Abend klingelten unsere Ohren von seinen Reden, seinen Preisungen und Ehrungen, die auch zum großen Teil an uns Lehrjungen gerichtet waren, denn wir hatten geschuftet wie der Meister selbst. Dieser Abend nun war lang und lustig, die Weberinnen offenherzig vom vielen Wein, ebenso wie die Männer, die sie mit allerlei Albernheiten zum Kichern brachten und dann irgendwann mit ihnen für kurze oder längere Zeit verschwanden. Mein bester Freund arbeitete wie ich als Lehrgehilfe bei meinem Onkel in der Weberei. Die Arbeit war meist hart, denn die Männer hatten den ganzen Tag Berge von Wolle und Garn, Stoffbahnen und Kisten voller Kleidung herumzutragen. Aber da mein Freund und ich erstens noch jung waren und zweitens geschickte Hände hatten, durften wir oft genug den Weberinnen bei der Arbeit helfen. Wir waren aber lange nicht so schnell und geübt wie die jungen Mädchen, die die Schiffchen so hastig hin- und herschossen, dass einem ganz schwindelig wurde beim Zusehen. Wir waren langsamer und machten öfter ein paar Fehler, aber dafür waren unsere Muster und Bilder ganz anders als die der Frauen und verkauften sich prächtig. Ich zog meinen Mund in die ganze Breite, als mich der Meister beim Abendessen ganz besonders lobte wegen meiner fleissigen und vor allem hübschen Arbeit. Und er hatte Recht, denn von meinen Stoffen war kein einziger mehr übrig. Selbst die alten vom letzten Jahr, die dem Meister nicht so sehr gefallen hatten, waren ausverkauft, schon nach dem dritten Tag war nichts mehr da gewesen. Deshalb hatte mich mein Onkel auch genötigt, das Fest hindurch weiter zu weben, damit er die Stoffe ebenso gewinnbringend verkaufen konnte, wie die anderen. Erst hatte ich mich gesträubt, denn im Gegensatz zu mir und ein paar wenigen Weberinnen waren alle anderen mit dem Verkauf der Ware beschäftigt gewesen. Den ganzen Tag auf der Straße, auf dem Markt, vor der Burg, an den Festplätzen.. so viele Menschen, so viele Fremde, soviel Interessantes! Die leckeren Speisen, schon allein die Gerüche, die sich manchmal hier herein verirrt hatten, ließen mir das Wasser im Munde zusammen laufen. Aber ich musste weben, in dieser kühlen, ungemütlichen Stube. Es hatte mich sehr geärgert, aber mein Freund Hallen hat mich oft besucht und mit ein paar ergatterten Leckereien aufgemuntert. Aber jetzt, da der Meister mich so besonders hervorhob unter seinen ganzen Arbeitern, war ich ganz schön stolz und froh, doch gearbeitet zu haben. Als keiner in unsere Richtung sah, drückte mir mein Onkel sogar ein großes Geldstück in die Hand und nickte anerkennend. In diesem Moment platzte ich fast vor Stolz. "Hej Nanik! Der Meister hat dir doch was gegeben, oder? Sag schon! Zeig her!" Nach der kleinen Feier waren Hallen und ich vor Müdigkeit in die Betten gefallen, aber kaum lagen wir, stand Hallen wieder auf und löcherte mich unentwegt wegen des Geldstücks. Der Frechdachs hatte es also doch gesehen. "Nö, ich hab nichts bekommen. Einen feuchten Händedruck, nichts weiter.." Und schon war Hallen über mir und wir balgten uns eine Weile lachend, bis ich mein Geschenk vor seiner Nase schwenkte. Hallen machte große Augen und schnappte sich die glitzernde Münze. Es war wirklich einiges wert und ich glaube nicht, dass Hallen so viel Geld schon einmal in der Hand gehabt hatte. "Oh Mann, das ist ja.. Wahnsinn! Das hast du von dem ollen Meister bekommen? Und er war nicht schon zu sehr betrunken?" staunte Hallen nicht schlecht und hielt die Münze ins Licht der Kerze, um sie besser betrachten zu können. "Ja, ich hab mich ja auch gewundert.. und wenn er doch betrunken war, ist mir erst recht egal! Meins bleibt meins!" grinste ich und zupfte meinen Schatz aus seiner Hand, die die geriffelte Seitenfläche gerade befühlt hatte. Jetzt rückte ich selbst an das Licht der Kerze und strich mit leuchtenden Augen über das schwere, warme Metall. Meine Finger waren aufgesprungen und zerschnitten von den vielen Fäden, die ich die Woche hatte hindurchgleiten lassen, doch ich konnte jede Erhebung der Münzprägung genau ertasten. Hallen beobachtete, wie ich das Geldstück auf der Kante kreiseln ließ, aber trotz der Freude über dieses unverhoffte Glück, fielen mir fast die Augen zu. "Komm, legen wir uns schlafen! Wir bekommen zwar morgen einen freien Tag, aber ich bin trotzdem so hundemüde.." Mit einem Sprung war Hallen auf der anderen Seite im Bett und kuschelte sich in die Decke. "Ich auch, das war heute ein ganz schöner Trubel. Nacht Nanik!" "Nacht Hal!" Unser Zimmer war auf einem alten Speicher eingerichtet worden, der gegenüber der Weberei lag. Unter uns lagerten tagtäglich kilometerlange Stoffe, Gebirge von gesponnener Wolle und ein gigantischer Kleiderschrank, in dem die fertigen Sachen lagerten, bis sie verkauft wurden. Jetzt allerdings war der Raum leer bis auf ein paar alter Webstühle, einige Bündel Wolle und Kleider, die von Mäusen oder Motten angenagt worden waren. Morgen war ein freier Tag für alle. Der Meister hatte neues Material bestellt, das aber erst übermorgen geliefert werden konnte, wegen des enormen Bedarfs diese Woche. Ich überlegte beim Einschlafen, was Hallen und ich morgen machen würden. Vielleicht könnten wir zum Angeln gehen. Oder schwimmen. Etwas, wobei ich meine Hände nicht gebrauchen musste, denn sie schmerzten noch immer bei jeder Bewegung. Oh ja, schwimmen wäre eine feine Sache. Dies war einer der letzten Gedanken, als ich einschlief. [ # ] Ein schwaches Rütteln weckte mich. Nur schwer konnte ich meine Augenlider dazu überreden, sich hochzuziehen. Bevor ich mich darüber wundern konnte, was der Meister in unserem Zimmer machte, hielt er mir den Mund zu und bedeutete, dass ich Hallen nicht aufwecken sollte. Leise winkte er mich zu sich, als er mit einer Tranlampe zurück zur Tür wackelte. Er sah komisch aus in seinem Nachthemd und mit zerzausten Haaren, doch ich bemühte mich, ihm möglichst leise zu folgen. Draussen war es noch immer stockdunkel und furchtbar kalt. Fröstelnd schlang ich die Arme um den Leib und folgte meinem Onkel um die Scheune. Ich fragte mich, was er dort wollte und warum er mich mitten in der Nacht todmüde aus dem Schlaf gerissen hatte. Aber die Kälte machte mich bald schon hellwach, es hatte geregnet und meine nackten Füße fühlen sich bald an wie Eisklötze. "Was ist denn, was wollt Ihr von mir mitten in der Nacht?" fragte ich leise, denn ich war sicher, dass uns jetzt weder Hallen, noch sonst jemand mehr hören konnte. "Psst! Komm weiter! Und leise!" machte er nur und missmutig trottet ich dem auf- und abwackelnden Licht hinterher, das den schmalen Fußpfad zum Fluss hinunterwanderte. Was wollte der Meister am Fluss unten? Konnte das nicht bis morgen warten? Da wollte ich sowieso zum Fluss gehen. Es dauerte noch gut zehn Minuten, bis wir den Fluss erreichten. Meine Füsse waren schon wund wegen der ganzen Steine und Dornen, in die ich getreten war, aber meinem Meister ging es da nicht besser. Am Ufer angekommen, wollte ich ihn endlich zur Rede stellen oder mich wenigstens beschweren, dass er mich nicht wenigstens Schuhe und eine Jacke hatte anziehen lassen, bevor er mich geholt hat. Aber bevor ich den Mund aufmachen konnte, hieß er mich noch einmal still sein und fuchtelte mit den Armen. Er schien jemandem zu winken und tatsächlich raschelte es gleich darauf im Gebüsch und ein Mensch trat heraus. Im schwachen Lampenschein konnte ich weder sein Gesicht, noch etwas anderes ausser den Mantel erkennen, dessen Kapuze die Gestalt bis zu den Augen heruntergezogen hatte. Er trug ein großes Bündel bei sich, wie ich jetzt erkennen konnte. Unsicher stand ich hinter meinem Onkel und musterte den Fremden, der jetzt bis auf ein paar Schritt an uns herangetreten war. Unwillkürlich hielt ich den Atem an, als der Mann begann zu sprechen. Es war eine sanfte, angenehme Stimme, er konnte zudem noch nicht sehr alt sein. Aber etwas in seiner Sprechart ließ mich erschauern. Ohne es zu wollen, beschlich mich eine große Ehrfurcht vor diesem Mann. Er strahlte etwas Erhabenes, Großes aus, das mich ganz kleinmütig werden ließ. "Ist er das? Na, komm mal her, mein Junge." Es war gewiss nur eine Bitte und doch hatte ich das Gefühl, es sei ein Befehl, dem ich mich nicht widersetzen könne. Zögernd trat ich auf den Mann zu und stand nun so nahe bei ihm und der Lampe, dass ich eigentlich sein Gesicht hätte sehen müssen. Aber ich konnte es dennoch nicht erkennen. Als würden meine Augen jedes Mal abgelenkt, wenn ich sie fixieren wollte. Ein grässliches Gefühl! "Hab keine Angst. Sag, hast du das hier gemacht?" Er streckte mir seine Hand hin. Ein glatter, brauner Lederhandschuh umschloss schlanke Finger, die mir ein Tuch hinhielten. Verwundert sah ich auf die Handarbeit. Die feinen Linien, das geriffelte Muster, den dunkler werdenden Rand und schließlich die winzige Stickerei an den Enden. Es war unverwechselbar eine meiner Arbeiten. Keine besonders gut gelungene, aber es war doch eine von mir. War das etwa ein unzufriedener Kunde? Hatte der Mann das Gefühl, ich hätte ich ihm einen minderwertigen Stoff verkauft? Aber mit dem Verkauf hatte ich doch nie etwas zu tun? Ich sah zu meinem Onkel, der unmerklich nickte und sonst keine Miene machte, die auf Schwierigkeiten hindeutet. Also nickte ich auch und gab zu, dass der Stoff von mir gemacht worden war. "Wenn er Euch nicht gefällt, werde ich Euch einen neuen machen, wenn Ihr möchtet!" fügte ich noch hinzu, falls er doch etwas zu beanstanden hatte. "Nein, dieser Stoff ist sehr gut. Aber vielleicht musst du mir wirklich noch einen weben" sagte er und wog das Bündel unter seinem Arm, als ob er etwas schätzen wollte. "Aber zuerst muss ich etwas von dir wissen. Komm mit." Damit ließ er das Bündel auf den Boden und drehte sich zum Gebüsch. Dieser Mann war mir unheimlich. Ich sah zu dem Meister, aber er winkte mich nur fort, ich solle dem Mann folgen. "Kommt doch bitte mit, Meister! Ich habe Angst mit diesem Kerl alleine.." flüsterte ich, doch dieser schüttelte den Kopf, schalt mich einen Dummkopf und Angsthasen und drückte mir die Lampe in die Hand. "Geh, na los! Sonst verlierst du ihn noch!" tadelte er und wartete bei dem seltsamen Packet, während ich unmutig hinter dem unheimlichen Mann herrannte, der schon im Dickicht verschwunden war. Mir war schleierhaft, wie er sich in dieser Dunkelheit fortbewegen wollte, geschweige denn etwas finden. Aber der große Mann wartete nicht auf mich, sondern schritt zügig und zielstrebig aus, so dass ich Mühe hatte, ihm zu folgen. Ich stach mich an Brombeerdornen, stolperte über Wurzeln und wäre fast einmal hingefallen, als ich meinen Fuß an einem umgestürzten Baum anschlug. Ich unterdrückte mein Fluchen so gut es ging und hastete weiter, verlor den Mann jedoch bald schon im Gestrüpp des Waldes. "Na los Junge, wir haben nicht viel Zeit" raunte es so plötzlich neben mir, dass mir vor Schreck fast die Lampe aus der Hand gefallen wäre. Mein Herz machte einen gehörigen Satz und klopfte ärgerlich weiter, als der Mann wie aus dem Nichts neben mir auftauchte und sofort weiterlief. Die nächsten Minuten fiel ich mehr, als dass ich lief und ich war so erpicht darauf, den Mann nicht wieder aus den Augen zu verlieren, dass ich fast in seinen Rücken gefallen wäre, als er plötzlich stehenblieb. Keuchend schnappte ich nach Luft und hielt die Lampe in die Höhe um zu sehen, wo wir uns befanden. Vor uns lag ein kleiner See. Ein alter Ausläufer des Flusses, der nun seine Ruhe gefunden hatte. Der Mann drehte den Kopf auf die Seite, so dass er mich ansehen konnte und stand einfach nur da. Ich war froh über die Pause, denn ich hatte schon Seitenstechen bekommen und ging nun kurz in die Hocke, um meine Lungen zu beruhigen. Als ich so dasaß und über den See blickte, meinte ich ein kleines Licht gesehen zu haben. Der Mann rührte sich nicht, so warf ich noch einen Blick über den See und entdeckte wahrhaftig noch ein Licht. Und noch eins. Glühwürmchen. Ich hatte schon ewig keine mehr gesehen und musste lächeln. "Schön, nicht wahr?" sagte der Mann von oben und jetzt sah ich, dass er in dieselbe Richtung wie ich blickte. War er deswegen hergekommen? Hatte er mich deshalb durch den halben Wald geschleift, nur um mir Glühwürmchen zu zeigen? Etwas verstört stand ich auf und versuchte wieder, einen Blick auf das Gesicht des Fremden zu erhaschen, doch es entglitt meinem Blick wie eine schwarze Schlange, so sehr ich mich auch bemühte. "Lass das" Schnell wandte ich den Kopf und nahm mir vor, nicht mehr auf sein Gesicht zu sehen. Dieser Mann war so seltsam.. und irgendwie beängstigend. Er stand einfach nur da und sah auf die Glühwürmchen, ich daneben. Das Licht flackerte, meine Hände zitterten vor Kälte und Furcht. Ich hätte ihn so gerne gefragt, warum er mich hierher gebracht hatte, aber ich traute mich nicht. Ich wollte weg hier. Ich wollte zurück in mein Bett. Dieser Fremde machte mir wirklich Angst! Im Licht konnte ich mir jetzt wenigstens seine Kleidung ansehen. Es war ein ausgesprochen schöner Stoff, damit kannte ich mich ja aus. Er war schlicht und nur ein wenig verziert, so wie ich es für gewöhnlich machte. Aber dies war nicht mein Stoff, solch glänzendes Material ließ sich nur schwer verkaufen und der Meister fertigte nur gelegentlich selbst ein kostbares Kleidungsstück für eine adelige Dame, falls diese es verlangte. Dieser Fremde musste wirklich reich sein, wenn er sich solche Stoffe leisten konnte. "Jetzt ist genug geschaut. Los, komm mit!" Vor Entsetzen schrie ich leise auf, als er mich beim Arm packte und mich hinter sich herzog - geradewegs in den See hinein! [ # ] Kapitel 3: Der Funkenstein -------------------------- Der Funkenstein Wie ein störrisches Pferd stemmte ich mich gegen den Zug, drückte die Fersen tief in die weiche Erde und versuchte die Hand wegzudrücken, die mich immer stärker zum Wasser zog. Meine Zehenspitzen berührten gerade das kalte Nass, als der Mann sich umdrehte und in einem ärgerlichen Ton befahl, ich solle mich nicht so sträuben. Obwohl dieser Befehl so scharf war, dass ich fast ohne Willen nachgegeben hätte, stemmte ich mich dennoch dagegen. Dieser Kerl war verrückt! Er wollte sich wohl ertränken und mich gleich mit! In voller Kleidung stand er bereits knöcheltief im Wasser und zerrte mich zentimeterweise weiter mit sich. Ich schrie, er solle mich loslassen, aber sein Griff wurde nur noch fester, so dass es jetzt wirklich weh tat. "Lasst mich los, bitte! Ich will nicht! Ihr seid ja verrückt!! Eure Kleidung!.. Aua!!" schrie ich und der Mann machte einen Schritt zur Seite. Gleichzeitig zerrte er mich zur anderen Seite, dass ich das Gleichgewicht verlor und im Wasser landete. Seine Hand hielt noch immer meinen Arm festgepackt und ich schrie jetzt vor Schmerz, da ich mir beim Sturz den Arm überdrehte. Doch der Fremde störte sich nicht daran, er zog mich unsanft nach oben und lief ungerührt weiter in den See. Ich konnte nur noch hinter ihm herstolpern und immer wieder beschwören, mich doch laufen zu lassen. "Sei endlich still! Und heul nicht wie ein kleines Kind! Ich habe doch gesagt, dass dir nichts passiert!" donnerte er und schliesslich ergab ich mich meinem Schicksal und schritt immer weiter in den See. Zum Glück war er nicht ganz so kalt, wie ich vermutet hatte, aber es reichte, um mir gehörig die Zähne klappern zu lassen. "Kannst du schwimmen?" Wenigstens konnte ich das. Wenn dieser Verrückte schon ertrinken wollte, würde ich zumindest davonkommen. Aber entgegen meiner Vermutung kam er sehr gut zurecht im Wasser, seine Kleider störten ihn nicht im Mindesten beim Schwimmen. Er schwamm etwa zur Mitte des Sees und sah immer wieder zurück, aufdass ich ihm auch ja folgte. Mit der Zeit wurde mir auch wärmer und da ich sowieso nicht viel Kleider am Leib hatte, behinderten sie mich auch nicht beim Schwimmen. Über die Nasenspitze hinaus sah ich jetzt noch viel mehr Glühwürmchen, die auch gelegentlich um mich herumschwirrten. Was wollte dieser Kerl mitten in der Nacht in einem See?! "Kannst du tauchen?" Verwirrt nickte ich auf diese Frage und er nickte zurück. Gleich darauf war er unter der Wasseroberfläche verschwunden. Zurück blieb bewegtes Wasser, das sich noch etwas von den aufsteigenden Luftbläschen kräuselte. Für mich eine gute Gelegenheit, um zu verschwinden. Aber ich wusste nicht, was der Fremde mit mir machen würde, falls ich einen Fluchtversuch unternehmen würde und er mich doch noch erwischte. Ich erinnerte mich an die Szene im Wald, als er völlig unerwartet neben mir aufgetaucht war und entschied, mir anzusehen, was der Mann dort unten wollte. Wenn er dann Ruhe geben würde, war mir das recht. Also holte ich tief Luft und tauchte unter. [ # ] Je tiefer ich mich nach unten stieß, desto heller wurde es. Ich riss die Augen auf vor Unglauben, als ich das erste Glühwürmchen unter Wasser sah, das zu mir heraufschwirrte. Fast hätte ich die gesamte Luft auf einmal aus den Lungen gelassen. Das leuchtende Ding war gar kein Glühwürmchen! Es tanzte vor meinen Augen, als wollte es mit mir spielen, aber es war kein kleines Insekt, es war einfach nur.. ein leuchtendes.. Leuchten! Ein kleiner Funke, aber unter Wasser! Es wirbelte um mich herum, ich drehte mich, weil ich es nicht aus den Augen lassen wollte, aber da war es weg. Ich stieß nach oben, holte wieder Luft und war sofort wieder auf dem Weg nach unten. Noch mehr Glühwürmchen, die keine waren. Es wurden immer mehr, je tiefer ich tauchte und immer heller wurde es. Und ich tauchte tiefer und tiefer, eingehüllt von einem kleinen Schwarm Funken. Ich hätte längst wieder auftauchen müssen. Aber meine Lungen waren immer noch voller Luft und so sank ich weiter, bis ich auf den Grund sehen konnte. Es war irrsinnig hell hier unten und ich fragte mich, wieso man das Licht nicht vom Ufer aus gesehen hatte. Vor dem Licht war ein großer Schleier und erst als er sich bewegte, erkannte ich, dass es die Kleider des Fremden waren. Er winkte mir zu, er hatte hier auf mich gewartet. Die ganze Zeit?! Musste er keine Luft holen? Aber ich merkte, dass ich ebenso noch kaum von der Luft verbraucht hatte, die ich beim Luftholen aufgeschnappt hatte. Aber diese Luft stieg in diesem Moment in großen, silbrigen Blasen nach oben. Mein Mund stand offen und ich starrte dieses Wunder an. Auf dem Seegrund lag ein Stein, der leuchtete. Heller als alle Lampen, die ich kannte, fast so wie eine kleine Sonne. Und das war noch nicht das Schlimmste. Aus diesem