"Benedictio Diaboli" - Blutrosen von Archimedes ================================================================================ Prolog: -------- "Du weisst, dass du vor mir nicht fliehen kannst. Du schaffst es nicht einmal bis an die Grenzen Orons, geschweige denn durch die blutige See. Es wird dir keiner helfen..." Die Worte, die Farviriol vor zwei Wochen noch zu ihm gesagt hatte, hallten in Raffaels Ohren wieder, als er sich der erdrückenden Übermacht an Rotmänteln gegenüber sah. Sie hatten ihn wieder einmal aufgespürt, die Bluthunde Farviriols, seines Zeichen Geheimrat der Moghuli Dimiona. Sie würden ihn nicht verletzten und auch nicht töten - das behielt der Waldelf schon sich selbst vor- , doch wünschte Raffael sich in diesem Moment nichts mehr, als dass sie sein Leben voller Qual beenden mögen, ein Leben, das nicht mehr lebenswert war, ein Leben, das seit mehr als 3 Jahren nichts schönes mehr für ihn bereit hielt. Raffael hatte schon drei seiner Verfolger in Borons Hallen geschickt, aber seine astrale Kraft ging zur Neige, schnell... sehr schnell! Wie sollte er nur entkommen? Sein Wanderstab prügelte wie wild auf die drei Männer in seiner Nähe ein, bis sie am Boden lagen. Bisher hatten sie es nicht geschafft die Distanz zwischen Raffael und sich zu verkleinern. Sie wussten, dass ihr Herr sie bestrafen würde, für jede Schramme die Raffael nahm. Die Männer kannten den Hexer, der ihnen gegenüber stand, hatten sie ihn ja des öfteren wieder eingefangen und die Zeit war ihr Verbündeter. War Raffaels astrale Macht verbraucht, hatte er keine Chance mehr zu entkommen. Also warteten sie. Raffael spürte, dass es vorbei war... sein Stab fiel zu Boden. Er sank auf die Knie, rammte seine Fäuste in den weichen Boden, begann zu weinen: " Warum? So weit... noch nie so weit, ich hatte... es fast ... geschafft. Nur noch ein kleines Stück weiter." Zwei, der komplett in Rot gekleideten Männer traten auf ihn zu. Salil, der Kommandant reichte ihm eine Hand. "Komm! Er wartet auf dich. Ich zolle dir meinen Respekt, du bist sehr weit gekommen. Ich hätte dir gerne die Freiheit gelassen, aber ich muss an meine Männer denken." Raffael blickte in Salils tiefblaue Augen, umrandet von seiner ebenholzfarbenen Haut und wusste, dass der Hauptmann seine Worte ernst meinte. Er griff nach seiner Hand, atmete tief durch und stand auf. " Also, bring mich zurück." Raffael zitterte und Salil musste ihn stützen, damit er nicht wieder zu Boden ging. "Bitte vergib mir.." flüsterte Salil, "aber ein Sklave kann sich seinen Herrn nicht aussuchen. Wir würden schwer bestraft werden, wenn nicht gar den Tod finden, hätten wir dich nicht gefunden." "Ich weiss", entgegnete Raffael traurig. Selbstverständlich wusste er, was Farviriol mit Männern machte, die sich seinen Anordnungen widersetzten. Nie hatte Raffael ein grausameres und unbarmherzigeres Wesen erlebt, als den hochgewachsenen, fast zweihundert Jahre alten Waldelfen, der so gar nicht in die Vorstellung von Elfen im allgemeinen passen wollte. Natürlich hatte er in seinem kurzen Leben erst wenige Elfen gesehen, aber was er von ihnen wusste, stimmte in keiner Beziehung mit Farviriols Eigenschaften überein. Der Elf musste unter seinem Volk als schwer badoc angesehen werden, da er riesige Städte der Einöde vorzog und sich der Kunst der Tortur verschrieben hatte. Immerhin wurde durch Farviriol bewiesen, dass Elfen eine Seele haben, wie sollte er sonst seine an die Shaz-Man-Yat verkauft haben können? Raffael wurde zu einer reichen Sänfte gebracht, über und über bestickt mit schwarzen Perlen aus dem Südmeer, eingefasst in Ornamente aus Zwergengold. Zweifelsohne eine herausragende Arbeit und sicher so an die vier- bis fünfhundert Dukaten wert. Farviriol lässt sich ja nicht lumpen, dachte Raffael bei sich, als er das Gefährt betrat. Salil nahm neben ihm Platz. Raffael überschlug die Beine und stütze seinen Kopf auf seine Hand. "Du hast dich gemacht Salil, immerhin bist du jetzt schon Hauptmann. Vielleicht, wenn du genug den Speichellecker gespielt hast, gibt er dir deine Freiheit" ,höhnte er. Salil zuckte unter der bissigen Bemerkung zusammen und im selben Moment tat es Raffael Leid, als er den traurigen Blick des fast hühnenhaften Hauptmannes sah. Salil war Raffaels einziger Verbündeter, sein Freund, und er hatte ihn verletzt, ganz bewusst, um seine eigene Angst zu verdrängen. Es war leicht jemandem die Schuld zu geben, der sich nicht wehrte, der die Anschuldigungen stumm ertrug. "Entschuldige, ich wollte dich nicht verletzten." "Schon gut, ich verstehe dich. Du weißt, auch ich war einst sein "Kunstmaterial". Dann hat er dich gefunden... Wenn du nur einmal für ihn schreien würdest, oder anfangen würdest vor ihm zu weinen... deine Qualen hätten ein Ende. Gib ihm, was er verlangt, dann verliert er das Interesse an dir. Ansonsten wird es nie aufhören." Salil bettelte seinen Freund regelrecht an. Die Sänfte setzte sich in Bewegung. Sie würden auf direktem Wege nach Elburum gebracht werden. "Mag sein, aber diesen Triumph gönne ich ihm nicht. Irgendwann werde ich entkommen." " Glaubst du wirklich, dass er dich nicht bis über die Grenzen der schwarzen Lande verfolgen würde? Niemand gewährt einem Sklaven Zuflucht, schon gar nicht, wenn er aus Oron kommt. Auch die zwölfgöttlichen Tempel werden dir nur einen begrenzten Schutz bieten. Farviriol selbst kann sie als Diener der Erzdämonin vielleicht nicht betreten, aber er hat genug Leute und Macht dich mit Gewalt herauszuholen. Und dann sterben viele Menschen. Ihm ist gleich wie viele" gab Salil zu verstehen. "Soll ich deswegen mein ganzes Leben als sein Spielzeug verbringen?" fuhr Raffael Salil böse an. "Was kümmern mich diese Menschen. Seit drei Jahren sind die Niederhöllen für mich hereingebrochen, Tag für Tag friste ich mein Leben, wenn man es überhaupt noch so nennen kann, in seinem Haus. Jeden Abend lässt er mich in sein "Spielzimmer" bringen, wo ich als lebendes Kunstobjekt zu seiner Erheiterung diene! Raffael riss sich ein Stück seines Oberteils vom Arm. "Sieh her, einmal hat er mir den Arm abgetrennt, nur um zu sehen, wie lange es wohl braucht, bis er wieder anwächst." Salil wandte seinen Blick auf den Boden der Sänfte, er konnte nicht hinsehen. Zu gut kannte er die Prozeduren, die Farviriol als Kunst bezeichnete. "Du sollst es dir ansehen!" Diese Worte schrie Raffael fast. Doch es mischten sich auch Verzweiflung und unerträglicher Schmerz in seine Stimme. Raffael atmete hörbar ein, starrte mit glasigem Blick aus dem Fenster und schwieg. Vor seinen Augen flog die Landschaft vorbei, wurde zu schmalen Strichen und Farbfeldern. ... Kapitel 0: Der Lamijah ---------------------- "Hey...." sagte eine Stimme aus großer Entfernung. "Hey, Raffael, wach auf!" Jemand rüttelte an Raffaels Schulter. "Zeit zum Aufstehen, du musst noch für die Vorstellung heute Abend üben!" raunzte eine rauhe Frauenstimme. "Jaaa.... ich steh ja gleich auf, noch zwei Minuten!" maulte er. "Nein, sofort!" Als Raffael eines seiner Augen aufschlug und das Sonnenlicht ihn veranlasste, es schnellstmöglich wieder zu schließen, hörte er ein leises Plätschern, das neben seinem Ohr stetig lauter wurde... "...oh... nein, nein, neinneinein!" Raffael setzte sich mit einem schnellen Ruck auf, aber es war zu spät. Über ihn ergoss sich eine riesige Wassermenge mit einem lauten "Platsch!", "Raaaaaaaaaahhhhhhhhhhhh!!!! Bist du verrückt altes Weib?" Raffael blickte wütend auf und starrte in ein breit grinsendes Gesicht. Die Frau, die mit dem Eimer in der Hand vor ihm stand, war an die fünfzig Jahre alt, mit braunem und gräulichen Schlieren durchzogenem Haar, braunen, listigen, aber gütigen Augen und einem vollen Gesicht mit einigen Falten. Sie war nicht mehr ganz jung, aber sie muss einmal schön gewesen sein, bevor das Alter und die harte Arbeit einer Schaustellerin ihr Gesicht gezeichnet hatten. Von der Statur her ähnelte sie allerdings eher einer Müllersfrau mit breiten Schultern, als einer wohlgeformten Seiltänzerin. Rings um sie begann lautes Gelächter. Es war bereits Vormittag und die Aufbauarbeiten des Zirkus "Die Wüstensöhne" hatten bereits begonnen. Das Lager war in einem kleinen Tal am Rande der Stadt Zorgan aufgeschlagen worden. Für den Wasservorrat sorgte der Barun Ulah, der direkt neben dem Lager vorbeifloss. Hier in dem kleinen Tal war von dem reisenden Fluss, der schon viele Flöße und selbst das ein oder andere Schiff in Efferds Reich gerissen hatte, nicht mehr viel zu spüren. Er floss an diesem sonnigen Frühlingsmorgen ruhig und gleichmäßig seinen Weg bis Zorgan, und mündete hinter der Stadt in den Golf von Perricum. "Ich dachte, es wäre Zeit für ein Bad, Junge. Steh endlich auf, du hast verschlafen. Die anderen sind schon dabei die Zelte aufzustellen. Heute Abend haben wir eine Vorstellung!" , mahnte die stämmige Frau. Raffael erhob sich aus seinem feucht gewordenen Nachlager und raffte sich erst einmal die langen schwarzen Haare zusammen, die ihn momentan eher wie einen Mop aussehen ließen, als wie einen schönen, jungen Mann Anfang zwanzig. "Schon gut, Oruha, ich steh ja auf, aber das nächste Mal schöne Frau, weck mich doch mit einem Kuss!" Raffael zwinkerte der Frau lachend zu und begann seine nassen Kleider durch trockene zu ersetzen. Die warmen Sonnenstrahlen prickelten auf seiner hellbraunen Haut und es tat gut, dass Firun sein Angesicht von Dere genommen hatte. Raffael hasste den Winter, kam er doch aus einer Gegend Aventuriens, wo die Sonne immer schien. Aranien, das Land, in dem seine Familie und der Zirkus gastierte, war zwar nicht annähernd so kalt, wie das Bornland und schon gar nicht wie Thorwal, aber mit der Tropenhitze Maraskans konnte es nur bedingt konkurrieren. Andererseits war das Land reich an Früchten und Blumen, die Raffael bisher noch nie gesehen hatte. Einige schmeckten süß und unglaublich lecker, obwohl er sich zuerst nicht denken konnte, dass runzeliges Obst, das aussah wie übergroße Rosinen einen solchen Geschmack entwickeln konnte. Die Aranier nannten es Feigen. Anders verhielt es sich mit dieser sonnengelben Frucht und ihrer hügeligen Schale. Sie war so sauer, dass Raffael keinen Vergleich finden konnte, der auch nur annähernd beschrieb, wie sie schmeckte. Die Leute im letzten Dorf, in dem der Zirkus den Winter über verbracht hatte, schworen darauf den sauren Saft in den Tee zu tun, um das Aroma der Teeblätter zu verstärken und dem Getränk eine ganz eigenen Note zu geben. Raffael weigerte sich entschieden, es auch nur zu probieren! Die Pflanzenwelt hatte es ihm angetan, hatte er doch nie zuvor so zahlreiche Ölbaumhaine und Eibenwälder gesehen und auch Akazien waren ihm fremd, bevor er dieses schöne Land betreten hatte. Raffael glaubte, dass selbst die Luft anders röche, als daheim.... "Hier fang!" Raffaels Gedanken über dieses seltsame Land wurden je unterbrochen. Ein Besen flog genau in seine Richtung. "Fang an zu kehren Junge und träum nicht vor dich hin! Wir haben nicht mehr viel Zeit und üben musst du auch noch!" wies ihn Oruha, das Oberhaupt der Schaustellertruppe ungeduldig zurecht. "Jawohl!!" sagte Raffael mit einer spöttischen Verbeugung und begann zu kehren. Es waren mittlerweile das große Zirkuszelt für den Abend aufgebaut und Übungsplattformen für die Artisten. Mit dem Hochseil wollte es allerdings nicht so recht klappen. Die großen Stützpfeiler waren schwer und nicht nur einmal wurde einer der Männer schon von solch einem umkippenden Pfahl erschlagen, oder für immer ans Krankenlager gefesselt. Aber bis zu Vorstellungsbeginn würde auch das geschafft sein. Genug Leute gab es ja. "Die Wüstensöhne", wie die Schausteller sich selbst nannten bestanden aus fast dreißig Mitgliedern, für aventurische Verhältnisse schon ein eigenes kleines Dorf. Da gab es das Oberhaupt, Oruha al-Jamila. Mit ihren fünfzig Jahren war sie das erfahrenste Mitglied der Gruppe. Raffael lernte die warmherzige Frau mit den tiefen Falten im Gesicht, schon als Kind kennen, als ihr Mann Azil noch lebte und zusammen mit ihr durch Aventurien zog, immer darauf aus Phex dem Gott der Händler (nebenbei bemerkt auch Diebe!) zu dienen. Lange war es her, dass Oruha ihn auf dem Sklavenmarkt von Al Anfa freikaufte, weil ihr "seine Augen so gut gefielen". Seit dem Tag vor mehr als fünfzehn Jahren, war sie zu seiner Mutter geworden, die ihn behütete und liebte, als sei er ihr eigenes Kind, auch wenn die robuste Dame durchaus ungemütlich werden konnte. Oruha kümmerte sich um die Organisation im Zirkus und verhandelte stets höchstpersönlich mit den jeweiligen Landesherren, damit sich keiner ungewollt übervorteilen ließ. Bisher machte sie ihre Sache gut, der Zirkus war einer der größten und bekanntesten Aventuriens. Oruhas Tochter Fadime würde einmal ihre Verantwortung, aber auch ihre Barschaft erben. Fadime war etwa in Raffaels Alter und ebenfalls magisch begabt. Sie übernahm zusammen mit ihm die Lichtmagie während der Aufführungen. Sie war sehr hübsch und Raffael gab es ungern zu, aber das Mädchen mit dem er sich das ein oder andere Wortgefecht (und auch Schlägereien) in der Vergangenheit geliefert hatte, gefiel ihm von Tag zu Tag besser. Wenn er in ihre großen, mandelförmigen Augen sah, wollte er am liebsten in ihnen versinken. Ihre Haare hatten ein tiefes braun, wie die getrocknete Rinde der Zypresse und den Duft von Lavendel. Sie war nicht zu klein und nicht zu groß und war an den richtigen Stellen wohlgeformt. So mancher Zuschauer verlor bei ihrem Anblick schon den Verstand. Neben den vielen anderen Schaustellern, wie Seiltänzern, Akrobaten und Tierbändigern gab es im Zirkus "der Wüstensöhne" auch zwei Kuriositäten: einen Schelm und eine Katzenhexe. Dem Schelm Truxes ging man besser aus dem Weg, wenn man seine Kleider nicht verlieren wollte, oder man sich noch von der Stelle zu bewegen wünschte. Seine Lieblingsbeschäftigung war es , - wie es Kinder von Kobolden nun mal so an sich haben -, mit den umstehenden Leuten seinen Schabernack zu treiben. Truxes meinte es nie böse und am liebsten hatte man ihn, wie eine lästige Stechmücke: weit, weit weg! Die zweite ungewöhnliche Person war die Hexe Pawla. Niemand vermochte ihr Alter zu schätzen, doch ihre Haare mussten schon vor Äonen ergraut sein. Sie trat der Gruppe bei, um Raffael in der Hexenkunst zu unterrichten, als Oruha sein Talent erkannte. Woher die beiden Frauen sich kannten, wusste keiner. Bekannt war nur, dass sie von einer norbadischen Sippe stammte, von der sie die letzte Überlebende sei. Sie war eine unerbittliche Lehrerin, aber mit großem Wissen und Macht und ihr buckeliger Körper und das zerfurchte Gesicht gaben nicht wieder, welche Kraft in der kleinen Frau noch steckten. Ihr Vertrautentier war eine schneeweiße Leopardin, die sie nie aus den Augen ließ und sich nie weiter als fünf Schritt von ihr entfernte. Raffael fegte den letzten Staub vor dem Vorstellungszelt beiseite und begab sich zu Pawla, die schon auf ihn und Fadime wartete. Als er ihr Zelt betrat, war Fadime schon anwesend. "Na Schlafmütze, du bist spät dran. Ich hoffe du hast wenigstens von mir geträumt!" lächelte Fadime ihn an. "Natürlich, du hast dich in eine geifernde Chimäre verwandelt und mich über den Lagerplatz gescheucht und hast ständig gerufen: "Lass mich an dir knabbern!" Aber wenn ich dich so anschaue.... eigentlich sahst du genauso aus, wie jetzt! Hast du vergessen deine Schönheitsmaske aufzusetzen? Du wirst nachlässig!" entgegnete Raffael gehässig. "Oh! Wie kannst du es wagen, mich so zu beleidigen!" Fadime griff nach dem erst besten Gegenstand und schleuderte es in Raffaels Richtung. Er konnte gerade noch rechtzeitig ausweichen, bevor das Gefäß ihn am Kopfe traf, jedoch entleerte sich ein feines, rotes Pulver über ihm. Es brannte fürchterlich in seinen Augen. "Du dumme Pute. Sieh was du angerichtet hast!" schrie Raffael vor Schmerz. "Das bekommst du zurück!" "Genug jetzt" mischte sich Pawla ein. Sie zog genüsslich an ihrer Wasserpfeife, ließ den feinen Rauch angereichert mit Rauschkräutern ihre Kehle herunter laufen und stieß ihn dann durch die Nase wieder aus. Ihre trüben Augen, die schon seit Jahren nicht mehr sahen blickten gelassen auf die beiden Hitzköpfe."Wir haben für solchen Unsinn keine Zeit. Nach der Winterpause seid auch ihr eingerostet und heute Abend ist die erste Vorstellung dieser Saison. Ihr Kinder solltet besseres zu tun haben, als euch gegenseitig zu piesacken." Sie fuhr mit ihrer knochigen Hand über Raffaels Gesicht und plötzlich war der feine Staub aus seinen Augen verschwunden und auch seine Kleidung war wieder sauber. "Irgendwann musst du mir beibringen, wie du das machst, alte Frau!" sagte Raffael erstaunt. "Vielleicht, wenn du gelernt hast deinen Verstand zu benutzen." spöttelte die Hexe. "Wie auch immer, beginnen wir. Fadime, lass eine Lichtkugel entstehen, welche die Farbe wechselt und sich frei bewegen kann." "In Ordnung." Fadime begann sich auf die Kraftlinien ihres Zaubers zu konzentrieren, sammelte Kraft in ihrem Geiste und erschuf eine etwa drei Spann große, blaue Kugel über ihrem Kopf. Sie schloss die Augen und versuchte sie im Raum zu bewegen. Langsam und mit Mühe setzte die Kugel sich in Bewegung. Sie variierte ihre Farbe von blau nach violett, von violett nach rot und von rot in ein dunkles orange bis hin zu einem strahlenden gelb. "Gut, wie ich sehe hast du nichts vergessen in der Winterpause. Jetzt du Raffael." Auch Raffael versuchte sich an der Lichtkugel, doch die Farbtöne wollten ihm einfach nicht gelingen. "Verdammt! Irgendwie will sie heute nicht so richtig." fauchte er. "Du hast nicht daran gearbeitet, oder Junge?" fragte Pawla mit kritischem Blick. "Du hast keine Fortschritte gemacht." "Mir fällt es schwerer, ich bin ein Hexer und kein Scharlatan!" maulte er. "Eben weil du einen anderen Zugang zur Magie hast, als Fadime musst du mehr tun." Pawla seufzte tief. "Fadime, du wirst heute alleine für die Illusionen und das Licht verantwortlich sein. Geh jetzt." Die Lehrstunde war überraschend schnell vorbei. Fadime und Raffael standen auf und wollten das Zelt verlassen. "Warte Raffael! Ich habe dir etwas zu sagen." Raffael machte mitten in der Bewegung kehrt, konnte aber noch sehen, wie sein Schwesterherz ihm die Zunge herausstreckte. "Was willst du noch?" fragte er geknickt. "Es wäre besser für dich, heute bei der Vorstellung nicht dabei zu sein. Ich habe ein ungutes Gefühl. Heute Nacht hatte ich einen Traum. Ihn zu deuten war nicht schwer. Ich bringe nur ungern schlechte Kunde, aber wenn du heute Abend auftrittst, wird ein furchtbares Ereignis über dich hereinbrechen, dessen Ausgang ich nicht vorhersehen kann. Halte dich also fern!" "Was soll denn heute anders sein, als die Jahre zuvor? Ich bin sooft aufgetreten und meine Arbeit ist nun wirklich nicht gefährlich." meinte Raffael verwirrt. "Ich kann dir nur die Richtung weisen, eine Gestalt wird in dein Leben treten, eine Gestalt, der du nicht gewachsen sein wirst." sagte die Hexe ernst. "Eine Gestalt? Hast du wieder zuviel an deinen Rauschkräutern gezogen, alte Frau? Ich habe schon so viel erlebt und gesehen, glaubst du, deine Prophezeiung schreckt mich?" Raffael verschränkte die Arme vor seinem Oberkörper. "Es ist nur ein Rat, was du damit anfangen willst ist deine Wahl." Pawla schien noch ein Stück kleiner zu werden. Sie sorgte sich um ihm. Raffael blickte auf die alte Frau hinab. Sie meinte es gut, das wusste er. Raffael beugte sich über die alte Frau, die mehr als nur eine Lehrerin für ihn war, nahm ihre Hände in die seinen und küsste sanft ihre Stirn. "Sorg dich nicht um mich. Mir wird nichts passieren. Wenn es dein Wunsch ist, dann halte ich mich heute fern.... auch wenn ich nicht an die Vorsehung glaube." lächelte er ihr zwinkernd zu. Damit verließ er das Zelt. "Oh Kind, du bist noch so jung und dumm." sagte die Hexe bitter. Es war bereits früher Abend geworden und der Einlass in das fast fünfzehn Schritt hohe Zirkuszelt hatte begonnen. Das Zelt war prächtig geschmückt mit bunten Bändern und Schleifen. Truxes hatte einige seiner heiß geliebten Glöckchen aus seiner Sammlung geopfert, um das Zelt noch ansehnlicher zu gestalten. Viele Menschen kamen von weit her, doch die meisten stammten aus Zorgan und der Umgebung. Selbst die Aristokratie wollte es sich nicht nehmen lassen dem tristen Leben am Hofe, durch ein wenig Abwechslung unter dem Fußvolk, eine besondere Würze zu verleihen. Raffael saß in seinem Zelt, starrte vor sich hin und dachte über die Worte der Hexe nach. Wer sollte ihm hier denn begegnen? Seit einer halben Ewigkeit trat er nun schon auf, hatte die ein oder andere Reiberei mit einem der Zuschauer hinter sich gebracht, aber wirklich gefährlich ist ihm nie jemand geworden. Warum sollte sich das heute ändern? Raffael stand auf und begann sich umzuziehen, ein weißes Leinenhemd mit grünen Stickereien an den Ärmelenden und im Brustbereich, eine braune Wildlederhose und schließlich seine geliebten Stiefel. >>Auch wenn die alte Pawla gesagt hat, ich solle nicht auftreten, dass ich nicht zusehen soll, das sagte sie nicht.<< Raffael schnallte sich noch den schwarzen Gürtel mit der liebevoll geschmiedeten Schnalle seines Stiefvaters Azil um, nahm seinen Stab und verließ das bunte Zelt, das ihm viele Jahre ein Heim gewesen war. Draußen pfiff ihm der Wind um die Ohren, der vom Barun Ulah herüber wehte. Es war merklich kälter geworden, als es noch am Mittag war. Es war in Aranien eben auch erst Frühling. Der junge Hexer begab sich zum großen Festzelt, vor dessen Eingang immer noch Dutzende auf den Einlass warteten. Er nahm einen kleinen Seitenweg hinter das Zelt, bahnte sich seinen Weg durch den kleinen Vorraum, indem sich allerlei Kleidungsstücke, Schminkutensilien und Requisiten für die Vorstellung übereinander stapelten. Die Seiltänzerin Meschuha übte ebenerdig noch einmal ihre akrobatischen Kunststücke, winkte Raffael lachend zu und versank dann wieder in ihre Konzentration. Einige Männer bereiteten die Raubkatzen auf ihren Auftritt vor. Raffael erinnerte sich an einen Zwischenfall vor sechs Jahren, als Alrik von Rabbit dem stolzen Löwenmännchen fast zu Tode gebissen worden war. Mehrere Tage lag der Tierbändiger im Wundfieber mit Krämpfen auf dem Krankenlager. Nach seiner Genesung verbot er allen, dem Tier auch nur ein Haare zu krümmen >>"Wenn ein Raubtier einen Menschen anfällt, dann nur, weil dieser die Gesetze der Natur nicht achtet. Ich wollte dem König befehlen und hatte vergessen, dass ich nur ein Vasall bin, der seine Gunst genießt!"<< Raffael konnte in Alriks Worten keinen Sinn erkennen. Die Narben die der Mann davon getragen hatte, würden ihn für den Rest seines Lebens begleiten, aber seit diesem Tag fiel nie wieder einer die Tierbändiger einem Angriff zum Opfer. Raffael trat an den Eingang des Hauptzeltes heran und lugte durch die roten Vorhänge hindurch. >>Heute sind viele gekommen,<< dachte er bei sich >>und es werden ständig mehr.<< Ein amüsiertes Lächeln schlich sich auf sein Gesicht, als er die bunt gekleidete, scheppernde Gestalt mit den vielen Glöckchen in der Mitte des Zeltes sah. Der etwa dreißigjährige Mann hatte angefangen seine derben Späße mit dem Publikum zu treiben, bis die eigentlliche Aufführung begann. Truxes verstand sein Handwerk vortrefflich, niemand schaffte es in Gegenwart des Schelmes nicht zu lachen. Im Moment steckte er sich seinen Daumen in den Mund und blies kräftig "hinein". Im selben Augenblick blähte sich eine der Zuschauerinnen in seiner Nähe auf, wurde prall wie eine Apfelsine und begann langsam vom Boden abzuheben. Die junge Frau versuchte vergeblich mit den Armen zu rudern und ihr erstickter Schrei ging in der lachenden Menge unter. Das Entsetzen stand ihr ins Gesicht geschrieben. Das Publikum tobte ab dem lächerlichen Anblick, den sie ihnen bot. Truxes gab ihr einen ordentlichen Schupps und die aufgeblähte Dame kugelte durch die Luft. Die Menschenmenge tat es ihm unter Lachen gleich und gaben dem ungewöhnlichen Ball mit den langen rötlichen Haaren ihrerseits ebenfalls einen kräftigen Stoß. Nach gut zwei Minuten Gejohle und Amusement fing die Frau an ihre normale Gestalt zurück zu erlangen. Die dicken Wangen und Gliedmaße wurden wieder zu dem schönen jugendlichen Gesicht und dem schlanken Körper. Schließlich landetet sie wieder sanft und unversehrt auf ihrem Platz. Truxes schlug ein Rad und kniete daraufhin vor der Frau, in der Hand einen Blumenstrauß, den er aus dem Ärmel gezaubert hatte. Die Frau verbarg vor Schamesröte ihr Gesicht in den Händen. Der Schelm nahm mit um Entschuldigung bettelndem Blick eine ihrer Hände in die seinen und hauchte einen Handkuss auf sie. Dann bewegte er sich gekonnt akrobatisch wieder in das Zentrum des Zirkuszeltes, um mit seiner Show fortzufahren. Das Publikum applaudierte und einige Zuschauer standen sogar auf. Ja, mit Truxes wurde es nie langweilig. Raffael blickte durch die Reihen. Einige sehr schöne Frauen waren gekommen. In ihren tulamidyschen Trachten mit den reich geschmückten Westen und Pluderhosen wirkten sie fremd und gleichzeitig anziehend. Die braune Haut und das bei fast allen Frauen rotbraune bis schwarze Haar unterstrich den exotischen Hauch der Aranierinnen. Ungewöhnlich waren ebenfalls, die äußerst weiblichen Rundungen, welche die Frauen aufwiesen. Rahjas Schönheitsbild unterschied sich hier offensichtlich vom Rest Aventuriens. Die Männer trugen neben ähnlicher Kleidung, Turbane und Feze in allen Farben. Die Adeligen waren mit reichem Goldschmuck behangen, die übrige Gesellschaft mit Silber oder Bronze. Alles in allem machte dieses Land einen reichen Eindruck, ein Land, das scheinbar keine Armut kannte. Raffael hatte diese Erkenntnis schon beim ersten Überschreiten der Grenze zwischen dem Mittelreich und dem Mhaharanyat gewonnen. Die Zirkustruppe wurde in jedem Dorf freundlich empfangen und selbst die Dörfler, die nicht genug für sich selbst hatten, teilten bereitwillig und mit einem Lächeln ihr weniges Hab und Gut, ganz ohne jede Beschwerde. Als Raffael weiter durch die Reihen ging, blieb sein Blick an einem seltsamen Mann hängen. Er saß zwischen anderen Gästen auf einem der Logenplätze für die bessere Gesellschaft.Der fast zwei Schritt große Elf hatte die Beine übereinander geschlagen, den Kopf auf seinen linken Arm gestützt und in der rechten Hand hielt er einen edlen Becher aus Kristall, soweit Raffael es aus dieser Entfernung erkennen konnte. Der junge Mann von schätzungsweise fünfundzwanzig Jahren war vollständig in Rot gekleidet, der geschlossene Mantel wirkte wie eine der aranischen Gardeuniformen. Verziert war er mit zwei Reihen schwarzer Knöpfe, der Mantelsaum mit Bordüren. Selbst die bestickten Handschuhe waren aus rotem Leder. Der Elf verfolgte die Vorstellung mit seinen grünen, durchdringenden Augen eher gelangweilt. Seine langen silberweißen Haare, die er offen trug reflektierten in eigentümlicher Weise die Irrlichter, die Fadime für die einzelnen Darbietungen erzeugte. Die Aufmerksamkeit der Leute in seiner Umgebung schien ihm zu gelten, als Truxes´ Spielereien. Raffael hatte schon Mitglieder dieses schönen Volkes gesehen und sich auch in die ein oder andere Elfenfrau verguckt, aber nie war ihm jemand aus dem Elfenvolk begegnet, der gleichzeitig so kalt, wie faszinierend wirkte. Er war sich nicht einmal sicher, ob er jemals einem schöneren Wesen begegnet war, oder je begegnen würde. Er starrte gebannt auf diesen Mann, der nicht von dieser Welt zu sein schien. Plötzlich rüttelte jemand an seiner Schulter. Raffael wandte den Blick ab, schüttelte den Kopf und drehte sich um. Oruha stand ärgerlich vor ihm. Er war sicher, sie wolle ihn gleich ins Gesicht schlagen. "Was machst du hier? Die Hexe befahl dir, das Zelt heute nicht zu betreten. Warum hörst du nicht auf sie?" Die stämmige Frau packte Raffael am Arm. "Sie hat gesagt, ich soll nicht auftreten, von nicht Zuschauen war nie die Rede." erklärte Raffael patzig und versuchte sich loszumachen. "Klugscheißer, ich sage dir eins, Pawla hat sich noch nie bei einer ihren Vorhersagen geirrt. Ein Unglück wird über dich hereinbrechen, wenn du nicht auf sie hörst." "Ja, ja, ich weiss, irgendeine Person wird heut in mein Leben treten und es zu den Niederhöllen machen. Aber schau selber hin, es ist niemand gekommen, der Ärger macht. Es ist wie die hundert Male zuvor. Nichts Außergewöhnliches." Raffael kehrte Oruha den Rücken zu. "Die Ausnahme ist dieser seltsame El...?" Raffael suchte die Loge nach dem Mann mit der Vorliebe für Rot ab, doch er war nicht mehr da. "Eigenartig, gerade eben war er noch da. Na ja, siehst du, selbst dem weißhaarigen Kerl ist es hier zu langweilig, dass er frühzeitig geht. Also, was soll schon passieren?" "Dann bete zu den Göttern, dass du dich nicht irrst." Mit diesen Worten wandte sich Oruha um und stapfte zornig davon. Dabei rempelte sie Meshuha an, die auf dem Weg zu ihrem Auftritt war. Schimpfend trat sie an Raffael vorbei, doch sobald sie die Bühne betreten hatte, zeigte sie ihr strahlendstes Lächeln und präsentierte sich kokett der jubelnden Menge. Es lief alles wie geplant. Die Seiltänzerin spulte ihr Programm souverän herunter, was mit vielen "Oh´s" und "Ah´s" honoriert wurde. Selbstverständlich wurde auf ein Sicherheitsnetz verzichtet. "Die Wüstensöhne" waren eine der wenigen Schausteller, die dieses Wagnis zur Steigerung des Umsatzes in Kauf nahmen. Zudem war Meshua so routiniert, dass sie bisher nie gestürzt war. Das in zehn Schritt Höhe gespannte Hochseil war wie die ebene Erde für sie. Es fehlte also nur noch der krönende Abschluss ihrer Darbietung, der Rückwertssalto mit einer Landung im Spagat auf dem Seil. Doch irgend etwas stimmte nicht. Raffael bekam ein ungutes Gefühl. Etwas in seinem Magen zog sich zusammen. Er wippte nervös von einem Fuß zum anderen. Raffael sah in das Publikum, aber alles schien normal zu sein. Sein Blick wanderte durch die Reihen und da war er der Mann mit den weißen Haare, weiß wie Schnee und den smaragdgrünen Augen. Er saß auf dem selben Platz wie zuvor, in der gleichen Haltung, mit überschlagenen Beinen, den Kopf auf den Arm gestützt und mit einem edlen Kristallbecher in der rechten Hand. Der Elf saß da, als hätte er seinen Platz nie verlassen. Doch etwas war anders. Er lächelte, ein boshaftes, erbarmungsloses Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Plötzlich hörte Raffael einen lauten Knall, gefolgt von einem Peitschen in der Luft, das ihn aus seiner Erstarrung löste. Raffael sah mit erschrockenen Augen zu dem gerissenen Hochseil, das auf den Boden schleuderte. Meshuha klammerte sich schreiend an eine der Stützpfeiler. Sie musste mit einem gewaltigen Sprung hinüber gehechtet sein, um dem Absturz zu entgehen. Doch lange würde sie sich da nicht halten können. Entsetzte Stimmen wurden laut. "Helft ihr doch, helft ihr doch!!!" kreischte eine Frau. Truxes und einer der Tierbändiger, die hinzu geeilt waren, begannen den Pfeiler hinaufzuklettern. Dies gestaltete sich schwieriger als erwartet. Der Pfeiler war nicht so gebaut worden, dass zwei Personen gleichzeitig hinaufklettern konnten. Raffael verfluchte Oruha für ihre Gefahrenbereitschaft. Meshuha krallte sich an den Pfeiler und versuchte ihre Füße auf die Einkerbungen zu stellen, die ihr als Steigleiter für den Stützbalken dienten, doch sie rutschte ab. Ein lauter Schrei der jungen Frau hallte in den Ohren aller wieder. Binnen Augenblicken nahm Raffael Anlauf, sprang auf seinen Stab und flog auf die stürzende Meschuha zu. Er würde ihren Sturz nicht verhindern können, aber zumindest abbremsen. Raffael packte ihr Handgelenk, doch die plötzliche Zunahme des Gewichtes um fast das doppelte war zu viel. Der Stab wurde mit enormer Wucht nach unten gerissen. Drei Schritt über dem Boden lies Raffael Meschuha los, mit dem Ergebnis, dass Raffael ins Straucheln kam. Er bereitete sich auf den Schmerz vor. Als Raffael aufschlug, flog ihm sein Stab in hohem Boden aus der Hand, klapperte über den Boden und blieb regungslos liegen. In Raffael explodierten irre Schmerzen. Er konnte das laute Knacken seiner Rippen hören. Es mussten mindestens vier gebrochen sein. Der Schmerz breitete sich in seinem ganzen Körper aus, kein noch so geheimer Winkel blieb verschont. Rote Schleier legten sich über seine Augen. Raffael stöhnte laut. Er konnte das anhaltende entsetzte Geschrei der Leute hören. Raffael versuchte sich zu bewegen, um zu zeigen, dass es nicht so schlimm sei, wie es wohl ausgesehen haben musste. Als er seine Hand hob, lief Blut an ihr herunter.Mehrere Augenpaare rannten in seine Richtung und sahen besorgt auf ihn herab.Meshuha stand fast unverletzt vor ihm. Sie hatte den größten Teil der Wucht durch eine Rolle auf dem Boden abfangen können. "Helft mir auf." verlangte er. Zwei starke Hände griffen unter seine Arme und setzten Raffael auf. Als er in das Tränen nasse Gesicht Meshuhas sah, hob er vorsichtig eine Hand zu ihren Wangen und wischte sie weg, wodurch er eine frische Blutspur hinterließ. "Bin halt kein Akrobaten, was? Keine Angst, ich bin hart im Nehmen. Oruha schlägt, wenn sie sauer ist, härter zu!" Raffael lächelte gequält. "Ich muss ja richtig furchtbar aussehen mit dem ganzen Blut. Hoffentlich krieg ich das wieder aus den Kleidern raus." Raffael sah an sich herab. Seine Hose war zerrissen und mit dem Staub des Bodens bedeckt. Hindurch schimmerte an vielen Stellen frisches Blut. "So ein Mist, jetzt muss ich Oruha um Geld anbetteln." Ein erleichtertes Seufzen ging durch die Familienmitglieder. Selbst Fadime schien froh, dass ihr nerviger Bruder mit leichten Knochenbrüchen und zugegebenermaßen vielen Schürfwunden davon gekommen war. Die starken Arme, die Raffael hielten, zogen ihn mit einiger Kraft in die Höhe, damit er stehen konnte. "Nicht so grob Oruha! Willst du beenden, was die Höhe nicht geschafft hat?" "Ich dachte du seist hart im Nehmen? Dann jammer nicht wie ein Waschweib!" Sie legte einen Arm um seine Hüfte. Mit der anderen legte Oruha Raffaels Arm um ihre Schulter, damit er sich auf sie stützen konnte. Unter dröhnendem Applaus der Zuschauer wurde Raffel aus dem Zelt geführt. Die Vorstellung wurde für diesen Abend angesagt. Oruha brachte den frisch gebackenen Helden in ihr Zelt und schickte nach der Hexe Pawla. Sie war auch auf dem Gebiet der Heilung kompetent. Raffael legte sich unter Gejammer auf die bunten Kissen aus Baumwolle, einem neuen Gewächs, das Oruha in Aranien entdeckt hatte. Diese flauschigen Wattebäusche eigneten sich hervorragend zum Spinnen und waren ein wahres Wunderwerk Peraines. Sie blühten fast ganzjährig ,waren ausgesprochen genügsam und preiswert dazu. Die Anführerin der Truppe hatte gleich für die gesamte Familie mehrere dieser Kissen in Auftrag gegeben. "Ich bin froh, dass dir nichts passiert ist, Junge." begann Oruha unvermittelt das Gespräch. Sie bereitete abgewandt Tee zu, auch damit Raffael nicht sehen konnte, wie die ansonsten ehrfürchtige, ja manchmal sogar rabiate Frau, zu weinen begann. "Na ja, nichts würde ich nicht sagen, au. Aber ich bin auch froh. Ich will ja noch eine Weile am Leben bleiben." , sagte Raffael grinsend. " Ist aber schon komisch. Das ist das erste Mal, dass eines unserer Seile gerissen ist." "Ja" bestätigte Oruha knapp. Raffael schob sich ein blaues Kissen unter den Kopf. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass Meschuha geschlampt hat. Sie ist immer sehr gründlich, was ihre Seile angeht. " "Ich glaube nicht, dass es ein Unfall war" meinte Oruha bitter. Raffel schreckte auf. "Das ist völlig ausgeschlossen. Keiner aus der Familie würde das Seil sabotieren." "Das ist richtig" drang es von draußen in das Zelt, "aus der Familie niemand, aber ein Außenstehender sehr wohl." Eine gebeugte, grauhaarige Gestalt trat in das Zelt. "Du hast ihn gesehen nicht wahr?" fragte Pawla an Raffael gewandt. "Wen meinst du alte Frau?" mischte sich Oruha ein? "Oh, ich glaube der Junge weiss, wen ich meine. Den Elfen. Der weißhaarige Mann mit den stechend, grünen Augen. Er war heute hier." gab die Alte zu verstehen. "Es war heute tatsächlich ein Elf in der Vorstellung, aber er hat das Seil nicht mal berührt. Und welches Interesse hätte er daran, dass eine unbekannte Akrobatin ihr Leben lässt?" Pawla setzte sich umständlich auf die Kissen, legte ihren Gehstock neben sich und griff nach einem Becher Tee. "Du hast keine Ahnung, wer das gewesen ist, nicht wahr?" Raffael zuckte mit den Schultern. "Dieser Mann war Farviriol Krähenschwinge." Die Hexe nahm einen großen Schluck aus dem Holzbecher. "Sollte mir dieser Name etwas sagen? Aber, was mich eher interessiert: woher du von ihm weißt. Du kannst ihn nicht gesehen haben, du bist blind." Pawla entblößte ihre lückenhaften Zahnruinen und erklärte geheimnisvoll. "Dummer Junge, ich muss nicht sehen, um Magie zu spüren. Sonst könnte ich euch ja auch nicht unterrichten! Ich habe ihn gefühlt, seine Macht und das Böse, das von ihm ausgeht. Dieser Mann ist nicht normal..." "Ja, er ist ein Elf!" unterbrach Raffael altklug. "Ja, er ist ein Elf und ein ganz besonderer dazu. Obwohl das Elfenvolk nicht an unsere Götter glaubt, hat Farviriol seine Seele an das Gegenstück Rahjas verkauft. Er ist ein Diener der Shaz-Man-Yat, eine der sechsgehörnten Alliierten Belkelels. " Raffael streckte sich auf den Kissen aus, strich mit seiner Hand über seine gebrochenen Rippen und dachte über Pawlas Worte nach. Er wollte es ungern zugeben, aber ihre Worte ängstigten ihn. Einem Diener einer Erzdämonin war er -götterlob- noch nicht begegnet. Er hatte sie sich immer als hässliche, sabbernde Unwesenheiten vorgestellt. Der Elf entsprach nicht diesem Bild und genau das entsetzte ihn. Pawla hatte zuvor seine Wunden versorgt. Die Blutungen waren alle versiegt, nur seine Rippen sollten noch eine Weile schmerzen. >>Ich hätte sie doch küssen sollen.<< Raffael atmete müde ein. Er reflektierte noch einmal das Gespräch mit der Hexe. >>"Farviriol liebt die Qual. Er fügt seinen Sklaven unerträgliche Schmerzen zu und ergötzt sich an ihrem Leid. Er kennt kein Erbarmen. Je mehr ein Opfer leidet, desto größer ist seine Lust. Er selbst sieht sich als begnadeten Künstler. Seine "Kunst" besteht darin, seine Objekte zu foltern. Er malt Bilder mit dem Blut seiner Opfer. Bei der Tortur schnell zu sterben ist eine Gnade Borons. "<< Pawla verfügte über erstaunlich viele Informationen über diesen Elfen. >>"Er ist einer der hohen Persönlichkeiten Orons und untersteht einzig und allein der Moghuli Dimiona. Dimiona verfügt über fast unbegrenzte Macht. In ihren Händen befindet sich ein Teil der Dämonenkrone. Farviriol ist einer ihrer Höflinge und führt die gefürchteten Rotmäntel, eine der gefährlichsten Elitegarden ganz Aventuriens an. Das erklärt neben seinem Blutdurst seine Vorliebe für die Farbe rot. Zu seinen Aufgaben gehört unter anderem die Beschaffung von neuen Sklaven. Das ist vermutlich auch die Ursache für seine Anwesenheit in Aranien. Dass ihn niemand bemerkt hat verwundert mich allerdings. Er macht keinen Hehl daraus, wer er ist. Wen sollte er auch fürchten?"<< Pawla hatte eine Paste aus verschiedenen Kräutern zusammen gemischt, um Wundfieber vorzubeugen. Die grün-braune, undefinierbare Mischung roch unerträglich, musste also helfen. Sie hatte jede einzelne Schürfwunde dick eingestrichen. >>"Deine inneren Verletzungen kann ich nur mit Magie heilen."<< Sie blickte Raffael mit ihren trüben Augen an und setzte ein gemeines Grinsen auf. >>"Also Junge, spitz die Lippen. Es ist eine Weile her, dass ich das letzte Mal einen Mann geküsst habe."<< Mit diesen Worten schnappte ihre greise Knochenhand nach seinem Oberarm, mit einer Präzision, die er bei einer Blinden nicht für möglich gehalten hätte. >>"Oh nein, du wirst mir nicht deinen Hexenspeichel in den Mund pressen! Ich küsse doch keine Frau, die aus dem Grab auferstanden sein könnte."<< Raffaels Einwände wurden nicht zur Kenntnis genommen. Mit unbeschreiblicher Kraft zog die alte Frau Raffael zu ihr hinunter. Oruha, die der Szene bei wohnte, sah amüsiert zu. Das Entsetzen, das man Raffael eindeutig ansah erfreute sie. Es wurde Zeit, dass dem jungen Klugscheißer mal jemand zeigte, was Respekt bedeutet. >>"nein, nein, ich will nicht, lass mich los!"<< Raffael begann mit den Armen zu rudern, aber das Gesicht der alten Frau kam näher und näher. Pawla befeuchtete ihre faltigen Lippen und öffnete sie leicht. >>"Ich schlage auch eine Frau, wenn du nicht loslässt!"<< spie er drohend aus. Kurz bevor Pawla seine Lippen berührte ließ sie ihn unvermittelt los und begann wie irr zu lachen, bis ihr Tränen die Wangen herunter liefen. Oruha stimmte in das herzliche Gelächter mit ein. Raffael hingegen versuchte einen möglichst großen Abstand zwischen sich und die Hexe zu bringen. >>"Glaubst du wirklich, ich zwinge dich zu deinem Glück? Ich bin eine Hexe, kein Unmensch! Du wirst dir allerdings noch wünschen, du hättest es zugelassen."<< Pawla versuchte sich in eine bequemere Lage zu bringen. Dann reichte sie Raffael einen Becher mit einer Flüssigkeit, die süßlich und ermüdend duftete. >>"Trink!"<< befahl sie >>"du wirst heute Nacht ansonsten nicht schlafen können vor Schmerz."<< Raffael griff nach dem Becher, roch und nippte zuerst vorsichtig daran, nahm dann einen großen Schluck und gab ihn ihr zurück. Das Getränk schmeckte sehr süß, fast wie Saft, der aus zu reifen Früchten gepresst wurde. In den Geschmack mischte sich aber auch etwas bitteres. Raffael wurde warm. Was immer es war, es hatte angefangen zu wirken. >>"Schlaf jetzt, Junge."<< Die Hexe erhob sich mühsam mit Oruhas Hilfe und lies sich zum Ausgang geleiten. >>"Woher weißt du so viel über diesen Elfen?"<< fragte Raffael. Ohne sich umzudrehen warnte Pawla: >>"Du hast Farviriol heute um sein Vergnügen gebracht. Er hat dem Herrn der Rache keinen Treueid geschworen, aber auch Diener der Shaz-Man-Yat erliegen gelegentlich diesem Zwang. Er hat dich gesehen, wie Du dich ihm widersetzt. Nimm dich vor ihm in Acht."<< Zusammen mit Raffaels Ziehmutter verließ die alte Frau das Zelt. Die Antwort , woher Pawla all das wusste, war sie ihm schuldig geblieben. Raffael gähnte breit, drehte sich auf die Seite, schloss die Augen und versank in totenähnlichen Schlaf. >>>Raffael stand in den Straßen der brennenden Stadt. Panik war ausgebrochen. Die Menschen konnten laufen oder kämpfen, der Ausgang würde doch der selbe bleiben. Die Unwesenheiten, die aus der fliegenden Festung zu hunderten auf die Stadt einstürmten, griffen sich jedes lebende Wesen, stiegen mit ihnen in die Höhe und ließen es wieder fallen. Auf den Pflastern lagen schon dutzende zerschmetterte Körper. Die Ausgeburten der Niederhöllen machten keinen Unterschied zwischen Männern, Frauen oder Kindern. Die kräftigsten von ihnen trugen sie zur Festung hinauf. Sie würden das Schicksal von vielen anderen teilen und zu Sklaven werden. Untote marschierten zu Tausenden auf die Stadt zu, die unter der Raulskrone über Jahrhunderte der Mittelpunkt Aventuriens gewesen war. Jedem Angriff hatte diese Stadt bisher stand gehalten, aber heute war alles anders. Zwei Heptarchen marschierten gemeinsam gegen die goldene Stadt, im Auftrag des Herrn der Rache, des Schänders der Elemente und der Meisterin der Yak-Hai. Die Götter hatten schon längst ihr Gesicht von Dere abgewandt. Geheimnisvoller Nebel stieg um Raffael auf, das grausame Bild, das sich ihm bot wurde undeutlich, bis es gänzlich verschwand. An sein Ohr drang eine leise, wispernde Stimme, deren Sprache er nicht verstand. Die Stimme war sanft und freundlich, aber kalt. Raffael spürte wie eine Hand durch sein rabenschwarzes Haar strich.<<< Jemand beugte sich über ihn. Raffael schlug die Augen auf und blickte in smaragdgrüne Augen, eingerahmt in Damast farbene Haut. Eine fein geschnittene Nase und ein voller, roter Mund vollendeten das überirdisch schöne Gesicht, in das einzelne lange, silberweiße Haarsträhnen fielen. Unter den fast hüftlangen Haaren lugten spitze Ohren hervor. Die Augen des Elfen hielten die seinen gefangen. Mit seinem Handrücken fuhr er Raffaels Haar entlang, trennte mit seinen langen Fingern eine einzelne Strähne ab und führte sie zu seinem Mund. Er hauchte einen fast liebevollen Kuss darauf. "Guten Morgen." Aus seiner Erstarrung gelöst, setzte Raffael sich ruckartig auf und versuchte an seinem Gegenüber vorbei zu kommen. Zu spät bemerkte er, dass Farviriol sein linkes Handgelenk mit seiner rechten Hand umklammerte. "Ah, ah, ah.... wo wollen wir denn hin?" Mit spielender Leichtigkeit zog er Raffael zurück auf die Kissen. Sein Handgelenk begann zu schmerzen. Raffael fixierte den Elfen mit grimmigem Blick. Dieser drückte mit zufriedenem Lächeln noch stärker zu. Raffael vernahm ein leises Knirschen. Er biss sich auf die Lippen, um nicht aufzustöhnen. Sein Blick wurde düster, wandte ihn aber nicht ab. "Ich sehe, wir verstehen uns." Farviriol schob sich näher an Raffael heran und klemmte ihn so zwischen sich und der Zeltwand ein. Eine Flucht nach vorn war ausgeschlossen. "Ich ziehe es vor, nachts von schönen, jungen Damen überrascht zu werden, als von Euch. Was wünscht ihr also von mir?" Raffael rückte nach hinten, bis er den Stoff des Zeltes im Rücken spürte. Farviriol starrte verträumt auf die Haarsträhne in seiner Hand. "Du hast mich heute Abend verstimmt, junger Held." Er blickte Raffael vorwurfsvoll an. Seine rechte Hand gab sein Handgelenk frei, fuhr langsam seinen Arm entlang, bis zu seinem Hals. Die Berührung verschaffte Raffael einen leichten Schauer auf der Haut. Die Finger des Elfen wanderten zu Raffaels Verband und zogen die Linien der Muskeln seines Oberkörpers nach. "Hmpf, Ihr wart es also doch, der sich am Seil zu schaffen gemacht hat. Warum wolltet Ihr, dass das Mädchen stürzt?" Raffael schob Farviriols Hand angwidert beiseite. "Weil es mir Vergnügen bereitet hätte. Das hast du verhindert. Ah, ich sehe du hast von mir gehört?!" Das Lächeln des Elfen wurde breiter. "Ich werde mir eine Entschädigung holen." Farviriol beugte sich tiefer über Raffael. Silberweiße Strähnen fielen leicht wie Schnee auf seine Brust. Das götterschöne Gesicht des Elfen konnte nun fast das des Hexers berühren. Farvirol legte seine Hände auf Raffaels Schultern und hielten ihn mit gnadenloser Kraft fest. Sein Herz hämmerte gegen seine Rippen. Das Atmen fiel ihm schwer. Raffaels Verstand suchte rasend einen Ausweg aus dieser Situation. "Lasst mich los!" forderte er atemlos. "Ich sagte dir doch, ich hole mir eine Entschädigung." Raffaels Augen weiteten sich vor Angst. "Sag mir deinen Namen" befahl der Weißhaarige mit kaltem Lächeln. "Es ist angenehmer, wenn man den Namen des Geliebten kennt." Raffael hatte genug. Er versuchte sich aufzubäumen, um den Elfen von sich runter zu stoßen. Farviriol unterband seine vergeblichen Versuche spielend. Er fing leise an zu kichern. Seiner erzdämonischen Kraft hatte Raffael nichts entgegen zu setzen. "Komm, sag mir deinen Namen." bat er mit schmeichelnder Stimme. "Ich könnte dich auch zwingen. Das liegt durchaus in meiner Macht..." gab der Elf zu verstehen "aber so gefällt es mir besser." Farviriol begann seine Wange zu streicheln. Raffael packte Farviriols Hand und drückte sie auf den Rücken des Elfen. Er setzte all seine Kraft in diesen Angriff. Farviriol ließ es ohne Widerstand geschehen. Raffael konnte das Bersten seines Armes hören. Hoffnung keimte in ihm. Vielleicht hatte er eine Chance. Er blickte in das Gesicht des Mannes. Dieser lächelte immer noch ungerührt, als wäre sein Arm gerade nicht gebrochen worden. Er zeigte nicht die kleinste Regung. "Oho, die Beute versucht sich zu wehren. Es ist doch immer wieder erstaunlich, was ein in die Enge getriebenes Tier für Kräfte entwickelt." Raffael ließ geschockt Farviriols Hand los und starrte auf den gebrochenen Arm. "Das ... das ist... unmöglich. Ich habe Euch den Arm gebrochen!" Raffael konnte seinen Blick nicht abwenden. Der Arm des Elfen, der eben noch gebrochen war, war völlig unversehrt. Raffael konnte förmlich "sehen",wie die Knochen sich unter dem roten Hemd wieder zusammenfügten. Das Lächeln auf Farviriols Gesicht erstarb. "Dann wäre ich jetzt wohl dran!" Der Weißhaarige versetzte Raffael mit roher Gewalt einen Stoß gegen die Rippen. Der Hexer verlor das Gleichgewicht und knallte mit dem Kopf auf die Kissen. Sein Körper krümmte sich unter dem Schmerz. Farviriol setzte sich auf Raffaels Unterkörper krallte sich in seine Haare und zog sein Gesicht wieder ein Stück nach oben. "Langsam verliere ich die Geduld. Ich bitte dich zum letzten Mal um deinen Namen." Das ewig kalte Lächeln hatte seinen Weg zurück in das Gesicht des Elfen gefunden. Seine Augen verrieten aber, dass er des Spielens müde war. "Raffael" sagte Raffael gepresst. Er atmete aufgeregt, Schweiß erschien auf seiner Stirn. "Du hast Angst vor mir. Ich kann sie riechen." sagte Farviriol amüsiert, >>Natürlich habe ich Angst<<, dachte Raffael. >>Die Bekanntschaft eines Paktierers zu machen, wäre nicht unbedingt meine erste Wahl.<< "Aber du wärst ein Narr, hättest du keine" Farviriol zog Raffael an seinen Haaren unerbittlich zu sich heran, bis sich ihre Gesichter nur noch wenige Zentimeter voneinander trennten. Der Hexer konnte den warmen Atem des Elfen an seinem Mund spüren. Er machte sich darauf gefasst den ersten Kuss von einem Mann zu erhalten. Farviriols Mund kam näher. Raffael schloss die Augen. Seine Lippen begannen zu zittern. Alles in ihm sträubte sich. "Bring es schon hinter dich." sagte Raffael erstickt. Farviriol kicherte leise. Sein Mund wanderte an Raffaels Lippen vorbei, ohne sie zu berühren, verweilten an seinem Ohr. Raffael konnte den Duft von Rosen wahrnehmen, der von Farviriols ausging. "Nicht heute, junger Hexer. Wir werden noch viel Spaß aneinander haben. Aber für heute wünsche ich dir eine geruhsame Nacht. Träum von mir." Raffael wurde abrupt losgelassen. Raffael öffnete die Augen und sah wie der Elf mit grazilen Bewegungen seinen Mantel vom Boden aufhob und zum Zelteingang ging. Er hatte nicht einmal gehört, wie der Elf aufgestanden war. Dort drehte er sich noch einmal halb zu Raffael um. "Ich werde dich holen kommen. Begleite mich freiwillig, oder nimm in Kauf, dass deine Familie darunter leidet. Wobei mir die zweite Variante gefallen könnte." Mit einem sadistischen Grinsen verließ er das Zelt. Raffael sprang vom Lager und eilte hinaus. Der kalte Nachtwind wehte ihm entgegen. Bis auf ein paar Grillen, die ihre Liebeslieder zirpten, lag die Gegend still vor ihm. Bishdariel hatte seine schwarzen Schwingen über dem Lager ausgebreitet. Raffael rieb sich sein geschundenes Handgelenk, auf dem sich Druckstellen abzeichneten und auch seine erneut lädierten Rippen bereiteten ihm kein Vergnügen. Der junge Hexer starrte ausdruckslos in die Nacht hinaus. Von Farviriol fehlte jede Spur. Kapitel 1: ----------- Raffael erwachte früh, noch bevor Praios´ Scheibe am Himmel stand. Er hatte nach dem nächtlichen Überfall kaum ein Auge mehr zu getan. Seinen Traum hatte er völlig vergessen. Im Moment hatte er andere Sorgen, als eine zerstörte Traumstadt. Seine Familie war in Gefahr und er war verantwortlich dafür. Zumindest glaubte er das. Wie sollte er jetzt mit dieser Situation umgehen? Zu Oruha konnte er nicht gehen. Sie würde ihn niemals kampflos aufgeben. Und die Anderen würden es ihr, auf ihr Geheiß hin, gleich tun. Fortgehen konnte er auch nicht. Im freien Feld war er Farviriol ausgeliefert. Raffael war ein Stadtkind. Er würde sich in der Natur nicht zurechtfinden. Die Lage war verzwickt. Raffael war kein sehr religiöser Mensch, aber eines wusste er sicher: Dem Diener eines Erzdämonen würde er sich niemals unterwerfen. Raffael ging über einen kleinen Hügel hinunter ans Ufer des Barun Ulah. Er pflückte eine der blauen Wildblumen und blickte sie bedauernd an. >> Eine Blume müsste man sein<< dachte er bei sich. >> stehst hier Tag ein, Tag aus mit nichts als der Sorge, dich in Richtung der Sonne zu drehen.<< Raffael zerdrückte sie mit traurigen Augen in seiner Hand, bis nur noch ein blau-schwarzes Muß von ihr übrig war. Er watete einige Schritt in das kalte Wasser hinein, öffnete seine Haare, schloß die Augen und tauchte seinen Kopf unter Wasser. Das eisige Naß ließ ihn erschauern, klärte aber seine Gedanken. Er musste mit seiner Ziehmutter sprechen. Er hatte keine Wahl. Allein konnte Raffael sich Farviriol nicht stellen. In ihm keimte leise die Hoffnung, dass er den Elfen überschätzte und sie gemeinsam etwas gegen ihn ausrichten konnten. Raffael harrte eine kleine Unendlichkeit unter Wasser aus. Erst als seine Lungen zu platzten drohten, richtete er sich ruckartig wieder auf. Raffael rang nach Luft. Wasser perlte auf seiner brauen Haut seinen Körper hinunter und nässte seine Verbände ein. Einzelne Haarsträhnen waren ihm ins Gesicht gefallen. Raffael schob sie beiseite und wischte sich mit dem Arm über das Gesicht. Er untersuchte seinen Verband an den Rippen, ob er noch richtig saß. Nachdem er sich sicher war, dass er hielt, stieg er aus dem Wasser. Vor ihm stand Fadime. Er hatte sie nicht kommen gehört. "Hallo" meinte sie. "Morgen." Erwiderte Raffael mürrisch. Er trat an ihr vorbei und machte ein paar Schritte. Fadime blieb abgewandt stehen. "Das hast du früher auch schon gemacht." Raffael blieb stehen, drehte sich um. "Was?" "Na das." Raffael war irritiert. Fadime stand immer noch mit dem Rücken zu ihm und zeigte auf den Fluss. "Als du klein warst und du Ärger hattest, hast du deinen Kopf auch immer unter kaltes Wasser getaucht. Es hat dir geholfen, einen klaren Verstand zu bekommen." Fadime drehte sich langsam und mit einem traurigen Lächeln um. Sie hatte geweint und auch jetzt konnte sie ihre Tränen kaum zurück halten. Raffael war nie besonders stark gewesen, wenn es um den Umgang mit einer weinenden Frau ging. "Hey, so hässlich bin jetzt auch nicht, dass du gleich weinen musst." , neckte er sie grinsend. Er ging auf sie zu. Fadime zitterte. "Ich will nicht, dass er dich mitnimmt!" brach es aus ihr heraus. Die Tränen begannen zu fließen. Raffael blieb stehen, seine Augen weiteten sich, wurden dann wieder schmal, als er verstand, was Fadime meinte. Er blickte ihr fest in die Tränen verweinten, braunen Augen, ging auf sie zu und nahm sie in die Arme. Fadime krallte sich in seinen Verband und fing an zu schluchzen. Raffael hielt sie fest. "Woher weisst du von "ihm"?" fragte er die aufgelöste Frau. "Oruha hatte gestern, nachdem du versorgt warst, eine Familiensitzung einberufen. Pawla hat von dir gesprochen und einem Elfen, der dich in der Nacht besuchen würde. Die Hexe meinte, dass er dich mit sich nehmen wird." Fadime weinte in Raffaels Verbände. "Da hat die Alte mir aber was verschwiegen." Raffael drehte in Gedanken Pawla ihren dürren Hals um, dafür, dass sie ihn nicht vorgewarnt hatte, dass Farviriol in der Nacht bei ihm auftauchen würde. Fadime hob ihr rot geweintes Gesicht an und schaute bettelnd in Raffaels Augen. "Raffael, geh nicht mit ihm!" "Ich fürchte, das hat er nicht zu entscheiden, Cherié." ,sagte eine Stimme hinter ihnen. Raffael und Fadime drehten sich gleichzeitig um, hielten sich aber immer noch in den Armen. "Welch schöner Anblick, dieses Leid in deinen Augen junges Mädchen. Aber es wäre schön, wenn du deine Hände von meinem Besitz nehmen würdest," Farviriol stand mit seiner gewohnten Kleidung in fünf Schritt Abstand auf dem kleinen Hügel. Er war mit einem Juwelen besetzten Krummsäbel an der Seite bewaffnet. Seinen rechten Arm hatte er lässig in die Hüfte gestellt. Der Elf maß die junge Frau mit abschätzigem Blick. Raffael war das nicht entgangen. Er stellte sich schützend vor Fadime und fixierte jede Bewegung Farviriols. "Natürlich, der junge Held beschützt die schöne Frau. Es hätte mich auch gewundert, wenn du´s nicht versuchen würdest." Der Elf lachte heimtückisch. "Ist er das?" fragte Fadime an Raffael gewandt. "Ja" bestätigte Raffael. Er neigte den Kopf in Fadimes Richtung, ohne den Elfen aus den Augen zu lassen. "Mach dir keine Sorgen, dir passiert nichts." flüsterte er ihr zu. Farvirol kam den Hügel langsam herunter. Seine linke Hand legte sich gelassen auf den Griff seines Säbels. Er bedachte die Frau noch einmal mit einem strafenden Blick, wandte sich dann mit freundlichem Lächeln Raffael zu. "Du weißt, warum ich hier bin." Er streckte lächelnd die rechte Hand nach dem Gesicht des Hexers aus. Raffael zuckte zusammen. "Fasst meinen Bruder nicht an!" Fadime schlug nach Farviriols Hand. "Ihr habt kein Recht hier zu sein." sagte sie stolz. Farviriol spießte Fadime mit Blicken regelrecht auf. "Weisst du Cherié, mit dem Recht ist das so eine Sache." Innerhalb eines Sekundenbruchteils packte er mit seiner freien Hand Fadimes Hals. Er war zu schnell, als dass Raffael hätte reagieren können. Farviriols linke Hand ruhte immer noch auf dem Griff des Säbels. "Der, der die Macht hat, bestimmt, was recht ist und was nicht." Farvirol begann langsam zuzudrücken. "Du zum Beispiel, hast kein Recht mich zu schlagen!" Ein leises Knacken war zu hören. Raffael klammerte sich an den Arm des Elfen und versuchte seinen Griff zu lösen. "Lasst sie los, ihr bringt sie um!" schrie Raffael. "Was du nicht sagst." meinte Farvirol amüsiert. Raffael schlug verzweifelt auf Farviriols Arm ein. Dieser beachtete seine hilflosen Versuche nicht einmal. Fadime bekam keine Luft mehr. Sie krallte ihre Fingernägel in die Hand des Elfen, bis sie blutige Striemen hinterließen, die sich aber innerhalb Sekunden wieder schlossen. Ihre Augen weiteten sich in Todesangst. "Lass sie los du Bastard, oder ich bring dich um!" kreischte Raffael. "Du willst mich töten?" Farvirol fing an, laut zu lachen. "Du willst sie retten und kannst nicht einmal dich selbst verteidigen!" höhnte er. Der Weißhaarige verstärkte seinen Druck noch etwas. Fadimes Arme sanken an ihren Seiten herunter. Ihre Beine gaben nach. Nur Farvirols Griff hielt sie noch aufrecht. Sie hatte die Augen geschlossen. "Aber gut, versuch dein Glück." Farviriol schleuderte Fadimes Körper von sich. Reglos blieb sie anderthalb Schritt neben ihm liegen. "Ich gebe dir sogar meine Waffe. Als Zeichen meiner Fairness, du bist schließlich verletzt." Farviriol rammte mit bösem Lächeln seinen Säbel vor Raffael in den Boden. "Aber ich schätze, den Ausgang unseres kleinen Spielchens wird das nicht beeinflussen." Raffael schaute auf den Säbel, der vor ihm im Boden steckte. Dann blickte er unschlüssig den Elfen an. "Na los, heb ihn schon auf, oder traust du mir nicht?" Farviriol streckte die Arme mit Unschuldsmiene weit von sich. "Nein, ich traue Euch nicht" bestätigte der Hexer. Raffael bückte sich nach der Waffe, ohne den Elfen aus den Augen zu lassen und hob ihn auf. Raffael hatte bisher nicht oft mit einer Klingenwaffe gekämpft, aber was für eine Wahl hatte er schon? Er vollführte einige Probeschläge und griff ohne Vorwarnung an. Raffael versuchte den Schlag möglichst präzise zu setzen. Er musste einfach treffen! Viel hing davon ab. Aber er traf nicht. Sei Gegner war von einem Sekundenbruchteil auf den anderen einfach nicht mehr da! Raffael stolperte haltlos nach vorn und musste einen hastigen Schritt zur Seite machen, um nicht vom Schwung seiner eigenen Bewegung umgerissen zu werden. Er war eben kein Kämpfer. Noch während er versuchte sein Gleichgewicht wieder zu erlangen, hörte er hinter sich ein leises Lachen. Raffael wirbelte herum und bekam im selben Augenblick einen Schlag gegen den Brustkorb versetzt. Der Hexer ging mit einem leisen Keuchen in die Knie. >>Warum muss der Elf auch immer gegen die Rippen schlagen?<< dachte Raffael. Farvirol ging lächelnd auf ihn zu und reichte ihm eine Hand. "Brauchst du etwas Hilfe beim Aufstehen?" spottete er. Als der Weißhaarige nach Raffael greifen wollte, riss er den Säbel instinktiv nach oben, ohne groß zu zielen. Wie immer er es auch angestellt haben musste, das Glück war diesmal auf seiner Seite. Vielleicht hatten die Götter selbst seinen Schlag geführt. Raffael traf. Er konnte das Reißen von Stoff hören. Farvirol blickte überrascht auf die Wunde quer über seinem Oberkörper. Sein Mantel war zerschnitten und tränkte sich mit frischem Blut. Raffael taumelte einige Schritte rückwärts. "Wer braucht jetzt Hilfe beim Stehen?" keuchte er siegessicher. Farvirol lachte, zog ungerührt Mantel und Hemd aus und fuhr über die blutende Stelle. Sobald seine Finger sie berührt hatten, versiegte der Blutfluss. Seine Damast farbene Haut war völlig unversehrt. Er führte seine blutverschmierten Finger zu seinem Mund und leckte sie mit einem wahnwitzigen Lächeln ab. Dabei sah er den Hexer begierig an. Raffael stand zitternd da. Er hatte Todesangst. Konnte diesen Mann denn gar nichts verletzten? Der Säbel glitt ihm aus der Hand und fiel zu Boden. Raffael war unfähig sich zu bewegen, geschweige denn gegen diese Kreatur der Niederhöllen zu kämpfen. "Es ist lange her, dass ich mein eigenes Blut gesehen habe." gestand Farviriol anerkennend. "Aber sieh her, du kannst nicht gewinnen und das weisst du." kicherte er. Raffael blickte auf Fadime. Sie lag einfach so da, bewegte sich nicht. >>Sie kann nicht tot sein. So leicht stirbt man nicht.<< dachte er. Farviriol ging auf Raffael zu, packte ihn am Arm und zog ihn mit sich. "Es wird Zeit, meine Männer haben schon alles vorbereitet." Farviriol bückte sich kurz nach seinem Säbel, steckte ihn zurück in die Scheide, ging ein Stück und hob seine Kleidung auf. Raffael starrte gebannt auf Fadime, während er von dem Elfen den Hügel hinauf gezerrt wurde. >>Sie kann nicht tot sein. So leicht stirbt man nicht.