"Benedictio Diaboli" - Blutrosen von Archimedes ================================================================================ Kapitel 2: ----------- >>>Raffael stand inmitten des Nirgendwo. Vor ihm erstreckte sich eine breite Straße. Verdorrte Bäume und Sträucher säumten die Wegränder. Dunkelheit umfing ihn. Sie hüllte ihn ein, behutsam und sanft, wie eine Mutter, die ihr Neugeborenes in den Armen hält. Raffael fühlte sich völlig leicht. Er streckte seine Arme aus und betrachtete seine durchsichtigen Hände. Sie waren unversehrt. Vorsichtig tastete er sein Gesicht ab. Es fühlte sich eigenartig an. Er fühlte keine Wärme, aber dafür auch kein Blut und keine Narben. Raffael atmete tief durch. Er war überrascht. Das Atmen fiel ihm ungeahnt leicht. Er drückte auf seine Rippen, doch kein Schmerz stellte sich ein. Raffael sah auf. Ein großer Rabe fesselte seinen Blick. Das seltsame Tier saß auf einem der dürren Zweige und betrachtete ihn mit väterlichen Augen. Raffael kannte diesen Vogel. Er wusste, dass er gekommen war, um ihn zu begleiten. Er war froh, dass er da war, denn er brachte ihn nach Hause. Der Rabe würde ihn geleiten und dafür sorgen, dass er nicht vom Weg abkam. Raffael ging auf den Vogel zu. Das Tier breitete seine majestätischen Schwingen aus und erhob sich lautlos von dem Zweig. Es folgte dem Straßenverlauf. Raffael ging bereitwillig hinterher. Sobald er sich in Bewegung gesetzt hatte, erblickte er vor sich ein riesiges, schwarzes Tor. Die lange Straße lag auf einmal hinter ihm. Die Pforten öffneten sich und warmes, dunkles Licht hüllte ihn ein. Der Rabe, der voraus geflogen war, schwebte hindurch. Raffael vernahm in seinen Gedanken eine wispernde Stimme, die ihn aufforderte einzutreten. Es war eine beruhigende, freundliche Stimme, die zu ihm sprach. Raffael verspürte einen unendlich tiefen Frieden in seiner Seele. Er ging auf das Tor zu. Er war nur noch einen Schritt davon entfernt einzutreten, da riss etwas an ihm. Raffael wurde zurück gezogen. Das Tor entfernte sich, wurde kleiner, bis es sich schließlich schloss. Raffael wollte nicht gehen. Er wollte durch dieses Tor treten und seine Ruhe finden, doch er spürte, wie das Leben in seine Glieder zurückkehrte. Er würde in die Wirklichkeit zurück geholt werden, mit all ihrem Schmerz und den ewig wiederkehrenden Bildern von brennenden Zelten. >>"So schnell sterbe ich nicht. Das wird er nicht zulassen."<< Raffael kamen seine eigenen Worte wieder in den Sinn, bevor er in tiefen Schlaf fiel. <<< Es war fast Mittag, als Raffael die Augen aufschlug. Er erwachte in einem prunkvollen Bett. Jemand hatte ihn auf Kissen gebettet und zugedeckt. Er lag auf dem Rücken und seine langen Haare verteilten sich über die Laken. Raffael richtete sich auf und war überrascht, dass ihm nichts weh tat. Er sah an sich herab. Sein Oberkörper war unbekleidet und er konnte sehen, dass seine blauen Flecken verschwunden waren. Er tastete seine Rippen ab. Er stellte fest, dass sie restlos verheilt waren. Erschrocken über seinen ungewöhnlich guten Gesundheitszustands, fuhr er mit einer Hand durch sein Gesicht. Die blutende Wunde von Farviriols Peitsche war ebenfalls verheilt. Nicht einmal eine Narbe war geblieben. Das einzige was ihn schmerzte war sein linkes Schulterblatt. Er tastete es mit Zähneknirschen ab, denn es brannte, als hätte jemand heißes Wachs auf ihn geleert. Raffael konnte die Umrisse eines Ornamentes erfühlen. Entsetzt drehte er den Kopf und erblickte eine frische Brandwunde. Das vermeintliche Ornament stellte einen Skorpion dar. In Raffael stieg eine irre Wut auf. Dieser Mistkerl hatte ihn gebrandmarkt, wie ein Stück Vieh. Farviriol zeigte offen, dass er Besitzansprüche auf ihn erhob. Raffael sah sich um. Er befand sich in einem etwa zwanzig Schritt langen und fünfzehn Schritt breiten Raum, der fast an die Größe eines Saales grenzte. Links und rechts befanden sich bogenartige Durchgänge, die leicht spitz am oberen Ende zuliefen. Tulamidysche Wandteppiche mit Motiven über Kultur und die Geschichte des Landes, schmückten die Wände. Die nicht verhüllten Teile der Wände waren mit Kacheln in verschiedenen Blau - und Grüntönen verkleidet, die sternförmige Mosaike bildeten. Raffael sah zur Decke. Sie war zu einer großen Kuppel gewölbt und mit verschieden Fresken und Gemälden versehen. An den Seiten verliefen Säulen aus Stein, welche die Zimmerdecke stützten. Auch sie waren mit Kacheln versehen. Die Fugen zwischen den einzelnen Ornamenten waren mit Silber gefüllt. Im Vergleich zu dem Prunk der Wände war der Raum, indem er sich befand, nur spärlich eingerichtet. Bis auf das große Doppelbett und einem kleinen runden Tisch nebst Stühlen, gab es in dem Raum nur noch einen großen Holzschrank neben einem der Durchgänge. Er wollte aber nicht so richtig zu dem tulamidysch vorherrschenden Flair passen. Es war ein großer Eichenschrank mittelreichischer Verarbeitung. Er wirkte im Gegensatz zu der kunstvoll gearbeiteten Architektur des Zimmers eher plump und sperrig. Hier hatte die Pragmatik gegenüber der Schönheit gesiegt. Auf dem kleinen Tisch stand eine edel verarbeitete Wasserpfeife. Sie stand in keinem Vergleich zu der kleinen, mickrigen Wasserpfeife, die Pawla immer benutzt hatte, um sich in einen ordentlichen Rausch zu versetzten. Sie war allerdings eingestaubt, war also seit längerer Zeit nicht mehr in Gebrauch. Gegenüber des Bettes, das in der Mitte des Zimmers stand, gab es einen großen bogenförmigen Durchgang. Er führte hinaus auf einen Balkon mit gebogenem Geländer aus Eisen. Viele verschiedene Blumen und Grünpflanzen in großen Tontöpfen, wuchsen an den Geländerenden in die Tiefe. Aus anderen Krügen suchten sich verschiedene Efeuarten ihren Weg an den Außenwänden nach oben. Bienen und andere Insekten schwärmten um die bunten Frühlingsblumen, die in voller Pracht ihre Köpfe der Sonne zuneigten. Raffael stieg aus dem Bett und stellte genervt fest, dass mehr als nur seine Oberbekleidung fehlte. "Na prima" brummte er. Der Hexer ging in strahlender Nacktheit zu dem Holzschrank und öffnete ihn. Seine Hose und Stiefel konnte er allerdings nicht finden. Dafür lagen sauber gefaltete Kaftane und schwarze Schnabelschuhe darin. Raffael wählte einen dunkelblauen aus, streifte ihn sich über, nahm die ungewohnten Schuhe und drehte sie mit hochgezogener Augenbraue in den Händen. "Gut, dass mich keiner meiner Freunde mit diesen peinlichen Pantoffeln sieht." seufzte er. Er zog sie an, suchte noch nach einem Band für seine Haare und schloss dann den Schrank. Er nahm das Band zwischen die Zähne und begann sein Haar zu einem Zopf zusammen zu raffen. Währenddessen drehte er sich um und verharrte plötzlich in der Bewegung. An der gegenüber liegenden Wand lehnte Farviriol mit vor der Brust verschränkten Armen. Er beobachtete die Bewegungen des Hexers eingehend. Er hatte sich wieder einmal unbemerkt an ihn herangeschlichen. >>unheimlich<< ging es Raffael durch den Kopf. Raffael sah den fast zwei Schritt großen Elfen an, der einen neuen, sauberen, roten Mantel mit schwarzen Knöpfen und Bordüren trug. Der Hexer beendete in aller Ruhe seine haarige Arbeit. "Wie viele von diesen Mänteln habt Ihr eigentlich?" wollte Raffael wissen. "Sind wir also wieder beim "Ihr" angekommen?" fragte der Weißhaarige ruhig gegen. "Wir waren schon mal einen Schritt weiter." Farviriol verharrte in seiner Position. Er stand reglos, wie eine Puppe, an die Wand