Kurzgeschichten feat. MiKu von MSK (Archiv für Ficlets/Drabbles/Shortstorys) ================================================================================ Verloren II ----------- So, hier der zweite und letzte "verloren"-Teil Etwas eigenwillig, ja. Aber mir gefällts. SO! HAHA! ... gebt bidde trotzdem kommis^^ Ein ständiger, klackender Rhythmus auf den kalten, weißen Platten durchschnitt die Stille des Raumes als einziges Geräusch. Farins tiefgehender, nachdenklicher Blick folgte dem auf und abzuckenden Fußgelenk seines Gegenübers, den wippenden schwarzen Turnschuhen. Er hatte sich in seinem immer unbequemeren Stuhl nach vorn gelehnt und den Kopf auf seine Hand gestützt. Eigentlich hatte er nicht herkommen wollen, hatte Bela zeigen wollen, wie ihn all das abstieß, wie widerlich er es fand. Doch er hatte es nicht ausgehalten und war Hals über Kopf her geeilt, noch bevor sein Gewissen begann, ihm Vorwürfe zu machen. Und jetzt saß er Hagen gegenüber und starrte, langsam immer genervter auf dessen unruhig wippenden Fuß. "Hör doch mal auf!" Vor Schreck zuckte der Bassist so heftig zusammen, das seine eigenen Fingernägel sich schmerzhaft in seine Handflächen krallten. Er richtete seinen Blick auf und sah in das genervte Gesicht des jüngeren, der scheinbar gereizt war. Durch was, wusste Hagen nicht, aber er war sich sicher, auf der besseren Seite zu stehen, wenn er einfach die Klappe hielt und das temperamentvolle, junge Gemüt des Teenie-Stars über sich ergehen lies. "Du raubst einem echt den letzten Nerv, ich bin selbst nervös genug schließlich sind Bela und ich..." doch Farin stoppte. Was waren sie eigentlich? Nur kurz schaute er in Hagens fragend dreinblickende Augen. In Wirklichkeit wusste er nicht, wie er im Moment zu Bela stehen sollte, könnte oder wollte. Er hatte ihn eine Zeit lang mehr geliebt als alles andere. Mehr als seine Familie, seine Freundin, seine Musik. Doch schon seit längerem fiel ihm diese Veränderung auf. Bei Sahnie war es sehr schnell gegangen, ihm war die Profitgier zu Kopf gestiegen und als er ihn mit Bela aus der Band geworfen hatte, da hatten die beiden sich einmal geschworen, nur für die Leidenschaft, nicht für das Geld zu leben. Es war gar nicht lang her, doch Farin kam es im nachhinein wie eine Ewigkeit vor. Zu viel hatte sich innerhalb der letzten beiden Jahre ohne Sahnie verändert. Die beiden bildeten keine Einheit mehr, kein Zusammenspiel, sie waren einfach von außen verbunden, aber nichts tiefgehenderes mehr als Geschäftspartner. Diese Tatsache, die letztendlich immer klar da gewesen war, die er nur verdrängt hatte, schmerzte Farin. Es traf ihn hart vor den Kopf, was eigentlich auf der Hand lag. Lange würde es diese Band nicht mehr geben. "Wenn die Herren wollen, sie dürfen jetzt rein." Noch einmal nickten Bassist und Gitarrist sich kurz zu, schwangen sich auf und betraten nach einander, Hagen als Erster, das Krankenzimmer. Der kleine Raum war notdürftig ausstaffiert und geputzt. Durch das geöffnete Fenster drang klare Luft herein und erfüllte sie von mehr als dem stumpfen Geruch von Salben, Bandagen und Staub. Der Schwarzhaarige lag auf einem Bett, direkt unter dem Fenster, dass Blick auf den Biergarten des Hotels freigab. Er wirkte immer noch fahl und bleich, doch sein Fieber schien bereits stark gesunken, denn die roten Wangen waren abgeschwächt. Und auch wenn Bela jetzt noch leichenhafter aussah, sein Zustand schien stabil und das beruhigte ihn ungemein. Die Stimme der Krankenschwester rief ihn wach, als diese direkt neben ihm zum stehen kam: "Leichte Alkoholvergiftung, Überanstrengung, Missbrauch von Medikamenten." sie rümpfte die Nase und Jan dachte an die Pillen in Belas Hand, die im Lauf des Konzertes immer weniger geworden waren. "Aber es ist nichts ungewöhnliches. Sagen sie, ist ihr Freund vielleicht schwul?" Erneut sausten Bilder durch seinen Kopf, aber diesmal Bilder von Mädchen, die diese Vermutung gut wiederlegen könnten. Nein. Oder... Einige