Stein strömten Funken. Leuchtende kleine Mini-Sonnen, die ich noch vorhin für Glühwürmchen gehalten hatte. Hunderte.. nein Tausende! Sie waren überall, schwebten um den Stein oder flitzten durch das Wasser, an mir vorbei, um den Fremden herum. Dieser fuchtelte nun ungeduldig mit der Hand, ich solle näherkommen. Völlig fasziniert gehorchte ich und behielt die ganze Zeit diesen Stein im Auge, auf dem die Funken tanzten wie leuchtende Schmetterlinge. Und dann tat der Fremde etwas, das mir doch Angst machte. Er legte eine Hand auf den Stein und im selben Moment sprudelte eine ganze Wolke dieser Lichter aus dem Fels, ergoss sich wie ein Funkenregen auf den Mann und - verschwand in ihm! Entsetzt wich ich zurück und stob nach oben, doch er packte mich am Fuss und zerrte mich wieder nach unten. Ich zappelte und versuchte zu schreien, aber nur mit dem Ergebnis, dass mein Mund mit Wasser vollief und ein quäkender Laut hervorbrach. Ich bekam Panik. Die Funken umschwirrten mich noch immer, doch ich beobachtete einen von ihnen. Er hüpfte mir über die Haut und glitt dann einfach hinein! Ich spürte nichts davon, aber es war der reinste Horror, das zu sehen. Ich schlug nach den Funken, aber sie sprühten nur um so zahlreicher um mich und schlüpften einer nach dem anderen in meinen Körper. Ich zappelte und trat, wollte so schnell wie möglich weg von hier, als mich etwas so wuchtig im Genick traf, dass ich kurzzeitig benommen war. Und dann wurde es warm. Wunderbar warm, und weich.. wie ein Bett aus feinsten Daunenfedern. Wohlig schmiegte ich mich an diese seidige Oberfläche und wurde ganz entspannt. Nichts schmerzte mehr, eine kuschelige Wärme umfing mich und ich fühlte mich wohl wie schon lange nicht mehr. Als ich wieder klar zu sehen begann, war alles hell um mich herum. Mein Nacken schmerzte dumpf und als ich mich bewegen wollte, wurde ich gewahr, dass mich der seltsame Mann mit dem Bauch auf den leuchtenden Stein drückte. Seltsamerweise ließ ich es geschehen, ohne mich zu wehren. Der Griff im Nacken lockerte sich etwas, die Wärme und Weichheit meiner Umgebung nahm sofort wiede zu. Ich konnte nur auf die Lichtpunkte starren, die wie ein warmer Sommerregen auf mich einprasselten, sie schienen vor Freude zu hüpfen und tanzen, bevor sie in meiner Haut verschwanden. Hunderte davon. Tausende. Ich hatte noch nie etwas so Schönes gesehen. So etwas Wundervolles gefühlt! Es fühlte sich an wie warmer Honig, es kitzelte etwas, es streichelte, es war einfach.. unbeschreiblich! Ich konnte mich in diesem Moment nur freuen, über alles in meinem Leben. Meine Arbeit, die mir so gut gefiel, mein bester Freund Hallen, mein tolles Geschenk, die Natur und die Menschen um mich - alles war einfach wundervoll! Alle Ängste, alle Sorgen, die ich mir gemacht hatte waren einfach weggewischt. Ich konnte unter Wasser bleiben, ohne atmen zu müssen. Das kam mir in den Sinn und ich freute mich darüber. Ich war so unbeschreiblich glücklich. Nie wieder wollte ich von hier weg. [ # ] Prustend kam ich an die Oberfläche zurück und schüttelte den Arm ab, der mich hinaufgezerrt hatte. Sofort wollte ich wieder nach unten tauchen, als mich eine wohlbekannte Hand im Genick packte. "Das reicht für heute! Verstanden? Das reicht! Los, raus hier!" Seltsam weggetreten ließ ich mich von dem Fremden aus dem Wasser ziehen. Ich konnte nur noch an diesen wunderbaren Stein denken mit diesen herrlichen Funken. Selbst jetzt sah ich sie noch, denn zwei von ihnen spielten über der Wasseroberfläche miteinander. Diese wundervollen Funken.. Der Schlag tat nicht so sehr weh, wie ich gedacht hatte, aber mein Kiefer protestierte trotzdem über diese harte Behandlung. Der Fremde schimpfte mich böse, aber ich hörte nur mit halbem Ohr hin. Mein Inneres war völlig durcheinander. Ich wusste gar nicht mehr, was ich denken sollte. Und was war eigentlich passiert? Irgendwas lief hier völlig schief. Ich lag auf dem Waldboden und hielt mir meine Backe, die nicht das kleinste Bisschen mehr wehtat. Der Fremde stand daneben und murmelte etwas, das ich nicht verstand. Merkwürdig war auch, dass mir nicht kalt war, obwohl ich erbärmlich frieren müsste, so nass ich war und so kühl es heute Nacht sein musste. Aber ich fror nicht, eher noch war mir angenehm warm. Hatte ich wohl Fieber? Oder lag das an den Funken..? "Steh auf. Wir gehen zurück." Ich beeilte mich, ihm zu folgen, denn ich wollte nicht noch einmal seine schlagende Hand abbekommen. Zu meiner weiteren Überraschung hatte ich jetzt nicht mehr die geringste Mühe, dem Mann zu folgen. Meine Füße spürten keinen Schmerz, als ich durch die Dornen trat, die Müdigkeit war wie weggeblasen. Schon nach ein paar Minuten waren wir aus dem Wald, obwohl der Hinweg unendlich viel länger gedauert hatte. Bevor wir jedoch zum Fluss traten, hielt der Mann auf einer kleinen Lichtung an. "Hör zu. Ich werde dir jetzt einen Auftrag geben." begann er und bedeutete mir, mich zu setzen. Er selbst ließ sich ebenso nieder und legte die Hände aufeinander. "Und hör genau zu, ich werde es nicht noch einmal wiederholen. Ab heute wirst du jede Nacht zu diesem See gehen. Du wirst nach unten tauchen und den Stein berühren. Und dann gehst du zurück und wirst weben." Ich glaubte meinen Ohren nicht zu trauen. Ich sollte jede Nacht da runtertauchen? Und danach nach Hause gehen und weben?! Was sollte das denn? "Du wirst mir einen Stoff weben aus dem Garn, das ich dir geben werde. So, wie du es immer tust, verstanden? Mein Garn und deine Webkunst. Doch weben darfst du nur nachts. Jede Nacht und erst nachdem du im See warst! Und das Wichtigste - niemand darf etwas davon wissen. Weder von dem See und dem Stein, noch von meinem Auftrag. Du wirst in der kleinen Hütte am Stadtrand weben, ich habe einen Webstuhl hinbringen lassen. Und immer nur bis Sonnenaufgang. Verstanden?" Ich war wie vor den Kopf gestoßen. Jede Nacht? An einem Webstuhl in der alten Wächterhütte? Dieser Mann wollte mich wohl zum Narren halten. Aber seit dieser Erfahrung im See, begann ich etwas aufgeschlossener zu werden, was seltsame Ereignisse betraf. "Aber.. Herr.. ich muss doch auch irgendwann schlafen.." versuchte ich, ihn zu überzeugen, dass dies niemals funktionieren konnte. Und jede Nacht zu diesem See? Das konnte er unmöglich von mir verlangen! "Sag, mein Kleiner.. wie heißt du?" fragte er plötzlich sehr sanft und die ungewohnte Betonung ließ mich schon wieder unsicher werden. "Nanik. Nanik Alluya, Herr" "Nun Nanik. Bist du müde?" Die Frage war seltsam, aber ich bemerkte, dass meine Antwort schon die Antwort auf die eigentliche Frage war. Ich war hellwach und voller Energie, obwohl ich eine ganze Woche wie ein Esel geschuftet hatte und bis vor zwei Stunden noch tief und fest und vor allem sehr erschöpft geschlafen hatte. "Nein, Herr.." "Na siehst du. Und deshalb wirst du zuerst in den See gehen und danach für mich weben. Sonst funktioniert es nämlich nicht. Verstanden?" "Herr.. wenn ich fragen darf.. was waren das für Lichtfunken?" "Das ist Magie, Nanik. Meine Magie. Ich habe sie dort unten versteckt. Nur für dich. Damit du für mich weben kannst. Deshalb darf auch niemand etwas von diesem See erfahren, hast du gehört? Auch nicht deine besten Freunde oder dein Meister. Das bleibt unser Geheimnis." "Ihr.. seid ein Magier?" Ich hatte noch nie einen leibhaftigen Magier getroffen. Das war unglaublich! Ein echter Magier.. und Magie! Ich hatte Magie in mir! Ich konnte es nicht fassen! Das erklärte alles Seltsame an diesem Mann. Ich schämte mich, dass ich nicht vorher darauf gekommen war. Der Magier musste mich wohl für einen besonders dummen Jungen halten. Einen Magier nicht erkennen, wenn er vor einem steht! Oh, aber.. "Aber mein Meister hat euch gesehen! Und er wird fragen, was Ihr von mir wolltet! Er hat Euch sicher erkannt! Und das Garn.. hat er auch!" "Du bist ein kluger Kopf, Nanik. Aber ich sorge schon dafür, dass dein Meister vergisst, was heute abend passiert ist. Er wird morgen aufwachen und sich an nichts mehr erinnern. Das Garn steht dort, wo ich es liegengelassen habe. Nimm es mit dir und trag es morgen Nacht zur alten Hütte. Verstanden? Du vergisst meinen Auftrag nicht. Und wenn du tust, was ich dir heute aufgetragen habe, dann wirst du eine tolle Belohnung bekommen." Mein Gesicht muss Bände gesprochen haben, denn er lächelte und beantwortete meine stumme Frage mit einem Grinsen. "Ich werde dir einen Wunsch erfüllen" Kapitel 4: Das Katzenzungen-Amulett ----------------------------------- Das Katzenzungen-Amulett Ständig sah ich mich um auf dem Rückweg, doch nichts rührte sich. Der Meister war verschwunden, der Magier hatte gesagt, er hätte ihn wieder nach Hause geschickt. Bis ich Zuhause angekommen sei, würde er schon tief und fest schlafen. Also trug ich das schwere Garn den Weg zurück zur Scheune, doch ich tat es fast mühelos. Natürlich mit Magie. Deshalb spürte ich keine Kälte, keine schmerzenden Füße, keine Anstrengung auf dem Weg, so hatte es der Magier gesagt. Ich wusste nicht viel über Magie, der Fremde hatte mir ein paar Dinge darüber erklärt und vor Stolz schwoll mir die Brust. Ein Magiebegabter war ich also. Nur hatte ich es selbst niemals bemerkt und ebensowenig die anderen Mensch um mich herum. Aber er hatte es bemerkt, alleine durch den Stoff, den er bei meinem Meister gekauft hatte! Wahnsinn. Dieser Magier war wirklich etwas ganz Besonderes. Ich hatte ihm alles verziehen; als er mich erschreckt hatte, oder als er mich grob ins Wasser gezerrt hatte oder die Ohrfeige. Es war schliesslich nur zu meinem Besten. Denn ein Magiebegabter ohne Magie.. das sei ein Frevel. So hat er gemeint. Diese kleine Magiequelle hatte er extra für mich gemacht und ich könnte mich nach Lust und Laune daraus bedienen, wie ich wollte. Aber erst, nachdem ich seinen Stoff gewebt hätte. Das sei ich ihm dafür schuldig. Oh, wenn er wüsste, wie dankbar ich ihm bin! Ich würde ihm zehn Stoffe weben für das, was ich nun weiß! Keine Anstrengung, keine Müdigkeit, nie wieder frieren, wenn mir Hallen die Bettdecke wieder mal wegzieht! Ich bin so glücklich, dass ich es hinausschreien könnte! Aber vorerst muss ich Stillschweigen bewahren, bis der Stoff für den Magier fertig ist, denn vorher darf niemand wissen, dass ich mit Magie umgehen kann. Nun, ehrlich gesagt kann ich nicht damit umgehen. Noch nicht. Doch ich bin fest entschlossen, auch Magier zu werden. Und das werde ich auch. Denn das wird mein Wunsch sein, den er mir erfüllen muss. Er wird es mich lehren. Ich will ein richtiger Magier werden. So wie der Magier Kaleb. [ # ] Die Sonne schien warm durch die klare Scheibe und zeichnete hüpfende Schattenflecken auf den Holzboden. Im ersten Moment kam mir alles irgendwie unwirklich vor. Hallen schlief noch tief und fest, ich hatte den Sonnenaufgang beobachtet. Meine Seele schlug Purzelbäume, wenn ich daran dachte, dass alles, was gestern passierte, die Wirklichkeit war. Ich hatte mich nicht zum Schlafen gelegt, aus Angst, es könnte doch ein Traum sein. Aber es war keiner, ich war die ganze Zeit wach gewesen. Ich - ein Magiebegabter! Oh wie gerne hätte ich Hallen geweckt und ihm davon erzählt! Er wäre sicherlich genauso ausgeflippt wie ich, wenn ich nur dürfte. Aber ich musste mich an die Vereinbahrung halten. Erst der Stoff, dann würde ich Magie lernen. Hehe.. mein Wunsch stand felsenfest. Hallen würde es noch früh genug erfahren. Für den Stoff würde ich vielleicht 7 Nächte brauchen. 5-6, wenn ich schneller sein würde. Dessen war ich mir fast sicher, denn schliesslich könnte ich dann mit Magie weben. Ich konnte es kaum bis zum Abend erwarten. So schnell wie möglich fertig sein und dann ein Magier werden. Ach, warum konnte es nicht schon Abend sein! "Hej ihr Schlafmützen! Kommt zum Frühstück!.. Hoppla, Nanik! Du bist schon auf? Und fertig angezogen? Was hast du ausgefressen, Schlawiener?" Meine Tante zwinkerte mir zu und wuschelte mir durch's Haar, bevor sie Hallen die Bettdecke vom Leib riss. "Wir haben doch heute frei!" jammerte der Entblößte nuschelnd und versuchte sich einzurollen. Vermutlich vermisste er seine schöne warme Decke, die Tante Gilda gerade aus dem Fenster schüttelte. Ach.. eine Decke würde ich nie wieder brauchen.. mir war immer noch so schön kuschelig warm wie letzte Nacht. Zusammen mir Hallen überlegte ich beim Frühstück, womit wir uns heute die Zeit vertreiben könnten. Da ich Sorge trug, dass niemand etwas von dem See erfuhr, war ich dagegen, dass wir in die Nähe des Flusses gingen. Auch, wenn mich Hallen bekniete, dass er so gerne wieder fischen würde. Aber mir war es zu riskant. Auch, wenn er den Weg durch den Wald bestimmt nicht zufällig finden würde. Die Wegbeschreibung zum See hatte ich vom Magier auf einem Zettel erhalten. Ich hoffte, dass ich den Weg in der Dunkelheit auch finden könnte. Aber bis heute abend hatte ich ja noch einige Zeit. Wir einigten uns darauf, dass wir erst auf den Markt gehen wollten und danach auf die Obstwiesen. Dort gab es immer genügend leckeres Obst und der Besitzer konnte schliesslich nicht immer alles auf einmal im Blickfeld haben. Und da ich so gute Laune hatte, beschloss ich, meinen besten Freund zu allem einzuladen, wozu er Lust hatte. Jetzt, da ich wusste, was mir bevorstehen würde, hatte der Reiz des Geldes viel für mich verloren und ich hatte keine Bedenken, es auszugeben. Schliesslich gab es ja auch etwas zu feiern. [ # ] Obwohl die meisten Kaufleute und Gaukler direkt nach dem Fest wieder abgefahren waren, gab es auf dem Marktplatz immer noch Gedränge, Geschrei und Gehandle wie auf den größten Basaren der Hauptstadt. Hallen juchzte vor Freude, als ich anstandslos alles kaufte, worauf wir grade Lust hatten. So stopften wir uns voll mit Bratwürsten, Zuckerstangen, exotischen Früchten, gebratene Hühnchen und vielem mehr. Dazu tranken wir Wein wie die Erwachsenen und waren nach einer Weile so pappsatt und schwindelig, dass wir uns eine kleine Pause gönnten und am Rand des Marktes seinem Treiben zusahen. Wir beschenkten die Gaukler großzügig, die erstaunt aber sehr höflich dankten und für uns ein paar Extra-Grimassen schnitten. Ich kaufte für uns beide die gleichen hübschen Ledergürtel, so dass jeder sofort sah, dass wir die besten Freunde waren und an einem Wahrsagerstand ließen wir uns noch die Zukunft vorraussagen. Obgleich ich ein bisschen Bammel hatte, dass der Wahrsager erkennen könnte, dass ich magiebegabt war, ließ ich ihn doch machen und war erleichtert, als der alte Zausel nur seine üblichen Sprüche losließ, die seine Kunden hören wollten. Bei Hallen allerdings verzog er das Gesicht und prophezeihte ihm allerlei schlimme Dinge - wahrscheinlich weil er gesehen hatte, dass ich für ihn mitbezahlt hatte. Mit einem großen Stück Kuchen unserer Lieblings-Bäckerin verließen wir dann den Marktplatz und liefen an der Burg vorbei zu den Obstgärten. So weit das Auge reichte war hier alles an Früchten, die man in diesem Land überhaupt anbauen konnte. Weintrauben, Äpfel, Birnen, Suantis, alle möglichen Sorten Beeren, Kirschen, Nukkas, Sonnenbohnen, einfach alles. Ein rießiger Garten, den ein alter Mann mit seinem noch älteren Hund beaufsichtigte. Natürlich waren zumeist viele Kinder da, die die reifen Früchte stibizten, doch es gab viel zu viel Obst, als dass man es alles hätte verkaufen können und wenn die Kinder hier nur ihren Hunger stillten und nicht allzuviel mit nach Hause nahmen, drückte der Alte auch gerne ein paar Augen zu. Deshalb waren wir an diesem schönen Tag auch lange nicht die einzigen Kinder im Obstgarten. Mindestens drei aus unserer Straße lungerten unter den Bäumen herum und eine Gruppe anderer Kinder spielte Fangen. Nicht lange und wir rannten auch lachend vor dem Fänger davon. Aber Hallen war schneller als alle anderen. Er bekam jeden zu fassen und flink wie ein Wiesel war er auch schon beim nächsten. Der Garten hier war das reinste Paradies für uns. Keiner scholt uns, außer der Alte, der ab und an vorbeischlurfte und seinen Hund auf uns hetzte, der uns jedoch lieber abschlabberte. Hier konnte man sich sattessen, in der Sonne liegen, mit anderen Kindern spielen... Wenn man nicht grade arbeiten musste, ließ es sich hier gut aushalten. Als es langsam Abend wurde, zogen wir heimwärts und schlenderten noch kurz durch den Markt, um noch ein Stück Honigkuchen mitzunehmen. Als wir beide an dem Wahrsagerstand vorbeikamen, schoß der Alte nach oben und rief uns zu sich. Ich hatte keine Lust noch mehr Geld bei ihm zu verschwenden und kümmerte mich nicht um das Gezeter. Aber er wurde lauter, als wir weitergingen und so drehte sich Hallen nach ihm um. "Du! Ja du! Komm her, mein Junge, komm her! Keine Angst, ich will dein Geld nicht!" "Ach lass ihn doch Hal. Komm schon, es wird bald dunkel!" Er konnte ja nicht ahnen, dass ich so schnell wie möglich nach Hause wollte, um mich für das nächtliche Unternehmen zu wappnen. Ich war furchtbar aufgeregt. Aber Hallen machte kehrt und ging zu dem Wahrsager zurück. Ärgerlich wippte ich mit dem Fuß und wartete ungeduldig, bis Hallen wieder zurück war. In der Hand trug er einen kleinen Anhänger, der aussah wie ein Stück vertrocknetes Holz. "Was hat er dir gegeben?" "Ein Amulett, sagt er. Soll vor bösen Geistern schützen oder so." "Du hast doch nichts von dem gekauft!" "Er hat es mir geschenkt!" "Ah so?" sagte ich verwundert und sah mir das komische kleine Amulett genauer an. "Und was soll das sein? Sieht aus wie ein Stück Rinde.." Er druckste und kratzte sich am Kopf, nahm das Amulett aber schnell an sich, als ich daran schnuppern wollte. "Ehm.. es ist eine Katzenzunge. Ein Katzenzungen-Amulett.." "Igitt!!! Das ist ja widerlich! Wirf das weg!" prustete ich und rieb mir die Hände an der Hose ab. Wie konnte Hallen so etwas Ekelhaftes annehmen? Naja, so war er eben. Konnte nie Nein sagen. Pfui Teufel! Aber Hallen warf die Zunge nicht weg, sondern steckte sie samt Lederband in die Hosentasche. "Man weiß ja nie, vielleicht bringt es ja wirklich was? Immerhin hat er vorhin gemeint, mir würde etwas Schlimmes zustoßen!" "Ach das ist doch nur ein Schauspieler! Der kann doch garnicht in die Zukunft sehen!" "Woher willst du das wissen? Sonst hätte er mir doch kaum was geschenkt!" "Das ist vielleicht ein guter Lügner, der weiß überhaupt nichts! Ich kann.." "Was? Kannst du mir etwa auch die Zukunft voraussagen?" lachte Hallen und war zwischen den Menschen verschwunden, bevor ich ihn zwischen die Finger bekommen konnte. Pah. Naiver