<< wiederholte er in Gedanken. Für Raffael verging eine kleine Ewigkeit, bis er sich eingestand, dass Fadime nicht einfach aufstehen würde, ihn anlächelte und ihn wieder zu ärgern begann, dass sie nicht sagen würde: >>Ich hab dich reingelegt, du hättest dein Gesicht sehen müssen!<< und ihm dann eine lange Nase drehte. Sie würde nicht aufstehen. Nie mehr. Er wandte seinen Blick zu Farviriol. Er sah auf den grazilen, ebenmäßigen Rücken des Elfen, der umspielt wurde von silberweißem, hüftlangen Haar, das nach Rosen duftete, jener Duft der jede Frau zur unwiderstehlichen Versuchung gemacht hätte. Ja, dieser Elf war schön, so schön wie niemand, den Raffael sonst kannte, doch sein Innerstes war verfault. Dieser Mann hatte vermutlich schon vor Jahren das Wichtigste verkauft, das ein jedes Lebewesen besitzt. Jenes strahlende Licht, das einen Mitgefühl, Erbarmen und Gnade lehrt. Jene glühende Kraft, die Wärme, Freundschaft und Liebe spendet. In diesem Mann gab es nichts mehr davon, nichts außer Dunkelheit, Mordlust und pervertierter Begierde. Als Raffael auf dem Hügel stand, begann er still zu weinen. Der laue Morgenwind wehte durch sein langes, noch feuchtes Haar. Er blickte in das kleine Tal, über dem Rauch aufstieg, von brennenden Zelten, die seit fünfzehn Jahren sein Heim gewesen waren. Schreie von fliehenden Menschen drangen an sein Ohr. Schreie, die verstummten, sobald die roten Reiter auf ihren nachtschwarzen Rössern, ihre Bögen spannten. Die, die nicht den Tod fanden wurden zusammen getrieben und in Ketten gelegt. Was hatte Pawla doch gleich gesagt? >>" Zu seinen Aufgaben gehört unter anderem die Beschaffung von neuen Sklaven<<" Raffael sah Oruha. Seine Mutter stand vor einem der kleineren Wohnzelte, kämpfte verbissen um das Leben eines Kindes, eines der Kinder, die im Zirkus zur Welt gekommen waren. Sie war bereits von zwei Pfeilen getroffen worden, doch sie stand immer noch schützend vor dem kleinen Jungen, der verzweifelt versuchte seine Mutter, die neben ihm lag, wieder aufzuwecken. Doch sie wachte nicht auf. >>Genauso wie Fadime nicht mehr aufwachen wird<< dachte Raffael. Er starrte wie in Trance auf das brennende Lager. Er hatte sie nicht kommen gehört, hatte nicht mitbekommen, wie das Lager gebrandschatzt worden war. Er war der festen Überzeugung gewesen, dass wenn er Farviriol töten würde, sein Leben wieder in normalen Bahnen verlaufen würde. Wie hatte er sich der Vorstellung hingeben können, der Elf würde alleine kommen? Und warum hatte Pawla das nicht vorausgeahnt? Oruha wurde von einem weiteren Pfeil getroffen. Raffael konnte sehen, wie ihre Augen brachen und sie zu Boden sank. Sie hatte ihren letzten Kampf verloren. Einer der roten Dämonen stieg von seinem Pferd, ging auf den Jungen zu. Der Junge sah den Mann mit rot geweinten, unschuldigen Augen ohne Furcht, ohne Hass an. Der Mann zog seinen Säbel, hob seinen Arm. Raffael begann zu zittern. "nein...", stammelte er leise. Der Schwertarm des Mannes surrte durch die Luft. "NEIN!!!!!!!!!" schrie Raffael. Er versuchte sich loszureißen, doch Farviriol hielt ihn erbarmungslos fest. "Aufhören, aufhören!!" schrie er. Raffael schaute hasserfüllt zu Farviriol auf. Er erkannte, dass er nicht den Befehl zum Rückzug geben würde. Im Gegenteil, seine Augen verfolgten verzückt das grausame Schlachten, das unter Raffaels Familie angerichtet wurde. "Warum?" fragte er Raffael fassungslos. "Ich wäre freiwillig mit Euch gegangen." sagte er. "Ich wäre doch freiwillig mit Euch gegangen!" wiederholter er schreiend. Farviriol richtete seinen kalten Blick aus diesen schönen, grünen Augen auf Raffael. "Ich hatte dir gesagt, dass ich mir eine Entschädigung hole." erinnerte er. Dann rammte Farviriol dem Hexer seine Faust in die Magengegend. Raffael wurde schwarz vor Augen und verlor augenblicklich das Bewusstsein. Er sackte zusammen. Der Elf fing ihn sanft auf und trug ihn in seinen Armen zu einem der Pferde. Er stieg auf und platzierte Raffael vor sich auf dem Pferderücken. Dann gab er Befehl zum Aufsitzen. Die Elitegarde trieb die letzten Gefangenen zusammen und setzte sich in Bewegung. Zurück blieben zerstörte Leben und Träume im Morgenrot der aufgehenden Sonne. Als Raffael erwachte, waren seine Glieder wie aus Blei. Er musste lange geschlafen haben, zumindest kam es ihm so vor. Er konnte das Pochen seines Herzschlages in jedem Zentimeter seines Körpers fühlen, so sehr hatte Farviriols Schlag gesessen. Er wünschte sich, mal wieder einen Tag auf zuwachen, ohne, dass ihm irgend etwas weh tat. Raffael spürte den Wind in seinem Gesicht, hörte die Geräusche der Pferdehufe und ihren aufgeregten Atem. Raffael öffnete die Augen. >>Es muss Mittagszeit sein<< dachte er, denn die Sonne schien ihm ins Gesicht. Er hob eine Hand vor seine Augen, damit sie ihn nicht blendete. Raffael sah hinunter und betrachtete das Ross, auf dem er saß. Es war ein herrliches Tier. Schwarz wie die Nacht und von kräftigem Wuchs. Obwohl es für einen Shadif recht breit gebaut war, tat die Statur der Schnelligkeit des Tiers keinen Abbruch. Der Wind spielte verträumt mit der vollen, glänzenden Mähne des Pferdes. Er blies das seidene Haare von einer Seite zur anderen, als ob kleine Windgeister ihren Reigen ihn ihm tanzten. Raffael musste unwillkürlich lächeln. Er hatte als Kind früher oft bei Azil vorne mit auf dem Pferd gesessen. Raffael hatte sich immer an seinen Vater gekuschelt, der ihn schützend im Arm gehalten hatte, damit er nicht herunterfiel. Nirgends sonst hatte er sich so sicher und geborgen gefühlt. Raffael lehnte sich an den warmen Körper der hinter ihm auf dem Pferd saß. Der Duft von Rosen stieg ihm in die Nase und kroch bis in den letzten Winkel seines Verstandes. Seine Miene erstarrte zu Eis. Wie konnte er vergessen, wo er sich befand?! Raffael hob leicht den Kopf, um in das bezaubernde Antlitz jener Person zu blicken, die in nur einer Nacht sein bisheriges Leben zerstört und alle Freunde seiner Kindheit der Verdammnis übergeben hatte. Grüne, Edelstein farbene Augen fingen seinen kalten Blick auf. Das wohlbekannte Grinsen erschien auf Farviriols Gesicht. Dann wandte der Elf sich, ohne ein Wort zu verlieren, wieder dem Weg vor ihnen zu. Raffael setzte sich auf. Er schaute nach hinten über Farviriols Schulter. Die Männer, die der Elf mitgebracht hatte, führten einen riesigen Holzkarren mit sich, in dem die überlebenden des Massakers zusammen gepfercht waren. Viele waren verletzt, aber nicht schwerwiegend. Die Wunden würden alle binnen einiger Tage verheilt sein. Doch was war mit den Verletzungen der Seele? Raffael fand Meshuha und zwei weitere Artistinnen unter den Überlebenden. Auch Truxes war dabei. Von Pawla und Alrik fehlte aber jede Spur. Farviriol hatte an die zehn Personen gefangen genommen. Darunter befanden sich bis auf Truxes ausnahmslos junge und hübsche Frauen. >>Niemand kauft alte und kranke Sklaven<< dachte Raffael verächtlich. >>Wie oft wird er diese Art von Raubzügen schon geplant und ausgeführt haben?<< "Monster" entrann es leise seiner Kehle. "Wie?" meinte Farviriol überrascht. "Wenn du mir was zu sagen hast, dann sag es laut und deutlich. Nach zweihundert Jahren ist es mit meinem Gehör nicht mehr zum besten bestellt." Er legte seinen Kopf auf Raffaels Schulter und lehnte leicht an sein Gesicht, damit er ihn besser verstehen konnte. "Fasst mich nicht an!" grollte Raffael. "Hab ich nicht vor. Das Monster wartet bis es daheim in seinem Reich ist." flüsterte der Elf mit schmeichelnder Stimme. "Wie ich sehe, geht es dir besser. Eine Zeit lang hatte ich die Befürchtung, ich hätte zu hart zugeschlagen und du würdest dich auf Golgaris Schwingen davon machen." sagte er lapidar. "Hmpf, das wäre mir lieber gewesen." sagte Raffael. "Bedauerlich, da müsste ich mir ja ein neues Spielzeug suchen. Und dabei verdankst du dein Leben mir. Eigentlich solltest du dich glücklich schätzen..." erwiderte Farviriol enttäuscht. "Ihr habt alle, die ich kenne getötet, und die, die überlebt haben werden zusammen mit mir in die Sklaverei verschleppt. Verzeiht, dass ich den Tod Eurer Gesellschaft vorziehe." erklärte der Hexer schnippisch. "Ich würde Euch ohne zu zögern töten, wenn sich mir die Möglichkeit bietet!" Raffael rammte seinen Ellbogen gegen den Elfen. Er wollte ihn möglichst auf Abstand halten, soweit wie es ihm auf einem Pferd eben möglich war. Raffael war die Nähe zu Farviriol mehr als unangenehm und er hasste es, wie dieser Mann ihn berührte. Raffael dachte einen Moment über Flucht nach, doch der Moment war ungünstig. Farvirols Leute waren beritten und sie waren mindestens sechs Stunden von Zorgan entfernt, schätzte er. Sein Stab stand ihm nicht zur Verfügung, also war es ausgeschlossen die Strecke im Flug zu bewältigen. Und zu Fuß würde er die Stadt nie erreichen! Und da gab es noch ein weiteres Problem: Raffael dachte nicht im Traum daran seine Leute bei Farviriol zu lassen. "Du hast Recht, dieses Pack wird ein neues Leben in Oron führen." Raffaels Gedanken wurden je unterbrochen. "Die Frauen sind ja recht ansehnlich und auch ein Schelm wird gut geeignet sein, um die Freuden der höheren Gesellschaft zu befriedigen. Alles in Allem war heute ein erfolgreicher Tag. Sie werden mir gutes Geld auf dem Markt bringen." fuhr Farviriol fort. "Ihr sprecht von meiner Familie, wie von einer Ware!" sagte Raffael angewidert. "Das hier sind lebende Menschen!" "Selbstverständlich leben sie. Tot wären sie ja nur halb so viel wert!" meinte der Elf ungerührt. "Warum ein Schaustellerlager? Was hat euch ausgerechnet hierher geführt?" fragte Raffael "Du fragst nach dem Warum? Es gab es keinen bestimmten Grund, ich hatte mich gelangweilt. Es ist meine Aufgabe neue Sklaven zu besorgen. Woher ich sie nehme ist doch egal, oder? Aber wenn es dich leichter schlafen lässt, dann nenn es Zufall, oder Schicksal wenn du willst." "Und was habt Ihr mit mir vor?" fragte Raffael trocken. "An wen werde ich verkauft werden?" Farviriol fing an zu lachen. Er zog an den Zügeln und brachte sein Pferd am Wegrand zum stehen. Er drehte Raffael halb zu sich herum, hob sein Kinn und schaute ihm in seine grünen Augen. "Du wirst nicht verkauft werden. Du wirst mir die nächsten Wochen die Langeweile vertreiben. Du wirst dich wehren und die Götter verfluchen, dafür, dass du meine Gesellschaft teilst. Aber nach einer Weile dann, wirst auch du dich der Verzückung der Shaz-Man-yat hingeben und deine Freuden im Schmerz und meiner Gegenwart finden." Farviriol lächelte flüchtig, beugte sich näher an Raffaels Gesicht ,streichelte seine Wange und versuchte ihn zu küssen. Raffael drehte seinen Kopf zur Seite. Ekel überfiel ihn. Ihm war nie der Gedanke gekommen, sich mit einem Mann einzulassen. Er liebte die Frauen, ihre Weichheit und die Wärme, die ihre Rundungen während des Liebesaktes verströmten, ihren Geruch und die Geborgenheit, die sie ihm gaben. Und dennoch, dieser Mann war schöner, als jede Frau, die Raffael bisher gehabt hatte. Schöner als Fadime es jemals hätte sein können. Er musste sich davor hüten, nicht zu vergessen, wer Farviriol war. Das menschliche Auge lies sich allzu gerne durch Schönheit blenden. Das wusste Raffael. Und ebenso wusste er, dass Farviriols Ausstrahlung nicht nur auf seiner elfischen Herkunft basierte. Diese Tatsache durfte er niemals in den Hintergrund treten lassen! "Aber auch das wird aufhören. Irgendwann wirst du dich nicht mehr abwenden" versicherte der Weißhaarige lächelnd. Raffael vernahm hinter ihnen leises Gelächter. Er sah über Farviriols Schulter und erblickte seine Männer. Sie hatten in etwas Abstand ebenfalls gehalten und schauten grinsend zu ihm und Farviriol herüber. Einige begannen untereinander zu tuscheln. Er konnte nicht genau verstehen, was sie sprachen, aber er war sich sicher, dass es um ihn und Farvirol ging. Raffael beäugte sie grimmig. Während des Massakers an seiner Familie hatte er sie nur als rote Dämonen wahrgenommen, die ein Blutbad unter seinen Leuten anrichteten. Jetzt im Sonnenlicht betrachtet waren sie normale Männer einer Reiterlanze, in roten Uniformen. Farvirols Garde war gut gerüstet. Sie waren mit Säbeln und Bögen bewaffnet. Jeder der einzelnen Reiter hatte zwei Köcher mit Jagdfeilen dabei. Des weiteren hing an jedem Sattel ein Fangnetz aus stabilem Leinen. >> Ungewöhnlich<< dachte Raffael >>normalerweise sind Berittene selten gute Schützen.<< Insgesamt begleiteten acht Männer den Elfen. Es mussten noch zwei weitere dabei gewesen sein, denn zwei der Pferde wurden ohne Reiter an den Zügeln geführt. Erst jetzt fiel Raffael auf, dass drei der acht Männer verletzt waren. Ihre Kleidung war an etlichen Stellen zerschlitzt und eingedreckt. Ein schadenfrohes Lächeln umspielte Raffaels Lippen. "Die Wüstensöhne" hatten sich anscheinend stärker gewehrt, als erwartet. Aber der Preis, den sie für ihren Widerstand bezahlt hatten stand in keinem Verhältnis zu dem Lohn, den sie erhalten hatten. Raffaels Miene verdüsterte sich wieder, als er sich diese bittere Hochrechnung ins Gedächtnis rief. Farviriol bemerkte Raffaels Interesse an seinen Leuten. "Sie sind alle ausgebildete Sklavenfänger und gute Kämpfer. Deine Chancen stünden schlecht bei einer Flucht" gab er zu bedenken. "Ja" sagte der Hexer knapp. Raffael drehte sich wieder nach vorne. Farvirol setzte sein Pferd wieder in Gang und trieb es in die Mitte des Weges zurück. Seine Männer taten es ihm gleich. Der Wagen mit den Überlebenden setzte sich in Bewegung. Die alten Räder klapperten auf dem steinigen Weg und die Achsen ächzten unter dem Gewicht von Meshuha und den Anderen. Die Geräusche des Wagens stachen wie Nadelspitzen in sein Herz, jedes Mal, wenn er über einen weiteren Stein holperte. Die Menschen hinter ihm gaben keinen Ton von sich, aber er spürte deutlich ihre Blicke, die sich auf ihn richteten. Was mussten sie jetzt von ihm denken? Sie hatten alle gesehen, wie Farviriol mit ihm umging. In den Augen seiner Familie musste es einem Verrat gleich kommen, dass er es zuließ und sich nicht bis zum Tode wehrte. Doch Raffael ertrug stumm die Stunde um Stunde zunehmende Verachtung seiner Leute. Ja, seine Leute. Doch würden es am Ende noch "seine" Leute sein? Es wäre einfacher gewesen mit Oruha zu sterben, als dabei zusehen zu müssen, wie sich seine Familie von ihm abwandte. Je länger Raffael bei Farvirol auf dem Pferd saß, desto klarer wurde ihm das und zum ersten Mal in seinem Leben schwor er einem anderen Lebewesen Rache. Den weiteren Weg verbrachten sie schweigend. Raffael starrte auf das grausame Bild, das sich zehn Schritt vor ihm bot. Nie hatte er etwas Schlimmeres gesehen, nicht einmal der Tod seiner Freunde. Jede Beschreibung spottete diesem Grauen. Männer, Frauen und Kinder, an unzähligen Körperstellen durchdrungen von schwarzen Ranken, Ranken, die sich ihren Weg bis in das Innerste ihrer Opfer zogen und den Lebenssaft aus den bemitleidenswerten Geschöpfen heraus saugten. Sie bluteten an etlichen Stellen. Einige von ihnen waren bereits nicht mehr bei Bewusstsein, hingen schlaff in den Zweigen, umkreist von Insekten und Krähen, die sich über die übrig gebliebenen Reste hermachten. Raffael konnte selbst aus dieser Entfernung erkennen, wie sie aus hohlen Schädeln und anderen Öffnungen krochen. Ihm wurde schlecht. Das Schlimmste war jedoch, dass die Menschen in den Fängen des Weines lebten! Sie lebten!! Bei lebendigem Leib wurden sie von innen aufgefressen. Er hörte das qualvolle Schreien der Frauen und das wimmernde Weinen der Kinder. In den glasigen Augen der Männer zeichnete sich der Wahnsinn ab. Sie schrien nicht einmal mehr, sondern lachten. Ein lautes, schrilles, ohrenbetäubendes Lachen. Der Wind streichelte sanft durch die Blätter der Obsidian schwarzen Weinblätter und seine tiefschwarzen Blüten. Raffael konnte nicht mehr. Er ging zwei Schritte, fiel auf die Knie und übergab sich auf das grüne Gras unter ihm. Er grub seine Finger in den weichen Erdboden, bis seine Fingerkuppen weh taten. Er hörte hinter sich das Lachen von Farviriols Männern. Sie lachten über ihn. Sie lachten über seine Ehrfurcht vor dem Leben. Farviriol trat an Raffaels Seite, packte seinen Arm und zog ihn in die Höhe. "Schlagt das Lager auf. Wir werden hier Rast machen. Morgen dann, werden wir durch den Dornrosenwall Aranien verlassen" wies er seine Männer an. Farviriols Männer leisteten dem Befehl unverzüglich Folge. Drei Zelte wurden aufgeschlagen. Raffael hatte sich etwas beruhigt. Er konnte zwar nicht hinüber sehen, ohne befürchten zu müssen, seinem aufgewühlten Magen sein Recht zu gewähren, aber die Schreie der Menschen verstummten allmählich. Er drängte sie an den Rand seines Bewusstseins. Er befreite sich aus dem Griff des Elfen. "Danke, ich kann alleine stehen" herrschte er Farviriol an. "Das sah gerade aber nicht so aus. Es schien eher, die Herrlichkeit des Schauspiels habe dich übermannt" witzelte er. "Herrlichkeit nennt Ihr das!" sagte der Hexer hohl. "Aber es liegt scheinbar in Eurer Natur, jede Qual als ewig währendes Freudenfest anzusehen" bemerkte Raffael bissig. "Der Schmerz ist das einzig wahre Gefühl dieser Welt. Und ich widme mich ihm voller Hingabe. Ich habe mein Mandra Dao, meine Lebensaufgabe, in der Kunst der Tortur gefunden." Mit diesen Worten brach Farviriol in einen regelrechten Redeschwall aus. "Ich habe einen Stil gefunden, eine jede der einhundertein Körperzonen auf siebenfache Weise mit Schmerzen zu erfüllen. Es ist nur sehr bedauerlich, dass die meisten Materialien meiner Kunstwerke kaum ein viertel zugleich ertragen..." sagte er bedauernd. Raffael verachtete diesen Mann mit jeder Sekunde mehr, die er ihm zuhörte. Dieser Elf war wirklich abartig. Der Hexer fragte sich, was ihm wohl widerfahren sein musste, das ihn zu einem solch abscheulichen Geschöpf hatte werden lassen. Farviriol begann in der Gegend herum zu gestikulieren. Er hörte sich scheinbar selbst gerne reden. >> Noch steht es mir frei deinem Geschwätz zu entgehen. << dachte Raffael, wandte sich um und ging. "... Dabei beschäftige ich mich sehr intensiv mit meinen Objekten, ein gutes Bild oder eine musikalische Komposition dauert ja auch einige Wochen! Mal sehen, was ich mit dir machen werde...?" Die Dämmerung war bereits angebrochen. Raffael ging zu seiner Familie, die den Holzwagen bereits verlassen hatte. Farviriols Männer hatten die Frauen und Truxes an den Beinen zusammen gebunden und in die Nähe einiger Bäume gebracht. Ihre Hände waren jeweils mit einem dicken Strick gefesselt. Zwei der Männer bewachten sie mit amüsiertem Blick. Sie unterhielten sich, wobei der eine stets in Richtung Meshuha deutete, der Andere auf eine andere der Akrobatinnen. >>Na, teilt ihr meine Freundinnen schon untereinander auf?<< folgerte Raffael in Gedanken böse. Er ging noch ein Stück näher heran, wurde aber bemerkt. Einer der Männer verstellte ihm den Weg. "Du hast hier nichts zu suchen!" herrschte der große, Schwarzhaarige Raffael an. "Geh zurück zu deinem Herrn und vertreib ihm die Zeit." Die beiden Wachen begannen zu lachen. Raffael ballte die Fäuste. Er musste sich beherrschen. Wenn er jetzt einen Fehler machte und die Situation nicht entschärfte, hatte er keine Chance seiner Familie zu helfen. Raffael schaute zu Meshuha. Sie sah ihm fest in die Augen und nickte ihm verschwörerisch zu. Raffael war erleichtert, dass sie auf seiner Seite war. Er sah zu den anderen Mitgliedern seiner Sippe und hoffte bei ihnen genauso Verständnis vorzufinden. Aber er wurde enttäuscht. Bis auf Truxes, schnitten sie seinen Blick. In den Gesichtern, die ihn direkt ansahen, fand er nur Verachtung und den Irrglauben, Raffael würde zu Farviriol gehören. Wie konnte er ihnen auch Vorwürfe machen? Er durfte sich frei bewegen und war körperlich unversehrt. Der Verband an seinen Rippen, stammte ja von dem Sturz während der Vorstellung. Dass ihm erneut die ein oder andere Rippe von Farviriol gebrochen worden war, konnten sie nicht wissen. Noch dazu trug Raffael jetzt ein rotes Hemd. Er hatte keine Wahl gehabt, alles, was er besaß war verbrannt und im Moment war es noch zu kalt, als dass er sich ohne Kleidung bewegen konnte. Für seine Familie musste es so aussehen, als ob er sie an den Diener der Erzdämonin verraten hatte. Als Raffael sich zum Gehen umwandte, knallte etwas durch die Luft und traf ihn quer durchs Gesicht. Raffael schrie und hob die Hände vor sein Gesicht. Blut lief ihm zwischen seinen Fingern hindurch. Raffael konnte nur mühsam sehen, auch wenn seine Augen unverletzt waren. Sein Gesicht brannte wie Feuer. "Du kannst mich beschimpfen, oder auch versuchen mich zu töten. Das soll mir Recht sein, aber ich werde dich lehren mich noch einmal so stehen zu lassen!" Farviriol stand wütend vor ihm, in der Hand hielt er eine Peitsche. Raffael sah in das vor Zorn verzerrte Gesicht. Der Elf war beängstigend. Raffael hatte das Gefühl, er könne nach Farviriols Bosheit greifen, so überdeutlich war seine Macht spürbar! "Du wirst mich nie wieder ignorieren!" Er hob erneut seinen Arm und wollte nach Raffael schlagen. Instinktiv ließ der Hexer sich zur Seite fallen und entging dem Hieb. Raffael stand mit einer schnellen Bewegung wieder auf, taumelte einige Schritte zurück und wischte sich das Blut aus den Augen, damit er besser sehen konnte. Den pulsierenden Schmerz hatte er vergessen. Hier ging es um mehr als diesen "Kratzer". Das Pochen seines Herzes dröhnte in seinen Ohren. Raffaels Nerven waren bis aufs äußerste gespannt. Er sah zu Farviriol. Der Elf umkreiste ihn mit lauernden Blicken. Der erste Zorn war einem anderen Gefühl gewichen. Raffael musste nicht fragen, was Farviriol in diesem Moment dachte: Beute! Der Hexer war in seinen Augen zur Beute geworden, die es zu erlegen galt. Er würde nicht mehr wie zuvor in Rage auf ihn einschlagen. Er würde ihn jagen und mit ihm spielen, wie die Katze mit der Maus. Raffael wusste, der Elf war schnell und dass er sich keinen Fehltritt leisten konnte. Aber er hatte jetzt eine Chance. Der Elf achtete im Moment nur auf ihn. >>Wenn nicht jetzt, dann gar nicht. Wenn sie erst einmal in Oron sind, hast du keine Chance mehr ihnen zu helfen.<< ging es Raffael durch den Kopf. Er ging vorsichtig einige Schritte rückwärts, begann leise vor sich hinzu murmeln. Raffael sammelte astrale Kraft in seinem Geiste und rief nach seinen Verbündeten. >>Sie werden eine Weile brauchen, aber sie kommen<< dachte er. Er hatte nicht die Zeit sich darüber Gedanken zu machen, ob sein Gegner seinen Zauberspruch bemerkt hatte. Aber vermutlich hatte er das. Farviriol drehte die Peitsche in seiner Hand. Er lächelte böse. "Gut ausgewichen" sagte Farviriol anerkennend. "Aber ich habe nichts anderes erwartet. Ja, ich habe gut gewählt. Es wird mir eine Freude sein, dich zu brechen, ganz gleich wie lange es dauert!" "Du wiederholst dich! Dieses Gespräch haben wir schon einmal geführt. Doch dieses Mal ist niemand da, den ich beschützen muss" antwortete Raffael. Der Hexer schenkte Farviriol ein ebenso kaltes Lächeln, wie sein eigenes. "Denkst du gar nicht an deine Familie?" Farviriol versuchte außerhalb Raffaels Sichtbereich zu kommen. Er bewegte sich jetzt schneller. Raffael hatte damit gerechnet. Er vollführte eine Drehung und starrte wieder in das lächelnde Gesicht des Elfen. Dieser vollführte eine spöttische Verbeugung der Hochachtung. "Meine Familie? Welche denn? Die, die du hast töten lassen, oder die, die mich mit Verachtung straft, weil sie glauben, ich hätte sie verraten?" Raffael versuchte einen möglichst gleichgültigen Ton seinen Aussagen beizumischen. "Was interessiert mich das Schicksal dieser Menschen? Sie haben mich aus ihrer Mitte verstoßen." Farviriol ging einen Schritt näher an Raffael heran. Wie ein Raubtier umschlich er sein Opfer. "Das glaube ich dir nicht. Dafür leidest du jedes Mal zu viel, wenn einem von ihnen etwas geschieht" erwiderte der Weißhaarige selbstsicher. "Du versuchst Zeit zu gewinnen. Glaubst du ich habe nicht bemerkt, wie du Magie gewirkt hast?" fragte er triumphierend. Raffael lächelte den Elfen fast freundlich an. "Das war mir schon klar, aber du weißt nicht, was für welche! Du kennst vielleicht deine Art von Magie und vielleicht auch noch die der Magier, aber nicht die eines Hexers." Raffael fühlte sich beobachtet. Nicht von den Männern Farviriols oder den besorgten Blicken seiner Familie. Sie waren da. Raffael schaute zu den Weinreben hinüber. Er sah in mehrere schwarze Augenpaare, die ihn beobachteten. Es waren nicht so viele, wie er gehofft hatte, aber sie mussten reichen. Ihr schwarzes Gefieder verschmolz fast gänzlich mit der Schwärze des Weines und der beginnenden Dämmerung. Nur durch die Lichtreflektion der Augen wurde die Anwesenheit der Katzen großen Vögel sichtbar. Der Elf würde gleich eine böse Überraschung erleben. Raffael war nur für einen Moment abgelenkt. Dieser Augenblick hatte Farviriol jedoch gereicht, um ihm die Chance zum ersten Angriff zu nehmen. Er fiel grazil wie eine Raubkatze über den Hexer her. Raffael wehrte sich diesmal nicht, ließ sich statt dessen nach hinten fallen. Farviriol drückte ihn mit gewaltiger Kraft zu Boden und schob sein Knie zwischen Raffaels Beine. Mit einer Hand drückte Farviriol Raffaels Handgelenke über seinen Kopf zu Boden. Der Hexer war gefangen und handlungsunfähig. "Warum wehrst du dich heute nicht? Hast du eingesehen, dass du gegen mich nicht ankommst?" fragte der Weißhaarige siegessicher. Raffael lächelte kalt und sagte nur ein Wort: "Beute!" Farviriol maß den Hexer unter ihm mit überraschtem Blick. Nur einen Sekundenbruchteil später erhoben sich unter tosendem Geschrei sieben Krähen von den Weinsträuchern und stürzten auf den Elfen ein. Sie hackten nach seinem Gesicht und nach allem was ihr harter Schnabel erreichte. Farviriol sprang auf und versuchte sie mit wilden Bewegungen von sich zu schütteln. Raffael wusste, dass sie ihm nicht wirklich gefährlich werden konnten, aber er war abgelenkt und auch seine Männer würden während des ersten Schreckens nicht reagieren. Das war seine Chance. Raffael sprang auf die Beine und rannte zu den zwei Wachen bei seiner Familie. Beide achteten im ersten Moment nicht auf den heran stürmenden Mann. Raffael nutze seine Chance und rammte dem großen, Schwarzhaarigen, der ihn provoziert hatte, seinen Ellbogen in den Bauch und setzte mit einem Schlag in sein Genick nach. Der überraschte Mann ging in die Knie. Raffael hatte keine Zeit, sich über seine gelungen Attacke zu freuen, denn die zweite Wache war im Begriff ihren Säbel zu ziehen. Raffael stürme auf den Mann ein und rannte ihn über den Haufen. Nicht elegant, aber wirkungsvoll. Der Hexer schaute nach Farviriol. Der Elf kämpfte immer noch mit den Krähen, aber lange würden seine gefiederten Freunde ihn nicht mehr behindern können. Raffael konnte Farviriol fluchen hören. Er schnappte sich den Säbel, den die Wache eben noch gezogen hatte und durchtrennte mit schnellen Bewegungen die Fesseln von Meshuha und den anderen. "Lauft!!!" schrie er sie an. "Dreht euch nicht um, egal was auch passiert." "Und was wird aus dir?" fragte Meshuha besorgt. "Das ist jetzt egal. So schnell sterbe ich nicht. Das wird er nicht zulassen" entgegnete er. Der Mann, den Raffael umgerannt hatte, brüllte nach den anderen Männern. Dann wandte er sich dem Hexer zu und schlug nach ihm. Raffael war noch mit der Befreiung von Truxes beschäftigt und hatte keine Möglichkeit dem Angriff auszuweichen. Der Mann traf Raffael wuchtig in den Rücken. Der Hexer ignorierte den Schmerz, drehte sich zu der Wache und finge gerade noch so einen weiteren Schlag mit seinem Arm ab. Raffael konnte sehen, wie vier weitere Männer Farviriols aus dem Zelt gestürmt kamen. Sie hatten ihre Bögen dabei. Einer hatte bereits einen Pfeil eingelegt, der andere war dabei seine Waffe zu spannen. Die zwei Anderen rannten zu ihren Pferden und nahmen die Verfolgung der Flüchtenden auf. Raffael konnte keinen der beiden Schützen mehr rechtzeitig erreichen, denn sein Gegner vor ihm war ein guter Kämpfer und es würde ihm genug Mühe bereiten mit ihm fertig zu werden. Der Hexer trat nach den Beinen des Mannes, um ihn wieder zu Fall zu bringen. Doch sein Gegner musste seinen Angriff voraus geahnt haben. Er sprang zurück und entging dem Tritt. Raffael sah wieder zu dem Bogenschützen hinüber. Er zielte auf eine der weglaufenden Frauen und schoss. Raffael hörte einen dumpfen Schrei. Er kam aber nicht wie erwartet aus einer Frauenkehle, sondern von einer Männerstimme. Der Pfeil hatte in der Luft gedreht. Raffael blickte auf den Mann, der noch damit beschäftigt war seinen Bogen zu spannen. Das Pfeilende ragte zwei Spann weit aus seiner Brust. Der Mann sah ungläubig an sich herab. Dann stürzte er zu Boden. Auch Raffaels Gegner war verwirrt. Der Hexer nutzte die Chance und rammte ihm seinen Fuß zwischen Beine. Mit einem lauten Schmerzensschrei sackte er zu Boden und krümmte sich wie ein Wurm zusammen. Jemand packte den Hexer am Arm. Raffael drehte sich um und schlug blind zu. Zum Glück traf er nicht. Truxes stand da. "Eigentlich zaubere ich ja nur zum Spaß, aber was könnte einem mehr Freude bereiten, als ein Leben zu retten?!" sagte der rothaarige Schelm grinsend. "Dann warst du das mit dem Pfeil?!" fragte Raffael. "Yep." bestätigte er knapp. "Aber jetzt sollten wir machen, dass wir hier wegkommen." Raffael lächelte erleichtert und klopfte Truxes auf die Schulter. Im selben Augenblick weiteten sich die Augen des Schelmes, Blut begann seine Mundwinkel herunter zu laufen. Raffael schaute erschrocken in die aufgerissenen Augen. Truxes brach mit einem Röcheln zusammen .Raffael fing ihn auf und kniete sich ihn im Arm haltend, auf den Boden. Der Schelm hustete Blut auf Raffaels Hemd. "Was hast du? Was ist passiert? Ich verstehe nicht.." schrie er erschrocken. "So wie ich deine Magie nicht verstehe, verstehst du meine nicht." Sagte eine erboste Stimme hinter Raffaels Rücken. Raffael schloss die Augen, atmete tief ein und drehte seinen Kopf langsam der Stimme zu. Was er sah, hatte er nicht anders erwartet. Er hatte aber gehofft, dass es etwas länger dauern würde. Farviriol stand mit zerkratztem Gesicht an der selben Stelle, wo er ihn zurück gelassen hatte. Er blutete aus beiden Augen, die Krähen hatten ganze Arbeit geleistet und sich die verletzlichsten Stellen herausgesucht. Er hatte auch erwartet, dass die Verletzungen schnell wieder heilten. Und genau so kam es. Die Hackspuren schlossen sich, das Blut versiegte und das schöne Gesicht war wieder wie zuvor. "Welch netter Trick" meinte Farviriol verärgert. In seiner Hand hielt er eine der Krähe an ihrer Kehle. Sie krächzte und hackte auf Farvirols Arm ein. Sie schlug verzweifelt mit ihren Flügeln. Raffael sah an Farviriol vorbei. Er hatte die anderen Vögel förmlich in Stücke gerissen. Hunderte Federn lagen verstreut auf dem Boden, einzelne abgerissene Gliedmaßen daneben. Eines der Tiere zuckte noch, als hinge die Krähe mit ihrer letzten Kraft an ihrem sich in Dunkelheit auflösendem Leben. "Hattest du geglaubt, du könntest mich mit solchen Kinderspielchen davon abhalten mir zu holen, was mein ist? Du beleidigst meine Macht." giftete er. Raffael ignorierte den Elfen, der mit zerrissener Kleidung vor ihm stand. >>Wie viele Mäntel habe ich ihn jetzt schon gekostet?<< fragte sich der Hexer. Truxes röchelte und keuchte noch immer in Raffaels Armen. Der Hexer sah in sein Schmerz verzerrtes Gesicht und schloss seine Arme enger um ihn. "Hab keine Angst." sagte er mit freundlichem Lächeln. Seine Augen füllten sich langsam mit Tränen. Der Schelm hob seine Hand, drehte Raffael eine lange Nase und streckte ihm dabei die Zunge heraus. Raffael lachte leise. Tränen liefen ihm die Wangen hinunter und perlten von seiner Nasenspitze. Truxes Augen wurden ausdruckslos und leer. Seine Hand sank zurück auf seine Brust. Sein Kopf rollte zur Seite und sein Atem verebbte. Raffael sah zur Krähe hinüber. Sie bewegte sich nicht mehr. Boron hatte ihren Lebensfaden durchschnitten. "Und, bist du nun zufrieden?" fragte Farvirol kalt. Die Krähe in seiner Hand kämpfte immer noch gegen den erbarmungslosen Griff des Elfen. Er lies sie mit einer wüsten Beschimpfung los. Benommen und unter lautem Gekrächze flog sie davon. Raffael legte Truxes Körper behutsam zu Boden und stand auf. Er blickte auf den äußerlich völlig intakten Körper. Der Schelm hatte nicht die kleinste Wunde. Raffael hatte von diesem Zauber schon einmal gehört. Die Elfen benutzten ihn zur Jagd. Es war die schnellste Methode ein Tier so zu verletzten, dass es nicht mehr fliehen konnte, aber nicht gleich starb. Bei Truxes musste Farviriol allerdings viel seiner astralen Macht benutzt haben, um ihn mit nur einem Spruch zu töten. Raffael betrachtete den Elfen eingehend. Seine weißen Haare hatten sich an etlichen Stellen rot gefärbt. Farviriol trat Raffael gegenüber. "Und, bist du nun zufrieden?" wiederholte er. "Ich hatte dich für klüger gehalten. Meine Männer werden die Frauen wieder einfangen. Und glaub mir, diesmal werde ich sie nicht zurück halten, wenn sie sich eine von ihnen ausgesucht haben." versicherte er. "Droh mir nicht! Wir werden sehen, ob sie überhaupt eine von ihnen finden!" erwiderte der Hexer kalt. Raffael wischte sich noch einmal sein Blut aus dem Gesicht. Der Schmerz, den der Peitschenhieb verursachte, kehrte zurück. Während des Kampfes hatte er nicht darüber nachgedacht. Dafür war der Schmerz jetzt um so schlimmer. Es würde eine hässliche Narbe bleiben. Aber selbst das war Raffael jetzt gleich. Er hoffte, dass Meshuha mit den anderen entkam. Dann wäre Truxes´ Tod nicht ganz umsonst gewesen. "Du weißt, dass du dafür heute Nacht einen hohen Preis bezahlen wirst, junger Hexer." Farviriol packte Raffael am Arm und stieß ihn grob in Richtung seines Zeltes. Raffael lies es ohne Widerwillen geschehen. Es war ihm egal, was jetzt passierte. Er glaubte ohnehin nicht mehr daran, dass er den Elfen loswerden würde, bevor dieser nicht hatte, was er wollte. Aber er würde diesen Preis bezahlen, denn diesmal war der Lohn angemessen. Ein Teil seiner Familie konnte mit Sicherheit fliehen. Die Frauen waren zu neunt und verfolgt wurden sie nur von zwei Reitern. Raffael wurde in das Zelt hinein gestoßen und knallte zu Boden. Jeder einzelne Teil seines Körpers wog Tonnen. Er hatte nicht mehr die Kraft sich gegen Farviriols Wut zu stellen. Ganz gleich, was er diese Nacht noch mit ihm machen würde, er würde es über sich ergehen lassen und hoffen, das der Elf sein Leben schnell beendete. Raffael richtete sich mühsam wieder auf. Er schaute durch den großen Raum. Das Innere des Zeltes war reich ausgestattet mit Teppichen, Brokat und Samt. Bunte Kissen und Tücher schmückten das weiche Lager. Daneben stand ein silbernes Tablett, auf dem sich eine Karaffe mit rotem Wein und Kristallgläser befanden. Im ganzen Zelt waren langstielige, dunkle Rosen mit blutrot geäderten Blüten verstreut. An ihren Stielen wuchsen lange, messerscharfe Dornen. Raffael erblickte auch etwas bekanntes in dem Raum. Seinen Stab! Er lehnte an eine der Stützstangen. Farviriol ging zu den dem silbernen Tablett, nahm sich eines der Gläser und füllte es halbvoll mit Wein. Er setzte sich auf sein Lager, führte das Glas zu seinem Mund und betrachtet Raffael von oben bis unten. "Zieh dich aus!" forderte der Elf. "Nein" erwiderte Raffael bestimmt. Farviriol trank aus dem Glas, stellte es beiseite und stand mit einem tiefen Seufzen auf. Innerhalb eines Schrittes war er bei Raffael. Mit der flachen Hand schlug er ihn ins Gesicht. Raffaels Lippe platzte auf. Der metallische Geschmack seines Blutes füllte seinen Mund. Seine Lippe tat weh, doch er gab keinen Laut von sich. Raffael hob den Blick und sah Farviriol fest in die grünen Elfenaugen. "Nun gut, dann mache ich es für dich" Farviriol streckte seine Hand aus, legte sie auf Raffaels Schulter und lies den Hemdstoff durch seine schlanken Finger gleiten. Raffael erschauerte. "Es gefällt mir ohnehin besser, wenn ich dich zwingen muss" sagte der Elf erfreut. Mit einem Ruck riss er problemlos den Stoff von Raffaels Oberkörper. Der Hexer stand erstarrt da. Das rote Hemd hing in Fetzen an seinen Hüften herunter. Farviriol trat noch näher an Raffael heran. Er konnte erneut die Wärme des Elfen spüren und auch der Rosenduft war wieder da. >>Ob sein Geruch von diesen Rosen hier kommt?<< fragte er sich. Farviriol begann den Verband von Raffaels Rippen zu wickeln. Unter dem Stoff traten tellergroße, blaue Flecken hervor. Der Elf fuhr mit seiner Hand die Verletzungen ab. Raffael zuckte reflexartig unter der Berührung zusammen. Selbst diese leichte Berührung tat ihm weh. Farviriol kicherte. "Schmerzt dich ein Peitschenhieb quer durchs Gesicht etwa weniger, als eine sanfte, liebevolle Berührung?" fragte Farviriol. Raffael konnte die Erregung in seiner Stimme hören. Der Elf schlang seine Arme um Raffaels Hüften, fuhr mit seinen Händen die Linie seines Rückgrats nach und verweilte in seinem langen, schwarzen Haar. Der Hexer ballte seine Hände zu Fäusten, bis das Knacken seiner Knöchel zu hören war. "Das kommt darauf an, von wem diese Berührung kommt" antwortete er eisig. "Verstehe" sagte der Weißhaarige lächelnd. "Wäre es denn so schlimm, wenn du für eine Weile mein Gefährte werden würdest?" Farviriol presste Raffael noch stärker an sich, als ob er ihn in sich aufnehmen wollte. Raffael stemmte seine Hände mit aller Kraft gegen die Brust des Elfen. Gegen die übernatürliche Kraft des Weißhaarigen konnte er aber nicht ankommen. Farviriol griff mit einer Hand in Raffaels Nacken und zwang seinen Kopf, sich nach oben zu richten. Mit der anderen hielt er ihn immer noch an sich gepresst, gefangen. Raffael war gezwungen in die schönen Augen des Elfen zu schauen. Farviriol begehrte ihn, das konnte er deutlich erkennen. Nie war er von einem Mann so angesehen worden. Es widerstrebte Raffael zutiefst, länger in dieser Position zu verharren. Aber je länger er in diese tiefen, grünen Augen sah, die den grünen Weiden Maraskans, seiner Heimat, auf so furchterregende Weise glichen, desto weniger wurde seine Abscheu vor diesem Mann. Seine Gedanken über den Tod seiner Familie und der vergangen zwei Tage wurden beiseite gewischt, hatten keine Bedeutung mehr. Er wollte nur noch in diesen Augen versinken. Erinnerungen von seiner Mutter erschienen in seinem Verstand. Nicht von Oruha, nein, seiner richtigen Mutter. Eine bezaubernde Frauengestalt, mit fein geschnittenen Gesichtszügen, gütigen grünen Augen und dunklen Locken stand vor ihm. Sie lächelte freundlich, streckte ihre Arme weit nach ihm aus. Ihr blaues, einfaches Kleid, in das er oft sein Gesicht geborgen hatte, wenn er nachts schlecht geträumt hatte, wiegte um ihren Körper. Raffael stand inmitten grüner Weiden. Er sah zu dem kleinen Haus, mit der selbst gebauten Holzbank an der Seite, die er als Kind mit ziegelroter Farbe bemalt hatte. Er hatte seine Familie darauf festgehalten, mit lachenden Gesichtern und sich an den Händen haltend. Neben dem Haus erblickte er die Kornfelder, auf denen das Getreide in voller Blüte stand. Abseits plätscherte ein kleiner Bach, indem er mit seinen beiden Schwestern immer gespielt hatte. Raffael sah sie im Wasser herum tollen und hörte ihr glockenhelles Lachen. Sein Blick wanderte zurück zu den Feldern. Er sah einen Mann in bäuerlicher Tracht. Der Mann mit dem einfachen Strohhut pflügte mit zwei großen Trallopper Riesen (Pferde) den ertragreichen Boden. Das frohe, heitere Pfeifen seines Vaters erfüllte die nach Herbst riechende Luft. Dies war sein zu Hause. Die Frau in dem blauen Kleid kam auf ihn zu. Sie breitete abermals die Arme aus, nannte seinen Namen. "Komm mein Kind. Du bist daheim." sie reichte ihm ihre Hand. Raffael wollte nichts mehr, als mit dieser Frau gehen. "Mutter" sagte er. "Ja, mein liebes Kind. Du bist endlich wieder daheim." sagte sie glücklich. Raffael streckte die Hand nach ihr aus. Seine Fingerspitzen konnten schon fast ihre Handfläche berühren. Die Frau mit den smaragdgrünen Augen lächelte liebevoll und wollte seine Hand ergreifen. Da grollte der Himmel und eine Frauenstimme schrie: "NEIN!!!" Raffael kannte diese Stimme. Irgend etwas in seinem Unterbewusstsein regte sich, wollte sich erinnern. Bilder von brennenden Zelten drangen in seinen Verstand. Und auch die Silhouette einer Frau, die ihr Gesicht in seine Verbände barg. Er erinnerte sich an ihre Worte: >>"Geh nicht mit ihm!"<< Die junge Frau in dem blauen Kleid mit ihren grünen Augen und den schwarzen Locken verzerrte sich. Durch ihren Körper schimmerte eine andere Gestalt hindurch. Er erkannte eine schlanke, hochgewachsene Männerfigur mit langen weißen Haaren und boshaften, smaragdgrünen Augen. "Nein..." sagte Raffael, "NEIN!" wiederholte er schreiend. Der Hexer schlug die Augen auf. Raffael starrte in das Gesicht Farviriols. Er hatte die Augen geschlossen. Raffael spürte wie sich Farviriols heißer Mund auf den seinen gelegt hatte. Es war ein süßer und fordernder Kuss, aber der Bann, der auf Raffael gelegen hatte, war verflogen. Mit seiner ganzen Kraft riss er sich aus der Umarmung los und taumelte zurück. Raffael fühlte sich schwach, als hätte etwas versucht seine Lebensenergie zu rauben. Was immer es auch gewesen war, es hatte noch nicht vollenden können, was es wollte. Wie ein Raubtier, das um seine Beute gebracht worden war, hörte er das Wesen in seinem Innersten toben. Es hatte versucht ihn zu besudeln, seine Seele zu vergiften. "Das ist völlig unmöglich!" schrie der Elf fassungslos. "Keiner kann sich einem Lamijah widersetzten." Farviriol starrte ungläubig auf den zitternden Hexer. "Was hast du gemacht?" brachte Raffael zitternd hervor. "Was hast du mit mir gemacht?" kreischte er ängstlich. Seine Knie begannen weich zu werden. Er kroch in die hinterste Ecke des Zeltes und kauerte sich zusammen. Raffael konnte in seiner Verfassung nicht einmal mehr davon laufen. Etwas hatte an seiner Seele gerissen, ihn bis ins Innerste erschüttert. Farviriol erkämpfte sich seine Fassung nur langsam zurück. Zu erstaunt war er über den Willen des Hexers. Er blickte auf die zusammen gekauerte Gestalt in der Ecke seines Zeltes. "Das ist einfach unmöglich! Kein Mensch kann sich gegen den Sikhariyanraub zur Wehr setzten." versuchte der Elf sich erneut zu überzeugen. Dann drehte er sich um und stürmte aus dem Zelt. Raffael rollte sich zusammen und legte sich auf die Seite. Er fror. Er hatte noch nie in seinem Leben eine solche Kälte verspürt, wie in diesem Moment. Zu einem klaren Gedanken war er nicht mehr fähig. Sein Körper hatte die Grenzen der Belastbarkeit in diesen zwei Tagen mehrere Male bei weitem überschritten. Raffael war verletzt und die Wunde in seinem Gesicht würde sich ohne Behandlung entzünden. Hinzu kam, dass sie nicht aufhören wollte zu bluten. Und dennoch spürte er keinen Schmerz mehr. Seine Kraft war restlos aufgezehrt. Raffael starrte ausdruckslos vor sich hin. Er bewegte sich nicht mehr. Aus der Ferne konnte er Hufschläge hören. Farviriols Männer waren zurück. Sie erstatteten ihrem Herrn Bericht, über die misslungene Jagd auf die Frauen. Raffael konnte den Elfen toben hören. >>Sein Zorn wird jetzt ins Unermessliche steigen<< dachte er. Er versuchte zu lächeln, doch es gelang ihm nicht. Trotzdem war er glücklich, denn seine Familie war frei! Raffael schloss die Augen. Kapitel 2: ----------- >>>Raffael stand inmitten des Nirgendwo. Vor ihm erstreckte sich eine breite Straße. Verdorrte Bäume und Sträucher säumten die Wegränder. Dunkelheit umfing ihn. Sie hüllte ihn ein, behutsam und sanft, wie eine Mutter, die ihr Neugeborenes in den Armen hält. Raffael fühlte sich völlig leicht. Er streckte seine Arme aus und betrachtete seine durchsichtigen Hände. Sie waren unversehrt. Vorsichtig tastete er sein Gesicht ab. Es fühlte sich eigenartig an. Er fühlte keine Wärme, aber dafür auch kein Blut und keine Narben. Raffael atmete tief durch. Er war überrascht. Das Atmen fiel ihm ungeahnt leicht. Er drückte auf seine Rippen, doch kein Schmerz stellte sich ein. Raffael sah auf. Ein großer Rabe fesselte seinen Blick. Das seltsame Tier saß auf einem der dürren Zweige und betrachtete ihn mit väterlichen Augen. Raffael kannte diesen Vogel. Er wusste, dass er gekommen war, um ihn zu begleiten. Er war froh, dass er da war, denn er brachte ihn nach Hause. Der Rabe würde ihn geleiten und dafür sorgen, dass er nicht vom Weg abkam. Raffael ging auf den Vogel zu. Das Tier breitete seine majestätischen Schwingen aus und erhob sich lautlos von dem Zweig. Es folgte dem Straßenverlauf. Raffael ging bereitwillig hinterher. Sobald er sich in Bewegung gesetzt hatte, erblickte er vor sich ein riesiges, schwarzes Tor. Die lange Straße lag auf einmal hinter ihm. Die Pforten öffneten sich und warmes, dunkles Licht hüllte ihn ein. Der Rabe, der voraus geflogen war, schwebte hindurch. Raffael vernahm in seinen Gedanken eine wispernde Stimme, die ihn aufforderte einzutreten. Es war eine beruhigende, freundliche Stimme, die zu ihm sprach. Raffael verspürte einen unendlich tiefen Frieden in seiner Seele. Er ging auf das Tor zu. Er war nur noch einen Schritt davon entfernt einzutreten, da riss etwas an ihm. Raffael wurde zurück gezogen. Das Tor entfernte sich, wurde kleiner, bis es sich schließlich schloss. Raffael wollte nicht gehen. Er wollte durch dieses Tor treten und seine Ruhe finden, doch er spürte, wie das Leben in seine Glieder zurückkehrte. Er würde in die Wirklichkeit zurück geholt werden, mit all ihrem Schmerz und den ewig wiederkehrenden Bildern von brennenden Zelten. >>"So schnell sterbe ich nicht. Das wird er nicht zulassen."<< Raffael kamen seine eigenen Worte wieder in den Sinn, bevor er in tiefen Schlaf fiel. <<< Es war fast Mittag, als Raffael die Augen aufschlug. Er erwachte in einem prunkvollen Bett. Jemand hatte ihn auf Kissen gebettet und zugedeckt. Er lag auf dem Rücken und seine langen Haare verteilten sich über die Laken. Raffael richtete sich auf und war überrascht, dass ihm nichts weh tat. Er sah an sich herab. Sein Oberkörper war unbekleidet und er konnte sehen, dass seine blauen Flecken verschwunden waren. Er tastete seine Rippen ab. Er stellte fest, dass sie restlos verheilt waren. Erschrocken über seinen ungewöhnlich guten Gesundheitszustands, fuhr er mit einer Hand durch sein Gesicht. Die blutende Wunde von Farviriols Peitsche war ebenfalls verheilt. Nicht einmal eine Narbe war geblieben. Das einzige was ihn schmerzte war sein linkes Schulterblatt. Er tastete es mit Zähneknirschen ab, denn es brannte, als hätte jemand heißes Wachs auf ihn geleert. Raffael konnte die Umrisse eines Ornamentes erfühlen. Entsetzt drehte er den Kopf und erblickte eine frische Brandwunde. Das vermeintliche Ornament stellte einen Skorpion dar. In Raffael stieg eine irre Wut auf. Dieser Mistkerl hatte ihn gebrandmarkt, wie ein Stück Vieh. Farviriol zeigte offen, dass er Besitzansprüche auf ihn erhob. Raffael sah sich um. Er befand sich in einem etwa zwanzig Schritt langen und fünfzehn Schritt breiten Raum, der fast an die Größe eines Saales grenzte. Links und rechts befanden sich bogenartige Durchgänge, die leicht spitz am oberen Ende zuliefen. Tulamidysche Wandteppiche mit Motiven über Kultur und die Geschichte des Landes, schmückten die Wände. Die nicht verhüllten Teile der Wände waren mit Kacheln in verschiedenen Blau - und Grüntönen verkleidet, die sternförmige Mosaike bildeten. Raffael sah zur Decke. Sie war zu einer großen Kuppel gewölbt und mit verschieden Fresken und Gemälden versehen. An den Seiten verliefen Säulen aus Stein, welche die Zimmerdecke stützten. Auch sie waren mit Kacheln versehen. Die Fugen zwischen den einzelnen Ornamenten waren mit Silber gefüllt. Im Vergleich zu dem Prunk der Wände war der Raum, indem er sich befand, nur spärlich eingerichtet. Bis auf das große Doppelbett und einem kleinen runden Tisch nebst Stühlen, gab es in dem Raum nur noch einen großen Holzschrank neben einem der Durchgänge. Er wollte aber nicht so richtig zu dem tulamidysch vorherrschenden Flair passen. Es war ein großer Eichenschrank mittelreichischer Verarbeitung. Er wirkte im Gegensatz zu der kunstvoll gearbeiteten Architektur des Zimmers eher plump und sperrig. Hier hatte die Pragmatik gegenüber der Schönheit gesiegt. Auf dem kleinen Tisch stand eine edel verarbeitete Wasserpfeife. Sie stand in keinem Vergleich zu der kleinen, mickrigen Wasserpfeife, die Pawla immer benutzt hatte, um sich in einen ordentlichen Rausch zu versetzten. Sie war allerdings eingestaubt, war also seit längerer Zeit nicht mehr in Gebrauch. Gegenüber des Bettes, das in der Mitte des Zimmers stand, gab es einen großen bogenförmigen Durchgang. Er führte hinaus auf einen Balkon mit gebogenem Geländer aus Eisen. Viele verschiedene Blumen und Grünpflanzen in großen Tontöpfen, wuchsen an den Geländerenden in die Tiefe. Aus anderen Krügen suchten sich verschiedene Efeuarten ihren Weg an den Außenwänden nach oben. Bienen und andere Insekten schwärmten um die bunten Frühlingsblumen, die in voller Pracht ihre Köpfe der Sonne zuneigten. Raffael stieg aus dem Bett und stellte genervt fest, dass mehr als nur seine Oberbekleidung fehlte. "Na prima" brummte er. Der Hexer ging in strahlender Nacktheit zu dem Holzschrank und öffnete ihn. Seine Hose und Stiefel konnte er allerdings nicht finden. Dafür lagen sauber gefaltete Kaftane und schwarze Schnabelschuhe darin. Raffael wählte einen dunkelblauen aus, streifte ihn sich über, nahm die ungewohnten Schuhe und drehte sie mit hochgezogener Augenbraue in den Händen. "Gut, dass mich keiner meiner Freunde mit diesen peinlichen Pantoffeln sieht." seufzte er. Er zog sie an, suchte noch nach einem Band für seine Haare und schloss dann den Schrank. Er nahm das Band zwischen die Zähne und begann sein Haar zu einem Zopf zusammen zu raffen. Währenddessen drehte er sich um und verharrte plötzlich in der Bewegung. An der gegenüber liegenden Wand lehnte Farviriol mit vor der Brust verschränkten Armen. Er beobachtete die Bewegungen des Hexers eingehend. Er hatte sich wieder einmal unbemerkt an ihn herangeschlichen. >>unheimlich<< ging es Raffael durch den Kopf. Raffael sah den fast zwei Schritt großen Elfen an, der einen neuen, sauberen, roten Mantel mit schwarzen Knöpfen und Bordüren trug. Der Hexer beendete in aller Ruhe seine haarige Arbeit. "Wie viele von diesen Mänteln habt Ihr eigentlich?" wollte Raffael wissen. "Sind wir also wieder beim "Ihr" angekommen?" fragte der Weißhaarige ruhig gegen. "Wir waren schon mal einen Schritt weiter." Farviriol verharrte in seiner Position. Er stand reglos, wie eine Puppe, an die Wand gelehnt da. Nur sein flacher Atem verriet, dass es sich bei dem Elfen tatsächlich um ein lebendiges Wesen handelte. >>wirklich unheimlich<< dachte Raffael. Eine kleine Weile starrten die beiden Männer sich einfach nur an, unschlüssig was sie vom anderen halten sollten. Raffael hatte Angst vor diesem Elfen. Nicht nur, dass er vernichtend durch seine Familie gewütet hatte, oder seine größte Freude darin bestand ihn zu quälen, nein, er hatte versucht nach seiner Seele zu greifen. Farviriol diente der Shaz-Man-Yat und erhielt dafür einen Teil ihrer Macht, die er auch einsetzte. Auch wenn Raffael ganz und gar nicht in der Dämonologie bewandert war, wusste er instinktiv, was da an seiner Seele gezerrt hatte. Er hatte das Wesen und seine Gier gespürt. Der Tod hatte Raffael nie geängstigt, aber um seine Seele würde er der Shaz-Man-yat einen erbitterten Kampf liefern. Raffael erkannte in den Augen Farviriols eine genauso tiefe Verwirrung. Er hätte vermutlich nie damit gerechnet, dass sich ihm jemand derart widersetzten würde. Er hatte seine Macht zu groß eingeschätzt. Raffael trat ein Stück in die Raummitte. "Warum bin ich noch am Leben?" fragte er. "Warum habt Ihr es nicht zu Ende gebracht?" Farviriol trat von der Wand weg und ging in Richtung des Balkons. Vor dem Durchgang blieb er stehen, schaute zu den Blumen und antwortete auf Raffaels Frage. "Es wäre ein leichtes gewesen dich sterben zu lassen. Eigentlich hatte ich vor, dich unter meine Kontrolle zu bringen. Wäre es mir gelungen, dir durch unsere Umarmung einen Teil deines Sikharyans zu entziehen, wärst du für den Rest deines Lebens an mich gebunden worden. Du hättest mir, wie viele Andere, mit Hingabe gedient und meine Wünsche erfüllt." Farviriol wandte sich wieder Raffael zu. "Ich weiss noch nicht warum ich keinen Erfolg hatte, aber ich werde es in den nächsten Tagen und Wochen herausfinden. Zuerst hatte ich mich ja entschlossen mir jemand anderen zu suchen, aber als ich deinen bewusstlosen Körper betrachtet hatte, empfand ich es als Verschwendung. Zusätzlich kann ich es nicht dulden, dass sich mir jemand widersetzt. Deshalb habe ich dich geheilt und am Leben gelassen." "Und wie kommt Ihr zu der Annahme, dass ich in den nächsten Wochen hier bleiben werde? Ich habe nicht vor, Euch auch nur das kleinste Bisschen entgegen zu kommen" gab Raffel zu verstehen. Farviriol lächelte vor sich hin. "Ich muss nicht unbedingt Sikharyan von meinen Sklaven stehlen, um sie hier zu behalten." Der Elf sah zu Raffaels Schulter. Sein Lächeln wurde breiter. Raffael griff grimmig nach der Brandmarke, die Farviriol ihm während seiner Bewusstlosigkeit zugefügt hatte. "Du siehst, ich habe durchaus andere Möglichkeiten" sagte er schadenfroh. "Dieses Mal hindert mich dennoch nicht daran von hier zu verschwinden." Raffael wurde langsam zornig. Er war schon einmal Sklave gewesen. Damals war er nur ein Kind und die Erinnerungen waren auch nur noch sehr schwach vorhanden, aber ein solches Schicksal war er nicht bereit erneut zu tragen. "Das ist wohl war, dass es dich bei einer Flucht nicht behindern würde, aber du bist nicht mehr in Aranien. Wir haben schon vor vier Tagen oronischen Boden betreten und sind seit gestern in Elburum, der Hauptstadt dieses Landes. Außerhalb dieser Mauern wirst du hier von demjenigen beansprucht werden, der die Macht dazu hat, dich zu nehmen. Dich zu brandmarken war diesmal zu deinem eigenen Schutz, um Übergriffe durch andere Oronis zu verhindern. Du trägst nun mein Wappen. Ich genieße ein gewisses Ansehen und es ist bekannt, dass ich nicht gerne teile." Farviriol lächelte vielsagend. "Keiner wird es wagen Hand an dich zu legen und sich an meinem Eigentum zu vergreifen." fuhr er fort. "Aber außerhalb Elburums, bin selbst ich nicht überall bekannt und bei einer Flucht kann ich dir keinen Schutz mehr garantieren. Du siehst also, du bist gefangen. Ich brauche dir daher keine Lebensenergie zu stehlen, um dich an mich zu binden." Farviriol winkte Raffael zu sich heran und forderte ihn auf mit ihm auf den Balkon zu treten. Der Hexer zögerte einen Augenblick, trat dann aber mit skeptischer Miene an Farviriols Seite. "Sieh dich um, dies hier ist für die nächste Zeit dein zu Hause!" sagte der Elf. Raffael tat wie im geheißen wurde. Unter dem Balkon erstreckte sich der riesige Innenhof des Anwesens, welches die Form eines Quadrates hatte. Es bestand lediglich aus zwei Stockwerken. Das Zimmer in dem sich Raffael und Farviriol befanden war das einzige mit einem Balkon. Raffael folgerte daraus, dass dies der Schlafbereich des Elfen war. Aus dem Erdgeschoss drangen Stimmen herauf, die lautstark über das Mittagessen diskutierten. Raffael sah das ein oder andere Mitglied der Dienerschaft geschäftig vorbei huschen, stets beladen mit irgend welchen Gegenständen oder Speisen. An der gegenüberliegenden Seite befand sich ein großes Holztor mit Eisenbeschlägen, das in die Stadt hinein führte. Links und rechts gab es je zwei weitere, kleinere Durchgänge mit den selben Rundbögen, die Raffael schon aus dem Schlafzimmer kannte. Fenster gab es nur vereinzelt. Aus einem der Räume auf der rechten Seite stieg der verlockender Duft von Essen auf. Dies war offensichtlich die Küche. Raffael hielt nach Wachen Ausschau. Jeweils zwei Männer bewachten vom oberen Stockwerk aus das Tor. Raffael konnte durch die unverglasten Fenster bis in die Stadt hinein sehen. Die eindrucksvolle Architektur des Anwesens wurde durch ein weiteres Kunstwerk unterstützt. Dem Springbrunnen in der Mitte des Hofes. Er war aus weißem Marmor erbaut worden und in der Mitte des plätschernden Nasses thronte die Steinstatue einer Frau. Ihre Haare reichten bis zu ihren Fußknöcheln. Ihr Oberkörper war nackt und ihr Unterkörper mit einem Juwelen verzierten Rock bekleidet. Es war eine meisterliche Arbeit desjenigen Bildhauers, der sie geschaffen hatte. Zu ihren Füßen knieten nackte Männer und Frauen aus Stein, die in Ketten gelegt waren. Sie beteten die Steinfrau ehrfürchtig an. Die Frauenstatue, die vermutlich die Shaz-Man-Yat darstellte, hatte ihre Hände über die Köpfe ihrer Jünger gelegt. Das Wasser umspielte die Figuren und verlieh der dargestellten Szene einen eigenartigen Ausdruck. Raffael roch erneut den verführerischen Duft des Essens. Sein Magen begann unweigerlich zu knurren. Kein Wunder, hatte er, wenn Farviriols Aussagen der Wahrheit entsprachen, seit vier Tagen nichts mehr zu sich genommen. "Komm, du musst Hunger haben" sagte der Elf. Raffael war irritiert. Dieser Mann war unberechenbar. Von einer Sekunde zur nächsten konnte er zum Inbegriff einer rasend wütenden Bestie werden und schon im nächsten Augenblick verhielt Farviriol sich fürsorglich, ja fast freundlich. Es war grotesk, einfach grotesk. Aber mit einem hatte der Mann Recht. Raffael hatte Hunger, unbeschreiblichen sogar. Bereitwillig begleitete Raffael den Elfen in den Raum durch den rechten Durchgang des Schlafzimmers. In ihm waren bereits zwei leicht bekleidete Dienerinnen damit beschäftigt, Platten mit allerlei Köstlichkeiten auf den Tisch aufzutragen, der sich in der Mitte des Raumes befand. Raffael hatte noch nie von Tellern aus Porzellan gegessen und auch Silberbesteck lag heute zum ersten Mal vor ihm. Das Silberbesteck, das er bisher gesehen hatte, hatten stets Zirkusmitglieder irgendwo mal mitgehen lassen und es war immer schnell an Händler verschachert worden, bevor sich die Gelegenheit zur Benutzung ergab. Der Elf ging an das eine Ende des Tisches und nahm auf einem der Stühle Platz. "Bitte, setz dich" bat Farviriol freundlich und wies ihm einen Stuhl am gegenüber liegenden Ende des Tisches zu. Raffaels Misstrauen stieg. Er kannte den Elfen erst wenige Tage, aber eines war sicher. Farviriol war kein Mann, der "bittet". Er wollte etwas. Raffael nahm auf seinem Stuhl Platz. Kaum hatte er sich gesetzt, kam eine der Dienerinnen an seine Seite und begann seinen Teller mit einer Auswahl an Speisen zu füllen. Die meisten kannte er davon nicht. Farviriol wurde von dem anderen Mädchen bedient. Beide trugen durchsichtige, rosafarbene Pluderhosen und einfache Westen, die ihre Körper mehr entblößten, als verhüllten. Die Mädchen, die schätzungsweise das Alter Meshuhas hatten, waren mit einfachen, bronzenen Ohrringen behangen, die ihre Stellung als Sklavinnen verdeutlichten. Raffael musterte das Mädchen, das Farviriol Essen auftrug. Sie war ein zierliches Geschöpf mit kurzem, rötlichem Haar und Sommersprossen ,also keine Aranierin. Sie konnte aus dem Mittelreich stammen oder mit gutem Willen auch aus dem Lieblichen-Feld. Für ihr Alter war ihr Körper knabenhaft ausgeprägt und ihr Rücken war übersät mit verheilten Striemen, die von einer Neunschwänzigen stammten. >>Farviriol hat an ihr also auch schon seinen "Spaß" gehabt<< ging es Raffael verächtlich durch den Kopf. Was Raffael irritierte, war ihr ungewöhnliches Verhalten. Wenn er versuchte Blickkontakt herzustellen, senkte sie schnell ihr Haupt zu Boden. Er hatte keine Erklärung dafür. Hatte sie Angst vor ihm, oder verhielt sie sich einfach nur, wie sich Sklaven im Normalfall zu verhalten hatten? Farviriol waren Raffaels Beobachtungen nicht entgangen. Er lächelte kühl, streckte seine rechte Hand nach dem Mädchen aus und zog sie zu sich auf seinen Schoß. Das Mädchen lies erschrocken das Servierbesteck los. Es klapperte auf die Platten. Auch die Dienerin, die neben Raffael stand, verharrte einen Augenblick mit ängstlichen Augen, bevor sie ihre Tätigkeit beendete und dann schnellen Schrittes den Raum verließ. "Das hier ist Marie." begann der Elf. "Gefällt sie dir?" Farviriol lächelte Raffael provozierend zu. "Sie ist ein gutes Kind; sehr gehorsam!" Den Hexer fixierend, begann der Elf langsam mit seinen schlanken Fingern die Schenkel des Mädchens zu streicheln. Die junge Frau erzitterte unter der Berührung. Raffael sah zu ihrem Gesicht. Sie war vor Scham errötet und hatte ihren leeren Blick zu Boden gesenkt. Sie krallte ihre zitternden Hände in den durchsichtigen Tüllstoff ihrer Hose. Raffael wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Elfen zu, der sich anscheinend eine Reaktion von ihm erhoffte. Farviriol reizte ihn ganz bewusst, denn er hatte seinen Schwachpunkt längst herausgefunden. Doch der Hexer tat ihm diesen Gefallen nicht. Für die Worte, die er nun sprach, hasste er sich selbst. "Nein, sie gefällt mir nicht. Ich habe kein Interesse an verbrauchten Frauen." Raffael nahm eine Gabel, stach gespielt gelangweilt in sein Essen, pikste ein Stück Fleisch auf, roch daran, unschlüssig um was es sich handelte und begann zu essen. Dabei konzentrierte er sich mühsam auf seinen Teller. Raffael war verärgert, aber das musste er dem Elfen ja nicht unbedingt zeigen. Die Jahre im Zirkus zahlten sich aus. Raffael spielte überzeugend. Er hörte wie Farviriol mit einem leisen Fluch das Mädchen von sich runter schob. Erleichtert griff sie mit hastigen Bewegungen nach den leeren Platten und dem Servierbesteck, erwiderte dankbar Raffaels Blick und verschwand durch die gleiche Tür, wie die andere Dienerin. Farviriol ergriff verstimmt sein Besteck und begann ebenfalls zu essen. Der Hexer lächelte zufrieden in sich hinein. Diesmal hatte er gesiegt. Eine Weile saßen sie schweigend beisammen und verzehrten das bereit gestellte Mahl. Es schmecke vortrefflich. Raffael konnte sich nicht erinnern je so gut gegessen zu haben. Gehungert hatte er nie, dafür war Oruha immer eine zu gute Wirtschafterin gewesen, aber das fahrende Volk war nicht gerade für seinen luxuriösen Lebenswandel bekannt. Nach einiger Zeit ergriff Farviriol das Wort. "Ich unterbreite dir ein Angebot." Raffael sah von seinem Teller auf. "Und was für eins?" fragte er misstrauisch, "Ich werde nicht mehr versuchen, dir einen Teil deines Sikhariyans zu stehlen..." "Was verlangt Ihr im Gegenzug?" unterbrach Raffael schnell. "Ich werde dich studieren." Der Elf schob sich etwas Gemüse in den Mund. Raffael war alarmiert, er hatte schon so eine Ahnung, was der Mann mit "studieren" meinte. "Du darfst dich in meinem Haus frei bewegen und auch in die Stadt, aber darüber hinaus schwörst du, dass du bleibst!" fuhr Farviriol in ruhigem Ton fort. "Und wenn ich ablehne?" fragte Raffael. Farviriol legte seine Gabel beiseite, lächelte böse und sagte: "Dann versuche ich mein Glück erneut. Du wirst dich nicht auf Dauer meinem Willen entziehen können. Aber mir liegt mehr daran herauszufinden, warum es mir beim ersten Mal nicht gelungen ist. So etwas darf sich nicht wiederholen." Raffael schluckte trocken. Seine Chancen Farviriols Haus eines Tages an einem Stück zu verlassen standen schlecht, aber noch schlechter standen sie, aus Oron lebend raus zukommen. Wie er es drehte und wendete, keine der beiden Alternativen war äußerst verlockend. Hinzu kam, dass der Elf verlangte, dass er schwor. Raffael brach ungern einen Schwur, aber er schätzte, dass die Götter hier mehr als nur ein Auge zudrückten, wenn er sich nicht daran hielt. Er gab ihn schließlich einem Paktierer. Raffael hatte sich entschlossen. Er wählte das kleinere Übel. "Und, was sagst du?" fragte Farviriol. "Ja. Ich stimme Eurem Angebot zu" antwortete Raffael zerknirscht. "Gut!" freute sich der Elf. Er stand auf, ging hinter Raffaels Stuhl, stützte sich mit gestreckten Armen auf die Stuhllehnen und beugte sich zu ihm runter. Farviriols Haare fielen auf Raffaels Schulter. "Eine Kleinigkeit noch. Ich mag das "Ihr" nicht. Nenn mich bei meinem Namen." bat er. Raffael verhielt sich vollkommen still. Er dachte nicht daran auch nur zu atmen! Farviriol wartete einen Moment auf seine Antwort. Da aber keine kam, richtete er sich wieder auf, ging in Richtung der Tür, durch die auch die Dienerinnen zuvor gegangen waren und öffnete sie. "Verzeih, aber meine Geschäfte verlangen meine vollste Aufmerksamkeit. Sieh dich um, der Tag ist noch lang. Wenn du in die Stadt hinaus willst, dann solltest du offen zeigen, wem du gehörst. In deinem eigenen Interesse." Mit diesen Worten verließ Farviriol den Raum und schloss hinter sich die Tür. Raffael atmete auf, legte seine Arme auf den Tisch und bettete seinen Kopf auf sie. "Verdammt, was hab ich mir nur dabei gedacht?!" seufzte er tief. Raffael hatte noch nie so viele Bücher gesehen. Eigentlich hatte er überhaupt noch nie mehr, als nur den Einband eines Buches gesehen. Oruha hatte es immer für unnötig gehalten, ihm Lesen und Schreiben beizubringen. Sie hatte stets gesagt, das sei etwas für die reiche Oberschicht. Die einfachen Leute bräuchten nur ihren Verstand und kräftige Hände, um für sich zu sorgen. Nun stand er in Farviriols hauseigener Bibliothek und war überwältigt von so viel Schriftgut. Auch wenn er selbst noch nie in ein Buch hinein geschaut hatte, wusste er, dass sie unglaublich teuer waren. Und Farviriol hatte einen ganzen Raum voll davon. Erneut fragte er sich, wie groß die Macht des Elfen und sein Ansehen in diesem Land waren. Raffael nahm vorsichtig ein Buch mit braunem Einband aus einem der Regale. Der Einband war aus stabilem Leder gearbeitet und goldene Schriftzeichen zierten den oberen Bereich des Buches. Raffael strich mit den Fingern darüber. Es fühlte sich an, als ob man über ein Stück frische Baumrinde strich und es roch nach Druckerschwärze. Raffael schlug das Buch auf und begann darin zu blättern. Verstehen konnte er die Schrift nicht. Er kannte sie nicht einmal, aber die Illustrationen, die das Buch enthielt, fesselten seine Aufmerksamkeit. Sie zeigten Mitglieder des Elfenvolkes. Sie sahen allerdings anders aus, als die Elfen, die er bisher gesehen hatte. Alle waren umgeben von einem strahlenden Leuchten und sie standen inmitten großer Elfenstädte aus Kristall. Es war eigenartig, denn Raffael wusste, dass Elfen normalerweise in kleinen Sippengemeinschaften zusammen lebten und stets die Nähe zur Natur suchten. Dass sie auch in riesigen Städten lebten, war ihm neu. Er blätterte das Buch bis zu Ende durch und entdeckte neue eigenartige Elfen. Ihre Haut war dunkel, fast nachtschwarz und ihre Statur war kleiner und zierlicher. Auf einem der Bilder umringten sie eine der anderen Elfenfrauen. Sie trug ein Kleid, das Raffael an das Gewand einer Geweihten erinnerte. Die Frau war überaus schön, von hohem Wuchs, mit goldenen Augen, hellblondem Haar und fast schneeweißer Haut. Sie schienen sie als eine Art Gottheit zu betrachten. Das Buch befasste sich scheinbar mit der Geschichte des Elfenvolkes, oder vielleicht waren es auch einfach nur Märchen. Raffael konnte das nicht so genau sagen. Er stellte das Buch zurück an seinen Platz und sah sich weiter um. Neben etlichen Regalen und den vielen Büchern, war ebenfalls ein Schreibtisch vorhanden. Auf ihm lagen Schriftstücke und Briefe verstreut, daneben Schreibutensilien und ein Siegelring in Form eines Skorpions. Der selbe Skorpion, der auch Raffaels Rücken zierte. Diese Bibliothek war gleichzeitig Farviriols Arbeitsraum, stellte er fest. Hier entschied der Elf über Menschenleben. Was genau seine Aufgaben waren, außer der Sklavenbeschaffung, wusste Raffael nicht, aber er konnte es sich in etwa vorstellen. Wenn er die Elitegarde Orons anführte, dann galt seine Aufmerksamkeit vor allem Feinden des Landes. Wobei man unter "Feind", göttergläubige Aufrührer verstehen durfte. Die Bibliothek befand sich im Erdgeschoss neben dem großen Empfangssaal. Der Saal lag genau unterhalb von Farviriols Schlafzimmer und hatte drei Eingänge. Der Haupteingang befand sich dabei direkt unter dem Balkon. An den Türseiten wuchsen die blühenden Pflanzen des oberen Stockwerks herab, die Raffael am Vormittag gesehen hatte. Die rechte Tür des Saals führte zur Bibliothek, die linke zu einem weiteren Raum, der Farviriol und seinen Gästen als Besprechungszimmer diente. Im linken Flügel des Gebäudes befanden sich die Zimmer der Dienerschaft, sowie ein kleiner Durchgang in die Stallungen. Auf der rechten Seite gab es die Küche und den Vorratsraum. Neben dem Eisen beschlagenen Eingangstor hatten Farviriols Wachen sich zwei Wachstuben eingerichtet, in denen sie auch die Nacht verbrachten. Der zweite Stock war über zwei Treppenhäuser zu erreichen, die sich sowohl neben der Bibliothek, als auch neben Farviriols Arbeitszimmer befanden. In der oberen Etage gab es bis auf die Gemächer des Elfen, ausschließlich unbenutzte Räume. Diese Räume, drei in jedem Flügel, standen Gästen des Hausherrn als Unterkunft bereit. >>Dieses Haus ist riesig!