Schwarzer Drache: Manticor von abranka (Schwarzer Drache II) ================================================================================ Kapitel 43: 43. Durch die kalte Wüste ------------------------------------- Schweigend zog die seltsame Prozession durch den Sand der kalten Wüste. Den gefangenen Guymelefs von Van, Allen, Louvain und Lothian waren die Arme mit schweren Ketten gefesselt worden. Zwar glaubte keiner der Kindersoldaten, dass es auch nur einer der Gefangenen wagen würde, sie anzugreifen, doch es lag nicht in der Natur ihrer Ausbildung unnötige Risiken einzugehen. Alexander, Shid und Merle durften ungefesselt auf den Schultern der Guymelefs sitzen, die sie auch schon die ganze Zeit über getragen hatten. Die Kinder hatten keinen Zweifel daran gelassen, dass eine Flucht sinnlos wäre. Wohin hätten sie auch fliehen sollen? In die kalte Wüste hinaus, eine leere Ebene, die sich bis zum Horizont erstreckte? Oder zurück in die dunkle Schlucht? Außerdem wartete das Ziel ihrer Reise am Ende dieses Weges. Also rührten sie sich nicht. Hitomi hockte auf der Schulter des Sandguymelefs, der von dem Jungen namens Mèo gesteuert wurde. Sie starrte vor sich hin. Ungewohnter Zorn und Hass machten sich in ihr breit. Bilder tanzten vor ihrem inneren Auge. Bilder, die ihr der Manticor gezeigt hatte und die ihr bewiesen, dass diese Menschen, die sie einmal Freunde genannt hatte, diese Bezeichnung nicht verdienten. Sie niemals verdient hatten. Und doch... Warum gibt es mir keine Befriedigung, sie so zu sehen? fragte sie sich stumm. Ihre Hand glitt zu der Tätowierung des Manticors. Das Bild strahlte Kälte aus. Seltsam. Sie erinnerte sich, wie es sie früher immer mit Wärme erfüllt hatte. Aber damals... Damals hatte es noch anders ausgesehen. "Vertrau mir," klang die Stimme des Manticor sanft in ihren Gedanken und brachte sie davon ab weiter nachzudenken. Ja, ihm zu vertrauen... Das war das Einzige, was sie tun konnte. Van stapfte apathisch mit Escaflowne weiter. Er konnte immer noch nicht fassen, dass Hitomi sie verraten hatten. Dass sie sie direkt in die Arme dieser Soldaten geführt hatte. Und dann noch Kinder. Zehnjährige, einige waren sogar noch jünger. Erwachsene im Kampf zu töten war eine Sache, aber Kinder? Keiner von ihnen brachte so etwas über das Herz und so fügten sie sich. Wohlwissend, dass sie in den sicheren Tod gingen. Van seufzte auf. Hitomi... Was hast du nur? Das bist nicht mehr du... Du hast es geahnt, oder? Warum sonst das Versprechen gestern Abend? ,Was auch immer passieren mag, vergiss nie, dass ich dich liebe. Ich liebe dich über alles.' Das hast du gesagt. Und ich glaube dir. Ich weiß, dass es die Wahrheit ist. Aber warum dann? Warum dieser Verrat? Das macht alles keinen Sinn! Merle saß auf Castillos Schulter und brummelte vor sich hin. Sie war verwirrt. Ausgerechnet Hitomi hatte sie verraten. Hitomi, die Einzige, die sie jemals als Freundin betrachtet hatte. Hitomi, die sonst immer das Richtige tat. Das Katzenmädchen kratzte sich nachdenklich am Kopf. Sie kann Van nicht einfach verraten. Nein, das kann sie nicht übers Herz bringen. Und doch... Sie hat es getan... Merle schüttelte langsam den Kopf. Irgendwie passte das einfach nicht zusammen. Und doch war es so... Sie fragte sich nur warum. Allen hing ebenfalls seinen Gedanken nach, während er mit Scheherazade langsam vorwärts stolperte. Ausgerechnet von Hitomi hintergegangen worden zu sein, schmerzte ihn. Sie war