"Benedictio Diaboli" - Blutrosen von Archimedes ================================================================================ Kapitel 7: Weihnachtsgeschenkle für Arzu! ^^ -------------------------------------------- >>>"Dröhnend knarrte der massive Boden unter seinen Füßen. Mit rasender Geschwindigkeit donnerte das Ungetüm aus Erz, Feuer und Stein auf die Stadt des Lichts zu. Unter der Tausende von Tonnen schweren Last würde alles Leben zermalmt werden. Die Stadt, die seit der ersten Dämonenschlacht keine schlimmere Katastrophe erlebt hatte, würde fallen. Wehrheim, das stählerne Herz des Reiches war zerstört, die Armeen, die den gigantischen Weltenbrand überlebt hatten, in alle Winde zerstreut, die Königin war gefallen, die Greifen hatten ihr Leben gegeben und seine Freunde kämpften den aussichtslosen Kampf gegen die niederen Dämonenheere im Inneren der Festung. Und sie waren nur zu fünft. Zusammen würden sie am Boden zerschellen, auf den größten Praiostempel Deres stürzen und unter sich die Kirche der Götter begraben. Aber dafür lebte die Bevölkerung! Die Wahl war ihnen nicht schwer gefallen. Hunderttausende würden überleben und sie neu errichten! Wenn das Volk des Mittelreichs für eines bekannt war, dann dafür, dass es aus der Asche auferstehen konnte! Der warme Frühlingswind streichelte Raffaels Gesicht, zart, wie die Hand einer Mutter, die ihr Kind zum schlafen bettet. Zum letzten Mal würde er auf die größte Stadt des Mittelreiches blicken, die jetzt brennend unter ihm lag. Wehmut erfüllte sein Herz. Viele waren gestorben. So viele. Doch es war die Mühe wert. Einer der Heptarchen hatte seinen letzten Atemzug getan und einer der sieben Teile von Borbarads Krone würde in die richtigen Hände geraten und für immer verwahrt werden. Wieder war ein Angriff auf das Herz Aventuriens abgewehrt worden, doch um welchen Preis? Der Hexer sah auf sein Schwert. Rotes Blut tropfte von der blitzenden Klinge. Er konnte sein Spiegelbild in dem blanken Stahl sehen. Es war sein Gesicht, aber verzerrt durch das viele Blut und den Dreck der bestandenen Kämpfe. Er war des Tötens so müde. Doch ein Kampf stand ihm noch bevor. Vermutlich sein letzter. "Bringen wir es zu Ende!" hörte er hinter sich eine wohlbekannte Stimme. Raffael drehte sich langsam um, der Wind riss ihm das Band aus den Haaren, das "er" ihm geschenkt hatte und wehte ihm seine schwarzen Strähnen ins Gesicht. Das Band tanzte seinen Abschlussreigen auf dem Weg in die Tiefe. Der Hexer lächelte traurig. "Ja, bringen wir es zu Ende" Raffael stürzte sich auf den Mann und klirrend prallten ihre Schwerter gegeneinander."<<< Raffael schlug schreiend die Augen auf und erwachte in dem großen Doppelbett. Mit einem Ruck setzte er sich auf. Sein Atem war schnell und unregelmäßig. Schweiß lief ihm die Stirn hinab. Wieder einer dieser Träume. Der Hexer starrte geradeaus. Auf dem eisernen Geländer, das mit Blumen zugewachsen war, saß ein kleiner, blauer Vogel. Zwitschernd begrüßte er die Sonne. Es war Mittag. Raffael fuhr sich über die Stirn. Seine Brust hob und senkte sich immer noch zu schnell und sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Nur langsam konnte er sich sammeln. So einen schlimmen Traum hatte er nicht mehr gehabt, seit... Solch einen Traum hatte er das letzte Mal gehabt, vor Farviriols nächtlichem Überfall im Zelt von Oruha. In der Nacht, bevor seine Familie ausgelöscht worden war. Raffael war kein Medium zum Prophezeien gewesen, doch jetzt wurde er das Gefühl nicht los, dass dies nicht nur ein einfacher Traum gewesen war. Etwas Gigantisches bahnte sich an. Ein Ereignis, das Geschichte schreiben würde. Während er vor sich hin sinnierte und ab und zu über seine noch schmerzenden Einstiche am Hals fuhr, bemerkte er nicht, dass sich eine weitere Person im Zimmer befand. Erst als sie über den großen Teppich am Boden stolperte, schreckte der Hexer auf. Marie stand mit geweiteten Augen vor ihm, die sich jetzt langsam mit Tränen füllten. Tapfer schluckte sie ihr Schluchzen hinunter, in einer Hand einen Eimer, in der Anderen einen Schrubber. "Also doch" sagte sie schmerzerfüllt. "Ich kann eben nicht mithalten" Ihre gebrechliche Gestalt wurde noch ein Stück kleiner. Beide starrten sich an. Die Situation war absurd und verfahren. Ganz gleich, was Raffael jetzt auch sagte, er lag im Bett des Elfen und Marie würde ihm nicht glauben, dass er vor Erschöpfung einfach nur eingeschlafen war. Wie sollte er es ihr auch erklären? Marie stellte kommentarlos den Eimer ab, tauchte den Schrubber in das schäumende Wasser und begann den bräunlich, übelriechenden Fleck auf dem Teppich zu bearbeiten, den der Hexer hinterlassen hatte. Mit mehr Kraft, als nötig gewesen wäre. Raffael seufzte und knetete seine Finger, bis er die Knöchel knacken hörte. Es war zum aus der Haut fahren. Er hatte sich gerade wieder mit ihr vertragen, da brachte der Zufall sie wieder auseinander. >>Zufall? In diesem Haus geschieht nichts durch Zufall!<< dachte er grimmig. Farviriol hatte das Mädchen ohne Zweifel nach oben geschickt, damit sie dieses Bild vorfand. Er konnte Marie gut verstehen. "Würdest du mir glauben, wenn ich dir sage, dass ich hier nur geschlafen habe?" fragte er vorsichtig. Marie traktierte den Teppich wie besessen, gab Raffael aber keine Antwort. Er konnte sie wirklich gut verstehen. Raffael krallte seine Finger in eines der Laken. In ihm drohte jeden Moment ein Vulkan auszubrechen. Mit einem gewaltigen Satz war er auf den Beinen und aus dem Bett, rannte Maries Eimer um, in einer Geschwindigkeit, dass sie nur erschrocken zusammenfuhr und stürmte die Treppen hinunter. Der Hexer stieß krachend die Tür zur Bibliothek auf. Drinnen am Schreibtisch saß Farviriol in seine Arbeit vertieft. Durch den Lärm sah er von seinen Papieren auf, jedoch keinesfalls überrascht. "Was kann ich für di.." Weiter kam er nicht, denn Raffael griff über den Tisch, packte den Elfen am Kragen und rammte ihm ohne Vorwarnung die Faust ins Gesicht. Farviriol wurde durch die Wucht zurück geschleudert, doch durch eine elegante Bewegung zur Seite gelang es ihm problemlos auf den Beinen zu bleiben. Erstaunt rieb er sich die schnell blau werdende Stelle an seinem Kinn. Auch wenn der Hexer kein guter Kämpfer war und er seine Prügeleien immer mit mehr Glück als Verstand bestritten hatte, brachte die Wut in ihm ungeahnte Kräfte hervor. Raffael knallte beide Hände flach auf den Tisch und machte seinem Ärger Luft. "Seele hin oder her. Lass sie in Frieden, oder ich vergesse mich!" brüllte er den Elfen an, dessen Regenerationskräfte sofort einsetzten. Das Blau seines Kinns wurde zu Rot, einem schwächlichen Rosaton, der umgehend verschwand. "Ganz schön harter Schlag" sagte Farviriol anerkennend und knackte ein wenig mit seiner Kaumuskulatur. "Jedem Anderen hättest du leicht den Kiefer brechen können!" Farviriol rückte seinen Sessel zurecht, der durch Raffaels Attacke gegen die Wand gestoßen worden war und einige Bücherstapel zum kippen gebracht hatte. Dann nahm er wieder Platz und begann seine Papiere zu ordnen. Der Hexer lehnte sich immer noch über den Schreibtisch. Die Gleichgültigkeit mit welcher der Elf seine Forderung