<< stellte Raffael fest. >>Ein Wunder, dass ich mich nicht verlaufen habe...<< Die Dienerschaft war Raffael bei seinem Rundgang durch Farviriols Haus stets aus dem Weg gegangen. Sie maßen ihn mit zum Teil abschätzigem oder zum Teil bedauerndem Blick. Wenn er das Gespräch mit einem von ihnen suchte, wanden sie sich schnell mit wenigen Worten ab und gingen einer Beschäftigung nach, die möglichst weit von dem Hexer entfernt zu erledigen war. Raffael setzte sich mit einem traurigen Seufzen auf den Steinboden des Innenhofs. Die Marmorplatten waren noch warm von der Mittagssonne. Es war bereits früher Abend und er hatte die Hoffnung aufgegeben, dass er in diesem Haus jemand finden würde, der bereit war sein Freund zu werden. Er lehnte sich an die Hauswand und schloss die Augen. In seinen Geist traten Erinnerungen von Fadime, wie sie ihn ärgerte und piesackte. Im Moment wünschte er sich nichts mehr, als dass sein kleines Schwesterlein da wäre und ihm die Zeit vertrieb. Er vermisste sie, auch wenn er es ihr gegenüber nie zugegeben hätte. Dafür war es mittlerweile zu spät. Raffael wurde an der Schulter angestupft. Er öffnete die Augen und erblickte blaue Augen und rötliche Sommersprossen. Marie stand neben ihm, in ihrer freizügigen Kleidung und lächelte ihn freundlich an. "Danke!" sagte sie. "Hm?" erwiderte Raffael überrascht. Marie ließ sich neben ihm nieder und lehnte ebenfalls mit dem Rücken an die Wand. "Danke, dass du vorher nicht auf die Sticheleien des Herrn reagiert hast." Sie faltete ihre Hände in ihrem Schoß und sah auf den Boden. "Schon gut" erwiderte der Hexer. "Ich hoffe, ich hab dich nicht gekränkt." "Nein, das hast du nicht." Marie schüttelte den Kopf. "Ich war ehrlich erleichtert, denn der Herr hat mich schon seit Monaten nicht mehr angerührt und ich hab doch einen ordentlichen Schrecken bekommen, als er mich zu sich gezogen hat." Marie lachte leise und zog die Beine an ihren Körper. Ihre Worte stachen Raffael tief ins Herz. Das Mädchen sprach eigenartig leicht diese Dinge aus, ja fast gleichgültig. "Wo kommst du her?" fragte er das Mädchen, um das Thema zu wechseln. "Aus Donnerbach." antwortete sie. "und du?" "Das ist eine gute Frage, eigentlich komme ich von den maraskanischen Inseln, aber aufgewachsen bin ich in einem Zirkus. Also könnte man sagen, ich komme von überall und nirgends." Raffael lachte. Seit fast einer Woche lachte er wieder. Marie stimmte mit in ein. "Ich hab den Zirkus als Kind immer gemocht. Meine Eltern sind an Festtagen mit mir hingegangen." Raffael freute sich darüber, dass jemand mit ihm sprach und er sich nicht so alleine fühlte. Er wollte dem Mädchen ebenfalls eine Freude machen, zumindest wollte er es versuchen. Raffael schloss die Augen und konzentrierte sich auf das, was Pawla ihm über Lichtmagie beigebracht hatte. Er streckte seinen Arm aus und formte seine Hand zu einer Schale. Er stellte sich in Gedanken vor, wie die Lichtkugeln aussehen sollten. Marie schaute ihn irritiert an. "Ist mit dir alles in Ordnung?" fragte sie besorgt. "Scht..." meinte er knapp. Bisher waren Raffael die Lichtkugeln nur selten geglückt und farbig würde sie auch nicht werden, aber vielleicht freute sich das Mädchen trotzdem. Auf der Handfläche des Hexers entstanden drei kleine Lichtbälle, die langsam nach oben stiegen. Raffael öffnete die Augen und dirigierte sie im Hof herum. Sie jagten sich durch den Raum und tanzten auf der Wasseroberfläche des Brunnens um die Wette. Nach einer Weile wurden sie kleiner und verschwanden. Raffael konnte mit sich zufrieden sein. Zum ersten Mal hatte es überhaupt funktioniert. Marie klatschte in die Hände und lachte wie ein kleines Kind. "Du kannst ja zaubern!" rief sie freudestrahlend aus. Raffael sah in das glückliche Gesicht der jungen Frau und freute sich mit ihr. "Na ja, ein bisschen wenigstens." antwortete er ihr grinsend. Dann wurde er wieder ernst und fragte: "Sag mal, warum will niemand außer dir mit mir sprechen?" Auch Maries Freude ebbte ab. Sie blickte wieder stur geradeaus. "Weil der Herr es uns verboten hat." "Und warum?" fragte Raffael erstaunt. "Das macht er immer so, wenn er ein neues, verzeih meinen Ausdruck, "Spielzeug" gefunden hat. Er isoliert dich von den Anderen, damit du keine Wahl hast, als dich an ihn zu halten" sagte sie traurig. "Wirst du dann keinen Ärger bekommen, wenn du dich nicht an seine Anordnungen hältst?" Raffael wusste, dass diese Frage überflüssig war. Natürlich würde sie Ärger bekommen! Marie grinste ihn schelmisch an. "Wenn du es ihm nicht sagst und ich auch nicht, wird er es nie erfahren! Und die Anderen werden es ihm nicht verraten!" Raffael spürte wieder, wie sein Herz ihn schmerzte. Mit den wenigen Worten, die Marie mit ihm gesprochen hatte, hatte sie kleine Widerhaken in seinem Herzen hinterlassen. Er hatte dieses Mädchen, lieb gewonnen, obwohl er sie nicht kannte. "Was ist mit den Anderen? Werden sie sich auch nicht an das Verbot halten?" wollte Raffael wissen. "Doch werden sie, aber bei ihnen ist es etwas komplizierter. Sie sind nicht Farviriols Sklaven, sondern arbeiten lediglich für ihn. Sie verlassen Abends das Anwesen und kommen morgens zurück. Sie haben große Angst davor, dass der Herr irgendwann Interesse an ihnen finden könnte. Deshalb verhalten sie sich möglichst unauffällig." erklärte die junge Frau. Raffael konnte nachvollziehen, warum sie sich ihm gegenüber so abweisend verhielten. Er würde es an ihrer Stelle auch nicht anders machen. Marie und der Hexer unterhielten sich noch eine Weile weiter, bis der Abend anbrach. Sie hatte ihm bereitwillig Auskunft gegeben, über sich und über alles weitere, was er wissen wollte. Marie war sechzehn Jahre und diente schon seit ihrem zehnten Lebensjahr in Farviriols Haus. Er hatte sie und ihre Mutter von einem seiner Raubzüge mitgebracht, als Maries Eltern in Aranien zu Verhandlungszwecken über verschiedene Textilien und ihren Verkauf waren. Der Vater war erschlagen worden und die Mutter des Mädchens hatte die ersten drei Wochen in Farviriols Haus nicht überlebt. Ähnlich wie bei Raffael war es der Zufall, der den Elfen zu Maries Familie geführt hatte. Raffael stand auf dem Balkon und starrte in die Dämmerung hinaus. Einzelne Sterne waren bereits am klaren Firmament zu sehen. Es würde eine kalte Nacht werden. Raffael ging gedankenverloren zu dem großen Doppelbett und fragte sich, wer alles schon in diesen Laken gelitten hatte und Farviriol zu Diensten gestanden haben musste. Nun würde er darin schlafen. Zumindest hatte er für die heutige Nacht und die nächsten Tage seine Ruhe, denn der Elf war außer Haus. Er würde erst in einer Woche zurück sein. Vermutlich war er wieder auf der Jagd. Raffael nahm sich eine Decke und ein Kissen und bereitete sich neben dem Bett ein Lager. Zum ersten Mal seit einer Woche konnte er beruhigt einschlafen, ohne damit rechnen zu müssen, dass er am nächsten Morgen nicht mehr aufwachte. Die nächsten Tage vergingen ereignislos. Raffael hatte sich in der Stadt umgesehen. Sie war genau das, was er erwartet hatte: Ein Sündenpfuhl! Frauen und Männer jeden Alters boten ihre Dienste an jeder zweiten Straßenecke an und selbst die Freier und Freierinnen verschwendeten keine Zeit mit lästigem Ausziehen, da sie meist schon fast entkleidet über die Straße gingen. Von der schlimmsten Rauschkrauthöhle des Hafenviertels Elburials, bis hin zu prächtigen Palästen und Belkeleltempeln von Shorioth, dem Nordteil der Stadt, war alles vertreten. Raffael war erstaunt, dass es hier inmitten der Hochburg des Belkelelkultes sogar Tempel der Zwölgötter gab. Die Tempel der Rahja, des Phex und der Hesinde waren allesamt heruntergekommen und nur wenige Freie suchten sie auf. Wie Raffael erfahren hatte, wurde der Glaube an die Götter geduldet, aber durch hohe Steuern derart eingeschränkt, dass es sich die wenigsten leisten konnten an ihrem Glauben festzuhalten. Elburum rühmte sich die Stadt der Freuden zu sein, in der kein Wunsch nicht erfüllt wurde. Nach außen hin wirkte die Stadt wie eine nie enden wollende Vergnügungsmeile, vor allem das Viertel Zhinbabil mit seinen Spielhäusern und Bordellen, das sich an der Ostküste der Stadt erstreckte. Aber wenn man an der Oberfläche kratzte, erkannte man schnell die Seelenfalle. Denn nichts anderes war diese Stadt. Der einzige Bereich, indem man sich bedenkenlos aufhalten konnte, war das Handwerkerviertel Fellakhand. Es war durch eine eigene Stadtmauer vom Rest Elburums abgetrennt. In ihm lebten vorwiegend die freien Handwerker und Händler, die sich ihre Freiheit durch hohe Abgaben sicherten. Farviriols Haus befand sich im Stadtteil Shorioth neben anderen Palästen wichtiger Persönlichkeiten Orons. Über allem ragte jedoch der "Blutrote Tempel der Einen Und Einzigen". Raffael stand des öfteren vor dem größten Belkeleltempel Orons und beobachtete die begeisterten Gläubigen, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Einige waren betörend schön, andere wiederum grausam entstellt. Die meisten aber, das wusste der Hexer, waren Diener der Erzdämonin und keine normalen Anhänger mehr. Marie hatte ihm erzählt, dass Oron der Teil der schwarzen Lande sei, der mit Abstand die meisten Paktierer hatte. Direkt neben dem Tempel war ein Palast erbaut, der fast die Größe des Kaiserpalastes des Lieblichen-Feldes erreichte. In ihm lebte, so hatte Marie berichtet, die Satrapa Merissa. Die über siebzig jährige Greisin war die zweite Frau im Staat und übernahm die Verwaltung des Moghulats von Elburum aus. >>"Sie ist noch grausamer und gefährlicher, als Farviriol"<<, hatte Marie Raffael erzählt, obwohl er sich das kaum vorstellen konnte. >>"Sie findet keinen so großen Gefallen am Quälen selbst, aber sie gewinnt ihre Lust durch die Gewissheit, dass sie die Qual beenden könnte und es bewusst nicht tut. Etwas Boshafteres kann es doch nicht geben."<< hatte Marie gemeint. Raffael war sich da nicht so sicher. Seit er in dieser Stadt war hatte er aufgehört Vergleiche zu ziehen, denn jedes Mal, wenn er dachte nichts könnte ihn mehr erschrecken oder schockieren, wurde er eines Besseren belehrt. Raffael hatte sich an Farviriols Anweisung gehalten und bewegte sich stets mit freiem Oberkörper durch die Stadt. Des öfteren wurde er deswegen angesprochen, oder hatte das ein oder andere nicht ganz züchtige Angebot erhalten, aber sobald die Männer und Frauen das Mahl erblickten, war ihr Interesse erloschen und sie suchten schleunigst das Weite. Auch wenn Raffael es nicht gern zugab, er war fast froh, dass er diese Marke hatte. Es war bereits spät und Raffael machte sich auf den Rückweg zu Farviriols Haus. Seine schwarze Blutrose, die er dabei hatte, war schon dabei zu verwelken. Er musste sich also etwas beeilen, wenn er noch über die Rosenbrücke wollte. War sie verwelkt, bevor er das Spielerviertel verlassen hatte, dann musste mehr als einer der Götter ihm gnädig sein. Marie hatte ihm davon abgeraten Zhinbabil zu betreten, aber seine Langeweile hatte ihn fast umgebracht. Noch dazu musste er durch das Viertel, wenn er zum Hesindetempel wollte. Er hatte im Tempel der Göttin des Wissens ein Abkommen mit dem Tempelvorsteher geschlossen. Raffael berichtete über Sagen und Legenden seines Volkes und im Gegenzug brachte er ihm das Lesen und Schreiben bei. Raffael hatte nur sehr wenig Geld, um für die Ausbildung zu bezahlen, aber nach lautstarkem Feilschen, willigte der Hesindegeweihte schließlich ein. Phex war ihm diesmal gewogen. Oruha hatte ihm also was Richtiges beigebracht. Raffael kämpfte sich gerade durch das dichte Gedränge der Freier und Spielsüchtigen, da brach direkt vor ihm eine Schlägerei aus. Zwei Männer stritten sich um ein junges, etwa achtjähriges Mädchen. Beide beanspruchten sie für diese Nacht. Das Mädchen stand ängstlich am ganzen Körper zitternd da, mit Augen, die verrieten, dass sie schon lange kein Kind mehr war. Raffael drängte sich an den beiden betrunkenen Schlägern vorbei und eilte zu dem Mädchen. Er ergriff ihre Hand und rannte mit ihr durch die grölende Menge. Dabei verlor er unbemerkt die Rose an seinem Hosenbund. Raffael bog in eine Seitenstraße ab und hielt erst an, als das Lärmen des Mobs leiser wurde. Schwer atmend standen die beiden in der dunklen Gasse. Nach einigen Augenblicken wandte Raffael sich dem Mädchen zu und lächelte freundlich. "Bist du in Ordnung?" fragte er sie. Das Mädchen nickte stumm. Mit ihren großen Augen starrte sie zu ihm auf. "Einen Silbertaler, der Herr." sagte sie bestimmt. Raffael war verdutzt, dann geschockt. Das Kind hielt ihn für einen Kunden. "Nein" stammelte er. Raffael kämpfte um seine Fassung. Nachdem er sich gesammelt hatte, kniete er sich vor das Mädchen, legte eine Hand auf ihren Kopf und versuchte seiner Stimme einen möglichst väterlichen Ton zu verleihen. "Nein" sagte er ruhig. "Ich will keine Dienstleistung. Wo sind deine Eltern?" Das Mädchen zeigte in Richtung des Armenviertels. "Bring mich hin" forderte der Hexer. Das Mädchen sah Raffael irritiert an, zuckte mit den Schultern und lief dann in die gezeigte Richtung. Raffael ging ihr hinterher. Das Armenviertel hatte den Namen "Viertel" nicht einmal verdient. Zwischen Häuserwänden der Spielhöllen und den Bordellen waren einfache Bretterverschläge gebaut worden, die mehreren Familien gleichzeitig Unterschlupf boten. Hier hielten sich vornehmlich Kranke und diejenigen auf, die nicht einmal mehr zum Sklaven taugten. Eigentlich warteten die Menschen hier nur noch auf den Tod. Raffael brach es das Herz, wenn er daran dachte, dass dieses Mädchen hier seit seiner Geburt aufwuchs und Zeit seines Lebens nie etwas anderes kennen lernen würde. Das Mädchen führte ihn zu einem der Bretterverschläge in der hintersten Ecke einer dunklen Gasse, blieb stehen und zeigte mit ihrem dürren Finger auf den "Eingang". Raffael bewegte sich langsam auf den Verschlag zu. Als er hinein sah, saßen dichtgedrängt vier Personen beieinander. Zwei Frauen und zwei Männer. Es waren die Großeltern und die Eltern des Kindes. "Ist das deine Familie?" fragte der Hexer. Das Mädchen nickte wieder nur stumm. Raffael zog zwei Silbertaler aus seiner Hose und warf sie den eingedreckten Leuten zu. Gierig schnappten sie nach seinem Geld. Dann drehte er sich um, fuhr dem Mädchen mit seiner Hand über den Kopf und machte, dass er weg kam. Dieses Geld sicherte nicht die Zukunft der Familie, aber zumindest musste das Kind sich diese und die nächste Nacht nicht verkaufen. Als Raffael den Weg zurück suchte, verlief er sich gnadenlos. Jede Ecke sah aus wie die zuvor und jeder Weg war identisch mit dem nächsten. Raffael bog an der nächsten Weggabelung links ab und wäre fast wegen der Dunkelheit in eine Gruppe von drei Männern hinein gerauscht. "Hey, kannst du nicht aufpassen?" raunzte einer der Betrunken ihn an. "Entschuldigung" meinte Raffael knapp und wollte an ihnen vorbei treten. Der Betrunkene hatte aber offenbar andere Pläne. Er packte Raffael am Arm und hielt ihn davon ab. "Du musst schon mehr bieten, als ein billiges "Entschuldigung"!" sagte der Mann grinsend. Raffael konnte den bierschwangeren Atem des Mannes riechen. Raffael bekam eine Gänsehaut vor Ekel. Die beiden anderen fingen an zu lachen. "Und was wollt ihr?" grollte der Hexer "Geld hab ich keins dabei." Das entsprach sogar der Wahrheit. Sein letztes Geld hatte er dem Mädchen gegeben. "Das ist aber dumm für dich." lachte der Betrunkene "Hey Jungs, er ist zwar keine Frau, aber er sieht ja nicht schlecht aus!" grölte der Mann. Das Lachen der anderen wurde lauter. Raffael wurde langsam nervös. "Nach oronischem Gesetz darf keinem Besucher mit einer Blutrose ein Leid zugefügt werden!" erinnerte Raffael. "Du hast aber keine!" grinste der Mann. Raffael sah zu seiner Hose. Die Rose war weg! "Oh, verflixt!" spie er verärgert aus. Noch bevor Raffael reagieren konnte wurde er von den Begleitern des Betrunkenen gepackt und festgehalten. Der Mann, der die Hände frei hatte zog einen rostigen Dolch und hielt ihn Raffael unter die Nase. "Da du kein Geld hast wirst du eben anders bezahlen!" meinte der Anführer amüsiert. Raffael hatte genug. Er trat mit voller Wucht gegen die Kniescheibe des Mannes und hörte sie splittern. Mit einem gellenden Schrei ließ er den Dolch fallen und ging zu Boden. "Verdammtes Aas!" schrie der Mann. Raffael erhielt einen Schlag in den Rücken von einem der Männer, die ihn hielten. Dafür hatte er ihn aber loslassen müssen. Raffael nutzte seinen freien Arm, drehte sich dem anderen zu und schlug mit aller Kraft in sein Gesicht. Eine wüste Schlägerei brach aus. Raffael schätzte seine Chancen zu gewinnen als sehr gering ein. Er hatte zwei Gegner, die ihm an Kraft und Statur weit überlegen waren. Aber er versuchte sein Bestes. Das reichte jedoch nicht aus und schon nach einer Weile lag er mit blutender Nase auf dem Rücken und versuchte seinen Gegner, der ebenfalls einen Dolch gezogen hatte, davon abzuhalten ihm ein zweites Lächeln zu verpassen. Wie er diese Stadt hasste! Und Schuld war dieser Elf! Raffael spürte wie seine Kräfte nachließen. Da hörte er aufgeregte Hufschläge näher kommen. Etwas knallte durch die Luft. Raffael hörte seinen Gegner, der mit einem riesigen Ruck von ihm runter gezerrt wurde, schreien. Raffael richtete sich auf und sah wie der Schläger, dessen Handgelenk mit einem Peitschenende umwickelt war, von einem Mann in roter Gardeuniform auf seinem Pferd in vollem Galopp davon geschliffen wurde. Zwei weitere Reiter standen in der Gasse. Der Betrunkene, dem Raffael die Kniescheibe zerschmettert hatte richtete sich umständlich auf und versuchte zu fliehen. Sein Freund tat es ihm gleich und suchte das Weite. Einer der Reiter spornte sein Pferd an und nahm die Verfolgung auf. Auch er trug eine der roten Gardeuniformen mit dem Skorpionwappen. In der Gasse war es dunkel, doch Raffael wusste wer der dritte Reiter war, auch ohne dass er ihn erkannte. Aus einiger Entfernung hörte Raffael einen lauten Schrei. Farviriols Untergebener hatte den Flüchtenden offenbar gestellt. Der Anführer der Betrunkenen versuchte ängstlich davon zu kriechen, kam aber nur sehr langsam vorwärts. Der letzte Reiter bewegte sein Pferd langsam vorwärts. Als er in einen schmalen Lichtschein ritt, erkannte Raffael Farviriol, der seinen grimmigen Blick kalt auf den Betrunkenen geheftet hatte. Er ritt langsam weiter vorwärts und blieb an Raffaels Seite stehen. Der Hexer saß immer noch auf dem Boden, angelehnt an eine Hauswand, erschöpft von der Schlägerei. Farviriol beugte sich runter und umschlang mit einem Arm seine Hüfte. Als hätte Raffael kein Gewicht, wurde er von dem Elfen wortlos aufs Pferd gezogen. Dann wendete Farviriol das schwarze, gehorsame Ross, dass Raffael so bewundert hatte und ritt kommentarlos davon. Raffael hob ungläubig seinen Blick zu den grünen Augen des Elfen. Dieser erwiderte ihn nicht. Hatte Farviriol ihn gerade wirklich gerettet? Den ganzen Weg bis zu Farviriols Haus hatten sie kein Wort miteinander gewechselt. Es war bereits dunkel und die Sterne standen am Himmel. Als sie ankamen, hatten sich bis auf die Wachen, alle zu Bett begeben. Raffael ging voraus, während der Elf sein Pferd in den Stall brachte. Er ging in Farviriols Schlafzimmer und setzte sich an den runden Tisch. Nach einer Weile betrat auch der Elf den Raum und nahm auf dem Doppelbett Platz. Er legte sich mit einem tiefen Seufzen ab, ließ seine Beine über den Bettrand baumeln und verdeckte seine Augen mit seinem Arm. >>Irgendwie ist er heute eigenartig<< ging es Raffael durch den Kopf. Er traute dem Frieden nicht. Farviriol war ohne ein Wort von dem Betrunkenen davon geritten. Nach seinem Blick zu urteilen, den er dem Mann zu geworfen hatte, hätte Raffael schwören können, dass der Elf sich mit ihm "vergnügen" wollte. Aber er hatte ihn nicht mal umgebracht! Und zu ihm hatte Farviriol kein Wort gesagt. Als Raffael den Elfen so daliegen sah, so ungewohnt "menschlich", tat er ihm fast ein wenig Leid. Der Hexer erschrak vor sich selbst. Was dachte er da? Der Elf tat im Leid? Raffael zweifelte an seinem Verstand, aber er fühlte sich in gewisser Weise schuldig, weil Farviriol ihn aus der Schlägerei befreit hatte. Raffael stand auf und holte sich sein blaues Gewand aus dem Schrank. Seine Hose, die Marie für ihn gewaschen hatte, war restlos zerfetzt. Das Mädchen hatte sie, nach den Raufereien mit Farviriol, schon einmal geflickt, aber jetzt gab sie endgültig den Geist auf. Raffael zog sich hastig um. Als er seinen linken Arm anhob, zuckte er mit einem leisen Fluch zusammen. Einer der Betrunkenen hatte ihn mit seinem Dolch am Unterarm verletzt. Er hatte es in der Aufregung nicht bemerkt, doch jetzt wo sein Körper sich wieder in Ruhe befand, tat es doch etwas weh. Raffael hielt in der Bewegung inne, legte den Kaftan beiseite und wischte sich das Blut vom Arm. Dass er dabei völlig nackt war, fiel ihm erst auf, als Farviriol neben ihm stand. Raffael erschrak. "Müsst Ihr Euch immer so anschleichen?" fragte er mürrisch. "Du" antwortete der Elf. Er starrte auf die frische Wunde auf Raffaels Arm. "Was?" Raffael wusste nicht, was er meinte. "Musst DU dich immer so anschleichen?!" erklärte Farviriol müde. "Lass sehen!" befahl er. Raffael hielt sich den Arm, streckte ihn dann aber mit einem aufgebenden Seufzen Farviriol entgegen. Der Elf griff nach Raffaels Ellenbogen und sah sich die Wunde an. Farviriol beugte sich nach vorne und leckte das noch vorhandene Blut ab. Raffael versuchte seinen Arm wegzuziehen. "Hör mit dem Mist auf!" verlangte Raffael ärgerlich. Farviriol ignorierte die Forderung und fuhr mit seiner Zunge die Wunde ab. Raffael setzte immer mehr Kraft ein, um den Elfen abzuschütteln, doch es gelang ihm nicht, da Farviriol seinen Druck verstärkte. Raffael zappelte hilflos vor sich hin und nach einer Weile ließ der Elf ihn schließlich los. "Du zeterst wie ein kleines Kind" beschwerte er sich gereizt. "Desinfiziert man bei euch Wunden etwa nicht?" Er sah Raffael an. Erst jetzt bemerkte der Hexer, das ausgemergelte Gesicht des Elfen. Er wirkte ungeahnt müde. Er hatte Farviriol als Monster kennen gelernt, das, wenn es sich in Rage befand, imstande war ganze Sippen auszurotten. Jetzt aber stand dieser Mann wie ein Häuflein Elend vor ihm, auch wenn seine Kraft die eines normalen Menschen immer noch überstieg. Raffaels Gedanken rasten. Im Moment war Farvirol schwach. Die Versuchung war groß, sehr groß sogar. Der Elf erahnte die Gedanken des Hexers. Er machte einen Schritt von ihm weg und breitete die Arme aus. "Hier ist deine Chance. Ich war lange nicht so schwach wie jetzt. Wenn du auf einen passenden Augenblick gewartet hast, um mich zu töten, dann ist das die Gelegenheit." Raffael war sich unklar, was er jetzt tun sollte. Es stimmte, er würde nie wieder eine solche Gelegenheit bekommen. Er konnte sich auf den Elfen stürzen und es heute beenden. Was hinderte ihn daran? Die Dienerschaft würde ihn unterstützen, davon konnte Raffael ausgehen, aber eine innere Stimme sagte zu ihm, dass es nicht richtig war. Nicht nur, dass er dann nicht lebend aus Oron raus kam, etwas sagte ihm, dass er den Elfen noch brauchen würde. Es war nicht mehr als ein Gefühl, aber es war so stark, dass Raffael einfach auf es hören musste. "Verflucht!" knirschte er. Farviriol lachte höhnend. "Das ist dein Problem. Du hast ein Gewissen. Und genau deshalb wirst du hier niemals wegkommen." Farviriol nahm die Arme wieder runter, schüttelte den Kopf und begann sich zu entkleiden. Trotz seines angeschlagenen Zustands war sein Körper makellos. Raffael betrachtete den Körper des Elfen. Selbst jetzt war er schön. Das Sternenlicht spielte mit seinen Haaren. Es glänzte fast wie reines Silber und seine weiße Haut schimmerte wie frische Milch. Auch wenn Raffael es gerne wollte, dass von diesem Mann eine gewissen Faszination ausging, konnte er nicht leugnen. Farviriol ging zu Bett und starrte zur Decke. Der Hexer sah ihn noch einen Augenblick lang an, streifte sich dann den blauen Kaftan über und trat an sein provisorisches Lager. "Was soll das eigentlich werden?" hörte er den Elfen fragen. "Warum hast du dich auf dem Boden eingerichtet? Das Bett ist groß genug." Farviriol rollte sich auf die Seite und stützte seinen Kopf auf den Arm. "Ich hielt es nicht für angebracht" erwiderte Raffael kühl. Er stand immer noch vor seinem Lager. "Stell dich nicht so an. Selbst wenn ich wollte, bin ich heute zu erschöpft, um mir mit dir einen Kampf zu liefern. Du brauchst also keine Angst zu haben, ich werde von meinem Recht keinen Gebrauch machen." Farviriol lächelte ihn schelmisch an. "Zumindest heute nicht!" Raffael ärgerte sich. Nahm dieser Mann wirklich an, er würde das gleiche Bett mit ihm teilen? Und das auch noch freiwillig? Der Hexer zweifelte langsam am Verstand des Elfen. Farviriol wartete immer noch auf Raffaels Reaktion. Da diese ausblieb, rollte er sich mit einem enttäuschten Seufzen zur anderen Seite und rührte sich nicht mehr. Raffael sah, dass der Atem des Elfen lang und tief wurde. Raffael konnte mit der Situation nicht viel anfangen, aber da Farviriol im Moment nicht ganz Herr seiner Sinne zu sein schien, ergriff er die Gelegenheit beim Schopf. Wenn Menschen müde waren, dann wurden sie meistens redselig. Vielleicht erging es dem Elfen nicht anders. Raffael ging zum Bett und setzte sich. "Kann ich dir eine Frage stellen?" fragte er vorsichtig. "Nur zu" kam leise die Antwort. "Was hat dich so geschwächt?" Raffael riskierte viel mit dieser Frage und ihm war klar, dass er vielleicht im nächsten Augenblick um sein Leben rennen musste. Aber zu seiner Überraschung reagierte Farviriol völlig gelassen. "Warum möchtest du das wissen? Du hast doch schon die Chance mich zu töten..." sagte er. "Aus Interesse" log der Hexer. Farviriol setzte sich auf. Er war immer noch schnell, aber Rafael erkannte, dass er in der Tat, viel seiner Kraft eingebüßt hatte. Schließlich antwortete der Elf auf seine Frage. "Ich habe kein Sikharyan zu mir genommen. Schon seit drei Tagen nicht mehr. Auch wenn wir Lamijanim eigentlich keine Nahrung bräuchten, sind wir doch auf die Energie anderer angewiesen." Farviriol lächelte flüchtig an. Seine Augen wirkten im Sternenlicht wie kleine Edelsteine. "Und was hat dich davon abgehalten, dir wie sonst, zu nehmen was du willst.?" bohrte Raffael nach. Er wollte herausfinden, welche Schwachpunkte der Elf hatte und wie man sie nutzte. "Spanndicke Gitterstäbe" war die überraschende und simple Antwort. Farviriol nahm eine von Raffaels Haarsträhnen zwischen seine Finger. Er hatte zwar gesagt, dass er auf sein "Recht" verzichtete, aber was konnte man auf die Worte eines Paktierers schon geben? Dennoch ließ Raffael es zu. Er musste den Elfen bei Laune halten, damit er weiter sprach. "Hättest du dich nicht befreien können?" fragte er weiter. Farviriol stieß ein lautes Lachen aus. Diesmal war es kein böses Lachen, sondern ein Lachen das Eltern von sich geben, wenn ihre Kinder eine dumme Frage gestellt hatten. Raffael ärgerte sich über Farviriol. Er quälte ihn, ängstigte ihn zu Tode und jetzt lachte er ihn aus. >>Ich muss ja so dumme Fragen stellen, schließlich besitze ich kein Wissen über Wesen wie dich!<< brodelte es in ihm. Farviriol sah Raffael seine Empörung an. Er ließ die Haarsträhne los und rückte näher zu ihm. Der Hexer hatte eine solche Reaktion schon erwartet. Er traute dem Elfen keinen Millimeter über den Weg. "Ich wollte nicht über dich lachen, aber es ist äußerst erheiternd, dass du meine Macht für so groß hältst." Farviriol lachte erneut. Dann nahm er Raffaels Hand und begann sie zu streicheln. Der Hexer zog sie sofort weg. "Schade" sagte Farviriol, immer noch amüsiert über Raffaels Frage. Er rückte noch ein Stück näher, wodurch Raffaels Miene sich zunehmend verfinsterte. Der Elf lehnte seinen Kopf an Raffaels Schulter und sah fast bittend, wie ein kleines Kind zu ihm auf. In seinen Augen konnte der Hexer aber etwas Lauerndes erkennen. Farviriol hatte eine neue Masche aufgesetzt, ganz nach dem Prinzip "Zuckerbrot und Peitsche". Raffael ignorierte ihn und fragte weiter. So schnell würde er nicht aufgeben. "Und wer hat dich eingesperrt?" Farviriols Blick wurde grimmig, fast ärgerlich. Er richtete sich auf und starrte vor sich hin. "Merissa, die alte Vettel." War seine eisige Antwort. Raffael kramte in seinen Erinnerungen nach dem Namen. Ihm fiel wieder ein, dass Farviriol die Frau meinte, die so gern ihre Gnade verwehrte und damit die Opfer nicht nur den körperlichen Qualen aussetzte, sondern auch den Seelischen. "Wer ist diese Frau?" fragte Raffael gespielt unwissend. "Diese Frau," begann Farviriol verächtlich "steht in der Thronfolge hinter Dimiona. In ihren Knochenfingern hält sie die Macht Orons. Sie ist die weltliche Vertretung, während Dimiona die geistige Führung des Landes übernimmt. Seit ich in Oron bin, versucht sie Gewalt über mich zu erringen. Bisher konnte ich mich ihrer Begierde aber entziehen. Ich habe Dimiona stets loyal gedient und dafür erhielt ich den Kuss der Shaz-Man-Yat. Es war zwar nicht mein Wille, aber es hat auch seine Vorteile. Die Satrapa (= Ehrentitel) Merissa kann so nicht mehr über mich bestimmen. Ich kann nicht mehr zum Sklaven werden, außerdem fiele es Dimiona schwer, Ersatz für mich zu finden. Auch wenn die Rotmäntel die Ehrengarde Orons sind, die lästige Aufgabe die Sklaven zu besorgen, übernimmt niemand gerne. Mir hingegen bereitet es Freude, auf die Jagd zu gehen." Farviriol unterbrach seinen Redefluss und lächelte den Hexer böse an. Raffaels Blick erfror zu Eis. Nein, er hatte kein Mitleid mit diesem Geschöpf. Alles was Farviriol tat, geschah aus reiner Berechnung. Das wurde ihm jetzt klar. Raffael hatte versucht etwas Gutes bei ihm zu finden, damit er ihn nicht hassen musste, aber es gab nichts. Nicht einmal das kleinste Bisschen. Früher oder später würde Farviriol mit seinen "Studien" an ihm beginnen. Raffael musste bis dahin geflohen sein. Er verfluchte sein Gewissen, das ihn davon abhielt die Lage des Elfen auszunutzen. "Es war schlicht und ergreifend Dummheit, dass sie mich gefangen genommen hat." fuhr er ärgerlich fort. "Sie hatte mir ein besonderes Kunstobjekt für meine Schöpfungen in Aussicht gestellt. Sie sprach von einem Echsenweibchen. An Echsenmenschen heranzukommen ist sehr schwierig." Raffael verabscheute die Art wie er von anderen Lebewesen sprach. Sie hatten keinerlei Bedeutung für ihn. Das Leben hatte keinerlei Bedeutung für ihn! "Doch die Alte hat mich betrogen. Sie hat mich eingekerkert, und wollte mich zwingen, mich ihrer Lust hinzugeben." knurrte Farviriol. "Sie hat mich davon abgehalten mir meine Seelenenergie zu holen, um mich zu schwächen. Nach einigen Tagen bekam sie allerdings Angst, dass Dimiona sie für ihr Verhalten bestrafen würde, wenn ich die Tortur nicht überlebe." Raffael war sprachlos. Es war so einfach ihn zu schwächen. Man musste ihn nur einsperren und "verhungern" lassen. Raffael schloss daraus, dass Farviriol selbst kein Sikharyan besaß, er war wirklich seelenlos. Im Prinzip war er nicht mehr, als ein leeres Gefäß, das versuchte, sich zu füllen. Dazu bediente er sich der Energie Anderer. Der Hexer konnte sich ein gehässiges Grinsen nicht verkneifen. Farviriol war allerdings zu sehr in seine Rede vertieft, dass er nicht erkannte, was er dem Hexer gerade für eine gefährliche Information gegeben hatte. >>Schön, dass dein Geist auch geschwächt ist<< dachte Raffael zufrieden. "Die Alte wird es noch bereuen, sich mit mir angelegt zu haben" sagte der Elf mit drohendem Unterton. "Ich werde jetzt zu Bett gehen" sagte Raffael. Als er aufstand, krallte Farviriols Hand nach dem Gewand des Hexers. Raffael verharrte in der Bewegung und sah ohne Furcht auf den Elfen hinab. "Kannst du dir einen Kampf mit mir leisten?" fragte er zweifelnd. "Nein" antwortete Farviriol lächelnd. Er fuhr den Stoff hinauf und suchte nach der Hand des Hexers. Raffael blieb ruhig stehen. Als er sie fand, strich er zärtlich über Raffaels Fingerknöchel. Er hob den Blick und vertiefte seine schönen, grünen Augen in die des Hexers. Obwohl das Licht der Sterne nur schwach in das Zimmer hereinschien, konnte der Raffael sie dennoch deutlich sehen. Er fühlte sich eigenartig. Etwas in seinem Inneren wollte, dass Farviriol seine Hand weiter hielt. Nur einen Augenblick lang, dann stieg der Ärger in ihm auf. "Du hast geschworen es zu lassen!" sagte Raffael kühl. " Es würde sowieso nicht funktionieren." "Schon gut." Farviriol ließ Raffaels Hand los. "Aber die Versuchung war groß...." Er versuchte eine Unschuldsmiene auf zusetzten. Der Hexer nahm ihm das nicht ab. Dieser Elf war ein Monster und für ihn würde er auch immer eins bleiben. Raffael drehte sich wortlos um und machte es sich neben dem Bett bequem. Einige Minuten lag er mit wachen Augen da. Er konnte Farviriol atmen hören. Im Freien zirpten die Grillen und aus der Ferne rief eine Eule nach Gesellschaft. "Warum hast du deine Chance nicht genutzt? Du hältst mich für ein Monster und hasst mich abgrundtief." fragte der Elf in die Stille der Nacht hinein. "Weil ICH kein Monster bin" antwortete der Hexer. Farviriol lachte leise. Raffael nahm an, dass der Elf ihm nicht glaubte. Aber was machte das für einen Unterschied? Er wusste es besser. Raffael atmete tief ein und aus. Er würde wohl kein Auge zu tun, mit Farviriol im selben Raum. Was der Elf mit seinem Körper gemacht hatte, als er bewusstlos gewesen war, darüber wollte er erst gar nicht nachdenken. Raffael brütete über diese Gedanken noch eine Weile, dann fielen ihm die Augen zu. Kapitel 3: ----------- Zwei Rotmäntel ketteten den zusammengeschlagenen Mann an die rechte Wand des kleinen, nach Verwesung und Pestilenz stinkenden Raums. Raffael kannte den bedauernswerten Mann. Es war der Betrunkene, der ihn in den Straßen Elburums angegriffen hatte. Farviriol saß ihm in unmittelbarer Nähe, in einem teuren, goldbeschlagenen Sessel aus exotischem Mohaghoniholz gegenüber, in einer Hand einen Becher Wein. Zu Füßen des Elfen kniete ein etwa dreißig Jahre alter Mann ,wie einer jener Schoßhunde, die sich der Adel zu seinem Vergnügen hielt. Farviriols andere Hand ruhte auf seinen kurzen, dunkelbraunen Haaren. Neben dem jungen Mann lag der reglose Körper eines Mädchens. Es war Marie. Ihre Brust hob und senkte sich gleichmäßig und sie schien unverletzt zu sein. An der gegenüberliegenden Wand entdeckte er zu seiner Freude seinen Stab. Raffael stand in einem der Gänge des unterirdischen Gewölbes. Er versuchte sich, so gut es ging, im Schatten der nach innen aufgehenden Tür zu halten, damit er nicht entdeckt werden würde. Nachdem die zwei Gardisten ihre Arbeit vollendet hatten, bewegten sie sich in Richtung der halb geöffneten Tür, hinter der sich der Hexer versteckte. Raffael suchte schleunigst das Weite. Er lief zu der kleinen Nische in der linken Gangwand, die er entdeckt hatte, drückte sich an die Rückwand und ging vorsichtig in die Hocke. Er atmete hektisch. Neben dem Gassenschläger war sicher noch ein Plätzchen an der Wand frei, wenn sie ihn erwischten. Die beiden Männer gingen lachend an ihm vorbei. Sie witzelten darüber, was ihr Hauptmann jetzt anstellen würde. Raffael drückte sich noch etwas fester an die Wand, damit der Schein der Fackeln der zwei, ihn nicht erreichte. Als ihre Stimmen leiser wurden und ihre Schritte auf dem kalten Steinboden nur noch aus der Entfernung zu hören waren, atmete Raffael erleichtert auf. "Ich hätte nicht aufstehen sollen" sagte er leise zu sich selbst. Mit Grauen dachte er an das, was er in diesem Gewölbe gesehen hatte. Der Morgen nach dem ereignisreichen Tag in Elburum, war noch nicht angebrochen, da hatte schwacher Fackelschein den Hexer geweckt. Schlaftrunken war er aufgestanden und hatte vom Balkon aus beobachtet, wie Farviriols Männer ein wimmerndes, Blut verschmiertes Bündel zwischen sich, mühevoll ins Haus schleppten. Raffael war ihnen heimlich gefolgt. Sie hatten den Mann durch eine unauffällige Holztür im Erdgeschoss, eine Treppe hinunter geführt. Bei seinem Rundgang durch das weitläufige Anwesen war Raffael diese Tür nicht aufgefallen. Es war eigenartig, aber er meinte, sich daran zu erinnern, sie überhaupt nicht gesehen zu haben. Er war sich sogar sicher, dass sich an dieser Stelle eigentlich eine Wand aus Stein befinden müsste. Das Haus war vollkommen still. Nur die nächtlichen Geräusche der Natur waren zu hören. Der Hexer versicherte sich, dass niemand ihn beobachtete und trat dann durch die Tür. Die Fackel, die er aus der Küche geholt hatte, erhellte ihm den Weg allerdings nur schrittweise. Vorsichtig setzte Raffael einen Fuß vor den anderen. Das morsche Holz der Treppe knarzte und ächzte unter seinem Gewicht. Er tastete sich an der Wand entlang in die Tiefe. Sie fühlte sich kalt und feucht an. Am Fuß der Treppe blieb er stehen und leuchtete mit seiner minimalen Lichtquelle den Raum aus, um sich zu orientieren. Es befand sich in einem in Stein gehauenem Gewölbe. Große, ockerfarbene Steinquader reihten sich aneinander und bildeten zwei Gänge die tiefer in die Erde hinein reichten. Dicke Spinnweben hingen von der Decke. Einige der Krabbeltiere waren emsig dabei, die unvorsichtige Beute, die sich in ihren Netzten verfangen hatte, in einen undurchdringlichen Kokon einzuwickeln. Der ganze Raum strahlte einen stechenden Geruch nach Verfall und Moder ab. "Welchen nun?" fragte sich der Hexer unentschlossen. Raffael ging in die Hocke und hielt seine Fackel über den Boden. Da der Mann schwer verletzt war und stark blutete, musste er zwangsläufig Spuren hinterlassen haben. Raffael behielt Recht. Auf dem linken Gangboden entdeckte er winzige, rote Tropfen. Er fuhr mit seinem Finger über die Flüssigkeit und roch daran. "Na bitte" Mit sorgenvollem Gesicht richtete er sich wieder auf und folgte dem Gang. Ein kalter Luftzug ließ ihn erschauern. Leise suchten Wassertropfen sich ihren Weg von der Decke nach unten. Raffael schlug das Herz bis zum Hals. Dieser Ort machte ihm Angst. Er konnte nicht genau sagen, woran es lag, aber in seinem Bauch wurde das ungute Gefühl stärker, mit jedem Meter, den er weiter in das Gewölbe eindrang. Etwas stimmte nicht. Feuchte Keller jagten einem erwachsenen Mann normalerweise keine Angst ein. Aber dieser hier war anders. Dieser Ort war nicht so, wie er sein müsste. Aus jeder einzelnen Pore drang der Gestank nach Gefahr. Raffael bahnte sich langsam seinen Weg weiter und nach einigen Minuten zweigte der Gang erneut nach links und rechts ab. Der Hexer suchte erneut den Boden nach der roten Spur des Lebens ab. Kein Blut. Raffael entschied sich für den rechten Weg. Das Atmen fiel ihm hier unten ungeahnt schwer. Er war nur etwa vierzig Schritt gegangen. Raffael konnte es sich nicht erklären, was ihm derart zu schaffen machte. Zugegeben, er war nicht der eifrigste wenn es um Bewegung ging, aber untrainiert war er dennoch nicht. Die paar Schritt durften ihm nicht solche Mühe bereiten. Die Fackel züngelte aufgeregt bei jedem Luftzug, als wolle sie schnellstens davon laufen. Als hinge ihr Leben davon ab. Raffael ging weiter. Nach wenigen Metern stand er vor einer Tür. Sie war stabil und hatte ein großes Schloss, das jedem noch so guten Dieb große Schwierigkeiten bereitet hätte. Der Hexer legte seinen Kopf an die Tür und lauschte nach Stimmen oder anderen Geräuschen. Auf der anderen Seite tat sich nichts. Raffaels Nerven waren zum zerreißen gespannt. In ihm schrie förmlich eine Stimme diese Tür nicht zu öffnen. Dennoch suchte er nach dem Griff und drückte ihn nach unten. Die Tür war nicht verschlossen. Die Scharniere verrieten quietschend ihr Alter, doch in Raffaels Ohren klang es wie das drohende Schreien eines Wächters, dessen Verbot diese Tür zu passieren ignoriert wurde. Der Hexer drückte die schwere Tür langsam ein Stück nach innen auf. Wie die Faust eines wütenden Trolls, traf ihn ein unbeschreiblicher Schwall von Verwesungsgestank. Raffael wurde schlecht. Schwer atmend stolperte er ein Stück zurück und lehnte sich an die Gangwand. Er sah angstvoll zur Tür. Das Licht der Fackel war zu schwach, um in den Raum dahinter zu sehen, aber der Hexer wusste dennoch, was sich darin befand. Er hatte es die ganze Zeit über unbewusst geahnt. Sein ungutes Gefühl kam durch den Geruch. Jetzt merkte er das. Es roch in diesem Gewölbe nicht einfach nur nach verrottetem Holz und Moder, wie in jedem anderen alten Keller. Dieser Keller stank nach Tod. Raffael hatte die Verbindung zwischen seiner Angst und diesem Ort nicht herstellen können. Doch jetzt, war diese Verbindung überdeutlich vorhanden. Der Hexer trat von der Wand weg, umklammerte krampfhaft sein Licht, als wolle er mit ihm verschmelzen, dass der Tod nicht nach ihm greifen konnte, und ging auf die Tür zu. Er wollte nicht hinein sehen, aber er musste sich davon überzeugen, dass ein lebendes Wesen zu einem solchen Grauen fähig war, das er in diesem Raum vermutete. Raffael atmete noch einmal tief ein, drückte die Tür restlos auf und leuchtete in den Raum. Was er erblickte, hatte er sich in seinen schlimmsten Träumen nicht vorzustellen vermocht. Vor seinen Augen erstreckten sich Farviriols sogenannten Kunstwerke. Dutzende, Hunderte von Exponaten standen nebeneinander. Unzählige Regale waren beladen mit Tontöpfen und Glasgefäßen. Der Geruch von Alkohol und Leichen strömte aus ihnen. Raffael betrat widerwillig den Raum. Ein eisiger Griff legte sich um sein Herz. Seine Hände begannen zu zittern. Zum Glück erstreckte sich der Lichtschein nur über eine geringe Distanz. Der Hexer ging langsam weiter. Es war widerlich. Auf Raffaels gesamten Körper bildete sich eine Gänsehaut des Ekels. Er sah nicht nach rechts oder links. Gebannt starrte der Hexer auf das Zentrum des Raumes. Auf den steinernen Altar, an dessen Seiten die Spuren von getrocknetem Blut zu sehen waren. Auf der großen Steinplatte lag die entkleidete Leiche einer Frau. Sie war noch keine vier Wochen tot. Der Verwesungsprozess hatte erst einzelne Spuren hinterlassen. Raffael trat näher an sie heran. Ihr entstelltes Gesicht bekam den rosigen Hauch eines jungen Mädchens, das seine ersten zärtlichen Erfahrungen gemacht hatte. Ihr langes, dunkles Haar erstrahlte in neuem Glanz. Doch der Eindruck des zurückgekehrten Lebens würde augenblicklich verschwinden, wenn Raffael die Fackel herunternähme. Denn nur der Fackelschein verschaffte den erloschenen Augen der Frau neues Leben. Aus ihren weit aufgerissenen Augen blickte Raffael der Wahn an. "Was hat dir dieses Monster angetan!" sagte der Hexer erstickt. Sein Blick wanderte über den zerschundenen Körper der Frau. Farviriol hatte sie gequält. Sie musste über mehrere Monate durchgehalten haben, denn unzählige verheilte Narben übersäten Arme, Beine und den Oberkörper der Frau. Raffael leuchtete über ihren Unterkörper. Tränen stiegen ihm in die Augen. Ihre Arme waren im Halbkreis um ihre geöffnete Bauchdecke gelegt. Die liebevolle Haltung einer Mutter, die das beschützte, was ihr im Leben am meisten bedeutete. Bereit für das entstehende Leben in ihrem Leib zu kämpfen. Doch hier kam diese Haltung einer Verspottung gleich. Er konnte den Anblick nicht länger Er riss sich ertragen.los von dem grausamen Bild, das sich ihm bot und stürmte aus dem Raum. Hinter sich zog er die Tür mit einem gewaltigen Knall zu. Die massive Tür bebte für einen Moment in ihren Angeln, als bitte sie um Vergebung, für das was Raffael gesehen hatte. Der Hexer ließ sich langsam mit dem Rücken an der Türe hinabsinken. Er hatte das Gefühl nicht mehr stehen zu können. Er begann leise zu lachen, die Tränen strömten ihm in Sturzbächen die Wangen hinab. Sein Lachen wurde lauter, jenes verzweifelte Lachen, wenn einem Menschen nichts anderes mehr übrig blieb als zu lachen, um nicht zu zerbrechen. Der Hexer hatte geglaubt, dass er das Schlimmste schon gesehen hatte, seit er in dieser Stadt war. Aber es gab immer eine Steigerung. Er legte die Fackel beiseite und barg sein nasses Gesicht in seinen Händen. Sein Lachen wurde zu einem stillen, anhaltenden Weinen. Als er sich beruhigt hatte, wischte er sich die Tränen aus den Augen, nahm die Fackel und stand entschlossen auf. Eine dunkle Stimme regte sich in seiner Seele. Erst leise, dann immer lauter. Ihm wurde bewusst, welch großen Fehler er begangen hatte. Farviriol hatte kein Recht zu leben. Er hätte es vor einigen Stunden beenden können. Er hätte es beenden müssen. Er würde den Tod von so vielen rächen. Und er würde dafür sorgen, dass Farviriol büßte, für das was er der Frau angetan hatte. Und ihrem ungeborenen Kind. Raffael war nach seiner Entdeckung den anderen Gang entlang gerannt. Er war entschlossen gewesen seinen Fehler wieder gutzumachen. Grabesstille schwebte über dem Gewölbe. Nicht weit vor ihm hatte der Weg eine Linksbiegung gemacht. Der Hexer hatte sein Schritttempo verlangsamt und war um die Biegung geschlichen. Nach weiteren dreißig Schritt hatte Raffael mehrere Stimmen gehört. Seine Fackel hatte er gelöscht und einige Schritt vor ihm eine offene Tür mit Licht im Inneren eines Raumes entdeckt. Jetzt stand er in dieser Nische. Raffael sah vorsichtig aus seinem Unterschlupf. Farviriols Männer waren nicht mehr zu hören. Der Hexer trat aus seinem Versteck, schlich sich zur Tür zurück, ging in ihrem Schatten in die Hocke und schaute vorsichtig durch einen Spalt im Holz hinein. Der Raum war erhellt von mehreren Fackeln, die an den Wänden befestigt waren. Der angekettete Mann war schwer verletzt. Von seiner Stirn lief Blut, ebenso aus seinen Mundwinkeln und den Ohren. Es war ein Wunder, dass er noch lebte. "Bi...tte... lasst mich gehen" wimmerte er. Raffael sah auf den weißen Haarschopf in dem Sessel. Farviriol saß einfach da. Er rührte sich nicht. Die einzige Bewegung war das anhaltende Streicheln auf dem Kopf des Mannes zu seinen Füßen. Raffael hörte Farviriol leise vor sich hin murmeln. Er verstand die Worte nicht. Ein kalter Wind füllte den Raum. Raffael blickte erschrocken in die geweiteten Augen des Mannes. Er konnte seine Angst beinahe spüren, aber bis auf den Elfen gab es nichts in diesem Raum. Und dennoch, etwas stimmte nicht. Er hatte dieses Gefühl ebenfalls verspürt, als er Farviriol das erste Mal im Zirkus gesehen hatte und kurz darauf das Hochseil gerissen war. In den nächsten Sekunden würde etwas passieren. "Nein, fass mich nicht an, bitte, nein!" schrie der Mann mit erbärmlicher Stimme. Farviriol saß immer noch in seinem Sessel, er hatte sich keinen Zentimeter bewegt. Und trotzdem schrie der Mann an der Wand, als würde jemand nach ihm greifen. Doch der Hexer sah nichts. Mit einem Mal veränderte sich der Ausdruck im Gesicht des Mannes. Tiefe Falten erschienen auf seiner Stirn. Die blonden Haare des Mannes wurden dünn und ergrauten, bis sie schließlich Strähne für Strähne ausfielen. Raffael hielt den Atem an. Erschrocken fuhr seine Hand zu seinem Mund. Er glaubte nicht, was er sah. "Nein, lasst mich leben!" bettelte er verzweifelt. Seine Stimme klang eigenartig rauh und dumpf. Seine stattliche Statur wurde klein und gebrechlich. Die Hände wurden zu knochigen Krallen und die Haut war nicht mehr jugendlich frisch, sondern runzelig und porös wie altes Pergament. In wenigen Sekunden wurde aus einem Mann in den besten Jahren ein gebeugter kleiner Achtzigjähriger. Die Stimme des Mannes wurde leiser, bis sie erstarb. Der Körper des Mannes war jetzt nicht mehr als vertrocknetes Obst. Das Leben wich aus ihm, bis nichts mehr übrig war, als graue, zerfallende Haut auf den Gebeinen eines Toten. Das ausgedorrte Skelett zerbröselte. Von dem jungen Mann blieb nur ein Häufchen Staub inmitten seiner Kleider übrig. Raffael meinte einen Luftzug zu spüren und für einen Moment glaubte er, die Gestalt einer durchsichtigen, dunkelhäutigen Frau zu sehen. Dann war sie verschwunden. "Komm herein!" durchbrach die Stimme des Elfen die Stille. "Ich weiss, dass du da bist." Raffael zuckte zusammen. Wie konnte Farviriol wissen, dass er da war? Die Tür hätte nicht einmal ein Mitglied des Elfenvolkes über diese Distanz gehört. Und gesehen haben konnte er ihn nicht. Er stand hinter der halboffenen Tür. Der Hexer blickte durch den Holzspalt. Der braunhaarige Mann zu Farviriols Füßen sah in seine Richtung. Er hatte tiefblaue Augen, fast wie Saphire, doch sie waren müde und ausdruckslos. Seine Haut wies einen dunkleren Ton auf, als Raffaels. Er stammte scheinbar aus der Gegend, denn er hatte das exotische Flair der Aranier. Auch dieser Mann war übersät von Narben, besonders im Gesicht und auf seinem Oberkörper. Von der Statur war er kräftiger als der Hexer, aber ein ganzes Stück kleiner. Raffael betrachtete seine Hände. Sie waren mit einer Schicht Hornhaut überzogen, er arbeitete also körperlich. Er konnte daher kein Gelehrter sein. Vermutlich hatte er als Feldsklave gearbeitet, oder war einmal Handwerker gewesen, schätzte Raffael. "Du solltest gehorchen, deine kleine Schlampe wird es ansonsten bereuen" knurrte der Elf. Er verharrte immer noch in der selben Position. Raffael wusste nicht, wie er jetzt reagieren sollte. Er riss seinen Blick von dem Unbekannten los und sah zu Marie. Sie schlief immer noch auf dem Boden des Kellerraums. Eine kleine Ewigkeit überlegte er und entschied sich schließlich, zum des Wohl des Mädchens zu tun, was der Elf verlangte. Raffael erhob sich, stieß die Tür restlos auf und trat ein. Das Kleine Zimmer hatte an der linken Wand eine weitere Tür. Raffael hatte sie von außerhalb des Raumes nicht sehen können. "Erstaunlich" sagte Raffael lauernd. Er sah sich um. Der Raum war eine wahre Folterkammer. Mehrere Varianten von Sklaventods hingen an den Wänden, dazu einige Peitschen und zu seiner Überraschung gab es sogar einen Rosenstrauch. Es handelte sich um die selbe Art von Rosen, wie die aus Farviriols Zelt. Einigen Gegenstände konnte er keine Bedeutung beimessen. Aber mit Sicherheit waren sie zur Folter gedacht. Der Hexer wanderte durch den Raum. "Woher wusstest du, dass ich hier bin? Ich habe eigentlich versucht leise zu sein" sagte er provozierend. Farviriol lachte leise, stellte den Becher zu Boden und stand auf. Raffael nahm vorsichtig eine der Waffen von der Wand. Sie war schwer zu handhaben. Man bräuchte eine erkleckliche Körperkraft um sie nicht tölpelhaft zu führen. Aber es standen keine anderen zur Verfügung. Der Elf wandte sich dem Hexer zu. Raffael erkannte, dass er seine alte Stärke wieder hatte. Die Kraftlosigkeit in seinen Augen war verschwunden und auch seine Gesichtszüge hatten ihre Entspanntheit zurück gewonnen. "Jetzt kommst du, um zu kämpfen? Jetzt, wo du chancenlos bist?" fragte Farviriol erstaunt. Er trat von dem Sessel weg. Raffael konnte nun eine Kette an Farviriols Handgelenk sehen, die zum Hals des Mannes führte, der immer noch auf dem Boden saß. Er verfolgte das Geschehen teilnahmslos. Raffael sah zurück zu dem Weißhaarigen. "Ob ich chancenlos bin, wird sich zeigen" sagte er hochmütig. "Ich habe dein Gruselkabinett gefunden" offenbarte er böse. Wieder wisperte eine Stimme in seinem Kopf, der Elf habe kein Recht zu leben. "Ah, ich sehe" erwiderte der Elf. "Ich nehme an, es hat dir nicht gefallen, und in deiner Wut bist du hierher gestürmt, um mich zu bestrafen?!" folgerte Farvririol. Raffael überging den bissigen Kommentar. "Was macht das Mädchen hier?" fragte er vorsichtig. Er lies den Elfen nicht aus den Augen. "Ich denke, du hast kein Interesse an verbrauchten Frauen?" erwiderte er sarkastisch. Farviriol wirkte verärgert. "Aber gut. Sie hat mir als Kraftspeicher gedient. Ich habe soviel von ihr genommen, dass sie gerade noch am Leben bleibt. Ob das kleine Miststück sich allerdings über ihr Leben freuen wird, bezweifle ich" Farviriol grinste den Hexer vielsagend an. "Sie wird für ihre Untat bestraft werden!" Raffael sah zu der schlafenden Gestalt. Was hatte das Mädchen verbrochen, um den Zorn des Elfen auf sich zu ziehen? Raffael hatte keine Erklärung. Seine Aufmerksamkeit kehrte zu Farviriol zurück. Er war beängstigend schön. "Woher wusstest du, dass ich hinter der Tür war?" wiederholte Raffael seine Frage. Farviriol löste die Kette von seinem Arm. "Geh Salil!" befahl er dem Braunhaarigen mit einer herrischen Handbewegung. Der junge Mann verschwand schnell durch die andere Tür des Raums. Farviriols kalter Blick kehrte zu Raffael zurück. Der Hexer sah in den Augen des Elfen eine unbändige Wut und noch etwas anderes: Verletzte Eitelkeit. "Wer war dieser Mann?" fragte er. "Eifersüchtig?" witzelte der Elf. Er lächelte Raffael böse an. Dieser reagierte nicht darauf. "Wohl kaum" stellte Farviriol dann enttäuscht fest. Er ging einen Schritt in die Richtung des Hexers. Raffael trat zwei Schritte zurück und fixierte ihn mit festem Blick. Er würde keine Angst zeigen. "Er war nur eine meiner Freuden. Für eine Weile vertrieb er mir die Zeit. Aber ich bin seiner überdrüssig geworden." antwortete er schließlich kalt. "Aber um auf deine andere Frage zurück zukommen: Ich habe dich gespürt!" sagte Farviriol mit leuchtenden Augen. "Sag mir, wie!" forderte der Hexer. "Du hast meine Präsenz doch auch bemerkt. Leugne nicht!" grollte der Elf. Raffael ging schrittweise rückwärts in Richtung der Tür, durch die er den Raum betreten hatte. Er sah ungläubig zu Farviriol. Dieser folgte ihm gelassen. "Du hast wirklich keine Ahnung?" fragte der Elf. Er schüttelte den Kopf. "Dann bist du unwissender, als ich dachte." "Sprich nicht in Rätseln. Es ist wahr, dass ich in deiner Gegenwart manchmal ein eigenartiges Gefühl bekomme" gab Raffael zu. "Aber woran das liegt, weiss ich nicht." "Du spürst die Magie. Wir beide tun das" erklärte Farviriol. "Du bist das einzig andere Wesen in diesem Haus, das in Lage ist, Magie zu wirken. Ich erkenne deine Aura. Daher wusste ich, dass du in der Nähe bist." Raffael konnte mit diesen Worten nichts anfangen. Magie spüren? So ein Blödsinn. Dann hätte er auch immer Pawla oder Fadime spüren müssen. Und dem war nicht so. "Wenn das so ist, dann hätte ich auch in der Gasse deine Aura, oder was auch immer, wahrnehmen müssen. Und das habe ich nicht" erklärte der Hexer bissig. Farviriol überlegte. Dann