Chihiros Rückkehr ins Zauberland von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 6: Ein denkwürdiger Abend --------------------------------- Der Regen peitschte ununterbrochen gegen die Fensterscheibe und die Regentropfen rannen um die Wette das Glas hinunter. Doch Chihiro schenkte ihnen keine Aufmerksamkeit; stattdessen seufzte sie. Auf einem Stuhl sitzend, den sie ans Fenster gerückt hatte, stützte das Mädchen sich mit einem Ellenbogen am Fenstersims ab. Der Tag war anstrengend und eintönig zugleich gewesen. Anstrengend, weil ihr Tatendrang mittlerweile der Müdigkeit und Mattheit gewichen war und eintönig, weil sie kaum Beschäftigung gefunden hatte und keine Ahnung hatte, wie sie so viel freie Zeit nutzen konnte. Woher auch? Sie war es nicht gewohnt tatenlos rumzusitzen. Daheim füllte ihr schulischer Alltag sowieso fast ihren gesamten Tagesplan, sodass kaum Zeit für andere Aktivitäten blieb, wenn sie weiterhin in der Schule mithalten wollte. Letztlich blieb ihr nichts anderes übrig, als ihren Sorgen, was passieren würde, wenn alle Stricke reißen würden, nachzuhängen. Sie konnte es sich schon förmlich ausmalen, wie Zeniba das letzte Buch, welches ihr Aufschluss über die Verbindung zwischen der Menschen- und Geisterwelt liefern sollte, mit einem bedauerndem Gesichtsausdruck wieder zuklappen würde. Ihr Optimismus versickerte gerade mit dem Regen zusammen irgendwo in der Erde. Und dass sie zu keinerlei adäquaten Lösung gekommen ist, was sie noch tun könnte, wenn dieser Fall tatsächlich einträfe, ist wohl unnötig zu sagen. Genauso unnötig, wie ihre Kopfschmerzen, die sich zwar schon den ganzen Tag hindurch bemerkbar gemacht hatten, sich aber nun immer mehr verschlimmerten. Sie stützte ihre Stirn auf ihre kalte Hand, schloss die Augen und genoss diese Wohltat. „Geht es dir nicht gut?“ Die Brünette war derart in Gedanken, dass sie eine Weile gebraucht hatte, um zu realisieren, dass jemand seine Hand auf ihre Schulter gelegt hatte und sie etwas fragte. Ach ja, Haku. Problem Nummer zwei. Über sein seltsames Verhalten am morgen hatte sie auch genug Zeit gehabt nachzudenken. Warum hatte er so abweisend reagiert? Das passte überhaupt nicht ins Bild, welches sie sich von ihm bisher gemacht hatte. Ihr war es egal, ob er um die komischen Zeichen ein Geheimnis machen wollte. Zumindest versuchte sie sich das einzureden. Doch neben ihrer Neugierde hatte sie auch Verständnis; jeder hatte nun mal seine Geheimnisse. Sie würde also nicht mehr nachfragen. Dennoch, trotz der Tatsache, dass sie einen wunden Punkt getroffen zu haben schien, behandelte er sie wie zuvor, so als hatte sie ihn nie gefragt. Das verwirrte sie am meisten. Sie hätte da ganz anders reagiert. Sie schüttelte den Kopf. „Alles in Ordnung“, winkte sie ab. „Sicher?“, seine grünen Augen schienen ihre Gedanken zu lesen. „Sicher.“, schloss sie das Thema ab, damit er wieder von ihr abließ. Sie wollte niemandem zur Last fallen, mal davon abgesehen, dass sie es schon längst tat. Wieder wandte sie sich dem Fenster zu und starrte solange ins Nichts, bis ihr eine Tasse mit dampfendem Wohlgeruch nach Kräutern unter die Nase geschoben wurde. „Weißt du, dass du eine schlechte Lügnerin bist?“, fragte jene Person, die immer noch die besagte Tasse hielt. Ein amüsierter Unterton war nicht zu überhören. Chihiro nahm den Tee verdattert an. „Wie meinst du das?“, versuchte sie so ahnungslos wie möglich zu klingen. Er lehnte sich an die Wand und stand ihr somit genau gegenüber. Sein nachdenklicher Blick ruhte immer noch auf ihr. „Was ist los? Erzähl.“, forderte er sie auf, während er die Arme vor der Brust verschränkte und ihre Antwort abwartete. Und sein Blick sagte, dass er bereit war hier so lange zu verweilen, bis er eine zufrieden stellende Antwort erhalten würde. „Ich fühle mich nur ein bisschen eingesperrt.