Kerl, der glaubte noch diesem Marktgaukler, nur weil er furchtbare Geschichten verbreitete. Ich sah zurück zu dem Wahrsager, doch er war weg mit samt seinem Stand. Na siehste, dachte ich, jetzt ist es ihm aber heiß geworden hier. Kopfschüttelnd ging ich Hallen nach, der schon voraus in die Straße gelaufen war und dort auf mich wartete. [ # ] Die Nacht kam so langsam und schleichend wie eine Seuche. Ich konnte es kaum erwarten, zum See zu gehen und mich in die Tiefe des Wassers zu stürzen. Aber zuerst musste es dunkel werden und Hallen sollte wohl schlafen. Doch er war alles andere als müde und das ging mir gehörig auf die Nerven. Erst spielte er eine Weile auf seiner Flöte, dann wollte er noch ein paar mitgebrachte Suantis vertilgen und schliesslich wollte er noch über die Arbeit reden. Er habe ein neues Muster im Kopf, das er morgen unbedingt umsetzen wollte. Er zeichnete es mir auf und es war wirklich sehr schön. Aber dafür hatte ich jetzt keinen Kopf. Ich wollte weg. Demonstrativ ließ ich mich auf's Bett fallen und kuschelte mich unter die Decke. Mir fiel auf, dass mir ein wenig kühler geworden war jetzt am Abend. Das konnte nur bedeuten, dass ich keine Magie mehr hatte - also musste ich schnell wieder welche bekommen! Aber es dauerte und dauerte, bis Hallen endlich im Bett und schliesslich eingeschlafen war. So leise wie nur möglich machte ich mich also auf den Weg, diesmal mit Schuhen und einer Jacke. Aus der Vorstube lieh ich mir die Lampe des Meisters und schon ging es hinunter zum Fluß. Erstaunlicherweise gelang es mir ohne Probleme, den Weg bis zum See zu finden mit dieser eigentümlichen Karte, die mir der Magier gegeben hatte. Obwohl nur ein paar Striche und Symbole darauf waren, konnte ich sie an den richtigen Stellen deuten und ging so ganz wie von selbst durch den Wald. Natürlich brauchte ich etwas länger, da ich nicht so rennen konnte wie beim letzten Mal, aber meine Freude war unendlich groß, als ich endlich das Wasser mit den tanzenden "Glühwürmchen" vor mir sah. Diesmal allerdings wollte ich nicht mit aller Kleidung ins Wasser gehen, sondern zog sie aus und legte sie neben der Lampe ab. Die ersten Schritte ins Wasser waren so kalt, dass ich es mir fast anders überlegt hätte. Aber ich dachte daran, dass es schliesslich bald warm sein würde und gab mir einen Ruck, der mich vollends ins Wasser brachte. Zappelnd brachte ich meinen frierenden Körper in die Mitte des Sees und tauchte gleich nach unten ab. Und da war er. Der leuchtende Stein und die vielen vielen Lichter, die ihn umschwirrten. Sobald ich in ihre Nähe kam, surrten sie zu mir und schlüpften in meinen Körper. Sofort wurde mir wärmer und meine Lunge hörte auf zu drücken. Es war einfach nur herrlich. Ich konnte es kaum erwarten, den Stein zu berühren und sobald ich bei ihm war, legte ich mich darauf, umklammerte ihn wie ein Kissen und genoss die glitzernde Energie, die mich durchströmte. Es war so wundervoll warm und gemütlich, so süss und angenehm! Wie eine Feder strich die Energie durch meinen Körper, in jede Zehe, jede meiner Haarspitzen. Oh wie sehr liebte ich die Magie. War dies nicht das wunderbarste Gefühl der Welt? War nicht alles andere um mich herum egal? Einfach hierbleiben und geniessen, ich brauchte doch nichts auf der Welt als dieses schöne Gefühl! Einschlafen und nie wieder aufwachen aus diesem herrlichen Traum. [ # ] Das erste, was ich bemerkte, war die Dunkelheit. Oder halt, es war nicht ganz dunkel, meine Augen gewöhnten sich daran und ich konnte den Wald um mich erkennen. Der See lag zu meinen Füßen, still und dunkel. Ich stemmte mich auf die Ellbogen hoch und wäre fast wieder zurückgefallen. Meine Arme? Sie.. taten weh. Verdammt weh! Das konnte doch nicht sein? Was war denn passiert? Vorsichtig diesmal setzte ich mich auf und bemerkte, dass nicht nur meine Arme schmerzten. Auch meine Beine, meine Füße, der Bauch, mein Hals und vor allem mein Kopf. Alles pochte und schmerzte, dass jede Bewegung wehtat. Was um Himmels Willen war hier geschehen? Meine Kleider lagen immernoch ordentlich gefaltet neben der Lampe, deren Docht fast heruntergebrannt war. Aber, das bedeutete ja.. Die ersten Anzeichen waren die Geräusche im Wald. Noch bevor es hell wurde, begannen die ersten Vögel zu zwitschern. Hasen sprangen zum Seeufer und tranken, während die leuchtenden Funken unbehelligt zwischen ihren Ohren tanzten. "Es ist Morgen?" Nein, das konnte doch nicht sein! Hatte er hier etwa so lange geschlafen? Aber wieso? Ich war doch auf dem Grund des Sees gewesen und.. dort eingeschlafen. Auf dem Stein. Ich erinnerte mich daran. Aber.. wie war ich wieder nach oben gekommen? Mir war schrecklich heiß und meine Beine sackten fast in sich zusammen, als ich mich zwang aufzustehen und zu meinen Kleidern zu gehen. Ein Zettel lag auf dem Bündel. "Noch einmal helfe ich dir nicht. In 6 Tagen werde ich den Stoff bei dir abholen. Streng dich also an, nun bleibt dir nicht mehr viel Zeit. Und sei das nächste Mal nicht so gierig, du merkst ja, was du davon hast" Kapitel 5: Bei Nacht und Nebel ------------------------------ Bei Nacht und Nebel Der Tag war ein einziger Alptraum. Ich konnte mich kaum bewegen. Kaum war ich Zuhause angelangt, fiel ich todmüde ins Bett. Doch schon wenige Minuten später weckte uns die Tante erbarmungslos. Ich fühlte mich, wie ich mich nie mehr fühlen wollte: alles in meinem Leib schmerzte, ich war müde wie selten zuvor, nur kalt war mir nicht. Dafür heiß. Heiß, heiß, heiß. Ich wäre nackt zum Frühstück gegangen, hätte mich Hallen nicht genötigt, doch etwas anzuziehen. Nach dem Frühstück ging es sofort los in die Weberei. Das, worauf ich mich sonst immer gefreut hatte, war nun ein einziger Horror: Der Meister hatte zig Spezial-Aufträge für mich gehortet, die ich möglichst bald fertiggewebt haben sollte. Mein Gesicht zerfurchte sich mit jedem Zug, den ich am Webstuhl machte und bald fiel auch den anderen auf, dass ich ganz und garnicht in der Form war, meine Aufträge gut und schnell auszuführen. "Was ist los, Nanik? Du arbeitest so schnell wie eine Schnecke und präzise wie ein Ochse. Hast du gestern etwa getrunken?" fragte der Meister scharf und ich verneinte. "Dann streng dich gefälligst mehr an, sonst bist du bis zum nächsten Jahr nicht fertig! Du bleibst so lange hier, bis du diese hier zuende gebracht hast! Das Lob ist dir wohl zu Kopf gestiegen, was?" Das hatte gesessen. Aber ich bemühte mich doch, wo ich nur konnte, es ging einfach nicht schneller. Das Mittagessen selbst ließ ich ausfallen, doch ich würde es bis Einbruch der Dunkelheit trotzdem nicht schaffen. Ich biß die Zähne zusammen und ignorierte meine schmerzenden Arme, Finger und Beine, aber viel schneller ging es dadurch auch nicht. Mitleidig sahen mich die anderen Weberinnen an, denn sie wussten, was es hieß, wenn man das tägliche Soll nicht erfüllte. So nett mein Onkel vor zwei Tagen auch gewesen war, Faulheit ließ er niemals durchgehen und wenn jemand wegen eines Katers nicht arbeiten konnte, wurde der Kater eben hinausgeprügelt. Immerhin half mir Hallen bei einem großen Teil der Arbeit, als er sah, dass ich es auf keinen Fall schaffen konnte. Aber auf die Frage hin, was denn mit mir los sei, konnte ich ihm keine glaubwürdige Antwort geben. So arbeiteten wir stumm weiter bis die Nacht anbrach und die Lichter gelöscht wurden. Na, wenigstens hatten wir jetzt den Großteil fertig gemacht. Aber die Rute würde ich trotzdem zu spüren bekommen. Es würde sowieso keinen Unterschied mehr machen, denn vom Arbeiten taten mir jetzt die Arme und Finger so verdammt weh, dass kein Schmerz der Welt sie übertreffen konnte. Ich sollte mich irren. Mein Hintern glühte wie ein Bügeleisen und ich konnte kaum noch stehen, geschweige denn sitzen. Hastig wischte ich mir die Tränen aus den Augen, als ich zu Hallen ins Zimmer trat. Nein, liegen würde ich nicht mehr können. Hallen hatte großes Mitleid aber trösten konnte er mich kaum, denn ich wusste, was heute nacht noch auf mich zukommen würde. [ # ] Nur zwei Stunden später war ich wieder auf dem Weg. Diesmal ging alles furchtbar schleppend, ich brauchte über eine Stunde bis zum See und hätte mich beinahe verlaufen, weil ich mich nicht richtig konzentrieren konnte. Ich wagte gar nicht, den See zu betreten, der mir solche Qualen verursacht hatte. Wer sagte mir, dass es diesmal nicht noch schlimmer werden würde? Der Magier würde mir diesmal auch nicht wieder helfen, wenn ich es vermasselte. Aber was dann? Zweifelnd sah ich auf die Seeoberfläche und dachte daran, was passieren würde, wenn ich mich nicht mehr selbst zügeln könnte und mich ansonsten keiner von da unten hochholen würde. Könnte ich ertrinken? Einfach da unten einschlafen? Ich hatte eine großartige Idee. Ich band die Sukkerschnüre aus meinen Schuhen und sie mir um die Daumen. Sukker ist eine Art lebendiges Material, das sich auf die äusseren Einflüsse und Umgebungen anpasst. Bei Hitze wird es kühl, bei Nässe zieht es sich zusammen, bei Dunkelheit wird es weich. Ich konnte mir nie vorstellen, wozu dies gut sein könnte, aber jetzt waren sie perfekt für meine Rettung. Ich würde mir die Schnüre um die Daumen wickeln, damit tauchen und nach und nach würden sich die Bänder vor Nässe so sehr zusammenziehen, dass es wehtun würde und dann wüsste ich, dass es Zeit war, aufzutauchen. Also befreite ich mich von allem anderen und hüpfte in den See, der so wahnsinnig kalt war, dass mir fast das Herz stehenblieb. Mein Körper war den ganzen Tag so heiß gewesen und kühlte sich jetzt innerhalb von Sekunden ab, dass mir ganz anders wurde. Aber schon begannen die Daumen zu drücken und ich beeilte mich zum Stein zu kommen. Und meine Vorrichtung half. Kaum war ich eine Minute an den Stein geklammert, taten meine Daumen so entsetzlich weh, dass ich so schnell ich konnte nach oben stieß und die Schnüre zappelnd aufzerrte. Während ich so keuchend zum Ufer paddelte, schluckte ich eine Menge Wasser, doch langsam begann ich mich doch besser zu fühlen. Die Magie hatte nicht geschadet, es war genau die richtige Menge gewesen. Ich fühlte mich wieder ganz normal. Ich stieg aus dem Wasser und beeilte mich schlotternd in die Kleider zu kommen. Das nächste Problem wartete Zuhause auf mich. Ich hatte das Garn für den Magier in der leeren Scheune versteckt, wo ich es gestern Nacht in die Hütte bringen wollte. Jetzt aber war das Lager neu gefüllt mit allerlei Wolle, Garnzeug und Stoffen, die der Meister eingekauft hatte. Wie sollte ich denn jetzt an das Garn kommen? Zuunterst in einem Berg neuer Waren. Das konnte ich niemals alles alleine wegräumen. Vor allem würde Hallen davon aufwachen. Konnte er mir nicht dabei helfen? Aber er würde sicherlich Fragen stellen. Und wenn ich ihm einfach nichts sagte? Schliesslich war er mein bester Freund - er musste mir einfach vertrauen. Leise schlich ich mich zurück ins Zimmer und zögerte noch. Wenn Hallen etwas davon mitbekam, was ich vorhatte, wäre der Magier nicht begeistert. Aber ich könnte ja eine andere Geschichte erfinden. Dass ich Ärger bekommen würde, wenn ich das Garn nicht noch heute Nacht an einen Kunden abliefern würde. Es stimmte ja fast. Vorsichtig wackelte ich den dunklen Haarschopf hin und her, bis Hallen schläfrig murmelnd den Kopf hob. Ich hätte mit allerdings denken können, dass er mir meiner aufgetischten Geschichte einen höchst ungläubigen Gesichtsausdruck schenkt. "Was will dieser Kunde mitten in der Nacht mit unserem Garn?" Hallen schüttelte den Kopf aber stand auf, um mir zu helfen. Er im Nachthemd, ich noch frierend vor Nässe standen in der Scheune und hievten zusammen die schweren Stoffballen und Pakete zur Seite, wo ich meinen Schatz vermutete. Es ging auch tatsächlich schneller als ich dachte. Die sorgsam umwickelte Rolle stand noch am alten Platz und mir entfuhr mir ein Seufzer der Erleichterung. "Da ist es! Vielen Dank, Hal! Ohne dich hätte ich das bestimmt nicht geschafft! Jetzt muss ich aber so schnell wie möglich los!" Er sah noch immer nicht so aus, als würde er meiner Geschichte Glauben schenken, denn er sagt nichts und half mir, die anderen Stoffe wieder halbwegs ordentlich zu lagern. Dann klemmte ich das Garn unter den Arm und nickte Hallen zu, er solle wieder ins Bett gehen und nicht auf mich warten. Er rührte sich einen Augenblick nicht, dann zuckte er mit den Schultern und gähnte herzhaft. "Na schön, dann bis später.. mach nicht so lange, du musst morgen fit sein!" sagte er noch und verschwand wieder nach oben. Der Weg zum Stadtrand war nicht allzuweit, doch ich brauchte durch das zusätzliche Gewicht länger, als ich geplant hatte. Der Ballen war unangenehm schwer und ich musste immer öfter stehenbleiben, um ihn von einer Seite zur anderen zu wechseln. Unterwegs begegnete ich einem alten Mann, der mir neugierig hinterher starrte und zwei Frauen, die sich an einer Straßenecke leise und amüsiert unterhielten, als ich an ihnen vorbeischnaufte. Nach und nach wurde die Straße breiter, die Häuser drängten sich nicht mehr dicht an dicht, ich verließ den Stadtkern und bald darauf war ich am Stadtrand, wo nur noch vereinzelt ein paar Häuser standen. In keinem von ihnen brannte Licht, alles schlief seinen wohlverdienten Schlaf. Nur ich lief keuchend über die Straße, weiter noch hinaus, dort, wo die Schäfer ihre Weiden und Behausungen hatten. "Endlich.." Ich hatte die besagte Hütte erreicht. Die Tür quietschte leise, als ich sie auftrat und muffige Dunkelheit schlug mir entgegen. Mit einem Stöhnen ließ ich zuerst den Ballen auf den Boden fallen und bewegte meine schmerzenden Schultern. Dann versuchte ich etwas in diesem Dunkel zu erkennen, doch nur ganz leichte Schemen zeichneten sich von der Finsternis ab. Zum Glück hatte ich wenigstens an eine Kerze gedacht, die ich vorsichtig entzündete. Der Anblick war sehr ernüchternd. Der Webstuhl, den mir der Zauberer versprochen hatte, war alt und knarrte bei den ersten paar Bewegungen. Das Schiffchen klemmte auch etwas. Das Ding war kein Vergleich zu den Webstühlen, die bei meinem Onkel in der Weberei standen. Und auf diesem Ding sollte ich in der kurzen Zeit etwas Wundervolles vollbringen? Etwas verzweifelt stellte ich die Kerze ab und widmete mich wieder dem Garn. Es war wirklich herrlich. So weich, so glänzend und anschmiegsam.. Ich sollte mich lieber beeilen und das Garn auf den Rahmen spannen! Die Prozedur des Vorbereitens dauerte zum Glück nicht lange, schließlich war ich schon ziemlich geübt darin, neue Garne aufzuspannen bei unseren Weberinnen. Obwohl ich mir schon dachte, dass es wahrscheinlich eine Plackerei werden würde, konnte ich kaum erwarten, loszulegen. Kaum stand alles bereit, begann ich auch schon zu schießen. Das Garn war wirklich unglaublich, es legte sich fast wie von selbst und war so geschmeidig, dass ich die Maschen kürzer fassen konnte. Es würde ein wundervolles Stück Stoff werden! Eine Stunde später war ich soweit, ein Muster festzulegen. Es sollte schließlich etwas besonderes sein und ich überlegte, wie ich es am Besten anstellen könnte. Mir kam kurz ein Bild in den Kopf. Im nächsten Moment schon war klar: So und nicht anders. Voller Eifer stürzte ich mich auf den Webstuhl, der knarrte und knarzte unter meiner Arbeit. Die Scharniere qietschten, das Gestell klackerte mit jedem Zug und trotz des hängenden Schiffchens ging mir die Arbeit schneller als je zuvor von der Hand. Ein Zug, ein Schub, eine Reihe, meine Finger wurden immer schneller. Irgendwann dachte ich gar nicht mehr nach, meine Kopf war wie leer und der Stoff wuchs und wuchs. Ich war mittlerweile mindestens so schnell wie die Weberinnen meines Onkels. Reihe um Reihe türmte sich auf, das Muster lief wie von selbst durch den wachsenden Stoff, kein einziger Fehler unterlief mir während der ganzen Arbeit. Meine Gedanken waren überall, nur nicht in diesem Raum. Aber ich konnte im Nachhinein nicht mehr sagen, an was ich gedacht hatte. Überhaupt fiel es mir schwer, mich an die einzelnen Arbeitsabläufe zu erinnern. Ich wusste hinterher nur noch, wie mein Blick verschwommen wurde und ich trotzdem weitergemacht hatte, ohne ein einziges Mal daneben zu greifen, wie ich meine Finger vor Geschwindigkeit nicht mehr erkennen konnte, es war wie eine Sucht. Und ich ließ mich einfach darin fallen. Als ich für einen kurzen Moment inne hielt, weil die erste Garnspule leer gelaufen war, erschrak ich. Helles Licht drang durch die Ritzen der groben Holztür und mit einem Mal hörte ich draußen die Vögel zwitschern. Ich sah zur Kerze, die vollständig heruntergebrannt war und dann sah ich zu dem Stoff, der aus dem Garnballen entstanden war. Ich war absolut sprachlos. Überwältigt vor Ehrfurcht wagte ich kaum diesen schimmernden, seidigglatten Stoff zu berühren. Es musste über ein Meter gewebter, fertiger Stoff sein! Und was für einer! Glatter und geschmeidiger als reine Seide, leichter als das feinste Leinen und mit dem schönsten Muster verziert, das ich je gewebt hatte. Doch die Zeit ließ mich aufschrecken, ich sollte schon längst wieder zuhause sein! Der Meister würde mir den Kopf herunterreißen, wenn ich schon wieder zu spät käme! Ich konnte mich nicht erinnern, dass die Zeit so schnell vergangen war, ich hatte mit vielleicht drei Stunden gerechnet, aber ich hatte wohl über die doppelte Zeit an dem Stoff arbeiten müssen. Eilig spannte ich alles aus und verstaute den Stoff mit dem restlichen Garn in die hinterste Ecke der Hütte. Den Weg durch die Stadt rannte ich im Dauerlauf. Ich kam genau fünf Minuten bevor meine Tante uns aus dem Bett scheuchte. Hallen hatte zum Glück tief geschlafen und mein Reinkommen nicht gehört. Auch, als ich mich ausgezogen und ins Bett gelegt habe. Nur um ein paar Momente danach wieder aus demselben gerüttelt zu werden. "Los los, ihr Langschläfer! Raus aus den Betten, es gibt Frühstück!" Endlich eine gute Nachricht. Ich war hungrig wie ein Löwe, da ich seit gestern morgen nichts gegessen hatte und verdrückte die dreifache Portion wie sonst. Meine Tante lachte und gab mir einen Klaps auf den Hinterkopf, aber Hallen runzelte die Stirn. "Überfress dich nicht, sonst bist du zu faul zum Arbeiten. Du weißt, es liegt noch ne ganze Menge davon für dich bereit" Ja, das hatte ich mir fast gedacht. Die Bestellungen nahmen noch immer kein Ende. Obwohl ich nicht übermäßig müde war, fiel mir die Arbeit am Webstuhl deutlich schwerer als sonst. Nicht, weil ich diesmal zu langsam war, aber mir fehlte