lächelte er, als hätte er eine Antwort. "Wie es aussieht kannst du nur die dämonische Komponente wahrnehmen. Du hast vorher das kleine Schauspiel verfolgen können?" fragte er. Sie umkreisten sich jetzt, wie zwei Tiere, die bereit waren zum Sprung und nur auf den passenden Augenblick zum zuschlagen warteten. Raffael nickte stumm. Auf dem Gesicht des Elfen erschien ein zufriedenes Grinsen. "Ich habe vorher eine Laraanji beschworen, eine niedere Dämonin. Sie hat unserem Freund hier, die Lebensenergie ausgesaugt." Farviriol deutete mit einem Kopfnicken auf das Häufchen Staub hinter sich. "War das die Frau mit der dunklen Haut?" hakte Raffael nach. "Du hast sie gesehen?" fragte er überrascht. "Normalerweise hat sie keinen Laib. Ich bin beeindruckt." meinte der Elf aufrichtig. "Dann hast du damals im Zirkuszelt auch einen Dämonen beschworen, um das Seil zum Reißen zu bringen!" stellte der Hexer fest. "Du denkst ja langsam mit" beleidigte er Raffael. Farviriol provozierte ihn. Er wollte ihn dazu verleiten gedankenlos anzugreifen. Für den Elfen war diese Situation nicht mehr als ein Spiel. In ihren beiden anderen Kämpfen war Farviriol als Sieger hervorgegangen und auch dieser war mehr als aussichtslos. Doch er würde es versuchen. Und vielleicht hatte er Glück. "Bist du bereit?" fragte ihn der Elf lauernd. Raffael umklammerte nun auch mit der zweiten Hand den Griff des Sklaventods, stellte einen Fuß vor den anderen und nahm einen festen Stand ein. Die Waffe war schwer und musste mit zwei Händen geführt werden. Dadurch schränkte sich seine Bewegungsfreiheit enorm ein. Noch während Raffael sich Gedanken darüber machte, wie er die Waffe am besten händelte, griff Farviriol an. Erschrocken zog Raffael reflexartig den Sklaventod höher. Der Elf krachte mit voller Wucht in den Hexer. Raffael musste nach hinten ausweichen, damit ihn die Wucht nicht von den Beinen holte. Mit bloßer Hand griff Farviriol nach der Klinge und drückte sie zur Seite. Das Schneiden von Fleisch war zu hören. Blut tropfte auf Raffaels Schuhe. Er blickte entsetzt in das Gesicht des Elfen. Obwohl Farviriol gerade verletzt wurde, schien es ihn nicht zu kümmern. Er lächelte den Hexer immer noch ungerührt an. Raffael drückte mit beiden Händen gegen den Griff der Waffe, damit sie ihm nicht entglitt. Es bereitete ihm große Mühe, sie in der Hand zu behalten. Mit einem Aufschrei rammte der Hexer seine Schulter in das Gesicht des Elfen. Er hörte das Knacken einer brechenden Nase. Farviriol ließ die Klinge los und taumelte einige Schritte zurück. Raffael setzte ihm unverzüglich nach und stürzte sich auf den Elfen. Farviriol sprang zur Seite. Der schlecht geführte Schlag verfehlte ihn um Haaresbreite. Der Sklaventod krachte in den Boden und zog eine tiefe Schneise durch den Stein. Funken sprühten. Raffael hob erneut die Waffe um einen weiteren Schlag gegen das hassenswerte Geschöpf zu führen. Die Chance, siegreich aus diesem Selbstmordkommando hervorzugehen, war unendlich klein. Als der Hexer sich aufrichtete flog der goldbeschlagene Sessel mit voller Wucht in seine Richtung. Er warf sich erschrocken zu Boden, wodurch er die Klinge loslassen musste. Das schwere Möbelstück zerschlug an der Wand hinter ihm in tausend Stücke. Raffael schützte seine Augen vor den herum fliegenden Holzteilen. Einige Splitter landeten in seinem Haar. Entsetzt sah er zu Marie. Sie war nicht getroffen worden. Er atmete auf. Noch bevor Raffael sich wieder dem Elfen zuwandte, war Farviriol bei ihm, packte ihn an seiner Kleidung und drückte ihn mit einer Hand roh auf den Rücken. Mit seiner anderen Hand richtete er sich den Bruch seiner Nase. Raffael stellten sich die Nackenhaare bei dem Geräusch. "Das hat weh getan" knurrte Farviriol gespielt verärgert. Der Hexer lag schwer atmend auf dem Boden. Er versuchte die Aufmerksamkeit des Elfen auf sein Gesicht zu lenken. Mit seiner rechten Hand tastete er nach dem Sklaventod. "Ich dachte, ihr Oronis mögt Schmerzen" Raffael hob unschuldig die Augenbrauen. "Ja, aber für gewöhnlich bereiten wir dieses Vergnügen" Farviriol beugte sich über Raffael und musterte ihn von oben bis unten. "Du bist wirklich schön" hauchte er. "Und du wehrst dich mehr, als jeder Andere. Mein Aussehen und mein Charisma wirken nicht auf dich. Deine Seele zu verderben wird mein Meisterstück!" Er streichelte zärtlich durch das lange Haar des Hexers. Raffael musste sich beeilen. Er suchte weiter nach der Waffe. Irgendwo musste sie doch liegen. Farviriol zog einen kleinen Dolch unter seinem roten Mantel hervor. "Ich wollte eigentlich warten, bis du dich hier eingelebt hast, aber du bettelst geradezu darum, von mir geliebt zu werden" Seine Stimme klang heiser. Der Elf führte den Dolch an Raffaels Gesicht. Der Hexer hielt die Luft an. Nervös tastete er weiter nach der Waffe und stieß mit seinen Fingerkuppen gegen etwas Metallenes. Ein innerer Triumph machte sich in ihm breit. Er lächelte Farviriol an. Mit seiner freien Hand griff er nach den feinen Haaren des Elfen und zog ihn ein Stück zu sich herunter. Dann drückte er Farviriols Dolch so weit in seine Haut, bis ein einzelner Blutstropfen die schmale Klinge herunter lief. "Nur zu" forderte er ihn gespielt auf und lächelte ihn verführerisch an. Farviriol schien begeistert von seiner Sinneswandlung. Er ritzte einen tiefen Schnitt in die Wange des Hexers. Raffael schob den Schmerz in den hinteren Teil seines Bewusstseins. "Ich dachte nicht, dass du dich so schnell fügen würdest" sagte er misstrauisch. Raffael zog den Elfen noch ein Stück weiter zu sich herunter, bis sich ihre Lippen fast berührten und blickte ihm fest in seine grünen Augen. Raffael umfasste den Griff des Sklaventods. "Ich auch nicht" sagte er zitternd und rammte die lange Klinge tief in die Seite des Elfen. Farviriol sprang mit einem Aufschrei von ihm weg und ließ den Dolch fallen. Raffael war binnen eines Augenblicks ebenfalls auf den Beinen und hechtete hinterher. Mit aller Kraft, und all seiner Wut hob er die Waffe an und schlug Farviriol den eins fünfzig Schritt langen Sklaventod über den Schädel. Er hatte keine Chance auszuweichen. Der Angriff kam zu schnell selbst für ihn. Raffael spaltete seinen Kopf förmlich in zwei Hälften und blieb dann mit der Waffe stecken. Ein gellender Schrei hallte durch den Raum. Literweise lief das Blut über seine rote Kleidung und auch seine silberweißen Haare tränkten sich. Farviriol schlug in seinem Schmerz nach dem Hexer und schleuderte ihn mit nur einer Handbewegung gegen die Wand. Hart krachte er gegen den kalten Stein und sank zu Boden. In seinen Beinen explodierte der Schmerz. Raffael rappelte sich mit großer Mühe auf. Er musste sich etwas gebrochen haben. Der Hexer humpelte keuchend zu dem Elfen hinüber, griff nach seiner Waffe und wollte es ein für alle Mal beenden. "Diesmal..." keuchte er "hast du..." Raffael zog mit einem kräftigen Ruck die Waffe aus Farviriols Kopf. Der Elf ging mit vor Schmerz verzerrtem Gesicht in die Knie, hob aber seinen Blick und starrte Raffael in die Augen. Für einen Moment glaubte der Hexer Angst in den grünen Augen zu sehen, dann änderte sich ihr Ausdruck. Farviriol lächelte ihn allwissend unter all dem Blut an. Er schien etwas erkannt zu haben. Wie ein wütender Berserker ohne jede Selbstkontrolle stand Raffael über dem Elfen. Er musste einen furchteinflößenden Anblick bieten. "Verloren!" Der Hexer hob die Waffe an, holte aus, um dieses hassenswerte Geschöpf vom Angesicht Deres zu tilgen. Ja, er hasste dieses Monster abgrundtief. Bis auf den Grund seiner Seele. Und er wollte Rache nehmen für all die Unschuldigen, die unter Qualen gestorben waren. Raffael hatte noch nie getötet. Trotz einiger Raufereien, war er nie für Gewalt gewesen. Doch jetzt wollte er töten, wollte sich rächen. Die dunkle Stimme tief in seiner Seele lechzte nach dem Blut des Elfen und befahl ihm seiner Rache nachzugeben. Sie hielt ihm vor Augen was Farviriol alles getan hatte. Vor seinem inneren Auge brannten Zelte, starb ein kleiner Junge mit furchtlosen und unschuldigen Augen , erschien eine Mutter mit ihrem ungeborenem Kind. Der Hexer gab der dunklen Stimme in seinem Inneren Recht. Farviriol hatte kein Recht zu existieren. Sein Arm sauste herunter. Die Stimme der Rache in seinem Inneren stieß einen triumphierenden Schrei aus. Doch es mischte sich auch eine leise, fast nicht hörbare, gütige Stimme hinzu. Es war dieselbe Stimme, während des Gesprächs im Schlafzimmer zwischen ihm und dem Elfen. "Tu es nicht" bat sie traurig. "Weil du kein Monster werden sollst!" Kurz bevor die tödliche Klinge Farviriols Hals erreichte, stoppte der Angriff. Raffael zitterte am ganzen Körper. Die dunkle Stimme in seinem Inneren brüllte auf, weil sie um ihren Sieg gebracht wurde. Der Hexer bemerkte, wie seine Wangen feucht wurden. Mit dem Knauf des Sklaventods gab er dem Elfen eins über den Schädel. Farviriol sank bewusstlos zu Boden. Raffael ließ die Waffe fallen und hörte in sich hinein. Die Bestie in ihm tobte noch immer, wurde aber überdeckt von seinem Gefühl für Güte und Gnade. Er wandte sich um und kroch zu Marie hinüber, ignorierte den beißenden Schmerz in seinen Beinen und nahm sie auf die Arme. Er musste sich beeilen. Lange würde der Elf nicht bewusstlos bleiben. Raffael humpelte zu seinem Stab, der immer noch an der Wand lehnte, klemmte ihn zwischen die Beine und erhob sich in die Luft. Er positionierte Marie vor sich auf dem Stab und lehnte sie an seine Brust. Der Wanderstab gewann nur sehr langsam an Höhe, wurde dann aber schneller. Im Vorbeifliegen griff Raffael nach einer Fackel und verließ den Raum. Dabei schrammte er am Türrahmen entlang. Raffael musste fast blind fliegen, da der Lichtkegel der Fackel begrenzt war. Zusätzlich hatte er eine weitere Person auf dem Stab dabei. Er flog durch den Gang, versuchte sich zu erinnern nach wie vielen Metern die Biegung kam und wann die nächste Kreuzung. Einige Male schätzte er die Deckenhöhe falsch ein, streifte mit seinem Rücken an ihr entlang und verlor beinahe das Gleichgewicht. Der Hexer biss die Zähne zusammen. Wenn er jetzt dem Schmerz nachgab, würde er hier nicht lebend raus kommen, von dem Mädchen ganz zu schweigen. Seine zerzausten Haare wehten ihm ins Gesicht. Er drückte Marie fest an sich. Sie war immer noch nicht aufgewacht. Raffael fand zur Treppe zurück. Er sprang ab und umklammerte das Mädchen, damit es nicht stürzte. Er ließ die Fackel fallen und trug Marie, sowie seinem Stab die morsche Treppe hinauf. Mehrere Treppenbretter drohten zu brechen, doch sie hielten. Er sah sich nach Farviriol um, konnte den Elfen aber nicht sehen. Das Brodeln in seinem Inneren wurde leiser, bis es schließlich verstummte. Raffael lief in den Hof. Der Schmerz in seinen Beinen wurde mit jedem Schritt schlimmer. Fast stürzte er über eine gelockerte Bodenplatte. Auch die Kraft seiner Arme verbrauchte sich zunehmend. Marie war zwar zierlich, aber lange würde er sie nicht mehr tragen können. Der Schweiß lief ihm in Strömen das Gesicht runter. Raffael verschnaufte einen Moment, positionierte Marie erneut vor sich auf seinem Stab und hob ab. Diesmal gewann er schneller an Höhe und Geschwindigkeit. Er schwebte bis über das Dach des Hauses und flog dann in Richtung Stadtmauer. Der Tag dämmerte mittlerweile und in die Stadt kam neue Bewegung, wobei Raffael bezweifelte, dass sie jemals geruht hatte. Auf seinem Stab konnte er sich etwas erholen. Fliegen war praktisch seine favorisierte Art der Fortbewegung, auch wenn es schwierig war das Gleichgewicht zu halten mit einer weiteren Person. Der Stab gewann an Geschwindigkeit. Ohne Probleme passierte er die Stadtmauer. Auch wenn Farviriol bereits im Haus sein würde und nach ihm suchte, ihn jetzt noch einzuholen wäre unmöglich. Raffael atmete tief durch. Das Stechen in den Beinen wurde fast unerträglich. Er tastete seine Knöchel ab und stellte fest, dass der rechte dick angeschwollen war. Mit dem Bruch hatte er sich jedoch götterlob geirrt. Der Hexer flog etwa zwei Stunden lang weiter in eine unbestimmte Richtung bis die Sonne aufgegangen war. Er kannte sich nicht aus, aber Hauptsache sie waren weit weg von Elburum. Dann musste er landen, da seine Kraft verbraucht war. Zudem war es gefährlich am Tag weiter zu fliegen. Sie würde zu leicht entdeckt werden. Raffael flog in die Nähe eines kleinen Wäldchens, verlangsamte seine Geschwindigkeit und schwebte zu Boden. Er umfasste Maries Oberkörper mit einem Arm und stieg vorsichtig von seinem Stab ab. Er ließ ihn neben sich ins Gras fallen und bettete den Körper des Mädchens sorgfältig unter einen Baum. Dann gaben auch seine Beine nach. Der Hexer sank neben Marie zu Boden und atmete heftig ein und aus. Entsetzt dachte er an die Stimme, die zu ihm voller Hass gesprochen hatte. So kannte er sich nicht. Zugegeben, er löste seine Probleme nicht immer mit Verstand, aber dass er so hassen konnte machte ihm Angst. Als sein Körper zur Ruhe kam, brachte er sich in eine sitzende Position und untersuchte seinen Fuß. Diesmal ausgiebiger. Die Farben seines Knöchels variierten von blau bis grün. Raffael gab einen knurrenden Laut von sich, als er seinen Fuß abtastete. Auch die schlimmen Schürfwunden auf seinem Rücken brannten entsetzlich. Nach einer Weile regte sich neben ihm Marie. Der Hexer betrachtete sie ausgiebig. Sie war bleicher als ein Leichentuch. Raffael strich ihr fürsorglich über die Stirn. Plötzlich schlug sie die Augen auf und sah ihn an. "Wo... is..t er?" waren ihre ersten Worte. "In Elburum, schätze ich." antwortete Raffael mit beruhigendem Lächeln. "Vielleicht ist er ja auch tot." log er. Maries Augen weiteten sich. Sie versuchte sich aufzusetzen. Raffael reichte ihr seine Hand und half ihr dabei. "Aber wie?" fragte sie benommen. "Man kann ihn nicht töten. Ich habe gesehen, dass die schlimmsten Wunden einfach wieder heilten." "Na ja, ich hab ihm ein Schwert über den Schädel gezogen und seinen Kopf gespalten. Überlebt er so etwas auch?" Raffael versuchte ein Grinsen aufzusetzen. Er war nie ein guter Lügner gewesen. "Hat er dir was getan?" fragte er vorsichtig. "Ich weiss nicht. Der Herr kam mitten in der Nacht zu mir ins Zimmer. Ich habe mich furchtbar erschreckt, weil er mich so seltsam angesehen hat. Er hat sich zu mir aufs Bett gesetzt und mich dann geküsst. Was danach passierte daran erinnere ich mich nicht mehr. Aber ich fühlte mich nicht schlecht. Im Gegenteil" Marie überlegte angestrengt. "Ich habe geträumt, glaube ich" sagte sie zögernd. "Ich... ich... habe dich gesehen!" rief sie aus und errötete. Raffael verfolgte gespannt ihre Worte. "Sprich weiter!" bat er sie. "Na ja" sagte Marie verlegen, "wir haben... das ist mir so peinlich!" Sie schlug die Hände vors Gesicht und zog die Beine an den Körper. Raffael war irritiert, grinste dann aber breit. Er kratzte sich seinen nicht vorhandenen Bart. "Viele Mädchen haben schon von mir geträumt. Das muss dir nicht peinlich sein." "Ist es aber!" beharrte sie. "Ich kenne dich doch gar nicht. Solche Gedanken sollte ein anständiges Mädchen nicht haben" "Für seine Gefühle sollte niemand sich schämen müssen" versuchte Raffael sie aufzubauen. Mit einem Mal wurde er aber wieder ernst. Er blickte nach vorn. "Du weißt schon, dass ich das nicht gewesen bin?" fragte Raffael bitter. "Ich weiss" sagte sie traurig. Sie wandte den Blick zu Boden. Dann sagte sie mit einem breiten Grinsen: "Ist aber nicht so schlimm, denn er sah aus wie du!" Maries Augen glitzerten und eine feine Spur von salzigem Wasser zierten ihre Wangen. Sie versuchte tapfer zu sein, doch der Hexer konnte nachempfinden, wie es in ihr drin aussehen musste. Raffael empfand eine tiefe Zuneigung zu dieser Frau. Sie trug ihr Schicksal mit solch einer Würde, die einer Königin zu Gesicht reichte. Obwohl sie genau wusste, was Farviriol mit ihr gemacht hatte, kam kein böses Wort über ihre Lippen und sie versuchte etwas Gutes in jeder Situation zu sehen. Jetzt verstand Raffael auch, warum Farviriol einen Groll gegen das Mädchen hegte. Durch ihre seelische Verbindung während des Sikharyanraubs musste der Elf herausgefunden haben, wie es um sie stand. Marie hatte sich in ihn verguckt und für den Elfen reichte das aus, um in ungerechten Zorn zu verfallen. Raffael legte tröstend seinen Arm um ihre Schulter und drückte sie an sich. Marie weinte still in seinen dreckigen, blauen Kaftan. Er streichelte sanft über ihre kurzen Haare. Raffael liebte dieses Mädchen nicht. Nicht wie ein Mann eine Frau liebt, aber sie war ihm in der kurzen Zeit, die er sie kannte, lieb und teuer geworden. Raffael suchte in seinem Inneren nach der dunklen Stimme. Sie war verstummt. Aber sie war da. Er spürte es deutlich. "Au" knurrte Raffael. "Ich bin doch kein Sauerteig! Für ein Mädchen bist du ganz schön grob!" "Wenn du nicht dauernd zappeln würdest, dann würde es auch nicht so weh tun!" grollte Marie zurück und klatschte einen weiteren Umschlag auf Raffaels Rücken. Für die nassen Umschläge hatte Marie einen Großteil ihrer durchsichtigen Weste geopfert. Raffael hatte sich auf den Bauch ins Gras gelegt. Marie saß auf seinem nackten Unterkörper und wusch die Schürfwunden seines Rückens mit Wasser aus dem Bach des kleinen Wäldchens, in dem der Hexer gelandet war. Nachdem das Mädchen sich ein bis zwei Stunden lang erholt hatte, hatte sie mit Raffael darum gestritten, ihn versorgen zu dürfen. Er hatte sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, von Marie behandelt zu werden. Immerhin hatte er sich vor dem Mädchen ausziehen müssen. Im Nachhinein gab er ihr aber Recht. Sein Rücken fühlte sich wesentlich besser an. Der Schnitt auf seiner Wange hatte aufgehört zu bluten und begann zu verschorfen. In dem kleinen Wäldchen zwitscherten die aus dem Süden zurück gekehrten Singvögel über ihren Köpfen und im hohen Gras der Lichtung, auf der sie sich befanden sprangen die Grashüpfer von Halm zu Halm. "Sag mal, ist dir das nicht unangenehm, so ganz ohne Oberteil herumzulaufen?" fragte Raffael in das grüne Gras. "Nein" antwortete das Mädchen. "Ich bin es gewohnt. Außerdem haben wir für Scham keine Zeit!" Marie stieg von seinem Rücken und drehte sich um. "Du kannst dich jetzt wieder anziehen" räusperte sie sich. Sie ging ein paar Schritte näher an den Bach und starrte gedankenverloren ins Wasser. Raffael stand auf, griff nach seinem abgewetzten Gewand und streifte es sich über. "Du kannst dich jetzt wieder umdrehen" meinte er und klopfte den Staub aus seinem Kaftan. Marie rührte sich nicht. "Wir sollten herausfinden, wo wir eigentlich gelandet sind und dann den kürzesten Weg über die Landesgrenze suchen" Der Hexer zupfte sich seine Kleidung zurecht. "Farviriol hat erwähnt, dass es vom Dornrosenwall bis nach Elburum etwa drei Tage zu Pferd seien. Mit dem Stab dürften wir mit Pausen die gleiche Zeit benötigen" fuhr er fort. Raffael sah zu Marie, die sich noch immer von ihm abwandte. "Was hast du?" fragte der Hexer irritiert. "Ich komme nicht mit" eröffnete sie. Wie eine Statue stand sie vor ihm. Der Morgenwind streichelte durch ihr kurzes, rötliches Haar und über ihren nackten Rücken. "Aber natürlich kommst du mit. Ich lass dich doch hier nicht zurück!" widersprach er. "Versteh mich nicht falsch. Ich würde gerne mitkommen, aber ich kann nicht" sagte sie traurig. Raffael verstand nichts mehr. Er ging zu Marie und legte eine Hand auf ihre Schulter. Mit sanfter Gewalt drehte er sie zu sich um und lächelte sie freundlich an. Marie sah zu Boden. "Wieso kannst du nicht mit?" fragte er. "Er ruft mich" antwortete sie erstickt. "Ich höre seine Stimme schon eine geraume Weile" Sie hob ihre himmelblauen Augen, um Raffael voll anzublicken. "Der Herr. Er lebt. Und er ruft nach mir. Er befielt, dass ich zurückkehre." "Aber wie kann das sein?" wunderte sich der Hexer. "Ich kann es nicht erklären, aber es war früher schon so. Ich habe einmal versucht wegzulaufen" erzählte sie. "Dann habe ich seine Stimme in meinem Kopf gehört. Zuerst nur leise. Und dann immer lauter." Marie griff sich an die Schläfe. "Es sticht so. Ich will nicht zurück. Ich versuche mich dagegen zu wehren, aber es tut weh! So weh!" schluchzte sie. Aus ihrer Nase floss ein dünner Strahl roten Bluts. Raffael nahm geschockt seine Hand von ihrer Schulter und wischte zitternd das Blut von ihrer Oberlippe. "Aber wie?" fragte er entsetzt. "Das weiss ich nicht. Geh ohne mich" bat sie inständig. "Er wird bald hier sein. Ich spüre seine Gegenwart" Sie griff nach den Händen des Hexers. Die zierlichen Hände des Mädchens waren kälter als Eis. "Du musst hier weg sein, bevor er kommt" Raffael fühlte sich vollkommen hilflos. Er kannte den Einfluss eines Lamijahs auf sein Opfer nicht. Er verstand nichts von diesen Dingen. Aber seiner Vermutung nach würden die Schmerzen, die Marie hatte, schlimmer werden, wenn sie sich Farviriol widersetzte. Zurücklassen wollte er sie nicht aber auch nicht. Die Lage war verzwickt. "Und wenn wir dich in einen Tempel bringen?" fragte Raffael. "Er kann ihn als Paktierer nicht betreten, oder?" Er hatte immer noch die Hoffnung das Mädchen mitnehmen zu können. "Wir wissen doch nicht einmal wo wir sind. Und Tempel sind hier rar gesät!" sagte Marie weinerlich. "Du MUSST ohne mich gehen! .. Ahuh.." Das Mädchen klappte zusammen. Raffael fing sie auf. Der Blutfluss aus Maries Nase wurde stärker. "Marie!" schrie Raffael. "Er... ist.. hier in der Nähe" brachte sie qualvoll hervor. "Ich... kann..mi...ich nicht mehr ... wehren." Das Blut quoll ihr mittlerweile auch aus dem Mund. Raffael überkam wieder dieses eigenartige Gefühl der Beklemmnis. Der Elf musste tatsächlich in der Nähe sein und er hatte eine dämonische Wesenheit dabei, wenn Farviriol die Wahrheit gesagt hatte und es zutraf, dass der Hexer dämonische Magie wahrnehmen konnte. Raffael suchte mit den Augen den kleinen Wald und die Lichtung mit dem Bach ab. Er lauschte angestrengt nach irgendwelchen Geräuschen, die nicht hierher gehörten. Aber er konnte nichts auffälliges feststellen. Er hörte nur das Rauschen der Bäume und das Plätschern des Wassers. Ansonsten herrschte unheimliche Stille. Raffaels Gefühl wurde stärker. Etwas kam. Aber woher? Mit einem Mal wurde es ihm schlagartig klar: >>Keine Vögel!<< dachte er. Raffael sah nach oben, schützte seine Augen vor der Sonne und entdeckte am Himmel einen großen, dunklen Schatten. Kaum hatte er ihn gesehen, preschte er zu Boden. Raffael reagierte noch rechtzeitig. "Pass auf!" schrie er Marie an und stieß sie von sich weg. Das Mädchen stolperte benommen zurück und kniete benommen auf dem Boden. Ihre Augen wurden schal. Der Schatten landete mit einem donnernden Schlag auf der Erde, so dass sie unter dem Druck erzitterte. Auch der Hexer verlor das Gleichgewicht und knickte mit seinem verletzten Knöchel um. Er knallte auf den Hosenboden. Für einen Moment schloss er die Augen und drängte den Schmerz beiseite. Als er sie wieder öffnete, bereute er, es getan zu haben. Er schaute direkt in das geifernde, Raubtierzähne besetzte, blutrote Maul eines zwei Schritt hohen pferdeähnlichen Wesens. Das vielgehörnte schwarze Untier stierte den Hexer aus blutroten, boshaft leuchtenden Augen an. Aus den breiten Schultern sprossen mächtige Flügel, die das Tier jetzt anlegte. Die Hufe dieses dämonischen Pferdes waren reine Mordinstrumente. Sie hinterließen tiefe Abdrücke im Boden und durchschnitten das Gras fein säuberlich, wo sie es berührten. Raffael starrte mit aufgerissenen Augen auf das weit offen stehende Maul. Das Entsetzten war ihm ins Gesicht geschrieben. Er wagte es nicht einmal zu atmen, aus Furcht es könnte jeden Moment zuschnappen. Aus der Entfernung kamen Schritte näher. Raffael sah aus den Augenwinkeln wie zwei Männer in roten Uniformen, Aufstellung bei Marie bezogen. Sie griffen unter ihre Arme um sie in eine stehende Position zu bringen. Dann führten die Männer sie an Raffael vorbei und blieben hinter ihmstehen. Er konnte erkennen, dass sie bei Bewusstsein war und dass das Blut begonnen hatte zu gerinnen. Der Hexer sah wieder nach vorn. Dass dämonische Ross wich einen Schritt zurück. Raffael atmete merkbar auf. "Sehr weit seit ihr ja nicht gekommen" erklang eine Stimme vom Rücken des Pferdes. Raffael schloss die Augen für einen Moment und wisperte in Gedanken >>verdammt!<< Dann blickte er zu der Stimme. "Aber eines muss man dir lassen" sagte die blutverschmierte Gestalt mit den grünen Augen, die sich jetzt langsam vom Rücken des Pferdes hinabsinken ließ. "Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich euch gefunden habe. Ich hatte nicht einmal die Gelegenheit mich umzuziehen!" Farviriol trat lächelnd auf Raffael zu. "Ich glaube, ich stelle dir die Kosten für meine Kleidung langsam in Rechnung. Du kostest mich ein Vermögen!" sagte er mit gespieltem Ernst. Der Hexer war unfähig zu antworten. Für ihn und Marie ging es um ihre Existenz und vielleicht auch um ihre Seelen und Farviriol hatte keine anderen Sorgen als seine Kleidung! Es war lächerlich. Raffael senkte das Haupt und grinste vor sich ihn. Es war einfach nur lächerlich. "Aber ich verzeihe dir" fuhr der Elf fort. "Du hast dein Versprechen gebrochen. Aber seis drum. Dafür weiss ich jetzt, warum es mir so schwer fällt, dich zu meinem Sklaven zu machen und du es immer wieder schaffst dich meinem Einfluss zu entziehen" sagte Farviriol zufrieden. Raffael hob seinen Kopf und schaute in diese schönen, immergrünen Augen. Im Moment wirkte der Elf allerdings mit seinen verklebten Haaren und seiner dreckigen Kleidung eher wie ein schleimiges Tatzelwurmjunges. Der Elf trat näher an Raffael heran und ging vor ihm in die Hocke. Sein geronnenes Blut verschmierte sein Gesicht, aber die Haut darunter war verheilt. "Und dafür danke ich dir!" sagte Farviriol gefährlich. "Lass mir raten, als Belohnung für deine Erkenntnis erhalten das Mädchen und ich freies Geleit?!" fragte der Hexer ironisch. Farviriol lachte laut und knuffte Raffael in den Arm. "Du bist wirklich sehr unterhaltsam!" lachte er schallend. Raffael schüttelte den Kopf. Die Stimmungsschwankungen des Elfen machten ihm beinahe mehr Angst als sein Zorn. "Aber genug der Späße" sagte er laut. "Leg das an!" Farviriol holte aus seinem Mantel ein kleines tönernes Gefäß und reichte es dem Hexer. "Was ist das?" fragte er misstrauisch. "Etwas, das mir sichert, dass du nicht wieder versuchst mit Magie zu entkommen. Was auch deinen Stab einschließt" Farviriol nahm den Deckel des Töpfchens ab. "Leg ihn um deinen Hals" Raffael sah hinein. In dem Gefäß wand sich ein fingerdicker, schwarzer Wurm mit dünnen Tentakeln am ganzen Körper. Der Hexer sah den Elfen zögernd an. "Ich will das nicht!" protestierte er. "Du hast keine Wahl" sagte Farviriol grinsend. Er nickte seinen Männern zu. Daraufhin zogen sie ihre Waffen und hielten sie Marie an den Hals. "Nein, tu das nicht!" rief Raffael und mit ruhigerem Ton fuhr er fort: "Ich tue, was du verlangst!" Er sah Farviriol an. Dieser erwiderte seinen Blick mit einem fast freundlichen Lächeln. Raffael griff in das kleine Gefäß und nahm den Wurm auf seine Hand. Er fühlte sich so widerlich an, wie er aussah. Die langen Tentakel tasteten die Handflächen des Hexers ab. Raffael schluckte trocken. Er sah wieder den Elfen an. "Na los" winkte der Elf mit seiner Hand. Er stützte einen Arm auf sein Knie und legte seinen Kopf in die Handfläche. Mit leuchtenden Augen und gespannt wie ein kleines Kind überwachte er die Szene. Raffael führte seine Hand zu seinem Hals. Kaum hatte der Wurm die Haut des Hexers berührt, stieß er mit einer unvorstellbaren Geschwindigkeit seine Tentakel tief in das Fleisch des Hexers. Raffael schrie auf. Die vielen Tentakel gruben sich in seinen Hals und mit einem Mal spürte er in seinem Kopf eine neue Präsenz. Der Wurmdämon erforschte seine Gedanken und kein noch so geheimer Winkel blieb verschont. Der Hexer zerrte am Körper des Wurmes. Mit beiden Händen versuchte er ihn wieder von sich zu reißen. "Das würde ich an deiner Stelle bleiben lassen" sagte Farviriol. Er griff nach Raffaels Händen und hielt sie in seinen gefangen. "Wenn du ihn mit Gewalt entfernst, stirbst du und deine Seele fährt unweigerlich in die Niederhöllen. Also überleg es dir gut!" Farviriol stand auf. "Was ist das?" schrie Raffael. In seinem Kopf dröhnte der Schmerz. "Das?" fragte Farviriol schulterzuckend. "Das ist ein Gurgurlum. Da ich dich ja nicht immer überwachen kann, wird er das für mich übernehmen. Wenn du auch nur an den Gebrauch von Magie denken solltest, wird er dich bestrafen. Es funktioniert ähnlich wie, wenn ich Marie in Gedanken rufe und sie sich weigert zu gehorchen. Aber das Beste an unserem kleinen Freund hier ist, dass du keinen Tempel mehr betreten kannst" erklärte er. "Und was deinen Stab angeht" Farviriol bückte sich nach Raffaels wertvollstem Besitz und der einzigen Möglichkeit aus Oron zu entkommen. "Den Fehler ihn zu behalten, werde ich korrigieren!" sagte er "Ein wirklich schöner Stab. Es ist schade um ein solches Artefakt" Der Elf betrachtete noch einmal das geschnitzte Holz und zerbrach dann den Stab mit kräftigem Druck über seinem Knie. "Nein!" brüllte der Hexer. "Was... hast du... getan?" stotterte er. Raffael nahm die zwei Hälften seines Stabes in die Hand. Viele Erinnerungen hingen daran. Er hatte ihn von seiner Lehrmeisterin bekommen. Pawla hatte ihm geholfen ihn zu fertigen und ihn dann an Raffael zu binden. Für einen neuen Stab müsste er zu einem Hexenzirkel gehen und darum bitten. Aber um an die geheimen Orte der Schwesternschaften zu kommen, benötigte er seinen Stab! "Genug der Sentimentalität!" Farviriol griff grob Raffaels linken Arm und zog ihn in die Höhe. "Wir haben heute noch etwas vor!" Der Hexer sah den Elfen mit drohendem Blick an. Wieder regte sich in seinem Inneren die dunkle Stimme. Farviriol hatte gerade das letzte Bindeglied zwischen Raffael und seiner Familie, das ihm geblieben war, zerstört. Dem Elfen entging dies nicht. "Sieh mal einer an, der Hass regt sich wieder in dir" meinte er amüsiert. Er atmete tief durch "Wahrlich, es wird ein Wettlauf gegen die Zeit werden, dich für mich zu gewinnen" Raffael war perplex. Seine Gedanken an Rache waren so schnell gegangen, wie sie gekommen waren. "Was meinst du damit?" fragte er nervös. Farviriol brach erneut in Gelächter aus. "Du bist mir ja einer" Er griff nach Raffaels Gesicht und zwang ihn, ihm in die Augen zu sehen. "Du hältst dich selbst für so gut und rein und bemerkst nicht einmal, wie jemand anderer dabei ist Kontrolle über dich zu erlangen." Raffael drehte seinen Kopf zur Seite. >> Dummes Geschwätz<< dachte er. Farviriol schob Raffael zu dem schwarzen Ross. Das Dämonenpferd starrte den Hexer immer noch gierig an. "Steig auf!" befahl der Elf. Raffael berührte vorsichtig das Tier. Es schnaubte durch die Nüstern und teilte seinen Unwillen mit, aber ein einziger Blick Farviriols genügte und es gehorchte. Der Hexer hatte Mühe mit seinem verletzten Bein aufs Pferd zu kommen. Der Elf musste ihm dabei helfen. "Und was wird aus Marie?" hakte Raffael nach. "Meine Männer werden sie mitnehmen. Sie werden nachkommen." Mit einem gewaltigen Satz stieß sich das Untier vom Boden ab und breitete seine majestätischen Schwingen aus. Raffael krallte sich in die Mähne des Tiers, um nicht herunterzufallen. Farviriol umgriff von hinten seine Taille, um ihn zu stabilisieren und drückte ihn fest an sich, bis es weh tat. Raffael spürte Farviriols Erregung und roch wieder den süßen Duft nach Rosen. In der Luft konnte er sich dem Zugriff des Elfen nicht entziehen. Der Elf begann Raffaels Hals zu liebkosen und verweilte an seinem Ohr. Fast zärtlich biss er hinein. Der Hexer zuckte unter dem Liebesbiss zusammen. "Was.. hast du ... vorher gemeint, als du sagtest, jemand.... würde die Kontrolle über mich erlangen?" versuchte Raffael Farviriol abzulenken. Zudem wollte er es tatsächlich wissen. Der Elf verweilte mit seinem Mund im zerzausten Zopf des Hexers. Das Pferd schlug kräftig und gleichmäßig mit den Flügeln. Es bedurfte keiner Führung des Tieres. Es kannte den Weg zurück nach Elburum. "Deine Seele scheint sehr begehrt zu sein." Farviriol löste das Band aus Raffaels Haaren und schob sie zur Seite. Der Hexer saß versteinert auf dem Pferderücken, unfähig sich zu bewegen. "Noch jemand anderer erhebt Anspruch auf sie. Ich habe es erkannt, als du mich voller Rachegelüste erschlagen wolltest. Er scheint dich auch davor zu bewahren von mir gezwungen zu werden, dich mir hinzugeben" sagte er erstickt. "Und wer?" fragte Raffael kalt. Farviriol kicherte leise und küsste den Nacken des Hexers. "Blakharaz. Der Herr der Rache!" Kapitel 4: ----------- Raffael betrachtete seine neue Heimstatt. Das modrige Kellergewölbe, in dem der Tod sein Reich errichtet hatte, sollte nun zu seinem neuen zu Hause werden. Raffael und Farviriol standen in dem Zimmer, in dem der Hexer fast seiner Rache nachgegeben hatte. Auf dem Boden trocknete bereits das Blut des Elfen langsam ein. Inmitten einer großen Lache lag der verschmierte Sklaventod. Splitter des Sessels lagen verstreut im Zimmer und an der Wand fehlten einige Waffen und Foltergeräte. Vermutlich hatte sie Raffael bei seinem Aufprall an der Wand, mit herab gerissen. Der Hexer sah zu Boden. Der Kristallkrug stand immer noch an derselben Stelle, an der ihn Farviriol abgestellt hatte. Die Oberfläche des fast schwarzen Weines spiegelte das warme Licht der Fackeln des Raumes wieder. Nicht das kleinste Holzfragment schien eingedrungen zu sein. >>Schon seltsam<< dachte der Hexer in sich gekehrt. >>Wie unberührt und doch nicht mehr gleich.<< Mit einem Frösteln erinnerte er sich an die vergangenen zwei Stunden und an das, was auf dem fliegenden Dämonenpferd geschehen war. Der Hexer umfasste mit beiden Händen seine Oberarme und fuhr vorsichtig die Verletzungen ab. Bissspuren, Kratzer und Hämatome reihten sich aneinander. Raffael hatte sich nach Kräften gewehrt, doch es war ein aussichtsloser Kampf gewesen. Als ihm das bewusst geworden war, hatte er sich seinem Schicksal gefügt. Er hatte jedoch nicht geweint und nicht gebettelt, nicht einmal geschrien. Der Hexer führte seine Fingerspitzen an seinen Mund und strich sie sanft ab. Er erinnerte sich an fordernde Lippen, die immer wieder seinen Namen wisperten und verlangten, sich zu ergeben, an bezaubernde, immergrüne Augen, welche die Seinen gefangen hielten und versuchten in seine Seele zu sehen und an lange, schlanke Finger, die über seinen Körper eilten und ein verzehrendes Brennen hinterließen an jenen Stellen, die sie berührten. Für einen Wimpernschlag hatte Raffael sich ergeben wollen, dass es endet, wollte seine Seele aufgeben, damit der Schmerz vorüber gehe. Dann aber hatte sein Lebenswille gesiegt, ganz gleich durch welche Unterstützung, dämonischer Natur, oder durch die andere, gute Stimme in ihm. Diesmal waren sich beide einig gewesen. Wie sagte doch gleich ein altes Sprichwort? "Der Feind meines Feindes ist mein Freund!" Raffael betrachtete den einstmals reinen Krug, gefüllt mit seiner besudelten Flüssigkeit. Mit seiner Stiefelspitze tippte er auf den Fuß des Gefäßes. Ein Teil des schweren Weins schwappte über die Ränder. Wie Blut floss er an den Seiten hinab. >>so leicht<< dachte er mit verstörtem Blick und trat ihn um. Eine warme Hand legte sich auf Raffaels Schulter, vertraut und widerwärtig. Grob wurde der Hexer in Ketten gelegt. Dieselben, in denen der Gassenschläger sein Leben ausgehaucht hatte. Trotzig hob er den Blick und starrte in ein tiefes Edelsteingrün. "Mein Gott, was für Freude du mir bereiten wirst!" sagte Farviriol begeistert. Das viele Blut, das noch immer in seinen Haaren und auf seiner Haut klebte, lies sein Gesicht zur Fratze werden. Der Elf lächelte sanft und streichelte Raffael über das zerzauste, hüftlange Haar. Der Hexer wich mit geweiteten Augen unter der Berührung zurück. Die mächtigen Metallketten, die seine Hände banden, klirrten gegen die kalte Steinwand. Farviriol kicherte verträumt und ging einen Schritt näher an Raffael heran. "Du hast solche Angst vor mir. Dabei will ich dir so gerne beweisen, dass du dich nicht vor mit zu fürchten brauchst. Gib dich mir hin und du wirst eine nie gekannte Erfüllung in meinen Armen finden" Farviriol griff unter Raffaels Kinn und hob es leicht an. Der Elf senkte seine Lippen auf die des Hexers, zwang seinen Mund auseinander und begann leidenschaftlich das fremde Gebiet zu erkunden. Dabei fesselte er mit seinen tiefen, seelenlosen Augen die Raffaels. Wieder strömte ihm der wohlbekannte Rosenduft entgegen, doch diesmal mischte sich auch der Gestank des getrockneten Bluts hinzu. Dem Hexer wurde heiß und tief in seinem Inneren züngelte eine kleine Flamme, die höher zu schlagen begann, kaum hatte Farviriol ihn berührt. Der Hexer erschrak. Er forschte in seinen Gedanken nach der Präsenz des Elfen, doch er fand sie nicht. Einige Augenblicke starrte Raffael in das Immergrün, dann versuchte er an den Ketten zu zerren und seinen Kopf abzuwenden. Panik stieg allmählich in ihm auf. Wieder würde er gegen seinen Willen dem Elfen erliegen. Oder vielleicht sich selbst. Farviriol legte seine Hände auf Raffaels Hüften, um ihn mit sanfter Gewalt zur Ruhe zu zwingen. Er lehnte sich gegen ihn, bis sein ganzes Gewicht den Hexer an die Wand drückte. Er war gefangen. Farviriol hatte ihm allen Spielraum genommen. Raffael zappelte hilflos in seiner misslichen Lage und aus Reflex biss er zu. Der Elf zuckte zurück und löste den Kuss. Raffael holte tief Luft, doch glich es eher dem Schnappen eines Fisches beim Ersticken. Der Hexer sah zu Farviriol. Ein dünnes Rinnsal lief ihm am Mund herunter, doch die kleine Wunde schloss sich augenblicklich. "Nun gut, wenn es dir so zu Wider ist, dann lasse ich dir deinen Willen" giftete Farviriol wütend und ging von Raffael weg. Er holte sich von einer der Wände eine Art gebogene Klinge. Der Elf wandte sich wieder mit bösem Lächeln und bedrohlich leuchtenden Augen dem Hexer zu. "Dann wollen wir mal herausfinden, wieviel du aushältst, bevor du um Gnade flehst!" Raffael schlug das Herz bis zum Hals und sein Atem wurde hastiger. Er wusste nicht, wieviel er "aushielt", aber schreien würde nicht und um Gnade flehen erst Recht nicht. Die Angst des Hexers stieg ins Unermessliche, als Farviriol auf ihn zukam. Äußerlich gab er sich jedoch gelassen und betrachtete den Elfen mit kühlem Blick. Raffael hatte seit er sich in Oron befand mit solch einer Situation gerechnet. Er durfte jetzt keine Schwäche zeigen. Der Weißhaarige trat an Raffael heran und spielte mit dem eigenartigen Gerät vor seinen Augen. "Mach dich bereit" sagte Farviriol regungslos. Raffael machte sich auf die kommenden Schmerzen gefasst und schloss die Augen. >>"Ich würde dir so gerne beweisen, dass du keine Angst vor mir zu haben brauchst!"<< Die Worte des Elfen hallten in den Ohren des Hexers wie Spott und Hohn wieder. Angst war das Einzige, das er bisher von Farviriol kennen gelernt hatte! In Gedanken begann Raffael alte Kinderlieder zu rezitieren, die Oruha ihm als Kind vorgesungen hatte. Wenn er sich nur stark genug darauf konzentrierte, könnte er die Qualen vielleicht ertragen. >>"Schön ist das Zigeunerleben, brauchen der Kais´rin keinen Zins zu geben - faria, faria ho!"<< Er hatte von vielen den Text vergessen, doch die Melodien nahmen in seiner Vorstellung Gestalt an und leise begann er vor sich hin zu summen. >>"Sollt´ uns mal der Hunger plagen, gehen wir uns ein Hirschlein jagen - faria, faria ho! Sollt´ in uns der Durst sehr schwellen, gehn wir hin zur Wasserquellen - faria, faria ho!"<< Und dann begann es. Raffael hatte noch nie solche Schmerzen verspürt. Er hatte nicht einmal daran geglaubt, dass es solche Qualen überhaupt gab. Was Farviriol an und in seinem Körper anrichtete vermochte er nicht einmal zu erahnen. Er presste die Augen zusammen, um nicht hinzuschauen und in Gedanken wiederholte er die Lieder seiner Kindheit, wie eine nie anhaltende Gebetsmühle. Mit jeder Minute wurde es schlimmer. Raffael wollte schreien, aufgeben und dem Elfen überlassen, was er verlangte. >>"Wenn wir auch kein Federbett haben, tun wir in unsren Zelten schlafen, legen Stroh uns Reisig ´nein, solls uns unser Federbett sein! - faria, faria ho!"<< Er versuchte alles um sich herum auszublenden, wie er es immer tat, wenn er Magie wirkte, wollte den Schmerz an den Rande seines Bewusstseins drängen. Schmerz war kein Feind, denn er zeigte dass man am Leben war. Und dennoch war die Tortur unerträglich. Raffael schossen Tränen des Schmerzes in die Augen, und rollten in Strömen über seine Wangen. Er krallte seine Finger in die eisernen Ketten und flehte Ingerimm, den Gott des Feuers und der Esse an, das Metall der Ketten möge brechen, in tausend Stücke zersplittern. Doch die kalten Fesseln wichen keinen Zentimeter. Wie die Krallen Agrimoths hielten sie ihn umklammert. Raffaels Kopf kippte nach vorne. Er hatte nicht die Kraft dazu, ihn weiter aufrecht zu halten. "Schrei für mich, mein kleiner Vogel!" forderte der Elf. Mit blutverschmierter Hand hob er den Kopf des Hexers an und flüsterte ihm ins Ohr: "Ein Schrei genügt, um es zu beenden. Bitte mich um Verzeihung für deinen Widerwillen und ich höre auf. Füge dich mir und du wirst erlöst" Farviriol strich mit seinem Zeigefinger über Raffaels Lippen und hinterließ eine blutige Spur in seinem Gesicht. Der Hexer hätte nur zu gerne geschrien, doch kein Ton kam über seine Lippen, nicht einmal ein Wimmern. Gleich einer mit Schnüren gebundenen Gans, damit die Füllung nicht heraus trat, war seine Kehle. Raffael konnte nicht mehr schreien. Rote Schleier legten sich über seine Augen. Sein Verstand versagte ihm den Dienst. Raffael meinte das Schlagen schwarzer Flügel zu hören und ein behütendes Krächzen einer Vogelkehle. Er verlor jegliches Zeitgefühl. Die Tortur kam ihm wie ein Vielfaches der Ewigkeit vor. Immer wenn er drohte das Bewusstsein zu verlieren, spürte der Hexer wie seine Knochen und Organe sich wieder zusammen fügten, Sehnen und Muskeln wieder zusammen wuchsen und der Schmerz ein kleines bisschen weniger wurde. Farviriol lies es nicht zu, dass er auch nur eine Sekunde des Grauens verpasste, oder sich zusammen mit Golgari davon stahl. Schwer atmend und sichtbar erschöpft stand Farviriol vor ihm und Raffael hatte mit einem Mal das Gefühl, als schließe sich eine Hand um sein Herz. Es pulsierte laut gegen die eiserne Klaue. Raffael öffnete die Augen einen Spalt und riss sie erschrocken, weit auf. Es war nicht nur ein Gefühl gewesen. "Ich sagte dir, irgendwann gehört dein Herz mir" sagte Farviriol zufrieden und drückte zu mit irrem Gesichtsausdruck zu. Blut spritzte ihm entgegen und tränkte das bereits rote Gesicht noch stärker. Raffaels Blick wurde ausdruckslos und leer. Seine Umwelt nahm er nur noch verschwommen wahr. Er sah an dem Elfen vorbei. Der Raum und alles was sich in ihm befand wurde undeutlich, bis auf eine Person. Hinter dem Elfen stand ein schwarz gekleideter Mann mit roter Kapuze. Raffael versuchte sein Gesicht auszumachen, doch alles was er erkennen konnte war ein graues Nichts. Eine lange Schlinge aus weißen Schlangen lag um seinen Hals und in der Hand ein großes Richtbeil. An seiner Seite stand eine Art Raubvogel, ochsengroß und von stattlicher Statur, ganz in schwarz und mit riesigen Fledermaus artigen Schwingen. Man hätte ihn für einen übergroßen Adler halten können, oder sogar für einen Greifen, das heilige Tier Praios´, wäre sein Federkleid nicht düsterer als die Nacht selbst gewesen. Das Tier musterte interessiert den Hexer. Raffael wandte den Blick zurück zu dem Elfen, der sein blutiges Werk offenbar noch nicht beenden wollte. Farviriol schien die fremde Gestalt nicht zu bemerken. Der Hexer verspürte keine Schmerzen mehr. Als wäre die Zeit stehengeblieben. "Schließ dich mir an" sagte der Fremde mit gütiger Stimme. Raffael drehte seinen Kopf zurück. Der Mann ohne Gesicht stand jetzt unmittelbar neben ihm. Er hatte nicht gehört, dass der Mann sich bewegt hätte. Der große Raubvogel war noch immer an seinem vorhergehenden Platz. "Komm" bat er freundlich "und ich werde es für dich zu Ende bringen." Der Mann streckte eine Hand in Richtung des Hexers. "We.....r bist.. du?" fragte Raffael schwach. "Ich bin Ankläger, Geschworener, Richter und Henker, und ich bin gekommen um dir beizustehen" Die Schlangen um den Hals des Mannes züngelten aufgeregt. "Gemeinsam werden wir für Gerechtigkeit sorgen und ihn dafür büßen lassen, was er dir angetan hat. Fürchte dich nicht" Die Stimme des Fremden war so vertraut. "Die Götter mögen dich verlassen haben, aber ich bleibe" Raffael fiel es wie Schuppen von den Augen. "Ich muss dein Angebot leider ausschlagen, Blakharaz!" sagte er mit fester Stimme. Das Kellergewölbe wurde in einen tiefen, dunklen Nebel getaucht. Der Elf, der im Moment noch vor ihm stand war verschwunden. Ebenso die Ketten, die Raffael gebunden hatten und auch die tödlichen Verletzungen, die Farviriol ihm seinem Wahn zugefügt hatte. Der Hexer war frei. "Dann wird es nie enden. Du hast nicht die Kraft dazu, dich selbst zu befreien. Du bist ganz allein" antwortete der Fremde bedauernd. Noch immer hielt er Raffael die offene Hand entgegen. "Komm, es ist ganz leicht. Ich verlange doch so wenig und du könntest so viel bekommen" fuhr er mit schmeichelnder Stimme fort. Die schwarze Gestalt, die wie Luft über den Boden zu gleiten schien, kam näher. Raffael schloss die Augen und in seinem Verstand hörte er die Worte und erkannte eine gewisse Wahrheit darin. Wieder vernahm er das Brodeln in seinem Innern und wieder loderte die Flamme des Hasses in ihm auf. Ja, er war allein. Er war von allen verlassen worden. Die Götter hatten ihr Gesicht von ihm abgewandt, warum sollte er also nicht sein Gesicht von ihnen abwenden? Alleine war es schwach. Alleine konnte er sich Farviriol nicht stellen. Aber mit ein wenig Macht... Raffael öffnete die Augen und sah auf die ausgestreckte Hand. Es wäre so einfach und was verlangte der Fremde schon? Der Hexer streckte die Hand aus. Gleich wäre der Pakt geschlossen und er wäre wieder frei. Raffael sah zu seiner zitternden Hand. Bei dem Gedanken seine Seele zu verkaufen, begann sein Herz zu schmerzen. War es das wirklich wert? Ein schmerzfreies, wunschloses Leben, gegen die Unendlichkeit in der Hölle einzutauschen? Raffael zögerte. "Was hast du?" fragte der Fremde besorgt. "I...I..ch kann nicht" stammelte der Hexer. Seine Hand ruhte in geringer Höhe über der des Fremden. "Doch, du kannst. Lass einfach los!" Die dunkle Stimme seines Gegenüber wurde fordernd und befehlend. Raffael fühlte neue Stärke in sich. Das Antlitz von Marie erschien vor seinem geistigen Auge. "Ich bin nicht allein und ich werde es niemals sein!" Der Hexer zog seine Hand bestimmt zurück und hob stolz den Kopf. Sein Blick war durch Zuversicht und Vertrauen geprägt. "Geh! Ich bedarf deiner Hilfe nicht!" "Wie du wünscht! Aber ich werde wieder kommen. Ich habe die Ewigkeit um auf deine Seele zu warten. Ich hoffe, dass du zuvor nicht unserem Freund unterliegst. Oh, schöne Seele aus Ewigkeit und Traum, schöne leuchtende Insel, musst fallen, fallen hin zur blut´gen Rose. Kurzer Tag, das Licht so weit, wirst fallen, fallen hin zur Rose aus Asche!" Mit einem bösen, siegesgewissen Lachen verschwand die schwarze Gestalt, so schnell wie sie gekommen war. Der dunkle Nebel lichtete sich und die unerträglichen Schmerzen kehrten in Raffaels Körper zurück. Er befand sich wieder im Kellergewölbe von Farviriols Anwesen, in Ketten gelegt und dem Tode nahe. Die Erscheinung von Blakharaz und seinem geflügelten Untier war verschwunden. Zurück blieb nur Leid und Schmerz. Raffael bereute seine Entscheidung nicht. Er würde es schon irgendwie überstehen und durchhalten, bis Farviriol genug von ihm hatte. Und sollte er sterben, dann würde er heimkehren in Borons Reich mitsamt seiner Seele! Die Wochen und Monate vergingen in sich ständig wiederholendem Trott. Jeden Abend wurde Raffael aus seinem Verlies, das er mit dem braunhaarigen Mann mit dem Namen Salil teilte geholt und zu Farviriols Unterhaltung gequält und gefoltert. Raffael war dem Tode oft so nahe, dass er den Raben Borons beinahe berühren konnte und wiederholt vor dem großen Flügeltor stand. Doch jedes Mal, wenn er nur einen Schritt davon entfernt war hindurch zu treten, wurde er zurück gerissen in die Wirklichkeit. Farviriol heilte ihn immer soweit, dass er nicht starb, aber auch nicht bei Kräften war sich zu wehren. Zahlreiche Narben übersäten den Körper des Hexers, bis auf sein Gesicht. Der Elf sparte stets Raffaels Gesicht aus. Der Hexer konnte nicht genau sagen, wie lange er sich schon in dem dunklen Gewölbe befand. Der Hexer hatte aufgehört die Tage zu zählen. Es war schließlich bedeutungslos. Nur selten durfte er sein Gefängnis verlassen und nach oben gehen, meist um zu baden, seine Notdurft zu verrichten, oder sich von Marie, die für ihre Verliebtheit schwer gebüßt hatte, wieder herrichten zu lassen. Das Mädchen war fürchterlich entstellt worden. Der Hexer war unermesslich traurig, was das junge Geschöpf wegen ihm erduldet hatte. Der Elf hatte sie nicht getötet, damit Raffael das Bild des Mädchens stets vor Augen hatte. Farviriols Tat verfehlte ihre Absicht nicht. Raffael machte sich schwere Vorwürfe. Doch schwor er sich, durchzuhalten, allein um des Mädchens Willen. Farviriols Zorn auf Raffael wuchs mit jedem Tag, den er sich ihm verweigerte, bis er einmal, außer sich vor Rage, ungewollt dem Hexer einen Arm vom Körper trennte. Doch je mehr er auf ihn einschlug und je schlimmer die Tortur wurde, desto stärker wurde der Widerstand des Hexers. Raffael war jedoch überrascht, dass der Elf nicht versuchte in seine Gedanken einzudringen und ihn zu manipulieren. Ob es an seinem Versprechen lag, oder an seiner Frucht vor dem Herrn der Rache, vermochte er nicht zu sagen. Zudem hatte Farviriol Raffael nicht mehr berührt, oder ihn gezwungen, sich ihm hinzugeben. Und was Blakharaz anging: Er war jeden Abend anwesend. Mal in der Gestalt eines kleinen Jungen, oder einer alten Frau, doch stets mit der gleichen Absicht Raffael zu verleiten, ihm seine Seele zu überschreiben. Und von Mal zu Mal fiel es dem Hexer schwerer, der Versuchung zu widerstehen. Nur seine innere Stimme hielt ihn davon ab. Und bald war diese Stimme ihm so vertraut und eine Gefährtin, dass ihm der Satz "Ich bedarf deiner Hilfe nicht" fast spielend von den Lippen ging. Woher seine Zuversicht kam, wusste er nicht. Aber er hoffte, dass sie von den Göttern kam, bedeutete das doch, dass sie ihn nicht vergessen hatten. Mittlerweile bezweifelte er auch, dass es Blakharaz´ Verdienst gewesen war, der Farviriols Bann damals im Zelt gebrochen hatte, denn damals hatte er diese ihm vertraute Stimme zum ersten Mal gehört. So wurden die Erscheinungen weniger. Kamen sie anfangs noch jeden Tag, waren sie nach einer geraumen Zeit fast gänzlich verschwunden. Der Herr der Rache hatte darauf gesetzt, dass der Hass des Hexers auf den Elfen so groß werden würde, dass er seine Beherrschung verlor. Allerdings war das Gegenteil eingetreten. Je mehr Farviriol Raffael antat, desto größeres Mitleid empfand er für ihn. Es war paradox und jeder Normalsterbliche hätte den Hexer für verrückt erklärt, aber er konnte diesen Mann nicht mehr hassen. Ein Wesen zu hassen, das dass Wichtigste Gut verloren hatte und nicht mehr frei war, war ihm unmöglich. Farviriol konnte nur quälen und Leid zufügen. Raffael hatte als Kind den Schmetterlingen die Flügel mit einer Schleuder zerschossen, damit sie nicht mehr davon fliegen und er sie betrachten konnte. Dass sie Minuten später starben, war ihm gleich gewesen. Oruha hatte ihn immer fürchterlich geschimpft, doch Alrik der Tierbändiger war eines Tages zu ihm gekommen, hatte sich zu ihm herunter gebeugt und ihm liebevoll über den Kopf gestreichelt. Mit gütigen Augen hatte er schließlich gesagt: >>"Natürlich hast du die Macht, dieses Insekt zu zertreten. Aber auch zehn von uns haben nicht die Macht ein solches Lebewesen zu erschaffen!"<< Raffael konnte nun verstehen, was Alrik gemeint hatte. Farviriol konnte nur zerstören. Das Leben in all seinen Formen zu schätzten und zu schützen war ihm nicht mehr möglich. Und deshalb war er das ärmste Geschöpf, das sich Raffael nur denken konnte. Der Hexer konnte trotz seiner hoffnungslosen Lage, sich sein Lachen bewahren. Er war nicht allein. Salil teilte mit ihm sein Schicksal. Der braunhaarige Mann, der einst Schmied gewesen war, wurde zu einem guten Freund. Salil war in Oron geboren worden und gehörte zu den freien Handwerkern Elburums. Er hatte eine Frau gehabt und auch eine Tochter, bevor er die Steuern nicht mehr bezahlen konnte und so zum Sklaven wurde. Was aus seiner Familie geworden war, wusste der Mann nicht. So makaber es sich auch anhörte, Salil war froh, dass der Hexer den Weg des Elfen gekreuzt hatte. Er war ebenfalls ein Spielzeug des Elfen gewesen. Doch Farviriols Interesse war schnell verflogen, sobald er Raffael mitgebracht hatte. Dies äußerte sich darin, dass Salil nach den ersten Tagen von Raffaels neuem "Leben" freigelassen wurde und in den besoldeten Dienst des Elfen trat. Raffael nahm es Salil nicht übel, dass er so dachte und Farviriols Angebot angenommen hatte. Dennoch kam er jeden Morgen bei Raffael vorbei und lehrte ihn im Auftrag des Elfen, das Lesen und Schreiben. Den Hexer wunderte es nicht, dass Farviriol herausbekommen hatte, dass er sich zu bilden versucht hatte. Aber dass er es gestattete erstaunte ihn dafür um so mehr. Nach einiger Zeit durfte Raffael sein Gefängnis sogar für mehrere Stunden verlassen. Zum weiterführenden Studium, durfte er sich der Bücher der Hausbibliothek bedienen. Zwar unter Aufsicht von Salil, der mittlerweile in das Regiment der Rotmäntel eingetreten war und zwei weiteren von Farviriols Männern. Raffael konnte es als gar nicht erwarten und jeder Augenblick in "Freiheit" war ihm kostbar. So auch an diesem Abend. Raffael saß mit Salil in der Bibliothek an einem kleinen Tisch, der eigens für die beiden hineingebracht worden war. Um sie herum streuten sich in allen Himmelsrichtungen dicke Wälzer über Geschichte, Politik und alte Sprachen. "Salil, wie spricht man dieses Wort aus?" Raffael deutete auf eine Zeile der angegilbten Seite. "Puh! Das weiss ich auch nicht so genau" gab der Braunhaarige ungern zu. "Mein Alt-Garethi ist nicht das Beste" "Na ja, macht nichts" baute ihn Raffael mit einem Grinsen wieder auf. Im Hintergrund standen die zwei Wachen in der Tür, die die beiden Männer kritisch beäugten. Der Hexer bemerkte die unangenehmen Blicke. Er beugte sich zu Salil und flüsterte: "Sag mal, haben die was gegen uns?" Salil schaute verstohlen in Richtung der Tür und wandte sich anschließend wieder dem Hexer zu. "Nein, aber sie haben die Anordnung erhalten dafür zu sorgen, dass wir nicht zu vertraut miteinander werden" flüsterte der Braunhaarige Raffael zwinkernd zu. Ein breites Grinsen erschien auf seinem Gesicht und Salil entblößte sein weißes Raubtiergebiss. Der Hexer rammte gespielt seinen Ellbogen in die Seite seines Lehrers. "Als ob ich mit einem Stinktier, wie dir was anfangen würde!" höhnte er grinsend. "Aber mal im Ernst" setzte Raffael. "Das ist mein Ernst!" Wir beide kämen nie auf so eine gestörte Idee, aber der Herr schon" unterbrach Salil ihn und rieb sich seinen neuen blauen Fleck. Raffael seufzte tief und rollte mit den Augen. Farviriol war eifersüchtiger, als Geschwister, wenn es um die Gunst der Eltern ging. Was er nicht bekommen konnte, das sollte auch niemand anderem zufallen. Der Hexer starrte gebannt auf seine Bücher und blätterte genervt das feine Pergament um. Er wollte nicht über den Elfen nachdenken. Auch wenn er ihn nicht hassen konnte, mögen konnte er ihn erst recht nicht! "Ist dir nicht aufgefallen, dass er sich verändert hat?" Salil legte seine Hand eindringlich auf die des Hexers und unterband das gehetzte Umblättern der Seiten. "Ich habe jedenfalls nicht bemerkt, dass er umgänglicher geworden wäre" knurrte Raffael verstimmt. Es ärgerte ihn, dass Salil nicht bemerkte, dass sich das Thema Farviriol für ihn bereits erledigt hatte und der Braunhaarige darauf bestand, weiter zu reden. "In den letzten Wochen ist er nur selten bei dir gewesen und er gestattet dir dich wieder frei zu bewegen..." "Oh, wie großzügig von ihm!" spottete Raffael "Jeder Wurm ist freier, als ich!" giftete er weiter und zog sauer seine Hand unter der des Braunhaarigen hervor. "Versteh mich nicht falsch. Ich sage nicht, dass er zum Inbegriff der Menschlichkeit geworden sei, nur dass er sich, seit du hier bist sehr verändert hat" versuchte Salil es erneut. "Und wie bitte?" fragte Raffael skeptisch. "Bevor er dich mitgebracht hatte, entkam niemand seinem Keller lebend oder an einem Stück" antwortete der Braunhaarige nachdenklich. Dann sah er dem Hexer fest in die Augen. "Wenn der Herr von seinen Opfer genug hatte, waren sie ohne Gnade dem Tod geweiht. Ich war der Erste, der freigelassen wurde. Erkennst du, was ich meine?" "Nicht wirklich" sagte Raffael von oben herab. Er betrachtete Salil kühl und bemerkte, wie die Wut langsam in dem Rotmantel aufstieg. Schon oft hatte Salil den Hexer mit Worten in die Ecke gedrängt und jedes Mal konterte er dann mit abfälligen oder spitzen Bemerkungen, die zumeist überheblich und arrogant wirkten. Der Zorn seines Freundes rührte also daher, dass er annehmen musste, Raffael hielte ihn für einen dummen Handwerker, dem man eine klare Einschätzung der Lage nicht zutraute. Raffael beabsichtige dies nicht, aber die Anspielung, dass ER diese Veränderung in dem Elfen bewirkt hatte, war absurd. Farviriol war unberechenbar. Warum sollte er nicht mal in einem "schwachen" Moment eine menschlichere Seite von sich zeigen? Raffael versuchte die gespannte Stimmung zu entschärfen. Er gähnte breit und streckte sich, bis seine Gelenke knackten. "Ist ja auch egal. Wir sollten uns wegen "dem Herrn" nicht streiten" Das "Herr" betonte er absichtlich mit einem Schuss Ironie. "Außerdem ist unsere Lehrstunde fast um" fügte er seufzend hinzu. "Gut, dann machen wir für heute Schluss" sagte Salil grimmig. Beide Männer standen von ihren Plätzen auf. Während ihrer gesamten Unterhaltung hatten die Wachen das Zimmer nicht verlassen. Raffael hatte sich an ihre Anwesenheit gewöhnt und das Haus hatte sowieso Augen und Ohren, die für Farviriol spionierten. Er fürchtete schon lange nicht mehr, dass der Elf etwas herausfand, dass ihn erzürnen könnte. Der Hexer war es Leid, seine Meinung verstecken zu müssen und ohnehin würde sie früher oder später bei Farviriol landen. Daher sprach er aus, was er dachte, ob die zwei Gardisten mithörten, oder nicht. Salil kramte Federn und Tinte zusammen, Raffael Papier und Bücher. Sie räumten die Bibliothek auf und stellten alles wieder an den rechten Platz. "Also, ab in die Dunkelheit und den Mief des Todes" sagte Raffael resigniert und ging zu seinen Bewachern. Salil verharrte in dem Raum Farviriols Männer brachten den Hexer zurück in das Kellergewölbe und schlossen ihn in seiner Zelle, ohne Licht ein. Raffael setzte sich auf sein frisches Strohlager, lehnte sich an die Wand und schloss die Augen. Seine Gedanken begannen sich selbständig zu machen. War wirklich er der Grund, dass Farviriols Quälereien weniger wurden? Salil hatte Recht, die letzten Wochen war der Elf nur unregelmäßig da gewesen und meistens auch nur um sich in endlose Monologe zu ergießen. Das irre Geschwätz des Elfen hätte man durchaus als seelische Folter bezeichnen können, doch es war Raffael wesentlich lieber. Es war leichter seine Gedanken auszuschalten, als seinem Verstand vorzugaukeln, dass der Körper nicht schmerzte und alles in Ordnung sei. Der Hexer gähnte müde und es fiel ihm immer schwerer wach zu bleiben. Es war bereits spät und Raffael rechnete damit, dass im nächsten Moment die Zelle aufging und eine weiterer Tag im Schmerz endete. Und tatsächlich, nach einigen Minuten klapperte ein Schlüssel im Schloss. Der Hexer öffnete ein Auge und schielte zur Tür. Farviriol stand mit einer Fackel neben ihm und sah auf ihn hinab. "Du wirst mich heute Abend begleiten" sagte er mürrisch. Der Hexer richtete sich auf und seine Haare fielen über seine Brust. Sie waren in dem Jahr ein ganzes Stück gewachsen und wurden von Marie regelmäßig gepflegt. Der Elf achtete versessen darauf, dass Raffael ordentlich aussah. Dieses Verhalten wollte so gar nicht zu Farviriols Zerstörungswut passen. "Komm schon, steh auf!" Farviriol streckte ungeduldig die Hand aus. "Und wo solls hingehen?" fragte Raffael misstrauisch. "Nach draußen" antwortete der Elf knapp. Raffael stand auf, ohne die Hilfe Farviriols anzunehmen. Der Elf musterte den Hexer von oben bis unten. "So kann ich dich unmöglich mitnehmen" bemerkte er stirnrunzelnd. Raffael war die Sache nicht geheuer. Unsicher wich er ein Stück zurück. "Marie hat dir ein Bad bereitet und ich bringe dir neue Kleidung" sagte Farviriol. Das Unbehagen des Hexers wuchs von Sekunde zu Sekunde. Was hatte der Elf vor? Farviriol blieb diese Unsicherheit nicht verborgen. Er legte eine Hand auf die Schulter des Hexers. Raffael duldete sie mit argwöhnischem Blick. "Keine Sorge. Ich stelle dich nur bei Hofe vor" verkündete Farviriol. Dann fügte er seufzend hinzu: "Dimiona ist in Elburum und hat alle hohen Minister und Beamten einbestellt. Es ist ein lästiges Zeremoniell und viele Oronis werden dabei sein, denen ich nicht gerade gewogen bin" Der Elf strich die Linien von Raffaels Oberkörper nach. Als er die Ablehnung des Hexers