kommentierte, machte ihn rasend. "Sonst noch was?" fragte Farviriol beiläufig, zog einen Zettel unter Raffaels Hand hervor und siegelte ihn mit dem Zeichen des Skorpions. Zwei weitere dieser Stempel befanden sich auf dem Tisch. Einer war durch Raffaels Ausbruch zu Boden gerollt. "Wenn nicht, dann lass mich weiterarbeiten. Heute Nachmittag wird eine neue Schiffsladung Sklaven in Elburum eintreffen. Bis dahin müssen die Formalitäten geregelt sein" Raffael kickte einen Bücherstapel um. Teuer oder nicht. Das interessierte ihn im Moment nicht im Geringsten. "Deine Arbeit juckt mich so viel, wie wenn in Horasia einer dieser Stäbchenschwinger einen Furz lässt!" Jetzt ging mit Raffael sein Zigeunertemperament durch. "Sehr blumige Aussprache" Der Elf sah von seiner Arbeit auf, ein herausforderndes Funkeln in den grünen Augen. Farviriol stand auf, beugte sich zu Raffael vor und drückte seine Hände auf dem Tisch fest. "Du weißt, ich würde jederzeit mit Vergnügen ein kleines Spielchen mit dir treiben" wisperte er dem Hexer ins Ohr, dass sich Raffael die Nackenhaare sträubten. Dann seufzte er tief, entließ die Hände des Hexers und setzte sich in seinen Sessel zurück, "aber ich fürchte wir müssen das verschieben, denn ich habe leider keine Zeit" "Wie bedauerlich" äffte Raffael ironisch. Der Weißhaarige, lächelte bloß verschlagen. "Ich hoffe doch, du wirst dich dann auch schön zur Wehr setzen?!" Die grünen Augen des Elfen blitzten gefährlich auf. Immer wenn Raffael dieses Glitzern in Farviriols Augen laß, war es besser ihn nicht weiter zu reizen. Auch er konnte die Disziplin mal hinten anstellen. Er würde sicherlich einen Schuldigen finden, der für seine Verfehlungen verantwortlich gemacht werden konnte. Aber es war an der Zeit, dass er zurückschlug. >>Du willst, dass ich mich wehre?<< dachte Raffael >>gut, das kannst du haben!<< In seinem Gehirn begann es zu arbeiten. Wenn er aus Oron jemals heraus kommen wollte, war es nötig ein paar Versuchsoperationen zu starten. Wenn Raffael den Elfen auf seinem eigenen Gebiet schlagen könnte, würde er früher oder später auch einen Weg finden diesen ungastlichen Ort zu verlassen. Und vielleicht schaffte er es sogar Marie mitzunehmen. Und dass Farviriol ihm den Wurmdämon entfernt hatte, war ein großer Fehler gewesen, denn jetzt konnte er wieder auf die Magie zurückgreifen. >>Dir werde ich in die Suppe spucken, mein Freund!<< Ein direkter Angriff war unmöglich und der Hexer brachte es auch nicht fertig den Elfen einfach umzubringen. Es ging schließlich nicht nur um das Leben von Farviriol. Blakharaz würde garantiert wieder an seine Seelentür klopfen, wenn er seinem Rachegedanken nachgab. Und dieses Risiko war die Sache nicht wert. Also musste man Farviriol da treffen, wo er am leichtesten verwundbar war: seine Eitelkeit! Er käme nie auf die Idee, dass jemand seiner Stellung oder seinem Ansehen gefährlich werden könnte. Raffaels Blick fiel auf das Siegel, das noch auf dem Tisch lag und ein listiges Grinsen schlich sich auf seine Lippen. Nicht sehr deutlich, denn wenn er eins in den anderthalb Jahren gelernt hatte, dann, dass der Elf Borbaradmoskitos husten hörte. In seinem Kopf nahm ein bestimmter Plan langsam Gestalt an. Es wurde Zeit ein wenig in Zigeunerbahnen zu denken! Sein Lächeln wurde breiter. Diesmal gewollt und ganz bewusst. Raffael setzte sich übertrieben kokett auf den großen Eichentisch. Dabei zerknüllte er einige Formulare unter sich und schupste wie beiläufig die zwei Füllfederhalter von der Platte. Wenn er nicht aufpasste, konnte ihn das, was er jetzt tat, leicht wieder in das unterirdische Gewölbe bringen. Und er war außer Übung. Selbst als er noch zu den Zahori gehörte war er nie ein guter Dieb gewesen. Mit begehrlichem Blick beugte er seinen Oberkörper nach vorne, bis er zu Farviriol aufsehen musste. Dabei achtete er darauf, dass sein Oberkörper möglichst genau über dem Skorpionsiegel lag und der Elf keine Einsichtsmöglichkeit über diesen Bereich des Tisches hatte. Das Siegel stach ihm in eine seiner rechten Rippen, doch der Hexer verzog keine Miene. Der Elf zeigte die erwartete Reaktion. Er misstraute der Wandlung des Hexers. Aber ein Lächeln unverhohlener Freude konnte er sich dennoch nicht verkneifen. "Darf man fragen, was das wird?" war die skeptische Frage. Raffael stemmte sich auf den rechten Arm, ging katzenhaft auf die Knie und mit der freien Hand zog er sich mit Hilfe der Schreibtischkante bis zu Farviriol, so dass er nun den Elfen um eine Kopfeslänge überragte und dieser gezwungen war zu ihm aufzusehen. Nur noch wenige Spann trennten sie beide. Nun war die optimale Ausgangsposition gegeben, um das Siegel an sich zu bringen. "Nun ja" hauchte er heiser "wenn ich dich hier halte, dann kannst du dich nicht um die Sklaven kümmern" Er streckte eine Hand aus streichelte zärtlich über Farviriols Wange und zog ihn ein Stück näher zu sich heran. Wenn Raffaels Plan gelingen wollte, musste der Elf sich voll und ganz auf sein Gesicht konzentrieren. "Du bietest dich an, damit ich sie nicht verkaufen kann?" Besonders überrascht schien er aber nicht zu sein. Farviriol kannte den Hexer mittlerweile lange und gut genug, dass er damit rechnen konnte, dass er nicht bloß zuschauen würde, wenn etwas gegen seine hohe Moral sprach. Er schwor sich, nicht mehr so leichtfertig ehrlich über seine Pläne zu sprechen. Er lächelte vor sich hin. Allerdings hatte eine gewisse Ehrlichkeit offensichtlich seine Vorteile. Raffael beugte sich noch ein weiteres Stück nach vorne. Seine Hand wanderte von Farviriols rechter Wange zu seinem Haaransatz. Zärtlich strich er die Konturen der spitzen Ohren nach. Äußerlich spielte der Hexer überzeugend, doch in seinem Inneren musste er an sich halten die Maskerade aufrechtzuerhalten und seine Hand nicht angewidert fortzuziehen. Die Wut ließ ihn weitermachen. Es war nötig zurückzuschlagen. Mit seiner anderen Hand tastete er vorsichtig die Tischplatte nach dem Siegel ab. Farviriol wollte Raffael entgegen kommen und das letzte, kleine Stück zwischen ihren Lippen schließen, doch Raffael wich spielerisch zurück, so dass nicht mehr als eine flüchtige Berührung von dem geforderten Kuss übrig blieb. "Oh nein, das wirst du schön bleiben lassen. Diesmal bin ich dein Herr!" sagte Raffael noch immer in der Nähe von Farviriols Mund mit seinen Lippen verweilend. Er spürte die verlockende Wärme, die von ihnen ausging. "So schnell vergisst du Marie?" stichelte der Elf und blickte ihm herausfordernd in die Augen. >>Bestimmt nicht. Sie ist einer der Gründe, warum ich das hier tue!