“ Die Antwort war nicht zufrieden stellend. Und ein Grund mehr sie nicht in Ruhe zu lassen. Sie nahm die Kriegserklärung an und starrte zurück. Keiner wollte nachgeben. Chihiro funkelte ihn verärgert an. Seine geschmeidige Gestalt verbarg sich im Halbdunkeln, aber seine Augen leuchteten unnatürlich auf, wie die Augen eines Reptils, welche selbst das kleinste Licht reflektierten. Sein Blick war im Gegensatz zu Ihrem bedacht, geheimnisvoll, einnehmbar. Je länger sie ihn anstarrte, desto mehr hatte sie das Gefühl zuviel von sich preiszugeben. Abrupt brach sie den Blickkontakt ab. Was sollte dieses ‚Starrduell’, fragte sie sich entrüstet. Was bezweckte er damit? So langsam wurde es lächerlich. „Und ein bisschen fertig“, fügte sie schließlich geschlagen hinzu. Sie war zu sehr mit eigenen Gedanken beschäftigt, um zu bemerken, dass er sich zu ihr vorgebeugt hatte. Erst als sie seinen Handrücken auf ihrer Stirn spürte zuckte sie vor Schreck zusammen und hätte beinahe ihren Tee verschüttet. „Nur ein bisschen fertig? Du hast Fieber und jetzt glühen deine Wangen auch noch!“, sein Verdacht hatte sich also bestätigt. „Echt?“, sie legte sich sie Hand ebenfalls auf die Stirn, nachdem er seine wieder entzogen hatte, um nachzuprüfen, ob er Recht hatte und tastete danach ihre heißen Wangen ab. Plötzlich hatte sie das starke Bedürfnis sich einfach von ihm wegzudrehen. „Du solltest dich hinlegen.“ Das war keine Feststellung, sondern ein Befehl. Sein Tonfall duldete keine Widerrede. Ihr erster Impuls war zu rebellieren. Sie machte den Mund auf und wollte ihm etwas wie „Bist du meine Mutter?“ an den Kopf werfen, klappte ihn dann aber wortlos wieder zu. Sie wollte nicht kindisch erscheinen. Vielleicht wäre es wirklich besser zu tun, was er sagte. Eine Krankheit hatte ihr gerade noch gefehlt und sie wäre momentan die Letzte, die eine Verschlimmerung provozieren würde. „Aber nur dieses eine Mal“, murmelte die Zurechtgewiesene. Nur, weil die Situation es erforderte. Ansonsten würde sie sich ganz bestimmt nicht rumkommandieren lassen. Stur war sie natürlich nicht. „Trink den Tee. Das Ohngesicht sucht gerade ein Zimmer für dich.“ „Wozu denn? Ich kann mich doch auf die Bank legen.“, Chihiro deutete auf die Holzbank, auf der sie schon die letzte Nacht verbracht hatte. Sie konnte es nicht fassen, dass es erst gestern war, als sie die Geisterwelt betreten hatte. Der Tag hatte sich ewig lange hingezogen, doch ein Blick aus dem Fenster verriet, dass auch dieser Tag ein Ende hatte. Ein ziemlich verregnetes Ende. Außerdem wollte sie keine Umstände bereiten. Was war da schon ein schmerzender Nacken? Ein eigenes Zimmer würde ihr ohnehin das Gefühl geben, dass sie für immer bleiben musste und eben das wollte sie nicht. „Ich glaube nicht, dass dein Aufwachen heute angenehm war. Und außerdem schläft ein Gast doch nicht in der Küche.“ „Dann hättest du mir deine Gastfreundlichkeit ruhig gestern schon zeigen können. Und überdies: entscheidet nicht Zeniba-San darüber, wo ich schlafe?“, sie wusste nicht warum sie sich wieder so aufregte. Vielleicht weil er alles einfach so über ihren Kopf hinweg entschied. Haku ignorierte den gereizten Ton. „Das hat sie schon.“, antwortete er ruhig. „Und wenn du heute morgen in irgendeinem Zimmer aufgewacht wärst und nicht gewusst hättest wo du bist, hättest du nicht Panik bekommen? Wer weiß, was dann passiert wäre. Allein hättest du nicht mal hierher zurück gefunden.“ Das saß. Nicht nur, dass sie wirklich panisch reagiert hätte, in diesem Labyrinth von einem Haus hätte sie sich zusätzlich gnadenlos verlaufen, soviel war sicher. Daraufhin hatte sie nichts mehr zu erwidern. Warum nur hatte er immer Recht?, fragte sie sich frustriert. Sie nahm vorsichtig einen Schluck vom Tee und entschloss sich für heute nur noch das Nötigste mit ihm zu bereden. Sonst könnte es leicht sein, dass sie womöglich noch anfangen würde sich mit ihm zu streiten. Während sie den zweiten Schluck nahm, fing Haku an die Bücher auf dem Tisch auszusortieren. Chihiro konnte es kaum noch erwarten, dass das Ohngesicht wiederkam, um ihr ihr Zimmer zu zeigen. Nicht nur weil sie wirklich müde war, sondern auch weil sie endlich Haku entfliehen wollte. Es war einfach genug für heute. Als Chihiro ihren Tee ausgetrunken hatte, verließ sie ihren Platz am Fenster und schaute Zeniba über die Schulter. „Noch nichts“, murmelte die Hexenmeisterin und blätterte eine Seite des großen in Leder gebundenen Buches um. Sie war gerade mal bei der Hälfte angelangt. Chihiro biss sich auf die Lippe. Sie würde wohl wirklich noch mal hier übernachten müssen. „Stell die Tasse einfach hier ab und geh schlafen, sofern du nicht hungrig bist.