spürte, unterließ er weitere Versuche ihn zu berühren. "Ich dachte, ich verbinde die Arbeit mit dem Vergnügen" sagte er lächelnd. "Aber ich werde dich nicht zwingen mitzukommen" "Du lügst!" knurrte Raffael grimmig. "Stimmt" lachte der Elf. "Ich würde dich um jeden Preis mitschleifen!" Farviriol legte seinen Arm um die Taille des Hexers und zog ihn zu sich. Raffael stemmte abwehrend die Unterarme gegen die Brust des Elfen. Farviriol kümmerte sich nicht darum, sondern lehnte seine Stirn gegen die des Hexer und schaute ihm tief in die Augen. "Du wirst mir doch nicht davon laufen, oder?" Raffael versteifte sich in der Umarmung. Mürrisch starrte er zurück. "Wie sollte ich davonlaufen? Mit diesem Ding um meinen Hals und ohne meinen Stab?!" fragte er rhetorisch. "Gut" erwiderte Farviriol zufrieden, küsste flüchtig die Nasenspitze des Hexers und nahm ihn bei der Hand. "Dann komm, du brauchst eine rundum Erneuerung!" grinste der Elf. Kapitel 5: ----------- "Ich denke nicht daran, so etwas zu tragen!" schimpfte Raffael. Verächtlich schielte er auf das freizügige Gewand, das Farviriol ihm ausgesucht hatte und legte es naserümpfend zurück auf das Bett des Elfen. "Zu diesem Empfang wirst du so etwas tragen müssen. Du gehst schließlich als mein Sklave hin" Farviriol grinste breit, nahm den dünnen Stoff und rieb ihn an seinem Gesicht. "Komm schon, das wird dir gut stehen" Er konnte sich sein spöttisches Grinsen kaum verkneifen. "Nein! Und wenn du mich umbringst! Ich ziehe das nicht an!" Raffael verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust und sah Farviriol drohend an. Er würde sich nicht derart demütigen lassen. Der Elf verschränkte ebenfalls die Arme vor der Brust und nahm eine von Sturheit gezeichnete Haltung ein. Mit selbstsicherem Blick sah er zurück. Eine Weile starrten sie sich wie trotzige Kinder an. "Wie du wünscht, dann gehst du nackt!" entgegnete Farviriol schließlich überlegen. Raffaels Gesichtszüge erfroren zu Eis. Noch einige Sekunden strafte er den Elfen mit bösem Blick, dann seufzte er durch und nahm Farviriol die Kleider aus der Hand. Er musterte abschätzig den schwarzen Seidenstoff, der mehr entblößen würden, als verdecken, doch die Alternative war noch weniger erfreulich. Raffael verachtete den Elfen und auch ein wenig sich selbst dafür, dass er diese Behandlung über sich ergehen ließ. "Ich lasse dich jetzt allein. Marie wird dich zurecht machen" sagte Farviriol. "Zurecht machen? Bin ich ein Zuchtpferd, dass präsentiert werden soll?" fragte Raffael böse. Farviriol lachte auf und wandte sich um zum Gehen. Vor dem Durchgang zum nächsten Raum drehte er sich noch einmal zu dem Hexer "Kein Pferd, aber ein seltenes Sammlerstück!" und verließ den Raum. Raffael setzte sich erschlagen auf das große Bett und drehte den Stoff in den Händen. "Grässlich" sagte er "begeistert". Nach einigen Minuten hörte er schwere Schritte. Raffael sah zu dem Durchgang durch den Farviriol verschwunden war und erblickte Marie, die sich mit zwei großen Wassereimern abmühte. Eilig stand er vom Bett auf und mit ein paar großen Schritten war er bei ihr und wollte ihr die Eimer abnehmen. Doch sie wehrte ab. Marie trug nicht mehr die typisch oronische Sklavenkleidung. Sie versteckte ihre Erscheinung unter einem dunklen Umhang, der ihr bis zur Nasenspitze reichte. Raffael hatte sie seit ihrem gemeinsamen Fluchtversuch nur wenige Male gesehen, doch nachdem was Farviriol ihr angetan hatte, war er froh sie nicht oft zu Gesicht bekommen zu haben. Ihre Gesichtsknochen waren mehrfach gebrochen worden und falsch zusammen gewachsen. Inwieweit der Elf bei der Verunstaltung des Mädchens nachgeholfen hatte, wusste Raffael nicht und er wollte es auch nicht wissen. Auch ihr junger Körper war zerschunden. Das Mädchen konnte nur noch gebeugt gehen. Ihre Wirbelsäule war gekrümmt worden. Welche Schmerzen die junge Frau durchlitten haben musste, vermochte der Hexer sich nicht vorzustellen. Doch es reichte die Erkenntnis, dass er die Schuld daran trug. Raffael machte sich dafür verantwortlich, was Farviriol Marie angetan hatte. Der Hexer sah zu der kleinen, gebeugten Gestalt, die versuchte das heiße Wasser in den Badezuber zu gießen. Raffael wollte Marie zur Hand gehen. Es tat ihm in der Seele weh, wenn er sie ansah. Der Hexer legte seine Hand auf die des Mädchens und versuchte in ihr Gesicht zu schauen. Marie zuckte unter der Berührung zusammen und zog hastig die Hand weg. "Bitte nicht" sagte sie leise. Ihre Stimme war noch immer die alte. Doch die Heiterkeit war verschwunden. Nichts erinnerte mehr an die lebenslustige Frau, die die Würde einer Kaiserin besessen hatte und den Glauben an das Gute nicht verlieren konnte. Raffael griff langsam und vorsichtig nach dem Stoff der Kapuze, die ihr Gesicht verdeckte. "Nein, bitte... sieh mich nicht an!" wimmerte Marie hilflos. Der Hexer schluckte trocken. Der Kloß in seinem Hals wollte nicht verschwinden. Behutsam drehte er den Kopf des Mädchens zu sich herum. Er fürchtete sich vor dem Anblick. "Es ist gut" Raffael versuchte seiner Stimme einen beruhigenden Klang verleihen, doch es gelang nicht halb so gut, wie er es gewollt hatte. Wie auch, hatte er doch genauso viel Angst, wie das Mädchen und auch ein leichter Ekel überfiel ihn. Zitternd zog der Hexer Marie die Kapuze vom Kopf. Darunter hervor traten vereinzelte Büschel rötlichen Haares, die dünn über der gräulichen Kopfhaut gesät waren. Sie hatte das meiste ihres Haars verloren. Ihr Kopf wirkte wie eine große Melone, der zu groß für den kleinen Körper war. Das Mädchen senkte den Blick zu Boden und schloss die Augen. Über ihre einstmals rosigen Wangen liefen Tränen. Sie gab jedoch keine Laut von sich. Still weinte sie vor sich hin. Raffael hatte Marie noch nie vollständig betrachten können, aber es war schlimmer, als er sich vorgestellt hatte. Farviriol hatte aus der aufblühenden, jungen Frau eine verkrüppelte Gestalt gemacht. Er hatte sie nicht einfach getötet, sondern sie bewusst am Leben gelassen, damit sie und auch der Hexer stets daran erinnert werden würden, dass der Elf über ihre Existenz und über ihr Leben bestimmte. Farviriol wusste, dass Raffael sich nicht ergeben und jeden noch so schlimmen Schmerz und jede noch so schlimme Tortur teilnahmslos über sich ergehen lassen würde. Aber seine Schwäche für andere Menschen machte ihn angreifbar und der Elf machte ausgiebigen Gebrauch dieses Nachteils. Raffael schwieg. Er war nicht fähig zu sprechen und kein noch so gut gemeintes Wort würde ihr helfen, geschweige denn etwas verbessern. Die Narben und Brüche würden nur noch sehr schwer wieder zu richten sein. Jeder noch so gute Magier oder Medicus würde sich schwer daran tun, das alte Aussehen wieder herzustellen. Raffael sah zu der gekrümmten Gestalt, die mit dem leeren Eimer in der Hand zu seinen Füßen kniete. Marie hatte die Augen immer noch geschlossen, ihr deformiertes Gesicht zu Boden gerichtet. "Und hast du nun gesehen, was du sehen wolltest?" fragte sie trocken. Der warme Dampf des Wassers stieg um sie auf und hüllte ihren Körper fast gänzlich ein. Was sollte Raffael auf diese Frage antworten? Er konnte nicht sagen, warum er sie genau betrachten wollte. Vielleicht hatte er gehofft, dass es nicht so schlimm sein würde, wie er befürchtete, oder vielleicht wollte er sich davon überzeugen, dass eine Möglichkeit bestand Farviriols Tat ungeschehen zu machen. Aber es stand nicht in der Macht des Hexers. "Ich wollte..." stammelte Raffael. "Was wolltest du?" schrie sie ihn an, indem sie den Kopf hob und Raffael frontal ins Gesicht sah. Jetzt erkannte der Hexer erst das ganze Ausmaß der Greueltat. Eines von Maries Augen war nach unten verschoben und hing, das andere war fast blind. Die Nase war mehrfach gebrochen worden und schief zusammen gewachsen. Nur der volle Mund erinnerte noch an das ursprüngliche Gesicht des Mädchens. "Wolltest du sehen, was er aus mir gemacht hat?" Marie stand umständlich auf. "Ja, sieh es dir genau an! Dir wird das nie passieren, du hast dich ihm gefügt!" Aus dem einen sehenden Auge sprach nichts als Verachtung für den Hexer. "Jeden Abend musste ich dein Blut aus seiner Kleidung waschen. Ich hatte so gebetet, dass du schnell stirbst, oder er genug von dir bekommt und dich wie Salil einfach frei gibt, oder du bei der nächstbesten Gelegenheit fliehst" Marie machte eine Pause und sah erneut zu Boden. "Doch du hast keine deiner Möglichkeiten genutzt. Er hat dir sogar das Recht eingeräumt, dich während seiner Abwesenheit im Haus zu bewegen und zu studieren. Du hast nicht einmal versucht zu fliehen. So viele Chancen, alle ungenutzt!" Raffael wollte seine Hand auf ihre Schulter legen, um sie zu beruhigen, doch sie wich zurück. "Nein, du wirst dir das anhören! Ich wäre für dich bereit gewesen, alles zu ertragen, wenn du dich ihm nur nicht ergeben hättest. Doch du genießt die "Freiheit", die er dir gewährt, du unterhältst dich mit ihm, lachst mit ihm, freust dich mit ihm, als hättest du schon immer zu ihm gehört!" Raffael war verwirrt. Maries Worte ergaben keinen Sinn. Er hatte nie mit dem Elfen gelacht, oder über wichtige Themen gesprochen. Vielmehr hatte Farviriol sich in endlosen Monologen ergossen und Raffael war jedes Mal froh gewesen, wenn er zum Ende kam. Leugnen, dass es auch glückliche Momente gegeben hatte, wollte er gar nicht. Doch diese Momente hatten nie etwas mit dem Elfen zu tun gehabt. Er hatte einen neuen Freund gefunden, Salil war ihm eine Stütze und er war froh, dass er nicht allein war. Die Stunden, die er mit ihm verbrachte waren ihm wichtig und er brauchte sie, damit er seinen Verstand nicht verlor. Raffaels Gedanken wurden unterbrochen, als das Mädchen ansetzte, um fortzufahren. "Heute nimmt er dich sogar mit in das Haus der Satrapa Merissa" Marie seufzte tief und sah ausdruckslos auf den Eimer in ihrer Hand. "Er hat noch nie jemanden auf offizielle Empfänge mitgenommen" Raffael schwieg eine Weile. "Ich habe nie mit ihm gelacht, oder mich mit ihm über etwas gefreut" sagte er empört. "Ich habe mich nicht gefügt und ich werde es auch nicht" fügte er hinzu. "Sag mir, wie kommst du auf solch eine Idee?" Der Hexer sah zugleich überrascht und auch böse zu Marie. Für diesen Augenblick war sie nicht mehr der Krüppel, der jedem menschlichen Leben spottete, sondern wieder die junge Frau, die ihm seine Wunden versorgt hatte und ihm eine Freundin geworden war. Und im Moment machte sie ihm derart gemeinr Vorwürfe, dass in dem Hexer sie Wut aufstieg. "Er hat es mir gezeigt" sagte sie leise. "So oft, habe ich dich mit ihm gesehen" "Sieh mich an!" befahl Raffael. Als Marie nicht reagierte packte er sie an den Schultern und zwang sie sich ihm zuzuwenden. Das Mädchen stemmte abwehrend die Arme gegen den Hexer. Wütend hielt er sie fest. "Sieh mich an!" wiederholte er "Ich weiss nicht, was er mit dir gemacht hat und warum du auf so eine Idee kommst, aber wenn du mir in die Augen blickst, was siehst du dann?" "Lass mich los!" bettelte sie. "Du tust mir weh!" Raffael lockerte augenblicklich seinen Griff. Er war erschrocken über sich selbst. Maries Vorwurf hatte ihn hart getroffen. Er war wütend auf sie, dass sie ihm zutraute alles, was er in den letzten anderthalb Jahren erlebt hatte, vergessen zu können. Auch wenn er Farviriol nicht mehr hasste, vergeben hatte er ihm noch lange nicht! Doch insgeheim war Raffael nicht auf Marie böse, denn ihm war bewusst, dass nicht von sich aus auf solche Gedanken kommen würde. Farviriol musste Stück für Stück den Zweifel in ihr gesät haben und diese Saat war auf fruchtbaren Boden gefallen. Der Elf war dabei ihn und Marie zu entzweien. Er traute Marie offenbar zu, Raffael für sich zu gewinnen und schob dieser Tatsache gleich zwei Riegel vor. Das Mädchen war hübsch gewesen, doch jetzt war die Schönheit vorbei. Und Maries Geist vergiftete er mit Zweifeln und Verachtung für den Hexer. "Vezeih" brachte er leise hervor. "Aber bitte glaub mir. Ich habe nicht aufgehört zu kämpfen" fuhr er fort und ließ Marie und los. "Sieh mich an und entscheide selbst" Raffael streifte seine Kleider ab und deutete auf die vielen Narben auf seinem ganzen Körper und schließlich auf den Wurmdämon an seine, Hals. Er schämte sich nicht, sich vor dem Mädchen zu entblößen. "Denkst du wirklich, dass ich gerne hier bin?" fragte er mit zu Boden gesenktem Kopf. "Ich würde jederzeit gehen, wenn sich mir die Chance bietet" Der Hexer schwieg einen Moment, dann hob er den Kopf und sah Marie fest in das blaue noch sehende Auge. "Aber nicht ohne dich!" Der Blick des Mädchens wanderte über den Körper des Hexers. Entsetzt betrachtete sie jede einzelne Narbe, die von einer verheilten Verletzung stammte. Kleine und große, manche so groß, dass sie die doppelte Länge eines Buches hatte. Tränen füllten erneut ihre Augen und ihre Hand fuhr langsam zum Mund. Leicht vorne über gebeugt begann sie zu schluchzen. "Es tut.. mir LEID!" Das Mädchen sackte auf die Knie und barg ihr Gesicht in den Händen. Sie weinte, als wolle sie alles Leid der Welt mit ihren heißen Tränen hinweg spülen. "Verzeih mir!" Raffael ging vor dem Mädchen in die Hocke. Marie weinte noch immer in ihre Hände. Sie wagte es nicht aufzusehen. Der Hexer legte beide Hände auf ihre gekrümmten Schultern. Sanft zog er sie an seine Brust. Marie roch schlecht. Unter ihrem Gewand mussten dutzende Narben sein, die zu eitern angefangen hatten und nicht abheilen wollten. Doch Raffael hatte keine Angst mehr sie zu berühren und auch der Ekel, den er zu Anfang verspürt hatte, war vergangen. Das Mädchen wich zuerst unter der Umarmung zurück, ließ sich dann aber in die Arme des Hexers sinken und klammerte sich an ihm fest. Für eine Weile saßen sie sich in den Armen liegend auf dem Fußboden. Dann, nachdem sich Marie beruhigt hatte, begann sie leise zu sprechen. "Warum fürchtest du dich nicht, mich anzufassen?" Diese Frage konnte Raffael nicht beantworten. Und der Grund war auch unbedeutend. Wichtig war die Tatsache, dass es so war! "Ist der Grund weshalb, so bedeutend? Oder ist es nicht wichtiger, dass es so ist?" fragte er das kleine Bündel in seinen Armen. Raffael sah hinab. Ein kurzes Lächeln huschte über das Gesicht der jungen Frau. Für einen Moment glaubte der Hexer wieder in das unberührte, fröhliche Gesicht zu sehen, dass er vor einem Jahr gekannt hatte. Doch dann kehrte die Wirklichkeit zurück. Raffael löste die Umarmung. "Wir sollten uns jetzt besser beeilen, bevor Farviriol zurück kommt. Ich will nicht, dass dir noch mehr zustößt" Der Hexer streichelte zärtlich über die zerklüfteten, rotgeweinten Wangen des Mädchens, wischte die restlichen Tränen fort und zog sie dann mit sich in die Höhe. "Gut" antwortete Marie und winkte ihn in die Wanne. "Aber, wehe du spannst!" Raffael hob drohend den Finger, zwinkerte ihr grinsend zu und stieg in das warme Nass. Marie nahm sofort einen großen Schwamm, tunkte ihn ins Wasser und seifte ihn dann kräftig ein. "Pöh! Das habe ich nicht nötig! Ich zehn Männer an jedem Finger, wenn ich will!" erwiderte sie ebenfalls grinsend und drückte dem Hexer den seifigen Schwamm ins Gesicht. Mit aller Kraft, die ihr gebrechlicher Körper zuließ, versuchte sie Raffael unter Wasser zu drücken. Prustend und jammernd wehrte er sich mit gespielter Gewalt. "Willst du mich ersäufen?" hustete er empört. "Ja, wie einen räudigen Kater!" erwiderte sie lachend und spritzte ihm weiteres Wasser in die Augen. Auch Raffael stimmte mit ein. Lange war in diesem Haus voller Leid, kein befreites Lachen mehr zu hören gewesen. Und die wenigen Momente, in denen das schwere Los von den Schultern der beiden zu fallen schien, waren Raffael und Marie kostbarer, als jeder Goldschmuck oder Edelstein. Nachdem Raffael herausgeputzt, wie einer jeder Zierpudel, vor den Elfen trat, konnte Farviriol sich eines spöttischen Grinsens nicht erwehren. Schmunzelnd zog er eine Augenbraue in die Höhe und musterte den Hexer ausgiebig. Wie ein Pferdehändler, der nach neuer Ware suchte, umkreiste er ihn einmal und blieb dann mit verschränkten Armen vor ihm stehen. Raffael trug ein Gewand, das diese Bezeichnung nicht einmal verdiente. Vielmehr waren es schmale Streifen aus schwarzem Stoff, welche die strategisch wichtigen Stellen betonten und nur durch kleine Silberringe miteinander verbanden und den Stoff zusammen hielten. Der Hexer trug nun offensichtliche Lustknabenkleidung und der Gurgulum um seinen Hals bestätigte seine Position. Raffaels Haar war gekämmt und zurecht geschnitten. Gute drei Spann waren der Schere Maries zum Opfer gefallen. Sie hatte einige verfilzte Stellen heraustrennen müssen, die durch den langen Aufenthalt im Verlies entstanden waren. Raffaels Haar war zu einer Art Hochsteckfrisur gerichtet, die ihn ungeahnt weiblich aussehen ließ. Dem Hexer war dieses Ergebnis gar nicht recht. "Hmm" machte Farviriol überlegend, immer noch mit schadenfrohem Lächeln um die Lippen. "Ja ich weiss, dass ich lächerlich aussehe!" grollte Raffael. "Ja, das tust du" Der Elf konnte nicht mehr an sich halten und prustete los. Einige Tränen liefen ihm die Wangen runter und er hielt sich leicht den Bauch. "Herzlichen Dank!" sagte der Hexer bissig. "Schon gut" begann Farviriol, sichtlich um seine Fassung bemüht. "Du bist einfach nicht der Typ für solche Kleidung. Ich sehe das ja ein." Der Elf unterdrückte einen erneuten Lachanfall. "Aber man wird ja wohl noch träumen dürfen!" Raffael strafte Farviriol mit kaltem Blick. Dem Elf entging dies nicht. "Nun komm, sei nicht so miesepetrig. Ich habe vorgesorgt" sagte er und ging grinsend zu dem schweren Eichenschrank, aus dem Raffael sich schon mehrere Male bedient hatte. Der Elf öffnete ihn, kramte etwas herum und drehte sich dann wieder zum Hexer. "Hier!" sagte er und warf Raffael einen Stoß Kleidung zu. Der Hexer fing ihn auf und erkannte sofort, dass die Kleider den zahorischen Trachten ähnelten, die seine Familie zu tragen pflegte. Fragend sah er auf und zu Farviriol hinüber. "Ich habe sie für dich schneidern lassen. Ich glaube, dass wird dich besser kleiden, als das hier" Er deutete schelmisch auf Raffaels "Gewand". Der Hexer betrachtete die neuen Kleider. Sie waren in den selben Farben gehalten, die er während der letzten Vorstellung getragen hatte. In Weiss, Grün und Braun. Selbst die silberne Gürtelschnalle stimmte mit der seines Ziehvaters Azil überein. Raffael hätte beschwören können, dass sie identisch seien, doch er wusste ja, dass alles verbrannt war. Dass Farviriol sich daran erinnerte, was er an jenem Abend getragen hatte. Raffael starrte auf das Bündel Stoff in seinen Armen. "Komm, zieh dich um. Wir kommen ohnehin viel zu spät" ermahnte ihn der Elf. Raffael kam der Aufforderung unverzüglich nach. Ihm war gleich, ob Farviriol zusah, oder nicht. Ein Stück Heimat lag in diesem Moment in seinen Armen und er wollte dieses Gefühl am ganzen Körper spüren. Der Stoff der Kleider schmiegte sich an den Hexer, als wären sie ausschließlich für seine Person erschaffen worden. Die Kleider saßen perfekt. Raffael strich über den feinen Stoff, schloss die Augen und roch daran. Selbst der Geruch nach Pawlas Rauschkräutern war wahrnehmbar. Zumindest bildete Raffael sich das ein. Erinnerungen von vergangenen Tagen traten in sein Gedächtnis und einen Augenblick lang huschte ein glückliches Lächeln über das Gesicht des Hexers. Als Raffael die Augen wieder öffnete, sah er in zufriedenes Smaragdgrün. "Viel besser" sagte Farviriol. Erst jetzt bemerkte der Hexer, dass auch der Elf neu eingekleidet war. Er trug immer noch die Farbe der Rotmäntel, deren Name prägend für die gesamte Garderobe Farviriols war, doch hatte er sich ebenfalls herausgeputzt. Der Elf trug sein Haar nicht mehr offen, sondern fest zu einem Zopf geflochten. Einzelne, weiße Strähnen umrandeten sein Gesicht. Seine edle Gestalt war, wie sonst auch, in einen langen Samtmantel gehüllt, der bis knapp über den Boden reichte. Diesmal handelte es sich ebenfalls um eine der Uniformen, doch diese war behangen mit Orden des oronischen Reichs und einem goldenen Hortope auf der rechten Schulter. Von den Franzen führten zwei Kordeln aus goldenem Brokat quer über die Brust bis zu den oberen Knöpfen der Uniform und verschwanden in einem silbernen Skorpionanstecker. Unter dem Mantel trug Farviriol anscheinend, für ihn ungewohnt, ein schwarzes Hemd, dessen Kragen über den Mantel herausragte. An der rechten Seite des Elfen hing der leichte Reitersäbel in der Juwelen besetzten Scheide. Der Griff war blank poliert. Farviriol bot einen stattlichen Anblick. Er musste mit vielen Ehren ausgezeichnet worden sein. Farviriol war offenbar ein Mann, dessen Dienste sich die Königshäuser glücklich schätzen könnten, wäre da nicht dieses kleine Detail des Paktierertums. Der Elf bemerkte Raffaels Musterung, breitete seine Arme aus und drehte sich vor ihm. "Gefalle ich dir so?" fragte er lächelnd. Raffael war es sichtlich peinlich, von Farviriol bei seiner Betrachtung erwischt worden zu sein. Was sollte er schon darauf antworten? Der Elf war schön, das wusste er selbst. Raffael hatte das nie bestritten und wenn Farviriol eine Frau gewesen wäre, hätte sich der Hexer vielleicht nur zu gern ergeben. Aber zu seinem Glück war der Elf keine Frau. "Ich frage mich, wie viele Unschuldige du getötet oder versklavt haben musst, damit du all diese Orden verdienst" sagte Raffael ausweichend, doch nicht sehr überzeugend. Farviriol nahm die Arme runter und lächelte nur kalt. "Mehr als ich zählen kann" antwortete er wahrheitsgetreu. "Dachte ich mir" entgegnete Raffael knapp. Von einer auf die andere Sekunde war die lockere Stimmung verflogen und eine angespannte Atmosphäre entstanden. "Komm, wir sollten jetzt gehen" forderte Farviriol diesmal mit Nachdruck auf und streckte Raffael seine Hand entgegen. Der Hexer trat an dem Elfen vorbei und ignorierte seine angebotene Hand. Er war zornig auf Farviriol. Er tötete wahllos und quälte Menschen bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Doch Raffael war auch wütend auf sich selbst. Immer wieder vergaß er, wer Farviriol war. Sobald der Elf etwas Gutes tat und nur ein klein wenig Freundlichkeit zeigte, täuschte die Faszination Farviriols über sein wirkliches Wesen hinweg. Raffael war nicht völlig immun gegen die Anziehung des Elfen und das ärgerte ihn maßlos. Farviriol folgte dem Hexer ins Erdgeschoss. Zusammen gingen sie durch den Innenhof und durch das große Tor, vor dem bereits ein Teil der Männer des Elfen sie mit einer reich verzierten Kutsche erwarteten. Farviriol öffnete Raffael mit einer spöttischen Verbeugung die Türe. "Nach Euch Prinz!" sagte er stichelnd. Raffael überging die Beleidigung und stieg ein. Der Elf folgte ihm und setzte sich neben ihn. "Zum Palast der Satrapa!" wies er den Kutscher an. Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander. Die Kutsche klapperte über das Kopfsteinpflaster. Raffael sah hinaus und erblickte das gewohnte Stadtbild. Spieler, Huren und Diener der schwarzen Lust prägten die Umgebung. Elburum schien niemals müde zu werden. Plötzlich war eine Hand in Raffaels Haar und ziepte an einigen Strähnen. Der Hexer drehte den Kopf und starrte in die grünen Augen des Elfen, die neugierig in den Haaren des Hexers nach neuen Strähnen suchten. "Kannst du mir sagen, was du da machst?" herrschte Raffael ihn an. "Dir die Haarnadeln entfernen" sagte er knapp und zog an einer weiteren Nadel. Das Haargebilde auf dem Kopf des Hexers brach in sich zusammen und schwere, schwarze Strähnen flossen an beiden Seiten seines Gesichtes herunter. Farviriol zupfte das Haar zurecht und streifte Strähne für Strähne über Raffaels Schulter. Der Hexer versuchte erst gar nicht ihn davon abzuhalten. Wenn Farviriol sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte ihn niemand davon abhalten. Raffael stützte seinen Arm auf die Fensterlehne und legte seinen Kopf in seine Handfläche. Er sah aus dem Fenster und versuchte den Elfen, so gut es ging, zu ignorieren. Kapitel 6: ----------- Die Straßen waren voll von Kutschen, Reitern und Schaulustigen, die zum Palast der Satrapa Merissa unterwegs waren, um ihre Königin zu sehen. Dimiona, höchste Priesterin der Belkelel und Herrin von Oron residierte nicht oft in Elburum. Was sie jedoch heute in die Hauptstadt führte, wusste keiner so genau. Obwohl Farviriol der Meinung war, dass er und Raffael zu spät seien, tat die Uhrzeit dem Andrang scheinbar keinen Abbruch. Die Boronsstunde war bereits überschritten und ein neuer Tag angebrochen, doch eilten stetig mehr, geladene Gäste zum Palast der Satrapa im Stadtteil Shorioth. Der Kutsche Farviriols wurde großzügig und ehrfurchtsvoll Platz gemacht. Wo kein Durchkommen war, verschaffte sich die Garde des Elfen Zugang. Raffael sah aus dem Fenster. Vor ihm breitete sich die riesige Palastanlage mit Gärten schwarzer Rosen, Dornenhecken und allerlei pervertierter Natur aus. Die Wege durch die vielen Tore, durch die Kutschen und Reiter strömten, waren mit Fackeln ausgeleuchtet. Eine Unzahl an Gardisten und Soldaten sorgten dafür, dass nur geladene Gäste hineinkamen und dem ungeliebten Mob nur das Zusehen blieb. Schon von weitem hörte der Hexer Musik. Dominierend im Zentrum dieses Areals lag der weiße Marmorpalast, der im Mondschein wie Silber zu leuchten schien. Das Gebäude bestand aus mehreren Trakten, alle hell erleuchtet. Der tulamidysch-aranische Stil herrschte überdeutlich vor, war das Moghulat schließlich einst aranische Provinz. Kleine Erker, Wachtürme und Minarette allesamt mit runden Kuppeldächern verschafften den Wächtern einen guten Überblick über das Palastgebiet. Raffael konnte sich eines leisen "wows" nicht erwehren. Beeindruckend war die Architektur der Aranier. Der Hexer hatte schon den Kaiserpalast Horasias in Vinsalt gesehen, doch mit der Anmut und der spielerischen Leichtigkeit tulamidischer Bauart, konnte das biedere Gebäude nicht mithalten. Der Kutscher lenkte den Wagen direkt vor den Eingang des Hauptgebäudes, an dem einige andere Reiche und Mächtigen darauf warteten eingelassen zu werden. Als die Kutsche und Farviriols Männer zum Stehen kamen, eilten sofort Diener herbei, öffneten die Wagentür und verbeugten sich demütig. Andere Wichtige des Reiches wurden für den Elfen stehen gelassen und erneut kam in Raffael die Frage auf, wie mächtig Farviriol wirklich war. Der Elf stieg elegant aus der Kutsche und wandte sich dem Hexer zu. Er reichte Raffael seine Hand, um ihm aus der niedrigen Kutsche zu helfen. Der Hexer schob sie zur Seite und trat an dem Elfen vorbei. Farviriol sagte nichts zu der erneuten Zurückweisung, doch Raffael meinte für einen Moment ehrliche Enttäuschung im Gesicht des Elfen lesen zu können. Zusammen mit Farviriols Rotmänteln schritten sie auf die große Treppe vor dem Eingang des Palastes zu. Der Elf ging aufrecht und würdevoll an den wartenden Menschen vorbei. Raffael hatte ihn noch nie derart stolz und hochmütig gesehen. Als sei jedes Gefühl aus dem Elfen gewichen, Zorn, Wut, Freude, Grausamkeit; er hatte eine undurchdringliche Maske aufgesetzt, und wüsste es der Hexer nicht besser, hätte er diesen Mann hier und den ihm bekannten Elfen, für zwei verschiedene Personen gehalten. Vor der Treppe hatte sich eine kleine Gruppe von Frauen und Männern zusammengerottet. Sie sahen zum Teil bewundernd, zum Teil verachtend in die Richtung des Elfen. Und auch er wurde betrachtet. Raffael fühlte sich wie auf dem Präsentierteller. Hinter vorgehaltener Hand tuschelten sie über ihn und Farviriol. Der Hexer musterte sie eingehend. Der Kleidung nach, waren sie genau das, was Raffael erwartet hatte: Anhänger der Belkelel. Die leichte, durchsichtige, in allen Farben vorhandene Kleidung der Frauen und Männer umschmeichelten die Vorzüge der Träger aufs Äußerste. Einzig die exotischen Fächer der Frauen mit Abbildungen von Rosen und Vögeln waren aus festem Material. Unter all diese, Halbnackten Menschen würde er auffallen, wie ein Straßenjunge am Kaiserhof. Und wenn Raffael es genau bedachte, war er hier auch nicht viel mehr. Die Frauen trugen die edelsten Steine um Hals, Fußfesseln, und Händen. Selbst Nasenlöcher und Brustwarzen waren durchstochen und mit Ringen, oder Steckern aus Gold geschmückt. Die Gegenwart von so viel Weiblichkeit machte Raffael zu schaffen. Nach fast anderthalb Jahren in einer dunklen Zelle, reagierte sein Körper prompt. Er wandte sich mit errötetem Gesicht von den Frauen ab und sagte sich in Gedanken immer wieder, dass es götterlästerliche Weiber sind, die ihm gerade durch ihren bloßen Anblick den Kopf verdrehten. Raffael war nicht unerfahren im Umgang mit Frauen, aber die lange Abstinenz, die eine Gefangenschaft mit sich bringt, hinterlässt nun mal Verlangen und Bedürfnisse. Der Hexer sah zu Farviriol, der vor ihm ,ungerührt von den Anwesenden, die Treppe hinauf stieg. Raffael folgte ihm und heftete seinen Blick fest auf den Rücken des Elfen. Er hoffte inständig, dass der Weißhaarige nichts bemerkt hatte. Einen Eklat in den Reihen seiner eigenen Leute, wäre eine Katastrophe. Farviriol betrat das prächtige Bauwerk, gefolgt von seinen Männern und dem Hexer. Von einem Lakaien wurden sie durch Vorräume und Gänge geführt. Emsige Bedienstete eilten durch Botengänge um für das leibliche Wohl der Gäste zu sorgen. Die Musik wurde lauter. Raffael und Farviriol wurden zu einer großen Flügeltür gebracht, die weit offen stand. Davor standen Frauen und Männer Orons, unterhielten sich, tranken, lachten und lenkten die Geschicke des Reichs. Der gigantische Ballsaal war überfüllt mit Leuten, einige schöner, als die Sonne selbst, andere so hässlich, als seien sie von Thargunitoth, Herrin der Untoten, höchstpersönlich erweckt worden. Eins hatten jedoch alle gemeinsam: sie waren umringt von Zöglingen, Gespielinnen und Liebhabern, die nur zu begierig waren die Wünsche ihrer Herren und Herrinnen zu erfüllen. Raffael hatte geglaubt, dass der Staat ausschließlich aus Zwang bestand, den die Oberschicht über die Sklaven ausübte, doch diese hier waren gerade zu begeistert von ihrem Dasein, zu dienen und sich selbst zu verlieren. Schlagartig wurde ihm klar, welche Sonderstellung er inne hatte. Vermutlich war Raffael der Einzige, der sich seinen Verstand bewahrt hatte und dies von seinem "Herrn" geduldet, ja geradezu erwünscht wurde. Raffael fühlte sich mehr als fehl am Platze und nie hätte er gedacht, dass er sich einmal in Farviriols Haus zurück wünschen würde. Der Hexer sah auf der Rücken des Elfen. Mit gleichmäßig, leichten Schritten und stolz betrat er den Ballsaal. Er schien die Anwesenden um sich herum nicht wahr zu nehmen und gesprochen hatte er, seit sie aus der Kutsche gestiegen waren, auch nicht mehr. Der Saal war hell erleuchtet, die Wände mit Teppichen, Gemälden mit Unterwerfung und Züchtigung von Sklaven, mit Fresken und allerlei anderer Spielereien geschmückt. In der Mitte des Saales plätscherte ein übergroßer Brunnen. Er war allerdings nicht mit Wasser gefüllt, sondern mit einer roten Flüssigkeit: Blut. Statt Tischen und Stühlen befanden sich in dem Raum Sitzgelegenheiten aus Kissen, Teppichen und Chaiselonguen. Von ihnen wurde ausgiebig Gebrauch gemacht. An der Südseite des Saals befanden sich Durchgänge mit gekordelten Vorhängen nach draußen auf die Balkone. Musikanten mit teuren Instrumenten hatten sich in einer der Ecken des Raumes eingerichtet und spielten tulamidysche Weisen, zu denen Tänzer und Tänzerinnen sich rhythmisch und grazil bewegten. Über dem gesamten Saal lag eine schwere Wolke von Räucherstäbchen, die überall verteilt aufgestellt waren. Der süßliche, schwere Geruch benebelte die Geister. Raffael sah sich weiter um. Neben den vielen exotischen Speisen und berauschenden Getränken, gab es jedoch keinen Wein, außer dem fast schwarzen, den Raffael bereits von Farviriol kannte. Der Hexer hatte es sich eine Erklärung zusammengereimt. Wein war das heilige Getränk der Göttin Rahja. Auch wenn er Dienern Belkelels nicht schadete, überfiel sie dennoch ein gewisser Ekel in der Gegenwart dieses Getränks. Zudem hatte Alkohol, sowie andere Rauschmittel keine Auswirkungen mehr, weder im negativen, noch im positiven Sinne. Nur der pervertierte schwarze Wein, der sich aus den Lebenden ernährte vermochte noch eine gewisse Wirkung zu erzielen. Farviriol durchquerte zielstrebig den Raum. Raffael wollte zu ihm aufschließen, doch einer seiner Männer hielt ihn zurück und geleitete ihn auf einen der Balkone. Der Hexer konnte sehen, dass sich der Elf zum Ende des Saals bewegte, vor einem großen Thron niederkniete und sein Haupt beugte. Selbst aus dieser beträchtlichen Entfernung von etwa vierzig Schritt, war ihm, als könne er die Frau auf dem Thron, die eher lag als saß, erkennen. Ihr Gesicht war hinter einem Vorhang nicht sichtbar, doch ihr makelloser Körper überstrahlte alles. Sie trug ein eng anliegendes, schwarzes Kleid aus feinster Seide. Der Stoff wiegte um ihre Rundungen wie sanftes Wellenrauschen. Ihre Beine, Raffael hatte nie schönere bei einer Frau gesehen, ragten unter ihrem Kleid hervor. Um ihre schlanken Fesseln lagen zierliche Ketten von goldenen Plättchen. Ihre Haut war von einer leichten Bräune, nicht so dunkel, wie die der Aranierinnen, aber auch nicht hell wie die der Mittelreicherinnen. Raffaels Blick wanderte nach oben über ihre Hüften und ihre Brüste, die geradezu von Rahja gesegnet worden sein mussten, bis hin zu ihrem schlanken Hals, an dem sie ein schmales Goldband mit Edelsteinen trug. Vom Gesicht dieser fleischgewordenen Rahja konnte er nur das Kinn sehen. Es war weder spitz noch voll. Es war perfekt. Raffael sah dunkelbraunes bis schwarzes Haar in Wellen über die nackten Schultern der Frau fließen, das bis zum Boden reichte. Der Hexer betrachtete diese Frau mir Erregung. Aus dieser Entfernung war ihr Charisma beträchtlich. Wie musste sie dann erst wirken, wenn er ihr gegenüber stand? Nicht einmal der Elf hatte auf ihn eine solche Wirkung ausgeübt. Auch wenn Raffael eine gewisse Resistenz gegenüber Farviriol entwickelt hatte, war er anziehend gewesen, selbst als Mann. Doch dieser Frau wollte er sich am liebsten zu Füßen werfen und sich mit einem einzigen Fingerzeig von ihr zufrieden geben. Er begehrte sie über die Maßen. Der Hexer ballte seine Hände zusammen und krallte seine Fingernägel in das Fleisch seiner Handflächen, bis einzelne Tropfen seines Blutes zu Boden tropften. Mühevoll wandte Raffael seinen Blick auf eine andere Person: Zu Füßen seiner Rahja lag eine Frau von etwa dreißig Jahren. Auch sie war schön, von zierlicher Statur und schwarzem Haar, das ihr bis zur Hüfte reichte. Ihre Augen waren pechschwarz, wie ihr Haar und ihr voller Mund von einem dunklen Rosenrot. Sie war hübsch anzuschauen, aber es umgab sie keine solch überwältigende Präsenz wie die Frau auf dem Thron. In ihren Fingern zwirbelte sie eine der Strähnen und küsste sie. Raffael sah mit schnellem Atem wieder zu der Regentin. Sie hob eine ihrer schönen Hände mit den schlanken Fingern und den langen Fingernägeln und bedeutete Farviriol sich zu erheben. Nur am Rande bemerkte er wie der Elf sich erhob, seinen Kopf noch einmal beugte, einige Worte wechselte und sich dann abwandte. Raffael starrte noch immer die Frau auf dem Thron an. Für einen Moment schien die Zeit stehen zu bleiben. Erst, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte und eine vertraute Stimme hörte, er seinen Blick langsam abwandte, verlor sich der Zauber. Raffael sah böse auf die Person, die gewagt hatte, ihn aus seinem Traum zu reißen. Vor ihm stand Farviriol. "Du begibst dich auf einen gefährlichen Pfad, mein Freund" sagte der Elf tonlos. Doch in seinen Augen laß Raffael eine gewisse Sorge. "Dimiona ist gefährlicher, als ich es je für dich sein könnte" Er gab seinen Männern ein Zeichen zum Gehen. "Das ist Dimiona?" fragte Raffael erstaunt, aber er hatte es bereits geahnt. "Sie ist..." "Atemberaubend. Ich weiss" vollendete Farviriol für ihn den Satz. In seiner Stimme schwang eine gewisse Bewunderung für seine Herrin mit. "Ist sie eine Lamijah?" Raffael sah wieder zur Regentin. Farviriol griff unter sein Kinn und wandte sein Gesicht wieder dem seinen zu. Raffael gab einen knurrenden Laut von sich. Er wollte sich nicht von ihr abwenden. "Nein, ist sie nicht und ich mache dir keinen Vorwurf" sagte der Elf ruhig "aber ich habe dich nicht mitgenommen, um dich an sie zu verlieren! " Farviriol lächelte auf seine übliche, vielsagende Weise, die ihn so unberechenbar machte. Raffael nahm die Hand des Elfen. Zu seiner Verwunderung war er über die Hand in seiner froh, dass er einen Anker hatte, der ihn in der Realität hielt. Verloren ließ er seinen Blick durch den Raum wandern. Er fürchtete sich davor wieder zu Dimiona zu sehen und unbewusst gab er Farviriol Recht. Sie war gefährlicher, als er. Sie war eine Frau. Unter den Gästen waren einige sonderbare Gestalten. Zu ihnen gehörte auch ein junges Mädchen von nicht einmal vierzehn Jahren. Dass sie eine der mächtigsten Frauen in Oron sein sollte, wollte Raffael nicht glauben. Reshemin, die Enkelin der Satrapa sah aus wie ein unschuldiges Kind, doch der Hexer wurde an diesem Abend eines besseren belehrt. In Reshemin, dem Dämonenbalg, ging sie doch aus der Verbindung einer Magierin und einem Laraan hervor, vereinten sich kindliche Unschuld und die unbedingte Lust zum Quälen. Mit kindlich-grausamen Interesse ging das schwarz gelockte Mädchen, mit den großen, himmelblauen Augen und der schneeweißen Haut an die Menschen heran. Sie dienten ihr ausschließlich zur Unterhaltung. Farviriol hatte Raffael erzählt, dass sie recht schnell die Geduld verlor, aber auch das Interesse an ihren Spielzeugen und sie sie unter Umständen sogar einfach stehen ließ und damit freigab, wenn sie sie nicht mehr fesseln konnten. Der Elf gab Raffael freudig Auskunft über alle wichtigen Personen Orons und seine Beziehung zu ihnen. Offenbar glaubte er, dass der Hexer sich endlich für ihn und seine Lebensweise interessierte. Zu Farviriols größten Feinden gehörte unweigerlich die Satrapa Merisa. Die alte Greisin von über siebzig Jahren war ebenfalls eine Lamijah. Durch den Kuss hatte sie aber nur etwa zehn Jahre gewonnen und jedes noch so große Maß an fremden Sikharyan konnte ihr ihre Jugend nicht zurückgeben. Raffael hatte die alte Frau, die durchaus durch ihre dämonischen Fähigkeiten eine große Anziehungskraft besaß, lange betrachtet. Sie war übertrieben geschminkt in grellen Farben. Ihre weiten Kleider, die den alternden Leib versteckten, waren mit reichem Schmuck behangen und Raffael fragte sich, wie viel diese Stücke wohl wogen. Dieses Gewicht war von einem normalen Menschen kaum tragbar gewesen. Die Satrapa hatte seinen Blick des öfteren geschnitten. Ihre kalten Augen sprühten vor Hass über. Ihr Gesicht glich einer Fratze. Der Hexer konnte es sich nicht erklären, woher diese Gefühle kamen, hatte er sie zuvor nie gesehen. Auch von anderen Mitgliedern der Gesellschaft war der Hexer ins Visier genommen worden. Marie hatte recht gehabt. Es war neu, dass Farviriol auf solche Anlässen in Begleitung erschien. Raffael dachte grimmig, dass es vermutlich daran lag, dass niemand in seiner Gegenwart lange genug überlebte. Unter den Gästen, die schon bald begonnen hatten, ihre verderbten Liebesspiele an den Mann oder die Frau zu bringen, gab es neben Raffael eine weitere Kuriosität. Einie Magierin. Sie war in die typische Magierkleidung gewandet. Sie trug eine Robe, die sie wie eine graue Taube unter Papageien auffallen ließ. Sie nahm an der Gesellschaft eher teilnahmslos teil, obwohl sie, ebenso wie Raffael bei vollstem Verstand war. Die Leiterin der Schule der Schmerzen zu Elburum war eine Frau Mitte dreißig, brauner liebfeldischer Pagenfrisur und einer dicken Hornbrille. Farviriol berichtete, dass Dottora Maryan di Shumir, so ihr Name, sich stets an den Codex Albyricus halte und seit Jahren von der schwarzen Gilde die Aufnahme ihrer Akademie forderte. Der Elf erklärte lächelnd, dass sie zusammen mit ihren Eleven den Schmerz und dessen Heilung erforschte. Dafür brauchte sie Massen an Sklaven. Sie gehörte also zu seinen besten Kundinnen. "Sie foltert genauso gerne wie ich. Zugeben würde sie das natürlich nicht" lächelte der Elf "aber sie tut es immer in der richtigen Gewandung, gemäß dem Codex Albyricus!" Farviriol und Raffael standen auf dem Balkon und beobachteten die Menschen. "Gibt es auch normale Menschen in Oron?" fragte Raffael skeptisch. "Normalität liegt im Blickwinkel des Betrachters" Farviriol hatte während ihres Gesprächs die Hand des Hexers nicht freigegeben. "Für dich wird das alles hier bald zur Normalität gehören. Auf Dauer kannst du dich nicht entziehen. Mag sein, dass es dir nie gefallen wird, oder du dich bis zu deinem Tode sträubst, aber du wirst dieses Leben zumindest akzeptieren. Dir wird gar nichts anderes übrig bleiben, als Kompromisse zu schließen" Farviriol küsste liebevoll die Hand des Hexers und sah ihn mit leuchtenden Augen an. "Der Hass auf mich scheint immerhin schon verflogen zu sein, daher besteht kein Zeitdruck mehr, dich an Blakharaz zu verlieren" Raffael zog erschrocken die Hand weg. Ihm war nicht aufgefallen, dass er sie noch immer gehalten hatte. Der Elf lachte leise. "Sieh an, sieh an!" krächzte eine Stimme und unterbrach die intime Atmosphäre der Beiden. Raffael suchte nach der Stimme. Aus dem Schatten eines großen Tontopfes mit einer Palme trat die Gestalt der alternden Satrapa. "Das ist er also. Der geheimnisvolle Junge, dem Ihr seit eineinhalb Jahren Eure Aufmerksamkeit schenkt" Die Frau, in dem wallenden bunten Kleid trat, für ihr Alter ungeahnt grazil, auf sie zu. Sie musterte Raffael verachtend und hochnäsig, doch es mischte sich eine ungestillte Begierde hinzu, als sie sich dem Elfen zuwandte. "Was besonderes erkenne ich allerdings nicht an ihm. Er weißt weder besondere Schönheit auf, die man zertreten könnte, noch scheint er von edlem Blut zu sein!" ergänzte sie naserümpfend. Raffael überging die bissigen Beleidigungen, gab er ihr insgeheim doch Recht. Er verstand Farviriols Obsession für sich auch nicht. "Madame, das lasst nur meine Sorge sein" Der Elf hatte wieder seine kalte, undurchdringliche Maske aufgesetzt. Jede Regung war aus seinem Gesicht gewichen. Doch Raffael kannte ihn mittlerweile besser. Er nahm ihm seine Teilnahmslosigkeit nicht ab. Er wusste, Farviriol hasste diese Frau, vermutlich, wie sonst niemanden in seinem Leben. Die Satrapa verkürzte kokettierend den Abstand zwischen sich und Farviriol. Raffael konnte nun schweres Parfum wahrnehmen, das den Geruch von alter Haut und Fleisch nur schwer zu überdecken vermochte. Die Alte rückte zwischen ihn und den Elfen und begann Farviriols Arm mit ihrer greisen Hand entlang zu fahren. "Warum leistest Ihr mir und meinen Untergebenen nicht Gesellschaft?" Ihre Stimme war heiser vor Erregung. "Madame, ihr nähert Euch in einer Weise, die mir nicht zusagt!" erwiderte Farviriol immer noch beherrscht, aber Raffael konnte den Ekel und die Furcht, vor dieser Frau förmlich greifen. Er erwischte sich dabei, wie er in sich hinein lächelte. Ihm gefiel es, dass selbst Farviriol außer Fassung gebracht werden konnte und es jemanden gab, vor dem er sich ängstigte. >>Geschieht dir Recht!<< dachte Raffael. Die Satrapa überhörte die Widerworte des Elfen und griff nun mit beiden Händen nach Farviriols Gesicht. Bevor sie jedoch die Wangen des Elfen berühren konnte, wich er nach hinten aus und wäre fast gegen Raffael geprellt. "Ich stehe Euch nicht zur Verfügung. Und das schon seit vier Jahren nicht mehr. Findet Euch damit ab!" Nicht mehr? Erstaunt und fast geschockt starrte Raffael auf den Rücken des Elfen. Nie im Traum wäre ihm der Gedanke gekommen, dass Farviriol einmal einer anderen Person "zur Verfügung" gestanden haben musste! Er hatte zwar mittgeteilt, dass Merisa ihn begehrte, seit er in Oron weilte, aber, dass sie tatsächlich mal die Gewalt über ihn gehabt hatte, an diesem Punkt hatte Farviriol gelogen. Der Hexer überlegte einen Augenblick. Konnte es sein, dass der Elf ebenso wie er als Gefangener hierher gekommen war und unter der Last dieses Lebens zusammen gebrochen war? Raffaels Blick wurde sanft. Wenn dem so war, dann war das Monster Farviriol mal ein "normaler" Elf gewesen und hatte einfach den leichteren Weg gewählt. Wie zwei unterschiedliche Entscheidungen derselben Wahl doch so gravierend auf das Leben Einfluss nehmen konnten. Raffael bat um Vergebung bei seiner toten Familie und bei Marie, für das was er jetzt tat. Er schüttelte den Kopf und konnte es selbst kaum fassen. "Verzeiht Gnädigste, aber mir scheint, dass mein Herr Euer Angebot auszuschlagen wünscht!" Raffael trat an Farviriols Seite, schmiegte sich an ihn und legte einen Arm um die Hüfte des Elfen. Mit der anderen Hand streichelte er über seinen Unterarm und umschloss dann sein Handgelenk. "Und davon abgesehen, teile ich nicht gern!" Der Hexer versuchte seiner Stimme einen möglichst drohenden Ton zu verleihen. Er spürte den ruhenden Blick Farviriols auf sich. Er musste ihn nicht direkt ansehen, um zu wissen, dass er damit nicht gerechnet hatte! Raffael hätte selbst nicht damit gerechnet, dass er seinen Todfeind beschützen würde. Wie weit war er doch gesunken! Aber sein Verhalten zeigte Wirkung. "Wie kannst du Wurm es wagen, dich mir in den Weg zu stellen!" kreischte die Alte. "Du bist nur eines jener lästigen Insekten, die ich täglich zerquetsche!" In ihrer Wur verlor die Satrapa jede Ausstrahlung und war jetzt nicht mehr als eine alte Frau, bei der das Alter ihre Spuren hinterlassen hatte. Die Bösartigkeit der Frau verzerrtte ihre Gesichtszüge und die Nachteile eine Paktes mit einer Dämonin wurden offensichtlich. Sie konnte ihre Maske nicht länger aufrecht erhalten. Zu groß war die Provokation durch den Hexer. Das Gesicht wurde zu einer hässlichen Fratze und Raffael bekam es langsam mit der Angst zu tun, als die Alte ausholte um ihn hinwegzufegen. Wenn sie genauso viel Kraft besaß wie der Elf, würden einige Knochen brechen. >>Ich und meine große Klappe!<< dachte er, als ihre Hand niedersauste, um ihn im Gesicht zu treffen. Raffael schloss die Augen, wich mit dem Kopf leicht zurück und bereitete sich auf den Schmerz vor. Er hoffte, dass er das überlebte! Doch kein Schmerz stellte sich ein. Der Hexer öffnete vorsichtig ein Auge und schielte zu der Satrapa. Doch erblickte er nur einen breiten Rücken in Rot und einen weißen Pferdeschwanz. Farviriol hatte den Schlag abgefangen und hielt das Handgelenk Merisas fest umklammert. "Ihr werdet nicht Hand an meinen Besitz legen!" sagte er kalt. "Auch wenn ihr die zweite Frau im Staat seid, werdet ihr Euch an die Gesetze Orons halten. Euch steht es nicht zu, meinen Sklaven zu züchtigen, oder zu verletzen!" Raffael hörte das Knacken von Knocken. Farviriol war im Begriff, der alten Frau das Handgelenk zu brechen. Sie ließ es offenabr völlig kalt. Raffael hatte nichts anderes erwartet. Sie war eine Lamijah und liebte den Schmerz. "Fragt sich nur, wer hier wen besitzt!" giftete sie. "Genug!" ertönte eine weibliche Stimme hinter Merisas Rücken. Erst jetzt fiel Raffael auf, dass die Musik aufgehört hatte und die Tänzer aufgehört hatten zu tanzen. Im Moment bündelten er, Farviriol und die Satrapa die Aufmerksamkeit der Anwesenden. Farviriol gab umgehend die Hand der Satrapa frei und verbeugte sich tief. Merisa tat es ihm gleich. Die angebrochenen Knochen richteten sich ebenso schnell, wie bei dem Elfen. "Knie nieder!" flüsterte Farviriol eindringlich zu Raffael. Der Hexer entdeckte etwas in der Stimme des Elfen, das ihn gehorchen ließ. "Streit unter meinen Getreuen?" begann die Frauenstimme. Ein leichter Schauer lief dem Hexer den Rücken hinunter. Die Stimme war voll und schöner als die Singstimmen der Vinsalter Oper. Raffael hob leicht den Kopf, folgte den schönen Beinen, den wollüstigen Hüften, die durch das enganliegende, schwarze Kleid betont wurden zu den üppigen Brüsten der Frau, bishin zu ihrem Gesicht. Der Hexer hatte sich den ganzen Abend über gewünscht das Gesicht der Moghuli zu sehen. Jetzt wo er in ihre tiefen, fast schwarzblaunen Augen sah, wurde ihm bewusst, dass es kein schöneres Wesen auf Dere gab und je geben würde. Sie war makellos, von der Sohle bis zum Kopfe. Allein der bösartige Zug um ihre Lippen verunstaltete das Gesamtbild. Auf ihrem Haupt trug sie ein breites Stirnband, das in ihr volles Haar eingeflochten war. In den schwarzen Stoff waren Rubine eingewoben und ein Stein stach besonders hervor. Er war blutrot und ein eigentümliches Leuchten ging von ihm aus. Im Gegensatz zu den anderen Steinen, war dieser hier ungeschliffen und unverarbeitet. >>Ein Teil der Dämonenkrone!<< ging es Raffael durch den Kopf! >>Der Belkelelsplitter!<< "Nun? Sie antworte mir!" wandte sie sich an die Satrapa. "Sie erkläre mir, warum sie mit meinem Hauptmann in Streit geraten ist" Dimiona verwendete in ihrer Anrede die dritte Person. Sie demonstrierte ihre Überlegenheit und ihre Herrschaft. "Verzeiht, Eure königliche Hoheit. Es war eine unnötige Auseinandersetzung" sagte die Satrapa ausweichend. Dimiona wandte sich nun an den Elfen. "Was meint er dazu?" "Eine dumme Auseinandersetzung" gab Farviriol Merisa Recht. "So sei ihnen auferlegt, den Streit zu begraben. Ihre Majestät duldet es nicht, wenn die beiden wichtigsten Adligen des Reiches wegen eines Sklaven in Rage geraten!" Dimiona warf Raffael einen kurzen Blick zu. Sowohl Farviriol als auch Merisa hatten gelogen, doch die Regentin wusste dennoch Bescheid. Ihm gefror sein Blut in den Adern und einen Moment setzte sein Herzschlag aus. So schön die Moghuli auch wahr, genauso Angst einflößend war ihre Gegenwart. Die dunkelhaarige Frau, die du Füßen Dimionas gesessen hatte, trat an ihre Seite und umschloss ihre Taille. Sanft zog sie die Moghuli zu sich herunter und hauchte einen flüchtigen Kuss auf die roten Lippen der Regentin. Daraufhin flüsterte sie ihr etwas ins Ohr, dass Raffael nicht verstehen konnte, aber Dimiona ein Lächeln entlockte. Zusammen entfernten sich die beiden. Farviriol und die Satrapa erhoben sich wieder. Auch Raffael stand vom Boden auf. "Dieser Zwist ist noch nicht vorbei!" zischte Merisa und rauschte davon. Raffael atmete durch. Er wollte nur nach Hause. Nach Hause? Na ja, das was einem zu Hause am nächsten kam. Raffael ließ sich auf das breite Bett fallen. Die Müdigkeit war überwältigend und das Bett des Elfen fühlte sich unglaublich gut an. Der Hexer hatte so lange nicht mehr in einem Bett geschlafen, dass er im Augenblick alles dafür gegeben hätte, hier liegen bleiben zu dürfen. Raffael schloss die Augen. Als sie bei Farviriols Haus angekommen waren, hatte er direkt zu seiner Zelle gehen wollen, doch der Elf hatte ihn in Richtung seines Schlafzimmers geschoben. Viel gesprochen hatten sie während der Fahrt nicht miteinander. Raffael öffnete müde die Augen und richtete sich auf. Er konnte ein tiefes Gähnen nicht unterdrücken. Draußen graute der Morgen. Raffael suchte Farviriol. Der Elf saß an dem kleinen, runden Tisch mit der immer noch staubigen Wasserpfeife und beobachtete den Hexer. Er saß einfach da und betrachtete Raffael mit ruhigem Blick, ohne Verlangen, oder Grausamkeit, vielleicht mit ein wenig Erstaunen. "Was?" begann der Hexer das Gespräch. Diese Stille machte ihm mehr Angst, als Farviriols Wut. Dieses Verhalten war meistens die Ruhe vor dem Sturm. "Ich schaue nur und lerne" sagte er. "Aha" Raffael fühlte sich unwohl. "Ich gehe jetzt besser hinunter" sagte er und stand vom Bett auf. "Bleib!" forderte der Elf. Der Hexer verharrte in der Bewegung. "Ich schulde dir meinen Dank" Farviriol war mit einer schnellen Bewegung bei Raffael und umschloss seine Hüften mit seinen Händen. Der Hexer hatte nicht gesehen, wie er aufgestanden und herüber gekommen war. Instinktiv spannte er seine Muskeln und nahm eine abwehrende Haltung ein. Farviriol presste Raffaels Körper an sich, bis sich ihre Lippen fast berührten. Der Hexer versuchte sich loszureißen, doch wie sonst auch, war es ein hoffnungsloses Unterfangen. "Halt still, dann tut es weniger weh!" sagte Farviriol. Raffael spürte den Atem des Elfen an seinen Lippen. Farviriol hob eine Hand und fuhr die Konturen von Raffaels Gesicht nach, ohne es aber zu berühren. Dabei versank er tief in den grünen Augen des Hexers. "Fass mich nicht an!" keuchte Raffael. Als höre der Elf den Einwand nicht, bewegte er seine Hand zum Hals des Hexers, hielt seine Augen weiterhin gefangen und mit einem Mal spürte Raffael einen brennenden Schmerz in seinem Kopf. Er stöhnte auf. Als würde ein Teil seines Bewusstseins herausgerissen werden. Raffaels Kopf sank nach vorne gegen Farviriols Schulter. Seine Knie knickten unter ihm weg und nur die Arme des Elfen hielten ihn aufrecht. Das fremde Bewusstsein löste sich von seinem eigenen, wütend brüllte es in ihm auf. Es sträubte sich gegen die gewaltsame Entfernung. "Ich bin dein Herr und ich befehle dir loszulassen!" Raffael hörte die feste Stimme Farviriols und wusste, dass dieser Befehl nicht ihm galt. Er galt der fremden Präsenz in seinen Gedanken, die ihn über ein Jahr begleitet hatte und dafür gesorgt hatte, dass er keine Magie mehr wirken konnte. Jetzt krallte sie sich in seinen Gedanken fest und wollte ihr Heim nicht verlassen. Raffael klammerte sich an Farviriol fest, als sei er der letzte Halt in der Welt. "Du wirst loslassen!" hörte er erneut die Stimme des Elfen. Die Präsenz in seinen Gedanken wurde schwächer und mit ihr der Schmerz. Stück für Stück lösten sich die beiden Bewusstseinsebenen voneinander, bis nur noch die Raffaels übrig blieb und die Präsenz des Wurmdämons verschwand. Der Hexer spürte seinen Magen revoltieren. Ein Würgen machte ihm das Atmen schwer. Er klopfte auf Farviriols Schulter. Der Elf entließ Raffael aus der Umklammerung und setzte ihn auf alle Viere. Keinen Moment zu früh. Raffael übergab sich auf den kostbaren Teppich. Er hustete zähen, schwarzen Schleim. Die Überreste des Dämons. Farviriol hielt ihm die Haare aus dem Gesicht und streichelte seinen Rücken. Nachdem Raffael glaubte seinen gesamten Innereien mit ausgespuckt zu haben, ging es ihm besser. Der Würgereiz verschwand und auch die Kopfschmerzen waren bald vorbei. Er wischte sich mit dem Ärmel über den Mund und richtete sich langsam auf. Er kniete, noch leicht hustend, neben Farviriol, der immer noch in der einen Hand seine Haare hielt. Mit der anderen griff er nach etwas auf dem Boden. "Sie sind leichter eingesetzt, als entfernt" lächelte er und hielt Raffael den länglichen Wurm unter die Nase, den er ihm aus dem Hals gerissen hatte. Der Hexer tastete seinen Hals ab. Die Eintrittslöcher der Tentakel bluteten noch leicht, doch bald würden nur weitere kleine Narben übrig bleiben. Farviriol stand auf und reichte Raffael abermals die Hand. Diesmal schlug sie der Hexer nicht aus. Aus eigener Kraft hätte er nicht stehen können. Mit Leichtigkeit zog der Elf Raffael in die Höhe und setzte ihn aufs Bett. Er selbst nahm neben ihm Platz. "Ich gebe dir ein Stück deiner Freiheit zurück" begann Farviriol. "Deine Kräfte sind nicht länger gebunden. Ich hoffe du wirst dennoch hierbleiben. Ansonsten widerrufe ich meine Entscheidung!" Raffael hob seinen Blick zu den grünen Augen Farviriols. Unschlüssig, über dieses Verhalten nickte er einfach. "Gut. Wir sollten jetzt schlafen. Es war ein langer Tag, für uns beide" Mit diesen Worten stand er auf, entkleidete sich und verschwand dann unter den Laken des Bettes. Raffael legte sich ebenfalls ab. Er war zu erschöpft, als dass er sich jetzt noch darum scherte, wer neben ihm lag. Der Hexer krabbelte angezogen, wie er war, unter die Laken. Frösteln überkam ihn. Draußen brach zwar der Sommer an, doch die Anstrengungen des letzten Jahres und der heutigen Nacht rollten wie eine Lawine über ihn hinweg. Raffael zitterte am ganzen Körper und seine Zähne klapperten leicht. "Ist dir kalt?" fragte eine müde Stimme neben ihm. "Nein" log der Hexer. "Ich merke doch, dass du zitterst!" "Ich bin nur müde" "Soll ich dich wärmen?" fragte Farviriol belustigt. "Denk nicht mal dran!" grollte Raffael. Der Elf lachte vor sich hin. "War es so schlimm?" fragte Raffael. "Schlimmer, als ich es je zu dir sein könnte" Farviriols Stimme klang erschöpft und gequält. "Sie war es, die dich zu dem gemacht hat, was du heute bist" Raffael lachte leise. "Schon seltsam, dass du zu dem geworden bist, was du so hasst!" "Ich habe es akzeptiert und Gefallen daran gefunden" Farviriol rollte sich auf die andere Seite und sah Raffael in die Augen. "Und dir wird es nicht anders ergehen" Der Hexer hielt dem Blick des Elfen stand. Es bereitete ihm nicht einmal mehr Mühe. "Nein" sagte er selbstsicher und schüttelte den Kopf. "Ich gehe nicht den Weg des geringsten Widerstands. Du hast deine Wahl getroffen und ich die meine. Wir werden stets Feinde bleiben, aber im Gegensatz zu dir, werde ich mich nicht dabei verlieren. Ich werde weder meine Freiheit, meine Seele, noch meine Liebe zu anderen Menschen aufgeben. Dir wird es nicht gelingen, mich zu einer verkrüppelten Existenz zu machen, wie du es bist" Raffael konnte nicht erklären, woher seine Zuversicht kam, doch trotz seines erbärmlichen, körperlichen Zustands, war er nie stärker gewesen. Kapitel 7: Weihnachtsgeschenkle für Arzu! ^^ -------------------------------------------- >>>"Dröhnend knarrte der massive Boden unter seinen Füßen. Mit rasender Geschwindigkeit donnerte das Ungetüm aus Erz, Feuer und Stein auf die Stadt des Lichts zu. Unter der Tausende von Tonnen schweren Last würde alles Leben zermalmt werden. Die Stadt, die seit der ersten Dämonenschlacht keine schlimmere Katastrophe erlebt hatte, würde fallen. Wehrheim, das stählerne Herz des Reiches war zerstört, die Armeen, die den gigantischen Weltenbrand überlebt hatten, in alle Winde zerstreut, die Königin war gefallen, die Greifen hatten ihr Leben gegeben und seine Freunde kämpften den aussichtslosen Kampf gegen die niederen Dämonenheere im Inneren der Festung. Und sie waren nur zu fünft. Zusammen würden sie am Boden zerschellen, auf den größten Praiostempel Deres stürzen und unter sich die Kirche der Götter begraben. Aber dafür lebte die Bevölkerung! Die Wahl war ihnen nicht schwer gefallen. Hunderttausende würden überleben und sie neu errichten! Wenn das Volk des Mittelreichs für eines bekannt war, dann dafür, dass es aus der Asche auferstehen konnte! Der warme Frühlingswind streichelte Raffaels Gesicht, zart, wie die Hand einer Mutter, die ihr Kind zum schlafen bettet. Zum letzten Mal würde er auf die größte Stadt des Mittelreiches blicken, die jetzt brennend unter ihm lag. Wehmut erfüllte sein Herz. Viele waren gestorben. So viele. Doch es war die Mühe wert. Einer der Heptarchen hatte seinen letzten Atemzug getan und einer der sieben Teile von Borbarads Krone würde in die richtigen Hände geraten und für immer verwahrt werden. Wieder war ein Angriff auf das Herz Aventuriens abgewehrt worden, doch um welchen Preis? Der Hexer sah auf sein Schwert. Rotes Blut tropfte von der blitzenden Klinge. Er konnte sein Spiegelbild in dem blanken Stahl sehen. Es war sein Gesicht, aber verzerrt durch das viele Blut und den Dreck der bestandenen Kämpfe. Er war des Tötens so müde. Doch ein Kampf stand ihm noch bevor. Vermutlich sein letzter. "Bringen wir es zu Ende!" hörte er hinter sich eine wohlbekannte Stimme. Raffael drehte sich langsam um, der Wind riss ihm das Band aus den Haaren, das "er" ihm geschenkt hatte und wehte ihm seine schwarzen Strähnen ins Gesicht. Das Band tanzte seinen Abschlussreigen auf dem Weg in die Tiefe. Der Hexer lächelte traurig. "Ja, bringen wir es zu Ende" Raffael stürzte sich auf den Mann und klirrend prallten ihre Schwerter gegeneinander."<<< Raffael schlug schreiend die Augen auf und erwachte in dem großen Doppelbett. Mit einem Ruck setzte er sich auf. Sein Atem war schnell und unregelmäßig. Schweiß lief ihm die Stirn hinab. Wieder einer dieser Träume. Der Hexer starrte geradeaus. Auf dem eisernen Geländer, das mit Blumen zugewachsen war, saß ein kleiner, blauer Vogel. Zwitschernd begrüßte er die Sonne. Es war Mittag. Raffael fuhr sich über die Stirn. Seine Brust hob und senkte sich immer noch zu schnell und sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Nur langsam konnte er sich sammeln. So einen schlimmen Traum hatte er nicht mehr gehabt, seit... Solch einen Traum hatte er das letzte Mal gehabt, vor Farviriols nächtlichem Überfall im Zelt von Oruha. In der Nacht, bevor seine Familie ausgelöscht worden war. Raffael war kein Medium zum Prophezeien gewesen, doch jetzt wurde er das Gefühl nicht los, dass dies nicht nur ein einfacher Traum gewesen war. Etwas Gigantisches bahnte sich an. Ein Ereignis, das Geschichte schreiben würde. Während er vor sich hin sinnierte und ab und zu über seine noch schmerzenden Einstiche am Hals fuhr, bemerkte er nicht, dass sich eine weitere Person im Zimmer befand. Erst als sie über den großen Teppich am Boden stolperte, schreckte der Hexer auf. Marie stand mit geweiteten Augen vor ihm, die sich jetzt langsam mit Tränen füllten. Tapfer schluckte sie ihr Schluchzen hinunter, in einer Hand einen Eimer, in der Anderen einen Schrubber. "Also doch" sagte sie schmerzerfüllt. "Ich kann eben nicht mithalten" Ihre gebrechliche Gestalt wurde noch ein Stück kleiner. Beide starrten sich an. Die Situation war absurd und verfahren. Ganz gleich, was Raffael jetzt auch sagte, er lag im Bett des Elfen und Marie würde ihm nicht glauben, dass er vor Erschöpfung einfach nur eingeschlafen war. Wie sollte er es ihr auch erklären? Marie stellte kommentarlos den Eimer ab, tauchte den Schrubber in das schäumende Wasser und begann den bräunlich, übelriechenden Fleck auf dem Teppich zu bearbeiten, den der Hexer hinterlassen hatte. Mit mehr Kraft, als nötig gewesen wäre. Raffael seufzte und knetete seine Finger, bis er die Knöchel knacken hörte. Es war zum aus der Haut fahren. Er hatte sich gerade wieder mit ihr vertragen, da brachte der Zufall sie wieder auseinander. >>Zufall? In diesem Haus geschieht nichts durch Zufall!