die Lust daran. Meine Muster waren einfallslos. Ich machte mehr Fehler als sonst in die Stoffe. Und Hallen, der neben mir saß, brachte die Sache nach der Mittagspause auf den Punkt. "Du webst wie ein Toter." "Wie kommst du denn darauf?" "Dir macht das überhaupt keinen Spaß mehr, das sieht man." "Ach, was du wieder denkst! Mir tun halt von gestern noch die Arme weh" murrte ich, aber ich wusste, dass er Recht hatte. Mir machte es heute wirklich keinen Spaß. Und so war ich froh, als dieser müßige Tag sich dem Ende neigte. Mein Soll hatte ich erfüllt, wenn auch mehr schlecht als recht, aber der Meister war zufrieden damit. Vielleicht hatte er auch noch ein schlechtes Gewissen wegen gestern. Er meinte, dass jeder mal einen schlechten Tag haben könnte. Aber mein Tag begann schließlich erst. Kaum war es dunkel, drängte es mich zum See. Aber Hallen musste erst schlafen und ich war freudig überrascht, als er meinte, er wäre heute so müde, ob es mir etwas ausmachen würde, schon früher zu schlafen. "Ist mir recht, ich bin heute auch noch nicht so gut drauf" "Musst du auch nicht wieder irgendwas abliefern und wechst mich mitten in der Nacht?" "Nein nein, keine Sorge!" "Na dann, schlaf gut." Kapitel 6: Das Nachtgarn ------------------------ Das Nachtgarn Den See fand ich mittlerweile sogar ohne Karte. Der Mond schien hell genug, um auch ohne Lampe durch den Wald zu finden. Aber es war mühseelig wie immer. Ich fragte mich, ob es an der Magie lag, dass der Rückweg immer viel schneller vonstatten ging, als der Hinweg. Sicherlich. Oh, Magie.. heute würde ich sie wieder richtig spüren! Nicht so wie gestern, als sie nur meine Schmerzen gelindert hat. Heute würde ich wieder bersten vor Stärke und Kraft! Die freudige Erwartung trieb mich diesmal etwas furchtloser in das eisige Wasser. Zur Sicherheit hatte ich den Daumentrick wieder angewandt und blieb diesmal ebensolange unter Wasser wie letztes Mal. Aber der Unterschied war gewaltig. Schon im Aufsteigen hatte ich bemerkt, welche Kraft in meinen Füßen steckte. Die Kälte des Wassers prallte einfach von mir ab. Die Magie in mir schmiegte sich wohlig und warm in meinem Körper und als ich an die Oberfläche kam, war die Luft wie ein zusätzlicher Antrieb. Mit ein paar Zügen war ich am Ufer, ich liebte dieses Gefühl sofort. Den Fuß auf den Waldboden zu setzen, die Blätter zu spüren, den Wind zu hören, die Tiere und Pflanzen zu riechen. Alles war so unglaublich intensiv. Ein letzter Funke Magie, der mir übers Wasser gefolgt war, schlüpfte in meine Haut und ich musste unwillkürlich lächeln. Plötzlich hörte ich ein leises Geräusch, viel zu leise, als dass ich es hätte vorher hören können, aber meine Sinne waren so scharf, dass ich lauernd die Augen durch die Büsche streifen ließ. War mir etwa jemand gefolgt? Nie im Leben, ich hätte ihn bemerken müssen! Woher kam das Geräusch? Da! Da war es wieder! Mein Kopf zuckte zur Seite und meine Augen starrten auf einen kleinen Igel, der raschelnd zwischen den Blättern nach Schnecken suchte. "Du hast mich aber ganz schön erschreckt, mein Kleiner! Ich werd noch richtig ängstlich hier!" Schnell zog ich mich wieder an und wie erwartet war der Rückweg viel schneller und leichter. Auch der Weg bis zur Hütte schaffte ich in einem Tempo, das ich mir selbst nie zugetraut hätte, und noch dazu ohne kaum ausser Atem zu sein. Oh, wie freute ich mich jetzt auf's Weben! Ich bestückte den Webrahmen so hastig, dass ich fast den Faden zerrissen hätte und rief mich selbst zur Ruhe. Jetzt einen Fehler einbauen würde die ganze schöne Arbeit zunichte machen! Und ich begann zu weben. Besser gesagt nicht ich, meine Hände. Schon nach kürzester Zeit fingen sie wieder an zu fliegen, zu verschwimmen, wie Schemen. Ich war längst über dem Tempo unserer besten Weberin und es wurde immer schneller. Der Stoff rutschte immer weiter, die Maschine klackerte irgendwann nicht mehr, sie schien eingelaufen zu sein. Aber selbst das bekam ich nur am Rande mit. Dieses Gefühl des Neben-Sich-Stehens war an diesem Abend noch viel intensiver als am gestrigen. Ich konnte kaum einen klaren Gedanken fassen, sie verschwammen genauso wie meine Hände. nach einer Weile musste ich mich sogar zwingen zu blinzeln, meine Augen wurden trocken und sahen doch nichts. Aber ich musste auch gar nichts mehr sehen. Ich hatte das Gefühl, die Magie in mir webte schon ganz alleine. Schneller, schöner und präziser, als ich es je gekonnte hatte. Als flösse diese wunderbare Kraft durch meine Finger direkt in das Garn, das sich selbst webte. [ # ] Ich traf Hallen beim Frühstück. Er fragte nur kurz, ob ich schon früher aufgestanden wäre und gab sich mit einem Ja zufrieden. Ich setzte mich neben ihn und aß, was das Zeug hielt. ich hatte noch nie einen so unbeschreiblichen Hunger gehabt. Wie in der Nacht zuvor, hatte ich erst bemerkt, dass es hell war, als die Spule leergelaufen war. Nur diesmal war ich etwas zu spät gekommen, um wieder ins Bett zu schlüpfen, meine Tante erwischte mich gerade beim Ausziehen und ich war froh, dass sie dachte, ich würde mich gerade anziehen für's Frühstück. Und nun füllte ich meinen Magen, der so unglaublich leer war, dass es fast schon wehgetan hatte. Obwohl ich diesmal am Abend etwas gegessen hatte, bevor ich zum See gegangen war. Aber schließlich strengte das Weben ja auch mehr an als nur Schlafen. Wie sehr mich das nächtliche Weben angestrengt hatte, bemerkte ich erst gegen Mittag. Nachdem ich dem Meister beim Maßnehmen eines jungen Adligen geholfen hatte, wurde ich wieder an den Wegstuhl verfrachtet, um den Stoff dafür zu weben. Ein feiner, glänzender Stoff. Aber nicht annähernd so schön und seidig wie das nächtlich gewebte Garn, einfach kein Vergleich. Aber trotzdem ein weit schönerer und vor allem teurerer Garn als das, was wir normalerweise hier verarbeiteten. Sonst freute ich mich riesig über einen solchen Auftrag, denn der junge Adlige hatte schon viele seiner Kleidungsstücke hier anfertiggen lassen und war begeistert von meinen Webarbeiten. Aber heute fehlte mir jeglicher Antrieb. "Das Beste vom Besten, keine Frage!" hörte ich meinen Meister schwärmen und klopfte mir heftig auf die Schulter, dass ich wohl anfangen sollte. Etwas träge bespannte ich den Rahmen und konnte mich kaum dazu durchringen, mein Werk zu beginnen. Und warum? Nicht nur, weil ich dazu keine Lust hatte. Mir fehlten Ideen. Das Beste vom Besten war in meinem momentanen Zustand das schäbigste der ganzen Weberei. So saß ich nur vor dem Webstuhl und starrte auf den leeren Rahmen. Aber mir fiel nichts ein. Kein Muster, kein besonders schöner Schliff, nichts. Mein Kopf war wie leer. "Was ist denn los, Nanik? Fällt dir nichts ein?" "Natürlich fällt mir was ein! Ich will nur etwas ganz Besonderes machen!" fuhr ich Hal an, der besorgt auf meinen noch immer unberührten Webstuhl sah. Auf seine Sticheleien konnte ich gut verzichten, ich hatte schließlich ganz andere Sorgen. Vielleicht war auch das Problem, dass ich so schnell wie möglich zum Stadtrand wollte. Den Stoff für den Magier weben. Das wollte ich. Magie fühlen! Aber sie war längst verbraucht. Der letzte Rest dieser Magie hielt mich den Tag über wach, solange, bis ich neue geschöpft hatte. Aber alles andere in mir verlangte nach Schlaf, Ruhe und vor allem Entspannung. Aber selbst das wollte ich nicht. Ich wollte ja weben - nur nicht hier. Ich versuchte mich zu erinnern, welches Muster ich in den Stoff des Magiers gewebt hatte, aber je länger ich nachdachte, desto weiter rückte es in die Ferne. Ich konnte mich nicht einmal mehr daran erinnern, wie es ausgesehen hatte! Und jedes andere Muster, das ich je gewebt hatte, war wie verschwunden. Eine leere Stelle, ein verschwommener Teil auf dem Stoff. Was passierte hier? "Naja.. also wenn dir nicht auf die Schnelle etwas total Geniales einfällt, kannst du auch das hier weben.." Hal streckte mir ein Stück Papier hin. Es war ein wirklich sehr schönes Muster darauf gezeichnet. Hal hatte es mir vor ein paar Tagen schon einmal gezeigt. Es war längst nicht so schön wie das des Magierstoffes, aber im Moment kam es mir vor wie eine Blume unter Dornen. "Hal, das ist wunderschön! Aber das wolltest du dir doch aufsparen für einen ganz besonderen Stoff?" Aber mein Freund zuckte mit den Schultern und hielt es mir weiter hin. "Ich mach mir ein neues. Na los, nimm schon, bevor du Ärger bekommst. Wenn du weiter wartest, wird der Meister ganz schön sauer werden.." Ich griff das Papier und machte mich sofort an die Arbeit. Nur keinen Ärger bekommen. Ärger bedeuteten Schläge und Schmerzen bedeutete Schmerzlinderung im See. Keine Überschuß-Magie. Der Unterschied war schließlich mehr als deutlich gewesen. In der letzten Nacht hatte ich etwa doppelt soviel geleistet wie die Nacht zuvor. Ich kam zwar gut vorran, doch eine Verzögerung konnte ich mir trotzdem nicht mehr leisten. Je mehr Magie ich speichern konnte, desto besser. Also webte ich, was das Zeug hielt. Der Meister war beschwichtigt, mein Soll erfüllt. Nicht halb so gut wie sonst, aber es reichte. Hallens Muster riß den Stoff ein gutes Stück heraus. [ # ] Die Nacht verlief wie geschmiert. Am See wagte ich diesmal eine etwas größere Portion Magie aufzunehmen, schaffte es aber im kritischen Moment abzuspringen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass je ein Mensch so schnell gelaufen war. Die Kerze flackerte etwas bei der Arbeit aber das machte nichts. Mittlerweile war ich fast soweit zu glauben, dass ich sogar blind weben könnte. Meine Finger oder das flitzende Schiffchen konnte ich sowieso nicht mehr erkennen. Aber das musste ich auch nicht. Meine Hände bewegten sich von alleine, meine Augen waren wie erstarrt, sie folgten der hin- und herhuschenden Garnbahn nicht einmal mehr. Die Magie war stärker denn je, floß weicher und doch kräftiger als sonst in das Stück Stoff. Der fertige Stoff rutschte so schnell aus dem Rahmen, dass er fast lebendig wirkte. Gegen Ende der Nacht, als der Morgen gerade graute, bemerkte ich die leere Spule. Ich hielt mit weben inne und bemerkte pochende Kopfschmerzen. Ich versuchte tief durchzuatmen, doch im gleichen Moment fuhr ein scharfer Schmerz in meinen Bauch, gefolgt von einem ungeheuren Knurren und Grollen. Mir wurde augenblicklich schlecht. Ich musste heftig blinzeln, um meinen Blick scharf zu stellen und stand auf, um schnell die Sachen wegzupacken. Doch ich hatte mich noch nie so elend gefühlt. Es war etwas ganz anderes wie vor ein paar Tagen, als ich von der Magie geschunden worden war. Es war das andere Extreme. Diese Schmerzen, dieses Unwohlsein kam von meinem Körper selbst. Er beschwerte sich, protestierte. Beim Aufstehen fühlte ich meine Beine kaum, sie zitterten, wie der Rest vom Körper. Ein unmenschlicher Durst kroch meine Kehle hoch. Ich musste sofort etwas trinken, etwas essen! Ich war regelrecht am Verhungern! Aber hier war nichts. Deshalb packte ich so schnell wie es nur ging den Stoff zusammen und machte mich auf den Heimweg. Doch schon unterwegs wusste ich, dass ich etwas essen musste. Bis zum Frühstück, das gut noch fast zwei Stunden dauern würde, könnte ich niemals warten. An einem Brunnen stillte ich den größten Durst, doch mein Magen stach noch immer bei jedem Schritt schmerzhaft. Er grollte auch eben so laut, dass ich fast Angst haben musste, damit jemanden aufzuwecken. Als ich gerade zuhause ankam, lief jemand über den Hof. Verwundert, wer zu der Stunde schon wach war, verfolgte ich die Person mit den Augen und umso verdutzter war ich, als ich sah, wie dieser Jemand zur Scheune ging und darin verschwand. Ich überlegte, ob ich ihm nachgehen sollte, aber mein Magen drängte mich unerbittlich zur Speisekammer meiner Tante. Bevor ich nicht etwa gegessen hatte, konnte ich niemanden verfolgen.. Daraus sollte leider nichts werden. Ich war wirklich sehr leise gewesen, als ich das Haus betreten hatte. Auf Zehenspitzen durch den Gang geschlichen, durch die Küche bis zur Speisekammer. Und kaum hatte ich das erste Würstchen im Mund, als es urplötzlich hell wurde. "Nanik! Was bei allen Göttern machst du hier?! Um diese Uhrzeit in der Speisekammer!" Ich fuhr dabei so zusammen, dass ich mich bei der Wurst verschluckte und solange keine Luft mehr bekam, bis Tante Gilda ihren Zorn überwunden hatte und mir herzhaft auf den Rücken schlug. Tränend und immernoch sterbenshungrig musste ich nun der Tante erklären, warum ich mich nachts in ihrer Speisekammer herumtrieb. Ich faselte etwas von Alpträumen und großen Hunger und sie ließ sich erweichen. Zumindest versohlte sie mir nicht sofort den Hintern. "Der Hunger kann noch bis zum Frühstück warten! Über Nacht verhungert man schließlich nicht! Ab mit dir ins Bett oder ich erzähle deinem Onkel, wo ich dich gerade erwischt habe! Und morgen früh reden wir beide mal ein ernstes Wörtchen!" Ihre Worten sollten mich mahnen, aber die Gefahr von meinem Onkel wieder geprügelt zu werden war in dem Moment erträglicher, als mein Hunger. Deshalb tat ich etwas, das sonst niemals passiert war und gegen das ich mich immer gesträubt hatte. Ich wusste, meine Tante mochte mich sehr gern. Und wäre da mein Onkel nicht, wäre sie wahrscheinlich weniger streng mit mir. Aber nie hätte ich daran gedacht, das einmal ausnutzen zu wollen. Aber jetzt blieb mir keine andere Wahl. Ich begann zu weinen. "Tante Gilda, bitte.. ich.. ich hatte wirklich solche Angst! Überall waren Wellen, üerall Wasser! Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen und bin herumgelaufen bis jetzt! Und jetzt habe ich solchen Hunger, dass ich glaube, ich verhungere! Bitte, Tante Gilda! Sag ihm nichts und gib mir was zu essen, bitte, oh bitte!!" Tante Gilda sah mich entsetzt an. So hatte sie mich wahrlich noch nie erlebt. Bevor ich weiterschluchzen konnte, hatte sie mich schon an sich gedrückt und fuhr mir beruhigend übers Haar wie man es bei Kindern macht. Tante Gilda hatte einmal zwei Jungen gehabt, die jedoch beide beim Spielen im Fluß ertranken. Seitdem hatte sie mich ganz besonders unter ihre Obhut genommen, was mir bis jetzt allerdings sehr unwohl war. Ich mochte ihre mütterliche Herzlichkeit nie, weil ich wusste wieso sie sich jetzt auf mich fixierte. Ihre beiden Söhne konnte ich früher im Nämlichen auch nicht leiden. Jetzt aber zog ich meinen Nutzen daraus, dass sie in mir einen Ersatz für ihre beiden Jungs sah. Sie war jetzt nicht die Frau meines Arbeitgebers, jetzt war sie meine liebende Tante, die besorgt um ihren kleinen Schatz war. "Mein Gott, Junge.. es ist doch alles gut! hab keine Angst, es war nur ein böser Traum.. Schon gut, Nanik. Ich wusste ja nicht.." sie stockte im Satz und streichelte um so heftiger weiter. "Beruhige dich erstmal. Ich hol dir was zu essen, ja? Und dann gehst du schön ins Bett. Ich werde später mit deinem Onkel reden, damit er dir heute frei gibt... ach Kind, du siehst wirklich furchtbar aus!" bemerkte sie noch, als sie mich ansah und mir die Haare aus dem Gesicht strich. Ich kam mir so schäbig vor, ihre gutmütige Ader auszunutzen. Vor allem ihr schlechtes Gewissen. Aber ich hatte einfach keine Wahl, ich war zu hungrig! Während sie mir Brot, Wurst, Käse und einen großen Becher Milch brachte, warf sie mir immer wieder besorgte Blicke zu. Ich fragte mich, ob ich wirklich so schlimm aussehen konnte, wie sie den Anschein machte. Heißhungrig stopfte ich das Essen in mich hinein und Tante Gilda musste mir noch zwei Mal Nachschub holen, bis ich endlich meinen großen Hunger gestillt hatte. Ich hätte noch viel mehr essen können, aber ich wollte es nicht übertreiben. Gilda sah mir mit wachsender Alarmierung zu, wie ich diese Unmengen von Lebensmittel in mich hineinschlang. "Junge, du ißt schon seit ein paar Tagen so viel.. ich mache mir allmählich wirklich Sorgen um dich. Wo ißt du das alles überhaupt hin?" Ich konnte ihr keine Antwort geben, das machte sie nur noch sorgenvoller. "Ich weiß nicht... vielleicht wachse ich ja gerade.." "Möglich.. aber das habe ich so noch nie erlebt. Mein Junge, wenn du dich nicht wohl fülst, musst du es mir sagen, versprochen? Nicht, dass du krank wirst!" "Versprochen Tante Gilda.. und danke für das Essen.. es war wirklich schlimm.." "Das hab ich gesehen. Unglaublich, dass du solchen Hunger hattest! Ich glaube, du solltst morgen wirklich im Bett bleiben. Ich mache dir dann eine Suppe. Dein Onkel bringt sein Geschäft auch einen Tag ohne dich zum Laufen!" Sie lächelte entschieden und ich war ihr wirklich dankbar für den Vorschlag. Zum einen hatte ich sowieso keine Lust zum Arbeiten und die Ruhepause würde meinem Körper auch guttun. Ich fühlte ihre warme Umarmung und war froh, als sie mich wieder ins Bett schickte. Hallen schlief, als ich zur Tür hereinkam. Ich erinnerte mich an die Gestalt, die vorhin hier hereingelaufen war und überlegte, ob er es wohl gewesen war. Aber was hätte Hallen nachts draussen machen sollen? Vielleicht war er ja in der Nacht aufgewacht und hatte gesehen, dass ich nicht da war und wollte mich suchen. Hoffentlich war Hallen nicht auch die ganze Nacht auf gewesen. Der würde später sicher auch nicht gerade hellwach bei der Arbeit sitzen. Aber vielleicht war es ja gar nicht Hal gewesen? ... Womöglich war es der Magier gewesen, der mich gesucht hatte? Schnell schlüpfte ich ins Bett und war keine zwei Minuten später eingeschlafen. Kapitel 7: Der Fluch des Amuletts --------------------------------- Der Fluch des Amuletts Tante Gilda hatte Wort gehalten. Am Morgen, also eine knappe Stunde später, holte sie mich und Hallen aus dem Bett zum Frühstück. Allerdings nur, weil sie sah, dass ich bereits wach war, Hallen hatte sich derart bewegt im Bett, dass ich immer wieder davon aufgewacht war. Zudem wollte die Müdigkeit nie lange anhalten. Und das Frühstück würde mir auch guttun. Ich ließ mir Zeit beim Anziehen und Hallen, der schneller fertig war und auf mich wartete, musterte mich lange. "Mit dir stimmt was nicht, oder?" fragte er schließlich, als ich meine Füße in die durchgelaufenen Schuhe zwängte. Ich sah nicht auf, als ich meine Geschichte von gestern abend wiederholte, allerdings ohne das Theater, das ich bei Tante Gilda veranstaltet hatte. Hallen gab keinen Kommentar und so sah ich doch hoch, um in seinem Gesicht abzulesen, ob er das nun glaubte oder nicht. Er tat es natürlich nicht. "Nanik.. hast du schonmal in den Spiegel geschaut? Du bist..." Er unterbrach sich und legte seine ebene Stirn in viele Falten, als suchte er angestrengt