nach all der Zeit eine enge Freundin für ihn geworden. Dass sie sich jetzt so von den Menschen abwand, die ihr wichtig waren, war für ihn absolut nicht nachvollziehbar. Der blonde Ritter seufzte tief auf. Dann dachte er an seine Frau, Milerna. Nur gut, dass du das nicht miterleben musst, Milerna. Wie deine beste Freundin - unser aller Freundin - sich gegen uns wendet... Lothian knurrte ihn Lavender vor sich hin. Er hatte geahnt, dass das hier nicht gut ausgehen würde. Doch alle Anspannung und Vorsicht hatte ihm nichts genutzt. Er war frustriert. Mit allen Angriffen, die von außen hätten kommen können, wäre er in der Lage gewesen umzugehen, aber von innen? Ein Angriff von innen? Von einem Menschen, dem er zu vertrauen gelernt hatte? Der Wolfsjunge knurrte angewidert und zog die Lefzen hoch. Seine scharfen Zähne blitzten im Cockpit auf. Die Familien- und Freundschaftsbindungen der Wolfsmenschen waren sehr eng und erinnerten stark an die engen Bindungen, die ein Wolfsrudel einging. Verrat war undenkbar. Und wer es doch wagte, das Rudel zu verraten, musste dafür mit seinem Leben bezahlen. Innerlich heulte der Wolfsjunge auf, doch er wusste, was er tun würde - einfach tun musste -, wenn er die Möglichkeit dazu hatte. In Castillo kämpfte Louvain mit seinen Gefühlen. Hitomi war einer der ersten Menschen, die ihn wirklich wahrgenommen und nicht nur wie ein Tier behandelt hatten. Merle liebte dieses Mädchen mehr, als sie sich je zugestanden hätte, und auch er hatte bisher an eine besondere Verbindung zu dem Mädchen vom Mond der Illusionen geglaubt. Doch jetzt... Unwirsch schüttelte der Löwenjunge seine dichte Mähne. Er verstand es einfach nicht. Wie konnte man Freundschaft so einfach wegwerfen? Einfach so? Für ihn bedeuteten die Freunde, die er in Farnelia gefunden hatte, alles, denn sie hatten ihm aus der dunkelsten Zeit seines Lebens herausgeholfen. Doch jetzt... Was war denn das hier? War das nicht ein weiterer schwarzer Moment? Nachdenklich blickte er zu Hitomi hinüber, die zusammengekauert auf der Schulter des Feindes saß. Nein, das tat sie nicht freiwillig. Mit Sicherheit nicht. Shid fühlte sich wie paralysiert. Er rutschte auf Scheherazades Schulter hin und her, fand aber keine Haltung, die ihm angenehm war. Wie hatte sie das nur tun können? Seit er Hitomi kennen gelernt hatte, hatte er ihr vertraut. Sie war so etwas wie eine Tante für ihn geworden. Er kannte sie zwar längst nicht so gut, wie Tante Eries oder Tante Milerna, aber er schätzte sie genauso. Und jetzt war er gefangen genommen worden, weil er diesem Mädchen vertraut hatte. Traurig schüttelte der Herzog von Freyd den Kopf. Er verstand die Welt nicht mehr. Alexander brütete vor sich hin. Er starrte finster geradeaus. Und ihr habe ich vertraut... Aber warum, Hitomi? Wir sind gemeinsam vor dem Manticor weggelaufen! Wir haben die gleiche Angst gespürt! Warum hilfst du ihm auf einmal? Warum? Nein, wenn du uns hättest verraten wollen, dann hättest du es auch auf der Traumebene tun können. Das hier ist etwas anderes... Da steckt mehr dahinter. Wie nannte Van es noch? Ein grausames Spiel. Und ich wette, dass du unschuldig bist, Hitomi. Auch wenn es schwer fällt: Ich gebe den Glauben an dich nicht auf... Folkens Sohn lächelte bei dem Gedanken. Ein wenig Zuversicht keimte in ihm auf. Glaube an den Drachen. Vertrau auf ihn, rief er sich stumm in Erinnerung. Hosted by Animexx e.V. 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