gelehnt da. Nur sein flacher Atem verriet, dass es sich bei dem Elfen tatsächlich um ein lebendiges Wesen handelte. >>wirklich unheimlich<< dachte Raffael. Eine kleine Weile starrten die beiden Männer sich einfach nur an, unschlüssig was sie vom anderen halten sollten. Raffael hatte Angst vor diesem Elfen. Nicht nur, dass er vernichtend durch seine Familie gewütet hatte, oder seine größte Freude darin bestand ihn zu quälen, nein, er hatte versucht nach seiner Seele zu greifen. Farviriol diente der Shaz-Man-Yat und erhielt dafür einen Teil ihrer Macht, die er auch einsetzte. Auch wenn Raffael ganz und gar nicht in der Dämonologie bewandert war, wusste er instinktiv, was da an seiner Seele gezerrt hatte. Er hatte das Wesen und seine Gier gespürt. Der Tod hatte Raffael nie geängstigt, aber um seine Seele würde er der Shaz-Man-yat einen erbitterten Kampf liefern. Raffael erkannte in den Augen Farviriols eine genauso tiefe Verwirrung. Er hätte vermutlich nie damit gerechnet, dass sich ihm jemand derart widersetzten würde. Er hatte seine Macht zu groß eingeschätzt. Raffael trat ein Stück in die Raummitte. "Warum bin ich noch am Leben?" fragte er. "Warum habt Ihr es nicht zu Ende gebracht?" Farviriol trat von der Wand weg und ging in Richtung des Balkons. Vor dem Durchgang blieb er stehen, schaute zu den Blumen und antwortete auf Raffaels Frage. "Es wäre ein leichtes gewesen dich sterben zu lassen. Eigentlich hatte ich vor, dich unter meine Kontrolle zu bringen. Wäre es mir gelungen, dir durch unsere Umarmung einen Teil deines Sikharyans zu entziehen, wärst du für den Rest deines Lebens an mich gebunden worden. Du hättest mir, wie viele Andere, mit Hingabe gedient und meine Wünsche erfüllt." Farviriol wandte sich wieder Raffael zu. "Ich weiss noch nicht warum ich keinen Erfolg hatte, aber ich werde es in den nächsten Tagen und Wochen herausfinden. Zuerst hatte ich mich ja entschlossen mir jemand anderen zu suchen, aber als ich deinen bewusstlosen Körper betrachtet hatte, empfand ich es als Verschwendung. Zusätzlich kann ich es nicht dulden, dass sich mir jemand widersetzt. Deshalb habe ich dich geheilt und am Leben gelassen." "Und wie kommt Ihr zu der Annahme, dass ich in den nächsten Wochen hier bleiben werde? Ich habe nicht vor, Euch auch nur das kleinste Bisschen entgegen zu kommen" gab Raffel zu verstehen. Farviriol lächelte vor sich hin. "Ich muss nicht unbedingt Sikharyan von meinen Sklaven stehlen, um sie hier zu behalten." Der Elf sah zu Raffaels Schulter. Sein Lächeln wurde breiter. Raffael griff grimmig nach der Brandmarke, die Farviriol ihm während seiner Bewusstlosigkeit zugefügt hatte. "Du siehst, ich habe durchaus andere Möglichkeiten" sagte er schadenfroh. "Dieses Mal hindert mich dennoch nicht daran von hier zu verschwinden." Raffael wurde langsam zornig. Er war schon einmal Sklave gewesen. Damals war er nur ein Kind und die Erinnerungen waren auch nur noch sehr schwach vorhanden, aber ein solches Schicksal war er nicht bereit erneut zu tragen. "Das ist wohl war, dass es dich bei einer Flucht nicht behindern würde, aber du bist nicht mehr in Aranien. Wir haben schon vor vier Tagen oronischen Boden betreten und sind seit gestern in Elburum, der Hauptstadt dieses Landes. Außerhalb dieser Mauern wirst du hier von demjenigen beansprucht werden, der die Macht dazu hat, dich zu nehmen. Dich zu brandmarken war diesmal zu deinem eigenen Schutz, um Übergriffe durch andere Oronis zu verhindern. Du trägst nun mein Wappen. Ich genieße ein gewisses Ansehen und es ist bekannt, dass ich nicht gerne teile." Farviriol lächelte vielsagend. "Keiner wird es wagen Hand an dich zu legen und sich an meinem Eigentum zu vergreifen." fuhr er fort. "Aber außerhalb Elburums, bin selbst ich nicht überall bekannt und bei einer Flucht kann ich dir keinen Schutz mehr garantieren. Du siehst also, du bist gefangen. Ich brauche dir daher keine Lebensenergie zu stehlen, um dich an mich zu binden." Farviriol winkte Raffael zu sich heran und forderte ihn auf mit ihm auf den Balkon zu treten. Der Hexer zögerte einen Augenblick, trat dann aber mit skeptischer Miene an Farviriols Seite. "Sieh dich um, dies hier ist für die nächste Zeit dein zu Hause!" sagte der Elf. Raffael tat wie im geheißen wurde. Unter dem Balkon erstreckte sich der riesige Innenhof des Anwesens, welches die Form eines Quadrates hatte. Es bestand lediglich aus zwei Stockwerken. Das Zimmer in dem sich Raffael und Farviriol befanden war das einzige mit einem Balkon. Raffael folgerte daraus, dass dies der Schlafbereich des Elfen war. Aus dem Erdgeschoss drangen Stimmen herauf, die lautstark über das Mittagessen diskutierten. Raffael sah das ein oder andere Mitglied der Dienerschaft geschäftig vorbei huschen, stets beladen mit irgend welchen Gegenständen oder Speisen. An der gegenüberliegenden Seite befand sich ein großes Holztor mit Eisenbeschlägen, das in die Stadt hinein führte. Links und rechts gab es je zwei weitere, kleinere Durchgänge mit den selben Rundbögen, die Raffael schon aus dem Schlafzimmer kannte. Fenster gab es nur vereinzelt. Aus einem der Räume auf der rechten Seite stieg der verlockender Duft von Essen auf. Dies war offensichtlich die Küche. Raffael hielt nach Wachen Ausschau. Jeweils zwei Männer bewachten vom oberen Stockwerk aus das Tor. Raffael konnte durch die unverglasten Fenster bis in die Stadt hinein sehen. Die eindrucksvolle Architektur des Anwesens wurde durch ein weiteres Kunstwerk unterstützt. Dem Springbrunnen in der Mitte des Hofes. Er war aus weißem Marmor erbaut worden und in der Mitte des plätschernden Nasses thronte die Steinstatue einer Frau. Ihre Haare reichten bis zu ihren Fußknöcheln. Ihr Oberkörper war nackt und ihr Unterkörper mit einem Juwelen verzierten Rock bekleidet. Es war eine meisterliche Arbeit desjenigen Bildhauers, der sie geschaffen hatte. Zu ihren Füßen knieten nackte Männer und Frauen aus Stein, die in Ketten gelegt waren. Sie beteten die Steinfrau ehrfürchtig an. Die Frauenstatue, die vermutlich die Shaz-Man-Yat darstellte, hatte ihre Hände über die Köpfe ihrer Jünger gelegt. Das Wasser umspielte die Figuren und verlieh der dargestellten Szene einen eigenartigen Ausdruck. Raffael roch erneut den verführerischen Duft des Essens. Sein Magen begann unweigerlich zu knurren. Kein Wunder, hatte er, wenn Farviriols Aussagen der Wahrheit entsprachen, seit vier Tagen nichts mehr zu sich genommen. "Komm, du musst Hunger haben" sagte der Elf. Raffael war irritiert. Dieser Mann war unberechenbar. Von einer Sekunde zur nächsten konnte er zum Inbegriff einer rasend wütenden Bestie werden und schon im nächsten Augenblick verhielt Farviriol sich fürsorglich, ja fast freundlich. Es war grotesk, einfach grotesk. Aber mit einem hatte der Mann Recht. Raffael hatte Hunger, unbeschreiblichen sogar. Bereitwillig begleitete Raffael den Elfen in den Raum durch den rechten Durchgang des Schlafzimmers. In ihm waren bereits zwei leicht bekleidete Dienerinnen damit beschäftigt, Platten mit allerlei Köstlichkeiten auf den Tisch aufzutragen, der sich in der Mitte des Raumes befand. Raffael hatte noch nie von Tellern aus Porzellan gegessen und auch Silberbesteck lag heute zum ersten Mal vor ihm. Das Silberbesteck, das er bisher gesehen hatte, hatten stets Zirkusmitglieder irgendwo mal mitgehen lassen und es war immer schnell an Händler verschachert worden, bevor sich die Gelegenheit zur