<< Raffael überging den Einwand und quittierte ihn lediglich mit einem wissenden Lächeln. Seine Hand suchte weiter im Bereich seiner Oberschenkel nach dem Siegel. Die rauhe Tischplatte wehrte sich gegen das Abtasten auf ihre eigene Art. Nach dieser Aktion würde er erst einmal Holzsplitter ziehen dürfen. "Aber mir soll es nur recht sein, auch wenn ich dem Frieden nicht traue" Farviriol gehorchte und lehnte sich in seinem Sessel zurück. Der süßliche Geruch nach frisch erblühten Rosensträuchern hüllte sie beide ein. Warme Hände legten sich um seine Seele. >>Irgendwann musst du ihn fragen, was er benutzt, um so zu riechen<< dachte Raffael. Einen anderen klaren Gedanken konnte er nicht fassen. Der betörende Duft verwirrte ihm die Sinne. Er bemerkte nicht, wie viel Zeit verging. Auf einmal war die Hand des Elfen bei der von Raffael und liebkoste sie. Er fuhr jeden einzelnen Finger ab. Dabei ließ er Raffaels Gesicht nie aus den Augen. Der Hexer hielt in seiner eigenen Bewegung inne. Die kleine Berührung seiner Hand, die auf Farviriols Ohr ruhte genügte, um den feinen Haarflaum auf seinem Unterarm sich ihr entgegen stellen zu lassen und die Lippen leicht zu öffnen. Für einen Moment musste er die Augen schließen, denn das Gefühl der Hände Farviriols auf seiner Haut war überwältigend. Ein Augenblick der Farviriol ausreichte, um die Distanz zwischen ihnen beiden zu schließen. Ehe der Hexer sichs versah war er dabei begierig den sich ihm bietenden Mund zu erkunden. Er schmeckte nach einem frischen Frühlingstag, nach blühenden Blumen und reifen Früchten. Es war der perfekte Kuss. Nie wurde er besser geküsst. So musste ein Kuss schmecken. Nicht anders. Genauso hatte Raffael sich den paradiesischen Kuss vorgestellt. Der Hexer presste sich gegen den Elfen. Dieser hob seinen Kopf noch ein weiteres Stück an, um ihm entgegen zu kommen. Raffael hörte den gleichmäßigen Rhythmus von Farviriols Herzen gegen seine Brust hämmern. Es freute sich, dass er da war. Mit beiden Händen griff er in den silbernen Haarschopf und drückte ihn noch enger an sich, als ob er aus zwei Wesen eins machen wollte. Schwarze Fluten vereinten sich mit Silbernen. Licht und Dunkelheit. Der volle Mund, der seinen bedeckte erwiderte begierig die dargebrachte Leidenschaft. Raffael spürte, wie seine Lippen zu schmerzen begannen, doch es war ein lieblicher Schmerz. Er schmeckte den metallischen Geschmack seines eigenen Blutes. Doch es störte ihn nicht. Alles was in diesem Moment zählte war das Paradies, das sich unter ihm bot. Vergessen war der Plan, Marie, er selbst. Starke Arme umfassten seine Hüften und zogen ihn mit spielender Leichtigkeit zu sich herab, so dass er jetzt auf dem Schoß des Elfen saß. Der Sessel knarzte bedenklich unter dem zusätzlichen Gewicht. Alles was Raffael je gewollt hatte, war hier. Zu Gut. Zu perfekt. Falsch. Raffael spürte warme Hände auf nackter Haut. Auf einmal waren seine Gedanken klar. Erschrocken über sich selbst, löste er den Kuss und wich entsetzt zurück. Die warme Umarmung seiner Seele verschwand. Farviriol versuchte nicht ihn festzuhalten und nahm lächelnd seine Hände von Raffales Rücken. Sein Hemd war heraufgerollt. Der Hexer brachte es eilig wieder in Position. Sein Herz hämmerte ihm in den Ohren. "Schade. Fast hätte ich dich gehabt" grinste ihm der Elf frech entgegen. An seinem Mund lief ein dünnes Rinnsal frischen Blutes herab. Farviriol leckte ihn mit seiner Zungenspitze sauber. Raffael stolperte entsetzt weiter zurück, bis er gegen den Tisch krachte. Dabei rollten einige Gegenstände zu Boden, unter anderem auch das gesuchte Siegel. Farviriol begann heiter zu lachen und stand auf. Der Panik nahe brachte Raffael einen Schritt Raum zwischen sich und den Elfen. "Kein Angst, für heute hast du mir genug entgegen gebracht. Und das fast freiwillig. Aber fürchte dich nicht. Ich halte mein Versprechen, das ich dir gegeben habe. Kein Seelenraub" Farviriol bückte sich nach den verstreuten Dokumenten und seinem Schreibzeug. Raffael erspähte das Siegel. Es lag nicht weit entfernt von dem Elfen. Der Hexer ging in die Hocke und kramte ebenfalls die heruntergefallen Sachen zusammen. Dabei rutschte ihm das Siegel "ungewollt" in seinen Ärmel. Vorsichtig schaute er zu dem Elfen. Er drehte ihm gerade den Rücken zu. Er hatte es nicht bemerkt. "Hier" sagte Raffael und streckte Farviriol einige Bücher und Schriftstücke entgegen. "Leg sie einfach auf den Tisch" Raffael tat wie ihm geheißen und verließ dann mit rotem Kopf eilig den Raum. Der Hexer lehnte sich an die geschlossene Tür. Aus der Bibliothek hinter ihm ertönte immer noch Papierrascheln und hektisches Gekrame. Farviriol ordnete das Chaos, das sie beide hinterlassen hatten. Es würde ihn sicher nicht verwundern, wenn er eines der Siegel nicht gleich wiederfände. Bei der Unordnung könnte es durchaus unter einen der Schränke gerollt sein. Bei dem Gedanken an den Elfen donnerte sein Herz ihm in den Ohren, bis er das Gefühl bekam, es wolle das enge Gefängnis seiner Rippen sprengen. Das Blut schoss ihm in die Wangen. Für einen winzigen Augenblick hatte er in der Bibliothek alles um sich herum vergessen. Es hatte nichts mehr gezählt, weder das Leben der Menschen an Bord des eintreffenden Schiffs, Maries gebrochene Augen, als sie ihn im Bett Farviriols erblickte, noch er selbst. Für einen Bruchteil wollte er nur für ihn leben. Alles vergessen. Die Welt, das Leid, sich selbst! Die Unterkante des Siegels schnitt in die Handfläche des Hexers. Sein krampfhafter Griff um den Gegenstand löste sich. Tinte bedeckte einen Großteil der Innenseite seiner Hand, der feine Strahl roten Bluts schimmerte dennoch durch das dunkle Blau hindurch. >>Du brauchst jetzt einen klaren Kopf!<< ermahnte er sich und starrte grimmig auf die kleine Wunde. "Soviel von meinem Blut ist wegen dir schon geflossen!" Wut und Schmerz waren schon immer gut zum Klären romantischer Gedanken gewesen. Der Hexer grollte gegen sich selbst. Er hasste seine Unfähigkeit Farviriol gelassen entgegenzutreten und sich von ihm immer mehr einnehmen zu lassen. Er stand einem verführerischem Monster gegenüber, dem er, besseren Wissens um seine Verdorbenheit, zu gerne entgegeneilen würde, um es wieder und wieder zu umarmen, bis es seine Seele restlos verzehrt hatte. Bisweilen bedauerte er zutiefst das Angebot eines anderen Monsters nicht angenommen zu haben. Wie viele mussten es wohl sein? Etwa an die hundertfünfzig Menschen nachtschwarzer Haut, schätzte der Hexer. Männer, Frauen, ja sogar Kinder wurden die langen Planken des Zweimasters hinunter geführt, manche der Kinder nicht älter als ein halbes Jahrzehnt. Sie klammerten sich mit ihren kleinen Händen und den unschuldigen Augen an die zerfetzten Kleider ihrer Mütter. Bald würden sie ihre Kindheit hinter sich lassen und das Leuchten ihrer Augen abgetötet werden. Zurück würden nur noch wandelnde Leichen mit getöteten Verständen bleiben, die Herzen verdorrt, erzogen von Wesen, die nicht liebten, nicht fühlten und nur benutzten. Zu Leben unfähig, zum Sterben nicht stark genug. Gefangen in einem dahin vegetierenden Zustand endlosen Siechtums. Raffael trat aus dem Schatten der gestapelten Holzkisten. Es war später Nachmittag und er war in einen etwas zu großen, roten Mantel des Elfen gekleidet. Farviriol überragte ihn um gute zwei Kopfeslängen, doch von der Statur her passte er etwa in den Stoff. Der Elf war für seine Größe recht schmal gebaut. So glich sich der Größenunterschied wieder etwas aus. Sein Haar hatte er streng nach hinten gekämmt und zu einem fest geflochten Zopf gebunden. Er war problemlos durch die Stadt gekommen. Einem Mitglied der Rotmänteln machte man lieber ehrfürchtig Platz, obwohl der ein oder andere verwunderte Blick ihn gestreift hatte. Raffael konnte nur erahnen, dass es mit seinem fehlenden