Sekunden später zog er ahnungslos die Schultern hoch: "Er war in den letzten Wochen oft total zu gedröhnt, kann schon sein dass er da..." "... mit Nopper wie wild rumgevögelt hat." Der Gitarrist sah auf und blickte in das Gesicht des sonst so stillen Hagens, der ihn ernst musterte. Die Bilder der Mädchen verschwanden vor seinem geistigen Auge und sein alter Schulfreund tauchte auf. Er war wohl nicht umsonst so oft bei Bela gewesen denn wenn der unter sexueller Unterernährung litt, ließ er sich durchaus schnell überreden. Zumal der Drummer seinem Lieblingsroadie inzwischen mehr Vertrauen entgegen zu bringen schien als irgend jemandem anders. Sie waren einfach eine Wellenlänge, anders als Jan und Dirk es waren. Oder anders als Farin Urlaub und Bela B. Sie liebten beide das Metalleben nach "Sex, Drugs and Rock´n´Roll" -Manier, tranken Abende lang hemmungslos und hatten auch zusammen die Welt der illegalen Stimmungshilfen entdeckt. Farin senkte seinen Blick wieder auf Bela, betrachtete seinen erbärmlichen Zustand und sah den Abgrund zwischen ihnen immer weiter wachsen, sah den Keil, der eine Spalte zwischen sie treib vor sich und folgte plötzlich einem Impuls, machte auf dem Absatz kehrt und stürmte aus dem Raum. Zurück lies er nur eine verwirrte Krankenschwester, einen nachdenklichen Bassisten und die Schwarzhaarige Halbleiche auf dem Bett. "Wo will er hin?" murmelte die Schwester nur verwirrt und stricht sich ihre weißblonden Locken zurück. Hagen runzelte die Stirn und zuckte nach einer Weile irritiert mit den Schultern. "Es wäre nicht das erste Mal, dass er irgendwas unüberlegtes tut...." "Was´n los?" unterbrach eine krächzende Stimme im Flüsterton die Minuten dauernde Stille. Beide drehten sich mit einer plötzlichen Bewegung um, sahen in zwei angestrengt blinzelnde, trübe grüne Augen. Belas Körper fühlte sich an, als wäre jedes Glied, jeder Muskel aus purem Blei, seine Stimme war belegt und jedes Geräusch hallte in seinem Kopf wieder, als wäre es tausendfach verstärkt. Jedenfalls kam es ihm so vor. Er erinnerte sich an Bruchstücke des vergangenen Abends, dass ihm jemand vor dem Gig die Pillen zu gesteckt hatte und das sie nur sehr kurz, aber umso stärker wirkten. Der Rest des Konzertes verschwamm in seinem Gedächtnis hinter einer Nebelschwade. Als nächstes sah er sich in einem Club, in dem die Crew gefeiert hatte. Crew und Band, denn ausnahmsweise war auch Jan mitgekommen und lehnte in einer mehr oder wenige unbeachteten Ecke an der Wand, schlang seine stets wärmenden, Schutz spendenden Arme um ein Mädchen, dass er wohl vor wenigen Minuten kennen gelernt hatte und die an seinen weichen Lippen hing. Minutenlang saß er einfach da und beobachtete die beiden, nein, beobachtete vornehmlich Jan, wie er von ihr abließ, sich ein neckisches, herausforderndes Lächeln auf sein Gesicht stahl und er ihr eine hinreichende Geste, ihr durch die Haare zu streicheln, schenkte, die alles sagte, in Verbindung mit seinem gönnerischen Blick, der ihr zeigen sollte, wie sanft er mit ihr umgehen wollte. Bela kannte seine Strategie, hatte sie schon oft beobachtet, doch dieses Mal musste er hart schlucken, bekam den Blick nun nicht mehr von ihnen. "Hey, Dirk!" brüllte eine Stimme neben ihm gegen die im Brustkorb vibrierende Musik und erschrocken drehte er sich auf seinem Barhocker um, schaute in das fröhliche Gesicht Noppers, der sogleich seinen Unterarm Packte und ihn mit sich in die Menge zog, wo er großzügig empfangen wurde. Er wandte seinen Kopf noch einmal zu der in Schatten gehüllten Ecke, doch sie waren bereits verschwunden. Bela blinzelte, denn ein Schmerz zog sich durch seinen Körper. Wieder ein Filmriss. Dort endete seine Erinnerung an den Abend und er sah von unten in die beiden besorgt dreinblickenden Gesichter. Hagen stieg der beißende Alkoholgeruch noch immer in die Nase, doch er versuchte ihn zu ignorieren, beugte sich weiter zu dem Schlagzeuger hinunter. "Hast dich halbtot