Benutzung ergab. Der Elf ging an das eine Ende des Tisches und nahm auf einem der Stühle Platz. "Bitte, setz dich" bat Farviriol freundlich und wies ihm einen Stuhl am gegenüber liegenden Ende des Tisches zu. Raffaels Misstrauen stieg. Er kannte den Elfen erst wenige Tage, aber eines war sicher. Farviriol war kein Mann, der "bittet". Er wollte etwas. Raffael nahm auf seinem Stuhl Platz. Kaum hatte er sich gesetzt, kam eine der Dienerinnen an seine Seite und begann seinen Teller mit einer Auswahl an Speisen zu füllen. Die meisten kannte er davon nicht. Farviriol wurde von dem anderen Mädchen bedient. Beide trugen durchsichtige, rosafarbene Pluderhosen und einfache Westen, die ihre Körper mehr entblößten, als verhüllten. Die Mädchen, die schätzungsweise das Alter Meshuhas hatten, waren mit einfachen, bronzenen Ohrringen behangen, die ihre Stellung als Sklavinnen verdeutlichten. Raffael musterte das Mädchen, das Farviriol Essen auftrug. Sie war ein zierliches Geschöpf mit kurzem, rötlichem Haar und Sommersprossen ,also keine Aranierin. Sie konnte aus dem Mittelreich stammen oder mit gutem Willen auch aus dem Lieblichen-Feld. Für ihr Alter war ihr Körper knabenhaft ausgeprägt und ihr Rücken war übersät mit verheilten Striemen, die von einer Neunschwänzigen stammten. >>Farviriol hat an ihr also auch schon seinen "Spaß" gehabt<< ging es Raffael verächtlich durch den Kopf. Was Raffael irritierte, war ihr ungewöhnliches Verhalten. Wenn er versuchte Blickkontakt herzustellen, senkte sie schnell ihr Haupt zu Boden. Er hatte keine Erklärung dafür. Hatte sie Angst vor ihm, oder verhielt sie sich einfach nur, wie sich Sklaven im Normalfall zu verhalten hatten? Farviriol waren Raffaels Beobachtungen nicht entgangen. Er lächelte kühl, streckte seine rechte Hand nach dem Mädchen aus und zog sie zu sich auf seinen Schoß. Das Mädchen lies erschrocken das Servierbesteck los. Es klapperte auf die Platten. Auch die Dienerin, die neben Raffael stand, verharrte einen Augenblick mit ängstlichen Augen, bevor sie ihre Tätigkeit beendete und dann schnellen Schrittes den Raum verließ. "Das hier ist Marie." begann der Elf. "Gefällt sie dir?" Farviriol lächelte Raffael provozierend zu. "Sie ist ein gutes Kind; sehr gehorsam!" Den Hexer fixierend, begann der Elf langsam mit seinen schlanken Fingern die Schenkel des Mädchens zu streicheln. Die junge Frau erzitterte unter der Berührung. Raffael sah zu ihrem Gesicht. Sie war vor Scham errötet und hatte ihren leeren Blick zu Boden gesenkt. Sie krallte ihre zitternden Hände in den durchsichtigen Tüllstoff ihrer Hose. Raffael wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Elfen zu, der sich anscheinend eine Reaktion von ihm erhoffte. Farviriol reizte ihn ganz bewusst, denn er hatte seinen Schwachpunkt längst herausgefunden. Doch der Hexer tat ihm diesen Gefallen nicht. Für die Worte, die er nun sprach, hasste er sich selbst. "Nein, sie gefällt mir nicht. Ich habe kein Interesse an verbrauchten Frauen." Raffael nahm eine Gabel, stach gespielt gelangweilt in sein Essen, pikste ein Stück Fleisch auf, roch daran, unschlüssig um was es sich handelte und begann zu essen. Dabei konzentrierte er sich mühsam auf seinen Teller. Raffael war verärgert, aber das musste er dem Elfen ja nicht unbedingt zeigen. Die Jahre im Zirkus zahlten sich aus. Raffael spielte überzeugend. Er hörte wie Farviriol mit einem leisen Fluch das Mädchen von sich runter schob. Erleichtert griff sie mit hastigen Bewegungen nach den leeren Platten und dem Servierbesteck, erwiderte dankbar Raffaels Blick und verschwand durch die gleiche Tür, wie die andere Dienerin. Farviriol ergriff verstimmt sein Besteck und begann ebenfalls zu essen. Der Hexer lächelte zufrieden in sich hinein. Diesmal hatte er gesiegt. Eine Weile saßen sie schweigend beisammen und verzehrten das bereit gestellte Mahl. Es schmecke vortrefflich. Raffael konnte sich nicht erinnern je so gut gegessen zu haben. Gehungert hatte er nie, dafür war Oruha immer eine zu gute Wirtschafterin gewesen, aber das fahrende Volk war nicht gerade für seinen luxuriösen Lebenswandel bekannt. Nach einiger Zeit ergriff Farviriol das Wort. "Ich unterbreite dir ein Angebot." Raffael sah von seinem Teller auf. "Und was für eins?" fragte er misstrauisch, "Ich werde nicht mehr versuchen, dir einen Teil deines Sikhariyans zu stehlen..." "Was verlangt Ihr im Gegenzug?" unterbrach Raffael schnell. "Ich werde dich studieren." Der Elf schob sich etwas Gemüse in den Mund. Raffael war alarmiert, er hatte schon so eine Ahnung, was der Mann mit "studieren" meinte. "Du darfst dich in meinem Haus frei bewegen und auch in die Stadt, aber darüber hinaus schwörst du, dass du bleibst!" fuhr Farviriol in ruhigem Ton fort. "Und wenn ich ablehne?" fragte Raffael. Farviriol legte seine Gabel beiseite, lächelte böse und sagte: "Dann versuche ich mein Glück erneut. Du wirst dich nicht auf Dauer meinem Willen entziehen können. Aber mir liegt mehr daran herauszufinden, warum es mir beim ersten Mal nicht gelungen ist. So etwas darf sich nicht wiederholen." Raffael schluckte trocken. Seine Chancen Farviriols Haus eines Tages an einem Stück zu verlassen standen schlecht, aber noch schlechter standen sie, aus Oron lebend raus zukommen. Wie er es drehte und wendete, keine der beiden Alternativen war äußerst verlockend. Hinzu kam, dass der Elf verlangte, dass er schwor. Raffael brach ungern einen Schwur, aber er schätzte, dass die Götter hier mehr als nur ein Auge zudrückten, wenn er sich nicht daran hielt. Er gab ihn schließlich einem Paktierer. Raffael hatte sich entschlossen. Er wählte das kleinere Übel. "Und, was sagst du?" fragte Farviriol. "Ja. Ich stimme Eurem Angebot zu" antwortete Raffael zerknirscht. "Gut!" freute sich der Elf. Er stand auf, ging hinter Raffaels Stuhl, stützte sich mit gestreckten Armen auf die Stuhllehnen und beugte sich zu ihm runter. Farviriols Haare fielen auf Raffaels Schulter. "Eine Kleinigkeit noch. Ich mag das "Ihr" nicht. Nenn mich bei meinem Namen." bat er. Raffael verhielt sich vollkommen still. Er dachte nicht daran auch nur zu atmen! Farviriol wartete einen Moment auf seine Antwort. Da aber keine kam, richtete er sich wieder auf, ging in Richtung der Tür, durch die auch die Dienerinnen zuvor gegangen waren und öffnete sie. "Verzeih, aber meine Geschäfte verlangen meine vollste Aufmerksamkeit. Sieh dich um, der Tag ist noch lang. Wenn du in die Stadt hinaus willst, dann solltest du offen zeigen, wem du gehörst. In deinem eigenen Interesse." Mit diesen Worten verließ Farviriol den Raum und schloss hinter sich die Tür. Raffael atmete auf, legte seine Arme auf den Tisch und bettete seinen Kopf auf sie. "Verdammt, was hab ich mir nur dabei gedacht?!" seufzte er tief. Raffael hatte noch nie so viele Bücher gesehen. Eigentlich hatte er überhaupt noch nie mehr, als nur den Einband eines Buches gesehen. Oruha hatte es immer für unnötig gehalten, ihm Lesen und Schreiben beizubringen. Sie hatte stets gesagt, das sei etwas für die reiche Oberschicht. Die einfachen Leute bräuchten nur ihren Verstand und kräftige Hände, um für sich zu sorgen. Nun stand er in Farviriols hauseigener Bibliothek und war überwältigt von so viel Schriftgut. Auch wenn er selbst noch nie in ein Buch hinein geschaut hatte, wusste er, dass sie unglaublich teuer waren. Und Farviriol hatte einen ganzen Raum voll davon. Erneut fragte er sich, wie groß die