nach einem Wort, das passend für mich wäre. Ich wurde ärgerlich, als er nicht weitersprach und winkte ab. Konnte ja sein, dass ich etwas übermüdet aussah, immerhin hatte ich seit Tagen nicht mehr geschlafen. Aber es kam schließlich häufiger vor, dass einer von uns morgens noch ziemlich verpennt aussah. Trotzdem nahm ich mir vor, im Vorbeigehen einen Blick in den Spiegel zu werfen. Was ich aber dann vergaß. Mein Magen knurrte schon wieder wie ein wildes Tier. Hallen wunderte sich wieder, als ich beim Frühstück wie gewohnt eine übermäßige Portion verdrückte und immer noch Brot und Käse in mich hineinschaufelte, als die anderen schon fertig waren mit Essen. Mein Onkel funkelte mich etwas mürrisch an, sagte aber kein einziges Wort und ich wusste, dass Tante Gilda ihren Wunsch durchgesetzt hatte, mich heute im Bett zu lassen, denn er drängte mich nicht beim Essen. Als die anderen dann aufstanden und sich zu ihren Arbeitsplätzen begaben, kaute ich gerade an meinen letzten paar Bissen Brot. Ich war gerade mal satt geworden, nicht überfressen. Unglaublich für meine Verhältnisse, ich hatte in den letzten paar Tagen so viel gegessen wie sonst in mehreren Wochen. "Wie geht's dir, Nanik? Fühlst du dich ein bisschen besser? ... Am Besten gehst du sofort wieder ins Bett, du bist ganz blass!" Auf ihrem Gesicht stand die Sorge geschrieben und ich bemühte mich, nicht allzu kläglich dreinzuschauen, was aber nichts an ihrem Gesichtsausdruck änderte. Sie bestand weiterhin darauf, dass ich das Bett hüten sollte und wenn ich ehrlich war, kam mir das gerade recht. Bald schon darauf kuschelte ich mich ins warme Bett und freute mich auf einen sehr angenehmen, entspannenden Tag. Viel Schlaf, keine Arbeit, Ruhe und Entspannung. Leider fehlte mir ersteres, denn ich konnte nicht einschlafen. Hellwch lag ich im Bett und jedes Mal, wenn Tante Gilda zu mir hereinschaute, war sie besorgter, weil ich nicht tief und fest am Schlafen war. Sie dachte wohl, mich quälten wieder Alpträume. Beim letzten Besuch hatte sie eine heiße, lecker duftende Suppe hinterlassen, die ich sofort auflöffelte. Kaum zu glauben, dass ich schon wieder leichten Hunger verspürte. Stunden später, zur Mittagszeit, schaute Hallen bei mir vorbei und wünschte mir eine gute Besserung. Er meinte auch, dass ich schon besser aussehe, als heute morgen. Er sagte das, als wäre ich ein alter Mann auf dem Sterbebett, der noch ein paar weitere Tage zu leben erwarten könnte. Als Hallen gegangen war um weiterzuarbeiten, stand ich auf, denn schlafen konnte ich sowieso nicht. Jetzt endlich kramte ich in der alten Kommode und holte einen Handspiegel heraus, den wir sonst nur benutzten, wenn wir uns fein machen mussten für einen hohen Besuch. Normalerweise scherten wir uns nicht sehr um verstrubbeltes Haar oder verknitterte Kleider, oder ob jemand von uns ein bisschen Kreide im Gesicht hatte. Jetzt aber ineressierte mich mein Aussehen doch. Und als ich mein Spiegelbild erblickte, hätte ich den Spiegel fast fallen gelassen. Die Schatten unter meinen Augen waren so dunkel und so tief, dass ich glaubte einen Geist zu sehen. Obwohl hier drinnen gedämpftes Licht herrschte, konnte ich sehen, dass meine restliche Haut unnatürlich bleich war. Und irgendwie... Ich betastete meine Wangen und bemerkte, dass sie nicht mehr so weich waren wie sonst. Ich konnte sogar den Knochen sehen, der wie ein leichter Hügel aus meinem Gesicht ragte. Was war denn jetzt los? Hatte ich so sehr abgenommen? Ich sah an mir herunter und es kam mir wirklich vor, als hätte ich an Gewicht verloren. Aber das war doch unmöglich, so viel wie ich in letzter Zeit gefuttert hatte? Kein Wunder sorgte sich Tante Gilda so um mich.. [ # ] Langsam aber sicher wurde ich dann doch schläfriger. Ich vertrieb mir die Zeit solange mit Nachdenken. Hauptsächlich dachte ich daran, welche Abenteuer ich erleben könnte, wenn ich erst ein Magier wäre. Mit Kaleb, dem Magier auf Wanderschaft gehen. Menschen helfen, Unheil vernichten, Anerkennung bekommen. Oh ja, als Magier hatte man es in diesem Land sehr gut. Keiner würde es wagen einem Magier die Gastfreundschaft zu versagen, ein Magier konnte alles verlangen und würde es bekommen. Der Meister hätte ihm mit Freuden eine ganze Scheune unserer besten Stoffe überlassen, denn der Dank eines Magiers ist mit keinem weltlichen Besitz aufzuwiegen. Beliebt und bewundert, von Pöbel und Adel gleichermaßen! Wie toll musste es nur sein, sich alles zu schaffen, wozu man Lust hatte? Ich konnte die nächsten drei Nächte kaum erwarten. Kurz vor dem Abendessen verfiel ich in einen leichten Schlaf, Tante Gilda würde mich nach dem Abendessen wecken, wenn sie des Essen zu mir hochbringen würde. Und tatsächlich, als ich das nächste Mal aufwachte, sah ich in ihr rundes, zufriedenes Gesicht, das mich anlächelte. "Na endlich bist du wach. Du hast bestimmt einen Bärenhunger! Ich hab dir extra die doppelte Portion hochgebracht!" Sie strich mir über den Kopf und sah bei Weitem nicht mehr so besorgt aus wie noch heute Mittag. "Du hast dich prächtig erholt! Der Schlaf scheint dir wirklich gut getan zu haben. Aber jetzt iß, sonst wird es noch kalt!" Ich hatte wirklich großen Hunger, wenn er auch nicht mehr so stechend war wie letzte Nacht. Auch fühlte ich mich sehr viel besser. Meine Arme fühlten sich wieder kräftig an und Tante Gilde bestätigte, dass ich längst nicht mehr so blass aussah, wie vorher. Erfreut fing ich an zu essen, doch schon nach der Hälfte war ich schon fast zu satt. Ich würde den Rest aufheben und heute Nacht mit zum Webstuhl nehmen, falls ich wieder solch elendigen Hunger bekommen sollte. "Oh, du bist endlich wach? Na so ein Glück ich hatte mir schon Sorgen gemacht!.. du siehst auch viel besser aus, Nanik!" Hal warf ein Bündel Stoff in die Ecke und setzte sich neben mich aufs Bett. "So lange hab ich nicht geschlafen, ich lag die meiste Zeit wach.. Aber ich fühl mich trotzdem gut!" Es irritierte mich, dass Hal den Kopf energisch schüttelte und grinste. "Natürlich hast du lange geschlafen! Eine Nacht und fast einen Tag lang. Tante Gilda meinte, dir würde der Schlaf sicher gut tun und dass dich keiner wecken sollte. Und wie man sieht, hat es dir wirklich nicht geschadet." Ich war wie vom Donner gerührt. Was? Eine Nacht? Und einen Tag dazu? "Aber.. ich bin doch.." Ein leiser Anflug von Panik mischte sich in meine Gedanken, die fieberhaft das Gehörte verarbeiteten. Ich hatte die Nacht verschlafen?! Die paar Minuten wie ich dachte, waren 24 Stunden gewesen?! Hal lachte ob meiner Verwirrung und ich starrte ihn an wie ein Geier. Wie.. konnten sie mir das antun?! "Warum hat mich denn keiner geweckt?!" schrie ich so plötzlich, dass Hal erschrocken aufsprang. Sein Lachen verstummte jäh, als er sah, wie aufgeregt ich wurde und sofort aus dem Bett sprang. Ich lief zum Fenster und starrte hinaus. Die Sonne verschwand hinter einem milchigen Schleier, der über dem Horizont hing. Einen ganzen Tag! EINE NACHT!!! Ich hatte schon wieder eine Nacht verloren! Das könnte ich nie wieder aufholen!! "Verflucht Hal!! Wieso hast du mich nicht geweckt?" fuhr ich meinen Freund an, der immer mehr Distanz zwischen uns legte und mich entsetzt anstarrte. "Aber du warst so tief im Schlaf, wir dachten du brauchst das und... iiieeehhaa!!! Lass mich los! Aua!! Was ist denn los mit dir?! Du tust mir weh!!" Hallen schrie vor Angst, als ich mich voller Zorn auf ihn gestürzt hatte. Er wusste ja nicht, was er getan hatte! Vielleicht hatte er meinen größten Traum zerstört! Mein ganzes weiteres Leben! Die Chance, ein Magier zu werden! Und das nur, weil sie sich um meine Gesundheit sorgten, die ihnen doch sonst auch schnuppe gewesen war! "Nein!! Das darf nicht wahr sein! Warum habt ihr das getan, das ist nicht fair!!" Ich war wie von Sinnen. Ich musste sofort los. Ich musste die verlorenen Nacht aufholen! Ich ließ Hallen los, der sofort zu Boden rutschte und nach hinten wegstob. So wie ich war, ohne Schuhe, ohne Essen rannte ich los. "Nanik? Nanik!! Wo willst du hin?! Bleib hier, was ist denn los mit dir?" [ # ] Es war kaum halb dunkel und eine Weberin, die auf dem Heimweg war, sah mich an den Hofhäusern vorbeijagen und rief mir etwas nach, das ich aber ignorierte. Ich musste so schnell wie möglich zum See, so schnell wie möglich an den Webstuhl! Im Nachhinein verfluchte ich meine Hast, denn der stachlige, steinige Waldboden malträtierte meine Füße, bis sie so sehr schmerzten, dass es mir fast die Tränen in die Augen trieb. Aber ich rannte wieiter, bis meine Lunge so sehr stach, dass ich einige Minuten gehen musste. Völlig fertig kam ich an den See. Erst jetzt wurde mir das Ausmaß meiner Dummheit bewusst. Ohne Schuhe keine Schnürsenkel. Ich hatte heute abend keinerlei Absicherung. Ich musste es also schaffen, mich rechtzeitig vom Stein loszureißen. Alles oder nichts, das war es, was ich hier machte. Ich hätte mich wirklich ohrfeigen können! Und dann auch noch so unvorsichtig sein, loszulaufen, wenn es noch hell war. Die Weberin hatte gesehen, dass ich in Richtung Fluß gelaufen war. Wenn sie das meiner Tante erzählen würde... Tante Gilda würde sofort zum Fluß laufen um mich zu suchen und jeden Mann mitnehmen, den sie fassen konnte. Sie würde vielleicht denken, dass ich sie ebenso verlassen hätte wie ihre Söhne. Den Weg zum See würden sie wahrscheinlich schwerlich finden. Und wenn, wäre ich bis dahin schon längst an meinem Webstuhl. Die Magiefunken würden sie ganz sicher wie ich für Glühwürmchen halten.Trotzdem.. ein unnötiges Risiko! Sie würden heute nacht auf mich warten... mich vielleicht einsperren in der nächsten Nacht.. Mein Kopf war voller Panik. Trotzdem beeilte ich mich nun, in den See zu kommen. Es war kälter als sonst, mein Körper so erhitzt vom Laufen erteilte mir einen Kälteschock und ich musste ein paar Momente innehalten, um meinen hetzenden Puls zu beruhigen. Dann tauchte ich ab. Meine Schläfen pochten heftig, meine Lunge verlangte viel zu früh nach Luft. Nur mit Mühe schaffte ich es zum Stein, der mir in freudiger Erwartung eine ganze Wolke Magie entgegenschickte, um mein Unwohlsein zu mildern. Tatsächlich war es gleich schon viel angenehmer, meine Lunge beruhigte sich, das Pochen wurde leiser und verschwand schließlich. Meine brennenden Fußsohlen prickelten angenehm und nichts weiter blieb als ein warmes, weiches Gefühl. Ich drückte mich an den Stein und genoss diese unendliche Sanftheit und Wärme, die mich sofort erfüllte von Kopf bis zu den Zehen. Aber mein Kopf blieb klar. Noch konnte ich meine Gedanken unter Kontrolle halten, obwohl sie immer zuversichtlicher wurden. Das sanfte Fließen durch meinen Körper spürte ich schon bald nicht mehr. Alles wurde leicht, eine große Erleichterung machte sich in mir breit. Ich hatte keine Sorge. Die Arbeit würde ich mit Links schaffen und die Belohnung war mir gewiss. Aber ich war schon zu lange hier. Irgendwann sollte ich dann doch anfangen zu weben. Mit diesem Gedanken riß ich mich widerstrebend los von dem Stein und trudelte zur Oberfläche. ich fühlte mich zum Bersten voll mit Energie. So viel, dass ich das Gefühl erst einmal verkraften musste. Ich glaubte, aus allen Nähten zu platzen. Hätte ich Zeit gehabt, ich hätte versucht ein paar Bäume auszureißen. Aber so verlegte ich mich auf etwas anderes - Laufen. Einem galoppierenden Pferd gleich preschte ich durch den Wald, in unglaublich kurzer Zeit war ich schon am Waldrand und musste mein Tempo scharf zurücknehmen und in Deckung gehen. Fackeln loderten in der Nacht und erhellten das nahe Flußufer. Mindestens drei Leute liefen umher und schrien, einen davon hätte ich fast nicht gesehen, er kam so nah an mir vorbei durch die Büsche, dass ich mich hinter einen dichten Strauch ducken musste. Auch das noch! Meine Befürchtung hatte sich bestätigt. Die Weberin hatte gepetzt und nun suchte mich Tante Gilda, ich konnte ihr Rufen hören, das weiter flussabwärts zu uns herüberscholl. Ich wartete ungeduldig, bis der Suchende an mir weit genug vorbei war, dann schlich ich mich ungeheuer leise an ihm vorbei. Den anderen Fackelträgern auszuweichen, war nicht ganz so leicht, ich musste schliesslich eine ebene Fläche überqueren, die keinerlei Sichtschutz bot. Ich beschloss auf Risiko zu gehen und lief geräuschvoll aus dem Wald. Jemand rief zu mir herüber, ob ich etwas gefunden hätte. Ich bemühte mich, meine Stimme zu verändern, was ertaunlich gut klappte - ich hätte mich selbst fast nicht wiedererkannt! "Nein, nichts! Und bei euch?" "Auch nichts.. der arme Junge!" "Ja.. ich werde weiter oben weitersuchen!" "Schrei, wenn du was findest!" "In Ordnung!" Zum Glück war mein Gesprächspartner zu weit weg, als dass er mich erkannt hätte, der Lichtschein endete ein ganzes Stück vor mir. Ich hob kurz die Hand und machte mich auf den Weg zurück in die Stadt. Weiter oben fiel mir auf, wie gut diese List geklappt hatte. So etwas hätte ich mir sonst gar nicht zugetraut. Ich war, zugegeben, ein klein wenig stolz auf meine Leistung. Und nun ging ich auch etwas bedachter vor. Obwohl ich geradezu strotzte vor Energie, war ich dennoch sehr bedacht, so wenig Geräusche wie möglich dabei zu machen. Auch in der Stadt begegnete ich stellenweise dem ein oder anderen Suchtrupp, aber hier auszuweichen war deutlich leichter, ich musste mich lediglich hinter einer Hauswand verstecken oder in eine Gasse schlüpfen. Am Stadtrand war niemand. Keiner kam auf den Gedanken mich so weit weg zu vermuten, was mir auch sehr gelegen kam. Ich rannte deshalb wieder ohne Rücksicht und war, kaum losgelaufen, auch schon am Ziel. Jetzt konnte ich meine Energie endlich ausleben. In Windeseile war der Rahmen gespannt und ich begann zu weben. Zuerst sehr langsam, das Schiffchen ging mir nicht so recht von der Hand, aber ich vermutete, dass es daran lag, dass ich eine Nacht ausgesetzt hatte. Trotzdem machte ich munter weiter. Aber nach ein paar weiteren Minuten erkannte ich, dass es nicht daran lag. Das Weben ging so schleppend, wie es mir normalerweise auf solch einem Webstuhl von der Hand gegangen wäre. Was machte ich falsch? Ich spürte doch die Magie in mir? Aber sie wollte nicht fließen, sie wollte nicht heraus. War ich doch zu lange an dem Funkenstein gewesen? War wieder etwas passiert, das mich jetzt behinderte, anstatt mir zu helfen? Oder lag es gar an diesem blöden alten Webstuhl? Verärgert über diese Entwicklung hielt ich inne und wusste nicht wohin mit meiner Kraft. Ich schlug mit der flachen Hand gegen die Wand neben mir und erschrak, als beim Aufprall ein grellglühender Blitz aufzuckte und mit meinen Ärmel versengte. Meiner Hand aber war nichts geschehen. Magie! Das war Magie gewesen! Ich hatte gezaubert! Ich war so erregt von dieser Erkenntnis, dass ich fast meine Arbeit vergessen hätte. Aber es war einfach zu unglaublich! Ich hatte eine Blitz gezaubert! Mein erster Zauber... unglaublich! Dieses Gefühl machte mich ungeheuer stolz und ich schwor mir, nach der Arbeit weiterzuzaubern. Wenn es einmal klappte, dann funktionierte es auch noch öfter! Aber zuerst musste ich die Magie dazu bekommen, mit mir weiterzuweben. Was mir auch beim nächsten Versuch nicht gelang. Ich hätte beinahe den Rahmen zertrümmert vor Wut. Aber die Wut wurde schnell zur Verzweiflung. Irgendwas war hier verkehrt! Ich hatte doch Magie und konnte sie benutzen, also warum nicht an diesem vermaledeiten Webstuhl? Ich konnte doch keinen anderen nehmen! Und wieso sollte er jetzt auf einmal nicht mehr funktionierten? Etwas knarrte hinter mir und ich erschrak zu Tode. Eine riesige Gestalt stand im Türrahmen und beobachtete mich mit funkelnden Augen. Ich stolperte zurück und fiel über den Stützbalken des Webstuhls, landete hinterrücks auf dem Hosenboden und rappelte mich sofort wieder auf. Aber die Gestalt war weg. Die Türe war zu. Mir fiel auf, dass die Tür kein einziges Mal geqietscht hatte, obwohl sie das jedesmal sehr ausgiebig zu tun pflegte, wenn ich sie öffnete oder schloß. Hatte ich mir das eingebildet? Bevor ich mich allerdings vergewissern konnte, ob es jetzt Einbildung oder Wirklichkeit gewesen war, entdeckte ich etwas, das meine Aufmerksamkeit bannte. Unter dem Webstuhl, hinter den Stäben, also unsichtbar, wenn man direkt davorsaß, aber gut sichtbar, wenn man wie ich dahinter auf dem Boden lag, hing etwas, das hier nicht hingehörte. Jemand hatte hier etwas mit einer Schnur um den Balken gebunden. Ich griff danach, aber sobald sich meine Hand diesem Etwas näherte, glühte es auf und wurde so heiß, dass ich mir die Finger verbrannte, obgleich ich es nicht einmal angefasst hatte. Was war das? Noch ein Zauber? Ich holte die Kerze und hob sie so dicht es ging an dieses festgezurrte Ding. Es sah so aus wie ein Stückchen trockene Rinde, etwas verknorrt und verdreht. Als ich noch näher sah, wurde mir heiß und kalt gleichzeitig. Keine Rinde. Es war Hallen's Katzenzungen-Amulett. [ # ] Ich versengte mir noch zwei Mal die Finger bei dem Versuch, das Amulett vom Webstuhl zu lösen. Mir war sofort klar, dass dieses Ding dafür verantwortlich war, dass ich nicht mehr weben konnte. Ich musste das Amulett loswerden. Ich wollte gar nicht daran denken, wie es dort hingekommen war. Hallen war also hier gewesen. Er hatte das Ding da unten hingebunden, um mich am Weben zu hindern. Aber warum? Woher wusste er, was er zu tun hatte? Woher wusste er überhaupt von dieser Hütte? Wahrscheinlich war er mir doch nachgeschlichen.. dieser elende Kerl! Und das wollte mein Freund sein? Warum hinderte er mich daran, meinen Auftrag zu erfüllen?! Neidisch war er, er gönnte mir nicht meinen freien Wunsch! ".. oh warte... wenn ich dich in die Finger bekomme, Hal!" zischte ich und wäre Hal jetzt hier gewesen, ich hätte ihm den Hals herum gedreht! Ich schlich zur Tür und riß sie mit einem Zug auf. Aber draußen war niemand. Auch entdeckte ich nicht Hallen, noch sonst jemanden, als ich um das Haus schlich. Ich war mit meinem Problem allein. Wieder unter dem Webstuhl funkelte ich das Amulett böse an. Wer hätte gedacht, dass wirklich Magie in diesem albernen, ekelhaften Anhänger steckte? Dann war wohl dieser alte Tattergreis ein wirklicher Magier gewesen. Ein wirklicher Wahrsager? .. hatte er nicht über mich etwas gesagt? Naja.. wenn, dann hatte ich es vergessen. Tatsache war, dass dieser fremde Magier mein Feind war. Er wollte mich aufhalten. Wenn dieses seltsame Amulett wirklich magisch war, wer sagte dann, dass man es nicht mit Magie auch wieder