Pferd zusammenhängen musste. Mitglieder von Farviriols Regiment waren stets beritten. Doch wie hätte er den Wachen in Farviriols Haus erklären wollen, wozu er den schwarzen Hengst des Elfen brauchte?! Er hatte sich mit einem Beutel indem der Mantel verstaut worden war, ungesehen aus dem Haus geschlichen. Raffael war davon überzeugt, dass die Wachen sein Verschwinden bei seiner Rückkehr nicht melden würden. Die Angst vor der Strafe des Elfen war zu groß. Er war schließlich wieder da und nur das zählte. In Raffaels Hand befand sich ein briefgroßes Stück Pergament, zusammengerollt und mit dem Zeichen des schwarzen Skorpions gesiegelt. Das Siegel befand sich in seiner Gürteltasche. In dem Brief stand nicht mehr, als eine Notiz. Raffael hatte sich beeilen müssen, einige Zeilen zu Papier zu bringen. Farviriol war nicht persönlich zu den Verhandlungen mit den Sklavenhändlern aufgebrochen, sondern wurde zu Hofe gerufen. Vermutlich um noch einmal für den gestrigen Abend Rechenschaft abzulegen. Wie lange er außer Haus war, musste er abschätzen. Der Elf hatte zwei seiner Männer geschickt mit den Frachtbriefen und dem nötigen Geld, die Schiffsmannschaft zu entlohnen. Glücklicherweise kannte der Hexer sie nicht. Er schloss daraus, dass er den Männern daher ebenfalls unbekannt sein musste. Raffael riskierte viel, wenn er ihnen entgegeneilte und ihnen das Schriftstück frei Haus präsentierte. Aber Angriff war die beste Verteidigung und Oruha hatte ihn gelehrt, dass man am unauffälligsten wirkte, wenn man sich auffällig benahm. Raffael ging auf die beiden Rotmäntel zu, die mit dem Sklavenhändler, einem bulligen Seebären mit blauem Turban und dunkelbrauner Haut über den angemessenen Preis feilschten. Einige schwarze Locken lugten unter dem blauen Stoff hervor, der kunstvoll zu einem Turm auf seinem Haupt gewickelt war. Der Sklavenhändler war in Pluderhose und Weste gekleidet, die seiner breiten Brust und dem Bauchansatz kaum gewachsen waren. Mehrere dunkle Büschel dichten Brusthaars schmückten die stattlichen Muskeln. Dem hühnenhaften Mann, der selbst den Elfen noch um eine gute Kopfeslänge überragen musste, war ein tiefes Grinsen in die Züge gemeißelt. Etliche Narben zeichneten das etwa vierzig Jahre alte Gesicht. "Wir geben dir keinen Dukaten mehr, Calif. Die Waldmenschen sind nicht mehr wert. Unser Herr hat uns aufgetragen dir zehntausend Dukaten auszubezahlen und keinen Kreuzer mehr! Und nun troll dich!" erklärte der Kleinere von beiden. Neben dem tulamidyschen Riesen wirkte er wie ein verlorenes Kind. Der Mann verschränkte geduldig und mit einem breitem Lächeln die Arme vor der Brust und wurde noch ein weiteres Stück furchteinflößender. Seine lässige Pose verriet seine deutliche, körperliche Überlegenheit und dass dieser Wicht vor ihm, ihm nichts zu sagen hatte. Alleine seine Fäuste könnten den Kopf des Rotmantels binnen Sekunden zerquetschen und nur einen feuchten, undefinierbaren Haufen aus Knochen, Blut und Gehirnmasse hinterlassen. Doch Mitglieder der Rotmäntel waren nicht zu unterschätzen. Farviriol war kein Narr und er wählte sorgfältig. Wer es bis in sein Regiment geschafft hatte, gehörte zur Elite aventurischer Kämpfer, auch wenn sie auf der falschen Seite standen. "Ich glaube, das entscheide ich, wieviel meine Fracht wert ist, Sahib. Ihr sprecht von Menschen, nicht von Vieh" erwiderte der dunkle Riese gelassen. "Wo ist Euer Herr, dass er nicht selbst kommt, um zu verhandeln. Warum muss ich mich mit einem Speichellecker zufrieden geben, der sich mit anderen um die Reste seines Tisches balgt?" Raffael konnte den Mann nur schlecht verstehen. Er sprach zwar Tulamidya, aber mit einem fremdländischen Akzent. Vielleicht war er Novadi, oder kam aus Gorien. "Hüte deine Zunge, Sklavenhändler. Du sprichst mit einem Mitglied der Ehrengarde Orons!" Stolz reckte der Kleinere das Kinn. Die Angst vor dem Hünen wich ihm dennoch aus jeder Pore. Das affige Verhalten wurde prompt durch schallendes Gelächter quittiert. "So ein stolzes Äffchen" >>Wie gesagt, affiges Verhalten<< ging es Raffael durch den Kopf. "Kehrt heim zu Eurer Mama, wenn Ihr vor mir zittert, als stündet Ihr Shafir persönlich gegenüber" Das Lachen des dunklen Riesen wurde lauter. Aus irgendeinem Grund fand Raffael Gefallen an dem dunklen Riesen. Er betrachtete sich die Augen des Mannes näher. Sie waren von einem ebenso dunklen schwarze, wie das Gesicht des Mannes. Er hatte erwartet, dass er etwas verdorbenes in ihnen wiederfinden würde, doch sie waren nicht von Bösartigkeit gezeichnet, sondern von jugendlicher Leichtigkeit, ja fast etwas schelmischen. Und dennoch lastete etwas schwer in ihnen, die ihm eine Reife verlieh und zeigten, dass dieser Mann zu schnell erwachsen werden musste. Er war nicht eins mit sich und seiner Arbeit. Wüsste es der Hexer nicht besser, er hätte behauptet, er hasse sein Geschäft. "Du wagst es mich zu beleidigen?" Die schrille Stimme des Rotmantels riss Raffael aus seinen Gedanken. Er war durch seine Musterung abgelenkt gewesen. Jetzt erblickte er das Desaster. Der Kleinere hatte seinen Säbel gezogen. Sein Begleiter versuchte ihn davon abzuhalten auf Calif loszugehen. "Beruhige dich!" ermahnte er ihn zur Ruhe. Doch seine Stimme klang, als müsse er sich selbst erst davon überzeugen, dass der Zuspruch auch helfen würde. "Lasst ihn Sahib. Soll er in sein Unglück rennen" Calif stand wartend mit verschränkten Armen da. Er hatte sich keinen Zentimeter vom Fleck gerührt. "Lass mich los, Iman! Ich werde diesem Stück Scheiße die Eier in sein dreckiges Maul stopfen!" schimpfte der Kleinere. "Ja, lass ihn los!" forderte Calif ihn auf. Iman der zweite Rotmantel ließ widerwillig seinen Kumpanen los. Dieser stürmte sobald er freie Handlungsmöglichkeit hatte mit gezogenem Säbel auf den Sklavenhändler ein. Der alte Seebär rührte sich nicht, bis zur letzten Sekunde wartete er ab. Dann trat er einen Schritt zur Seite und stellte dem Unvorsichtigen ein Bein. Der Rotmantel ging scheppernd zu Boden und landete in einem frischen Haufen Meeresfrüchte. Er hatte den gleichen Fehler gemacht, wie viele junge Kämpfer. Er griff an, ohne zu denken. Calif schnappte sich den Säbel und brach ihn mit nur einer Hand in der Mitte durch. Wie er es schaffte, sich dabei nicht den kleinsten Kratzer zu holen, blieb Raffael ein Rätsel. Wütend und nach Fisch riechend stand er auf, nicht ohne zweimal auf dem nassen Untergrund abzurutschen. Er bot eine lächerliche Vorstellung. Raffael war sich sicher, wenn sich das herumsprach, war er die längste Zeit Mitglied von Farviriols Männern gewesen. Es war an der Zeit dazwischen zu gehen. "Genug!" donnerte die Stimme des Hexers. Raffael war trotz seiner ungedeckten Position den Männern bisher nicht aufgefallen. Alle drei Köpfe wanden sich seiner Stimme zu. Der Hexer fühlte sich nicht ganz wohl und unsicher. Er spielte hier mit dem Feuer. Aber um Farviriol eins rein zudrücken, war er bereit einiges zu riskieren. "Noch einer von denen!" Calif zog genervt die Schultern nach oben. "Warum straft mich Rastullah mit solch einer Plage?" >>Also wirklich ein Novadi<< "Schweigt, novadischer Händler!" befahl Raffael und trat an die Seite der beiden