Macht des Elfen und sein Ansehen in diesem Land waren. Raffael nahm vorsichtig ein Buch mit braunem Einband aus einem der Regale. Der Einband war aus stabilem Leder gearbeitet und goldene Schriftzeichen zierten den oberen Bereich des Buches. Raffael strich mit den Fingern darüber. Es fühlte sich an, als ob man über ein Stück frische Baumrinde strich und es roch nach Druckerschwärze. Raffael schlug das Buch auf und begann darin zu blättern. Verstehen konnte er die Schrift nicht. Er kannte sie nicht einmal, aber die Illustrationen, die das Buch enthielt, fesselten seine Aufmerksamkeit. Sie zeigten Mitglieder des Elfenvolkes. Sie sahen allerdings anders aus, als die Elfen, die er bisher gesehen hatte. Alle waren umgeben von einem strahlenden Leuchten und sie standen inmitten großer Elfenstädte aus Kristall. Es war eigenartig, denn Raffael wusste, dass Elfen normalerweise in kleinen Sippengemeinschaften zusammen lebten und stets die Nähe zur Natur suchten. Dass sie auch in riesigen Städten lebten, war ihm neu. Er blätterte das Buch bis zu Ende durch und entdeckte neue eigenartige Elfen. Ihre Haut war dunkel, fast nachtschwarz und ihre Statur war kleiner und zierlicher. Auf einem der Bilder umringten sie eine der anderen Elfenfrauen. Sie trug ein Kleid, das Raffael an das Gewand einer Geweihten erinnerte. Die Frau war überaus schön, von hohem Wuchs, mit goldenen Augen, hellblondem Haar und fast schneeweißer Haut. Sie schienen sie als eine Art Gottheit zu betrachten. Das Buch befasste sich scheinbar mit der Geschichte des Elfenvolkes, oder vielleicht waren es auch einfach nur Märchen. Raffael konnte das nicht so genau sagen. Er stellte das Buch zurück an seinen Platz und sah sich weiter um. Neben etlichen Regalen und den vielen Büchern, war ebenfalls ein Schreibtisch vorhanden. Auf ihm lagen Schriftstücke und Briefe verstreut, daneben Schreibutensilien und ein Siegelring in Form eines Skorpions. Der selbe Skorpion, der auch Raffaels Rücken zierte. Diese Bibliothek war gleichzeitig Farviriols Arbeitsraum, stellte er fest. Hier entschied der Elf über Menschenleben. Was genau seine Aufgaben waren, außer der Sklavenbeschaffung, wusste Raffael nicht, aber er konnte es sich in etwa vorstellen. Wenn er die Elitegarde Orons anführte, dann galt seine Aufmerksamkeit vor allem Feinden des Landes. Wobei man unter "Feind", göttergläubige Aufrührer verstehen durfte. Die Bibliothek befand sich im Erdgeschoss neben dem großen Empfangssaal. Der Saal lag genau unterhalb von Farviriols Schlafzimmer und hatte drei Eingänge. Der Haupteingang befand sich dabei direkt unter dem Balkon. An den Türseiten wuchsen die blühenden Pflanzen des oberen Stockwerks herab, die Raffael am Vormittag gesehen hatte. Die rechte Tür des Saals führte zur Bibliothek, die linke zu einem weiteren Raum, der Farviriol und seinen Gästen als Besprechungszimmer diente. Im linken Flügel des Gebäudes befanden sich die Zimmer der Dienerschaft, sowie ein kleiner Durchgang in die Stallungen. Auf der rechten Seite gab es die Küche und den Vorratsraum. Neben dem Eisen beschlagenen Eingangstor hatten Farviriols Wachen sich zwei Wachstuben eingerichtet, in denen sie auch die Nacht verbrachten. Der zweite Stock war über zwei Treppenhäuser zu erreichen, die sich sowohl neben der Bibliothek, als auch neben Farviriols Arbeitszimmer befanden. In der oberen Etage gab es bis auf die Gemächer des Elfen, ausschließlich unbenutzte Räume. Diese Räume, drei in jedem Flügel, standen Gästen des Hausherrn als Unterkunft bereit. >>Dieses Haus ist riesig!<< stellte Raffael fest. >>Ein Wunder, dass ich mich nicht verlaufen habe...<< Die Dienerschaft war Raffael bei seinem Rundgang durch Farviriols Haus stets aus dem Weg gegangen. Sie maßen ihn mit zum Teil abschätzigem oder zum Teil bedauerndem Blick. Wenn er das Gespräch mit einem von ihnen suchte, wanden sie sich schnell mit wenigen Worten ab und gingen einer Beschäftigung nach, die möglichst weit von dem Hexer entfernt zu erledigen war. Raffael setzte sich mit einem traurigen Seufzen auf den Steinboden des Innenhofs. Die Marmorplatten waren noch warm von der Mittagssonne. Es war bereits früher Abend und er hatte die Hoffnung aufgegeben, dass er in diesem Haus jemand finden würde, der bereit war sein Freund zu werden. Er lehnte sich an die Hauswand und schloss die Augen. In seinen Geist traten Erinnerungen von Fadime, wie sie ihn ärgerte und piesackte. Im Moment wünschte er sich nichts mehr, als dass sein kleines Schwesterlein da wäre und ihm die Zeit vertrieb. Er vermisste sie, auch wenn er es ihr gegenüber nie zugegeben hätte. Dafür war es mittlerweile zu spät. Raffael wurde an der Schulter angestupft. Er öffnete die Augen und erblickte blaue Augen und rötliche Sommersprossen. Marie stand neben ihm, in ihrer freizügigen Kleidung und lächelte ihn freundlich an. "Danke!" sagte sie. "Hm?" erwiderte Raffael überrascht. Marie ließ sich neben ihm nieder und lehnte ebenfalls mit dem Rücken an die Wand. "Danke, dass du vorher nicht auf die Sticheleien des Herrn reagiert hast." Sie faltete ihre Hände in ihrem Schoß und sah auf den Boden. "Schon gut" erwiderte der Hexer. "Ich hoffe, ich hab dich nicht gekränkt." "Nein, das hast du nicht." Marie schüttelte den Kopf. "Ich war ehrlich erleichtert, denn der Herr hat mich schon seit Monaten nicht mehr angerührt und ich hab doch einen ordentlichen Schrecken bekommen, als er mich zu sich gezogen hat." Marie lachte leise und zog die Beine an ihren Körper. Ihre Worte stachen Raffael tief ins Herz. Das Mädchen sprach eigenartig leicht diese Dinge aus, ja fast gleichgültig. "Wo kommst du her?" fragte er das Mädchen, um das Thema zu wechseln. "Aus Donnerbach." antwortete sie. "und du?" "Das ist eine gute Frage, eigentlich komme ich von den maraskanischen Inseln, aber aufgewachsen bin ich in einem Zirkus. Also könnte man sagen, ich komme von überall und nirgends." Raffael lachte. Seit fast einer Woche lachte er wieder. Marie stimmte mit in ein. "Ich hab den Zirkus als Kind immer gemocht. Meine Eltern sind an Festtagen mit mir hingegangen." Raffael freute sich darüber, dass jemand mit ihm sprach und er sich nicht so alleine fühlte. Er wollte dem Mädchen ebenfalls eine Freude machen, zumindest wollte er es versuchen. Raffael schloss die Augen und konzentrierte sich auf das, was Pawla ihm über Lichtmagie beigebracht hatte. Er streckte seinen Arm aus und formte seine Hand zu einer Schale. Er stellte sich in Gedanken vor, wie die Lichtkugeln aussehen sollten. Marie schaute ihn irritiert an. "Ist mit dir alles in Ordnung?" fragte sie besorgt. "Scht..." meinte er knapp. Bisher waren Raffael die Lichtkugeln nur selten geglückt und farbig würde sie auch nicht werden, aber vielleicht freute sich das Mädchen trotzdem. Auf der Handfläche des Hexers entstanden drei kleine Lichtbälle, die langsam nach oben stiegen. Raffael öffnete die Augen und dirigierte sie im Hof herum. Sie jagten sich durch den Raum und tanzten auf der Wasseroberfläche des Brunnens um die Wette. Nach einer Weile wurden sie kleiner und verschwanden. Raffael konnte mit sich zufrieden sein. Zum ersten Mal hatte es überhaupt funktioniert. Marie klatschte in die Hände und lachte wie ein kleines Kind. "Du kannst ja zaubern!" rief sie freudestrahlend aus. Raffael sah in das glückliche Gesicht der jungen Frau und freute sich mit ihr. "Na ja, ein bisschen wenigstens." antwortete er ihr grinsend. Dann