lösen könnte? Aber ich hatte keine Erfahrung, nicht mal die kleinste! Ich wusste nicht, was ich tun oder sagen sollte, um dieses Teil vom Balken zu lösen, ich konnte nur ausprobieren. Und das tat ich auch. Ich versuchte krampfhaft, mich an vorhin zu erinnern, als ich diesen Blitz gemacht hatte. Meine Hand hatte da auch keinerlei Schmerz verspürt oder war angesengt worden. Wenn ich das wieder hinbekäme, so könnte ich vielleicht das Band lösen, ohne meine Finger zu verkohlen. Ich brauchte länger als eine Stunde, um diesen Zufall zu wiederholen. Ich merkte mir ganz genau, was ich tat. Ich brauchte Wut. Ich musste sie auf ein Objekt lenken und mit aller Konzentration meine Gedanken einengen, bis sie nur noch in eine Richtung verliefen. Und dann zuschlagen. Ein weiterer Blitz verließ meine Finger und knallte gegen den Lehmboden, der daraufhin dampfte. Meine Augen glänzten vor Aufregung. Ich sah meine Hände zittern. Aber trotzdem musste ich lächeln. Ich hatte es geschafft, ich konnte meine Magie kontrollieren! Diesmal würde ich es direkt an dem Amulett probieren. Es war nicht schwer, meinen Zorn auf diesen Anhänger zu lenken, der schliesslich der Grund für allen Ärger war! Viel schneller, als ich dachte zuckte der Blitz und ich erschrak dabei. Ein weiteres Mal, diesmal darauf bedacht, diesen Blitz nicht von meiner Hand zu lassen, gefangen zu halten. Ruhig, vorsichtig, mein Hass steigerte sich langsam. Meine Hand begann zu glühen. Ich zwang mich, nicht daran zu denken, sondern weiterzumachen und wahrlich, es funktionierte! Kleine Flämmchen züngelten von meiner Hand und als ich sie ausstreckte, das Amulett zu greifen, loderten sie auf! Ich fasste das Amulett, das grell glühte, ärgerlich und blendend strahlte, aber meine Hand fasste es, ich fühlte nicht mehr als ein Stich wie mit einer Nadel, riss an dem Anhänger, der sofort nachgab. Ich warf den Anhänger gleich zu Boden, wo er verglühte und nicht mehr zurückließ als ein winziges Stück verkohlter Haut. Ich hatte es geschafft! Aber ich verschob meine Freude auf später, es drängte mich zum Weben. Und kaum saß ich diesmal auf dem Webstuhl, floß das alte, vertraute Gefühl. Das Schiffchen huschte, das Garn webte, meine Finger verwischten vor meinen Augen, so dass ich irgendwann gar nicht mehr hinsah. [ # ] Ein leises Pochen drang in meinen Geist. Es fiel mir schwer, ihm zu folgen. Irgendwer rief einen Namen. War es mein Name? Er klang so seltsam. Ich wollte sehen, wer da rief, aber meine Augen ließen sich nicht öffnen. Das Dunkel wurde weicher und ich stellte mit einer seltsamen Ergebenheit fest, dass meine Augen schon offen waren. Das Dunkel wirbelte und ich fühlte, dass etwas mit meinem Körper geschah. "Nanik! Nanik, komm zu dir! Wach auf, bitte!!" Ich kannte diese Stimme. Sie war hoch und schrill und bereitete mir augenblicklich Kopfschmerzen. Ich strengte meine Augen mehr an und aus dem finsteren Düster wurde nach und nach ein schwammiges Dämmerlicht. Hallen schüttelte mich wie irre und rief immer wieder nach meinem Namen. Ich wollte ihn anbrüllen, er sollte seine Klappe halten, aber meine Kehle machte nicht mit, sie war wie Sandpapier. Ich musste mich begnügen, mit den Augen zu rollen. Hallen hielt inne und senkte seine Stimme, wofür ich ihm auch sehr dankbar war. Allmählich erkannte ich die Umgebung wieder. Ich lag auf dem Boden der alten Hütte, neben mir der Webstuhl. Hallen bemühte sich gerade, mich etwas aufzusetzen. Jeder Zug war wie, als ob er mir meine Glieder ausreiße. Ich stieß ihn beiseite und stützte mich auf die Arme. Sie klappten sofort ein und ein gequälter Schrei kam über meine Lippen. "Nicht! Bleib liegen! Nanik, du... es ist etwas Furchtbares passiert! Du musst etwas trinken, schnell!" Er hielt mir eine Schüssel Wasser vor's Gesicht. Trinken. Wasser. Ich riss es ihm aus der Hand und schüttete das Wasser gierig in meinen Mund, meine Lippen brannten, meine Kehle juckte. Wieder versuchte er mich hochzuziehen, aber diesmal konnte ich mich besser verständlich machen. "Nimm die Finger weg!! Lass mich in Ruhe!!" schrie ich ihm entgegen, aber er zog weiter an mir, drückte mich gegen den Webstuhl und griff nach der Schale, um weiter Wasser einzufüllen. Ich sah ihn mit brennenden Augen an. Sein Gesicht war vor Angst und Entsetzen verzerrt, sein Körper zitterte ununterbrochen. Er verschüttete die Hälfte des Wassers beim Eingießen und wagte nicht, mir ins Gesicht zu sehen. Ich spürte selbst, dass etwas nicht in Ordnung war. Mein Körper fühlte sich hart und unangenehm an, steif und kalt. Meine Arme ließen sich kaum heben, kaum konnte ich mich darauf stemmen, um mich bequemer hinzusetzen. Hallen drückte mir hastig die Schale in die Hand, ich sah, dass sie voller Blut war. Noch während ich in gierigen Zügen das Wasser einsog und das Stechen meines Magens alles bisher dagewesene überbot, fiel mein fahriger Blick an den Webstuhl. Der Stoff lag schimmernd und seidig-weich in der Ablage. Ich hatte ein wahnsinniges Pensum geschafft! Ich hatte die verlorene Nacht fast eingeholt, kein einziger Fehler war zu sehen. Und doch fiel mein Blick auf das kleine, verkohlte Etwas, das nicht weit neben mir auf dem Boden lag. "Du... du Verräter! Du gemeine, kleine Ratte!! Wegen dir bin ich nicht so weit gekommen! verfluchter Bastard!!!" kreischte ich und rappelte mich auf, soweit es meine Schwäche in allen Gliedern erlaubte. Hallen rutschte in Panik vor mir davon, ich warf mit der Wasserschale nach diesem verfluchten Hund und wurde nur noch zorniger, als er daraufhin schrie. "Nanik!! Bitte hör auf, du bist ja ganz irre! Merkst du nicht, was das Ding aus dir gemacht hat?!" Unbändiger Zorn, gebündelt und geleitet auf einen einzigen Punkt... "Arrrgh!!!" Der Schmerz zerriß in meiner Hand und kletterte rasend schnell den Arm hinauf. Bevor das Feuer sich durch den Stoff gefressen hatte, wurde es erstickt. Der Schmerz in meinem Arm machte mich rasend. Ich zerrte und trat, schlug so lange auf den weichen Körper ein, bis er mit einem quälenden Laut von mir rollte. Hallen hustete verkrampft und seine Augen waren nass, als er wieder zu mir aufsah. Ich hatte mich auf die Beine gestellt, sie waren schwächlich und ich musste mich am Webstuhl festklammern, um nicht einzuknicken. "Verschwinde! VERSCHWINDE!! Na los!! Sonst..!!" "Nanik, komm doch zu dir!" Hallen atmete schwer, ich hatte ihm wohl mit meinen Tritten eine Rippe zertrümmert. Er versuchte aufzustehen, umklammerte dann jedoch seinen Brustkorb. Ich konnte dabei zusehen, wie der Schmerz in seinem Oberkörper zunahm. "Sieh doch, was du hier tust! Ich.. ich wollte dir doch nur helfen! Der Wahrsager hatte recht! Er meinte, du würdest in Lebensgefahr sein!" "Du.. hast auf diesen dreckigen Marktnarren gehört?! Ich webe hier, verflucht!!! Dein verdammter Neid hätte mich fast um den Auftrag gebracht!!" Schon allein der Gedanke daran machte mich so wütend, dass ich Lust bekam, gleich noch einmal zuzutreten, dieses Mal in sein schönes, hässliches Gesicht, mit dem er mich so flehend anschaute, dieser verlogene Hurensohn!! "Der Auftrag bringt dich um!" heulte dieses Miststück und streckte mir den Taschenspiegel zu, den er mitgebracht hatte. "Schau, was diese Arbeit mit dir gemacht hat!" Ich zertrat den Spiegel auf seiner Handfläche. Er schrie wie am Spieß und heulte dann wie ein kleines Kind. Dieser Narr! Wenn ich die Macht dazu hätte, ich würde ihn in einen mickrigen Wurm verzaubern! Oder in eine Schlange, eine hinterhältige, verdorbene Schlange! Nur sein Neid war größer als seine Angst! Wenn ich erst Magier wäre, würde er seinen Dank schon noch bekommen! Ich fühlte meinen unbändigen Hunger immer deutlicher. Auch der Durst meldete sich erneut. Ich ließ diese Mißgeburt nicht aus den Augen, als ich seine Sachen durchwühlte. Er hatte Brot dabei, Käse und ein Stück Wurst, drei Äpfel und Birnen. Sofort stopfte ich alles in mich hinein, während Hallen mich aus entsetzt geweiteten Augen dabei beobachtete. Hielt sich seine blutende Hand an den zitternden Leib. Er durfte nicht gehen. Er würde Tante Gilda holen und den Onkel. Und noch mehr Menschen. Sie würden mich nicht weiterweben lassen. Hallen musste hierbleiben. Nein, nicht hier, er würde schreien und die Hütte stand zu nah noch an der Straße. Den ersten Hunger gestillt fixierte ich Hallen, der es zu seinem Glück nicht wagte, noch etwas zu sagen. Schlange. Der Morgen stieg milchig über die Berge. Hunger. Durst. Kraft. Ich wollte meine Kraft wiederhaben. Ich musste zurück in den See. Ich konnte nicht bis heute abend warten! Und Hallen? Sie würden ihn ganz sicher auch vermissen. Und suchen. Ich konnte ihn nicht mitnehmen. Also würde er hierbleiben, bis ich wissen würde, was ich mit ihm machen sollte. "Los, geh! Verschwinde, und komm niemals wieder!!" schrie ich Hallen an, der zögerte, sich dann zu besinnen schien und schnell zur Tür rutschte. Kaum war die Tür auf und Hallen drehte sich um, griff ich nach dem Webstuhl und warf ihn unter Aufbringung jeglicher Kräfte nach dem Verräter. Es krachte, der Stuhl traf Hallen an der rechten Schulter, der Körper kippte mit einem Schmerzensschrei nach vorne, es polterte, als der helle Kopf gegen den Türrahmen prallte. Fast anmutig fiel der Rest von ihm auf den Boden und blieb dort regungslos liegen. Ich atmete heftig, nicht nur wegen der Anstrengung. Im Nachhinein tat es mir fast leid. Selbst wenn Hallen eifersüchtig gewesen war, es war hart, ihn so zu behandeln. Immerhin war er jahrelang mein Freund gewesen. Ich hoffte, dass er nicht zu heftig getroffen worden war und dass ausser einer Beule nichts davon bleiben würde. Was musste er sich auch in Dinge einmischen, die ihn nichts angingen? Mühselig zog ich Hallen wieder in die Hütte zurück und zog ihm das Hemd über den Kopf. Ich zerriss es in kleine Streifen und band ihn an den Händen zusammen. Die wiederrum zurrte ich an den hinteren Teil des Webstuhls, wo er nichts anstellen konnte, sollte er wach werden. Mit dem Rest formte ich einen Ballen und drückte ihm Hallen in den Mund. Ein Band drumherum und niemand würde ihn hier hören. Ich sah ihn mir noch einmal genauer an, konnte aber kein Blut ausmachen. Vorsichtig stand ich auf und musste meine ganzen Kräfte zusammennehmen. Hunger. Durst. Kraft. Ohne noch einmal zurückzublicken machte ich mich auf den Weg zum See. Kapitel 8: Schlangenbisse ------------------------- Schlangenbisse Die Kälte kam mir seltsam unwirklich vor, als ich mühselig und langsam durch den Wald schritt. Meine Fußsohlen waren zerstochen und brannten. Ich hätte Hal's Schuhe nehmen sollen. Aber die Aussicht auf die Magiedusche ließ mich den momentanen Schmerz erdulden. Es war wohl die längste Reise durch den Wald, die ich je unternommen hatte. Immer öfter musste ich Pausen einlegen, mein Leib zitterte, drohte allen Moment zusammenzubrechen. Aus Vorsicht, einem der suchenden Leute zu begegnen, hatte ich einen weiten Bogen gemacht um den Fluß. Ein Wunder, dass ich mich tatsächlich zurechtfand, da ist diesmal aus einer etwas anderen Richtung kam. Aber es bereitete mir erstaunlich wenig Probleme, vielleicht war noch ein Rest Magie übrig geblieben, der mir den richtigen Weg zeigte. Am See endlich angekommen, erwartete mich eine Überraschung. Auch hier fand ich nun bei Licht ganz deutliche Spuren von Hallen. Zertretenes Gras hinter einem Gebüsch, ein paar seiner hellen Haare an einem störrischen Strauch. Ich hatte mich also vor ein paar Tagen doch nicht wegen eines Igels aufgeregt. Warum hatte Hallen mich nie darauf angesprochen? Wenn er doch alles schon gewusst hatte.. Der See war spiegelglatt, ein paar einsame Magiefunken tanzten über der Oberfläche, waren aber ungemein schwerer zu erkennen als nachts. Ich streckte gerade meinen Fuß ins Wasser, als mir mein Spiegelbild auffiel, das durch die kleinen Wellen etwas verzerrt wurden. Ich kniete mich hin, um mein Gesicht zu betrachten. Der Anblick war verstörend. Es war noch viel schlimmer geworden seit dem Blick in den Handspiegel. Meine Augen lagen in tiefen Höhlen und glommen darin wie dunkle Sterne. Meine Wangenknochen traten jetzt so deutlich hervor, als hätte jemand die bloße Haut über den Knochen gespannt. Mein Hals erschien mir so dünn, al könnte er kaum meinen Kopf tragen! Und meine Haare... was war nur mit meinen Haaren passiert?! Ich wagte kaum mir mit den Fingern durchzufahren. Es waren so wenige! Was sollte das? Warum waren mir die Haare ausgefallen? Die paar Strähnen hingen schlaff und dünn am Kopf, dass ich aussah wie ein unfertiger Puppenkopf. Aber ich sollte mich deshalb nicht aufregen. Deshalb war ich schließlich hier. Vielleicht würde ich mir in ein paar Tagen schon die schönste Haarpracht zaubern können. [ # ] Der Stein leuchtete mir von Weitem schon entgegen und ich empfand die gewohnte Freude, als ich die Hände an den Stein legte und meinen Körper mit der ersehnten Magie versorgte. Ich nahm auf, soviel ich mir zumuten konnte und stieg gemächlich wieder auf. Es war eine gute Idee gewesen, zuerst hierher zu kommen. Ich verspürte weder Hunger noch Durst. Die Magie hatte all meine Bedürfnisse gestillt, keine Schmerzen, keine Schwäche. Ich fühlte mich frisch und kräftig, meine Gedanken waren ebenso schnell wie meine Schritte. Ich musste zu Hallen zurück. Mir fiel auf, dass ich erst jetzt wieder klar denken konnte. Was ich getan hatte. Hal hatte Recht gehabt, ich hatte mich heute morgen völlig vergessen. Ich war so voller Zorn und Hass gewesen, dass ich nicht bemerkt hatte, was ich eigentlich anstellte. Meine Güte, Hallen war schliesslich mein bester Freund! Wahrscheinlich hatte er mir wirklich nur helfen wollen. Aber er verstand das natürlich nicht. Wie sollte er auch, vielleicht hätte ich genauso reagiert, wenn er an meiner Stelle sich so seltsam verhalten hätte, wie ich in seinen Augen. Ich hoffte von ganzem Herzen, dass Hal nichts passiert war. Ich überlegte weiter, was ich mit ihm machen sollte. Nach alledem konnte ich nicht von ihm verlangen, freiwillig weiter bei mir zu bleiben, bis morgen nacht der Stoff fertiggewebt und der Magier kommen würde, um ihn abzuholen. Danach konnte alle Welt erfahren, was ich gemacht hatte, ich würde ja doch nicht mehr da sein. Denn mein Wunsch festigte sich immer mehr. Kaleb der Magier sollte mich ausbilden und mitnehmen. Das ist es, was ich mir wünschen würde. Und danach könnte ich Hal endlich alles erklären, meiner Familie, Tante Gilda, die sicher schon ganz verzweifelt war, nachdem sie erst mich und dann auch noch ihr zweites Goldstück Hallen verloren hatte. Ich wäre so froh, wenn denn alles schon vorbei wäre... [ # ] Die Tür quietschte, der helle Kopf zuckte erschrocken und senke sich zwischen die Schultern. Es tat mir unendlich leid ihn so zu sehen, ich hätte ihn nie so behandeln dürfen, egal wie wütend! Er hatte jetzt bestimmt wahnsinnige Angst vor mir.. "Hal?" fragte ich leise, um ihn nicht noch weiter zu ängstigen. Ich ließ mich auf die Knie und zog meinem Freund den Knebel aus dem Mund. Er begann tief Luft zu holen, stockte aber mitten im Atmen und zitterte wieder. Er wagte nicht, mich anzusehen. "Hal, es tut mir leid, ich bin..." "Du warst wieder im See?" Ich dachte nicht, dass er so einfach zugeben würde, mir nachspioniert zu haben. Ich fragte mich immer noch, wieso er mich nie darauf angesprochen hatte, wenn er doch alles schon vorher gewusst hatte. Und warum war er letzte Nacht hierher gekommen? "Woher weißt du davon?" fragte ich so sanft ich konnte, doch ich bemerkte, dass er sich am Liebsten immer weiter in sich verkriechen wollte. "Ich bin dir nachgegangen.. vor ein paar Tagen. Ich war am See und hab dich da gesehen.. du bit so lange unter Wasser geblieben, ich wäre dir fast nachgesprungen. Aber dann kamst du raus und da war dieses eine Glühwürmchen.." Oh, ich erinnerte mich. Ja, als ich dieses Ding das erste Mal in meiner Haut verschwinden sah, dachte ich auch ich würde verrückt.. "Und dann bist du losgerannt, ich konnte dir nicht folgen.." Richtig. Nach dem magischen Bad war ich immer schnell wie der Wind aus dem Wald. Plötzlich fiel mir ein, dass ich in der Nacht, als ich so hungrig gewesen war, jemanden in die Scheune habe gehen sehen! Also war es doch Hallen gewesen.. Himmel.. er hatte die ganze Nacht dazu gebraucht, den Rückweg aus diesem Wald zu finden... "In der nächsten Nacht bin ich dir hierher gefolgt.. und hab gesehen was du machst.. und was passiert ist mit dir, während du gewebt hast.. und in der Nacht darauf hast du durchgeschlafen. Ich habe den Wahrsager gesucht.." Ich hörte mir an, was Hal beim Wahrsager erfahren hatte. Gefahr, böses Omen, rette deinen Freund. Ich konnte es Hal kaum verübeln, dass er mich davon abhalten wollte, weiterzumachen. Ich an seiner Stelle hätte genau dasselbe getan. Aber er wusste eben zu wenig! Er wusste nicht, was es für mich bedeutete, Magiebegabter zu sein! Dass ich diesen Wunsch brauchen würde, um ein richtiger Magier zu werden. Dass ich dafür auch gerne die Nacht durcharbeitete. Das würde Hal nicht verstehen, aber ich durfte ihm nichts verraten darüber. Noch nicht. In einem Tag und zwei Nächten würde das alles vorbei sein. Allein das verriet ich ihm. Aber er schüttelte nur schwerfällig den Kopf, er schien ihm noch weh zu tun. "Nanik, bis dahin wirst du dich kaputtgearbeitet haben.. als ich dich heute morgen wachgerüttelt habe.. du warst wie tot! Ohnmächtig! Deine Hände, deine Finger voller Blut! Hats du dich angesehen? Du bist ein Gespenst!" Hal wurde lauter, obwohl er immer noch eine Riesen-Angst vor mir hatte. Aber ich würde ihn nicht schlagen, denn er hatte recht. Vielleicht hatte ich so heftig gearbeitet, dass ich die Besinnung verloren hatte. Aber es lohnte sich so unendlich für mich. Nur konnte ich das Hal nicht erklären. "Es ist alles in Ordnung. Ich weiß, was hier passiert. In zwei Tagen ist alles vorbei und ich werde der glücklichste Mensch der Welt sein, Hal! Gönne mir das doch! Ich bin bereit, dafür Opfer zu bringen, wirklich!" "Und wenn das Opfer dein Leben ist?" Hal flüsterte nur noch, ich hörte, wie er zwischen den Worten weinte. Wie gerne hätte ich ihm erzählt, was da vor sich ging. Seine Freundschaft ging mir sehr nahe. Obwohl ich ihn so brutal zusammengeschlagen hatte, versuchte er doch immer wieder, mich zu schützen. Aber vor was denn, Hallen. Ich hatte mir diesen Auftrag selbst zuzuschreiben und musste damit leben. Ich seufzte und senkte den Kopf. "Ich... ich werde weitermachen. Nur noch zwei Nächte