<< dachte er grimmig. Farviriol hatte das Mädchen ohne Zweifel nach oben geschickt, damit sie dieses Bild vorfand. Er konnte Marie gut verstehen. "Würdest du mir glauben, wenn ich dir sage, dass ich hier nur geschlafen habe?" fragte er vorsichtig. Marie traktierte den Teppich wie besessen, gab Raffael aber keine Antwort. Er konnte sie wirklich gut verstehen. Raffael krallte seine Finger in eines der Laken. In ihm drohte jeden Moment ein Vulkan auszubrechen. Mit einem gewaltigen Satz war er auf den Beinen und aus dem Bett, rannte Maries Eimer um, in einer Geschwindigkeit, dass sie nur erschrocken zusammenfuhr und stürmte die Treppen hinunter. Der Hexer stieß krachend die Tür zur Bibliothek auf. Drinnen am Schreibtisch saß Farviriol in seine Arbeit vertieft. Durch den Lärm sah er von seinen Papieren auf, jedoch keinesfalls überrascht. "Was kann ich für di.." Weiter kam er nicht, denn Raffael griff über den Tisch, packte den Elfen am Kragen und rammte ihm ohne Vorwarnung die Faust ins Gesicht. Farviriol wurde durch die Wucht zurück geschleudert, doch durch eine elegante Bewegung zur Seite gelang es ihm problemlos auf den Beinen zu bleiben. Erstaunt rieb er sich die schnell blau werdende Stelle an seinem Kinn. Auch wenn der Hexer kein guter Kämpfer war und er seine Prügeleien immer mit mehr Glück als Verstand bestritten hatte, brachte die Wut in ihm ungeahnte Kräfte hervor. Raffael knallte beide Hände flach auf den Tisch und machte seinem Ärger Luft. "Seele hin oder her. Lass sie in Frieden, oder ich vergesse mich!" brüllte er den Elfen an, dessen Regenerationskräfte sofort einsetzten. Das Blau seines Kinns wurde zu Rot, einem schwächlichen Rosaton, der umgehend verschwand. "Ganz schön harter Schlag" sagte Farviriol anerkennend und knackte ein wenig mit seiner Kaumuskulatur. "Jedem Anderen hättest du leicht den Kiefer brechen können!" Farviriol rückte seinen Sessel zurecht, der durch Raffaels Attacke gegen die Wand gestoßen worden war und einige Bücherstapel zum kippen gebracht hatte. Dann nahm er wieder Platz und begann seine Papiere zu ordnen. Der Hexer lehnte sich immer noch über den Schreibtisch. Die Gleichgültigkeit mit welcher der Elf seine Forderung kommentierte, machte ihn rasend. "Sonst noch was?" fragte Farviriol beiläufig, zog einen Zettel unter Raffaels Hand hervor und siegelte ihn mit dem Zeichen des Skorpions. Zwei weitere dieser Stempel befanden sich auf dem Tisch. Einer war durch Raffaels Ausbruch zu Boden gerollt. "Wenn nicht, dann lass mich weiterarbeiten. Heute Nachmittag wird eine neue Schiffsladung Sklaven in Elburum eintreffen. Bis dahin müssen die Formalitäten geregelt sein" Raffael kickte einen Bücherstapel um. Teuer oder nicht. Das interessierte ihn im Moment nicht im Geringsten. "Deine Arbeit juckt mich so viel, wie wenn in Horasia einer dieser Stäbchenschwinger einen Furz lässt!" Jetzt ging mit Raffael sein Zigeunertemperament durch. "Sehr blumige Aussprache" Der Elf sah von seiner Arbeit auf, ein herausforderndes Funkeln in den grünen Augen. Farviriol stand auf, beugte sich zu Raffael vor und drückte seine Hände auf dem Tisch fest. "Du weißt, ich würde jederzeit mit Vergnügen ein kleines Spielchen mit dir treiben" wisperte er dem Hexer ins Ohr, dass sich Raffael die Nackenhaare sträubten. Dann seufzte er tief, entließ die Hände des Hexers und setzte sich in seinen Sessel zurück, "aber ich fürchte wir müssen das verschieben, denn ich habe leider keine Zeit" "Wie bedauerlich" äffte Raffael ironisch. Der Weißhaarige, lächelte bloß verschlagen. "Ich hoffe doch, du wirst dich dann auch schön zur Wehr setzen?!" Die grünen Augen des Elfen blitzten gefährlich auf. Immer wenn Raffael dieses Glitzern in Farviriols Augen laß, war es besser ihn nicht weiter zu reizen. Auch er konnte die Disziplin mal hinten anstellen. Er würde sicherlich einen Schuldigen finden, der für seine Verfehlungen verantwortlich gemacht werden konnte. Aber es war an der Zeit, dass er zurückschlug. >>Du willst, dass ich mich wehre?<< dachte Raffael >>gut, das kannst du haben!<< In seinem Gehirn begann es zu arbeiten. Wenn er aus Oron jemals heraus kommen wollte, war es nötig ein paar Versuchsoperationen zu starten. Wenn Raffael den Elfen auf seinem eigenen Gebiet schlagen könnte, würde er früher oder später auch einen Weg finden diesen ungastlichen Ort zu verlassen. Und vielleicht schaffte er es sogar Marie mitzunehmen. Und dass Farviriol ihm den Wurmdämon entfernt hatte, war ein großer Fehler gewesen, denn jetzt konnte er wieder auf die Magie zurückgreifen. >>Dir werde ich in die Suppe spucken, mein Freund!<< Ein direkter Angriff war unmöglich und der Hexer brachte es auch nicht fertig den Elfen einfach umzubringen. Es ging schließlich nicht nur um das Leben von Farviriol. Blakharaz würde garantiert wieder an seine Seelentür klopfen, wenn er seinem Rachegedanken nachgab. Und dieses Risiko war die Sache nicht wert. Also musste man Farviriol da treffen, wo er am leichtesten verwundbar war: seine Eitelkeit! Er käme nie auf die Idee, dass jemand seiner Stellung oder seinem Ansehen gefährlich werden könnte. Raffaels Blick fiel auf das Siegel, das noch auf dem Tisch lag und ein listiges Grinsen schlich sich auf seine Lippen. Nicht sehr deutlich, denn wenn er eins in den anderthalb Jahren gelernt hatte, dann, dass der Elf Borbaradmoskitos husten hörte. In seinem Kopf nahm ein bestimmter Plan langsam Gestalt an. Es wurde Zeit ein wenig in Zigeunerbahnen zu denken! Sein Lächeln wurde breiter. Diesmal gewollt und ganz bewusst. Raffael setzte sich übertrieben kokett auf den großen Eichentisch. Dabei zerknüllte er einige Formulare unter sich und schupste wie beiläufig die zwei Füllfederhalter von der Platte. Wenn er nicht aufpasste, konnte ihn das, was er jetzt tat, leicht wieder in das unterirdische Gewölbe bringen. Und er war außer Übung. Selbst als er noch zu den Zahori gehörte war er nie ein guter Dieb gewesen. Mit begehrlichem Blick beugte er seinen Oberkörper nach vorne, bis er zu Farviriol aufsehen musste. Dabei achtete er darauf, dass sein Oberkörper möglichst genau über dem Skorpionsiegel lag und der Elf keine Einsichtsmöglichkeit über diesen Bereich des Tisches hatte. Das Siegel stach ihm in eine seiner rechten Rippen, doch der Hexer verzog keine Miene. Der Elf zeigte die erwartete Reaktion. Er misstraute der Wandlung des Hexers. Aber ein Lächeln unverhohlener Freude konnte er sich dennoch nicht verkneifen. "Darf man fragen, was das wird?" war die skeptische Frage. Raffael stemmte sich auf den rechten Arm, ging katzenhaft auf die Knie und mit der freien Hand zog er sich mit Hilfe der Schreibtischkante bis zu Farviriol, so dass er nun den Elfen um eine Kopfeslänge überragte und dieser gezwungen war zu ihm aufzusehen. Nur noch wenige Spann trennten sie beide. Nun war die optimale Ausgangsposition gegeben, um das Siegel an sich zu bringen. "Nun ja" hauchte er heiser "wenn ich dich hier halte, dann kannst du dich nicht um die Sklaven kümmern" Er streckte eine Hand aus streichelte zärtlich über Farviriols Wange und zog ihn ein Stück näher zu sich heran. Wenn Raffaels Plan gelingen wollte, musste der Elf sich voll und ganz auf sein Gesicht konzentrieren. "Du bietest dich an, damit ich sie nicht verkaufen kann?" Besonders überrascht schien er aber nicht zu sein. Farviriol kannte den Hexer mittlerweile lange und gut genug, dass er damit rechnen konnte, dass er nicht bloß zuschauen würde, wenn etwas gegen seine hohe Moral sprach. Er schwor sich, nicht mehr so leichtfertig ehrlich über seine Pläne zu sprechen. Er lächelte vor sich hin. Allerdings hatte eine gewisse Ehrlichkeit offensichtlich seine Vorteile. Raffael beugte sich noch ein weiteres Stück nach vorne. Seine Hand wanderte von Farviriols rechter Wange zu seinem Haaransatz. Zärtlich strich er die Konturen der spitzen Ohren nach. Äußerlich spielte der Hexer überzeugend, doch in seinem Inneren musste er an sich halten die Maskerade aufrechtzuerhalten und seine Hand nicht angewidert fortzuziehen. Die Wut ließ ihn weitermachen. Es war nötig zurückzuschlagen. Mit seiner anderen Hand tastete er vorsichtig die Tischplatte nach dem Siegel ab. Farviriol wollte Raffael entgegen kommen und das letzte, kleine Stück zwischen ihren Lippen schließen, doch Raffael wich spielerisch zurück, so dass nicht mehr als eine flüchtige Berührung von dem geforderten Kuss übrig blieb. "Oh nein, das wirst du schön bleiben lassen. Diesmal bin ich dein Herr!" sagte Raffael noch immer in der Nähe von Farviriols Mund mit seinen Lippen verweilend. Er spürte die verlockende Wärme, die von ihnen ausging. "So schnell vergisst du Marie?" stichelte der Elf und blickte ihm herausfordernd in die Augen. >>Bestimmt nicht. Sie ist einer der Gründe, warum ich das hier tue!<< Raffael überging den Einwand und quittierte ihn lediglich mit einem wissenden Lächeln. Seine Hand suchte weiter im Bereich seiner Oberschenkel nach dem Siegel. Die rauhe Tischplatte wehrte sich gegen das Abtasten auf ihre eigene Art. Nach dieser Aktion würde er erst einmal Holzsplitter ziehen dürfen. "Aber mir soll es nur recht sein, auch wenn ich dem Frieden nicht traue" Farviriol gehorchte und lehnte sich in seinem Sessel zurück. Der süßliche Geruch nach frisch erblühten Rosensträuchern hüllte sie beide ein. Warme Hände legten sich um seine Seele. >>Irgendwann musst du ihn fragen, was er benutzt, um so zu riechen<< dachte Raffael. Einen anderen klaren Gedanken konnte er nicht fassen. Der betörende Duft verwirrte ihm die Sinne. Er bemerkte nicht, wie viel Zeit verging. Auf einmal war die Hand des Elfen bei der von Raffael und liebkoste sie. Er fuhr jeden einzelnen Finger ab. Dabei ließ er Raffaels Gesicht nie aus den Augen. Der Hexer hielt in seiner eigenen Bewegung inne. Die kleine Berührung seiner Hand, die auf Farviriols Ohr ruhte genügte, um den feinen Haarflaum auf seinem Unterarm sich ihr entgegen stellen zu lassen und die Lippen leicht zu öffnen. Für einen Moment musste er die Augen schließen, denn das Gefühl der Hände Farviriols auf seiner Haut war überwältigend. Ein Augenblick der Farviriol ausreichte, um die Distanz zwischen ihnen beiden zu schließen. Ehe der Hexer sichs versah war er dabei begierig den sich ihm bietenden Mund zu erkunden. Er schmeckte nach einem frischen Frühlingstag, nach blühenden Blumen und reifen Früchten. Es war der perfekte Kuss. Nie wurde er besser geküsst. So musste ein Kuss schmecken. Nicht anders. Genauso hatte Raffael sich den paradiesischen Kuss vorgestellt. Der Hexer presste sich gegen den Elfen. Dieser hob seinen Kopf noch ein weiteres Stück an, um ihm entgegen zu kommen. Raffael hörte den gleichmäßigen Rhythmus von Farviriols Herzen gegen seine Brust hämmern. Es freute sich, dass er da war. Mit beiden Händen griff er in den silbernen Haarschopf und drückte ihn noch enger an sich, als ob er aus zwei Wesen eins machen wollte. Schwarze Fluten vereinten sich mit Silbernen. Licht und Dunkelheit. Der volle Mund, der seinen bedeckte erwiderte begierig die dargebrachte Leidenschaft. Raffael spürte, wie seine Lippen zu schmerzen begannen, doch es war ein lieblicher Schmerz. Er schmeckte den metallischen Geschmack seines eigenen Blutes. Doch es störte ihn nicht. Alles was in diesem Moment zählte war das Paradies, das sich unter ihm bot. Vergessen war der Plan, Marie, er selbst. Starke Arme umfassten seine Hüften und zogen ihn mit spielender Leichtigkeit zu sich herab, so dass er jetzt auf dem Schoß des Elfen saß. Der Sessel knarzte bedenklich unter dem zusätzlichen Gewicht. Alles was Raffael je gewollt hatte, war hier. Zu Gut. Zu perfekt. Falsch. Raffael spürte warme Hände auf nackter Haut. Auf einmal waren seine Gedanken klar. Erschrocken über sich selbst, löste er den Kuss und wich entsetzt zurück. Die warme Umarmung seiner Seele verschwand. Farviriol versuchte nicht ihn festzuhalten und nahm lächelnd seine Hände von Raffales Rücken. Sein Hemd war heraufgerollt. Der Hexer brachte es eilig wieder in Position. Sein Herz hämmerte ihm in den Ohren. "Schade. Fast hätte ich dich gehabt" grinste ihm der Elf frech entgegen. An seinem Mund lief ein dünnes Rinnsal frischen Blutes herab. Farviriol leckte ihn mit seiner Zungenspitze sauber. Raffael stolperte entsetzt weiter zurück, bis er gegen den Tisch krachte. Dabei rollten einige Gegenstände zu Boden, unter anderem auch das gesuchte Siegel. Farviriol begann heiter zu lachen und stand auf. Der Panik nahe brachte Raffael einen Schritt Raum zwischen sich und den Elfen. "Kein Angst, für heute hast du mir genug entgegen gebracht. Und das fast freiwillig. Aber fürchte dich nicht. Ich halte mein Versprechen, das ich dir gegeben habe. Kein Seelenraub" Farviriol bückte sich nach den verstreuten Dokumenten und seinem Schreibzeug. Raffael erspähte das Siegel. Es lag nicht weit entfernt von dem Elfen. Der Hexer ging in die Hocke und kramte ebenfalls die heruntergefallen Sachen zusammen. Dabei rutschte ihm das Siegel "ungewollt" in seinen Ärmel. Vorsichtig schaute er zu dem Elfen. Er drehte ihm gerade den Rücken zu. Er hatte es nicht bemerkt. "Hier" sagte Raffael und streckte Farviriol einige Bücher und Schriftstücke entgegen. "Leg sie einfach auf den Tisch" Raffael tat wie ihm geheißen und verließ dann mit rotem Kopf eilig den Raum. Der Hexer lehnte sich an die geschlossene Tür. Aus der Bibliothek hinter ihm ertönte immer noch Papierrascheln und hektisches Gekrame. Farviriol ordnete das Chaos, das sie beide hinterlassen hatten. Es würde ihn sicher nicht verwundern, wenn er eines der Siegel nicht gleich wiederfände. Bei der Unordnung könnte es durchaus unter einen der Schränke gerollt sein. Bei dem Gedanken an den Elfen donnerte sein Herz ihm in den Ohren, bis er das Gefühl bekam, es wolle das enge Gefängnis seiner Rippen sprengen. Das Blut schoss ihm in die Wangen. Für einen winzigen Augenblick hatte er in der Bibliothek alles um sich herum vergessen. Es hatte nichts mehr gezählt, weder das Leben der Menschen an Bord des eintreffenden Schiffs, Maries gebrochene Augen, als sie ihn im Bett Farviriols erblickte, noch er selbst. Für einen Bruchteil wollte er nur für ihn leben. Alles vergessen. Die Welt, das Leid, sich selbst! Die Unterkante des Siegels schnitt in die Handfläche des Hexers. Sein krampfhafter Griff um den Gegenstand löste sich. Tinte bedeckte einen Großteil der Innenseite seiner Hand, der feine Strahl roten Bluts schimmerte dennoch durch das dunkle Blau hindurch. >>Du brauchst jetzt einen klaren Kopf!<< ermahnte er sich und starrte grimmig auf die kleine Wunde. "Soviel von meinem Blut ist wegen dir schon geflossen!" Wut und Schmerz waren schon immer gut zum Klären romantischer Gedanken gewesen. Der Hexer grollte gegen sich selbst. Er hasste seine Unfähigkeit Farviriol gelassen entgegenzutreten und sich von ihm immer mehr einnehmen zu lassen. Er stand einem verführerischem Monster gegenüber, dem er, besseren Wissens um seine Verdorbenheit, zu gerne entgegeneilen würde, um es wieder und wieder zu umarmen, bis es seine Seele restlos verzehrt hatte. Bisweilen bedauerte er zutiefst das Angebot eines anderen Monsters nicht angenommen zu haben. Wie viele mussten es wohl sein? Etwa an die hundertfünfzig Menschen nachtschwarzer Haut, schätzte der Hexer. Männer, Frauen, ja sogar Kinder wurden die langen Planken des Zweimasters hinunter geführt, manche der Kinder nicht älter als ein halbes Jahrzehnt. Sie klammerten sich mit ihren kleinen Händen und den unschuldigen Augen an die zerfetzten Kleider ihrer Mütter. Bald würden sie ihre Kindheit hinter sich lassen und das Leuchten ihrer Augen abgetötet werden. Zurück würden nur noch wandelnde Leichen mit getöteten Verständen bleiben, die Herzen verdorrt, erzogen von Wesen, die nicht liebten, nicht fühlten und nur benutzten. Zu Leben unfähig, zum Sterben nicht stark genug. Gefangen in einem dahin vegetierenden Zustand endlosen Siechtums. Raffael trat aus dem Schatten der gestapelten Holzkisten. Es war später Nachmittag und er war in einen etwas zu großen, roten Mantel des Elfen gekleidet. Farviriol überragte ihn um gute zwei Kopfeslängen, doch von der Statur her passte er etwa in den Stoff. Der Elf war für seine Größe recht schmal gebaut. So glich sich der Größenunterschied wieder etwas aus. Sein Haar hatte er streng nach hinten gekämmt und zu einem fest geflochten Zopf gebunden. Er war problemlos durch die Stadt gekommen. Einem Mitglied der Rotmänteln machte man lieber ehrfürchtig Platz, obwohl der ein oder andere verwunderte Blick ihn gestreift hatte. Raffael konnte nur erahnen, dass es mit seinem fehlenden Pferd zusammenhängen musste. Mitglieder von Farviriols Regiment waren stets beritten. Doch wie hätte er den Wachen in Farviriols Haus erklären wollen, wozu er den schwarzen Hengst des Elfen brauchte?! Er hatte sich mit einem Beutel indem der Mantel verstaut worden war, ungesehen aus dem Haus geschlichen. Raffael war davon überzeugt, dass die Wachen sein Verschwinden bei seiner Rückkehr nicht melden würden. Die Angst vor der Strafe des Elfen war zu groß. Er war schließlich wieder da und nur das zählte. In Raffaels Hand befand sich ein briefgroßes Stück Pergament, zusammengerollt und mit dem Zeichen des schwarzen Skorpions gesiegelt. Das Siegel befand sich in seiner Gürteltasche. In dem Brief stand nicht mehr, als eine Notiz. Raffael hatte sich beeilen müssen, einige Zeilen zu Papier zu bringen. Farviriol war nicht persönlich zu den Verhandlungen mit den Sklavenhändlern aufgebrochen, sondern wurde zu Hofe gerufen. Vermutlich um noch einmal für den gestrigen Abend Rechenschaft abzulegen. Wie lange er außer Haus war, musste er abschätzen. Der Elf hatte zwei seiner Männer geschickt mit den Frachtbriefen und dem nötigen Geld, die Schiffsmannschaft zu entlohnen. Glücklicherweise kannte der Hexer sie nicht. Er schloss daraus, dass er den Männern daher ebenfalls unbekannt sein musste. Raffael riskierte viel, wenn er ihnen entgegeneilte und ihnen das Schriftstück frei Haus präsentierte. Aber Angriff war die beste Verteidigung und Oruha hatte ihn gelehrt, dass man am unauffälligsten wirkte, wenn man sich auffällig benahm. Raffael ging auf die beiden Rotmäntel zu, die mit dem Sklavenhändler, einem bulligen Seebären mit blauem Turban und dunkelbrauner Haut über den angemessenen Preis feilschten. Einige schwarze Locken lugten unter dem blauen Stoff hervor, der kunstvoll zu einem Turm auf seinem Haupt gewickelt war. Der Sklavenhändler war in Pluderhose und Weste gekleidet, die seiner breiten Brust und dem Bauchansatz kaum gewachsen waren. Mehrere dunkle Büschel dichten Brusthaars schmückten die stattlichen Muskeln. Dem hühnenhaften Mann, der selbst den Elfen noch um eine gute Kopfeslänge überragen musste, war ein tiefes Grinsen in die Züge gemeißelt. Etliche Narben zeichneten das etwa vierzig Jahre alte Gesicht. "Wir geben dir keinen Dukaten mehr, Calif. Die Waldmenschen sind nicht mehr wert. Unser Herr hat uns aufgetragen dir zehntausend Dukaten auszubezahlen und keinen Kreuzer mehr! Und nun troll dich!" erklärte der Kleinere von beiden. Neben dem tulamidyschen Riesen wirkte er wie ein verlorenes Kind. Der Mann verschränkte geduldig und mit einem breitem Lächeln die Arme vor der Brust und wurde noch ein weiteres Stück furchteinflößender. Seine lässige Pose verriet seine deutliche, körperliche Überlegenheit und dass dieser Wicht vor ihm, ihm nichts zu sagen hatte. Alleine seine Fäuste könnten den Kopf des Rotmantels binnen Sekunden zerquetschen und nur einen feuchten, undefinierbaren Haufen aus Knochen, Blut und Gehirnmasse hinterlassen. Doch Mitglieder der Rotmäntel waren nicht zu unterschätzen. Farviriol war kein Narr und er wählte sorgfältig. Wer es bis in sein Regiment geschafft hatte, gehörte zur Elite aventurischer Kämpfer, auch wenn sie auf der falschen Seite standen. "Ich glaube, das entscheide ich, wieviel meine Fracht wert ist, Sahib. Ihr sprecht von Menschen, nicht von Vieh" erwiderte der dunkle Riese gelassen. "Wo ist Euer Herr, dass er nicht selbst kommt, um zu verhandeln. Warum muss ich mich mit einem Speichellecker zufrieden geben, der sich mit anderen um die Reste seines Tisches balgt?" Raffael konnte den Mann nur schlecht verstehen. Er sprach zwar Tulamidya, aber mit einem fremdländischen Akzent. Vielleicht war er Novadi, oder kam aus Gorien. "Hüte deine Zunge, Sklavenhändler. Du sprichst mit einem Mitglied der Ehrengarde Orons!" Stolz reckte der Kleinere das Kinn. Die Angst vor dem Hünen wich ihm dennoch aus jeder Pore. Das affige Verhalten wurde prompt durch schallendes Gelächter quittiert. "So ein stolzes Äffchen" >>Wie gesagt, affiges Verhalten<< ging es Raffael durch den Kopf. "Kehrt heim zu Eurer Mama, wenn Ihr vor mir zittert, als stündet Ihr Shafir persönlich gegenüber" Das Lachen des dunklen Riesen wurde lauter. Aus irgendeinem Grund fand Raffael Gefallen an dem dunklen Riesen. Er betrachtete sich die Augen des Mannes näher. Sie waren von einem ebenso dunklen schwarze, wie das Gesicht des Mannes. Er hatte erwartet, dass er etwas verdorbenes in ihnen wiederfinden würde, doch sie waren nicht von Bösartigkeit gezeichnet, sondern von jugendlicher Leichtigkeit, ja fast etwas schelmischen. Und dennoch lastete etwas schwer in ihnen, die ihm eine Reife verlieh und zeigten, dass dieser Mann zu schnell erwachsen werden musste. Er war nicht eins mit sich und seiner Arbeit. Wüsste es der Hexer nicht besser, er hätte behauptet, er hasse sein Geschäft. "Du wagst es mich zu beleidigen?" Die schrille Stimme des Rotmantels riss Raffael aus seinen Gedanken. Er war durch seine Musterung abgelenkt gewesen. Jetzt erblickte er das Desaster. Der Kleinere hatte seinen Säbel gezogen. Sein Begleiter versuchte ihn davon abzuhalten auf Calif loszugehen. "Beruhige dich!" ermahnte er ihn zur Ruhe. Doch seine Stimme klang, als müsse er sich selbst erst davon überzeugen, dass der Zuspruch auch helfen würde. "Lasst ihn Sahib. Soll er in sein Unglück rennen" Calif stand wartend mit verschränkten Armen da. Er hatte sich keinen Zentimeter vom Fleck gerührt. "Lass mich los, Iman! Ich werde diesem Stück Scheiße die Eier in sein dreckiges Maul stopfen!" schimpfte der Kleinere. "Ja, lass ihn los!" forderte Calif ihn auf. Iman der zweite Rotmantel ließ widerwillig seinen Kumpanen los. Dieser stürmte sobald er freie Handlungsmöglichkeit hatte mit gezogenem Säbel auf den Sklavenhändler ein. Der alte Seebär rührte sich nicht, bis zur letzten Sekunde wartete er ab. Dann trat er einen Schritt zur Seite und stellte dem Unvorsichtigen ein Bein. Der Rotmantel ging scheppernd zu Boden und landete in einem frischen Haufen Meeresfrüchte. Er hatte den gleichen Fehler gemacht, wie viele junge Kämpfer. Er griff an, ohne zu denken. Calif schnappte sich den Säbel und brach ihn mit nur einer Hand in der Mitte durch. Wie er es schaffte, sich dabei nicht den kleinsten Kratzer zu holen, blieb Raffael ein Rätsel. Wütend und nach Fisch riechend stand er auf, nicht ohne zweimal auf dem nassen Untergrund abzurutschen. Er bot eine lächerliche Vorstellung. Raffael war sich sicher, wenn sich das herumsprach, war er die längste Zeit Mitglied von Farviriols Männern gewesen. Es war an der Zeit dazwischen zu gehen. "Genug!" donnerte die Stimme des Hexers. Raffael war trotz seiner ungedeckten Position den Männern bisher nicht aufgefallen. Alle drei Köpfe wanden sich seiner Stimme zu. Der Hexer fühlte sich nicht ganz wohl und unsicher. Er spielte hier mit dem Feuer. Aber um Farviriol eins rein zudrücken, war er bereit einiges zu riskieren. "Noch einer von denen!" Calif zog genervt die Schultern nach oben. "Warum straft mich Rastullah mit solch einer Plage?" >>Also wirklich ein Novadi<< "Schweigt, novadischer Händler!" befahl Raffael und trat an die Seite der beiden Rotmäntel und drehte dem Hünen den Rücken zu. Ein gefährliches Verhalten. Man drehte seinem Gegner nie den Rücken zu, schon gar nicht ohne Waffe. Aber Raffael beabsichtigte nicht gegen Calif zu kämpfen. Sein selbstsicheres Benehmen würde demonstrieren, dass er den Sklavenhändler nicht zu fürchten brauchte und er sich sicher war diesen Nachteil durch Kraft und Geschick zu kompensieren. "Was war hier los?" fragte er mit barschem Ton. Sein überlegenes Auftreten zeigte bei den beiden jungen Männern Wirkung. "Wir sind uns nicht über den Preis einig geworden" gab Iman kleinlaut zu verstehen. Sein Kamerad beäugte den Hexer noch zweifelnd. Er nahm ihm seine Rolle nicht wirklich ab. Raffael wurde nervös. Der Hexer sprach mit drohend, leiser Stimme weiter. "Ich habe euch beobachtet. Ein solches Verhalten ist inakzeptabel. Auch wenn er, wie du dich beliebst auszudrücken nur "ein Stück Scheiße" ist, so ist er doch ein Handelspartner. Und du schuldest ihm den nötigen Respekt" Raffael ging nahe an den jungen Mann heran und wisperte ihm ins Ohr: "Erst recht, wenn er dir haushoch überlegen ist" Er nahm ihm wie beiläufig den Beutel mit Gold aus der Hand. Raffael merkte, dass auch der junge Zweifler jetzt überzeugt war, eine höhergestellte Persönlichkeit vor sich zu haben. "Und nun geht! Ich kümmere mich um unseren dunklen Freund" Die beiden neuen Gardisten nahmen die Beine in die Hand und suchten schleunigst das Weite. Raffael atmete erleichtert auf. Zu früh vielleicht, denn als er sich umdrehte starrte er in das breite Grinsen Califs. In seinen Augen konnte er erkennen, dass er ihn die ganze Zeit über gemustert hatte und sich sicher war, dass er nicht mal einen ausgebildeten Kämpfer vor sich hatte. "Gut gebrüllt, kleiner Löwe! Aber ich werde auch mit dir nicht verhandeln. Nicht mit jemandem, der noch weiter unten steht, als diese beiden Trottel!" >>Verdammt<< dachte Raffael. Er hatte einen erfahrenen Sklavenhändler vor sich und vermutlich war er zudem ein Pirat. Seine Menschenkenntnis musste beispiellos sein. Ihn zu überzeugen war ein Ding der Unmöglichkeit. >>Kann denn nicht einmal alles klappen, wie es soll?<< Er musste sich schnell etwas neues überlegen. Raffael gab seine Scharade auf. "Also schön, Calif, so war doch dein Name?!" Calif nickte misstrauisch. "Es stimmt, ich gehöre nicht zu diesem Pack. Ich bin hier, um dir ein Schriftstück zu überbringen" Der Hexer reichte ihm das Pergament. Calif verschränkte erneut die Arme vor der Brust. "Sag mir erst, wer du bist, Knirps" "Mein Name ist Raffael und mein Herr schickt mich" Bei dem Wort "Herr" hätte er sich am liebsten auf die Zunge gebissen. "Es gab eine Änderung. Die Sklaven müssen zurück in ihre Heimat" "Nach Uturia? Nie im Leben. Du lügst!" Calif nahm eine drohende Haltung ein und begann die Muskeln seiner Arme zu spannen. Raffael war bewusst, wenn es zum Kampf käme, konnte er seine Eingeweide vom Pflaster kratzen. "Ich lüge nicht. Ich habe das Schriftstück bei mir. Es trägt das Siegel von Farviriol" Raffael atmete tief durch und drückte dem Riesen den Brief in die Hand. Calif war überrascht. Bisher hatte sich keiner getraut ihn auch nur anzufassen. Und jetzt kam dieser Gartenzwerg und drückte ihm ohne Furcht einen Fetzten Papier in die Hand. Er gab ein tiefes Brummen von sich und öffnete das Siegel und las einen Moment. "Tatsächlich, hier steht, dass sie zurück müssen, weil sich erst gestern ein Großhändler in Al Anfa gefunden hat, der alle auf einmal kaufen will" Raffael hoffte, dass er den Braten schluckte. Auf die Schnelle war ihm nichts besseres eingefallen, als die zweite Sklavenhaltergesellschaft neben Aranien zu involvieren. Raffael wusste, dass der Schwarzmarkt zwischen Oron und der schwarzen Allianz von Al Anfa florierte, obwohl es eines der zwölgöttlichen Lande war. Calif sah auf. "Das genügt nicht. Jeder kann solch ein Dokument fälschen! Und du trägst eine Uniform, die dir nicht gehört" Der schwarze Riese war nicht dumm. "Also schön. Ich werde dir den Beweis liefern, den du brauchst. Es ist wahr, ich gehöre nicht zu Farviriols Garde, sondern bin sein Sklave. Ich habe die Uniform gestohlen, um mich leichter durch die Massen zu bewegen" Raffael lächelte verschmitzt. Es war nicht einmal gelogen, dass er leichter voran gekommen war durch die Uniform. " Ich hab es nicht so gerne, wenn man mich auf der Straße einfach mitnimmt" "dann beweis mir, dass ich dir trauen kann" Raffael legte seinen Mantel ab und zog sein Hemd aus. "Bei Rastullah, was hast du vor?" Erschrocken wich Calif einige Schritte zurück. Anscheinend teilte er die Vorliebe mancher oronischer Männer nicht. Ein weiterer Pluspunkt. Der Mann vor ihm wurde Raffael immer sympathischer. "Willst du ihn nun sehen, den Beweis, oder nicht?" fragte Raffael leicht genervt und drehte sich um. "Siehs dir an. Er hat mich gebrandmarkt. Ich gehöre zu seinem Besitz" Calif trat näher und begutachtete den verheilten Skorpion auf Raffaels linkem Schulterblatt. Vielmehr erschrak er über die vielen Narben auf dem Rücken des Hexers. "Glaub mir, niemand würde sich freiwillig wie ein Stück Vieh behandeln lassen" Die Worte fielen Raffael schwer. Diesmal musste er nicht einmal spielen. "In Ordnung" war die kurze Antwort des Novadis. Raffael atmete auf. Geschafft. Er zog sein Hemd wieder an und hob den Mantel vom Boden auf. "Was ist nun mit dem Geld?" fragte Calif. >>Ganz der Händler, was?<< dachte Raffael. "Hier, nimm alles. Für deine zusätzlichen Mühen!" Raffael warf ihm den gefüllten Beutel zu. "Was deiner Meinung nach über den Wert der Menschen hinaus geht, verwende für Lebensmittel und Kleidung. Niemand kauft Sklaven, die alt und krank sind" Raffael dachte an die abgeschlachteten Menschen seiner Familie. Farviriol hatte ausnahmslos gesunde und junge Menschen gefangen genommen. Calif wandte sich um. "Hisst die Segel! Bringt die Menschen zurück an Bord! Wir laufen aus" Es war getan. Raffael wandte sich um zum Gehen. Hinter ihm ertönte die Stimme des Sklavebhändlers. "Der Elf hat sich mit dir einen gefährlichen Gegner in sein Haus geholt, Junge" Raffael drehte sich erschrocken um. Das breite Grinsen war in das Gesicht des Hünen zurückgekehrt. "Sollte er jemals herausfinden, was du heute getan hast, dann sollten dir alle Götter gnädig sein, nicht nur die Zwölfe" "Wenn du weißt, dass ich dich belogen habe, warum läufst du dann aus?" fragte Raffael irritiert. "Weil ich weiss, wie es ist, wenn man seine Familie sterben sieht. Ich lese es an deinen Augen ab" Der Hexer lächelte traurig. Er starrte auf den Mantel in seiner Hand und warf ihn dann dem Sklavenhändler zu. "Komm niemals nach Oron zurück. Finde dein Glück anderswo" Calif nickte. "Salamalaicum, Junge" "Mit dir auch, Sklavenhändler!" Raffael wandte sich ab und ging. Das Schiff würde auslaufen. Er vertraute Calif. Auch wenn er Sklavenhändler war und vermutlich ein Pirat. Er war dennoch ein Ehrenmann, so seltsam es auch klang. Raffael konnte mit sich zufrieden sein. Die Sklaven waren auf dem Rückweg in ihre Heimat. Bis Farviriol auffallen würde, dass er um seine Ladung gebracht worden war, würde genug Zeit vergangen sein, Zeit, die Calif benötigte für den Seeweg. Zweifelsohne würde Farviriols Zorn grenzenlos sein und sich vermutlich an den zwei eitlen Gecken entladen, doch das kümmerte Raffael nicht. Der Hexer verspürte keinerlei Reue. Was kümmerten ihn die zukünftigen Sklavenfänger, die bereits in jungen Jahren auf vermeintlich Schwächeren herum trampelten. Er würde nach Hause gehen, das Siegel an seinen alten Platz stellen, eine Unschuldsmiene aufsetzen und geduldig auf die Rückkehr Farviriols warten. Er würde sich sein Geschrei äußerlich völlig gleichgültig anhören, bis der Wutausbruch sich gelegt hatte, in seinem Inneren aber, würde er ein triumphierendes Grinsen aufsetzten und mit dem wohligen Gefühl zu Bette gehen, dem Bösen diesmal eine Nasenlänge voraus gewesen zu sein. >>Ja, so ist es gut mein Kind!<< hörte er eine innere Stimme. Pfeifend machte sich Raffael auf den Heimweg. Das Haus war in hellem Aufruhr. Schon von der Straße aus war das laute Toben des Elfen zu hören und das Zerspringen von Glas. Beklemmnis stieg in ihm auf. Es war nicht geplant gewesen, dass Farviriol schon zurück sein würde. Etwas musste schief gelaufen sein. Mit dem Löwen in der Höhle, noch dazu außer sich, war es ein Ding der Unmöglichkeit das Siegel heimlich zurückzubringen. "Verdammter Mist" fluchte der Hexer. Die Beklemmnis wuchs zu Angst bis hin zu den ersten Anfänger echter Panik. Was würde Farviriol mit ihm anstellen, wenn er herausbekäme, dass er die Ladung Sklaven seinetwegen verloren hatte? Sein Ansehen bedeutete dem Elfen unendlich mehr, als seine eigene Seele, sicherte es ihm schließlich seine Freiheit. Raffael bezweifelte, dass die Passion des Elfen ,seine Person betreffend, so weit ging, dass er riskierte, seine Stellung zu verlieren. Er würde es melden müssen und bei dem Gedanken an die Gerichtsbarkeit Orons lief ihm ein eisiger Schauer über den Rücken. Gerichtsbarkeit. Ein Wort, das er mit dem Moghulat zu allerletzt in Verbindung gebracht hätte. Raffael strich sich über seine Arme, als fröstele er. Mit langsamen Schritten bewegte er sich auf das große Gebäude zu, das ihm auf einmal doppelt so groß erschien, als es noch vor wenigen Stunden gewesen war. Das bauliche Meisterwerk wirkte wie der Vorhof zu den Niederhöllen. Das große Tor öffnete sich für ihn unter leisem Ächzen der alten Angeln und Scharniere. Es kam dem Brüllen eines hungrigen Schlingerrachens gleich, der über und über mit messerscharfen Zähnen zum Zerfleischen besetzt war. Der Hexer nahm seinen Mut zusammen und betrat den Innenhof. Immer noch Gebrüll. Wieder das Zersplittern von Glas oder Keramik. Raffaels Nackenhaare stellten sich, als wollten sie schnellstens das Weite suchen. Er atmete tief durch, ging am hauseigenen Brunnen vorbei und betrat den Hauptkomplex des Hauses, aus dessen oberem Stockwerk das Geschrei nach unten drang. Bevor er die Höhle des Drachen betrat, würde er allerdings noch in der Bibliothek vorbeischauen. Kaum hatte er das Haus betreten donnerte eine Stimme vom oberen Treppenabsatz: "Raffael!" Die barsche Stimme des Elfen durchfuhr den Hexer wie einer von Rondras Blitzen. Zu sehen war allerdings noch nicht. Umsichtig versteckte Raffael das gestohlene Skorpionsiegel in seiner Gürteltasche und legte in lässiger Pose seinen Arm darüber. Dann erschien er auch schon auf den oberen Stufen. "Warum antwortest du nicht, wenn ich dich rufe?" herrschte Farviriol ihn böse an. Raffael wich einen Schritt zurück und setzte seine beste Unschuldsmiene auf. "Ich dachte es wäre besser, dir in deinem jetzigen Gemütszustand nicht unter die Augen zu treten. Man hört dich bis auf die Straße." Und lächelnd fügte er hinzu: "Weißt du, trotz allem hänge ich an meinem Leben!" Farviriol winkte ab. Dabei tanzten silberne Strähnen um seine Schultern. "Aber was gibt es denn, dass du selbst Boron aus seinem Schlaf zu reißen vermagst?" Der Hexer mischte geheucheltes Interesse seiner Stimme bei. Schnaubend beantwortete der Elf seine ohnehin unnötige Frage: "Deine ach so geliebten Sklaven, für die du dich heute morgen mit vollem Körpereinsatz eingesetzt hast, sind nicht geliefert worden! Calif ist mit seinem Schiff wieder ausgelaufen! Ich habe die Nachricht auf dem Weg zum Dock erhalten!" >>Das sind sie nicht<< dachte Raffael amüsiert und ein triumphierendes Grinsen stahl sich auf seine Züge. Farviriols Miene verdunkelte sich. Die grünen Augen waren nicht mehr juwelengleich. Sie waren mehr als nur von Zorn erfüllt. Rage und maßloser Hass war er gewohnt, doch diesmal war etwas neues hinzu gekommen, das Raffael nicht zu deuten vermochte. Sein Lächeln erstarb. Wusste der Elf, dass er für das Debakel verantwortlich war? "Ja, freu du dich nur!" Farviriol packte den Hexer am Arm. "Doch eins sollte dir klar sein. Die Sklaven sichern mein Leben und damit auch deines. Dimiona verzeiht Fehlschläge äußerst selten. Wenn ich falle, fallen andere mit mir! Und jetzt komm!" Farviriol zog Raffael hinter sich die Treppe hinauf. Das ungute Gefühl, dass der Elf im Bilde war wurde mit jeder Stufe stärker. Die gesamte schwarze Sichel fiel ihm vom Herzen. Die Befürchtung und an schiere Panik grenzende Angst war von ihm abgefallen und hatte sich in die hinterste Ecke seines Verstandes zurückgezogen, wo sie als leise Vorsicht mahnende Stimme kauerte. Farviriol wusste nicht, wie Calif der Sklavenhändler auf den Gedanken gekommen war die Sklaven nach Uturia zurück zu verschiffen. Er hatte das gesiegelte Schriftstück mit sich genommen und war mit ihm auf dem Weg in die Heimat der Waldmenschen. >>Oh schöne Welt<< dachte der Hexer, während er auf dem Bett sitzend den Wutausbruch des Elfen über sich ergehen ließ. "Dieser räudige Bastard!" Farviriols Hände krachten auf den Tisch mit der Wasserpfeife. Sie wackelte bedenklich auf ihrem erschütterten Untergrund. Staubfussel schwirrten durch die Luft und wurden durch die untergehende Sonne in ein liebliches Rot getaucht. Farviriol wanderte nervös im Zimmer auf und ab. "Er hat mich hintergangen. Vermutlich war es eine länger geplante Aktion! Mit dem Geld, das er für die Ladung erhalten hat, kann er sich problemlos zur Ruhe setzten, selbst wenn er seine Männer ausbezahlen muss" Die Wasserpfeife wackelte immer noch. Farviriol wurde ihrer gewahr. Die Vergnügen spendende Pfeife wurde zum Ventil. Der Elf schmetterte das bedauernswerte Geschöpf gegen die Wand, wo es in seine Einzelteile zersprang. Die Wucht reichte aus, um zusätzlich eine tiefe Einkerbung in der Wand dahinter zu hinterlassen. "Verflucht!" Farviriol stemmte die Arme in seine Seiten und starrte auf den Balkon hinaus. Seine Brust hob und senkte sich hektisch. Für einen Moment kehrte völlige Stille ein. Raffael meinte den Elfen zittern zu sehen. Jenes Zittern, das einen befällt, wenn man vor Angst nicht mehr zu handeln weiss. Aber das konnte nicht sein. Oder doch? Grenzenlose Wut, Begehren, Ekel, ja selbst Freude kannte er von ihm. Doch dass ein stolzer Mann wie Farviriol, dessen Name den meisten Menschen Aventuriens ein Begriff war und dessen Name in der Regel Angst und Schrecken verbreitete, sich wegen einer verloren gegangenen Schiffsladung fürchtete, war beängstigend. Die mahnende Stimme der Vorsicht pochte in seinem Schädel und flaute wieder zu der Furcht auf, die er zurück gedrängt hatte. Diesmal rief sie aber nicht der Elf hervor. In Raffael keimte der Verdacht, dass seine Tat weitreichendere Folgen haben könnte, als er angenommen hatte. Dieser Verdacht hatte sich eigentlich schon in Farviriols Worten am Treppenabsatz bestätigen müssen und wurde jetzt zu trauriger Gewissheit. Was hatte er gesagt? >>"Wenn ich falle, dann fallen andere mit mir!"<< Und er hatte Recht! Raffael wurde bewusst, dass er vermutlich mit seiner Aktion sein eigenes Grab geschaufelt hatte. Selbst wenn er Farviriols Strafe überlebte, indem er seine Machtposition untergraben hatte, hatte er sich dem Rest Orons ausgeliefert. Denn so absurd es auch war, er genoss nicht nur die negativen Seiten seiner Gesellschaft, sondern auch den Schutz des Elfen. So ungern er es sich auch eingestand, er war auf ihn angewiesen. Pawla hatte Recht gehabt. Er dachte zu wenig und handelte zu schnell. Der Zorn über das Verhalten des Elfen gegenüber Marie hatte ihn blind gemacht. Die Sklaven zu befreien war zwar eine gute Tat, doch auch eine noch so gute Tat wird verdorben, wenn sie aus den falschen Gründen ausgeführt wird. Raffael stellte sich die Frage, ob es wirklich sein Wunsch gewesen war, das Leben der Menschen an Bord zu retten, oder ob es ihm um etwas anderes gegangen war. Und er wusste die Antwort bereits. Er musste es sich nur noch eingestehen. Einzelne Perlen von salzigem Wasser rollten langsam über seine Wangen. Der Wunsch, einmal zu gewinnen. Es ihm heimzuzahlen. Rache. Süße und wohlschmeckende Rache. Eine Hand rüttelte an seiner Schulter. "Raffael?" Raffael sah auf und blickte mit geröteten Wnagen in tiefe, grüne Elfenaugen, Die Furcht des Elfen war einem anderen Ausdruck gewichen. Sorge. Er strich über die nassen Wangen des Hexers und leckte die salzige Flüssigkeit von seinen Fingerspitzen. Dann streichelte er durch Raffaels Haare. Diesmal wehrte er sich nicht dagegen. Dass der Elf diesen Fetisch besaß, war ihm überdeutlich aufgefallen. Zumeist blieb es aber bei einem durch die Haare streicheln. "Mach dir keine Sorgen. Ein Fehler genügt nicht um mich aus meinen Ämtern zu vertreiben. Es ist zwar nicht unmöglich mich zu ersetzten, aber doch recht schwierig. Deiner geliebten Marie wird also nichts geschehen. Zumindest nicht von jemandem außerhalb dieser Wände" Raffael war wie vom Donner gerührt. An das Mädchen hatte er bisher gar nicht gedacht. Für sie würde es der sichere Tod bedeuten, wenn Farviriol seine Stellung verlöre. Sie war in den Augen der Oronis nicht mehr wert, als ein verrottetes Stück Fleisch, das keiner mehr wollte. Bei Farviriol war sie gefährdet und litt unermessliche Qualen, aber sie lebte! Das Siegel in seiner Tasche wog auf einmal Zentner. Wie konnte er nur so gedankenlos gewesen sein, mit dem Leben von ihr und den anderen Dienern zu spielen. Eine gewonnene Schlacht entschied nicht über den Krieg. Einen privaten Krieg, den er gegen den Elfen führte, wenn auch nicht offen. Und es gab immer Opfer. Apathisch starrte Raffael an Farviriol vorbei. Für einen kleinen Sieg über den Elfen war er unbewusst bereit gewesen andere zu opfern. Er hatte einhundertfünfzig Menschen benutzt. Sie als Grund für seine Vergeltung vorgeschoben. Sie zu retten war nur sekundäres Ziel gewesen. Er wollte dem Elfen schaden. Körperliche Unversehrtheit bedeutete ihm nichts, aber dafür sein Ansehen. Und um dieses Ansehen zu schwächen hatte er Unschuldige missbraucht. Was immer jetzt die Konsequenz war, geschah wegen seiner mangelnden Selbstbeherrschung. Eine kleine Ewigkeit blickte Raffael aus leeren Augen vor sich hin, nicht wissend wie lange er schon da saß. Das Zimmer verschwamm vor seinen Augen. Die Welt wurde dunkel. Und kalt. So kalt. >>"Jaja, Vergeltung hat viele Gesichter. Und so sehr man sich auch wünscht es sei anders, der faulige Keim wird immer da sein. Es steckt in deinem Blut Junge und tief in deinem Herz. Er wird seine modernden Wurzeln durch dich hindurch ziehen, bis sie schließlich das strahlende Leuchten umwuchern und dich der Dunkelheit weihen, um sie durch deine Seele zu stärken für den bevorstehenden Kampf. Du wirst dich mir anschließen, wie viele andere vor dir. Und du wirst nicht der Letzte sein. Du wirst Teil meiner Armee sein, die gegen die goldene Stadt marschiert. Je stärker du dich wehrst, desto mehr wirst du leiden!" << "Nein, bitte nicht" wimmerte der Hexer, doch seine Stimme klang hohl und war nicht mehr, als ein klägliches Krächzen. Aus der Ferne vernahm er ein Geräusch, wie das Reißen von Stoff. Der Hexer erkannte eine schemenhafte Gestalt vor seinen Augen. "Nicht!" hörte er die vertraute Stimme sagen. Sie klang dumpf und nicht wirklich real. Raffael blinzelte. Das Gesicht vor ihm wurde klarer und auch die Stimme in seinen Ohren. "Hör auf, du verletzt dich selbst!" Raffael spürte einen zermalmenden Druck auf seinen Händen, konnte aber nicht bestimmen, woher er kam. Er sah hinab und brauchte einen Moment, bis er das Bild, das sich ihm bot, verarbeitet hatte. Seine Hände waren verändert. Seine Fingernägel waren zu scharfkantigen Krallen gewachsen, die in dunklem Blut gefärbt waren. In dem Augenblick, als er die tiefen Furchen auf seinen Händen erblickte, die seine eigenen Krallen gerissen hatten, begannen sie wie Feuer zu brennen. Farviriol war vor ihm in die Hocke gegangen. Kleinere Vernarbungen an seinen Armen waren dabei zu verheilen und fünf tiefe Kratzer auf seiner linken Wange schlossen sich. Der Hexer folgte den zerfetzten Ärmeln des roten Hemdes bis zu den Händen des Elfen. Sie umklammerten mit eisernem Griff seine Handgelenke und drückten sie auf seinen Oberschenkeln fest. "Was habe...ich getan?" stammelte er. "Gute Frage" kam die trockene Antwort des Elfen. "Nicht dass ich mich beschweren will, aber wenn du dich schon selbst zu quälen anfängst, dann doch bitte bei vollem Bewusstsein!" "Was meinst du damit?" Raffaels Stimme klang rauh und dumpf. "Du warst weggetreten, für eine ganze Weile" Misstrauisch fügte er hinzu: "Kann ich dich jetzt loslassen?" Raffael ließ die Worte des Elfen erst einmal sacken. Einen Augenblick zu lange. "Hallo?" fragte Farviriol und rüttelte kurz an seinen Armen. Raffael blinzelte und schüttelte den Kopf. "Ja, du kannst mich loslassen" Zögernd ließ Farviriol von den Handgelenken des Hexers ab, griff nach einem der Laken und zerriss es mühelos in kleinere Teile. "Du kannst einem ganz schön unheimlich werden!" Farviriol setzte sich vor Raffael auf den Teppich, nahm seine Hände und begann das Blut von ihnen zu tupfen. "Ich dachte schon, dein Verstand verabschiedet sich" Der Elf drehte die Hände des Hexers, um besser an die Wunden der äußeren Handflächen zu kommen. Sein Blick wanderte kurz von Raffaels Händen zu Boden. "Blut kriegt man so schlecht aus dem Teppich! Ich werde mir einen neuen anschaffen müssen" knurrte er. Der Hexer sah zu Boden. Vor ihm hatte sich eine tellergroße Lache gebildet. "Entschuldigung" Farviriol lächelte zufrieden und versorgte weiter die Verletzungen. Das Mondlicht tauchte den Raum in ein silbernes Leuchten. Glühwürmchen schwirrten durch die schwüle Sommernacht. Ein leises Knurren verließ Raffaels Kehle, als Farviriol zu fest zudrückte. "Na, na jetzt stell dich mal nicht so an. Da hast du doch schon schlimmeres erlebt! Ich habe angenommen, dass ich dir länger in Erinnerung bleiben würde! Der Elf grinste breit und wickelte ein frisches Stück Stoff um Handflächen und Handgelenke. Der Hexer sah auf seine Hände. Seine Krallen bildeten sich zurück. Er hatte seine astralen Kräfte wieder unter Kontrolle. Einen Zauber zu wirken, ohne dass er es bemerkte, war noch nie vorgekommen. "So, fertig. Nicht schön, aber selten!" Farviriol stopfte das Ende des provisorischen Verbands unter die anderen Lagen des Stoffs. Skeptisch beäugte Raffael das Werk des Elfen. "In der Regel brauche ich niemanden zu verbinden" sagte er zwinkernd. "Danke" "Entschuldigung und Danke am selben Abend. Ich fühle mich geehrt" witzelte Farviriol. "Hör auf, dich über mich lustig zu machen!" fauchte Raffael. Der Elf erhob sich graziös vom Boden und setzte sich neben ihm aufs Bett. "Jetzt verrate mir mal, was das hier eben sollte" Er deutete auf die verbunden Hände. Der Hexer wusste nicht wie er darauf antworten sollte. Wenn er erzählte, dass er wieder Besuch von Blakharz bekommen hatte, musste er Farviriol Rede und Antwort stehen, warum er gerade heute erschienen war. "Ich höre" ermahnte der Elf ungeduldig. "Würdest du mir glauben, dass ich es nicht weiss?" fragte er mit gesenktem Blick. "Nein. Du bist ein zu guter Hexer, als dass dir deine Magie einfach so entgleitet. Das hast du mir mehrmals demonstriert" >>Toll, einfach toll. Wenn er jetzt auch noch sagt, dass er eine dämonische Wesenheit gerochen hat...<< "Es sah allerdings so aus, als seist du weit weg gewesen. Etwas hat in dir darum gekämpft freigelassen zu werden" >>Sags nicht<< "Ich habe diesen Ausdruck schon einmal bei dir gesehen. Unten im Gewölbe" >>Oh ihr Götter, bitte nicht!<< "Er war wieder hier. Nicht wahr?" Farviriol legte eine Hand auf Raffaels Unterarm. Diese führsorgliche Berührung ließ ihn erzittern. "Ja, war er" gab er kleinlaut zu. "Warum heute?" Raffael schloß die Augen und hörte in sich hinein. Die Stimme des Herrn der Rache war immer noch da. Sehr leise, aber vorhanden. "Es hat eh keinen Sinn" sagte er mehr zu sich, als an Farviriol gerichtet. Der Hexer öffnete die Augen und wandte sich dem Elfen zu. "Du wirst eh keine Ruhe geben, bis du es weißt" Raffael würde sich der "Gnade" des Elfen ausliefern, auch wenn er damit den letzten Nagel eigenhändig in das Holz seines Sarges trieb. Er hatte falsch gehandelt. Aus den falschen Gründen helfen wollen. Um es besser zu machen, musste man seine Fehler zuerst eingestehen. Und vielleicht konnte der Elf verhindern, dass Marie etwas zustieß, wenn er sich selbst auslieferte. Irritiert blickten ihn grüne Elfenaugen an. Raffael deutete mit seiner verpackten Hand auf die Tasche seines Gürtels. "Würdest du mal? Ich komme mit meiner Hand nicht hinein" Farviriol griff mit der linken Hand in die Tasche, die Rechte verweilte auf dem Arm des Hexers. Er zog das Siegel hervor. Seine Miene verfinsterte sich in dem Augenblick, als er es als das seine erkannte. "Woher hast du das?" fragte er mit gefährlich ruhiger Stimme. "Casimir hat dich nicht hintergangen" Raffael machte eine Pause. Dann setzte er erneut an. Jetzt war es zu spät seine Entscheidung zu bereuen. "Ich habe dir das Siegel heute morgen vom Schreibtisch gestohlen und eines deiner Dokumente gefälscht, um die Sklaven zurückzuschicken. Der Sklavenhändler hat mir bereitwillig geglaubt, dass du mich geschickt hättest. Ich habe ihm das Brandzeichen auf meiner Schulter als Beweis gezeigt, dass ich zu dir gehöre" Raffael achtete darauf nicht zu sagen "dass ich dir gehöre". Der Elf lauschte schweigend der Geschichte des Hexers. Mit jedem weiteren Satz wurde seine Miene zu einer undurchdringlichen Maske. Sein Atem verlangsamte sich, bis Raffael glaubte, er habe ganz gestoppt. "Ich habe mich so über dich geärgert, wie du mit Marie umgehst. Ich ertrage es nicht, wenn du sie bestrafst, um mich zu demütigen" Raffael blickte Farviriol fest in die Augen. Er versuchte in ihnen zu lesen, was der Elf jetzt mit ihm anstellen würde. In seiner Phantasie malte er sich die schlimmsten Foltermethoden aus, die er noch nicht an ihm ausprobiert hatte. Farviriols Züge bewegten sich nicht die kleinste Winzigkeit. Er hatte zum ersten Mal die kalte, undurchdringliche Maske, die er in der Öffentlichkeit trug, auch in seinem Heim aufgesetzt. Nur seine Augen verrieten eine unendlich tiefe Enttäuschung. Seine Hand ruhte immer noch auf dem Unterarm des Hexers. Die zuvor fürsorgliche Berührung, wurde zur unerträglichen Last, obwohl sie sich nicht verändert hatte. Farviriols Griff hatte sich weder verstärkt noch war er grob geworden. Seine Fingerspitzen waren nur kalt geworden und hatten ihre Wärme verloren. Raffael konnte nicht anders und entzog sich seiner Hand. Dabei sah er furchtsam in das Gesicht seines Gegenübers. Er fürchtete sich diesmal nicht davor, dass Farviriol gewalttätig werden würde, sondern davor, dass er annehmen könnte, abgelehnt zu werden. Raffael hatte ihn verletzt. Er wusste es, ohne dass der Elf etwas sagen musste. Er hatte dem Hexer vertraut und aus welchem Grund auch immer, bedeutete Farviriol dieses Vertrauen viel. Raffael hatte ihn enttäuscht, ihn erneut hintergangen. Er fühlte sich schuldig. Seit er hier war hatte er sich verändert. Er brach sein Wort, brachte mutwillig andere in Gefahr und hegte den Wunsch nach Macht, um sich von Farviriol zu befreien. Der Elf war das schlimmste Ungeheuer, das ihm bisher begegnet war. Doch was war mit ihm? War er denn überhaupt noch besser? Was war aus ihm geworden? Raffael wandte sein Haupt zu Boden. Er konnte dem enttäuschten Blick nicht länger stand halten. "Sag etwas, schlag mich, wenn du willst, aber mach irgendwas" sagte er Hexer. Farviriol stand kommentarlos auf und wandte sich in Richtung des Nebenraums, in dem er und Raffael für gewöhnlich ihre Mahlzeiten einnahmen. Obwohl Lamijanim nach eigenen Aussagen des Elfen keiner Nahrung bedürfen, hatte er es sich nie nehmen lassen, dabei zu sein. Raffael starrte auf den Boden und hörte die sich entfernenden Schritte des Elfen. "Ich muss es melden" sagte er. Raffael sah auf und starrte auf den breiten Rücken, der von den hüftlangen Haaren geflutet wurde. Raffael hatte sich stets vor dem Mann in Rot gefürchtet. Wie ein tobender Dämon war er über ihn gekommen. Doch mit dem Mondlicht in seinem Rücken und dem langen Schatten, den seine Statur ins Zimmer warf, war dieses Bild einem anderen gewichen. Farviriol wirkte zerbrechlich. Zum ersten Mal erkannte der Hexer, dass Salil Recht hatte. Er hatte sich verändert. Einen normalen Menschen hätte diese Veränderung gestärkt, aber für einen Paktierer war es Schwäche. Und Raffael hatte in diese Kerbe geschlagen. Sein Vertrauensbruch hatte das aufkeimende Gefühl der Sorge und Güte zertreten. Farviriols Hand ruhte auf der Wand neben dem Rundbogen. "Es tut mir Leid" sagte Raffael. Farviriol schlug mit der Faust gegen die Wand. Die Kraft reichte aus, um ein Stück der Fließen heraus zu brechen. Der Putz bröselte zu Boden. "Ja, mir auch" sagte er und verließ den Raum. Kapitel 8: ----------- Farviriol war nicht zurück gekommen. Seit drei Tagen. Raffael sorgte sich. Sie waren im Streit auseinander gegangen, doch nichts war passiert. Weder er noch Marie wurden bestraft. Der Hexer hatte sich mit dem Mädchen ausgesprochen, sie überzeugen können, dass er nichts für den Elfen empfand. Details über den Mittag in der Bibliothek ließ er dabei besser aus. Marie teilte seine Sorge. Es war ungewöhnlich für Farviriol einen so schweren Verstoß gegen seine Gesetzte ungesühnt zu lassen. Es war beunruhigend. Über die Monate hinweg hatte Raffael sich ein Bild vom Elfen gemacht und geglaubt ihn einschätzen zu können. Aber seit ihrem letzten Gespräch war dieses Bild ins Wanken geraten und er wusste mit dieser veränderten Situation nicht umzugehen. "Was machen wir jetzt?" fragte ihn das Mädchen. Raffael stand mit Marie und den Anderen Bediensteten, sowie den beiden Wachen in der Küche. Zum ersten Mal brachen der Koch Pershal und Irina, das andere Dienstmädchen neben Marie, das Verbot des Elfen: Sie sprachen mit ihm. "Ich weiss es nicht" sagte Raffael überfordert. "Da hat er uns ja in einen schönen Schlamassel gebracht" knurrte der Koch und spielte nervös mit dem langen Löffel aus Holz. "Der Herr hätte ihn nicht mir hierher bringen dürfen. Er wird unser aller Verderben sein" "Wie kannst du nur!" fuhr Marie ihn böse an. "Glaubst du er ist gerne hier? Er kann sich schöneres vorstellen, als tagtäglich vom Herrn bedrängt zu werden!" >>Nicht sehr nett über jemanden zu sprechen, während die Person anwesend ist!<< dachte Raffael. Pershal betrachtete Marie argwöhnisch. "Du verteidigst ihn auch noch! Seit er hier ist, hast du nur noch gelitten. Schau dich doch an! Was der Herr seinetwegen mit dir gemacht hat" In Maries Augen blitzte der Ärger auf. Dem Koch taten seine Worte in dem Moment Leid, als sie ausgesprochen waren. Er war kein schlechter Mensch, fürchtete aber um seine Existenz. Raffael hegte daher keinen Groll gegen den Koch. Pershal stand seit mehreren Jahren in Farviriols Diensten und hatte sich seine Rechtschaffenheit bewahrt. Er gehörte noch zur ursprünglichen Bevölkerung Orons, als das Moghulat noch aranische Provinz gewesen war. Trotz der Übernahme durch die Belkelelanhänger, hatte er sich seine Freiheit bewahrt und seine Familie zu schützen gewusst. Er hatte sich den neuen Lebensumständen angepasst, ohne von ihnen vereinnahmt zu werden. Pershal hatte einen Weg gefunden im System zu überleben. "Ja, ich verteidige ihn!" hörte Raffael Marie sagen. "Weil ich gesehen habe, was der Herr mit ihm anstellt. Weich ich jeden Abend, nachdem du schon gegangen bist, hier war, seine Verletzungen versorgt und das viele Blut aufgewischt habe" Marie ging einen Schritt auf den Koch zu, der plötzlich still geworden war. Trotz ihrer gebrechlichen Gestalt strahlte sie eine Autorität aus, die anderen Mädchen ihres Alters nicht zu eigen war. Sie hatte sich verändert. Vor anderthalb Jahren war sie ein durch das Schicksal gezeichnetes, junges Ding gewesen. >>Sie ist zur Frau geworden<< dachte Raffael lächelnd. Immer noch mit mädchenhaften Zügen und zerbrechlichen Gefühlen, aber gereift. Hatte das viele Leid sie zu dem gemacht? Hatte die Qual sie gestärkt, ihr den Willen gegeben durchzuhalten? Die neue Zuversicht verlieh ihr eine Eleganz und Ausstrahlung, die früher nicht vorhanden war. Ihr hübsches Gesicht war zerstört, der Körper, aber sie war schön. Vielleicht schöner, als jemals zuvor. "Ich weiss, was er aus mir gemacht hat" Der Hexer wurde durch die traurige Stimme des Mädchens aus seinen Gedanken geholt. "Ich werde jeden Morgen, jeden Mittag und jeden Abend daran erinnert. Jede Minute meines Lebens. Dazu brauche ich dich nicht Pershal!" Der Koch war restlos verstummt. Er getraute sich nicht einmal zu atmen. Unerträgliche Stille kehrte ein, die erst durch Irinas Worte gebrochen wurde. "Also, was machen wir jetzt?" Sie blickte fragend in die Runde. "Wir sollten erst einmal herausfinden, warum Farviriol nicht zurückkommt" schlug Raffael vor. "Es ist nicht normal, dass er seit drei Tagen unauffindbar ist. Auch Salil war nicht mehr hier. Es muss etwas passiert sein" Der Hexer wiegte nervös von einem Fuß zum Anderen. "Also ich werde bestimmt nicht in die Stadt gehen und gefährliche Fragen stellen! Schlechte Kunde spricht sich schnell herum. Der Herr hat zu viele Feinde, sie nur zu gerne einmal während seiner Abwesenheit in seinem Reich wildern würden" Der Blick des Koches fiel auf Irina. Raffael legte beschwichtigend eine Hand auf seine Schulter. "Mach dir keine Sorgen um sie. Wir beschützten sie!" Pershal streifte die Hand von seiner Schulter. "Du und welche Armee? Sprich in Einzahl, Raffael! Du kannst dir ja nicht mal selbst helfen. Und was aus jemandem wird, der unter deinem Schutz steht, haben wir alle gesehen" Keiner der Anwesenden getraute sich aufzusehen. Aber allen war klar, was Pershal meinte. Der Hexer atmete tief durch. "Wo befinden sich die Kasernen von Farviriols Männern?" Erst jetzt fiel ihm auf, dass er sich bisher nie danach erkundigt hatte, wo die Männer des Elfen stationiert waren. "Sie befinden sich im Hafenviertel, direkt neben der oronischen Marine" antwortete eine der Wachen. "Gut, dann fange ich dort an zu suchen. Bleibt ihr hier und verhaltet euch wie immer" Erleichtertes Nicken aller Beteiligten. Offensichtlich waren sie froh nicht selbst durch Elburum zu müssen. Raffael verließ mit Marie die Küche. Die Anderen diskutierten weiter über die prekäre Lage. Der Hexer starrte vor sich hin. Pershal hatte Recht. Alleine würde er nicht viel ausrichten können und von den Anderen konnte er keine Hilfe erwarten. Er war wieder einmal alleine. Eine Hand legte sich auf seinen Arm. "Mach dir keine Vorwürfe" sagte Marie sanft. Aber Raffael machte sich Vorwürfe. Nicht wegen dem Elfen. Der wusste schon alleine auf sich aufzupassen, aber die Anderen nicht. Der Hexer legte seine Hand. Die Wunden heilten gut. Es hatte sich mittlerweile dicker Schorf gebildet. Raffael betrachtete die zierliche Gestalt neben sich und musste unwillkürlich lächeln. "Was ist?" fragte Marie "Warum siehst du mich so seltsam an?" Raffael grinste breit. "Du hast dich verändert. Du bist reifer geworden" Ein rosiger Hauch stahl sich auf die Wangen des Mädchens. Sie versuchte ihren Kopf nach unter zu drehen, doch der Hexer griff schnell unter ihr Kinn und neckte sie lachend: "Du wirst ja rot!" Marie schlug mit gerötetem Gesicht nach dem Hexer, der darüber nur noch lauter zu Lachen begann. "Gemeiner Blödmann!" fauchte sie. >>Doch noch nicht ganz erwachsen..." In der Gegenwart der Frau fiel ihm alles stets leichter. Sein Herz schlug zum ersten Mal seit langer Zeit wieder befreit. Raffael betrat das Gelände der "Berittenen Schützen zu Ehren der Wahren und Einzigen", so der offizielle Name der Rotmäntel. Farviriols Regiment umfasste mehr Leute, als Raffael angenommen hatte. Er entdeckte auch viele Frauen unter ihnen. Der Hexer war nicht überrascht. Frauen konnten von Zeit zu Zeit grausamere und blutrünstigere Geschöpfe sein, als Männer je imstande waren. Und als Mann machte man leicht den Fehler sie aufgrund ihrer körperlichen Defizite hoffnungslos zu unterschätzen. Einen Fehler, den man mit dem Leben bezahlen konnte. Raffael stellte sich zu einer kleinen Gruppe Schaulustigen, die gekommen war, um den jungen Kadetten bei ihren Kämpfen zuzusehen. Direkten Zugang zum Übungsgelände konnte er keinen erhalten. Der Eingang zum Kampfplatz wurde von zwei Rotmänteln bewacht, die tunlichst darauf achteten, keine Fremden einzulassen. So blieb ihm nichts anderes übrig, als über die Mauer zu schauen, die ihm bis zur Brust reichte. Raffael suchte unter den Anwesenden nach Männern, die ihm bekannt vorkamen, möglichen Gesprächspartnern, die es ,nach dem Verbleib des Elfen, auszuhorchen galt. Einige waren ihm bekannt, doch zu weit entfernt, als dass sie ihn gehört hätten. "Was würde ich nicht alles dafür geben, zu ihnen zu gehören!" sagte eine Stimme neben ihm. Sie gehörte einem Jungen, von etwa fünfzehn Jahren. Er blockte voller Freude und leuchtenden Augen auf die Männer und Frauen hinter der Mauer. Der Junge hatte seine volle Größe noch nicht erreicht, denn er musste auf die Zehenspitzen stehen, um sehen zu können, aber in ein, zwei Jahren würde er die Höhe des Hexers erreicht haben, ihn vielleicht sogar um den ein oder anderen Spann überragen. Der Jungspund war in feines Tuch gekleidet und seine Hände verrieten, dass noch etwas schwereres getragen haben konnte, als ein Buch. Er gehörte zweifelsohne zum Adel, denn hinter dem Jungen sorgte ein großer, breitschultriger Schrank dafür, dass der Pöbel sich von dem jungen Herrn fernhielt. Von Raffael nahm er keine Notiz. Er bedeutete offenbar keine Gefahr. Der Hexer wandte sich wieder nach vorn und konnte sich eines leisen Lachens nicht erwehren. Die Antwort folge auf dem Fuße. "Er geruht über mich zu lachen?" giftete die Stimme des Jungen neben ihm. Der Hexer drehte sich erneut zur Seite. Eisblaue Augen trafen ihn. Neben dem Adligen hatte sein Beschützter Stellung bezogen. "Ich habe ihn etwas gefragt!" Der Rotzlöffel starrte Raffael abschätzig an. >>so jung und schon so arrogant!