wurde er wieder ernst und fragte: "Sag mal, warum will niemand außer dir mit mir sprechen?" Auch Maries Freude ebbte ab. Sie blickte wieder stur geradeaus. "Weil der Herr es uns verboten hat." "Und warum?" fragte Raffael erstaunt. "Das macht er immer so, wenn er ein neues, verzeih meinen Ausdruck, "Spielzeug" gefunden hat. Er isoliert dich von den Anderen, damit du keine Wahl hast, als dich an ihn zu halten" sagte sie traurig. "Wirst du dann keinen Ärger bekommen, wenn du dich nicht an seine Anordnungen hältst?" Raffael wusste, dass diese Frage überflüssig war. Natürlich würde sie Ärger bekommen! Marie grinste ihn schelmisch an. "Wenn du es ihm nicht sagst und ich auch nicht, wird er es nie erfahren! Und die Anderen werden es ihm nicht verraten!" Raffael spürte wieder, wie sein Herz ihn schmerzte. Mit den wenigen Worten, die Marie mit ihm gesprochen hatte, hatte sie kleine Widerhaken in seinem Herzen hinterlassen. Er hatte dieses Mädchen, lieb gewonnen, obwohl er sie nicht kannte. "Was ist mit den Anderen? Werden sie sich auch nicht an das Verbot halten?" wollte Raffael wissen. "Doch werden sie, aber bei ihnen ist es etwas komplizierter. Sie sind nicht Farviriols Sklaven, sondern arbeiten lediglich für ihn. Sie verlassen Abends das Anwesen und kommen morgens zurück. Sie haben große Angst davor, dass der Herr irgendwann Interesse an ihnen finden könnte. Deshalb verhalten sie sich möglichst unauffällig." erklärte die junge Frau. Raffael konnte nachvollziehen, warum sie sich ihm gegenüber so abweisend verhielten. Er würde es an ihrer Stelle auch nicht anders machen. Marie und der Hexer unterhielten sich noch eine Weile weiter, bis der Abend anbrach. Sie hatte ihm bereitwillig Auskunft gegeben, über sich und über alles weitere, was er wissen wollte. Marie war sechzehn Jahre und diente schon seit ihrem zehnten Lebensjahr in Farviriols Haus. Er hatte sie und ihre Mutter von einem seiner Raubzüge mitgebracht, als Maries Eltern in Aranien zu Verhandlungszwecken über verschiedene Textilien und ihren Verkauf waren. Der Vater war erschlagen worden und die Mutter des Mädchens hatte die ersten drei Wochen in Farviriols Haus nicht überlebt. Ähnlich wie bei Raffael war es der Zufall, der den Elfen zu Maries Familie geführt hatte. Raffael stand auf dem Balkon und starrte in die Dämmerung hinaus. Einzelne Sterne waren bereits am klaren Firmament zu sehen. Es würde eine kalte Nacht werden. Raffael ging gedankenverloren zu dem großen Doppelbett und fragte sich, wer alles schon in diesen Laken gelitten hatte und Farviriol zu Diensten gestanden haben musste. Nun würde er darin schlafen. Zumindest hatte er für die heutige Nacht und die nächsten Tage seine Ruhe, denn der Elf war außer Haus. Er würde erst in einer Woche zurück sein. Vermutlich war er wieder auf der Jagd. Raffael nahm sich eine Decke und ein Kissen und bereitete sich neben dem Bett ein Lager. Zum ersten Mal seit einer Woche konnte er beruhigt einschlafen, ohne damit rechnen zu müssen, dass er am nächsten Morgen nicht mehr aufwachte. Die nächsten Tage vergingen ereignislos. Raffael hatte sich in der Stadt umgesehen. Sie war genau das, was er erwartet hatte: Ein Sündenpfuhl! Frauen und Männer jeden Alters boten ihre Dienste an jeder zweiten Straßenecke an und selbst die Freier und Freierinnen verschwendeten keine Zeit mit lästigem Ausziehen, da sie meist schon fast entkleidet über die Straße gingen. Von der schlimmsten Rauschkrauthöhle des Hafenviertels Elburials, bis hin zu prächtigen Palästen und Belkeleltempeln von Shorioth, dem Nordteil der Stadt, war alles vertreten. Raffael war erstaunt, dass es hier inmitten der Hochburg des Belkelelkultes sogar Tempel der Zwölgötter gab. Die Tempel der Rahja, des Phex und der Hesinde waren allesamt heruntergekommen und nur wenige Freie suchten sie auf. Wie Raffael erfahren hatte, wurde der Glaube an die Götter geduldet, aber durch hohe Steuern derart eingeschränkt, dass es sich die wenigsten leisten konnten an ihrem Glauben festzuhalten. Elburum rühmte sich die Stadt der Freuden zu sein, in der kein Wunsch nicht erfüllt wurde. Nach außen hin wirkte die Stadt wie eine nie enden wollende Vergnügungsmeile, vor allem das Viertel Zhinbabil mit seinen Spielhäusern und Bordellen, das sich an der Ostküste der Stadt erstreckte. Aber wenn man an der Oberfläche kratzte, erkannte man schnell die Seelenfalle. Denn nichts anderes war diese Stadt. Der einzige Bereich, indem man sich bedenkenlos aufhalten konnte, war das Handwerkerviertel Fellakhand. Es war durch eine eigene Stadtmauer vom Rest Elburums abgetrennt. In ihm lebten vorwiegend die freien Handwerker und Händler, die sich ihre Freiheit durch hohe Abgaben sicherten. Farviriols Haus befand sich im Stadtteil Shorioth neben anderen Palästen wichtiger Persönlichkeiten Orons. Über allem ragte jedoch der "Blutrote Tempel der Einen Und Einzigen". Raffael stand des öfteren vor dem größten Belkeleltempel Orons und beobachtete die begeisterten Gläubigen, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Einige waren betörend schön, andere wiederum grausam entstellt. Die meisten aber, das wusste der Hexer, waren Diener der Erzdämonin und keine normalen Anhänger mehr. Marie hatte ihm erzählt, dass Oron der Teil der schwarzen Lande sei, der mit Abstand die meisten Paktierer hatte. Direkt neben dem Tempel war ein Palast erbaut, der fast die Größe des Kaiserpalastes des Lieblichen-Feldes erreichte. In ihm lebte, so hatte Marie berichtet, die Satrapa Merissa. Die über siebzig jährige Greisin war die zweite Frau im Staat und übernahm die Verwaltung des Moghulats von Elburum aus. >>"Sie ist noch grausamer und gefährlicher, als Farviriol"<<, hatte Marie Raffael erzählt, obwohl er sich das kaum vorstellen konnte. >>"Sie findet keinen so großen Gefallen am Quälen selbst, aber sie gewinnt ihre Lust durch die Gewissheit, dass sie die Qual beenden könnte und es bewusst nicht tut. Etwas Boshafteres kann es doch nicht geben."<< hatte Marie gemeint. Raffael war sich da nicht so sicher. Seit er in dieser Stadt war hatte er aufgehört Vergleiche zu ziehen, denn jedes Mal, wenn er dachte nichts könnte ihn mehr erschrecken oder schockieren, wurde er eines Besseren belehrt. Raffael hatte sich an Farviriols Anweisung gehalten und bewegte sich stets mit freiem Oberkörper durch die Stadt. Des öfteren wurde er deswegen angesprochen, oder hatte das ein oder andere nicht ganz züchtige Angebot erhalten, aber sobald die Männer und Frauen das Mahl erblickten, war ihr Interesse erloschen und sie suchten schleunigst das Weite. Auch wenn Raffael es nicht gern zugab, er war fast froh, dass er diese Marke hatte. Es war bereits spät und Raffael machte sich auf den Rückweg zu Farviriols Haus. Seine schwarze Blutrose, die er dabei hatte, war schon dabei zu verwelken. Er musste sich also etwas beeilen, wenn er noch über die Rosenbrücke wollte. War sie verwelkt, bevor er das Spielerviertel verlassen hatte, dann musste mehr als einer der Götter ihm gnädig sein. Marie hatte ihm davon abgeraten Zhinbabil zu betreten, aber seine Langeweile hatte ihn fast umgebracht. Noch dazu musste er durch das Viertel, wenn er zum Hesindetempel wollte. Er hatte im Tempel der Göttin des Wissens ein Abkommen mit dem Tempelvorsteher geschlossen. Raffael berichtete über Sagen und Legenden seines Volkes und im Gegenzug brachte er ihm das Lesen und Schreiben bei. Raffael hatte nur sehr wenig