Hallen. Kannst du solange bei mir bleiben?" Zum ersten Mal seit ich hereingekommen war, hob er den Kopf und sah mich an. Seine rechte Seite, Auge, Schläfe und Wange waren dunkel und geschwollen, seine Augen feucht und verheult. Er warf mir einen fast schon flehenden Blick zu. "Lass mich gehen.. bitte.." hauchte er und neue Tränen rannen ihm über die Backen. "Ich lasse dich dann gehen, wenn du mir hoch und heilig versprichst, dass du nicht versuchen wirst mich aufzuhalten! Weder du noch sonst irgendjemand!" Das war ein großes Risiko, aber ich wusste, dass Hallen sich lieber die Zunge abbeißen würde, als jemals zu lügen. Er schwieg. "Hallen! Versprich es mir! Komm mir hier nicht mehr in die Quere! Du bist mein Freund und ich weiß, ich kann dir vertrauen!" "Und du bist mein Freund und ich lasse dich nicht einfach im Stich!" "Oh bitte! Du lässt mich im Stich, nein, du verrätst mich, wenn du mich daran hinderst meinen Traum zu verwirklichen!" "Ich kann nicht! Du siehst das nicht, was mit dir passiert! Ich wünschte du könntest es einmal miterleben, wie sehr du dich veränderst!" "Ich bin doch immer noch derselbe!" "Nein! Nein!" "Warte... ich werde dir zeigen, dass hier etwas geschieht, das gut ist!" Ich wusste nicht, wie ich es anstellen sollte, doch ich wollte es mit aller Kraft. Ich berührte Hallen an der Brust, der zurückzuckte, als hätte ich ihn verbrannt. "Lass mich! Fass mich nicht an, ich will das nicht!" schrie Hal gellend und wand sich hektisch, um meiner Hand zu entgehen. "Halt still, ich will dir doch nur helfen! Bitte!! Es ist nichts Schlechtes!!" Er konnte sich nicht weiter verdrehen durch die noch angebundenen Hände, aber er wehrte sich noch mit den Beinen, als wollte er um jeden Preis verhindern, dass ich ihn anfasste. "Ich will diese Kraft nicht haben! Geh weg! Bitte! Bitte Nanik!" Ich wollte ihm nicht noch mehr weh tun, aber irgendwie musste und wollte ich ihm beweisen, dass Magie etwas sehr Gutes war. Er hatte keine Chance gegen meinen Griff, mit dem ich seine Beine gegen den Boden drückte und mich kurzerhand daraufsetzte. Er zog und zerrte an Armen und Beinen, ich wollte ihn nur noch beruhigen, denn durch sein Gezappel tat er sich nur selbst weh. "Hör auf, lass es dir doch zeigen! Ich weiß du hast Angst, aber das brauchst du nicht!" "Ich will das nicht! Hör auf, hör doch auf!" seine Stimme wurde zu einem gequälten Keuchen, die gebrochene Rippe bohrte sich schmerzhaft in seine Lunge und er verzog das Gesicht zu einer grässlichen Fratze, als er sich das nächste Mal bewegte. Es fiel mir leichter, als ich zu hoffen gewagt hatte. Nachdem ich meine beiden Hände auf seinen Brustkorb gelegt hatte, wünschte ich mir mit ganzer Seele, seine Schmerzen mögen aufhören. Zuerst passierte nichts, ich fühlte nur Hal's rasendes Herz, zitternde Lungenflügel und ein ekelhaftes Knacken, wenn sich der Brustkorb senkte. Es musste wirklich höllisch wehtun. Und um so heftiger wollte ich, dass Hallen das erspart bliebe. Ich dachte nur noch daran und bemerkte erst, dass etwas geschah, als es schon fast vorbei war. Meine Hände waren warm und ich hörte Hallen schreien. Es wandelte sich zu einem qualvollen Jammern, je wärmer meine Hände wurden und verebbte irgendwann. Meine Handflächen waren jetzt fast so heiß, als hätte ich sie ins Feuer gehalten, und als ich sie von seiner Brust nahm, erkannte ich meine zwei Handabdrücke, die seine Haut an den Stellen verdunkelt hatten. Hallen selbst war nun völlig ruhig, sein Puls ging gleichmäßig. Er war eingeschlafen. [ # ] Als Hallen das nächste Mal aufwachte, war ich gerade dabei, den schon fertigen Stoff zu einem Umhang zusammenzunähen. Es fehlte noch ein ganzes Stück und ich fragte mich, ob ich ihn wirklich bis morgen Abend fertig haben würde. Es war ein wundervolles Stück. Es war sicher das schönste, seidigste und glänzendste Kleidungsstück der Welt. Hal brauchte wohl eine Weile, sich zurechtzufinden, er schaute etwas verstört drein, als müsste er sich besinnen, wo er denn war. Ich hatte ihn vom Webstuhl gebunden und ihm mit viel Gras und Zweigen eine Art Schlafplatz gemacht, in dem er bis jetzt geschlafen hatte. Seine dunklen Flecken im Gesicht waren schon fast verschwunden und ich war neugierig, wie es um seine Rippe stand. Aber er war eine ganze Weile sprachlos und bewegte sich nur zögernd, als ob er befürchtete auseinanderzufallen. Es musste ihm wirklich sehr viel besser gehen, denn ich las keinerlei Schmerz aus seinem Gesicht. Aber er war nicht froh darüber. Im Gegenteil, er starrte verbissen zu mir herüber. "Was hast du mit mir gemacht? Ich sagte, ich will das nicht!" rief er giftig und wunderte sich gleichzeitig, dass er völlig frei auf dem Waldbett lag. "Wie geht's dir?" Ich nähte weiter an dem Umhang, als ob nichts ungewöhnlich wäre. Hallen's bissiger Einwurf überhörte ich einfach. Dieser drehte sich wütend zur Seite, aber ich sah aus den Augenwinkeln, wie er sich verstohlen über die Brust fuhr und auf seiner heilen Rippe herumdrückte. Er konnte sein Staunen kaum verbergen, egal welche Mühe er sich gab und das amüsierte mich. So ein Sturkopf. Aber nun wusste er wenigstens, dass diese Kraft, für die ich hier meine Nächte um die Ohren schlug, etwas Wundervolles war, wofür es sich auf jeden Fall lohnte etwas zu opfern. Aber Hallen blieb stumm und starrte düster gegen die Wand. Ich wollte es ihm leichter machen, mir nicht mehr böse zu sein und fragte ihn, wie ich am geschicktesten nähen sollte. "Für wen ist das?" fragte er, nachdem er eine Weile auf meine Frage geschwiegen hatte. "Darf ich nicht sagen." "Und woher hast du das Garn dazu? Gestohlen?" "Wo denkst du hin, das hat er mir selbst gegeben!" "Aha. Also war es ein ,er'!" "Hör auf, ich darf es dir nicht verraten!" "Kenne ich ihn?" "Ich sagte: Hör auf damit!" "Was tust du, wenn ich's nicht mache? Trittst du dann wieder nach mir? Brichst mir meine Rippen und flickst sie anschließend wieder mit deiner tollen Macht, damit ich ja erkenne, wie toll sie doch ist und darüber vergesse, dass sie aus dir ein Monster macht?" So kannte ich Hal gar nicht. Er war noch nie sarkastisch gewesen, aber wir hatten auch noch niemals eine ähnliche Situation zusammen erlebt. Es war sein Recht so zu reden. Ich hatte Hal verletzt und ihn wieder geheilt. Klar sah das für ihn nach Angeberei aus. "Hör mal, ich habe mich doch schon dafür entschuldigt! Ich war einfach.. überreizt. Das alles ist für mich auch nicht einfach und ich war eben so wütend, dass du fast mein Leben ruiniert hast.." "Dieser Mensch, der dein Leben ruiniert, bist du selbst. Du bist nicht mehr derselbe!" "Ja und? Menschen verändern sich schliesslich auch mal!" "Aber nicht so schnell und nicht so zum Schlechten hin!" "Ich habe mich nicht zum Schlechten verändert! Ich sehe die Sache eben anders!" "Ich sehe die Sache so, dass du dein Leben auf's Spiel setzt und ich dein Gefangener bin und zusehen muss, wie du dich selber fertigmachst!" "Du bist nicht mein Gefangener! Ich hab dich doch losgebunden! Du kannst sofort gehen, wenn du willst!" Hallen stand aprupt auf und machte einen Schritt in Richtung Tür, als ich meinen Satz vollendete: "Wenn du mir dein Wort gibst, nichts gegen mich und meine Arbeit hier zu unternehmen oder jemandem auch nur was davon zu erzählen!" Hal hielt inne und stand in der Mitte vom Raum. Er kämpfte mit sich, das erkannte ich genau. Aber er würde nicht lügen. Seine Miene wurde eine Spur vorsichtiger. "Was würdest du machen, wenn ich einfach abhauen würde? Wenn ich irgendwann, wenn du nicht aufpasst, an dir vorbeirenne, hinunter in die Stadt, deinen Onkel hole?" "Du würdest nicht an mir vorbeikommen, Hal. Ich schlafe nicht, schon vergessen?" "Du kannst nicht immer auf mich aufpassen!" "Und wenn schon.. ich hätte dich schneller eingeholt, als dass du ein paar Meter gelaufen wärst. Mach es uns doch nicht so schwer, Hal! Es ist doch nicht für lange!" Hal drehte sich und setzte sich wieder auf sein behelfsmäßiges Bett. Ich wusste, es ging ihm nicht darum, hier festgehalten zu werden. Er wollte, dass ich hier aufhörte. Aber den Gefallen konnte und wollte ich ihm nicht machen. "Dieser Wunsch.." fing er nach einer Weile wieder an und ich legte das genähte Zeug zur Seite. "Dieser Wunsch, den du dir erfüllen willst.. hat sicher was mit der Kraft zu tun?" "Magie. Ja, damit hat es etwas zu tun. Überleg doch.. du hast gesehen, was man damit tun kann, wie vielen Menschen man helfen könnte.." "Aber es kann genauso gut gefährlich sein!" "Da hast du recht. Sicher, es kommt ja immer darauf an, was man damit bezweckt. Aber verstehst du nicht Hal.. das ist ein Geschenk! Eine Gabe, es wäre ja fast schon ein Verbrechen, diese Fähigkeit nicht einzusetzen!" Ich bemerkte, dass ich fast diesselben Worte benutzte, die der Magier Kaleb gewählt hatte, um mich zu überzeugen. "Ich will wirklich nicht angeben, aber ich bin nun einmal etwas Besonderes und könnte damit so vieles erreichen.." "Du bist doch schon längst etwas Besonderes. Du bist der beste Weber der ganzen Stadt, wahrscheinlich noch einer der besten des ganzen Landes! Was willst du denn noch mehr, du bewirkst doch schon so viel. Die Menschen kommen extra von weit her, um sich Kleidung von dir machen zu lassen! Und jeder Mensch braucht Kleidung. Warum wirst du nicht etwas Besonderes als Weber?" "Ach Hal, was soll das denn jetzt! Was ist denn schon ein Weber gegen einen.." "So" "Nein, nein, das meine ich nicht! Ich meine nur, wenn ich die Wahl haben kann zwischen jemand, der gut in seinem Fach ist und jemand, der wirklich etwas bewirken kann! Der eine Aufgabe haben kann. Dann fällt mir die Wahl leicht." "Nanik, du glaubst doch nicht, dass du jeden Menschen, den du triffst, von seinem Leid befreien kannst. Das können nicht einmal Magier. Du stellst dir das alles viel zu einfach vor und vergisst dabei, dass du so viel verlieren kannst!" "Du bist ein Miesmacher. Du hast keine Ahnung, was dahinter steckt." Damit war für mich das Thema vom Tisch. Aber für Hallen nicht, das sah ich ihm an. Es ehrte mich zwar, dass er sich solche Sorgen um mich machte, aber in seinem Fall fand ich das Ganze viel zu übertrieben. Ich war schließlich kein Kind mehr und konnte mir mein Leben aussuchen, das ich wollte. [ # ] Wenig später dämmerte es. Ich würde vorsichtshalber noch einmal zum See laufen. Diesmal würde es ungleich schneller gehen, da meine Magie noch nicht verbraucht war, obwohl ich in der Zwischenzeit ein bisschen damit geübt hatte. Irgendwann hatte sogar Hallen, der der Sache immernoch feindlich gegenüberstand, nicht aufhören können, zuzuschauen. Mittlerweile beherrschte ich den Blitz recht gut. Ich hatte herausgefunden, dass es nicht der Hass war, den ich einsetzen musste, sondern allein der intensive Gedanke daran. Es kam mir seltsam vor, dass es so einfach ging, denn die Magier, von denen ich bisher gehört hatte, gebrauchten zum Zaubern gewöhnlich Formeln oder Sprüche, die sie aufsagen mussten. Vielleicht hatte Kaleb, der Magier recht gehabt. Ich war vielleicht etwas Besonderes. Unter den Besonderen. Ich konnte nichts dagegen tun, stolz darauf zu sein, ich fand es auch gar nicht weiter schlimm. Worauf ich weniger stolz war, hatte mit Hallen zu tun. Ich konnte ihn unmöglich mitnehmen. Hierlassen konnte ich ihn auch nicht, er würde weglaufen, wie er es schon prophezeiht hatte. Ich hatte gar keine andere Wahl, als ihn wieder festzubinden. Ich teilte ihm meinen Entschluß mit, er reagierte unerwartet gefasst, er hatte es wohl schon vermutet. Er hielt nichts von dem Versprechen, nicht wegzulaufen, meinte er. Er könnte sich nicht daran halten. Dieser Junge war unglaublich. Eine ehrlichere Haut hatte ich nie getroffen. Also band ich ihn wieder an den Webstuhl, verzichtete aber auf den Knebel. Um diese Zeit war hier niemand mehr unterwegs. So ließ ich ihn wieder zurück. Der Hinweg zum See verlief diesmal im Eiltempo. Auch der Tauchgang dauerte nicht annähernd so lange wie sonst, da ich ja nicht vollkommen "ausgepumpt" war, als ich zur Quelle tauchte. Trotzdem kam es mir vor, als könnte ich jede Nacht mehr Magie aufnehmen als zuvor. Wie sonst auch fühlte ich mich zum Bersten voll mit neuer Energie und konnte kaum erwarten zu beginnen. Aber noch war es nicht dunkel. Ich nutzte die restliche Zeit, um im Obstgarten des Alten so viel Früchte zu stehlen, wie ich nur tragen konnte. Hallen hatte schliesslich auch lange nichts gegessen und mein Hunger würde am Morgen sicher auch wieder sehr groß sein. So traf ich, beladen mit allen Sorten Früchten im Arm, wieder in der Hütte ein. Hallen war eingedöst, ich sah ihn durch das Fenster. Nun, gleich würde er wach werden. Das Rattern des Webstuhls würde aber später vielleicht sogar einschläfernd auf ihn wirken. Bevor ich mich endlich daran machte zu weben, aßen wir beide noch ausgiebig. Er seufzte nur enttäuscht, als ich ihn abermals aufforderte, sich hinzusetzen, dass ich ihn anbinden konnte. Aber das Risiko, ihn und alles um mich herum zu vergessen und nicht zu beachten, wenn er ausbüxte, war mir zu groß. Aber dann ging es los. Es verlief alles reibungslos. Ich begann zu weben, das Schiffchen sauste, der Giebel klackerte, alles schnurrte im selben Takt. Bald schon vergaß ich Hallen, der mit offenem Mund meine Arbeit beobachtete, die wahnsinnige Geschwindigkeit, die perfekten Reihen, das Muster, das sich ganz von selbst in den Stoff schrieb. Meine Hände wurden zu schnell, um sie noch zu erkennen, meine Augen zu träge, um den Bewegungen zu folgen, mein Körper wusste schon ganz genau, was er zu tun hatte und ich überließ ihm einfach alles. Und die Magie floß. Wie ein Rinnsaal tropfte es durch meine Finger und legte sich um jeden Fetzen Garn, jeden Minimeter Schnur, der durch meine Hände glitt. Ich wurde noch schneller, der Webrahmen vibrierte. Mein Geist verschluckte sich selbst, ohne zu sehen, zu hören oder zu fühlen arbeitete ich Stunde um Stunde. [ # ] Ich erwachte nicht wie beim letzten Mal neben dem Webstuhl. Der Boden fühlte sich kalt und feucht an. Ich erinnerte mich, wie es das vorige Mal gewesen war, als ich versuchte die Augen zu öffnen. Deshalb konzentrierte ich mich darauf, meinen Geist zu wecken, der die Augen dazu bewegen sollte, wieder zu sehen. Aber nichts tat sich. Ich lag einfach nur da. Das Denken selbst fiel mir ungeheuer schwer. Ich registrierte Kälte und Nässe, mehr nicht. Und das ging eine lange Zeit so. Kälte. Nässe. .. Kälte... Nässe.. Es genügte mir, über diese zwei Zustände zu denken. Stunden später erwachten meine Augen aus ihrer Betäubung. Sie sahen erst das Dunkel, nach unendlichen Minuten wurde das Bild schärfer und heller. Noch immer konnte ich keinen Muskel rühren. Kurz nach den Augen erwachten die Ohren, bescherten mir aber lange nur ein wildes Pfeifen. Aber dafür konnte ich jetzt erkennen, wo ich mich befand. Ich lag mitten in einem Wald. Zwischen Steinen, Blättern, Gras und Tieren. Wie bin ich hierhergekommen? War die nächste Frage. Sie beschäftigte mich eine weitere Stunde, während meine Ohren sich normalisierten. Dann folgte langsam der restliche Körper. Ich begann zu fühlen. Aber was ich fühlte, ließ sich nicht in Worte fassen. Denn obwohl ich sicher war, etwas fühlen zu können, spürte ich dennoch nichts. Alles war wie taub, gefühllos, leer. Irgendwann konnte ich meinen Arm bewegen und führte ihn zu meinem Kopf, da ich das dringende Gefühl hatte, dass eine Schnecke über meine Backe kroch. Wäre mein Gesicht nicht noch so gelähmt, ich hätte geschrien vor Angst. Das konnte nicht ich sein..! Kapitel 9: Der Wunsch --------------------- Der Wunsch Aus meiner Kehle kam ein heiseres Krächzen. Ungläubig starrte ich auf dieses lange, dürre Etwas, das mein Arm sein sollte. Mein Blick fiel auf die Finger. Keiner konnte mein Entsetzen beschreiben, als ich diese Finger sah.. Knochen, reine Knochen, hauchdünn und straff mit fast durchsichtiger Haut bespannt. Ich bewegte die Finger und ich konnte nicht einmal mehr schreien - ich sah mein Blut träge durch die Venen kriechen! Nein.. nein, das durfte doch einfach nicht sein! Noch viel schlimmer, ich fühlte im selben Moment, dass ich überall so aussehen musste. Mir war unendlich kalt. Ich fühlte mich so, so.. . Ich konnte mich kaum dazu bringen, aufstehen zu wollen. Was für mich wie ein Ding der Unmöglichkeit war. Schon der Versuch, mich auf meine zerbrechlichen Arme zu stützen, war vergebens. Mir schwindelte. Mein Magen schlug höchsten Alarm. Meine Kehle war so rauh und steif, dass ich nicht einmal schlucken könnte, wenn ich es wollte. Aufstehen. Zur Magiequelle! Das war ein Ziel. Und dieses Ziel trieb mich wirklich dazu an, einen neuen Versuch zu unternehmen. Ich stützte mich unendlich langsam auf meine Ellbogen. Mein ganzer Körper zitterte vor Anstrengung, denn obwohl ich nicht viel mehr war wie Knochen und Haut, wog mein Körper so viel, dass ich ihn nur mit größter Mühe anheben konnte. Es war, als wären all meine Muskeln einfach verschwunden. Auf den Ellbogen überlegte ich, wie es weitergehen konnte. Ich musste mich drehen. Auf einen Ellbogen stützen und dann mit den Händen zugreifen. Die Ausführung trieb mir kalten Schweiß auf die Stirn. Der Stützarm zitterte wie ein wackeliger Klötzchenturm der jeden Moment einstürzen konnte. Ich drehte mich sehr vorsichtig und fing mich gerade noch mit der linken Hand auf, bevor mein Oberkörper wieder auf die Erde fallen konnte. Ein scharfer Schmerz schoss aus dem Handgelenk den Arm hinauf, aber auch diesmal gelang es mir nicht zu schreien. Ich konnte nur hoffen, dass es nicht gebrochen war. Nun die Beine anziehen.. das fiel mir relativ leicht. Und nun hochstemmen. Als ich nun wie ein Baby auf allen Vieren auf dem Waldboden stand, hatte ich begriffen, dass ich es nicht bis zur Quelle schaffen würde bis heute abend. Es sei denn, jemand würde mir helfen. "Hhh..!" das Wort war wie ein Flüstern. Es war mir, als seien meine Stimmbänder eingerostet und ich würde versuchen mit einer Säge darauf zu spielen. Ich konnte nicht rufen, ich konnte nicht einmal sprechen. Ich war hilfloser als ein Kind, als ein Tier. Ich musste mir selbst helfen. Ich sagte mir immer wieder, dass alles vorbei sei, wenn ich erst ein letztes Mal in der Quelle mich gesättigt hätte. Aber die Quelle war weit. Ich wusste nicht einmal, in welchem Teil des Waldes ich mich befand. Aber ich kämpfte verbissen weiter, bis ich Stunden später ein aufrecht stehender Mensch war und die ersten Gehversuche machte. [ # ] Ein