Rotmäntel und drehte dem Hünen den Rücken zu. Ein gefährliches Verhalten. Man drehte seinem Gegner nie den Rücken zu, schon gar nicht ohne Waffe. Aber Raffael beabsichtigte nicht gegen Calif zu kämpfen. Sein selbstsicheres Benehmen würde demonstrieren, dass er den Sklavenhändler nicht zu fürchten brauchte und er sich sicher war diesen Nachteil durch Kraft und Geschick zu kompensieren. "Was war hier los?" fragte er mit barschem Ton. Sein überlegenes Auftreten zeigte bei den beiden jungen Männern Wirkung. "Wir sind uns nicht über den Preis einig geworden" gab Iman kleinlaut zu verstehen. Sein Kamerad beäugte den Hexer noch zweifelnd. Er nahm ihm seine Rolle nicht wirklich ab. Raffael wurde nervös. Der Hexer sprach mit drohend, leiser Stimme weiter. "Ich habe euch beobachtet. Ein solches Verhalten ist inakzeptabel. Auch wenn er, wie du dich beliebst auszudrücken nur "ein Stück Scheiße" ist, so ist er doch ein Handelspartner. Und du schuldest ihm den nötigen Respekt" Raffael ging nahe an den jungen Mann heran und wisperte ihm ins Ohr: "Erst recht, wenn er dir haushoch überlegen ist" Er nahm ihm wie beiläufig den Beutel mit Gold aus der Hand. Raffael merkte, dass auch der junge Zweifler jetzt überzeugt war, eine höhergestellte Persönlichkeit vor sich zu haben. "Und nun geht! Ich kümmere mich um unseren dunklen Freund" Die beiden neuen Gardisten nahmen die Beine in die Hand und suchten schleunigst das Weite. Raffael atmete erleichtert auf. Zu früh vielleicht, denn als er sich umdrehte starrte er in das breite Grinsen Califs. In seinen Augen konnte er erkennen, dass er ihn die ganze Zeit über gemustert hatte und sich sicher war, dass er nicht mal einen ausgebildeten Kämpfer vor sich hatte. "Gut gebrüllt, kleiner Löwe! Aber ich werde auch mit dir nicht verhandeln. Nicht mit jemandem, der noch weiter unten steht, als diese beiden Trottel!" >>Verdammt<< dachte Raffael. Er hatte einen erfahrenen Sklavenhändler vor sich und vermutlich war er zudem ein Pirat. Seine Menschenkenntnis musste beispiellos sein. Ihn zu überzeugen war ein Ding der Unmöglichkeit. >>Kann denn nicht einmal alles klappen, wie es soll?<< Er musste sich schnell etwas neues überlegen. Raffael gab seine Scharade auf. "Also schön, Calif, so war doch dein Name?!" Calif nickte misstrauisch. "Es stimmt, ich gehöre nicht zu diesem Pack. Ich bin hier, um dir ein Schriftstück zu überbringen" Der Hexer reichte ihm das Pergament. Calif verschränkte erneut die Arme vor der Brust. "Sag mir erst, wer du bist, Knirps" "Mein Name ist Raffael und mein Herr schickt mich" Bei dem Wort "Herr" hätte er sich am liebsten auf die Zunge gebissen. "Es gab eine Änderung. Die Sklaven müssen zurück in ihre Heimat" "Nach Uturia? Nie im Leben. Du lügst!" Calif nahm eine drohende Haltung ein und begann die Muskeln seiner Arme zu spannen. Raffael war bewusst, wenn es zum Kampf käme, konnte er seine Eingeweide vom Pflaster kratzen. "Ich lüge nicht. Ich habe das Schriftstück bei mir. Es trägt das Siegel von Farviriol" Raffael atmete tief durch und drückte dem Riesen den Brief in die Hand. Calif war überrascht. Bisher hatte sich keiner getraut ihn auch nur anzufassen. Und jetzt kam dieser Gartenzwerg und drückte ihm ohne Furcht einen Fetzten Papier in die Hand. Er gab ein tiefes Brummen von sich und öffnete das Siegel und las einen Moment. "Tatsächlich, hier steht, dass sie zurück müssen, weil sich erst gestern ein Großhändler in Al Anfa gefunden hat, der alle auf einmal kaufen will" Raffael hoffte, dass er den Braten schluckte. Auf die Schnelle war ihm nichts besseres eingefallen, als die zweite Sklavenhaltergesellschaft neben Aranien zu involvieren. Raffael wusste, dass der Schwarzmarkt zwischen Oron und der schwarzen Allianz von Al Anfa florierte, obwohl es eines der zwölgöttlichen Lande war. Calif sah auf. "Das genügt nicht. Jeder kann solch ein Dokument fälschen! Und du trägst eine Uniform, die dir nicht gehört" Der schwarze Riese war nicht dumm. "Also schön. Ich werde dir den Beweis liefern, den du brauchst. Es ist wahr, ich gehöre nicht zu Farviriols Garde, sondern bin sein Sklave. Ich habe die Uniform gestohlen, um mich leichter durch die Massen zu bewegen" Raffael lächelte verschmitzt. Es war nicht einmal gelogen, dass er leichter voran gekommen war durch die Uniform. " Ich hab es nicht so gerne, wenn man mich auf der Straße einfach mitnimmt" "dann beweis mir, dass ich dir trauen kann" Raffael legte seinen Mantel ab und zog sein Hemd aus. "Bei Rastullah, was hast du vor?" Erschrocken wich Calif einige Schritte zurück. Anscheinend teilte er die Vorliebe mancher oronischer Männer nicht. Ein weiterer Pluspunkt. Der Mann vor ihm wurde Raffael immer sympathischer. "Willst du ihn nun sehen, den Beweis, oder nicht?" fragte Raffael leicht genervt und drehte sich um. "Siehs dir an. Er hat mich gebrandmarkt. Ich gehöre zu seinem Besitz" Calif trat näher und begutachtete den verheilten Skorpion auf Raffaels linkem Schulterblatt. Vielmehr erschrak er über die vielen Narben auf dem Rücken des Hexers. "Glaub mir, niemand würde sich freiwillig wie ein Stück Vieh behandeln lassen" Die Worte fielen Raffael schwer. Diesmal musste er nicht einmal spielen. "In Ordnung" war die kurze Antwort des Novadis. Raffael atmete auf. Geschafft. Er zog sein Hemd wieder an und hob den Mantel vom Boden auf. "Was ist nun mit dem Geld?" fragte Calif. >>Ganz der Händler, was?<< dachte Raffael. "Hier, nimm alles. Für deine zusätzlichen Mühen!" Raffael warf ihm den gefüllten Beutel zu. "Was deiner Meinung nach über den Wert der Menschen hinaus geht, verwende für Lebensmittel und Kleidung. Niemand kauft Sklaven, die alt und krank sind" Raffael dachte an die abgeschlachteten Menschen seiner Familie. Farviriol hatte ausnahmslos gesunde und junge Menschen gefangen genommen. Calif wandte sich um. "Hisst die Segel! Bringt die Menschen zurück an Bord! Wir laufen aus" Es war getan. Raffael wandte sich um zum Gehen. Hinter ihm ertönte die Stimme des Sklavebhändlers. "Der Elf hat sich mit dir einen gefährlichen Gegner in sein Haus geholt, Junge" Raffael drehte sich erschrocken um. Das breite Grinsen war in das Gesicht des Hünen zurückgekehrt. "Sollte er jemals herausfinden, was du heute getan hast, dann sollten dir alle Götter gnädig sein, nicht nur die Zwölfe" "Wenn du weißt, dass ich dich belogen habe, warum läufst du dann aus?" fragte Raffael irritiert. "Weil ich weiss, wie es ist, wenn man seine Familie sterben sieht. Ich lese es an deinen Augen ab" Der Hexer lächelte traurig. Er starrte auf den Mantel in seiner Hand und warf ihn dann dem Sklavenhändler zu. "Komm niemals nach Oron zurück. Finde dein Glück anderswo" Calif nickte. "Salamalaicum, Junge" "Mit dir auch, Sklavenhändler!" Raffael wandte sich ab und ging. Das Schiff würde auslaufen. Er vertraute Calif. Auch wenn er Sklavenhändler war und vermutlich ein Pirat. Er war dennoch ein Ehrenmann, so seltsam es auch klang. Raffael konnte mit sich zufrieden sein. Die Sklaven waren auf dem Rückweg in ihre Heimat. Bis Farviriol auffallen würde, dass er um seine Ladung gebracht worden war, würde genug Zeit vergangen sein, Zeit, die Calif benötigte für den Seeweg. Zweifelsohne würde Farviriols Zorn grenzenlos sein und sich vermutlich an den zwei eitlen Gecken entladen, doch das kümmerte Raffael nicht. Der Hexer verspürte keinerlei Reue. Was kümmerten ihn die zukünftigen Sklavenfänger, die bereits in jungen Jahren auf vermeintlich Schwächeren herum trampelten. Er würde nach Hause gehen, das Siegel an seinen alten Platz stellen, eine Unschuldsmiene aufsetzen und geduldig auf die Rückkehr Farviriols warten. Er würde sich sein Geschrei äußerlich völlig gleichgültig anhören, bis der Wutausbruch sich gelegt hatte, in seinem Inneren aber, würde er ein triumphierendes Grinsen aufsetzten und mit dem wohligen Gefühl zu Bette gehen, dem Bösen diesmal eine Nasenlänge voraus gewesen zu sein. >>Ja, so ist es gut mein Kind!