Geld, um für die Ausbildung zu bezahlen, aber nach lautstarkem Feilschen, willigte der Hesindegeweihte schließlich ein. Phex war ihm diesmal gewogen. Oruha hatte ihm also was Richtiges beigebracht. Raffael kämpfte sich gerade durch das dichte Gedränge der Freier und Spielsüchtigen, da brach direkt vor ihm eine Schlägerei aus. Zwei Männer stritten sich um ein junges, etwa achtjähriges Mädchen. Beide beanspruchten sie für diese Nacht. Das Mädchen stand ängstlich am ganzen Körper zitternd da, mit Augen, die verrieten, dass sie schon lange kein Kind mehr war. Raffael drängte sich an den beiden betrunkenen Schlägern vorbei und eilte zu dem Mädchen. Er ergriff ihre Hand und rannte mit ihr durch die grölende Menge. Dabei verlor er unbemerkt die Rose an seinem Hosenbund. Raffael bog in eine Seitenstraße ab und hielt erst an, als das Lärmen des Mobs leiser wurde. Schwer atmend standen die beiden in der dunklen Gasse. Nach einigen Augenblicken wandte Raffael sich dem Mädchen zu und lächelte freundlich. "Bist du in Ordnung?" fragte er sie. Das Mädchen nickte stumm. Mit ihren großen Augen starrte sie zu ihm auf. "Einen Silbertaler, der Herr." sagte sie bestimmt. Raffael war verdutzt, dann geschockt. Das Kind hielt ihn für einen Kunden. "Nein" stammelte er. Raffael kämpfte um seine Fassung. Nachdem er sich gesammelt hatte, kniete er sich vor das Mädchen, legte eine Hand auf ihren Kopf und versuchte seiner Stimme einen möglichst väterlichen Ton zu verleihen. "Nein" sagte er ruhig. "Ich will keine Dienstleistung. Wo sind deine Eltern?" Das Mädchen zeigte in Richtung des Armenviertels. "Bring mich hin" forderte der Hexer. Das Mädchen sah Raffael irritiert an, zuckte mit den Schultern und lief dann in die gezeigte Richtung. Raffael ging ihr hinterher. Das Armenviertel hatte den Namen "Viertel" nicht einmal verdient. Zwischen Häuserwänden der Spielhöllen und den Bordellen waren einfache Bretterverschläge gebaut worden, die mehreren Familien gleichzeitig Unterschlupf boten. Hier hielten sich vornehmlich Kranke und diejenigen auf, die nicht einmal mehr zum Sklaven taugten. Eigentlich warteten die Menschen hier nur noch auf den Tod. Raffael brach es das Herz, wenn er daran dachte, dass dieses Mädchen hier seit seiner Geburt aufwuchs und Zeit seines Lebens nie etwas anderes kennen lernen würde. Das Mädchen führte ihn zu einem der Bretterverschläge in der hintersten Ecke einer dunklen Gasse, blieb stehen und zeigte mit ihrem dürren Finger auf den "Eingang". Raffael bewegte sich langsam auf den Verschlag zu. Als er hinein sah, saßen dichtgedrängt vier Personen beieinander. Zwei Frauen und zwei Männer. Es waren die Großeltern und die Eltern des Kindes. "Ist das deine Familie?" fragte der Hexer. Das Mädchen nickte wieder nur stumm. Raffael zog zwei Silbertaler aus seiner Hose und warf sie den eingedreckten Leuten zu. Gierig schnappten sie nach seinem Geld. Dann drehte er sich um, fuhr dem Mädchen mit seiner Hand über den Kopf und machte, dass er weg kam. Dieses Geld sicherte nicht die Zukunft der Familie, aber zumindest musste das Kind sich diese und die nächste Nacht nicht verkaufen. Als Raffael den Weg zurück suchte, verlief er sich gnadenlos. Jede Ecke sah aus wie die zuvor und jeder Weg war identisch mit dem nächsten. Raffael bog an der nächsten Weggabelung links ab und wäre fast wegen der Dunkelheit in eine Gruppe von drei Männern hinein gerauscht. "Hey, kannst du nicht aufpassen?" raunzte einer der Betrunken ihn an. "Entschuldigung" meinte Raffael knapp und wollte an ihnen vorbei treten. Der Betrunkene hatte aber offenbar andere Pläne. Er packte Raffael am Arm und hielt ihn davon ab. "Du musst schon mehr bieten, als ein billiges "Entschuldigung"!" sagte der Mann grinsend. Raffael konnte den bierschwangeren Atem des Mannes riechen. Raffael bekam eine Gänsehaut vor Ekel. Die beiden anderen fingen an zu lachen. "Und was wollt ihr?" grollte der Hexer "Geld hab ich keins dabei." Das entsprach sogar der Wahrheit. Sein letztes Geld hatte er dem Mädchen gegeben. "Das ist aber dumm für dich." lachte der Betrunkene "Hey Jungs, er ist zwar keine Frau, aber er sieht ja nicht schlecht aus!" grölte der Mann. Das Lachen der anderen wurde lauter. Raffael wurde langsam nervös. "Nach oronischem Gesetz darf keinem Besucher mit einer Blutrose ein Leid zugefügt werden!" erinnerte Raffael. "Du hast aber keine!" grinste der Mann. Raffael sah zu seiner Hose. Die Rose war weg! "Oh, verflixt!" spie er verärgert aus. Noch bevor Raffael reagieren konnte wurde er von den Begleitern des Betrunkenen gepackt und festgehalten. Der Mann, der die Hände frei hatte zog einen rostigen Dolch und hielt ihn Raffael unter die Nase. "Da du kein Geld hast wirst du eben anders bezahlen!" meinte der Anführer amüsiert. Raffael hatte genug. Er trat mit voller Wucht gegen die Kniescheibe des Mannes und hörte sie splittern. Mit einem gellenden Schrei ließ er den Dolch fallen und ging zu Boden. "Verdammtes Aas!" schrie der Mann. Raffael erhielt einen Schlag in den Rücken von einem der Männer, die ihn hielten. Dafür hatte er ihn aber loslassen müssen. Raffael nutzte seinen freien Arm, drehte sich dem anderen zu und schlug mit aller Kraft in sein Gesicht. Eine wüste Schlägerei brach aus. Raffael schätzte seine Chancen zu gewinnen als sehr gering ein. Er hatte zwei Gegner, die ihm an Kraft und Statur weit überlegen waren. Aber er versuchte sein Bestes. Das reichte jedoch nicht aus und schon nach einer Weile lag er mit blutender Nase auf dem Rücken und versuchte seinen Gegner, der ebenfalls einen Dolch gezogen hatte, davon abzuhalten ihm ein zweites Lächeln zu verpassen. Wie er diese Stadt hasste! Und Schuld war dieser Elf! Raffael spürte wie seine Kräfte nachließen. Da hörte er aufgeregte Hufschläge näher kommen. Etwas knallte durch die Luft. Raffael hörte seinen Gegner, der mit einem riesigen Ruck von ihm runter gezerrt wurde, schreien. Raffael richtete sich auf und sah wie der Schläger, dessen Handgelenk mit einem Peitschenende umwickelt war, von einem Mann in roter Gardeuniform auf seinem Pferd in vollem Galopp davon geschliffen wurde. Zwei weitere Reiter standen in der Gasse. Der Betrunkene, dem Raffael die Kniescheibe zerschmettert hatte richtete sich umständlich auf und versuchte zu fliehen. Sein Freund tat es ihm gleich und suchte das Weite. Einer der Reiter spornte sein Pferd an und nahm die Verfolgung auf. Auch er trug eine der roten Gardeuniformen mit dem Skorpionwappen. In der Gasse war es dunkel, doch Raffael wusste wer der dritte Reiter war, auch ohne dass er ihn erkannte. Aus einiger Entfernung hörte Raffael einen lauten Schrei. Farviriols Untergebener hatte den Flüchtenden offenbar gestellt. Der Anführer der Betrunkenen versuchte ängstlich davon zu kriechen, kam aber nur sehr langsam vorwärts. Der letzte Reiter bewegte sein Pferd langsam vorwärts. Als er in einen schmalen Lichtschein ritt, erkannte Raffael Farviriol, der seinen grimmigen Blick kalt auf den Betrunkenen geheftet hatte. Er ritt langsam weiter vorwärts und blieb an Raffaels Seite stehen. Der Hexer saß immer noch auf dem Boden, angelehnt an eine Hauswand, erschöpft von der Schlägerei. Farviriol beugte sich runter und umschlang mit einem Arm seine Hüfte. Als hätte Raffael kein Gewicht, wurde er von dem Elfen wortlos aufs Pferd gezogen. Dann wendete Farviriol das schwarze, gehorsame Ross, dass Raffael so bewundert hatte und ritt kommentarlos