<< ging es ihm durch den Kopf. >>Kaum verlässt du das Haus, gerätst du in neuen Streit. Du ziehst das Unheil wirklich an, wie der Mist die Fliegen<< Raffael schüttelte den Kopf, über sich selbst. "Gut" sagte der Junge zufrieden. "Das wäre für ihn auch nicht ratsam, über mich zu lachen" Der Hexer war platt. Selbst Kinder waren anmaßend und rechthaberisch. Aber es war kein Wunder. Sie konnten ja nicht anders werden, wenn sie nichts anderes kennen lernten, außer den Glauben der Belkelel und dass der einzige Sinn des Lebens darin bestand, anderen seinen Willen aufzuzwingen! Während der Hexer wieder einmal über die Absurdität dieser Lebensphilosophie sinnierte, tauchte urplötzlich einer der Rotmäntel vor ihm an der Mauer auf. Um ein Haar wäre er vor Schreck zurück gesprungen. Ein kurzer Blick zu dem Jungen neben sich zeigte ihm seine schiere Begeisterung. "Raffael, was machst du hier?" fragte der Braunhaarige. Der Hexer war erleichtert. Heute funktionierte alles mal so, wie es sollte. Er hatte nicht zu täumen gewagt, dass es so einfach werden würden. Lächelnd hob er den Kopf und trat näher an die Kalksteinmauer heran. "Guten Tag, Salil! Ich habe dich gesucht" Salil kam ebenfalls ein Stück näher. Es musste ja nicht jeder mithören, was sie zu besprechen hatten. "Weißt du, wo er ist?" fragte Raffael leise. Er war sich sicher, dass sie unerwünschte Zuhörer hatten. "Nein, aber wir sind alle einberufen worden. Wir haben Befehl erhalten, normal weiterzumachen, aber auf jeden Fall in Elburum zu bleiben" Salil flüsterte. Auch ihm war bewusst, dass etwas passiert sein musste. In Raffael machte sich ein mulmiges Gefühl breit. "Von wem kam der Befehl?" Nur wenige konnten Farviriol Befehlen. Er musste also von ganz oben kommen. Was hatte Dimiona mit Farviriol angestellt? "Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube er kam direkt von der Satrapa" Der Hexer erbleichte. Bei dem Gedanken an Merisa wurde ihm schlecht. Wenn dich der Elf vor jemandem fürchtete, dann vor der ersten Frau im Staat. Sie begehrte ihn und zeitweise hatte er ihr gehört. Farviriol hatte sich durch seine Arbeit als Sklavenfänger einen Namen gemacht und sich von der alten Frau befreit. Wenn sie involviert war, dann konnte man nur hoffen, dass man ihn an einem Stück wiedersah. Die Satrapa konnte ihn von offizieller Seite nicht beikommen. Dimiona würde es nicht erlauben. Doch die Moghuli war einen Tag nach dem Empfang abgereist und damit war Merisa die ranghöchste Persönlichkeit in Oron. "Verdammt" entfuhr es Raffael leise. Er hatte ihr mit seiner Tat freien Handlungsspielraum eingeräumt. In ihm wuchs die Sorge ins Unermessliche. Farviriol hatte ihm nie erzählt, was sie genau mit ihm gemacht hatte, aber wenn er ihr Geschöpf war, dann wünschte er diese Behandlung nicht einmal ihm. Raffael wandte sich mit befehlendem Ton an Salil: "Finde heraus, was man mit ihm gemacht hat. Als Sklave sind mir die Hände gebunden" Sein Freund nickte kurz. "In Ordnung. Ich sehe, was ich tun kann" Salil holte Luft "Aber sag mir zuvor, was eigentlich genau passiert ist" Raffael schloss für einen Moment die Augen. "Ich fürchte, ich habe einen schlimmen Fehler gemacht!" Trübselig machte sich Raffael auf den Rückweg. Sein Ausflug war unbefriedigend gewesen. Und was er überhaupt herausfinden konnte, war mehr als bedenklich. Der Hexer bog von der Hauptstraße in eine Nebengasse ab. Dieser Weg war kürzer und mittlerweile wusste er die gefährlichen Straßen Elburums zu umgehen. Gedankenverloren trottete er weiter, bis er Schritte hinter sich hörte. Raffael drehte sich erstaunt um, doch niemand war zu erkennen. Er musterte die Leute, die ein Stück entfernt auf der Promenade bewegten. Es war alles wie immer. Die Huren, Spieler und Bettler, doch er wurde das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden. "Du wirst langsam paranoid!" sagte er sich, schüttelte den Kopf und drehte sich zum Weitergehen um. In dem Moment wurde ihm ein rauchendes Duftsäckchen auf Mund und Nase gedrückt. Schwerer, süßlicher Duft von Rauschkraut stieg in ihm auf. Die Wirkung tat umgehend ihre Wirkung. >>sehr hohe Dosierung<< war sein letzter klarer Gedanke, bevor er nach vorne umkippte und von starken Armen aufgefangen wurde. Raffael wurde vorsichtig in eine dunkle Gasse gezogen und auf den Boden gelegt. Eine warme Hand streichelte ihm über den Kopf. Die Berührung war ihm vertraut. Sehr vertraut. Er suchte in seinen Erinnerung nach dieser knochigen Hand. Eine verschwommene Frauengestalt beugte sich über ihn. Er sah, dass sich ihre Lippen bewegten, doch verstehen konnte er sie nicht. Aber er kannte diese Frau. Seine Augen füllten sich mit Tränen. Dann schwanden ihm die Sinne. Kapitel 9: ----------- Hier also ein kleines Kapitel zur Beruhigung... ^^ ich hab festgestellt, dass mein openoffice-format nicht mit animexx sympatisieren will -_- d.h. ich darfs nochmal umschreiben... bin aber heut net weiter gekommen. Der Hexer horchte in sich hinein. Die Wirkung der Kräuter war einem pochenden Schmerz in seiner Schläfe gewichen. Er hörte, wie zwei Stimmen sich leise unterhielten. Männerstimmen. Vorsichtig bewegte er Arme und Beine. Ohne Probleme. >>Sehr gut, ich bin nicht gefesselt<< dachte er, wobei ihm das Denken schwer fiel. Das Gespräch der Männer verstummte. >>Als nächstes die Augen<< Raffael öffnete die klebrigen Lider. Warmer Feuerschein blendete ihn und verursachte einen heftigen Stich in seiner Stirn. Leise stöhnte er auf und schloss die Augen umgehend. >>Wieviel haben die denn genommen?<< "Eslam, hol die Hexe!" hörte er einen der Männer sagen und neben Raffael senkte sich das Lager. Er musste die Augen aufmachen. Schnell. Den dröhnenden Schmerz ignorierend, öffnete er erneut die Augen und in sein Blickfeld trat ein fremdes Männergesicht. >>Mein Alter<< dachte der Hexer. Der Mann hatte kurzes, schwarzes Haar, braune Augen, eine etwas zu kurz geratene Stupsnase und schmale Lippen. Er hatte kein schönes Gesicht im klassischen Sinne, aber so markant, dass es interessant wirkte. Raffael versuchte sich aufzurichten. Schnell eilten die Hände des Fremden herbei und drückten ihn sanft wieder auf das Stroh zurück. "Nicht so hastig. Eslam hat zu viel vom Rauschkraut erwischt. Bleib noch liegen. Die Hexe kommt gleich" "Die. Hexe?" brachte Raffael mühsam hervor. Seine Stimme war heiser und rauh und seine Zunge fühlte sich an, als hätte er über ein Bärenfell geleckt. Der junge Mann lächelte und seine Augen leuchteten vor Erleichterung. Der Mann vor ihm konnte wieder sprechen. Das war ein gutes Zeichen. "Du wirst dich sicher freuen!" sagte er. "Natürlich freut er sich!" krächzte eine alte, bekannte Frauenstimme. Raffaels Herz schlug von einem Moment zum anderen doppelt so schnell. Das war unmöglich. Sie konnte es nicht sein. Sie ist mit den anderen verbrannt. Der Hexer war nicht mehr zu halten. Er schob die Hände des Fremden beiseite und versuchte sich auf zusetzten. Schwindel befiel ihn und ließ ihn zurück taumeln, aber es war ihm gleich. Er wollte es sehen. Er musste es sehen! Er musste in das runzelige Gesicht schauen und in die trüb-blinden Augen jener Frau, die geholfen hatte ihn zu erziehen. Zusammen mit Oruha. "Lass mich los. Lass mich los!" brüllte er dem Mann entgegen, der mit aller Kraft versuchte ihn wieder auf das Stroh zu drücken. "Lass ihn los" sagte die Alte mit einem aufgebenden Seufzen. Raffael setzte sich auf. Vergessen waren die Schmerzen in seinem Kopf. Da. War sie. Die gekrümmte Gestalt, die schlohweißen Haare, das in falten gelegte Gesicht und die trüben Augen, die nicht mehr sahen und doch mehr sahen, als manch Sehender. Pawla. Neben ihr stand ihre schneeweiße Leopardin. Das samtene Fell war an etlichen Stellen durch Narben von Verbrennungen unterbrochen. Der Raubkatze fehlten das rechte Auge und Ohr und die gesamte Gesichtshälfte des Tieres war grausam zugerichtet. Raffaels Blick wanderte zurück zu der alten Frau. Sie wurde von einem weiteren Fremden am Arm geführt. Er glich dem Mann neben ihm wie ein Ei dem anderen. Nur durch Kleinigkeiten waren die Zwillinge zu unterscheiden. Pawla nickte ihrem Begleiter zu. Dieser führte sie zu einem bequemen Stuhl an einem offenen Kamin. Sie tätschelte dankbar die Hand des Mannes und wandte sich dann an Raffael. "Hat man dir nicht beigebracht, nicht zu starren?" brummte sie ihn an. Ja, sie war es definitiv. "Wie ist das möglich? Ich habe die Zelte brennen sehen!" stotterte er. Der Zwilling, der sie geführt hatte, reichte der Hexe eine Wasserpfeife. Es war dieselbe Pfeife aus ihrem Zelt, nur angebrannt und rußig. Der Hexer musste lächeln. Auch wenn alles den Bach runter ging, die Pfeife überlebte! Genüsslich zog die alte Frau an dem Mundstück und ließ den Rauch ihren Hals hinunter gleiten. Raffael wäre am liebsten in Tränen ausgebrochen. Ein Teil seiner Familie hatte überlebt. So unmöglich es auch schien. Er unterdrückte sein Schluchzen. Jetzt war der falsche Moment für Sentimentalität. Zu viele offene Fragen! "Haben noch andere den Brand überlebt?" fragte er vorsichtig. Die Chance war gering, aber vielleicht durfte man hoffen. "Ja es hat ihn noch jemand überlebt" sagte der Mann neben ihm auf dem Bett begeistert, bevor Pawla zu einer Antwort ansetzten konnte. "Darf ich vorstellen: Karim und sein Bruder Eslam" knurrte die Hexe und kaute auf ihrem Mundstück. "Sie sind gute Männer, aber haben die Angewohnheit zu sprechen, wenn sie nicht gefragt werden" Pawla zog an der Pfeife und blies den Rauch durch die Nasenlöcher wieder ins Freie. Mit schelmischem Grinsen fügte sie hinzu: "Ich kannte da mal einen Jungen, der war genauso..." Jetzt wurde Raffael von seinen Gefühlen doch übermannt und einige Tränen kullerten seine Wangen hinab. Er musste lachen, wischte sich mit dem Ärmel über die Augen und war für einen Moment wieder der kleine Junge, der von seiner Lehrerin gerügt wurde. Nach einem Moment wiederholte er seine Frage. "Wer hat noch überlebt?" "Meine Frau" antwortete Karim. "Deine Frau?" fragte der Hexer verwirrt. Pawla zuckte mit den Schultern. Wenn er es ihm sagen wollte, bitte! "Fadime. Meine Frau Fadime" sagte er mit leuchtenden Augen. Raffaels Herz zog sich zusammen. Ein kleiner Teil seines Herzens starb in der Sekunde ab. Aber das Glück dass seine Schwester lebte überwog den Verlust. Er betrachtete Karim noch einmal eingehend. Sie hatte sich einem anderen Mann geschenkt, aber sie hatte gut gewählt. Er machte einen ordentlichen Eindruck. Der abgestorbene Teil seines Herzens erneuerte sich durch einen anderen. Er freute sich aufrichtig über das Glück seiner Schwester. Raffael beugte sich zu Karim, gab ihm die Hand und zog ihn in eine brüderliche Umarmung. Leise und nur für ihn hörbar, zischte er ihm ins Ohr: "Wenn du ihr das Herz brichst, dann brech ich dir auch was" Er klopfte dem erschrockenen Mann auf den Rücken und ließ ihn dann lächelnd los. Raffael wandte sich dann wieder an die Hexe. Pawla grinste wissend vor sich hin, die Pfeife zwischen den Lippen. "Warum hat sie euch nicht begleitet?" fragte Raffael, den noch etwas erstarrten Karim. Karim wippte unbehaglich mit den Beinen. "Nun ja..." begann er vorsichtig. Ganz geheuer war ihm der Mann nicht mehr. "Sie ist in anderen Umständen" brachte er schließlich hervor. Raffael sah ihn irritiert an. "In anderen Umständen?" Dann ging ihm ein Licht auf. "Oh!" sagte er mit hochgezogenen Augenbrauen. Ein breites Grinsen mischte sich in sein überrumpeltes Gesicht. "Na dann darf man ja gratulieren!" Karim nickte erleichtert und Raffael wandte sich wieder der Hexe zu. "Ich habe gesehen, wie Farviriol Fadime das Genick gebrochen hat" "Ich habe sie noch rechtzeitig gefunden. Ich war unverletzt und konnte die schlimmsten Verletzungen heilen" Pawla machte eine Pause. "Aber meine Kraft reichte nicht aus, um den entstandenen Schaden völlig zu beheben. Sie wird immer Schwierigkeiten mit dem Sprechen haben. Es fällt ihr sehr schwer und erschöpft sie schnell" Raffael nickte erschüttert und erinnerte sich an das schreckliche Bild, wie der Elf dem Mädchen den Hals zerdrückte, bis die Knochen schließlich brachen. Er wischte es schnell aus seinen Gedanken. "Wie hast du es aus dem Zelt geschafft?" wollte er weiter wissen. Die alte Frau legte behutsam ihre Hand auf den großen Kopf ihrer Raubkatze, die zu ihren Füßen ruhte. Schnurrend schmiegte sie sich enger an die Beine der Hexe. "Padme hat mich gerettet. Sie hat mich aus dem Zelt gezogen. Dafür hat sie teuer bezahlt" Pawla fuhr mit ihrer Hand über die Narben des Tiers. Raffael hatte davon gehört, dass Hexen zu ihren Vertrautentieren manchmal engere Bindungen eingehen konnten als zu anderen Menschen. Er selbst hatte seines noch nicht gefunden und noch nie die Zeit gehabt es zu suchen. Raffael sah zu Karim, dann zu Eslam und wieder zu Pawla. "Wie habt ihr mich gefunden?" "Meshuha" sagte Eslam knapp. "Meshuha?" hakte Raffael nach. "Ja, sie und andere Mädchen aus dem Lager, die verschleppt worden waren, kamen zwei Tage später zurück nach Zorgan. Die Aranier hatten uns aufgenommen und uns versorgt. Als Meshua eintraf nahmen sie sich ihrer ebenfalls an. Wir sind bei Karim und Eslams Familie untergekommen. Meshuha berichtete uns von ihrem Fluchtversuch, von Truxes Tod und dass du dich alleine gegen Farviriol gestellt hast, um sie zu beschützen" Raffael senkte den Kopf. "Wie viele haben es geschafft? Insgesamt, meine ich?" fragte er trocken. Dass Meshuha die Flucht gelungen war freute ihn, aber er nahm an, dass die Flucht nicht alle überlebt hatten. Farviriols Männer hatten keine Gefangenen zurück gebracht. "Mit dir zusammen sechs" sagte Pawla knapp. Sechs! Raffael schloss die Augen. Sechs von einstmals dreißig Mitgliedern. Er behielt die Augen geschlossen. "Was ist mit Oruha und Alrik?" Raffael ahnte die Antwort, aber er wollte sie von Pawla hören. "Sie haben es nicht geschafft. Wir fanden deine Mutter vor ihrem verbrannten Zelt. Mehrere Pfeile hatten sie durchbohrt. Sie war schon tot, als wir ankamen" Die Aussagen deckten sich mit Raffaels Erinnerungen. "Alrik lag noch zwei Wochen auf dem Krankenlager, doch die Verbrennungen waren einfach zu schwer. Für Heiler hatten wir nicht das Geld. Als er auf dem Weg der Besserung war, bekam er das Wundfieber" Raffael saß ein dicker Kloß im Hals. Salzige Flüssigkeit füllte seine Augen und diesmal hielt er die Tränen nicht zurück. Er hatte gesehen, wie die Zelte brannten und immer insgeheim geahnt, dass fast niemand das Massaker überlebt hatte, doch jetzt hatte er Gewissheit. Still weinte er in seine Hände. Keiner der Anwesenden sprach ihn an. Was hätten sie auch Tröstliches sagen können? Raffael fühlte in sich nichts als Leere, aber gleichzeitig eine Befreiung, wie schon lange nicht mehr. Er hatte über drei Stunden in das mit Stroh bedeckte Lager geweint. Pawla und die Anderen hatten ihn alleine gelassen, denn es gab Dinge, bei denen niemand helfen konnte und die man alleine bewältigen musste. Raffael hatte sich den Schmerz der letzten Monate von der Seele gewaschen. Zugegeben, er hatte seit er in Oron angekommen war, mehr Tränen vergossen, als in seinem bisherigen Leben zuvor, aber Zeit für richtige Trauerarbeit war ihm bisher nicht vergönnt gewesen. Die Ereignisse hatten sich überschlagen und ihn unter sich begraben. Er war von einer Katastrophe in die nächste geschlittert, ohne zwischendurch anhalten zu können um ein Resümee zu ziehen. Das hatte er jetzt nachgeholt. Er war völlig mit sich im Reinen. Er dachte nicht, fühlte nicht und war bereit für einen neuen Anfang. Vergessen konnte er seine Vergangenheit nicht, aber mit ihr leben und sie akzeptieren. Nach vorne Schauen. Es klopfte leise an der Tür. Raffael reagierte nicht. Das Klopfen wiederholte sich. "Darf ich herein kommen?" fragte Pawla leise. Raffael stand auf und öffnete ihr die Tür. Die Hexe griff nach seinem Arm und ließ sich zu ihrem Stuhl führen. Raffael setzte sich zurück auf das Bett. "Wie geht es dir Junge?" fragte sie mit milder Stimme. "Besser" antwortet er und war überrascht, dass er es auch so meinte. Eine Weile saßen sie sich schweigend gegenüber. Die Anwesenheit der alten Frau tat ihm gut. Er hatte sie seit mehr als einem Jahr nicht mehr gesehen, doch sie war äußerlich unverändert. "Sag mir, Pawla, wie habt ihr mich hier in Eburum gefunden?" "Ich habe nicht geglaubt, dass du überlebt hättest, doch Meshuha und Fadime bestanden darauf dich zu suchen. Es war nicht sehr schwer zu erraten, dass du nach Elburum gebracht werden würdest. Ich kenne Farviriol und weiss, dass er hier zu Hause ist. Es war einfach herauszufinden, dass du überlebt hattest, doch es hat lange gedauert dich hier aufzusuchen, da man in dieser Stadt nur überlebt, wenn man genug Geld hat. Zusammen mit Karims Bruder und seiner Familie haben wir schließlich genug zusammen gespart, um uns hier frei bewegen zu können. Wir sind schon vor einiger Zeit angekommen, aber von dir fehlte mit einem Mal jede Spur" >>Das Gewölbe<< dachte Raffael. >>Nichts kommt heraus und nichts hinein, wenn er es nicht will<< "Uns offen umzuhören wäre unklug gewesen, daher mussten wir uns an die Gerüchte halten und warten, bis du von selbst wieder auftauchst. Wir wollten schon fast aufgeben, dich zu suchen, da bist du heute Mittag über die Straße spaziert" "Und da habt ihr mich betäubt?" fragte Raffael kritisch. "Ich war mir deiner nicht sicher. Ich weiss, was Lamijanim aus ihren Opfern machen können. Ich war mir nicht sicher, ob du uns freiwillig begleiten würdest. Schließlich ging es ja nicht nur um dein Leben" Raffael setzte sich in den Schneidersitz. "Du weißt sehr viel über diese Dinge. Das dachte ich schon damals, als du das erste Mal von Farviriol erzählt hast" Er sah ihr fordernd in die Augen. Pawla wippte unbehaglich mit ihrem Stuhl. Sie würde jetzt reden müssen. "Gut. Aber wenn ich beschließe davon zu erzählen, solltest du beschließen zuzuhören!" "In Ordnung, ich werde dich nicht unterbrechen." sagte der Hexer. "Hm" machte sie und begann: "Du wunderst dich darüber, dass ich so viel über Farviriol weiss. Und das zu Recht" Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, zog noch einmal an der Pfeife und fuhr fort: "Ich kenne ihn. Besser: ich kannte ihn. Bevor er nach Oron ging. Er war nicht immer so, wie jetzt. Zugegeben, er hatte schon immer ein gewisses Interesse an Leid und Schmerz, aber niemals in der Art, dass er anderen seinen Willen aufzwang. Es ist lange her, dass ich ihm begegnete." Pawla pausierte erneut. Raffael spürte ihr Unbehagen. "Wenn du nicht darüber sprechen möchtest, ist das in Ordnung" Die Hexe seufzte. "Doch, es ist an der Zeit, reinen Tisch zu machen. Du kennst Hela Horas?" Raffaels Augen weiteten sich. Natürlich kannte er diese Frau. Hela Horas, die schöne Kaiserin des lieblichen Feldes. Sie hatte in der zweiten Dämonenschlacht fast den gesamten Kontinent zerstört. Erst Borbarad, der Dämonenmeister brachte erneut eine derartige Katastrophe über das Land. Raffael sah zu Pawla. Ihre Miene war ernst geworden, wie er sie selten gesehen hatte. "Wir waren beide dabei, in der Schlacht gegen Hela, als sie Rahastes beschwor und die Armee des Mittelreichs binnen Augenblicken in einem entsetzlichen Inferno hinweg fegte. Wir waren dabei und haben überlebt" "Wer wir?" stotterte der Hexer. "Farviriol und ich" Raffael schluckte trocken. "Das ist unmöglich, du müsstest dann weit über hundert Jahre sein!" Die alte Frau lächelte verschmitzt. "Ich habe mich gut gehalten" Der Hexer war wie versteinert. Pawla, die Frau die ihn lehrte, die Freundin und Vertraute war, war dabei gewesen. Legenden erzählten davon, dass Boron selbst der Kaiserin ihr Leben genommen hatte, um ihrer Schreckensherrschaft ein Ende zu setzten und in diesem Moment saß er einer Zeugin jener Zeit gegenüber! Nachdem er diesen Schock verdaut hatte wandte er sich an die Hexe: "Und du sagst, Farviriol war ebenfalls dabei? Auf welcher Seite hat er gekämpft?" "Auf der unsrigen" sagte sie knapp. "Er hat zusammen mit mir gekämpft, an meiner Seite" Sie wurde auf einmal still und Raffael glaubte in den erloschenen Augen Trauer zu sehen. In ihm machte sich eine Befürchtung breit, die umgehend bestätigt wurde. "Wir waren für eine lange Zeit sehr vertraut" Pawla atmete tief durch. "Aber das ist lange her und seit dem ist viel passiert" Sie stand schwerfällig auf. "Warte!" rief der Hexer. Er konnte sie jetzt nicht gehen lassen. Sie hatte ihre Erzählung begonnen. Jetzt sollte sie sie auch zu Ende bringen. Ihn mit so einem Hammer zurück zu lassen, war nicht fair. "Du kannst jetzt nicht einfach gehen! Was ist passiert? Warum ist er im Kampf gegen Borbarad und die Heptarchen nicht mehr auf unserer Seite gewesen? Oron entstand erst nach dem Tod des Dämonenmeisters. Farviriol war bis zu diesem Zeitpunkt kein Paktierer!" brüllte Raffael sie förmlich an. Die Hexe hielt inne. Padme hob ihren großen Kopf und fixierte Raffael mit Argwohn und ein drohendes Knurren verließ ihre Kehle. Pawla legte ihr sanft die Hand auf den Kopf. Das Tier beruhigte sich umgehend, ließ Raffael aber keinen Moment mehr aus den Augen. "Wenn ein Herz gebrochen wird, dann kann es heilen." sagte sie abgewandt. "Dafür braucht es aber jemanden, der es liebt und der für es sorgt. Doch manchmal lässt das Herz sich von Hass und Missgunst beherrschen und macht es anfällig für die dunkle Seite, die in jedem von uns ist. Borbarad hat sich nur das genommen, was ich hinterlassen habe. Ich konnte nicht mit seinen Vorlieben umgehen. Sie nicht akzeptieren. Irgendwann ging ich, ohne ein Wort. Ich konnte es nicht länger ertragen, wenn er sich tagelang in seinen perfiden Gelüsten verlor. Farviriol wandte sich demjenigen zu, der sich seiner annahm und ihn so akzeptierte, wie er war. Und das war der Dämonenmeister. Aber nur solange, wie er ihn brauchte. Du hast Recht, er war damals noch kein Paktierer, nicht einmal nachdem Borbarad sich von ihm abwandte. Ich habe nie sehr viel von ihm gewusst. Er sprach selten von der Zeit, bevor wir einander begegneten und warum er so anfällig wurde. Und ich weiss nicht, was ihn schließlich zu dem Mann gemacht hat, den du kennst" Sie hatte Recht. Er selbst wusste auch nichts über Farviriols Vergangenheit. Er hatte nie danach gefragt. Ihm fiel auf, dass er eigentlich gar nichts von ihm wusste. Dafür konnte Raffael aber die andere Frage beantworten: Merisa. "Die Satrapa hat ihn endgültig zu dem gemacht, was er heute ist" sagte er und starrte ausdruckslos vor sich hin. "Ich habe mir ein Leben lang Vorwürfe gemacht. Wenn ich zu ihm gestanden hätte, vielleicht hätte ich es verhindern können, dass seine Seele bricht" Ihre Stimme klang zerbrechlich und voller Vorwurf gegen sich selbst. Raffael stand auf und ging zu Pawla. Fürsorglich legte er die Arme um sie. "Nein, das hättest du nicht. Diesen Weg hat er alleine gewählt. Niemand kann sagen, ob er ihn nicht auch eingeschlagen hätte, wenn du bei ihm geblieben wärst" Der Hexer lehnte ihren Kopf gegen seine Brust und hielt sie einfach fest. "Du bist erwachsen geworden, Raffael" Raffael erinnerte sich nicht, dass sie ihn jemals bei seinem Namen genannt hätte. Er küsste das zauselige, dünn gewordene Haar der alten Frau. Über Jahre hatte sie ihn gemaßregelt, gerügt, aber auch geliebt und ihm stets Trost gespendet. Jetzt war er an der Reihe, ihr diesen Trost zurück zu geben. "Nun ist´s aber genug, Junge" Pawla klopfte mit ihrem Gehstock auf seine Arme. Raffael ließ sie los. "Wir müssen langsam von hier verschwinden. Wir haben schon genug Zeit vertrödelt" Bei dem Stichwort "Zeit" gefror Raffael das Blut in den Andern. "Wie lange bin ich schon hier?" fragte er entsetzt. "Zwei Tage" "Zwei Tage schon?" rief er ungläubig. "Dann muss ich sofort zurück!" Er wollte an Pawla vorbei stürmen und zur Tür hinaus. Die Hexe griff seinen Arm. "Du wirst nicht allen Ernstes erwarten, dass ich dich gehen lasse, nach allem was wir geopfert haben, um hierher zu kommen?!" In ihre Stimme mischte sich Empörung. Raffael machte sich vorsichtig los. "Du verstehst nicht. Farviriol ist nicht da. Er ist verschwunden und die Anderen sind zurück geblieben. Marie macht sich bestimmt fürchterliche Sorge um mich" Er war verzweifelt. Wenn etwas während seiner Abwesenheit passierte, er würde sich sein Leben lang Vorwürfe machen. "Wer ist Marie?" fragte die Hexe. "Meine Freundin" antwortete er gehetzt, aber bei seinen Worten huschte dennoch ein leises Lächeln über seine Lippen. "Ich verstehe noch nicht ganz. Du sagtest, Farviriol sei verschwunden?" bohrte die Alte nach. "Ja, aber es dauert zu lange, alles zu erklären" bestätigte Raffael ungeduldig. "Dann wirst du dir die Zeit nehmen müssen, es mir zu erklären!" sagte sie mit befehlendem Ton. In Raffael stieg langsam der Zorn auf. "Ich werde jetzt nicht mit dir darüber diskutieren, alte Frau. Geh beiseite!" Der Hexer schob sich an Pawla vorbei und öffnete die Tür. "Warte!" donnerte hinter ihm ihre Stimme. Aber in mildem Ton fügte sie hinzu: "Nimm Karim und Eslam mit" Raffael nickte dankbar und rief nach den beiden Brüdern. Kapitel 10: ? ------------- Zusammen verließen sie das heruntergekommene Haus in Fellakand. Zu mehr hatte das Geld seiner Familie nicht gereicht, aber es war der sicherste Platz in Elburum. "Raffael, warum gehst du zurück?" fragte Karim unschlüssig, was er jetzt tun sollte. "Weil wir noch jemanden mitnehmen werden" antwortete er mürrisch. Raffael wollte jetzt nicht in endlose Erklärungen verfallen. Es genügte, wenn sie taten, was er sagte. Sie bahnten sich ihren Weg durch die Viertel. Raffael hetzte förmlich hindurch. Er musste sich mehrere Male versichern, dass die beiden Brüder noch hinter ihm waren. Raffael hatte sich an das Gedränge gewöhnt und wich den vielen Menschen gekonnt aus. Seinen Begleitern fiel das Ganze nicht so leicht. Als sie schließlich, außer Atem, bei Farviriols Haus ankamen, stockte Raffael der Atem. Er versteckte sich hinter einer Häuserwand und wies die beiden Brüder an, es ihm gleich zu tun. Mehrere Männer hatten sich in einen Kreis gestellt und feuerten einen Weiteren an, der dabei war Irina die Kleider vom Leib zu reißen. Sie gehörten den Soldaten Orons an und unterstanden der Satrapa. Die beiden Wachen des Hauses, Pershal und Marie waren gezwungen, das grausame Schauspiel zu beobachten. Der Kommandant der Truppe stand bei dem Koch. Raffael versuchte zu entziffern, was er zu ihm sagte, doch mehr als seinen Namen verstand er aus dieser Entfernung nicht. Er konnte sich jedoch zusammen reimen, dass sie ihn suchten. Raffael wollte aus dem Schatten der Wand treten, um ihr zu helfen, doch Karim zog ihn zurück. "Nein" sagte er kopfschüttelnd. "Wer weiss, was sie mit dir machen" Raffael sah zu Eslam. Auch er schüttelte den Kopf. In diesem Moment hasste er die beiden Männer. Sie würden einfach zusehen, wie das Mädchen vergewaltigt wurde. "Könnt ihr dabei zusehen und nichts unternehmen?" fragte er entsetzt. "Könntet ihr damit leben?" Karim legte ihm die Hand auf die Schulter. "Wenn du da jetzt raus gehst, dann war alles umsonst!" sagte Eslam eindringlich. Raffael wandte sich an Karim. "Und wenn es Fadime wäre? Würdest du wollen, dass ich zuschaue und nichts unternehme, während sie geschändet wird?" Karim zuckte zusammen. Er sah unschlüssig zu seinem Bruder, der immer noch den Kopf schüttelte. Ein Schrei des Mannes ließ sie zusammenfahren und sich wieder der Szene zuwenden. Irina hatte ihm die Nase blutig gebissen. Mit lauten Verwünschungen schlug er ihr ins Gesicht, so dass ihre Lippe aufplatzte. Raffael blickte Karim fest in seine braunen Augen. "Bitte" Karim nahm seine Hand von Raffaels Schulter und nickte stumm. "Aber Karim!" japste Eslam aufgeregt. "Was, wenn es deine Frau wäre?" fragte er seinen Bruder eindringlich. Eslam schwieg. Raffael atmete erleichtert auf. Karim sah ihm eindringlich in die Augen. "Wir werden unweit von Elburum auf dich warten. Komm ins Dörfchen Shisad. Es liegt zwei Tagesreisen zu Pferde in süd-westlicher Richtung. Es sind nur wenige Häuser und ist fast unbekannt. Du musst dich durchfragen. Wir werden auf dich warten, solange wir können, aber spätestens zwei Tage nach Ankunft von dort aufbrechen!" Raffael nickte. "Ich habe eine Bitte. Sobald sie mich mitgenommen haben, nehmt euch der Mädchen an und lasst sie euch begleiten. Den Männern lasst die Wahl. Sie sind keine Sklaven. Ihnen wird nichts passieren. Ich werde ganz sicher nachkommen" Eslam warf ihm einen zweifelnden Blick zu, der Raffael nicht verborgen blieb. "Ich schwöre es!" sagte er lächelnd und gab seinem neuen Schwager Karim brüderlich die Hand. "Und pass mir gut auf Fadime auf!" Dann trat er vor die Wand und ging auf die Gruppe zu. "Aufhören!" befahl er. Die Köpfe der Anwesenden wanden sich seiner Stimme zu. "Ihr sucht doch mich, oder nicht?" Raffael ging näher heran, bis er schließlich vor dem Männerkreis stand. Er warf einen flüchtigen Blick auf Irina, die mit zerrissener Kleidung unter dem Mann mit der blutenden Nase lag. Seine Hose hing ihm in den Kniekehlen, aber weiter war er bisher nicht gekommen. Sie hatte sich hervorragend gewehrt. Raffael fixierte den Mann. "Geh von ihr runter, oder du wirst dir wünschen das Haus der Satrapa niemals verlassen zu haben!" sagte er leise, doch in seiner Stimme schwangen zugleich Drohung und Gewissheit mit. Der Mann starrte den Hexer an, als stünde ein Wesen vor ihm, das direkt aus den Niederhöllen zu ihm sprach. Raffael konnte sehen, wie sich ihm die Nackenhaare sträubten. Doch weder die körperliche Statur, noch seine vermeintlich dämonischen Kräfte flößten ihm diese Angst ein. Allein die Gewissheit in seiner Stimme, jedes einzelne Wort wahr zu machen, ganz gleich, was danach mit ihm selbst passierte und der unbändige Wunsch dieses Stück Dreck zu vernichten, ließen den Mann verharren. Er würde zumindest diesen Mann mit sich nehmen, bevor die Anderen ihm alle Knochen brachen, oder ihn umbrachten. Zumindest ihn! "Ich wiederhole es ein einziges Mal" sagte Raffeal gefährlich ruhig, "Geh von ihr runter!" und ging zwei Schritte auf den Mann zu, die Anderen in der Runde ignorierend, als seinen sie nicht anwesend. Seine gesamt Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf ihn. Die Männer bildeten jetzt einen Halbkreis und machten ehrfürchtig Platz. Auch ihnen war der Ernst der Lage bewusst und dass den Mann vor ihnen nichts und niemand davon abhalten konnte, sich zu holen, was er wollte. "Arras, geh runter von ihr!" durchbrach eine weitere Männerstimme die bedrohliche Atmosphäre. Wie aus seiner Erstarrung gelöst, warf er einen flüchtigen Blick aus seinen Augenwinkeln zu seinem Kommandanten, ließ dabei den Hexer aber nicht aus den Augen. Dann krabbelte er vorsichtig von Irina weg und zog sich langsam die Hose wieder hoch. Als er außer Reichweite war, ging Raffael zu dem Mädchen, das fahrig seine Kleider zusammenraffte, um ihre Blöße zu bedecken. Der Hexer ging vor ihr in die Hocke, zog sich sein Hemd über den Kopf und reichte es ihr mit um Vergebung bittendem Lächeln. Das Mädchen sah auf das weiße Leinen in der ausgestreckten Hand, nahm es und streifte es ich über. Raffael griff unter ihre Schultern und zog sie mit sich in die Höhe. Sofort waren Männer da und drohten ihre Waffen zu ziehen. "Zurück!" befahl der Kommandant. "Er wird uns freiwillig begleiten, nicht wahr?" Raffael nickte stumm und die Männer traten zurück. Dann führte er Irina zu Marie, die die ganze Zeit über mit ängstlichem Blick die Szene verfolgt hatte. Irina klammerte sich zitternd an Marie. "Es werden Leute kommen und euch holen. Geht mit ihnen. Sie sind meine Familie. Vertraut ihnen!" flüsterte er ihr zu und streichelte ihr sanft über die zerklüftete Wange. Dann wurde er von zwei Männern abgeführt. Anders als erwartet, fand sich Raffael nicht in einer von Merisas Zellen wieder, sondern wurde in einen Empfangsraum gebracht, der nicht weit entfernt vom großen Ballsaal lag, in dem er die alte Frau das erste Mal gesehen hatte. In dem kleinen Raum, der verhältnismäßig spärlich eingerichtet war, stand ein gedeckter Tisch mit Speisen, die verlockend dufteten. Raffaels Magen knurrte, doch er erlaubte sich in der jetzigen Situation nicht, diesem Gefühl nachzugeben. Stattdessen nahm er auf einem der mit Samt bezogenen Stühle Platz. Fast eine Stunde musste er warten, das gute Essen vor Augen, bis schließlich hinter ihm die Türe aufging und die Satrapa blutverschmiert den Raum betrat. Ein wohlbekannter Duft umgab sie unter all dem Geruch von Blut, Schweiß, und den Ausdünstungen der Menschen nachdem sie den Liebesakt vollzogen hatten. Der Geruch schweren Parfums, konnte sie nicht überdecken und ebenso wenig den kaum wahrnehmbaren Duft nach frisch erblühten Rosen. Sie roch nach Farviriol. Raffaels Miene wurde zu einer düsteren Maske. Sie kam von ihm. Und sie hatte sich geholt, was er ihr vier Jahre lang verweigert hatte. Raffael drehte sich nicht um. Doch das musste er auch nicht, denn sie schlenderte kokett an ihm vorbei und setzte sich ihm lächelnd gegenüber. Bei ihrem Anblick verschlug es ihm die Sprache. Sie war in ein zu eng anliegendes Kleid gehüllt, das ihrem alten Körper und der siebzigjährigen Figur nicht gerade schmeichelte. Ihre Brüste hingen, was in diesem Alter normal war und die runzelige Haut war vertrocknet. Ihr Dekolté war rot gefärbt, durch Blut und ebenso das graue Haar, das zersaust aus der Hochsteckfrisur abstand. Von ihren Händen mit den krallenartigen Fingernägeln rann das Blut hinab. Raffael spürte den Würgereiz in ihm aufsteigen. "Greif zu und iss! Halte dich nicht zurück!" forderte Merisa ihn mit ihrer blutigen Hand auf, wodurch einige Tropfen in ihr Glas und ihren Teller fielen. Der Hexer schluckte trocken und verzog angewidert das Gesicht, was der Satrapa ein weiteres Lächeln entlockte. "Oh, bitte entschuldige. Wie äußerst unhöflich von mir" sagte sie spitz. Sie führte ihre Hand zum Mund und leckte sie sauber. Um ihren Mund bildete sich ein schmieriger Film aus Speichel und Blut. Sie sah aus wie ein Raubtier, das gerade Beute geschlagen hatte. Und ebenso ihr Blick. Raffael war beunruhigt. Er sorgte sich um den Elfen, wenn auch nicht direkt um ihn, aber vielmehr um Marie. Was würde mit ihr geschehen, wenn er nicht am Leben blieb? Sie war durch den Sikharyanentzug mit ihm auf eine Art verbunden, die Raffael nicht verstand. Und warum wollte die alte Frau ihn hier haben? Er hatte das Gefühl direkt in eine Falle getappt zu sein. "Was habt Ihr mit ihm gemacht?" eröffnete er schließlich das Gespräch. "Ihm? Von wem sprichst du?" heuchelte sie unwissend. Unwillkürlich musste der Hexer lachen und schüttelte den Kopf. Doch es war ein Lachen, um sie nicht anschreien zu müssen. Selbst jetzt, wo er ihr hilflos ausgeliefert war, spielte sie mit ihm. Wie er diese Oronis verachtete. "Ihr wisst, wen ich meine!" Raffael nahm eines der Messer, die vor ihm lagen und begann mit der Klinge zu spielen. Er brauchte etwas, an dem er sich festhalten konnte, denn seine Nerven lagen blank. "Denn wüsstet Ihr nicht, wen ich meine, dann wäre ich nicht hier" Raffael warf das Messer mit Schwung aus dem Handgelenk in Merisas Richtung. Die kurze Klinge blieb knapp vor ihrem Teller im Holz des Eichentisches stecken. "Also, kommt zum Punkt, was Ihr von mir wollt und was Ihr mit ihm gemacht habt!" Raffael sah der Lamijah dabei herausfordernd in die Augen. Er war des Spielens müde und er würde sehen, wie sie reagierte. Er war gekommen, um seinen Fehler auszumerzen. Raffael wusste, er würde unter der Schuld zusammenbrechen, Farviriols Leben auf dem Gewissen zu haben und damit auch die Leben von Marie und den Anderen. Wenn die Satrapa den Wunsch hegte sie beide zu vernichten, dann sollte sie ihren Willen haben, denn sich gegen sie zu wehren, war er außer Stande. Aber er würde nicht hier sitzen bleiben und wertvolle Zeit vergeuden! Wie er es erwartet hatte, zeigte der Affront gegen sie Wirkung. Der Hass blitzte in ihren Augen auf. Ja, diese Frau hasste ihn, obwohl Raffael sich nicht vorstellen konnte, wieso. Die Eifersucht auf ihn, weil er von Farviriol begehrt wurde, konnte es nicht sein. Jedenfalls nicht alleine. Dann lächelte die Alte, aber man sah es ihr an der Nasenspitze an, wie schwer es ihr fiel, den Impuls zu unterdrücken, ihrem Gegenüber den Hals zu brechen. Arrogant fragte sie: "Du wagst soviel, so ganz allein, ohne deinen Beschützer?" Beschützer! Dieses Wort traf nun wirklich nicht auf Farviriol zu. Er verteidigte lediglich seinen "Besitz". Merisa läutete eine kleine Glocke und ein Junge von etwa elf Jahren trat in den Raum, der ihr eine Schüssel mit Wasser brachte und ein Tuch. Sie tauchte ihre Hände in das Wasser und ließ sich das restliche Blut entfernen. Darunter kamen frische Wunden zum Vorschein. Der Junge war wie fast alle Kinder in Elburum. Mit leblosen Augen und gebrochenem Verstand. >>Irgendwann müssen diese Bilder doch aufhören<< dachte Raffael bitter und wandte sich dann wieder Merisa zu. "Ich benötige keinen Beschützer. Ich trage meine Kämpfe stets selbst aus" Die Worte brachten die Lamijah zum lachen. Ihre schrille Stimme durchschnitt den Raum förmlich in zwei Hälften. "Wenn Farviriol am Abend des Balles nicht dazwischen getreten wäre, ich hätte dir unweigerlich das Genick gebrochen!" Sie lehnte sich selbstzufrieden in ihrem Stuhl zurück. Auch Raffael lächelte jetzt. Doch es war ein kaltes Lächeln. "Ich habe nicht behauptet, dass ich jeden Kampf gewinne" Es war nur eine Spitzfindigkeit und er wusste das. Aber er würde ihr nicht die Genugtuung lassen, Recht zu behalten. Der Ausdruck in den Augen der Frau änderte sich schlagartig. Er wurde kalt und drohend. "Reiz mich nicht zu sehr, oder du wirst es bereuen. Du lebst nur noch, weil er sich erneut zwischen dich und mich gestellt hat!" Raffaels Herz klopfte laut. Was meinte sie damit? Doch eine dunkle Ahnung machte sich in seinem Inneren breit. "Was meint Ihr damit?" fragte er, auch wenn er bereits wusste, dass ihm ihre Antwort nicht gefallen würde. "Du bist so naiv, junger Freund! Denkst du ich weiss nicht, dass du für das Ausbleiben der einhundertfünfzig Sklaven verantwortlich bist?" Die Satrapa setzte ein triumphierendes Lächeln auf. "Ich weiss, dass Farviriol solch ein Fehler niemals unterlaufen wäre und dennoch weigerte er sich preiszugeben, dass du die Schuld daran trägst!" In Raffael zog sich etwas zusammen. "Eigentlich schulde ich dir sogar meinen Dank. Durch dich habe ich die letzten fünf Tage mein Vergnügen an ihm stillen können" Sie gab ein zufriedenes Knurren von sich. "Du musst ihm sehr viel bedeuten, wenn er sich freiwillig zu mir begibt. Verstehst du? ER kam zu MIR!" Der Hexer war verstummt. Zu groß war das Erstaunen darüber, dass Farviriol sich ihr ausgeliefert hatte. Dass seine Besessenheit so weit ging, hätte er nicht für möglich gehalten. "Wie glücklich du doch sein musst, dass jemand wie er, sich für ein Nichts wie dich interessiert" Raffael sah zu der Frau und unterdrückte den Impuls zu weinen. Es waren Tränen der Hoffnungslosigkeit. Doch sie wären bei ihr nur als Zeichen der Schwäche angekommen. Er wollte nicht wegen dem Elfen weinen. Was sie mit ihm machte, war ihm gleich. Sollten sie sich doch gegenseitig umbringen. Raffael wollte über die allgemeine Situation weinen und den immer wiederkehrenden Kreislauf von Gewalt und Demütigung. Warum konnte es nicht einfach zu Ende gehen. Er war es so Leid, jeden Tag aufs Neue diese Welt zu sehen, die sich nicht verbessern ließ. Farviriol stürmte mit aller Gewalt auf ihn ein, Merisa mit Gewalt auf den Elfen und die Erzdämonen auf alle zusammen. War dieser Kreislauf denn nicht zu durchbrechen? Er merkte Resignation in sich aufsteigen. >>"Ja, es ist frustrierend, diese Welt zu sehen"<< hörte er die ihm mittlerweile vertraute Stimme zu ihm sagen. So vertraut, dass es seine Eigene hätte sein können. >>"Du verzweifelst an ihr und dabei könntest du sie so viel besser machen, wenn du dich mir nur anschließen würdest"<< Raffael sah den Dämonen nicht. Alles was er vernahm war die Stimme, tief aus seinem Inneren. Die immer wiederkehrende Stimme, die niemals Ruhe geben würde. Und sie war so verlockend. Alles könnte so verlockend einfach sein, wenn er auf sie hörte. Doch ein kleiner Schmerz in seinem Herzen weigerte sich darauf einzugehen. Nur ein Stich, nicht stark, aber dennoch so präsent, dass er in sich hinein horchte und danach suchte. Nach etwas das ihm half den Einfluss Blakharaz´ zurückzudrängen. Er kramte nach dem kleinen Licht, das ihn hoffen ließ und ihn dazu zwang nicht aufzugeben. Ihm kamen die Worte Karims in den Sinn, dass Fadime ein Kind erwartete, dass sie und Meshuha lebten, ebenso wie Pawla. Sie hatten an ihn geglaubt und hatten sich seinetwegen in Gefahr gebracht. Eslam und Karim waren für ihn Fremde und dennoch hatten sie die Hexe begleitet. Waren bereit gewesen ihr Leben zu riskieren, für jemanden, den sie nur aus Erzählungen kannten. Sie waren Teil seiner Familie geworden. Und er dachte an Marie und Salil. Er hatte es nicht bemerkt, aber auch sie waren Teil seiner Familie. Sie waren ihm beigestanden über die vielen Monate. Und selbst Farviriol hatte sich einen kleinen Teil in seinem Herzen erkämpft. Er empfand keine Liebe und keine Freundschaft, nicht einmal Verbundenheit zu ihm. Aber Mitleid. Tiefes, ehrliches Mitleid und Reue. Er hatte Recht behalten. Er hatte sich an den Elfen gewöhnt, ihn akzeptiert, ohne es zu merken. Nur die Erinnerungen an das vergangene Jahr hatten ihn davon abgehalten, sich einzugestehen, dass er ihm verziehen hatte. Erinnerungen, die Blakharaz ihm wieder und wieder ins Gedächtnis rief, um ihn doch noch für sich zu gewinnen. Raffael musste lächeln. Sie alle waren auf ihre eigene Art und Weise sein Licht und förderten seine guten Eigenschaften zu Tage. Er drängte Blakharaz aus seinen Gedanken. Er durfte nicht aufgeben, nicht jetzt. Raffael atmete tief durch und schloss das brüllende Ungeheuer, das erneut um seine Beute gebracht wurde, zurück in seinem Gefängnis ein. Ihm wurde auf einmal bewusst, dass er nie von ihm befreit werden würde und dass es schon immer da gewesen sein musste und nur auf einen Auslöser gewartet hatte, um durchzubrechen, aber auch, dass er immer wieder die Kraft aufbringen konnte, es zurückzudrängen. Er musste über sich selbst lächeln. So ein guter Mensch, für den er sich immer gehalten hatte, war er nicht. Er war nicht gut und rein und das musste er auch nicht sein. Er durfte hassen, verabscheuen und Rache empfinden. Er durfte Fehler machen. Solange er nur weiter versuchte besser zu werden, als er war. Dafür war er Mensch und zum ersten Mal verstand er wirklich, was das bedeutete. "Nun komm. Ich bringe dich zu ihm" Raffael sah zu Merisa. Es waren nur wenige Augenblicke vergangen. Sie hatte nicht einmal bemerkt, was gerade geschehen war. Die Alte läutete erneut die kleine Glocke und der Junge brachte den Mantel des Elfen. Er wies keine Risse oder Löcher auf. Merisa stand vom Tisch auf und trat an Raffael vorbei. Er tat es ihr gleich und folgte ihr. Die Satrapa geleitete den Hexer mit einer Fackel in die tiefen Keller des Palastes. Einer jener Orte, die man betritt, um sie nie wieder zu verlassen. Schon von oberhalb der langen Wendeltreppe aus Stein, auf der bequem drei Leute nebeneinander Platz hatten, hörte er das Stöhnen und Schreien unzählbarer Stimmen. Wie viele Menschen sich hier unten befanden, wollte er nicht einmal schätzen, doch die Zahl überschritt die Zwanzig bei weitem. Am Fuße der Treppe wehte Raffael der Geruch nach Blut, verwesendem Fleisch und der Gestank nach Fäkalien entgegen. In den Kellergewölben herrschte schwarze Dunkelheit und Raffael hieß sie willkommen, denn das Hören genügte, ihm eisige Schauer über den Rücken zu jagen, so kalt, als befände er sich im ewigen Eis. Sehen musste er nicht. "Schön, nicht wahr?" fragte Merisa erregt, als sie sein Unbehagen bemerkte. "Und sie alle warten darauf, dass ich sie erlöse" Sie fuhr sich durch das ergraute Haar, wie es die jungen Mädchen tun, um ihre Kavaliere zu verführen. Tat es eine Siebzigjährige, wirkte es gekünstelt und falsch. "Sie lieben und hassen mich. Ich alleine kann ihnen die Freiheit bringen. Sie sind vollkommen mein, ihre Körper, ihre Herzen, ihre Seelen" Die Satrapa beugte sich zu Raffael, dass ihm ihr teures Parfum den Atem raubte. "Und er wird auch wieder mein sein" Der Hexer schwieg. Sich mit dieser Frau zu unterhalten war ohnehin sinn und zwecklos. Sie würde nie begreifen, was das Leben bedeutete. Raffael blendete die Schreie um sich herum aus und unterdrückte den Instinkt aus dieser Umgebung zu fliehen. Die Alte Frau hatte ihn mit Gewalt hierher bringen lassen und war bereit gewesen, Hand an Farviriols Dienerschaft zu legen. Was brachte sie dazu, so weit zu gehen? Er würde es sicher herausfinden. Raffael versuchte durch die Dunkelheit zu sehen. Das Licht der Fackel reichte nicht aus, um die Zelle vollständig zu erleuchten. In einer der Ecken lag eine zusammengerollte, reglose Gestalt. Auch wenn er schlecht sah, wusste er wem die langen, rot gefärbten Haare, die langen schlanken Beine und Hüften und der breite Rücken gehörte. Denn er konnte, trotz des all überdeckenden Geruchs von Blut, einen Hauch von Rosen wahrnehmen, der über Monate hinweg so vertraut geworden war. Raffael glaubte manchmal, dass selbst sein Haar dabei war, ihn anzunehmen, so allgegenwärtig war er. Er war Teil einer Gewohnheit geworden und er mochte diesen Geruch, wenn auch nicht die Person, die ihn verströmte. In Raffael zog sich etwas zusammen und noch so vieles Schlucken ließ den Kloß in seinem Hals nicht verschwinden. "Komm, ich mache dir Licht, damit du deinen Geliebten besser sehen kannst!" lachte Merisa höhnisch. Der Hexer sah zu ihr. Sie sprach die Formel, die auch ihm bekannt war und ritzte mit ihren Fingernägeln einen tiefen Schnitt in ihre Handfläche, so dass einzelne Blutstropfen zu Boden fielen. Schlagartig wurde der Raum erhellt. >>Blutmagie!<< dachte er entsetzt. "Aber, ob er dir jetzt noch gefallen wird, wage ich zu bezweifeln" Raffael drehte langsam seinen Kopf und machte sich auf das grausame Bild vor ihm gefasst. Er schloss kurz die Augen, denn er wollte es nicht sehen. Er hatte schon zuviel Blut gesehen. Dennoch öffnete er sie und wandte sich dem nackten Körper zu, der nur durch das lange Haar, wie durch einen Schleier, bedeckt wurde und es war nicht mehr silbern. Raffael ließ seinen Blick über die langen, damastfarbenen Beine gleiten, wanderte die schmalen Hüften und den geraden Rücken hinauf und über die weitläufige Brust, die sich schwach hob und senkte. Er schloss für einen Moment die Augen und atmete durch, bevor er sich wieder im Stande sah, hinzusehen. Raffael dachte an Farviriol, so atemberaubend schön, wie er ihn kannte. Doch jetzt lag er vor ihm, wie eine gefallene Gottheit, übersät von Verletzungen. Er wagte nicht einmal sie zu zählen. Und trotzdem war sein Charisma ungebrochen. Trotz des Schmutzes, den Merisa über ihn geleert hatte. Raffael versuchte in das Gesicht des Elfen zu sehen, aber er wandte es ab. Es war die einzige Regung, die er gezeigt hatte, seit sie den Raum betreten hatten. Der Hexer ging näher an die Gitterstäbe heran und umfassste den kalten Stahl mit beiden Händen, nicht zuletzt, um nicht einzubrechen. >>Nicht einmal er hat so etwas verdient!<< dachte er. Erst das Lachen der Satrapa holte ihn aus seiner Trance zurück. "Ein traumhafter Anblick, nicht wahr? Geweihte Waffen sind für uns nicht immer nur von Schaden." Die Alte gluckste. "Selbst eine einfache Feder kann so zu einem tödlichen Gegenstand werden. Und es liegt ein besonderer Reiz darin, sie anzuwenden" Merisa ging mit langsamen Schritten auf ihn zu und präsentierte kokett ihre Reize. Raffael wandte sich ihr zu, krallte sich aber weiterhin in die Stäbe. Er wollte dieses Geschöpf ohrfeigen. Sie streckte Raffael ihre Hände entgegen. Sie waren verletzt, als hätte sich etwas tief in ihre Haut gefressen und sie heilten nicht. Der Schnitt ihrer Nägel hingegen, war restlos verheilt. "Allein eine flüchtige Berührung genügt, es muss nicht mal eine Waffe sein" lächelte sie kalt. "Dimiona wird Euch dafür bestrafen" sagte er ausdruckslos, wohl wissend, dass es nicht so war. Merisa hatte Farviriol wegen seines Fehltritts bestraft. Er hatte sich geweigert zu erzählen, dass er die Sklaven befreit hatte. Wegen ihm, hatte er so gelitten. "Nein, das wird sie nicht und du weißt das" lächelte die Alte kalt. Sie ging lautlos an Raffael heran und wieder war der Hass in ihren Augen, den er sich nicht erklären konnte. Doch dieses Rätsel sollte gelöst werden. "Wie ich dich verabscheue!" zischte sie und ihre Hand legte sich um Raffaels Hals. Zu schnell und zu präzise, als dass er hätte reagieren können. Sie schmetterte ihn mit unbändiger Kraft gegen das Gitter, so dass es in den Angeln quietschte. Raffael konnte sich eines leisen Stöhnens nicht erwehren, als sein Kopf und sein Rücken gegen den Stahl schlug. Er krallte sich in ihren Arm und wollte sich befreien, doch wie bei dem Elfen, war es aussichtslos. Obwohl die Alte ihn in ihrer Gewalt hatte, drückte sie nicht zu. "Lasst... los!" forderte Raffael atemlos. "Du bist nicht in der Lage mir zu befehlen, du Made!" schrie sie und drückte ihn erneut gegen die Gitter. "Er hat nur noch Augen für dich. Widmet sich dir allein. Ich kann damit leben, wenn er der Herrin dient, ohne sich dabei an mich zu halten. Er ist mein Geschöpf und es erfüllt mich mit Stolz, was aus ihm geworden ist. Aber seit er dich mitgebracht hat, verändert er sich. Du schwächst ihn und er merkt es nicht einmal" Jetzt drückte Merisa doch noch zu. Raffael ächzte unter dem Schmerz. "Du bist so gut und rein, dass er von dir angezogen wird, wie die Motte vom Licht. Du gehörst nicht hierher. Ich werde verhindern, dass du sein Untergang bist" Raffael hörte das Knirschen seiner Knochen. Sie würde es tun. Ihm jetzt und hier das Leben nehmen und er konnte nichts dagegen tun. So hatte er sich seinen Tod nicht vorgestellt. Er hatte immer geglaubt, dass Farviriol einmal sein Ende sein würde. Raffael fühlte, dass seine Kräfte nachließen. Da hörte er ein leises Lachen hinter sich und spürte, wie sich jemand an seinen Rücken lehnte. Er roch den Duft von Rosen und spürte Farviriols vertrauten Körper hinter sich, seinen warmen Atem an seinem Hals, als sein Kopf sich gegen die Gitterstäbe lehnte und die Erregung seines Unterkörpers, als er ihn gegen den Raffaels presste. Hände glitten von hinten durch die Gitter um seine bloße Brust und liebkosten seine Haut. Raffael hatte nachdem er sein Hemd Irina gegeben hatte, keine Gelegenheit gehabt ein neues überzustreifen. "Er ist nicht gut und rein" hörte er Farviriol sagen. Seine Stimme klang unendlich erschöpft. "Nein, das ist er ganz und gar nicht!" Er hob seinen Kopf und sah Merisa in die Augen. Etwas ließ sie zusammenfahren und zögern. Dann flammte der Zorn erneut in ihr auf, doch diesmal galt er eher dem Elfen, als dem Hexer. Raffael spürte, dass sich der Druck auf sein Genick verstärkte. Er versuchte sich aufzubäumen, aber umsonst. Die Luft wich aus seinen Lungen und er drohte das Bewusstsein zu verlieren. Farviriols Hand legte sich zitternd um das Handgelenk der Frau. Jede Bewegung bereitete ihm Mühe. "Du wirst ihn loslassen!" sagte er in ruhigem Ton, aber auch seine Stimme zitterte. "Er gehört mir, und nur mir" Raffael fühlte den warmen Atem des Elfen auf seiner Schulter und seine pulsierenden Lenden, die sich gegen seinen Unterkörper pressten. Mit einem Mal war der Schmerz vergessen. Sein Herzschlag verdoppelte sich. Merisa war nicht mehr sein einziges Problem. Farviriol hatte kein Sikharyan, er spürte es. Und er war der Einzige in Reichweite. Das Zittern kam nicht durch die Schmerzen, sondern durch die Anstrengung, nicht wie ein wildes Tier über ihn herzufallen. Selbst jetzt hielt er sein Versprechen. "Ich werde ihn nicht loslassen!" sagte Merisa "Er wird dich vernichten, wenn ich es nicht verhindere." Raffaels Aufmerksamkeit gehörte nun wieder der Frau, die dabei war, ihn umzubringen. Seine Kräfte hatten ihn verlassen. Er ließ die Arme sinken und fügte sich seinem Schicksal. Als spüre Farviriol, dass sein Widerstand gebrochen war, drückte er mit aller Kraft, die ihm geblieben war zu und brach der alten Frau das Gelenk. Sie schrie auf und ließ den Hexer los, doch der Elf hielt ihn davon ab zu Boden zu fallen, indem er ihn stärker an sich presste. Raffaels Lungen füllten sich wieder mit Luft. Unter starkem Husten schnappte er wie ein Fisch auf dem Trockenen. "Du weißt, ich habe Recht!" kreischte die Satrapa und wollte erneut auf Raffael losgehen, nachdem ihr Gelenk geheilt war. "Nein!" gebot ihr Farviriol Einhalt. "Du hast bekommen, was du wolltest. Ich habe mich dir hingegeben, wie du es verlangtest und habe seine Schuld beglichen! Es ist vorbei" In den letzten Satz mischte sich etwas Endgültiges. Der Hexer konnte sich nicht erklären, woran das lag. Es klang, als meine Farviriol etwas anderes, als diese Situation hier. Zu Raffaels Verwunderung kam hinzu, dass sie tatsächlich stehen blieb und den Elfen durchdringend ansah. Für eine Weile war es so, als suche sie nach der Wahrheit. Dann lachte sie hysterisch. Raffael fiel das Atmen immer noch schwer, aber mit jedem Zug wurde es besser. Er griff sich an die Kehle und rieb über die schmerzenden Stellen. "Wie du willst. Aber die Herrin wird sich holen, was ihr gehört. Gib dich deiner trügerischen Hoffnung hin, Farviriol, so lange du willst, aber letzten Endes werde ich es sein, die deine Scherben aufsammelt!" Die Alte zog aus ihrem Kleid einen Schlüssel und warf ihn Raffael vor die Füße. "Befrei ihn und macht, dass ihr rauskommt. Wenn er sich dem Untergang weihen will, dann sei es so" Dann machte sie kehrt und verließ den Raum, ohne ihn noch mal eines Blickes zu würdigen. Farviriol seufzte erleichtert, hielt Raffael aber immer noch fest. "Du kannst mich jetzt loslassen" sagte er erstickt, doch der Elf überging die Worte und presste seinen Körper noch enger an ihn. Das Gitter drückte sich schmerzhaft in Raffaels Rücken. "Lass mich los!" forderte er nachdrücklich, doch die Angst in seiner Stimme konnte er nicht verbergen. Farviriol war dabei die Kontrolle zu verlieren. "Ich kann nicht" sagte er zitternd. Er begann sich an Raffael zu reiben und biss sanft in seinen Nacken. Sein Mund war kalt und zitterte. Seine Hände wanderten über die warme Haut des Hexers und glitten hinunter zu seinem Gürtel. Raffael wusste, Farviriol beherrschte sich, so gut es ging, doch er war an einen Punkt gelangt, an dem es ihm mit jeder Sekunde schwerer fiel. In Raffael stieg langsam Panik auf. Er würde das nicht zulassen. Nicht noch einmal. Er spürte das Verlangen und das Bedürfnis des Elfen und es war nicht nur die sexuelle Begierde, die ihn unkontrolliert handeln ließ, er war dabei zu sterben. "Du musst!" Er versuchte erst gar nicht seine Verzweiflung zu verbergen. "Wir müssen hier raus, bevor Merisa es sich anders überlegt" Farviriol knurrte widerwillig, doch knallte dann seinen Kopf mit aller Kraft gegen das Gitter und wisperte Raffael ins Ohr: "Ich dachte nicht, dass du kommen würdest" Dann brach er zusammen. Kapitel 11: Der Preis der Macht ------------------------------- So, hiermit schaufle ich mein Grab, ich weiss, aber der erste Teil muss so enden! *sich-vor-den-Briefbomben-Messern-und-Knarren-schütz* Als nächstes wird die Korrektur gemacht. Unter anderem wird der Prolog komplett wegfallen und die 1 1/2 jahr noch nachgereicht werden. Es wird dann auch endlich ne richtige Kapiteleinteilung geben und für jedes eine Überschrift. Ich lade die FF dann nochmal vollständig neu hoch und mach Charabeschreibungen und Bilder rein! Ich hoffe man liest sich auch beim zweiten Teil! ^^ Auch wenn gewisse Charaktere nicht vorkommen... *hust* Abschlusskapitel: Der Preis der Macht "Wie kommt es, dass sie nicht heilen?" Raffael drückte den Schwamm im warmen Wasser des Badezubers aus. Es hatte sich vollkommen rotgefärbt und die Hose des Hexers ebenfalls. Raffael kniete hinter dem Zuber und hatte die Ärmel seines Hemdes hochgekrempelt, dennoch war es nass geworden. Eigentlich hätte er es sich sparen können, eines anzuziehen. Er hatte Farviriol aus dem Palast der Satrapa getragen, die sie aus dem Fenster des oberen Stockwerks grimmig beobachtet hatte. Zum Glück hatte Salil bereits vor dem Tor gewartet. Er hatte Farviriol entsetzt betrachtet, denn auch er hatte es nicht für möglich gehalten, seinen Herrn jemals so zu sehen. Ohne seinen Freund wäre es schwer geworden, den Elfen unbemerkt nach Hause zu bringen. Würde bekannt werden, dass er im Augenblick schwächer war, als ein Kind, dann waren sie alle verloren. Als sie angekommen waren, hatte Raffael ein Bad bereitet und Alkohol besorgt, um die Wunden Farviriols zu versorgen. Marie und die Anderen hatten sich an das gehalten, was er ihnen aufgetragen hatte: Sie waren fort und Raffael bedauerte es einen Moment, denn jetzt würde es schwer werden, den Elfen am Leben zu erhalten. Er war ohne Bewusstsein gewesen und sein Sikharyan war verbraucht. Er würde sterben. Raffael fragte sich, ob es Berechnung der Satrapa gewesen war, ihn so zurück zu geben. Hatte sie damit gerechnet, dass Farviriol sich über ihn hermachen würde und ihn an sich band, wenn er keine andere Möglichkeit mehr hatte, zu überleben? Sie hätte vermutlich nicht gedacht, dass der Elf sein eigenes Bewusstsein löschen würde , um sein Versprechen zu halten. Wenn Raffael ehrlich war, er hätte es sebst nicht geglaubt! Sobald Farviriol das Bewusstsein wieder erreicht hatte, hatte er Salil des Zimmers verwiesen. "Sie heilen. Doch sehr, sehr langsam" antwortete Farviriol leise. Raffael musste sich vorbeugen, um ihn überhaupt verstehen zu können. Dabei streifte er mit seinem Hemd die Schulter des Elfen. Farviriol erschauerte unter der Berührung des Stoffs. Er saß gebeugt und müde im Wasser mit den Händen in seinem Schoß und drehte dem Hexer seinen Rücken zu, der übersät war mit tiefen Wunden, die nicht gerinnen wollten. Einige gingen bis auf die Knochen. Einen normalen Menschen hätte das verlorene Blut alleine schon umgebracht. Viel beunruhigender, als die übermenschlichen Kräfte des Lamijahs, das überlebt zu haben waren die Wunden selbst. Sie durften nicht einmal da sein! Farviriols Haar hatte seine weiße Farbe wieder und hing nass an seinen Seiten hinunter und es verströmte nicht mehr den Geruch nach frischen Rosen. Der übernatürliche Zauber, der ihn für gewöhnlich umgab war restlos verschwunden. Er war nicht mehr, als ein schönes Mitglied des Elfenvolkes. Raffael tauchte den Schwamm in das warme Wasser und tupfte jede einzelne Wunde fein säuberlich ab. Es war lächerlich. Die Kräfte eines Lamijas sorgten dafür, dass sie sich nicht entzündeten, aber er wollte etwas tun, um sich besser zu fühlen. "Nicht" sagte Farviriol und entzog sich Raffales Zugriff. "Mach es mir nicht noch schwerer" Er zitterte jetzt am ganzen Körper und legte seine Hände auf die Oberarme, um sich zur Ruhe zu bringen. Er versuchte das Zittern zu unterdrücken, doch das Plätschern des Wassers verriet ihn. "Was passiert mit dir?" wollte Raffael wissen. Seine Hände hingen schlaff im Wasser. Er wusste nicht, wohin mit ihnen. Der Elf versuchte zu lachen. "Ich sterbe" Ein Stich traf Raffael mitten ins Herz. Wenn Farviriol starb, was würde aus Marie werden? "Was brauchst du, damit du überlebst?" fragte er, obwohl er die Antwort kannte. "Etwas, das du nicht bereit bist, mir zu geben" sagte Farviriol bitter und drehte seinen Kopf halb herum. "Und Marie ist nicht hier. Dafür hast du gesorgt. Selbst wenn ich sie riefe, sie käme nicht mehr rechtzeitig Und jemand neuen zu fangen, dazu fehlt mir die Kraft." Er lachte leise. "Letztendlich wirst du also von mir befreit sein" Farviriol wandte sich wieder nach vorne. "Bist du jetzt glücklich?" Raffael wusste nicht, was er darauf antworten sollte. War er glücklich, wenn Farviriol starb? Objetiv betrachtet, ohne Marie in seine Überlegungen mit einzubeziehen. Raffael dachte intensiv darüber nach. Er hatte dem Elfen oft den Tod gewünscht. Und so nah wie jetzt, war er diesem Wunsch lange nicht mehr gekommen. Der Hexer hörte in sich hinein und antwortete dann auf die Frage: "Es ist mir gleich." Es war die ehrlichste Antwort, die er Farviriol geben konnte. "Ich habe aufgehört, mir deinen Tod zu wünschen. Wenn ich eins in Oron gelernt habe, dann dass der Tod nie die Antwort auf Fragen, oder Lösung von Problemen sein kann. Der Tod erleichtert dem Einzelnen vielleicht sein Leben, aber er macht die Welt deswegen nicht besser." Farviriol lachte wieder. "Sagst du mir damit, dass dich meine Gegenwart nicht mehr stört? Und dass du mir vielleicht doch dein Sikharyan gibst?" Er drehte sich zu Raffael um, ging auf die Knie und legte seine Hände über die des Hexers im Zuber. Raffael sah eine leise Hoffnung im Blick des Elfen. Er seufzte tief und zog die Hände aus dem Wasser. "Nein" sagte er dann mit fester Stimme und