<< hörte er eine innere Stimme. Pfeifend machte sich Raffael auf den Heimweg. Das Haus war in hellem Aufruhr. Schon von der Straße aus war das laute Toben des Elfen zu hören und das Zerspringen von Glas. Beklemmnis stieg in ihm auf. Es war nicht geplant gewesen, dass Farviriol schon zurück sein würde. Etwas musste schief gelaufen sein. Mit dem Löwen in der Höhle, noch dazu außer sich, war es ein Ding der Unmöglichkeit das Siegel heimlich zurückzubringen. "Verdammter Mist" fluchte der Hexer. Die Beklemmnis wuchs zu Angst bis hin zu den ersten Anfänger echter Panik. Was würde Farviriol mit ihm anstellen, wenn er herausbekäme, dass er die Ladung Sklaven seinetwegen verloren hatte? Sein Ansehen bedeutete dem Elfen unendlich mehr, als seine eigene Seele, sicherte es ihm schließlich seine Freiheit. Raffael bezweifelte, dass die Passion des Elfen ,seine Person betreffend, so weit ging, dass er riskierte, seine Stellung zu verlieren. Er würde es melden müssen und bei dem Gedanken an die Gerichtsbarkeit Orons lief ihm ein eisiger Schauer über den Rücken. Gerichtsbarkeit. Ein Wort, das er mit dem Moghulat zu allerletzt in Verbindung gebracht hätte. Raffael strich sich über seine Arme, als fröstele er. Mit langsamen Schritten bewegte er sich auf das große Gebäude zu, das ihm auf einmal doppelt so groß erschien, als es noch vor wenigen Stunden gewesen war. Das bauliche Meisterwerk wirkte wie der Vorhof zu den Niederhöllen. Das große Tor öffnete sich für ihn unter leisem Ächzen der alten Angeln und Scharniere. Es kam dem Brüllen eines hungrigen Schlingerrachens gleich, der über und über mit messerscharfen Zähnen zum Zerfleischen besetzt war. Der Hexer nahm seinen Mut zusammen und betrat den Innenhof. Immer noch Gebrüll. Wieder das Zersplittern von Glas oder Keramik. Raffaels Nackenhaare stellten sich, als wollten sie schnellstens das Weite suchen. Er atmete tief durch, ging am hauseigenen Brunnen vorbei und betrat den Hauptkomplex des Hauses, aus dessen oberem Stockwerk das Geschrei nach unten drang. Bevor er die Höhle des Drachen betrat, würde er allerdings noch in der Bibliothek vorbeischauen. Kaum hatte er das Haus betreten donnerte eine Stimme vom oberen Treppenabsatz: "Raffael!" Die barsche Stimme des Elfen durchfuhr den Hexer wie einer von Rondras Blitzen. Zu sehen war allerdings noch nicht. Umsichtig versteckte Raffael das gestohlene Skorpionsiegel in seiner Gürteltasche und legte in lässiger Pose seinen Arm darüber. Dann erschien er auch schon auf den oberen Stufen. "Warum antwortest du nicht, wenn ich dich rufe?" herrschte Farviriol ihn böse an. Raffael wich einen Schritt zurück und setzte seine beste Unschuldsmiene auf. "Ich dachte es wäre besser, dir in deinem jetzigen Gemütszustand nicht unter die Augen zu treten. Man hört dich bis auf die Straße." Und lächelnd fügte er hinzu: "Weißt du, trotz allem hänge ich an meinem Leben!" Farviriol winkte ab. Dabei tanzten silberne Strähnen um seine Schultern. "Aber was gibt es denn, dass du selbst Boron aus seinem Schlaf zu reißen vermagst?" Der Hexer mischte geheucheltes Interesse seiner Stimme bei. Schnaubend beantwortete der Elf seine ohnehin unnötige Frage: "Deine ach so geliebten Sklaven, für die du dich heute morgen mit vollem Körpereinsatz eingesetzt hast, sind nicht geliefert worden! Calif ist mit seinem Schiff wieder ausgelaufen! Ich habe die Nachricht auf dem Weg zum Dock erhalten!" >>Das sind sie nicht<< dachte Raffael amüsiert und ein triumphierendes Grinsen stahl sich auf seine Züge. Farviriols Miene verdunkelte sich. Die grünen Augen waren nicht mehr juwelengleich. Sie waren mehr als nur von Zorn erfüllt. Rage und maßloser Hass war er gewohnt, doch diesmal war etwas neues hinzu gekommen, das Raffael nicht zu deuten vermochte. Sein Lächeln erstarb. Wusste der Elf, dass er für das Debakel verantwortlich war? "Ja, freu du dich nur!" Farviriol packte den Hexer am Arm. "Doch eins sollte dir klar sein. Die Sklaven sichern mein Leben und damit auch deines. Dimiona verzeiht Fehlschläge äußerst selten. Wenn ich falle, fallen andere mit mir! Und jetzt komm!" Farviriol zog Raffael hinter sich die Treppe hinauf. Das ungute Gefühl, dass der Elf im Bilde war wurde mit jeder Stufe stärker. Die gesamte schwarze Sichel fiel ihm vom Herzen. Die Befürchtung und an schiere Panik grenzende Angst war von ihm abgefallen und hatte sich in die hinterste Ecke seines Verstandes zurückgezogen, wo sie als leise Vorsicht mahnende Stimme kauerte. Farviriol wusste nicht, wie Calif der Sklavenhändler auf den Gedanken gekommen war die Sklaven nach Uturia zurück zu verschiffen. Er hatte das gesiegelte Schriftstück mit sich genommen und war mit ihm auf dem Weg in die Heimat der Waldmenschen. >>Oh schöne Welt<< dachte der Hexer, während er auf dem Bett sitzend den Wutausbruch des Elfen über sich ergehen ließ. "Dieser räudige Bastard!" Farviriols Hände krachten auf den Tisch mit der Wasserpfeife. Sie wackelte bedenklich auf ihrem erschütterten Untergrund. Staubfussel schwirrten durch die Luft und wurden durch die untergehende Sonne in ein liebliches Rot getaucht. Farviriol wanderte nervös im Zimmer auf und ab. "Er hat mich hintergangen. Vermutlich war es eine länger geplante Aktion! Mit dem Geld, das er für die Ladung erhalten hat, kann er sich problemlos zur Ruhe setzten, selbst wenn er seine Männer ausbezahlen muss" Die Wasserpfeife wackelte immer noch. Farviriol wurde ihrer gewahr. Die Vergnügen spendende Pfeife wurde zum Ventil. Der Elf schmetterte das bedauernswerte Geschöpf gegen die Wand, wo es in seine Einzelteile zersprang. Die Wucht reichte aus, um zusätzlich eine tiefe Einkerbung in der Wand dahinter zu hinterlassen. "Verflucht!" Farviriol stemmte die Arme in seine Seiten und starrte auf den Balkon hinaus. Seine Brust hob und senkte sich hektisch. Für einen Moment kehrte völlige Stille ein. Raffael meinte den Elfen zittern zu sehen. Jenes Zittern, das einen befällt, wenn man vor Angst nicht mehr zu handeln weiss. Aber das konnte nicht sein. Oder doch? Grenzenlose Wut, Begehren, Ekel, ja selbst Freude kannte er von ihm. Doch dass ein stolzer Mann wie Farviriol, dessen Name den meisten Menschen Aventuriens ein Begriff war und dessen Name in der Regel Angst und Schrecken verbreitete, sich wegen einer verloren gegangenen Schiffsladung fürchtete, war beängstigend. Die mahnende Stimme der Vorsicht pochte in seinem Schädel und flaute wieder zu der Furcht auf, die er zurück gedrängt hatte. Diesmal rief sie aber nicht der Elf hervor. In Raffael keimte der Verdacht, dass seine Tat weitreichendere Folgen haben könnte, als er angenommen hatte. Dieser Verdacht hatte sich eigentlich schon in Farviriols Worten am Treppenabsatz bestätigen müssen und wurde jetzt zu trauriger Gewissheit. Was hatte er gesagt? >>"Wenn ich falle, dann fallen andere mit mir!"