davon. Raffael hob ungläubig seinen Blick zu den grünen Augen des Elfen. Dieser erwiderte ihn nicht. Hatte Farviriol ihn gerade wirklich gerettet? Den ganzen Weg bis zu Farviriols Haus hatten sie kein Wort miteinander gewechselt. Es war bereits dunkel und die Sterne standen am Himmel. Als sie ankamen, hatten sich bis auf die Wachen, alle zu Bett begeben. Raffael ging voraus, während der Elf sein Pferd in den Stall brachte. Er ging in Farviriols Schlafzimmer und setzte sich an den runden Tisch. Nach einer Weile betrat auch der Elf den Raum und nahm auf dem Doppelbett Platz. Er legte sich mit einem tiefen Seufzen ab, ließ seine Beine über den Bettrand baumeln und verdeckte seine Augen mit seinem Arm. >>Irgendwie ist er heute eigenartig<< ging es Raffael durch den Kopf. Er traute dem Frieden nicht. Farviriol war ohne ein Wort von dem Betrunkenen davon geritten. Nach seinem Blick zu urteilen, den er dem Mann zu geworfen hatte, hätte Raffael schwören können, dass der Elf sich mit ihm "vergnügen" wollte. Aber er hatte ihn nicht mal umgebracht! Und zu ihm hatte Farviriol kein Wort gesagt. Als Raffael den Elfen so daliegen sah, so ungewohnt "menschlich", tat er ihm fast ein wenig Leid. Der Hexer erschrak vor sich selbst. Was dachte er da? Der Elf tat im Leid? Raffael zweifelte an seinem Verstand, aber er fühlte sich in gewisser Weise schuldig, weil Farviriol ihn aus der Schlägerei befreit hatte. Raffael stand auf und holte sich sein blaues Gewand aus dem Schrank. Seine Hose, die Marie für ihn gewaschen hatte, war restlos zerfetzt. Das Mädchen hatte sie, nach den Raufereien mit Farviriol, schon einmal geflickt, aber jetzt gab sie endgültig den Geist auf. Raffael zog sich hastig um. Als er seinen linken Arm anhob, zuckte er mit einem leisen Fluch zusammen. Einer der Betrunkenen hatte ihn mit seinem Dolch am Unterarm verletzt. Er hatte es in der Aufregung nicht bemerkt, doch jetzt wo sein Körper sich wieder in Ruhe befand, tat es doch etwas weh. Raffael hielt in der Bewegung inne, legte den Kaftan beiseite und wischte sich das Blut vom Arm. Dass er dabei völlig nackt war, fiel ihm erst auf, als Farviriol neben ihm stand. Raffael erschrak. "Müsst Ihr Euch immer so anschleichen?" fragte er mürrisch. "Du" antwortete der Elf. Er starrte auf die frische Wunde auf Raffaels Arm. "Was?" Raffael wusste nicht, was er meinte. "Musst DU dich immer so anschleichen?!" erklärte Farviriol müde. "Lass sehen!" befahl er. Raffael hielt sich den Arm, streckte ihn dann aber mit einem aufgebenden Seufzen Farviriol entgegen. Der Elf griff nach Raffaels Ellenbogen und sah sich die Wunde an. Farviriol beugte sich nach vorne und leckte das noch vorhandene Blut ab. Raffael versuchte seinen Arm wegzuziehen. "Hör mit dem Mist auf!" verlangte Raffael ärgerlich. Farviriol ignorierte die Forderung und fuhr mit seiner Zunge die Wunde ab. Raffael setzte immer mehr Kraft ein, um den Elfen abzuschütteln, doch es gelang ihm nicht, da Farviriol seinen Druck verstärkte. Raffael zappelte hilflos vor sich hin und nach einer Weile ließ der Elf ihn schließlich los. "Du zeterst wie ein kleines Kind" beschwerte er sich gereizt. "Desinfiziert man bei euch Wunden etwa nicht?" Er sah Raffael an. Erst jetzt bemerkte der Hexer, das ausgemergelte Gesicht des Elfen. Er wirkte ungeahnt müde. Er hatte Farviriol als Monster kennen gelernt, das, wenn es sich in Rage befand, imstande war ganze Sippen auszurotten. Jetzt aber stand dieser Mann wie ein Häuflein Elend vor ihm, auch wenn seine Kraft die eines normalen Menschen immer noch überstieg. Raffaels Gedanken rasten. Im Moment war Farvirol schwach. Die Versuchung war groß, sehr groß sogar. Der Elf erahnte die Gedanken des Hexers. Er machte einen Schritt von ihm weg und breitete die Arme aus. "Hier ist deine Chance. Ich war lange nicht so schwach wie jetzt. Wenn du auf einen passenden Augenblick gewartet hast, um mich zu töten, dann ist das die Gelegenheit." Raffael war sich unklar, was er jetzt tun sollte. Es stimmte, er würde nie wieder eine solche Gelegenheit bekommen. Er konnte sich auf den Elfen stürzen und es heute beenden. Was hinderte ihn daran? Die Dienerschaft würde ihn unterstützen, davon konnte Raffael ausgehen, aber eine innere Stimme sagte zu ihm, dass es nicht richtig war. Nicht nur, dass er dann nicht lebend aus Oron raus kam, etwas sagte ihm, dass er den Elfen noch brauchen würde. Es war nicht mehr als ein Gefühl, aber es war so stark, dass Raffael einfach auf es hören musste. "Verflucht!" knirschte er. Farviriol lachte höhnend. "Das ist dein Problem. Du hast ein Gewissen. Und genau deshalb wirst du hier niemals wegkommen." Farviriol nahm die Arme wieder runter, schüttelte den Kopf und begann sich zu entkleiden. Trotz seines angeschlagenen Zustands war sein Körper makellos. Raffael betrachtete den Körper des Elfen. Selbst jetzt war er schön. Das Sternenlicht spielte mit seinen Haaren. Es glänzte fast wie reines Silber und seine weiße Haut schimmerte wie frische Milch. Auch wenn Raffael es gerne wollte, dass von diesem Mann eine gewissen Faszination ausging, konnte er nicht leugnen. Farviriol ging zu Bett und starrte zur Decke. Der Hexer sah ihn noch einen Augenblick lang an, streifte sich dann den blauen Kaftan über und trat an sein provisorisches Lager. "Was soll das eigentlich werden?" hörte er den Elfen fragen. "Warum hast du dich auf dem Boden eingerichtet? Das Bett ist groß genug." Farviriol rollte sich auf die Seite und stützte seinen Kopf auf den Arm. "Ich hielt es nicht für angebracht" erwiderte Raffael kühl. Er stand immer noch vor seinem Lager. "Stell dich nicht so an. Selbst wenn ich wollte, bin ich heute zu erschöpft, um mir mit dir einen Kampf zu liefern. Du brauchst also keine Angst zu haben, ich werde von meinem Recht keinen Gebrauch machen." Farviriol lächelte ihn schelmisch an. "Zumindest heute nicht!" Raffael ärgerte sich. Nahm dieser Mann wirklich an, er würde das gleiche Bett mit ihm teilen? Und das auch noch freiwillig? Der Hexer zweifelte langsam am Verstand des Elfen. Farviriol wartete immer noch auf Raffaels Reaktion. Da diese ausblieb, rollte er sich mit einem enttäuschten Seufzen zur anderen Seite und rührte sich nicht mehr. Raffael sah, dass der Atem des Elfen lang und tief wurde. Raffael konnte mit der Situation nicht viel anfangen, aber da Farviriol im Moment nicht ganz Herr seiner Sinne zu sein schien, ergriff er die Gelegenheit beim Schopf. Wenn Menschen müde waren, dann wurden sie meistens redselig. Vielleicht erging es dem Elfen nicht anders. Raffael ging zum Bett und setzte sich. "Kann ich dir eine Frage stellen?" fragte er vorsichtig. "Nur zu" kam leise die Antwort. "Was hat dich so geschwächt?" Raffael riskierte viel mit dieser Frage und ihm war klar, dass er vielleicht im nächsten Augenblick um sein Leben rennen musste. Aber zu seiner Überraschung reagierte Farviriol völlig gelassen. "Warum möchtest du das wissen? Du hast doch schon die Chance mich zu töten..." sagte er. "Aus Interesse" log der Hexer. Farviriol setzte sich auf. Er war immer noch schnell, aber Rafael erkannte, dass er in der Tat, viel seiner Kraft eingebüßt hatte. Schließlich antwortete der Elf auf seine Frage. "Ich habe kein Sikharyan zu mir genommen. Schon seit drei Tagen nicht mehr. Auch wenn wir Lamijanim eigentlich keine Nahrung bräuchten, sind wir doch auf die Energie anderer angewiesen." Farviriol lächelte flüchtig an. Seine Augen wirkten im Sternenlicht wie kleine Edelsteine. "Und was hat dich davon abgehalten, dir wie sonst, zu nehmen was du willst.?" bohrte Raffael nach. Er wollte herausfinden, welche Schwachpunkte der Elf hatte und wie man sie nutzte. "Spanndicke Gitterstäbe" war die überraschende und simple Antwort. Farviriol nahm eine von Raffaels Haarsträhnen zwischen seine Finger. Er hatte zwar gesagt, dass er auf sein "Recht" verzichtete, aber was konnte man auf die Worte eines Paktierers schon geben? Dennoch ließ Raffael es zu. Er musste den Elfen bei Laune halten, damit er weiter sprach. "Hättest du dich nicht befreien können?" fragte er weiter. Farviriol stieß ein lautes Lachen aus. Diesmal war es kein böses Lachen, sondern ein Lachen das Eltern von sich geben, wenn ihre Kinder eine dumme Frage gestellt hatten. Raffael ärgerte sich über Farviriol. Er quälte ihn, ängstigte ihn zu Tode und jetzt lachte er ihn aus. >>Ich muss ja so dumme Fragen stellen, schließlich besitze ich kein Wissen über Wesen wie dich!