unglaubliches Glück ist es in diesem Unglück, dass ich mich intuitiv genau auf die Quelle zubewegt habe. Ich kam aus einem ganz anderen Teil des Waldes, erreichte die Quelle im Dämmerlicht von einer völlig anderen Seite aus. Aber das ist mir jetzt egal. Hauptsache ist, dass ich es geschafft habe. Mein Körper hat sich nur soweit erholt im Lauf des Tages, dass ich einigermaßen normal gehen kann, ohne immer Angst zu haben, beim nächsten Schritt umzufallen und mir alle Knochen zu brechen. Es ist wie ein Wunder, dass ich gerade jetzt zur Dämmerzeit meine Erlösung erreiche. Wie ein gigantischer Spiegel liegt der See nun vor mir, ich kann es kaum erwarten, meinen schwachen, zerbrechlichen Körper wieder mit Kraft zu füllen. Gierig blicken meine Augen über die glatte Oberfläche, suchen nach den ersten Glühwürmchen. Ich brauche Energie. Viel Energie! Ich muss so schnell wie möglich dort hinunter. Wärme, Kraft, Zuversicht. Die Gedanken in meinem Hirn machen mich verrückt. Ich denke nur noch an Magie, alles dreht sich nur darum. Das Verlangen danach lässt mich haltlos in den See stolpern. Das eisige Wasser zieht an meiner Kleidung, wie ein Stein lasse ich mich nach unten fallen, meine Arme und Beine sind viel zu schwach, als dass ich mich selbst nach unten bringen könnte. Die Magie erfasst mich. Sofort flößt sie meinem schwächlichen Leib neue Stärke ein. Die Schmerzen, der unbändige Hunger und Durst, die Erschöpfung und alle Anstrengung werden nach und nach weggewischt. Der Stein schenkt mir noch mehr Magie, die sich in mich schmiegt wie eine weiche Katze, die mich mit Ruhe und Wärme erfüllt. Meine unbändige Gier, mein Sehnen nach der Kraft, die mich so stark und voll macht wird schwächer, mein Hunger danach wird genauso gestillt wie der körperliche. Ich schöpfe mit vollen Händen, mit vollem Geist diese Kraft in mich, bis sie mich von Kopf bis Fuß ausfüllt wie der Teig eine Kuchenform. Meine Gedanken werden wieder klarer, vielfältiger. Der eine Gedanke, der alles andere überlagert hat und mein Hirn erblinden ließ, ist verschwunden. Ich steige auf zum Ufer. Ich will so schnell wie möglich zurückehren. Das letzte Mal. Das letzte Mal weben, zum letzten Mal meinem Körper diese Anstrengungen zumuten. Und dann meinen Wunsch erfüllen... [ # ] Schon beim Hinlaufen bemerke ich, dass etwas nicht stimmt. Die Tür der Hütte ist offen. Hitzig laufe ich schneller, bin in Windeseile am Türrahmen und blicke in den einzigen Raum der Hütte. Mein allererster Blick fällt auf den Korb mit dem Stoff. Gottlob, er ist noch da! Auch der Webrahmen ist noch in Ordnung. Aber der Rest der Hütte hat sich in ein schreckliches Chaos verwandelt. Gesplitterte Holzbalken, überall liegen Äpfel und Suantis am Boden verstreut, Steine sind aus den Mauern gebrochen. Und gleichzeitig, als ich das Blut auf dem Boden sehe, trifft mich der Schlag, denn ich bemerke erst jetzt, was fehlt. "Hallen?! Hallen!" rufe ich laut, aber in der Hütte ist er auf keinen Fall. Wo ist er? Was ist hier passiert? Ist er geflohen? Aber warum ist hier so ein Durcheinander? Und das Blut? Hat er mit jemandem gekämpft? Aber er war doch angebunden! "Hallen! Wo bist du!!" Auch draußen keine Spur von meinem treuen Freund. Irgend jemand muss ihn befreit haben. Oder ihn.. mitgenommen. Aber wer.. und warum..? Das schlechte Gewissen nagt in mir wie eine pestverseuchte Ratte. Ich hätte ihn nie alleine lassen dürfen! Und nicht festbinden! Vielleicht.. konnte er sich nicht einmal wehren! Aber ich frage mich die ganze Zeit: Warum war er denn überhaupt alleine? Warum bin ich heute morgen mitten in einem Waldteil aufgewacht, den ich nicht einmal kannte? Was habe ich dort gemacht? Habe ich Hallen verfolgt? Oder jemand anderen? Der Mond steht bereits hoch am Himmel. Ich bin total aufgewühlt. Ich sollte weben, schneller als je zuvor, wenn ich fertig werden will vor Morgengrauen. Aber ich mache mir Sorgen um Hal. Ist er wirklich geflohen? Sollte ich ihn nicht suchen? Ihm wird schon nichts passiert sein. Und das Blut auf dem Boden? Vielleicht hat er sich bei der Flucht gestoßen. Was ist, wenn er mich verrät? Wenn heute nacht Tante Gilda kommt und.. Das wird sie nicht. Wo soll er denn sonst hingelaufen sein? Wenn er mich verraten hätte, wären sie schon längst hier. Vielleicht hat er ja nur Angst bekommen.. Ich kann ihn ja suchen, wenn der Stoff fertig ist. Ja, der Stoff ist jetzt wichtig! Und wie schon so oft setze ich mich an den Webstuhl, spanne die Fäden und beginne zu weben. Schon bald habe ich Hallen vergessen. Die Finger werden so schnell, dass sie für meine Augen unsichtbar werden. Ich lege alle Energie in den Stoff, der schneller denn je in die Auffangkörbe gleitet. Stunde um Stunde. [ # ] Ein Rauschen trifft an mein Ohr. Diesmal bin ich darauf gefasst, meinen Körper schwach und ohnmächtig vorzufinden. Ruhig bleibe ich liegen und versuche ganz sanft und langsam, meine Augen und Ohren an ihren Dienst zu gewöhnen. Das Rauschen wird stärker, um mich nur konturenlose Dunkelheit. Ich beginne zu spüren. Ganz langsam und auf eine seltsame Art und Weise ergeben. In meinen Fingern pocht es. Der Versuch, sie zu bewegen endet in einer Explosion aus Schmerz, der mich auffauchen lässt. Denn mehr ist es nicht, das meine Kehle zustande bringt. Ich lausche weiter, das Rauschen wird schwächer, stattdessen höre ich nun ein leises Klopfen. Gleichmäßig und langsam. Meine Augen zeigen mir dunkle Umrisse in immerwährender Finsternis. Ein Klappern. Ich höre Schritte, versuche den Kopf zu rehen, doch mein Genick ist so steif... "Guten Abend, mein Junge. Du hast doch wohl nicht unseren Termin verschlafen?" Die Stimme dringt in meinen Kopf, lässt das Klopfen heftiger werden, doch nur für einen Augenblick. Mein Herz ist müde. Die Stimme schneidet scharf wie ein Messer in mein Gehirn. "Mein Kompliment, es ist wirklich sehr schön geworden. Ach.. ich vergaß, du kannst es ja nicht mehr sehen.." Woher... die Gedanken bilden sich nur träge und schlurfen wie Schnecken durch den Kopf. Der Magier, die Stimme des Magiers. Er ist da. Jetzt wird alles gut. Mein Traum, mein Traum wird wahr! Sein Gewand raschelt, er beugt sich zu mir hinunter. Ich muss mich ungeheuer anstrengen, um seinen Worten zu folgen, ihren Sinn zu verstehen. Doch das, was ich höre, lässt mir das Blut in den Adern gefrieren. "Ich verrate dir etwas mein Junge. Und gleichzeitig muss ich zugeben, dass ich dich ein kleines bisschen angelogen habe." Kaleb streicht mir über die wenigen Haare, die mir geblieben sind. Ohne die geringste Scheu, meine Haut dabei zu berühren, die unter seinen Strichen abblättert wie altes Papier. Ich spüre es nur undeutlich, der Schmerz erreicht mich nur gedämpft, kaum ein Stöhnen, meine Kehle versagt nun vollends ihren Dienst. "Du bist ein Magiebegabter, mein Junge. Du kannst Magie empfangen und sie formen, sie übertragen. So wie du es bei diesem entzückenden Stoff gemacht hast.." Ich höre den glänzenden Stoff so leise rascheln, als streichle man eine seidig-weiche Katze. "Aber ich habe dir etwas unterschlagen. Es gibt nämlich drei Arten von Magie. Die natürliche Magie - du hast sie ja weder gesehen, noch gespürt. Die geformte Magie - der Stein im See. Diese Magie, meine Magie, hast du benutzt, um zu weben. Hast sie in deine eigene umgewandelt. Das ist die künstliche Magie. Weißt du.. ein Magiebegabter kann erst nach jahrzehntelangem Gebrauch von natürlicher Magie irgendwann selbst Magie herstellen. Und selbst das ist sehr schwierig. Aber es gibt sehr wenige Magiebegabte, die das schon von Geburt an können, ohne jemals mit natürlicher oder geformter Magie in Berührung gekommen zu sein. Und das bist du, kleiner Nanik. Ein ganz besonderer Magiebegabter. Magie zu erzeugen, ganz von selbst heraus. Ist das nicht wunderbar?" Er lacht leise, als hätte er einen guten Witz gemacht. Ich kann mich nicht bewegen. Ich würde mir so gerne die Ohren zuhalten, will seine Stimme nicht mehr hören, denn sie tut meinen Ohren weh. "So etwas wie dich habe ich lange gesucht. Ein alter Magus hätte mir nie seine Fähigkeit, selbst Magie zu erzeugen, zur Verfügung gestellt. Aber du konntest das.. und du hast es gerne gemacht, nicht wahr? Deine eigene Magie war nur sehr schwach, aber sie war da. Das habe ich in deinen früheren Arbeiten gespürt. Sie hätte mir nicht gereicht. Deshalb habe ich dir die Quelle meiner Magie gezeigt. Meine geformte Magie wurde zu deiner künstlichen Magie - und daraus ein unglaublich mächtiges Stück Stoff.." Er lässt den Umhang über seine Schultern gleiten und ein leises, erregtes Seufzen entfährt ihm. Als könnte er kaum erwarten, ihn auszuprobieren. "Nun.. ich hätte dir vielleicht sagen sollen, dass künstliche Magie sehr gefährlich ist. Sie hat die unschöne Angewohnheit, bei falscher Anwendung seinem Wirtskörper Energie und.. nun ja.. das Leben zu entziehen. Bis auf den letzten Rest. Habe ich wohl vergessen zu erwähnen, mein Fehler." Wieder lacht er. Kaleb erhebt sich wieder und streicht seinen neuen Umhang glatt. Er ist zufrieden mit sich, das kann ich spüren, ohne zu sehen. Doch selbst das Entsetzen, die Angst und der Schock, der mich mit diesen Worten treffen sollte, bleibt gedämpft, als wären alle Empfindungen in einem leeren Raum gefangen. Ich hatte es geahnt. Nein.. Hallen hat es mir gesagt. Damals. Hallen.. "Aber ich stehe zu meinem Wort. Ich werde dir deinen Wunsch erfüllen, wie ich es versprochen habe. Nun.. hast du dir einen guten überlegt? Wie, du bist sprachlos? Oder hast du keinen Wunsch?" Mein Mund bewegt sich kaum, kein Laut kommt daraus hervor. Je mehr ich mich anstrenge, desto schwächer werde ich. Meine blinden Augen starren den undeutlichen Schemen über mir an, meine Gesichtsmuskeln zittern, oder besser das, was davon übrig ist. "Aber da hast du sicher recht. Seine Wünsche sollte man sich selbst erfüllen. Ein gesunder Geist ist fähig, alles zu bewegen. Besonders deiner. Du bist ja längst etwas Besonderes, nicht wahr, kleiner Nanik? Wo habe ich das nur schon einmal gehört..?" "H..ah.." Vor Anstrengung krampft sich meine Brust zusammen. Mühsam presse ich jeden Buchstaben einzeln heraus. Mein Wunsch. "L...leh.." Ich höre ihn leise lachen. Er beugt sich wieder herunter, sein Schatten macht alles dunkel. "Soso, dich interessiert es also doch noch? Sieh her, ich zeige dir, was mit deinem Freund passiert ist." Er legt etwas auf meine Stirn. Es ist warm und brennt etwas. Und urplötzlich kann ich wieder sehen. So scharf und klar, wie sonst auch. Ich bin in der Hütte. Der Magier Kaleb steht hinter mir, hält seine Hand an meine Strin gepresst. Es brennt immer noch, aber ich bemerke es kaum noch. Wie gebannt starre ich auf das Bild, das sich mir bietet. Der Webstuhl vibriert, zittert, ein hohes Fauchen füllt den Raum aus. Am Webstuhl sitze ich selbst, es ist, als sehe ich einen Geist. Meine Augen.. der Anblick erschreckt mich zutiefst. Irgendetwas ist mit meinen Augen geschehen! Sie... ich kann es nicht beschreiben.. ich habe so etwas noch nie gesehen! Der Anblick verstört meinen Verstand. Und diese grauenhaften Augen sind auf das Garn gerichtet, das sich unter den fliegenden Händen zu glänzendem Stoff verwandelt. Auch der Rest meiner Erscheinung bringt mich zum Erschauern. Derselbe Anblick wie in der letzten Nacht. Knochen und durchscheinende Haut. In diesen irrwitzigen Bewegungen meiner Hände funkelt etwas. Hallen, der noch an dem Webstuhl festgebunden ist, sieht es auch und sein Blick wechselt zwischen den Händen und meinen Augen hin und her. Er ist leichenblass, er zittert am ganzen Körper. Ich kann sehen, wie sein Herz in der Kehle schlägt. "Nanik! Nanik, wach doch auf! Bitte, es passiert wieder! Es macht dich kaputt, hörst du nicht!" Hallen brüllt, aber das Schreien ist wie durch eine dicke Daunenendecke hindurch, es dringt kaum an mein Ohr, obwohl er aus vollster Kehle schreit. Er stemmt sich gegen den Webstuhl, versucht an ihm zu rütteln. Für einen kurzen Moment stockt mein Arbeiten, dann geht es im selben Tempo weiter wie bisher. Immer schneller. Vor Grauen beginne ich zu schwitzen, man kann jetzt zusehen, wie meine Züge härter und kantiger werden mit jeder Minute mehr. Die Arme dürrer, der Hals knochiger, kaum mehr fähig, den Schädel zu halten. Ich sehe Hallen, wie er heult, schluchzend immer wieder versucht, mich aus meinem Wahn zu wecken. Jetzt sehe ich auch, woher das Blut kommt. Mein guter, lieber Freund.. Hallen hat so lange an seinen Fesseln gezogen und gezerrt, dass seine Handgelenke blutig gescheuert sind. Durch das Blut sind die Seile schmierig geworden, er bekommt eine Hand frei... ich ahne, was er vorhat. Hallen streckt sich, ein entschlossener, verzweifelter Ausdruck in seinen Augen. Mit einer Bewegung fegt er die Spule aus der Halterung, der Webstuhl kommt augenblicklich zum Stillstand. Ich will es nicht sehen. Ich will die Augen schließen. Ich will die Hände vor die Augen schieben, um es nicht mit anzusehen. Ich kann mich an gar nichts hiervon erinnern. Es ist abstoßend und trotzdem kann ich nicht wegsehen. Meine Gestalt ist aufgefahren, ich habe Angst vor mir selbst, dieses Wesen bin nicht ich! Dieses Monster, dieses grauenhafte Ding, das auf Hallen einschlägt, als wäre es ein Mehlsack. Er kann sich kaum schützen, die Schmerzensschreie treffen mich wie giftige Pfeile, doch mein anderes Ich schert sich nicht darum. Die Augen glühen noch immer in dieser wahnsinnigen Art, die ich mir nicht erklären kann! "Hör doch auf! Lass ihn in Ruhe!" schreie ich, aber natürlich hört er mich nicht. Höre ich mich nicht. Es ist nur eine Erinnerung. Ein grausige Erinnerung, die ich vergessen habe. Hilflos muss ich zusehen, wie ich Hallen innerhalb kürzester Zeit ohnmächtig geschlagen habe. Ich presse mir die Hand auf die Brust, mein Herz tut weh, mein Blick verschleiert sich vor Tränen. Das Monster schleift Hallen aus dem Raum. Die knochige Gestalt muss noch unglaublich stark sein, ohne Probleme wuchtet sie den leblosen Körper auf die Schultern, nimmt eine Handvoll Garn und läuft in den Wald. Mir wird heiß. Ich weiß jetzt, wieso ich den letzten Morgen im Wald aufgewacht bin! Wir folgen den beiden wie Geister durch den Wald, tief ins Gehölz, es scheint, stundenlang, bis zu einer kleinen Lichtung. Dort lässt mein Ich meinen besten Freund fallen wie ein totes Tier, macht sich an dem Garn zu schaffen. Innerhalb einer Minute ist daraus ein Seil entstanden, mit dem er Hallen jetzt an einen Baum bindet. Das also ist mit Hallen passiert. Ich selbst habe ihn entführt, ausgesetzt im Wald, hilflos und allein. Aber es ist noch nicht vorbei. Wir folgen meinem Ich weiter in den Wald. Die Gestalt beginnt irgendwann zu stolpern, läuft aber weiter, immer tiefer in den Wald und sucht etwas. Die Quelle, ich will zur Quelle. Das Unbeschreibliche in meinen Augen verblasst langsam. Dann ist es vorbei. Ich stürze, bleibe liegen, falle in diesen todesähnlichen Schlaf. "Das wolltest du doch wissen, oder?" fragt Kaleb neben mir. Ich kann ihm nicht antworten. "Willst du das hier auch wissen?" Ohne einen Moment Ruhe rauscht das nächste Bild vor meine Augen. Es ist dunkel, aber ich sehe eine ausladende Gestalt an einem Tisch sitzen. Ihre Schultern zucken, ich höre das Weinen. Tante Gilda. Auf dem Tisch neben einer kleinen Kerze liegen zwei Stückchen Stoff. Ich erschaudere, als ich sie erkenne. Unsere Geburtstagsgeschenke. Hallen und ich haben ihr vor ettlichen Jahren zusammen zwei Topflappen aus grober Wolle gewebt. Die zwei Lappen sind voller Fehler, krumm und schief. Es waren zwei der ersten Versuche, die wir am Webrahmen machen durften. Ich hätte nicht gedacht, dass sie sie aufgehoben hat. Ich zucke zusammen, als sie die beiden über die Flamme der Kerze hält. Sofort fangen sie Feuer. Aber Tante Gilde achtet nicht darauf, dass die Lappen die Tischdecke angreifen, als sie sie fallen lässt. Sie bleibt sitzen und sieht zu, wie das Feuer auf den Tisch übergeht. Die Flammen fressen sich sofort gierig in den trockenen Leinenstoff und schlagen hoch, erwischen die Decke. "Tante Gilda!" brülle ich entsetzt, als sie sitzenbleibt und in das Feuer starrt, das die Stühle erfasst, die Vorhänge innerhalb Sekunden in rasende Flammenmeere verwandelt. Das Weitere bleibt mir erspart, der Magier hat seine Hand von meiner Stirn gezogen und es wird augenblicklich dunkel. Es nützt nicht viel, ich kann mir denken, wie es weiterging. Mein Schmerz ist so groß, dass ich nicht einmal mehr Tränen finde. "Und? Hast du deine Sprache wiedergefunden? Hast du doch noch einen Wunsch, den du mir mitteilen willst?" Kapitel 10: Die Schlafenden --------------------------- Die Schlafenden Das Gras teilt sich wie widerwillig unter den nackten Sohlen. Der Tau des frühen Morgens nässt die frierende Haut des ungelenken Läufers, doch die Kälte ist uninteressant. Die Schritte verlangsamen sich, als sie ihr Ziel fast erreicht haben. Der erste Vogel zwitschert munter und begrüßt den neuen Morgen. Zarter Nebel schwebt über der Erde wie ein keuscher Schleier der Unschuld. Zögernd setzt er sich wieder in Bewegung, für einen Moment war er erstarrt. Sein Blick gleitet über die bleiche Haut. Die hellen Haare glitzern im Morgentau, selbst die Wimpern sind mit glänzender Feuchtigkeit überzogen und zieren den Toten mit einer grausigen Schönheit. Wie friedlich er zu schlummern scheint. Ruhige, angenehme Träume. Einzig das fehlende Sich-Heben und -Senken des Brustkorbs verrät diese trügerische Harmonie. Die blasse Oberfläche wie feinstes Porzellan. Wie eine wunderschöne Puppe. Eine leblose, tote aber herrliche Puppe. Vorsichtig streicht seine Hand an der kalten, feuchten Wange hinab, berührt für einen kurzen Moment die blutleeren Lippen. Er sieht sie lächeln. Sie bewegen sich, bilden ein einziges Wort. Seine verblassenden Sinne spielen ihm Streiche, er muss den Blick abwenden. Vorsichtig legt er den Kopf an die erkaltete, erstarrte Brust und schließt die Augen. Das Herz hat schon lange seinen letzten Schlag getan, doch in seinem Geist pocht es weiterhin, gesellt sich zu seinem eigenen Herzen, das müde wird unter der Last der beiden Körper. "Hab keine Angst, Hal. Jetzt wird alles wieder gut." Das Zwitschern des ersten Vogels verliert sich in dem vielstimmigen Gesang der frisch erwachten Singvögel. Die aufgehende Sonne wirft ihre Strahlen auf die Erde, schenkt den beiden Kindern ein Bett aus Licht und Wärme. Ein Tag wie jeder andere beginnt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)