<< Und er hatte Recht! Raffael wurde bewusst, dass er vermutlich mit seiner Aktion sein eigenes Grab geschaufelt hatte. Selbst wenn er Farviriols Strafe überlebte, indem er seine Machtposition untergraben hatte, hatte er sich dem Rest Orons ausgeliefert. Denn so absurd es auch war, er genoss nicht nur die negativen Seiten seiner Gesellschaft, sondern auch den Schutz des Elfen. So ungern er es sich auch eingestand, er war auf ihn angewiesen. Pawla hatte Recht gehabt. Er dachte zu wenig und handelte zu schnell. Der Zorn über das Verhalten des Elfen gegenüber Marie hatte ihn blind gemacht. Die Sklaven zu befreien war zwar eine gute Tat, doch auch eine noch so gute Tat wird verdorben, wenn sie aus den falschen Gründen ausgeführt wird. Raffael stellte sich die Frage, ob es wirklich sein Wunsch gewesen war, das Leben der Menschen an Bord zu retten, oder ob es ihm um etwas anderes gegangen war. Und er wusste die Antwort bereits. Er musste es sich nur noch eingestehen. Einzelne Perlen von salzigem Wasser rollten langsam über seine Wangen. Der Wunsch, einmal zu gewinnen. Es ihm heimzuzahlen. Rache. Süße und wohlschmeckende Rache. Eine Hand rüttelte an seiner Schulter. "Raffael?" Raffael sah auf und blickte mit geröteten Wnagen in tiefe, grüne Elfenaugen, Die Furcht des Elfen war einem anderen Ausdruck gewichen. Sorge. Er strich über die nassen Wangen des Hexers und leckte die salzige Flüssigkeit von seinen Fingerspitzen. Dann streichelte er durch Raffaels Haare. Diesmal wehrte er sich nicht dagegen. Dass der Elf diesen Fetisch besaß, war ihm überdeutlich aufgefallen. Zumeist blieb es aber bei einem durch die Haare streicheln. "Mach dir keine Sorgen. Ein Fehler genügt nicht um mich aus meinen Ämtern zu vertreiben. Es ist zwar nicht unmöglich mich zu ersetzten, aber doch recht schwierig. Deiner geliebten Marie wird also nichts geschehen. Zumindest nicht von jemandem außerhalb dieser Wände" Raffael war wie vom Donner gerührt. An das Mädchen hatte er bisher gar nicht gedacht. Für sie würde es der sichere Tod bedeuten, wenn Farviriol seine Stellung verlöre. Sie war in den Augen der Oronis nicht mehr wert, als ein verrottetes Stück Fleisch, das keiner mehr wollte. Bei Farviriol war sie gefährdet und litt unermessliche Qualen, aber sie lebte! Das Siegel in seiner Tasche wog auf einmal Zentner. Wie konnte er nur so gedankenlos gewesen sein, mit dem Leben von ihr und den anderen Dienern zu spielen. Eine gewonnene Schlacht entschied nicht über den Krieg. Einen privaten Krieg, den er gegen den Elfen führte, wenn auch nicht offen. Und es gab immer Opfer. Apathisch starrte Raffael an Farviriol vorbei. Für einen kleinen Sieg über den Elfen war er unbewusst bereit gewesen andere zu opfern. Er hatte einhundertfünfzig Menschen benutzt. Sie als Grund für seine Vergeltung vorgeschoben. Sie zu retten war nur sekundäres Ziel gewesen. Er wollte dem Elfen schaden. Körperliche Unversehrtheit bedeutete ihm nichts, aber dafür sein Ansehen. Und um dieses Ansehen zu schwächen hatte er Unschuldige missbraucht. Was immer jetzt die Konsequenz war, geschah wegen seiner mangelnden Selbstbeherrschung. Eine kleine Ewigkeit blickte Raffael aus leeren Augen vor sich hin, nicht wissend wie lange er schon da saß. Das Zimmer verschwamm vor seinen Augen. Die Welt wurde dunkel. Und kalt. So kalt. >>"Jaja, Vergeltung hat viele Gesichter. Und so sehr man sich auch wünscht es sei anders, der faulige Keim wird immer da sein. Es steckt in deinem Blut Junge und tief in deinem Herz. Er wird seine modernden Wurzeln durch dich hindurch ziehen, bis sie schließlich das strahlende Leuchten umwuchern und dich der Dunkelheit weihen, um sie durch deine Seele zu stärken für den bevorstehenden Kampf. Du wirst dich mir anschließen, wie viele andere vor dir. Und du wirst nicht der Letzte sein. Du wirst Teil meiner Armee sein, die gegen die goldene Stadt marschiert. Je stärker du dich wehrst, desto mehr wirst du leiden!" << "Nein, bitte nicht" wimmerte der Hexer, doch seine Stimme klang hohl und war nicht mehr, als ein klägliches Krächzen. Aus der Ferne vernahm er ein Geräusch, wie das Reißen von Stoff. Der Hexer erkannte eine schemenhafte Gestalt vor seinen Augen. "Nicht!" hörte er die vertraute Stimme sagen. Sie klang dumpf und nicht wirklich real. Raffael blinzelte. Das Gesicht vor ihm wurde klarer und auch die Stimme in seinen Ohren. "Hör auf, du verletzt dich selbst!" Raffael spürte einen zermalmenden Druck auf seinen Händen, konnte aber nicht bestimmen, woher er kam. Er sah hinab und brauchte einen Moment, bis er das Bild, das sich ihm bot, verarbeitet hatte. Seine Hände waren verändert. Seine Fingernägel waren zu scharfkantigen Krallen gewachsen, die in dunklem Blut gefärbt waren. In dem Augenblick, als er die tiefen Furchen auf seinen Händen erblickte, die seine eigenen Krallen gerissen hatten, begannen sie wie Feuer zu brennen. Farviriol war vor ihm in die Hocke gegangen. Kleinere Vernarbungen an seinen Armen waren dabei zu verheilen und fünf tiefe Kratzer auf seiner linken Wange schlossen sich. Der Hexer folgte den zerfetzten Ärmeln des roten Hemdes bis zu den Händen des Elfen. Sie umklammerten mit eisernem Griff seine Handgelenke und drückten sie auf seinen Oberschenkeln fest. "Was habe...ich getan?" stammelte er. "Gute Frage" kam die trockene Antwort des Elfen. "Nicht dass ich mich beschweren will, aber wenn du dich schon selbst zu quälen anfängst, dann doch bitte bei vollem Bewusstsein!" "Was meinst du damit?" Raffaels Stimme klang rauh und dumpf. "Du warst weggetreten, für eine ganze Weile" Misstrauisch fügte er hinzu: "Kann ich dich jetzt loslassen?" Raffael ließ die Worte des Elfen erst einmal sacken. Einen Augenblick zu lange. "Hallo?" fragte Farviriol und rüttelte kurz an seinen Armen. Raffael blinzelte und schüttelte den Kopf. "Ja, du kannst mich loslassen" Zögernd ließ Farviriol von den Handgelenken des Hexers ab, griff nach einem der Laken und zerriss es mühelos in kleinere Teile. "Du kannst einem ganz schön unheimlich werden!" Farviriol setzte sich vor Raffael auf den Teppich, nahm seine Hände und begann das Blut von ihnen zu tupfen. "Ich dachte schon, dein Verstand verabschiedet sich" Der Elf drehte die Hände des Hexers, um besser an die Wunden der äußeren Handflächen zu kommen. Sein Blick wanderte kurz von Raffaels Händen zu Boden. "Blut kriegt man so schlecht aus dem Teppich! Ich werde mir einen neuen anschaffen müssen" knurrte er. Der Hexer sah zu Boden. Vor ihm hatte sich eine tellergroße Lache gebildet. "Entschuldigung" Farviriol lächelte zufrieden und versorgte weiter die Verletzungen. Das Mondlicht tauchte den Raum in ein silbernes Leuchten. Glühwürmchen schwirrten durch die schwüle Sommernacht. Ein leises Knurren verließ Raffaels Kehle, als Farviriol zu fest zudrückte. "Na, na