<< brodelte es in ihm. Farviriol sah Raffael seine Empörung an. Er ließ die Haarsträhne los und rückte näher zu ihm. Der Hexer hatte eine solche Reaktion schon erwartet. Er traute dem Elfen keinen Millimeter über den Weg. "Ich wollte nicht über dich lachen, aber es ist äußerst erheiternd, dass du meine Macht für so groß hältst." Farviriol lachte erneut. Dann nahm er Raffaels Hand und begann sie zu streicheln. Der Hexer zog sie sofort weg. "Schade" sagte Farviriol, immer noch amüsiert über Raffaels Frage. Er rückte noch ein Stück näher, wodurch Raffaels Miene sich zunehmend verfinsterte. Der Elf lehnte seinen Kopf an Raffaels Schulter und sah fast bittend, wie ein kleines Kind zu ihm auf. In seinen Augen konnte der Hexer aber etwas Lauerndes erkennen. Farviriol hatte eine neue Masche aufgesetzt, ganz nach dem Prinzip "Zuckerbrot und Peitsche". Raffael ignorierte ihn und fragte weiter. So schnell würde er nicht aufgeben. "Und wer hat dich eingesperrt?" Farviriols Blick wurde grimmig, fast ärgerlich. Er richtete sich auf und starrte vor sich hin. "Merissa, die alte Vettel." War seine eisige Antwort. Raffael kramte in seinen Erinnerungen nach dem Namen. Ihm fiel wieder ein, dass Farviriol die Frau meinte, die so gern ihre Gnade verwehrte und damit die Opfer nicht nur den körperlichen Qualen aussetzte, sondern auch den Seelischen. "Wer ist diese Frau?" fragte Raffael gespielt unwissend. "Diese Frau," begann Farviriol verächtlich "steht in der Thronfolge hinter Dimiona. In ihren Knochenfingern hält sie die Macht Orons. Sie ist die weltliche Vertretung, während Dimiona die geistige Führung des Landes übernimmt. Seit ich in Oron bin, versucht sie Gewalt über mich zu erringen. Bisher konnte ich mich ihrer Begierde aber entziehen. Ich habe Dimiona stets loyal gedient und dafür erhielt ich den Kuss der Shaz-Man-Yat. Es war zwar nicht mein Wille, aber es hat auch seine Vorteile. Die Satrapa (= Ehrentitel) Merissa kann so nicht mehr über mich bestimmen. Ich kann nicht mehr zum Sklaven werden, außerdem fiele es Dimiona schwer, Ersatz für mich zu finden. Auch wenn die Rotmäntel die Ehrengarde Orons sind, die lästige Aufgabe die Sklaven zu besorgen, übernimmt niemand gerne. Mir hingegen bereitet es Freude, auf die Jagd zu gehen." Farviriol unterbrach seinen Redefluss und lächelte den Hexer böse an. Raffaels Blick erfror zu Eis. Nein, er hatte kein Mitleid mit diesem Geschöpf. Alles was Farviriol tat, geschah aus reiner Berechnung. Das wurde ihm jetzt klar. Raffael hatte versucht etwas Gutes bei ihm zu finden, damit er ihn nicht hassen musste, aber es gab nichts. Nicht einmal das kleinste Bisschen. Früher oder später würde Farviriol mit seinen "Studien" an ihm beginnen. Raffael musste bis dahin geflohen sein. Er verfluchte sein Gewissen, das ihn davon abhielt die Lage des Elfen auszunutzen. "Es war schlicht und ergreifend Dummheit, dass sie mich gefangen genommen hat." fuhr er ärgerlich fort. "Sie hatte mir ein besonderes Kunstobjekt für meine Schöpfungen in Aussicht gestellt. Sie sprach von einem Echsenweibchen. An Echsenmenschen heranzukommen ist sehr schwierig." Raffael verabscheute die Art wie er von anderen Lebewesen sprach. Sie hatten keinerlei Bedeutung für ihn. Das Leben hatte keinerlei Bedeutung für ihn! "Doch die Alte hat mich betrogen. Sie hat mich eingekerkert, und wollte mich zwingen, mich ihrer Lust hinzugeben." knurrte Farviriol. "Sie hat mich davon abgehalten mir meine Seelenenergie zu holen, um mich zu schwächen. Nach einigen Tagen bekam sie allerdings Angst, dass Dimiona sie für ihr Verhalten bestrafen würde, wenn ich die Tortur nicht überlebe." Raffael war sprachlos. Es war so einfach ihn zu schwächen. Man musste ihn nur einsperren und "verhungern" lassen. Raffael schloss daraus, dass Farviriol selbst kein Sikharyan besaß, er war wirklich seelenlos. Im Prinzip war er nicht mehr, als ein leeres Gefäß, das versuchte, sich zu füllen. Dazu bediente er sich der Energie Anderer. Der Hexer konnte sich ein gehässiges Grinsen nicht verkneifen. Farviriol war allerdings zu sehr in seine Rede vertieft, dass er nicht erkannte, was er dem Hexer gerade für eine gefährliche Information gegeben hatte. >>Schön, dass dein Geist auch geschwächt ist<< dachte Raffael zufrieden. "Die Alte wird es noch bereuen, sich mit mir angelegt zu haben" sagte der Elf mit drohendem Unterton. "Ich werde jetzt zu Bett gehen" sagte Raffael. Als er aufstand, krallte Farviriols Hand nach dem Gewand des Hexers. Raffael verharrte in der Bewegung und sah ohne Furcht auf den Elfen hinab. "Kannst du dir einen Kampf mit mir leisten?" fragte er zweifelnd. "Nein" antwortete Farviriol lächelnd. Er fuhr den Stoff hinauf und suchte nach der Hand des Hexers. Raffael blieb ruhig stehen. Als er sie fand, strich er zärtlich über Raffaels Fingerknöchel. Er hob den Blick und vertiefte seine schönen, grünen Augen in die des Hexers. Obwohl das Licht der Sterne nur schwach in das Zimmer hereinschien, konnte der Raffael sie dennoch deutlich sehen. Er fühlte sich eigenartig. Etwas in seinem Inneren wollte, dass Farviriol seine Hand weiter hielt. Nur einen Augenblick lang, dann stieg der Ärger in ihm auf. "Du hast geschworen es zu lassen!" sagte Raffael kühl. " Es würde sowieso nicht funktionieren." "Schon gut." Farviriol ließ Raffaels Hand los. "Aber die Versuchung war groß...." Er versuchte eine Unschuldsmiene auf zusetzten. Der Hexer nahm ihm das nicht ab. Dieser Elf war ein Monster und für ihn würde er auch immer eins bleiben. Raffael drehte sich wortlos um und machte es sich neben dem Bett bequem. Einige Minuten lag er mit wachen Augen da. Er konnte Farviriol atmen hören. Im Freien zirpten die Grillen und aus der Ferne rief eine Eule nach Gesellschaft. "Warum hast du deine Chance nicht genutzt? Du hältst mich für ein Monster und hasst mich abgrundtief." fragte der Elf in die Stille der Nacht hinein. "Weil ICH kein Monster bin" antwortete der Hexer. Farviriol lachte leise. Raffael nahm an, dass der Elf ihm nicht glaubte. Aber was machte das für einen Unterschied? Er wusste es besser. Raffael atmete tief ein und aus. Er würde wohl kein Auge zu tun, mit Farviriol im selben Raum. Was der Elf mit seinem Körper gemacht hatte, als er bewusstlos gewesen war, darüber wollte er erst gar nicht nachdenken. Raffael brütete über diese Gedanken noch eine Weile, dann fielen ihm die Augen zu. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)