richtete sich auf. "Ich bin nicht bereit dazu" Die geringe Hoffnung im Blick des Elfen erstarb. Er senkte seinen Kopf und nickte schwach. "Aber ich" sagte eine Stimme aus dem Nebenzimmer. Raffael und Farviriol wanden sich überrascht der Stimme zu. Salil trat unter den Rundbogen hervor und sah vom einen zum Anderen. Er war unerlaubt herauf gekommen und so leise, dass nicht einmal der Elf ihn gehört hatte. "Ich bin bereit, ihm zu geben, was er benötigt"" Raffael war schockiert. "Nein, Salil, nein! Hast du vergessen, was er mit dir gemacht hat? Du kannst dich un..." "Doch ich kann. Und ich werde" unterbrach er Raffaels Redefluss und nickte. "Ich habe es nicht vergessen, was vor einem Jahr dort unter geschah" Er betrat den Raum und ging auf Farviriol zu. "Und ich habe ihn dafür gehasst" Dann wandte er sich an Raffael "Aber du bist nicht der Einzige, der verzeihen kann" sagte er und lächelte. Raffael schluckte seinen aufkommenden Ärger hinunter. Er würde ihn nicht opfern. "Weißt du, was du da sagst? Du bindest dich für den Rest deines Lebens an ihn! Du wirst nie wieder frei sein, keine Familie mehr gründen können, oder von hier weggehen! Er würde es nicht zulassen." Sein Blick fiel abschätzig auf Farviriol. Salil trat auf Raffael zu und legte ihm die Hand auf die Schulter, immer noch ein Lächeln in den Augen und voller Zuversicht. "Ich weiss. Aber vielleicht gibt es einen Weg es später ungeschehen zu machen. Wenn es einen Weg nach vorne gibt, gibt es auch immer einen zurück!" sagte er gelassen. Dann senkte er den Kopf. " Außerdem, wenn er stirbt und das Mädchen ihm folgt," Er schüttelte den Kopf. "Du könntest es dir nie verzeihen!" "Aber.." wollte Raffael ansetzten "Kein aber, Raffael. Diesmal wirst du gehorchen!" sagte er zwinkernd. "Wenn wir eines gemein haben, dann, dass wir beide unsere Schuld immer begleichen! Und ich stehe noch in deiner Schuld!" Der Hexer wollte widersprechen, schüttelte dann aber den Kopf. "Was könntest du mir denn schulden, mein Freund?" fragte er und legte seine Hand über die Salils. Der Braunhaarige sah ihn an. "Dir ist es vielleicht nicht bewusst, aber deine Anwesenheit in diesem Haus, hat vielen Menschen das Leben gerettet." Raffael sah auf den Mann, der ihm Freund und Begleiter geworden war, den er manchmal nicht verstand, gerade seinen Entschluss sich den Rotmänteln angeschlossen zu haben, aber dem er blindes Vertrauen entgegen bringen würde. Er wollte nicht, dass Salil ausbadete, was er angerichtet hatte. Raffael strich sich durch das schwarze Haar und stützte den Kopf eine Weile in seine Handflächen. Salil hatte sich entschieden und nichts würde ihn von seinem Entschluss abbringen können. In dieser Hinsicht glich er dem Braunhaarigen. Stur bis zuletzt. Weiter zu diskutieren würde nur Zeit verschwenden. Raffael ließ aufgebend seine Arme fallen. Sie schlugen gegen die Seiten seiner Oberschnekel. "Dann mach" Er schüttelte verständnislos den Kopf. Salil klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter, trat dann von ihm weg und ging zu Farviriol. "Herr, ihr könnt über mich verfügen" sagte er, ging neben dem Zuber auf die Knie, legte seine Hand auf Farviriols Wange und begann sie zu streicheln. Zuerst wollte der Elf zurückweichen, nahm dann das ihm dargebrachte Angebot aber umgehend an und zog den Braunhaarigen samt Kleidung zu sich ins Wasser. Er warf Raffael noch einen bedauernden Blick zu, der alle Enttäuschung darüber zum Ausdruck brachte, dass nicht er in seinen Armen lag und wandte dann seine gesamte Aufmerksamkeit dem Braunhaarigen zu. Salil folgte ohne Widerwillen. Raffael schloss die Augen, als sie sich zu küssen begannen und schüttelte abermals den Kopf, als wolle er ein widerwärtiges Bild verscheuchen. Dann verließ er mit einem Fluch auf den Lippen schleunigst den Raum. Er ging in die Küche, die wie verwaist da lag und feuerte den Ofen an, denn ihm war kalt. Und er hatte Hunger. Er kramte Töpfe, Gemüse und Kartoffeln zusammen und begann zu kochen. Hinzu kam, dass er Beschäftigung brauchte. Raffael kannte den Elfen, Es würde eine Weile dauern, bis er mit Salil fertig war. Das Gemüse kochte auf dem Feuer und füllte den Raum mit verführersichem Duft. Raffael fügte mehr hinzu, für eine weitere Portion. Salil würde neue Kraft brauchen. Wie konnte er das nur tun? Er verstand den Braunhaarigen nicht. Er band sich an den Elfen in einer Weise, die ihm die vollkommene Kontrolle über ihn ermöglichte. Aber es war seine Entscheidung. Er tat es aus freien Stücken. Warum ärgerte es ihn dann so maßlos? Raffael griff gedankenverloren nach dem metallenen Griff des Topfs und ließ ihn sofort fallen, als das erhitzte Metall sich in seine Finger brannte. Er klapperte über den blank geputzten Boden der Küche und hinterließ eine heiß dampfende Gemüsefläche. "Verfluchter Mist!" brüllte er und gab dem Topf einen Tritt, dass er durch den Raum fegte. Er steckte sich die verbrannten Finger in den Mund und starrte vor sich hin. Wie konnte Salil das nur freiwillig tun? Raffael ging zum Topf, hob ihn auf und stellte ihn in den Schüttstein. Er suchte nach Schrubber und Eimer und begann das verschüttete Essen aufzuwischen. Es regte ihn auf, dass sein Freund da oben war. Oben bei Farviriol, und das tat, wozu ihm der Mut fehlte. Es wäre seine Aufgabe gewesen, seinen Fehler gutzumachen und nicht die Salils. Er müsste jetzt bei Farviriol sein und ihm das Leben retten. Raffael wischte über den Boden, bis er sauber war und setzte sich an den Tisch der Küche. Er nahm sich eine Orange und begann zu essen. Erneut kochen wollte er nicht und so groß war sein Hunger nicht mehr. Bei dem Gedanken daran, was Farviriol mit Salil machte, verging ihm der Appetit. Etliche Zeit später, in der er über diese Situation brütete, hörte er ungelenke Schritte auf die Küche zukommen und einen Augenblick später betrat Salil den Raum. Er war schwach und lehnte sich gegen den Rundbogen. Raffael sah ihm in die Augen und suchte Bedauern in ihnen. Doch er fand es nicht. Sein Freund wirkte geistesabwesend. Er ließ seinen Blick über seine Gestalt gleiten. Das Haar war noch feucht vom Wasser des Badezubers und er hatte sich mühevoll angezogen, denn die Kleidung saß nicht richtig. Sein Hemd war nicht zugeknöpft und darunter kamen Bissspuren und blaue Flecke hervor. Raffael wollte es sich lieber nicht ausmalen, was in den letzten Stunden da oben passiert war. "Geht es dir gut?" fragte er skeptisch, doch Salil nickte "Ja, aber sehr müde" Er ging mit wackeligem Gang zum Tisch und ließ sich auf den zweiten Stuhl fallen. "Es tut mir Leid. Du hättest das nicht tun sollen" sagte Raffael leise. Seine Worte klangen in seinen eigenen Ohren wie Hohn. Jetzt war es zu spät für Bedauern. Salil hob müde den Kopf. "Er will dich sehen, bevor er sich schlafen legt" Raffael nickte stumm und stand auf. Sein Freund legte den Kopf auf die Tischplatte. Das nasse Haar, das nach Rosen roch, verteilte sich kranzförmig um sein Haupt. "Du solltest jetzt auch zu Bett gehen. Du siehst erschöpft aus." Salil gab nur ein undefinierbares Grunzen von sich. "Ich werte das als ja" sagte Raffael und ging hinaus. Die Abendluft wehte ihm kalt um die Nase und jagte ihm einen kurzen Schauer über den Rücken. Es war Sommeranfang, aber heute war die Nachtluft ungewöhnlich kalt und am Himmel zogen dunkle Wolken vorbei. >>Kein gutes Zeichen<< Der Hexer begab sich in das Schlafzimmer des Elfen, das aussah, als hätte der Beleman selbst hindurch gefegt. Wasser nässte den Teppich gänzlich ein, Kleidungsstücke lagen verstreut auf dem Boden, der Tisch war umgestoßen und Blutspuren fanden sich hier und da, aber überraschenderweise war das Bett von der Unordnung völlig unberührt. Farviriol lag in den Laken und nur sein Haarschopf lugte hervor. Raffael ging ans Bett und wartete bis er aufschaute. "Du hast nach mir geschickt?" Raffael befürchtete, dass er jetzt eine ordentliche Standpauke gehalten bekäme, jetzt wo es dem Elfen besser ging. "Aber mach es kurz. Ich habe heute nicht mehr die Kraft, mich mit dir zu streiten" Er seufzte erschöpft und verschränkte die Arme abwehrend vor der Brust. Farviriol setzte sich auf. Sein Gesicht und der Rest seines Körpers waren immer noch gezeichnet, aber die Wunden sahen besser aus und seine Bewegungen waren zwar noch nicht katzengleich, aber deutlich schneller als zuvor. Er würde es schaffen. Er war jetzt in der Lage sich zu heilen und er hatte jemanden gefunden, der ihn mit Sikharyan versorgte. "Keine Sorge, ich habe dich nicht gerufen, um dir Vorwürfe zu machen. Ich bin dir nicht böse." Farviriol saß leicht gebeugt vor ihm und lächelte wissend. Er verstand ihn auch ohne viele Worte. Raffael musste zugeben, dass ihm dieses gegenseitige Verstehen ganz angenehm war. Er atmete erleichtert aus, gab seine abwehrende Körpersprache auf und ließ die Arme sinken. "Ich möchte nur eins wissen." sagte Farviriol lächelnd. Dann wurde seine Miene ernster. "Warum bist du gekommen?" Er hob die grünen Augen und sah Raffael durchdringend an. "Wenn dir nichts an meinem Leben liegt, warum hast du mich dann zurück geholt?" Der Hexer seufzte tief und ließ sich neben dem Elfen nieder, zog ein Bein an und lehnte sich darauf. "Die Wahrheit wird dir aber nicht gefallen" sagte er und legte den Kopf auf die Seite, um Farviriol anblicken zu können. "Damit rechne ich. Das meiste, was du sagst, missfällt mir." bestätigte er lächelnd. "Wegen Marie. Ich wusste nicht, was aus ihr wird, wenn du stirbst" antwortete Raffael ehrlich und machte sich darauf gefasst, dass Farviriol an die Decke gehen würde, doch seine Reaktion fiel kleiner aus, als erwartet. "Ah, wegen ihr." sagte er und sah gebannt auf die weißen Laken. " Es ist immer wegen ihr" Dann atmete er tief ein und schloss die Augen. Raffael musterte ihn eingehend. "Warum bist du enttäuscht?" Farviriol lachte leise und legte sich zurück in die Kissen. Du kennst mich doch lange genug" fuhr der Hexer fort. "Ja, ich kenne dich. Vermutlich besser als jeder Andere. Aber ich hatte gehofft, dass die Zeit für mich arbeiten würde und sich etwas ändert." Er öffnete die Augen, nahm Raffaels Hand und spielte mit seinen Fingern. Der Hexer zog sie nicht weg, sondern betrachtete Farviriol mit Interesse. Er verstand dieses Geschöpf einfach nicht und je mehr er es versuchte, desto schwerer fiel es ihm. Farviriol war durch die Hölle gegangen. Erneut. Für ihn. Und das obwohl er ihm bisher nicht entgegen gekommen war und es auch nicht tun würde. Zumindet nicht freiwillig. Er hatte ihn verraten, mehrmals, und er hatte es ihm jedes Mal nachgesehen Warum beschützte er ihn bloß so hartknäckig? "Ich will dir auch eine Frage stellen." begann Raffael. "Warum ich? Was ist an mir besonders, dass du mich hütest, wie ein Drache seinen Hort?" Der Hexer schmunzelte über seinen eigenen Vergleich, aber fand ihn passend. Farviriol starrte ihn eine Weile ausdruckslos an, als müsse er über diese Frage nachdenken, wandte dann seinen Blick aber kopfschüttelnd ab und entließ Raffaels Hand. "Geh schlafen, junger Hexer. Ich bin müde" seufzte er. Er wollte sich auf die Seite rollen und das Thema beenden. Diese Reaktion kam abrupt und Raffael dachte gar nicht daran. "Nein, ich kann jetzt nicht gehen. Ich will eine Antwort" Er ballte die Hände zu Fäusten. "Was willst du von mir? Salil hat Recht..." "Ich sagte dir, du sollst gehen!" unterbrach Farviriol barsch. Er sah ihn dabei nicht an. "Das werde ich nicht!" Raffael beugte sich vor. "Du hast dich verändert und ich will wissen wieso!" Seine Worte fielen lauter aus, als beabsichtigt. Doch er wollte endlich Antworten. Es konnte nicht ewig so weiter gehen. Sie bekämpften sich gegenseitig. Jeder auf seine Weise. Selbst jetzt stritten sie sich und das wegen einer einfachen Frage! Farviriol wandte ihm wieder sein Gesicht zu und sah ihm direkt in die Augen. Er war verärgert. "Geh!" sagte er ruhig, aber in seinem Unterton und seiner Haltung schwangen eine eindeutige Drohung mit. Raffael erschrak. Er hatte das Gefühl ein verletztes Tier in die Enge zu treiben. Ein gefährliches Tier. Um die Schärfe aus seinem Ton zu nehmen fügte er leise hinzu: "Hilf mir, dich zu verstehen" Er sah den Elfen bittend an, versuchte aber jede Forderung zu vermeiden. Farviriol betrachtete ihn einen Moment noch mit Ärger, ließ sich dann aber von seinem Blick erweichen und nickte kaum merklich. Wenn es eskalieren musste, dann sei es eben so. "Also schön" seufzte er. Er rutschte an die Seite des Hexers, drückte sein aufgestelltes Bein zu Boden und bettete sein Haupt in seinen Schoß. Sein feuchtes Haar legte sich wie eine Decke um seinen Rücken. Raffael erstarrte. Er wollte Antworten, keine Demonstration! Er verhielt sich dennoch ruhig, würde aber auch nicht nachlässig werden. Im Moment würde er noch nichts gegen die Annäherung des Elfen unternehmen. Ein klein wenig Spielraum räumte er ihm ein. Farviriol atmete tief ein, schloss abermals die Augen und begann zu erzählen. "Du willst wissen warum?" >>Ja<< dachte Raffael. "Ehrlich gesagt, weiss ich es nicht. Als wir uns kennen lernten, wollte ich dich bestrafen, weil du das Mädchen gerettet hattest. Dann kam der Ehrgeiz hinzu, dich gewinnen zu wollen, weil niemand sich mir widersetzten durfte. Du hast dich gewehrt, mehr als jeder Andere. Und je mehr du dich gewehrt hast, desto mehr wollte ich es. Dich zertreten, weil du es gewagt hast, mich schwach aussehen zu lassen." Raffael zog verstimmt eine Augenbraue hoch. "Als ich dann herausfand, dass Blakharaz Anspruch auf deine Seele erhob und dich beschützte, wollte ich gegen ihn gewinnen, verhindern, dass er dich mir wegnimmt." Er lächelte dünn. "Rivalität besteht nicht nur unter den Göttern, musst du wissen. Ohnehin hatte ich nicht geglaubt, dass du es lange aushalten würdest." Farviriol legte einen Arm um Raffaels Taille und schmiegte sich stärker an ihn, wie ein Kind, das nach einem schlechten Traum, Schutz bei der Mutter sucht und streichelte zärtlich mit seinen schlanken Fingern über seinen Rücken. "Doch du hast durchgehalten. Je schlimmer ich dich behandelte, desto stärker bist du geworden. Es ärgerte mich über die Maßen, deinen Willen nicht brechen zu können, bis ich schließlich einen Weg gefunden hatte, dich zu demütigen. Es bereitet mir Vergnügen dich leiden zu lassen, in dem ich die Menschen quäle, die dir wichtig sind. Du schaffst es, dass ich nur noch Gedanken daran verschwende, wie ich dir als nächstes beikommen kann. Trotz meiner Macht machst du einen Narren aus mir. Dafür hasste ich dich und ich hasse dich noch!" Farviriol richtete die juwelenartigen Augen auf ihn. Raffael konnte den Ausdruck in ihnen nicht deuten, doch er spürte, dass seine Worte nur zum Teil der Wahrheit entsprachen. "Weshalb hast du mich dann gedeckt, wenn du mich so sehr hasst?" fragte er und sah hinab auf das weiße Haupt in seinem Schoß. "Warum bist du zu ihr gegangen?" Raffael fühlte sich hin und her gerissen, dieses Geschöpf mit seinen abartigen Gedankengängen von sich zu stoßen, oder es einfach die Arme zu nehmen. Farviriol tat ihm Leid. Er hatte in seinem langen Leben, das um ein vielfaches länger war, als das eines Menschen, nur Leid und Ablehnung kennen gelernt. Und dieses Leid war größer gewesen, als er bisher gewusst hatte. Er war zu jung gewesen, um die Zeit während Borbarads Erscheinen bewusst mitzuerleben. Er konnte nur erahnen, wie grauenvoll es damals gewesen sein musste. Und ganz gleich, was diese Erlebnisse aus Farviriol gemacht hatten, irgendwann vor vielen Jahrzehnten musste er einmal anders gewesen sein. Vielleicht damals schon sonderbar, aber nicht böse. Pawla hatte ihm berichtet, dass er einst auf der anderen Seite gekämpft hatte. Farviriol richtete sich auf Kopfhöhe des Hexers auf und blieb einen Spann von seinem Gesicht entfernt. Nasse Strähnen fielen in das bleiche Gesicht, das dabei war zu heilen, aber sicher noch Tage dafür brauchen würde. Er war immer noch schön, dass es weh tat. "Ich weiss nicht wann genau es begann, aber wenn du nicht da bist, dich mit dem Mädchen abgibst, dich in Freundschaft an Salil wendest, immer dann drohe ich vor Hass zu zerspringen und in mir regt sich der Wunsch alles zu zerstören, was dir wichtig ist. Und wenn ich bei dir bin" er fuhr über Raffaels Wange "dich berühre, dir deinen Körper zerbreche, dann brennt etwas in mir, gräbt sich bis in mein Innerstes und verschlingt mein Herz. Ich merke, dass es sich auflöst und es schmerzt, dass ich es kaum ertrage. Ich sterbe süße Tode, jedes Mal aufs Neue. Ich fürchte mich vor dir und vor dem, was du mit mir machst, mehr noch als vor Merisa und deshalb hasse ich dich! Und dennoch." Der Elf sah ihm fest in die Augen. "Es ist besser, als wenn sie dich getötet hätte. Deshalb bin ich zu ihr gegangen" Farviriol hauchte einen Kuss auf Raffaels Lippen, der sich weder sträubte, noch ihn erwiderte, aber sich anspannte und trocken schluckte. "Was hast du mit mir gemacht? Wie konntest du mich nur so schwächen?" fragte er ungwohnt sanft mehr an sich gerichtet. "Was machst du mit mir?" wiederholte er und sah Raffael fragend an. Farviriol zog ihn an sich und wollte erneut die Distanz zwischen ihren Lippen schließen, doch diesmal wich Raffael zurück. Farviriol lehnte seinen Kopf mit einem resignierten Seufzen gegen seine Brust, die Arme immer noch um seine Taille geschlungen. "Warum zwingst du mich, es auszusprechen? Sie reißt ohnehin schon an mir. Ihr beide tut das, zerrt an zwei Seiten und reißt mich in Stücke. Und ich weiss nicht in welche Richtung ich gehen soll. In welche Richtung soll ich gehen?" Er hob den Kopf. "Sag mir in welche!" Seine Augen waren die eines verlorenen Kindes. "Ich verstehe nicht." sagte Raffael und bekam ein mulmiges Gefühl. In diesem Zustand war der Elf noch nie gewesen. Etwas stimmte nicht mit ihm. Farviriol nahm die Hände des Hexers und zog ihn zu sich. Raffael stemmte sich dagegen, bis die Finger des Elfen wie Fesseln in seine Gelenke schnitten. Er hatte einen beträchtlichen Teil seiner Kraft zurück. Das ungute Gefühl wurde zu schleichender Angst. Etwas stimmte mit ihm ganz und gar nicht. Farviriol lehnte sich mit seinem ganzen Gewicht gegen Raffael und legte den Kopf auf seine Schulter. Raffaels Herzschlag verdoppelte sich von einem Moment zum anderen. "Lass den Unsinn. Du bist erschöpft!" knurrte er, aber dass er sich mehr als unwohl fühlte, konnte er nicht verbergen. "Mach, dass es aufhört" hörte er den Elfen sagen und sein warmer Atem drang bis durch sein Hemd. Raffael bekam eine Gänsehaut. Er versuchte sich loszumachen, aber Farviriol gab ihm keine Möglichkeit dazu. Seine Finger gruben sich wie Nägel in die Haut. Raffael unterdrückte den Schmerzenslaut und auch den Fluch, den er auf den Lippen hatte. Er drückte mit seinem Körper kräftig gegen den Elfen, um ihn vielleicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. Eine sitzende Position war dabei mehr als hinderlich, noch dazu, wenn man seine Hände nicht gebrauchen konnte. Farviriol ahnte Raffaels Vorhaben, drehte mit einer zu schnellen Bewegung, als dass der Hexer hätte reagieren können, seine Arme auf den Rücken und ließ sich nach vorne fallen. Raffael schlug auf das Bett auf und hörte seine Schulterknochen knirschen. Ein ersticktes Stöhnen verließ seinen Mund. Im nächsten Augenblick kniete Farviriol über ihm. Diese Position hatte seine Situation nicht gerade verbessert. Aber zumindest hatte der Elf seine Hände loslassen müssen. Er schob sie unter seinem Körper hervor, doch Farviriol krallte sich sofort wieder in seine Handgelenke und setzte sich auf seinen Unterkörper. "Lass mich los!" forderte Raffael verärgert. Der Mann hatte seinen Spielraum ausgereizt. Jetzt war definitiv der Moment, um etwas zu unternehmen. Mit den beschränkten Möglichkeiten, die er hatte stemmte er sich gegen den Elfen, der ihn durch sein Gewicht ans Bett fesselte. "Nein! Schick mich nicht fort" Farviriol hob den Kopf und Raffael erkannte an seiner Miene was als Nächstes passieren und dass es ihm nicht gefallen würde. Nur am Rande nahm er wahr, dass es zu regnen begonnen hatte und die einzelnen Wassertropfen auf den Boden des Balkons nieselten. "Mach, dass es aufhört. Ich kann es nicht länger ertragen" sagte Farviriol erneut. Raffael las in seinen Augen Begehren, Bedürfnis, aber auch eine tiefe Qual, die ihn in Erstaunen versetzte. Eine Qual, die er sich nicht erklären konnte. "Ich verstehe dich nicht!" keuchte er. "Was soll ich machen? Was muss aufhören?" Farviriol blickte ihn glasig an. Er schien nicht bei Verstand zu sein. "Mach, dass es aufhört" wiederholte er, bevor sein Mund den Raffaels fand und jede Widerworte im Keim erstickte. Seine Zunge drang tief in seinen Mund und raubte ihm den Atem. Raffael wandte atemlos sein Gesicht ab und versuchte sich unter ihm vorzukämpfen. Mehr als nach ihm zu treten war er allerdings nicht in der Lage. "Geh runter!" >>Es wird wieder passieren!<< dachte er in Panik. Doch in seinem Inneren brannte eine kleine Flamme höher, bei jeder weiteren Berührung des Elfen. Und mit einem Mal wurde er auch Farviriols betörendem Geruch gewahr. Die Angst schnürte ihm die Kehle zu. >>Zu spät<< Kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende gedacht, begann der Zugriff auf seine Seele. "Verschwinde aus meinem Kopf!" schrie er. Farviriol beugte sich tiefer über Raffael, strich mit den Fingern über seine Lippen und ritzte mit seinen Nägeln einen tiefen Schnitt in die Unterlippe des Hexers. Der süße Geschmack seines eigenen Blutes füllte Raffaels Mund. Er knirschte mit den Zähnen, als der Schmerz sich einstellte. Stärker aber noch versuchte er zu unterdrücken, dass er Gefallen daran fand. Als Farviriol sich wieder aufrichtete und Raffaels Gesicht mit klaren Augen eingehend betrachtete, als sehe er es ein letztes Mal, sagte er traurig: "Merisa hat Recht. Ich muss es beenden, bevor du mich zerstörst. Ich kann nur einem Herrn dienen" Dann riss er das Hemd des Hexers entzwei. Raffael kämpfte sich mühevoll einen Arm frei und schlug Farviriol ins Gesicht. So hart er nur konnte. Er würde ihn schon wieder zu Verstand bringen. "Hör auf!" brüllte er und holte abermals aus. Farviriol fing den hilflos geführten Schlag ab und drückte Raffael zurück auf das Bett, seine Hände über seinem Kopf. Wie stählerne Fesseln schlossen sich seine Finger wieder um seine Handgelenke und pinnten ihn wie einen Schmetterling auf die Laken. Farviriols Gesicht senkte sich in sein dichtes Haar. Er sog den Duft der schwarzen Fluten tief ein und lockerte nur für den Bruchteil einer Sekunde seinen Griff und zögerte. Als er sich wieder aufrichtete, sah Raffael in Farviriols Augen Zweifel und eine unendliche Pein. Mit bedauerndem Blick fuhr der Elf seine verletzten Lippen mit den Fingerspitzen ab und küsste sie sanft. Raffael begann zu zittern und Zorn stieg in ihm auf. Er unternahm einen weiteren Versuch, sich aus dieser Lage zu befreien, aber er war chancenlos. Mit einem wütenden Knurren schloss er die Augen und öffnete sie sofort wieder. Er sah Farviriol böse an. Die Zweifel des Elfen waren verschwunden. Raffael spürte den Druck auf seiner bloßen Brust und die Wärme die von Farviriol ausging. Und auch, dass etwas an ihm fraß. Die wenigen Male, in denen er sich ihm in dieser Weise genähert hatte, waren anders gewesen. In Merisas Gefängnis hatte er lebensnotwendiges Sikharyan gebraucht und damals im Zelt hatte er ihn einfach nur unter seine Kontrolle bringen wollen. Jetzt allerdings, war mehr vorhanden, als der Drang zu überleben, oder ein widerspenstiges Tier zu zähmen. Es war der Wunsch sich von einer Last zu befreien. Einer Last, die so erdrückend war, dass er daran zu zerbrechen schien. Bitte, mach, dass es aufhört!" "Sag mir, was aufhören muss! Ich verstehe dich sonst nicht!" forderte Raffael hilflos. Farviriol sprach immer dieselben Worte und ihm kam es wie ein endloses Gebet vor. Doch an wen war es gerichtet? "Es muss aufhören" hörte er Farviriol leise sagen, bevor er so hart geküsst wurde, dass es ihm den Atem verschlug und seine Lippen zu einem einzigen Meer aus Schmerzen wurden. Raffael wollte sich aufbäumen, doch Farviriols Hände gaben nicht nach. Verzweifelt krallte er seine Fingernägel in die weiche Haut. Auch der Sturm, der gegen seine Seele tobte wurde stärker. Die anfangs freundliche Umarmung seines Seelenpanzers, war zu einer gewaltsamen Umklammerung geworden. Farviriols Kraft rollte mit einer Entschlossenheit gegen ihn, dass kein Zweifel daran bestand, dass er sich dieses Mal holen würde, wonach es ihn seit Monaten verlangte. Er würde ihn unter allen Umständen aufbrechen. Er verschwendete keine Zeit damit, ihm wie damals im Zelt, ein Trugbild einzupflanzen, das ihn verführen sollte. Dafür hörte er auch in seinen Gedanken immer die selben Worte: "Es muss aufhören! Mach dass es aufhört!" Farviriol wiederholte sie unablässig, als seien diese Worte sein einziger Gedanke, die einzige Wahrheit, die er kannte. Raffael verstand sie nicht. Die Hände des Elfen glitten über den verlockenden Körper unter ihm, der sich gegen ihn zur Wehr setzte, wie nie etwas anderes jemals zuvor. Ebenso das strahlende Licht, das durch Schatten getrübt war, aber immer wieder einen Schlupfwinkel fand, aus dem es hell hervor scheinen konnte. Woran liegt es, dass jeder Versuch, sich dieses Licht zu unterwerfen scheitert, und es sich immer wieder entzieht? Farviriol hielt inne, senkte sein Gesicht in Raffaels Haar, das er für das Schönste hielt, das er je gesehen hatte und sog den Duft ein, der seinem mittlerweile so ähnlich war und trotzdem stets etwas eigenes bewahrte. Es war weder fein, noch seidig, nicht einmal weich, aber von einer Kraft und Leben, dass es ihn jedes Mal schmerzte, wenn er es nicht berühren durfte. Er richtete sich auf, sah in die grünen, stolzen Augen, die die Farbe der Nacht angenommen hatten und ihn angstvoll anblickten, zugleich aber eine Gewissheit in ihnen lag, dass er hart kämpfen müsste, um sie zu brechen. Farviriol fuhr vorsichtig die blau werdenden Lippen ab, die unter seiner Berührung erzitterten, nicht in freudiger Erwartung erneut liebkost zu werden, sondern vor Angst und Zorn. Er spürte, wie sein Wille gegen die Seele dieses Mannes herrschte, der ihm nur Ärger gemacht hatte, seit er ihm das erste Mal begegnet war. >>Ja, ich hasse dich!<< dachte er. >>Ich habe dir alles genommen, was dir etwas bedeutete, dich zertreten und geschändet, damit dir keine andere Wahl bleibt und du dich flehend an mich wenden würdest und ich mich deiner dann entledigen könnte. Wie ich es mit hunderten zuvor getan habe und wie ich es mit hunderten nach dir getan hätte.<< Farviriol küsste sanft den zitternden Mund. >>Und dennoch, du kleiner, schwacher Mensch kämpfst dich jedes Mal zurück. Und je schlimmer es für dich wird, desto leichter fällt es dir. Ich wollte dich an mich binden. Doch viel mehr hast du, ohne, dass ich es bemerkte, mich an dich gebunden<< Für einen Moment regte sich in Farviriol Bedauern darüber, dass er sich mit seiner dämonischen Kraft nehmen musste, was er unter anderen Umständen vielleicht freiwillig erhalten hätte. Der Mann unter ihm versuchte den kurzen Moment des Zweifelns zu nutzen, um sich zu befreien. Die Pein kehrte in Farviriol zurück, die ihn anpeitschte, weiter zu machen, die Stimme, die bedrohlich zu ihm flüsterte, dass er Diener war und nicht Herrscher. Er schloss die Augen und drängte seine Zweifel beiseite. >>Es war ein schlechter Handel<< Raffael wollte den Elfen aus seinem Kopf ausschließen. Er musste es. Er erinnerte sich an den Moment in der Bibliothek, als er dabei gewesen war alles zu vergessen. In diesem Augenblick hatte er Farviriol gewollt. Mehr als alles andere auf Dere. Und es war dabei wieder zu geschehen. In seinem Körper stieg das Verlangen, die Arme um den Elfen zu legen und seine Leidenschaft zu erwidern. Doch es war nicht sein Verlangen. Jedenfalls nicht wirklich. Farviriol rief es dank seiner dämonischen Gaben hervor. Raffael hatte Schmerz nie besonders gemocht. Ein wenig rauher beim Liebesspiel vorzugehen war in Ordnung, aber sich gegenseitig blutig zu reißen war nicht nach seinem Geschmack. Und dennoch brachte der Schmerz eine Erregung mit sich, die er bisher nicht gekannt hatte. Und es war nicht der Schmerz allein. Nicht halten, sondern gehalten zu werden. Mit Frauen war eine solche Erfahrung niemals möglich, gestand Raffael sich ein. Und trotzdem. Es war nicht echt. Hätte er diesen Gedankengang auch gehabt, wenn Farviriol ihn nicht bedrängen würde? Diesem Gedanken nachzugehen war der falsche Moment. Raffael bemerkte, wie er Farviriol zurück küsste. Er liebkoste seine Lippen, seine Nase, sein ganzes Gesicht, als hätte sein Körper sich von seinem Willen gelöst und handele in eigener Sache. Und es war bedeutungslos. Das Feuer ihn ihm, das Farviriol schürte, brannte höher und wollte seinen Verstand erreichen. Raffael bäumte sich ein letztes, klägliches Mal gegen ihn auf, doch sein Widerstand wurde hinweg gefegt, wie Laub vom Herbstwind. Es war zu spät. Die Kraft, die gegen seine Seele rauschte hatte ein Loch in seinen Schutz geschlagen und es war niemand mehr da, der ihn davor bewahrte. In Raffaels Verstand hallte der Schrei des Triumphes wieder. Zuerst glaubte er, es sei Farviriol, doch das Wesen, das dabei war in seine Seele zu dringen war mächtiger, fremder. Raffael forderte begierig die Lippen, die sich ihm boten, seine Zweifel und Ängste ignorierend. Er wollte diesen süßen Mund, der Verheißung und gleichzeitig Verdammnis bedeutete, noch einmal schmecken. Selbst wenn es das Letzte war, was er ein seinem Leben tat. Es war ihm gleich. Zumindest für diesen Augenblick würde er die Erfüllung finden, welche er so lange schon vermisste. Er fragte nicht danach, was später kommen könnte. Die leise Stimme der Vernunft und der Vorsicht hämmerte gegen sein Verlangen, bettelte, flehte regelrecht darum, nicht beiseite geschoben zu werden. Sie hallte in seinen Gedanken wieder und wurde schwächer. Er fühlte, wie sich die Dunkelheit in ihm ausbreitete, sich seiner Seele näherte und die Hand nach ihr ausstreckte. Er hatte Monate dagegen gekämpft, sich gegen den Zugriff dieses "Dings" gewehrt und immer mit Erfolg. Er hatte Unterstützung gehabt von einem ebenso dunklen Wesen, wie das, das gerade dabei war, sich in ihm festzufressen und ihn für immer zu verändern. Doch jetzt stand er ihm allein gegenüber, machtlos, denn er war nur ein Mensch und müde. So unendlich müde. Ein Teil in ihm wollte den Widerstand aufgeben, zur Ruhe kommen und den ständigen Kampf endlich beenden, dem Gegener die Hand entgegen strecken und sich ihm ausliefern. Nur ein verschwindend geringer Teil drängte die Gefahr noch zurück, kämpfte um den letzten Rest, der noch wirklich sich selbst gehörte. Es war das letzte Stück Freiheit, das erhalten geblieben war. Die Möglichkeit der Wahl. Raffael versuchte seine Arme um Farviriol zu schlingen, doch der Elf hinderte ihn daran. Er hielt seine Hände gefangen und unterbrach den innigen Kuss, überrascht über den schnellen Erfolg und die plötzliche Hingabe. Er spürte, dass er durch den Panzer gedrungen war und er nur noch eine Brücke zwischen ihnen beiden bauen musste, um ihn an sich zu binden, wie er es mit vielen anderen zuvor schon getan hatte. Er blickte in die grünen Augen, die durch den Mondschein erleuchtet wurden und sah in ihnen nichts anderes als Verlangen. "Bitte!" flehte der Hexer. Raffaels Stimme klang in seinen Ohren weit entfernt. Sie schien nicht wirklich Teil von ihm zu sein, so fremd war sie ihm. Ihm war als hätte sein Körper die Kontrolle übernommen. Er drückte gegen Farviriols Hände, die ihn auf das Bett zwangen. Dieses Mal aber nicht, um ihn von sich zu stoßen. Er wollte ihn zu sich ziehen und ihn nie wieder freigeben. "Bitte! Lass mich dich lieben!" hörte er sich sagen und erschrak über die Worte. Es waren nicht seine Worte. Es durften nicht seine Worte sein! Farviriol entließ Raffaels Hände und setzte sich langsam auf, ließ ihn aber keinen Moment aus den Augen, um keine seiner Reaktionen zu verpassen. Er misstraute ihm und letzten Endes auch seiner eigenen Macht. Es hatte zu lange gedauert den Willen des Hexers zu brechen und so recht daran glauben, endlich nach all der Zeit am Ziel zu sein, konnte er nicht. Er strich vorsichtig in der Rückwertsbewegung über Raffaels Oberkörper, folgte der Mittellinie zwischen seinen Brustmuskeln, bis zu seinem Bauch. Als Belohnung erhielt er ein leichtes Zittern der Haut unter seinen Fingern. Farviriol hob den Blick zu Raffaels Gesicht und lächelte. Der Hexer betrachtete das feingeschnittene Antlitz des Elfen, das so unerträglich schön war, trotz der Schnittwunden und Vernarbungen, die bald nicht mehr zu sehen sein würden. Er ließ sich ausgiebig Zeit für seine Betrachtung. Es kehrte völlige Stille ein. Raffael sah in das Gesicht Farviriols und musste ebenfalls lächeln. Er war einfach vollkommen. Die grünen Augen, die schmale Nase und die vollen Lippen. Durch seine spitzen Ohren, die aus den silbernen Stähnen vollen Haars hervortraten, wirkten die ohnehin schon zierlichen Gesichtszüge und die hohen Wangenknochen noch um ein Vielfaches weiblicher. Raffaels Blick wanderte über Farviriols Körper. Er war zu dünn. Viel zu dünn, aber die Physionomie der Elfen war schlanker und zierlicher, als die eines Menschen. Farviriols Rippen traten hervor und auch Sehnen und einzelne Muskelpartien waren deutlich zu erkennen. Hätte Raffael nicht gewusst, dass dies der Körper eines Mannes war, er hätte ihn für den eines vierzehn jährigen Jungen gehalten. Und trotz der körperlichen Defizite barg dieser Körper unvorstellbare Kräfte. Kräfte, die er gut kannte. >>Nein, sieh ihn nicht an!<< dachte er und zwang sich, in sich hinein zu horchen. Noch war es nicht vorbei. Er hatte den Kampf um seine Seele noch nicht verloren. Doch von Sekunde zu Sekunde wurde es schwerer. Farviriol bemerkte die Musterung, der er unterzogen wurde. Er nahm Raffaels Hand, streichelte mit dem Daumen über die zitterten Fingerknöchel und küsste sie leicht. "Es ist anders, als mit Frauen, aber nicht weniger schön. Dein Verstand sträubt sich noch dagegen, aber ich brauche nur noch die Verbindung zwischen deiner Seele und mir herzustellen und du hast keine Wahl mehr. Lass dich einfach fallen" Farviriol nahm auch noch die andere Hand des Hexers in seine und zog ihn zu sich heran. Raffael folgte diesmal ohne Widerstand zu leisten. Sein Körper wollte nach langer Zeit der Entbehrung menschlicher Wärme, endlich wieder berühren und berührt werden. Sein Verstand hingegen raste panisch und stellte sich gegen sein Begehren, doch sein Körper gehorchte ihm nicht. Es war, als befände sich eine gläserne Wand zwischen ihnen. Eine Wand, die seine Gedanken nicht durchließen, aber gleichzeitig offen war, um Farviriols Präsenz einzulassen. Sein Herzschlag hämmerte in seinen Ohren, als sein Körper sich gegen Farviriols Brust sinken ließ und seinen Rosenduft einatmete. "Lass es uns heute beenden. Einer von uns wird zerstört werden, ganz gleich, was heute Nacht geschieht" flüsterte Farviriol Raffael leise ins Ohr und strich behutsam über seinen Kopf . "Sie fordert den Preis ein, für die Gaben, die sie mir schenkte." Der Elf küsste zärtlich Raffaels Ohr und nahm ihn in die Arme. Der Hexer tat es ihm gleich und schloss die Arme hinter seinem Rücken. Er streichelte über Schulterblätter und Wirbelsäule. Die Haut des Elfen war warm und weich. Raffael schloss die Augen, um die Gefühle, die ihn trafen zu erkunden und zu ordnen. Er hörte die Worte des Elfen an seinem Ohr. "Ich werde um mein Überleben kämpfen. Selbst wenn ich es wollte, mir fehlt die Kraft mich gegen die Herrin zu stellen." Er löste sich aus der Umarmung nahm Raffaels Gesicht in beide Hände und küsste sanft Stirn, Nase und dann die zitterten Lippen, die keine Sekunde zögerten und sich ihm sofort öffneten. "Ich habe dir alles genommen und bis zuletzt hast du um deine Menschlichkeit gekämpft." sagte er leise an Raffaels Mund, so dass er den feinen Luftzug auf seinen Lippen spüren konnte. "Nicht einmal hassen konntest du mich." und mehr zu sich gewandt: "Was wirst du tun, wenn du jetzt auch noch das Letzte verlierst, was dir geblieben ist? Wirst du mich dann hassen?" Farviriol streifte Raffaels zerissenes Hemd von seinen Armen. Der Hexer saß mit geschlossenen Augen auf dem Bett, die Hände in den Stoff der Laken gekrallt. Er wollte das nicht, aber er hatte keine Wahl. Farviriol war dabei die Verbindung herzustellen. Er musste nur noch Sikharyan von ihm stehlen. Ein klein wenig bloß, dann würde es vorbei sein. Und sein Körper gehorchte ihm nicht mehr. Farviriol fuhr Raffaels Arme entlang, über die Hände, bis zu seinen Fingerspitzen. Der Hexer schloss seine Finger um die Farviriols. Seine Hände waren kleiner, aber kräftiger, als die des Elfen. Er führte sie zu den Lippen und ließ Farviriol langsam die geschwungenen Linien nachzeichnen. Raffael öffente den Mund einen kleinen Spalt, so dass die Finger des Elfen, die Außenseite seiner Zähne leicht berührten. Dann öffnete er die Augen, sah Farviriol mit verklärtem Blick an und leckte vorsichtig mit seiner Zungenspitze über Zeige - und Mittelfinger, bevor er sie liebevoll und ohne sie zu verletzten mit seinen Zähnen festhielt. Farviriol kicherte leise. Im Inneren des Hexers tobte der Kampf weiter, nicht nur zwischen ihm und Farviriol, sondern auch der Kampf mit sich selbst. Er stellte sich gegen sein eigenes Verlangen, doch die Wand wollte nicht weichen. Farviriol lächelte zufrieden und für einen kurzen Augenblick glaubte Raffael so etwas wie Glück in seinem Gesicht zu lesen, bevor der Elf erneut seinen Mund suchte und ihn in einen langen, innigen Kuss zog. Er legte seinen Kopf gegen Raffaels Stirn. "Es wird bald vorbei sein." sagte er dann mit einer tiefen Gewissheit in der Stimme. "Hab keine Angst. Selbst wenn du an mich gebunden sein wirst, deine Seele wirst du nicht verlieren" Er strich Raffael eine schwarze Strähne aus dem Gesicht. Dann küsste er sich über Schultern und Brust des Hexers, seinen Weg nach unten bis zu Raffaels Bauch, zuerst zärtlich, dann fordernder, bis er schließlich mit kleineren Bissen die warme Haut aufriss. Raffael hielt die Luft an und konnte nicht anders, als leise aufzustöhnen. Die kurzen Bisse waren wie Nadelstiche auf seiner Haut, doch der Schmerz wich augenblicklich dem Verlangen nach mehr. Er griff in das feine, noch feuchte Haar und krallte sich darin fest, versuchte aber nicht zu unterbinden, was Farviriol tat. Der Hexer spürte, dass Farviriol oder das Wesen an seiner Seele zu ziehen versuchte. Genau hätte er es nicht sagen können. Verführerisch wisperte er/es ihm zu, sich fallen zu lassen. Zu gerne hätte Raffael nachgegeben. Wenn er jetzt dieses Wesen in seine Seele hinein ließ, könnte es immer so sein. Farviriol und er könnten lange Jahre Vergnügen und Freude teilen. Vielleicht könnte er sogar wieder glücklich werden. Glücklich werden? Mit dem Mann, der ihm sein Glück und sein Leben genommen hatte? Und selbst wenn er vergessen könnte, was Farviriol getan hatte, wie lange könnte dieses Glück tatsächlich andauern? Einige Monate oder Jahre, vielleicht. Doch irgendwann würde Farviriol an ihm das Interesse verlieren, spätestens dann, wenn er eine neue Herausforderung gefunden hatte. Was war sein Leben dann noch wert? Und wenn der Elf ihn tatsächlich gehen lassen würde, anstatt sich seiner zu entledigen, wohin konnte er dann noch gehen? Wenn er jetzt für einen kurzen Moment des Glücks alles aufgab, konnte er nicht mehr zurück. Nicht zu Pawla, Fadime oder den Anderen. Sie würden ihm nicht verzeihen und er könnte ihnen nicht mehr in die Augen schauen, ohne in ihnen jedes Mal, gleich einem Spiegel, zu sehen, wie er in dieser Nacht mit Farviriol das Lager teilte. Raffael brachte seine gesamte Kraft auf, um sich dazu zu zwingen den Kopf zu senken. Er wollte Farviriol nicht sehen. Scham breitete sich zunehmends in ihm aus. Scham darüber, dass er ein solches Begehren in ihm hervorrief und er nicht die Macht hatte, sich dagegen zu wehren. Zudem machten es ihm alleine die Berührungen des Elfen schwer genug der Kraft, die gegen seine Seele rauschte zu widerstehen. Farviriol versuchte ihm Sikharyan zu entziehen, aber er kämpfte dagegen. Den kleinen Rest Freiheit, den er sich bewahrt hatte, wollte er nicht aufgeben. Die Kontrolle über seinen Körper hatte er allerdings vollständig verloren. Jede Berührung Farviriols versuchte er mit gleicher Intensität und Leidenschaft zurück zu geben. Raffael schloss die Augen, doch schon spürte er eine Hand unter seinem Kinn, die ihn zwang, den Kopf zu heben. "Nein, sieh nicht weg." sagte Farviriol, der sich wieder aufgesetzt hatte. "Ich will, dass du jeden Augenblick miterlebst, ohne Zweifel, ohne Scham oder Reue" Er küsste Raffael und drang tief mit seiner Zunge in seinen Mund, als wolle er hinein kriechen, um nur noch ein Wesen zu bilden. Raffael öffnete blinzelnd die Augen und sah in ebenfalls geöffnete, grüne, faszinierende Augen, die so unheimlich fremd und gleichzeitig so vertraut waren. Er konnte nicht anders, als in ihnen zu versinken. Farviriol liebkoste Raffales Schulterblätter und blieb an der Brandmarke hängen. Er strich über die Erhebung in der Haut, dem Skorpion, der ihn als seinen Besitz auswies. Dann wanderten die langen Finger des Elfen über Raffales Rückgrat, ließen keinen einzigen Wirbel aus, bis sie in dem kleinen Tal zwischen Rücken und Po angekommen waren, folgten dann dem Verlauf von Raffaels Gürtel nach vorne und öffneten ihn mit einer schnellen Bewegung. Währendessen hatte Farviriol den langen Kuss nicht unterbrochen und hielt ihn mit seinen Augen weiterhin gefangen. Der Hexer spürte, wie der Druck auf seine Seele stärker wurde. Lange konnte er Farviriol nicht mehr davon abhalten, sich seine Seelenenergie zu holen. Er stellte sich mit der verbliebenen Kraft gegen ihn, doch wenn nicht ein Wunder geschah, das den Elfen aufhielt, bevor sie beide zum Äußersten gegangen waren, hatte er endgültig verloren. Raffaels Angst stieg ins Unermessliche. Nicht einmal die Furcht vor Farviriols Tortur war so groß gewesen. Er hatte sich immer das Recht der Wahl vorbehalten. Hatte Farviriol erst einmal Sikharyan entzogen, würde er nicht mehr als eine willenlose Puppe sein, deren Fäden jemand anders bewegte. Seine Seele würde er behalten, aber nicht den freien Willen. Er war froh über diese Angst. Sie half ihm bei klarem Verstand zu bleiben. Farviriol knöpfte die braune Lederhose auf und zog Raffael auf die Knie. Er streifte mit einer geschickten Bewegung den Stoff hinuter. Raffael erschauerte und konnte nichts weiter tun, als sich seiner Erregung hinzugeben. Der Elf liebkoste die sanfte Haut seines Pos und den Innenseiten seiner Schenkel. Raffael schloss die Augen und beugte sich vornüber, so dass er Farviriols schönes Haar mit den Lippen berührte. Er küsste sanft die nassen Strähnen, die so wunderbar nach Rosen und Frühling rochen. Farviriol sah auf und lächelte zufrieden, richtete sich auf und zwang Raffael sich zurück in die Laken zu legen, doch ihn wirklich zu zwingen, war nicht nötig. "Bitte, hör auf dagegen zu kämpfen und lass mich ein." sagte Farviriol. "Ich habe deinen Schutz längst durchbrochen und deinen Körper verlangt es nach mir, ebenso sehr, wie es meinen nach dir verlangt." Farviriol schloss seine Hand um Raffaels Glied und beugte sich vornüber, so ,dass er Raffaels Lippen noch erreichen konnte, ohne ihn dabei zu erdrücken. Der Hexer spürte, wie das Blut in seinen Unterkörper schoss und auf die Berührung reagierte. Nach so langer Abstinenz konnte er die Reaktion nicht unterbinden. "Nein" brachte er mühevoll und zitternd hervor, legte seine Hände auf Farviriols Schultern und knetete die weiche Haut. "Bitte" Farviriol schüttelte den Kopf und begann seine Hand vor und zurück zu bewegen. Raffael richtete sich halb auf und legte schwer atmend den Kopf mit geschlossenen Augen auf die Schulter des Elfen. "Ich kann nicht aufhören. Sie wird mich vernichten" sagte er heiser und lehnte sein Gesicht an Raffaels Wange. Langsam rieb er seine Wange im gleichen Rhythmus seiner Hand. "Sie wird mich früher oder später zu sich in die Niederhöllen reißen. Ich wollte nie paktieren, aber um zu überleben war ich dazu bereit. Seit du hier bist, sind meine Zweifel größer geworden. Wenn ich jetzt nicht tue, was sie verlangt..." Farviriol leckte die zarte Haut unter Raffaels Ohr, sog sie zwischen seine Zähne und knabberte daran. Dann verschnellerte er die Bewegungen seiner Hand. Der Hexer grub seine Nägel tief in den Rücken des Elfen, bis warmes Blut seine Finger benetzte. Sein Atem verschnellerte sich und wurde lauter, als er dem Höhepunkt nahe kam. Raffael konnte nicht anders, als mit aller Kraft in Farviriols Schulter zu beißen, um nicht vor Ekstase zu schreien. Der Elf erschauerte und zuckte zusammen, umfing Raffael mit seinem freien Arm und drückte ihn fest an sich. Auch er war erregt. Raffael fühlte sein Verlangen gegen seinen Unterkörper pulsieren. In seinem Inneren ging alles plötzlich sehr schnell. Er war am Ende seiner Kräfte. Die Präsenz Farviriols und damit auch des Wesens, dem er zum ersten Mal in Farviriols Zelt gegenüber gestanden hatte, legten sich über seine Seele. Wie ein gefangenes Tier wurde er in die Ecke getrieben. Trotz seiner Schwäche wollte er sich nicht geschlagen geben und weiter hoffen. "Hör... auf" stöhnte er gegen Farviriols Haut. Im vergangen Jahr hatte er niemals gebettelt, doch das war vorbei. "Bitte, Farviriol... hör auf" flehte er. Zu Raffaels Überraschung kam Farviriol der Aufforderung nach. Doch sobald er die Hand von seinem steifen Glied genommen hatte, war es für ihn unerträglich und schmerzend, nicht gestreichelt zu werden. Er kam sich vor, wie ein Vulkan, der kurz vor dem Ausbruch stand. Den Hexer überfiel leichter Schüttelfrost und er bemerkte wie sein Körper, gegen seinen Willen, den Kontakt zum Elfen suchte, um sich endlich Erleichterung zu verschaffen. Farviriol nahm sein Gesicht in beide Hände und streichelte seine Wangen. "Für dich gibt es kein Zurück und du weisst es" sagte er fast bedauernd und fügte anerkennend hinzu: "Du hast tapfer gekämpft." Raffael wusste, dass er Recht hatte. Er öffnete die Augen und wollte zumindest mit Würde untergehen. Er blickte Farviriol fest an und dachte daran, dass eine verlorene Schlacht nicht den Verlust des Krieges bedeuten musste. Auch wenn er jetzt gegen diesen übermächtigen Gegner scheitere, es würden andere Gelegenheiten kommen. Woher nahm er überhaupt die Gewissheit, dass es keine Möglichkeit gab, die Verbindung zwischen einem Lamijah und einem Menschen rückgängig zu machen? Er wusste so wenig über Dämonen und ihre Diener. Salil war ohne Bedauern diese Verbindung eingegangen. >> "Vielleicht gibt es einen Weg es später ungeschehen zu machen. Wenn es einen Weg nach vorne gibt, gibt es auch immer einen zurück!"<< Wenn es einen Weg vorwärts gab, musste es auch immer einen zurück geben. Dieser Gedanke hatte eine gewisse Logik und etwas Tröstliches. Und es war die einzige Hoffnung, an die er sich klammern konnte. Er würde heute gebeugt werden, aber nicht für den Rest seines Lebens! "Mach schon." wisperte er und einzelne Tränen füllten seine Augen. Es würde das erste Mal sein, dass er in Gegnwart des Elfen um sich selbst weinte. Der Elf lächelte und wollte beenden, was er angefangen hatte, als Raffael leise hinzufügte: "Aber... auch wenn... du mich jetzt an dich bindest..." er küsste Farviriol und streichelte über seine Wange, "ich werde dir ...nie gehören. Sei dir dessen versichert. Denn nur, was freiwillig geschenkt wird, kann besessen werden! Ich verliere heute meine Freiheit" Raffael streichelte über Farviriols Oberkörper, "aber du verlierst bedeutend mehr, als ich!" Seine Worte brachten den Elfen dazu, inne zu halten. Raffael sah ihn noch einen Moment furchtlos an und drehte dann seinen Kopf zur Seite. Er blieb reglos mit offenen Augen liegen und eine einzelne Träne lief über seine Nase und tropfte auf die Kissen. Dann lächelte er. Er dachte nicht daran aufzugeben. Und wenn es an Sturheit grenzen sollte, es würde nicht vorbei sein. Es war nie vorbei, denn es gab immer eine Möglichkeit. Man musste sie nur suchen und finden. Farviriol musterte den Hexer. Etwas lag im Gesicht des Mannes, das ihn irritierte. Er fügte sich nach langem Kampf seinem Schicksal, doch anstatt Verzweiflung oder Angst vorzufinden waren seine Züge völlig entspannt und eine tiefe Hoffnung strahlte aus diesen grünen Augen hervor. Und ein unbedingter Überlebenswille. Schlagartig hatte sich eine neue Atmosphäre um ihn gebildet. Der Hexer hatte aufgegeben, er wusste es. Warum fühlte es sich dann nicht so an? Farviriol verstand diesen Widerspruch nicht. Er konnte die Verbindung zwischen ihnen förmlich greifen und hielt Raffaels Seelenenergie in seinen Händen. Er musste sie nur noch seiner hinzu fügen. Der Hexer hatte keine Kontrolle mehr über sich und erwiderte leidenschaftlich jede einzelne Berührung. Und trotzdem fühlte es sich an, als sei er weiter von ihm entfernt, als jemals zuvor. Von einem Moment zum anderen. Was passierte hier? Tränen hatten ihn über die Jahre nie berührt. Alle seine Opfer hatten geweint, gebettelt oder gefleht. Und es war Musik in seinen Ohren gewesen. Doch diese einzelne Träne, die mehr aus Trotz geweint wurde, als Verzweiflung, und die eben gesprochenen Worte, versetzten ihm einen tiefen Stich in sein Herz. Farviriol bemerkte den kleinen Teil von Raffael, der vor ihm verschlossen blieb und den er, so sehr er sich auch bemühte, nie mit Gewalt erreichen würde. Und insgeheim gestand er sich ein, dass er sogar froh darüber war. Farviriol lächelte, denn alles ergab mit einem Mal einen Sinn. Was er wirklich von diesem Mann wollte, warum er ihn nicht gehen lassen konnte, warum es ihm so schwer fiel ihn einfach umzubringen, wie alle anderen zuvor, woran es lag, dass sein Herz zu verbrennen drohte und warum die Herrin, obwohl er ihr so lange treu gedient hatte, jetzt sein letztes bisschen Seele einforderte. Er hatte es die ganze Zeit über geahnt, -befürchtet-, und jetzt war es Gewissheit. Ein längst vergessenes Gefühl war dabei sich in ihm auszubreiten. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann er es überhaupt das letzte Mal empfunden hatte. Und es fraß sich schnell tiefer in ihn hinein und setzte sich fest. Es nahm den Kampf gegen den dunklen Teil in ihm auf, der aufschrie vor Zorn. Tödliche Gewissheit. Und plötzlich wollte er nicht weiter machen. Er gab Raffael Recht. Selbst wenn er sich jetzt seiner bemächtigte und er sich ihm hingab, es würde nicht echt sein. Er liebte nicht ihn, sondern nur einen willenlosen Körper, der auf seine Gaben reagierte. Selbst wenn er Sikharyan von ihm entzogen hatte, würde er sich dennoch versuchen zu wehren, unerbittlich, bis er eine Möglichkeit gefunden hatte, sich seiner endgültig zu entledigen. Vielleicht nahm er sich sogar das Leben, wenn dies die einzige Möglichkeit wäre. Farviriol wusste nicht, ob es eine Möglichkeit gab, sich von einem Lamija zu lösen, außer dem Tod. Doch er war sich sicher, wenn es sie gab, würde der Hexer es sein, der sie fand. Farviriol begann zu lachen, erst leise, dann immer lauter, bis er sich auf Raffael legte und sein Gesicht in dem dichten, schwarzen Haar vergrub. Raffael legte die Arme um ihn und starrte in die Luft. Sein Körper reagierte immer noch auf die Nähe zu Farviriol und er fühlte, dass es dem Elfen in seiner Gegenwart nicht anders erging. Der Elf lachte wie irr in Raffaels Haar und er spürte, wie das dunkle Wesen an ihm zu zerren begann. "Ich kann es nicht!" sagte er verzweifelt. Er drückte sein gesamtses Gewicht gegen Raffael, so dass dieser die Luft anhielt, als sich der Unterkörper des Elfen sich an den seinen presste. Gleichzeitig bemerkte er, wie die Brücke, die er gebaut hatte, Stück für Stück, zerbrach und er wieder die Oberhand über seinen Körper bekam. Er hörte das Wesen noch einmal aufschreien, rasend vor Wut. Es tobte, doch richtete es sich nicht mehr gegen ihn, sondern widmete sich einem neuen Ziel. Raffael nahm die Hände von Farviriols Rücken und die Erregung in ihm ließ nach. Er war frei. "Was hast du aus mir gemacht?" hörte er die Frage des Elfen, doch er war sich nicht sicher, ob sie wirklich ihm galt. Farviriols Atem wurde ungleichmäßig. "Also, werde ich es sein, der heute Nacht zerbricht" lachte er. "Welch Ironie" Die erzdämonische Kraft wühlte sich durch ihn hindurch und riss an dem, was von seiner Seele noch übrig geblieben war. Sein Atem wurde ungleichmäßig. Raffael schob sich unter ihm hervor. Sein Herz schlug ihm immer noch bis zum Hals, wenn er an das dachte, was fast geschehen wäre. Warum machte der Elf nicht weiter? Er hatte sich der Situation ergeben. Farviriol hatte gewonnen. Warum verschonte er ihn? Raffael setzte sich vorsichtig auf, darauf bedacht keine hektischen Bewegungen zu machen, die Farviriol animierten, erneut über ihn herzufallen. Er stand langsam vom Bett auf, drehte sich verschämt um, damit Farviriol ihn nicht ansehen konnte und begann sich anzuziehen. Es war eine lächerliche Reaktion. Der Elf hatte mehr von ihm gesehen, mehr mit ihm gemacht, als alle Frauen, die er bisher gehabt hatte. Raffael schüttelte den Kopf und fuhr die kleinen Wunden ab, die Farviriol in seiner Erregung, in seine Haut gerissen hatte. Bis auf seine Unterlippe taten sie nicht wirklich weh. >>Er hat sich sehr zurück gehalten.<< dachte er. Tausend Gedanken rasten ihm durch den Kopf, doch am klarsten war der, der Farviriols Verhalten zu verstehen versuchte. Als er sich wieder dem Bett zuwandte, um ihn danach zu fragen, glaubte er nicht, was er erblickte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er es nicht für möglich gehalten, dass ihn noch etwas mehr in Panik versetzten könnte, als das bisherige Erlebte. Aber er irrte sich. Farviriol lag zusammengekrümmt in den Laken mit weit aufgerissenen Augen und Perlen kalten Schweißes liefen ihm von der Stirn. Raffael konnte sich nicht erinnern, ihn je schwitzen gesehen zu haben. In den Augen des Elfen las er die unbändigste Angst, die er je bei einem anderen Wesen gesehen hatte. Sie überstieg den Ausdruck, den er bei Merisa gehabt hatte um das Hundertfache. Farviriol begann sich von einer Seite zur Anderen zu rollen und hielt seinen Kopf derart verkrampft, als wolle er etwas aus ihm herausreißen. Seine Finger bohrten sich in die Kopfhaut, bis Blut floss. Raffael starrte auf das Bild, das sich ihm bot, unfähig sich zu rühren. Erst jetzt wurde er des Lachens wieder gewahr. Er war in seinen Gedanken versumpft und hatte alles ausgeblendet. Farviriol lachte. Schrill und ohrenbetäubend, und beängstigender, als alles, was er sich vorstellen konnte. Was hatte Farviriol gesagt? Raffael versuchte sich an die Worte zu erinnern, die in seiner Verzückung untergegangen waren. Es fiel ihm schwer, den Nebel in seinem Kopf zu durchdringen. >>Sie wird mich früher oder später zu sich in die Niederhöllen reißen!<< Seine Augen weiteten sich entsetzt, als ihm klar wurde, dass Farviriol sich gegen die Dämonin stellte und dabei war zu verlieren. Und er tat es seinetwegen. "Kämpf dagegen an!" schrie er, eilte neben das Bett und ging in die Hocke. Farviriols Augen starrten glasig und ohne ein bestimmtes Ziel, gerade aus. "Sieh mich an!" befahl der Hexer und wollte die Hand nach ihm ausstrecken. "Mach, dass es aufhört" schrie der Elf und endlich verstand Raffael, was diese Worte bedeuteten. "Das kann ich nicht!" antwortete er entsetzt. Farviriol schnellte nach vorne und krallte sich an ihm fest, mit einer Geschwindigkeit, dass er keine Möglichkeit hatte, zu reagieren. Im selben Moment, als der Elf ihn berührte, wurde er ebenfalls von der erzdämonischen Präsenz erfasst. Sie begann an seiner Seele zu reißen, aber nicht nur an seiner allein. Er spürte Farviriols Gegenwart und die Aufmerksamkeit der Dämonin golt primär ihm. Er selbst war nur schmückendes Beiwerk, das im Vorübergehen mitgenommen wurde. Dennoch war die Macht beängstigend! Dagegen erschien ihm Farviriols Macht mit einem Mal lächerlich klein. Er fühlte, wie sich seine Seele binnen Augenblicken von seinem Körper löste und er in das grässliche Angesicht der Niederhöllen blickte. Unbeschreibliche Kälte breitete sich in seinem Körper aus. Er glaubte sein Herz erfröre zu Eis und würde zersplittern. Raffael hörte sich selbst schreien und sah, wie sein Körper gegen Farviriols Umklammerung kämpfte. Auch er schrie "Mach das es aufhört!" und drückte ihn derart an sich, dass er das Brechen von mehreren Rippen wahrnahm, doch kein Schmerz kehrte ein. Für einen kurzen Augenblick beherrschte die Frage nach dem warum seine Gedanken. Ein kurzer Moment der Ablenkung. "Mach dass es aufhört!" schrie Farviriol erneut und wurde von Schüttelkrämpfen gepeinigt. Seine Arme schlossen sich fester um Raffael und drückten seinen Oberkörper nach hinten. Der Hexer verlor das Gleichgewicht und stürzte mit dem Elfen in den Armen zu Boden. Dann bemerkte er, wie Farviriols Präsenz nach ihm griff und sich an seine Seele klammerte. Es war anders als zuvor. Er versuchte nicht daran zu ziehen. Im Gegenteil. Er hielt sich daran fest, als sei sie die Rettungsleine eines Ertrinkenden. "Bitte, mach, dass es aufhört!" Farviriols Stimme war laut und schrill und voller Angst. Und er wandte sich an ihn. Er legte ihm eine weitere Bürde auf. Raffael spürte wie die Dämonin seiner gewahr wurde. Ihr Hass und Zorn richtete sich nun gegen ihn. Er war klein und unbedeutend in ihrem Angesicht und er wagte es, sich zwischen sie und ihre Bezahlung zu stellen. Wie ein gewaltiges Ungetüm stürzte sie auf ihn ein. Raffael glaubte in eine gigantiche Fratze zu blicken. In panischer Angst tat er das, was logisch war. Was sein Überleben sichern konnte. Flucht! Er schob Farviriols Seele von sich, die nicht die Kraft hatte sich dagegen zu wehren. Sie wollte den Elfen, nicht ihn. Raffael hörte in seinen Gedanken immer wieder die gleichen Worte: "Mach, dass es aufhört!" und es waren nicht die Worte des unbarmherzigen Geschöpfes, des grausamen Paktierers, den Raffael kennen gelernt hatte. Es war der winzige Rest an Güte und Mitgefühl, der in Farviriol überlebt hatte und er streckte die Hand nach ihm aus, in der Hoffnung auf Erlösung. Es war ihm egal. "Ich kann nicht!" schrie Raffael verzweifelt und riss sich los. Zu groß war seine Angst mit dem Elfen zu fallen. Er hatte nicht so lange gekämpft, um jetzt wegen ihm seine Seele zu verlieren. Nicht für ihn. Er war kein Held, er konnte nicht retten. Er hatte seine Familie nicht retten können, hatte Marie nicht beschützen können und er konnte nicht gegen eine Dämonin siegen. >>Er hat es verdient, in die Niederhöllen zu kommen<< dachte er und rannte. Er spürte, wie der Ansturm von Belkelel schwächer wurde. Sie ließ ihn ziehen und bemächtigte sich des Elfen. Farviriols Schreie und Hilferufe begleiteten ihn und er ignorierte sie. Es war so leicht. Er würde sein Leben und seine Seele retten. Zumindest das konnte er. Sein Gewissen würde rein sein. Raffael sah sich nicht um und rannte. Epilog: Frei?! In Ströhmen ergoss sich das Wasser über Felder und Landstriche und die Kälte kroch in seine Glieder. Die Regenzeit war angebrochen. Leise klapperten die Hufe des schwarzen Hengstes über das Pflaster des kleinen Weges, dessen Verlauf ihn weitab von den großen Straßen führte. Die durchnässte Mähne des prachtvollen Tieres hing schwer zu beiden Seiten herunter und der warme Atem bildete kleine Wirbel in der kalten Luft. Wie er hierher gekommen war, wusste er nicht, oder wie lange es gedauert hatte. Er erinnerte sich nur undeutlich an das was geschehen war, nachdem die Erzdämonin Belkelel sich den Elfen geholt und er ihn im Stich gelassen hatte. Er war einfach nur davon gelaufen. So schnell er konnte. Er war erst wieder auf diesem Pferd zu Verstand gekommen, als er durch den strömenden Regen hetzte und der Schmerz in seiner Brust unerträglich geworden war. Raffael strich sich über die gebrochenen Rippen, von denen eine in seine Lunge stach. Er schmeckte sein eigenes Blut in seinem Mund und das Reiten fiel ihm schwer. Raffael saß auf dem Rücken von Farviriols Streitross, das er gestohlen hatte. Aber dieser brauchte es nicht mehr. >> Ich habe ihn zurück gelassen<< In der letzten Woche hatten sich die Ereignisse überschlagen. Wieder einmal. Jeder Mensch trug in sich eine bestimmte Grenze der Belastbarkeit und wenn die zu oft überschritten wurde, zerbrach er. Raffael hatte aufgehört zu zählen, wie oft seine Grenze in den letzten Monaten überschritten worden war und er hatte es bisher immer durchgestanden. Doch dieses Mal würde er nicht wieder auf die Beine kommen, wenn sich ihm jetzt auch nur das kleinste Hindernis in den Weg stellte. Sein Gewissen würde rein sein.... Er atmete tief durch und sah auf den Weg vor sich. Hier irgendwo musste Shisad doch liegen. Er stellte sich ungelenk in die Steigbügel, streifte sich das nasse, zerzauste Haar aus dem Gesicht und überblickte die Gegend. Der Regen machte es ihm schwer weit zu sehen. Er blinzelte einige salzige Tropfen hinweg und lächelte dann erleichtert. In etwa drei Meilen Entfernung konnte er vier kleine Häuser erkennen. Raffael hoffte, dass sie auf ihn warteten. Es war an der Zeit dieses Land zu verlassen. Und er brauchte endlich Frieden. Sein Gewissen würde rein sein.... So, das war das Abschlusskappi... zumindest für diesen ersten Teil ^^ Briefbomben können an mich geschickt werden... *lol* Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)