jetzt stell dich mal nicht so an. Da hast du doch schon schlimmeres erlebt! Ich habe angenommen, dass ich dir länger in Erinnerung bleiben würde! Der Elf grinste breit und wickelte ein frisches Stück Stoff um Handflächen und Handgelenke. Der Hexer sah auf seine Hände. Seine Krallen bildeten sich zurück. Er hatte seine astralen Kräfte wieder unter Kontrolle. Einen Zauber zu wirken, ohne dass er es bemerkte, war noch nie vorgekommen. "So, fertig. Nicht schön, aber selten!" Farviriol stopfte das Ende des provisorischen Verbands unter die anderen Lagen des Stoffs. Skeptisch beäugte Raffael das Werk des Elfen. "In der Regel brauche ich niemanden zu verbinden" sagte er zwinkernd. "Danke" "Entschuldigung und Danke am selben Abend. Ich fühle mich geehrt" witzelte Farviriol. "Hör auf, dich über mich lustig zu machen!" fauchte Raffael. Der Elf erhob sich graziös vom Boden und setzte sich neben ihm aufs Bett. "Jetzt verrate mir mal, was das hier eben sollte" Er deutete auf die verbunden Hände. Der Hexer wusste nicht wie er darauf antworten sollte. Wenn er erzählte, dass er wieder Besuch von Blakharz bekommen hatte, musste er Farviriol Rede und Antwort stehen, warum er gerade heute erschienen war. "Ich höre" ermahnte der Elf ungeduldig. "Würdest du mir glauben, dass ich es nicht weiss?" fragte er mit gesenktem Blick. "Nein. Du bist ein zu guter Hexer, als dass dir deine Magie einfach so entgleitet. Das hast du mir mehrmals demonstriert" >>Toll, einfach toll. Wenn er jetzt auch noch sagt, dass er eine dämonische Wesenheit gerochen hat...<< "Es sah allerdings so aus, als seist du weit weg gewesen. Etwas hat in dir darum gekämpft freigelassen zu werden" >>Sags nicht<< "Ich habe diesen Ausdruck schon einmal bei dir gesehen. Unten im Gewölbe" >>Oh ihr Götter, bitte nicht!<< "Er war wieder hier. Nicht wahr?" Farviriol legte eine Hand auf Raffaels Unterarm. Diese führsorgliche Berührung ließ ihn erzittern. "Ja, war er" gab er kleinlaut zu. "Warum heute?" Raffael schloß die Augen und hörte in sich hinein. Die Stimme des Herrn der Rache war immer noch da. Sehr leise, aber vorhanden. "Es hat eh keinen Sinn" sagte er mehr zu sich, als an Farviriol gerichtet. Der Hexer öffnete die Augen und wandte sich dem Elfen zu. "Du wirst eh keine Ruhe geben, bis du es weißt" Raffael würde sich der "Gnade" des Elfen ausliefern, auch wenn er damit den letzten Nagel eigenhändig in das Holz seines Sarges trieb. Er hatte falsch gehandelt. Aus den falschen Gründen helfen wollen. Um es besser zu machen, musste man seine Fehler zuerst eingestehen. Und vielleicht konnte der Elf verhindern, dass Marie etwas zustieß, wenn er sich selbst auslieferte. Irritiert blickten ihn grüne Elfenaugen an. Raffael deutete mit seiner verpackten Hand auf die Tasche seines Gürtels. "Würdest du mal? Ich komme mit meiner Hand nicht hinein" Farviriol griff mit der linken Hand in die Tasche, die Rechte verweilte auf dem Arm des Hexers. Er zog das Siegel hervor. Seine Miene verfinsterte sich in dem Augenblick, als er es als das seine erkannte. "Woher hast du das?" fragte er mit gefährlich ruhiger Stimme. "Casimir hat dich nicht hintergangen" Raffael machte eine Pause. Dann setzte er erneut an. Jetzt war es zu spät seine Entscheidung zu bereuen. "Ich habe dir das Siegel heute morgen vom Schreibtisch gestohlen und eines deiner Dokumente gefälscht, um die Sklaven zurückzuschicken. Der Sklavenhändler hat mir bereitwillig geglaubt, dass du mich geschickt hättest. Ich habe ihm das Brandzeichen auf meiner Schulter als Beweis gezeigt, dass ich zu dir gehöre" Raffael achtete darauf nicht zu sagen "dass ich dir gehöre". Der Elf lauschte schweigend der Geschichte des Hexers. Mit jedem weiteren Satz wurde seine Miene zu einer undurchdringlichen Maske. Sein Atem verlangsamte sich, bis Raffael glaubte, er habe ganz gestoppt. "Ich habe mich so über dich geärgert, wie du mit Marie umgehst. Ich ertrage es nicht, wenn du sie bestrafst, um mich zu demütigen" Raffael blickte Farviriol fest in die Augen. Er versuchte in ihnen zu lesen, was der Elf jetzt mit ihm anstellen würde. In seiner Phantasie malte er sich die schlimmsten Foltermethoden aus, die er noch nicht an ihm ausprobiert hatte. Farviriols Züge bewegten sich nicht die kleinste Winzigkeit. Er hatte zum ersten Mal die kalte, undurchdringliche Maske, die er in der Öffentlichkeit trug, auch in seinem Heim aufgesetzt. Nur seine Augen verrieten eine unendlich tiefe Enttäuschung. Seine Hand ruhte immer noch auf dem Unterarm des Hexers. Die zuvor fürsorgliche Berührung, wurde zur unerträglichen Last, obwohl sie sich nicht verändert hatte. Farviriols Griff hatte sich weder verstärkt noch war er grob geworden. Seine Fingerspitzen waren nur kalt geworden und hatten ihre Wärme verloren. Raffael konnte nicht anders und entzog sich seiner Hand. Dabei sah er furchtsam in das Gesicht seines Gegenübers. Er fürchtete sich diesmal nicht davor, dass Farviriol gewalttätig werden würde, sondern davor, dass er annehmen könnte, abgelehnt zu werden. Raffael hatte ihn verletzt. Er wusste es, ohne dass der Elf etwas sagen musste. Er hatte dem Hexer vertraut und aus welchem Grund auch immer, bedeutete Farviriol dieses Vertrauen viel. Raffael hatte ihn enttäuscht, ihn erneut hintergangen. Er fühlte sich schuldig. Seit er hier war hatte er sich verändert. Er brach sein Wort, brachte mutwillig andere in Gefahr und hegte den Wunsch nach Macht, um sich von Farviriol zu befreien. Der Elf war das schlimmste Ungeheuer, das ihm bisher begegnet war. Doch was war mit ihm? War er denn überhaupt noch besser? Was war aus ihm geworden? Raffael wandte sein Haupt zu Boden. Er konnte dem enttäuschten Blick nicht länger stand halten. "Sag etwas, schlag mich, wenn du willst, aber mach irgendwas" sagte er Hexer. Farviriol stand kommentarlos auf und wandte sich in Richtung des Nebenraums, in dem er und Raffael für gewöhnlich ihre Mahlzeiten einnahmen. Obwohl Lamijanim nach eigenen Aussagen des Elfen keiner Nahrung bedürfen, hatte er es sich nie nehmen lassen, dabei zu sein. Raffael starrte auf den Boden und hörte die sich entfernenden Schritte des Elfen. "Ich muss es melden" sagte er. Raffael sah auf und starrte auf den breiten Rücken, der von den hüftlangen Haaren geflutet wurde. Raffael hatte sich stets vor dem Mann in Rot gefürchtet. Wie ein tobender Dämon war er über ihn gekommen. Doch mit dem Mondlicht in seinem Rücken und dem langen Schatten, den seine Statur ins Zimmer warf, war dieses Bild einem anderen gewichen. Farviriol wirkte zerbrechlich. Zum ersten Mal erkannte der Hexer, dass Salil Recht hatte. Er hatte sich verändert. Einen normalen Menschen hätte diese Veränderung gestärkt, aber für einen Paktierer war es Schwäche. Und Raffael hatte in diese Kerbe geschlagen. Sein Vertrauensbruch hatte das aufkeimende Gefühl der Sorge und Güte zertreten. Farviriols Hand ruhte auf der Wand neben dem Rundbogen. "Es tut mir Leid" sagte Raffael. Farviriol schlug mit der Faust gegen die Wand. Die Kraft reichte aus, um ein Stück der Fließen heraus zu brechen. Der Putz bröselte zu Boden. "Ja, mir auch" sagte er und verließ den Raum. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)