“ Chihiro schüttelte den Kopf; sie hatte keinen Hunger und zog den Schlaf eindeutig vor. „Mach ich, sobald das Ohngesicht wiederkommt.“ „Wie du meinst. Er zeigt dir dann dein Zimmer. Präg dir den Weg dorthin gut ein.“, riet sie. Und kaum hatte Chihiro die Tasse abgestellt, kam das Ohngesicht herein und holte sie endlich ab. Sie wünschte allen kurz eine gute Nacht und verließ zusammen mit ihrem dämonenähnlichen Begleiter die Küche. Außerhalb Chihiros Hörweite: „Ich dachte, ich hätte dieses Buch schon zur Seite gelegt?“, bemerkte Haku und deutete auf das vor Zeniba liegende Buch. „Habe ich etwas übersehen?“ Zeniba schüttelte verneinend den Kopf. „Nein, hast du nicht. Hier steht wirklich nichts, was uns momentan interessieren würde.“, antwortete die Angesprochene und klappte das Buch wieder zu. Daraufhin hob Haku eine Augenbraue. „Sie wollten ihr die Hoffnung nicht nehmen.“ Die Aussage hatte einen fragenden Unterton. Die Hexe nickte. „Zumindest nicht für heute Nacht. Sie hat Fieber. Was sie jetzt braucht ist Ruhe, keine Aufregung.“, erklärte sie. Haku stimmte ihr vollkommen zu. „Nichtsdestotrotz haben Sie ihr übel mitgespielt“, lächelte er. „Das sagt der Richtige. Wer hat sie denn förmlich dazu gezwungen zu gestehen, dass es ihr nicht gut geht, obwohl dieser gewisse Jemand es schon vorher gewusst hatte?“ „Sie merken aber auch wirklich alles.“ Der Flussgott hoffte nur, dass dieses Gespräch keine falsche Wendung nehmen würde. Zeniba lächelte allwissend zurück. „Eine Medizin wie dieser Kräutertee, den du ihr gegeben hast, täuscht vielleicht einen Menschen, aber niemals Wesen mit einem sensibleren Geruchssinn.“ Sie hielt Chihiros Tasse demonstrativ hoch. „Ich weiß. Schließlich habe ich dieses Wissen Ihnen zu verdanken.“ „Lenk nicht ab. Ich möchte wissen, woran du erkannt hast, dass sie krank ist. Auf mich wirkte sie als hätte sie nur Heimweh.“ Haku hielt während dem sortieren inne. „Das würden Sie mir sowieso nicht glauben.“ „So?“ Zeniba hatte genug Zeit seine Antwort abzuwarten, was Haku ebenfalls bewusst war. „Ich habe es gespürt.“, entgegnete er schulterzuckend, als wäre nichts auf der Welt simpler als das. Zenibas Augen weiteten sich, dann schüttelte sie den Kopf. „Da du mit Abstand mein bester Schüler warst und du die Magie mindestens zehnmal schneller erlernt hast als andere, sollte mich wirklich nichts mehr überraschen.“ „Sie wissen doch: mir rennt die Zeit davon. Und wer nicht viel davon hat, der beeilt sich eben.“, antwortete er vielsagend. ------------------------------------------------------------------------------- Zur Abwechslung mal ein Schlusswort: Jetzt werden sich bestimmt einige über Hakus Augen wundern, darum eine kleine Erklärung am Rande. Ich weiß zwar nicht, ob die Augen eines Reptils (natürlich ist der Drache ein Fabeltier, aber er hat für mich eben etwas reptilmäßiges an sich) reflektieren, aber es gibt genug Tiere, wie Katzen, Hunde, Rehe, usw. deren Augen leuchten, wenn man sie nachts anstrahlt. Ich dachte nur, das würde ihm etwas Eigenes verleihen, vielleicht auch leicht Animalisches, was ihn noch zusätzlich von einem Menschen unterscheidet. Vielen Dank an meine Kommischreiber! Ihr seid echt lieb und eure Kommis haben mich immer wieder daran erinnert, dass ich das Kapitel endlich fertigstellen muss. @vilpat: Bin auch gespannt (Scherz!)! Lass dich überraschen, die Auflösung kommt auf jeden Fall noch, versprochen. @Secillia-3124: Ich weiß, wie es ist, wenn man auf ein Kapitel wartet, aber die Autoren haben's meistens auch schwer, denn so eine Geschichte beansprucht viel Zeit und Vorplanung. @Sweet_Saku_chan: Ich geb mir Mühe dranzubleiben ^-^ @sweetybear : Hoffe, dass die Spannung immer noch da ist. @Chiisa: Ist es jetzt besser mit den Absätzen, oder hast du Doppelte gemeint? Ach ja, ehe ich’s vergesse: ich will mich nicht aufdrängen, aber wenn jemand per ENS benachrichtigt werden will, wenn das nächste Kapitel on ist, muss er mir nur Bescheid sagen. Nur nicht schüchtern sein ;) Ansonsten danke ich fürs Lesen und hoffe, dass das Kapitel gefallen hat und einigermaßen gelungen ist. Also dann, bis zum nächsten Mal! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)