gesoffen." Murmelte er nur mit ruhiger Stimme, bemüht darum, nicht so abfällig wie Jan zu klingen. Bela streicht sich, schmerzvoll aufstöhnend, mit eriner Hand durchs Gesicht. Deswegen also. "Wo is Jan?" Es war Hagen von Anfang an schwer gefallen, sich zu beherrschen, nicht zu hart zu seinem Kumpel zu sein, doch nun kam ihm doch ein Satz ehrlich über die Lippen, auch wenn er nur flüsterte und dabei an dem fragenden Gesicht vorbei schaute. "Ich glaub der hat die Schnauze voll..." Er hörte förmlich, wie es in Belas beeinträchtigtem Gedächtnis knirschte. "Wie?" "von dir!" Der Blick des Bassisten traf ihn hart, er schluckte, da sein Mund trocken und taub war, drehte sich von ihm weg und schloss die Augen wieder halb. Er konnte es Jan nicht einmal übel nehmen, wenn er die letzten Wochen rückblickend betrachtete und das einsehen zu müssen, machte ihn wütend. Noch nie hatte er gerne Schwäche vor seinem besten Freund gezeigt. Waren sie das eigentlich noch? Ein leises Seufzen entrann seinen schmalen, blassen Lippen. Mit seinem Gitarrenkoffer in der Hand eilte er in federnden Schritten über den Parkplatz vor dem Hotel, zum Transporter in dem er ihn vermutete. Jans Hand verkrampfte sich um den Griff, begann zu zittern und ließ ihn letztendlich auf der Ladefläche abrupt fallen. Der Rothaarige drehte sich ruckartig zu ihm, konnte, von der letzten Nacht anscheinend weniger schwer getroffen, schon wieder grinsen und nickte ihm zu. "Angenehme Nacht gehabt?" Jan stand stumm da und starrte in das Gesicht seines alten Schulfreundes, dem ersten Punk, den er kennen gelernt hatte, der eine entscheidende und bis dahin eigentlich gute Rolle in seinem Leben gespielt hatte. Jetzt stand er da, mit eigenartig, fast triumphal strahlenden Augen und hatte Sex mit Dirk gehabt, ihm damit sein Ein und Alles genommen, ohne Rücksicht auf Verluste seine verdammte Notgeilheit ausgelassen. "Is was?", das hämische Grinsen wurde langsam nervös, denn in dem Gesicht des Blonden bildeten sich langsam furchteinflößende Schatten und Falten. Wie in Zeitlupe schritt er über die wackelnden Bretter der Ladefläche hinweg und kam vor Nopper zum stehen. Seine Augen waren nun gänzlich verdeckt von Dunkelheit und weil er den Roadie weit überragte, konnte dieser nur die zu einem zitternden Lächeln verzogenen Lippen sehen. Dann ging alles ganz schnell, denn die langen, geschickten Finger schnellten nach vorn, packten ihn am Kragen seines T-Shirts und drückten den heftig würgenden und keuchenden Rothaarigen an einen großen Fenderverstärker, so dass die Ecke der Kiste sich zwischen seine Schulterblätter bohrte. Das Lächeln verlosch auf einen Schlag und Nopper spürte das Gesicht des Blonden direkt neben sich. "Und ihr? Netten Fick gehabt???" wisperte er in einem Ton in sein Ohr, der giftiger nicht hätte sein können. Der Rothaarige schluckte hart, starrte nur mit weit aufgerissenen Augen in Jans. Sein Atem ging rasselnd, da er noch immer kaum Luft bekam und noch überraschter als zuvor starrte in das tränenüberströmte Gesicht, wollte etwas sagen, doch brach ab, bekam Angst vor dem festen Griff und röchelte nur abermals. "Weißt du, Kumpel..." Jans Ton hatte sich verändert, er wirkte schwach, hervorgewürgt, "Du begreifst einfach nicht, dass du verdammt noch mal nicht alles haben kannst, was du willst! Warum tust du uns das an?" Nopper schloss die Augen, musste sich voll und ganz aufs Atmen konzentrieren und verstand kein Wort von dem, was Jan sagte. Er hatte gestern Abend noch mit Bela und den anderen auf dessen Zimmer gefeiert, sie waren als letzte übrig und hatten aus Verzweiflung - beide ziemlich zugedröhnt - ein bisschen rumgemacht, vielleicht auch mehr, Nopper wusste es nicht mehr genau. Aber er konnte sich daran erinnern, welchen Namen der kleine Schwarzhaarige immer wieder gekeucht hatte und es war nicht sein eigener gewesen. Vor Schmerz stöhnend wand er sich unter Jans Griff, als sich ein Knie in seine Magengrube bohrte und er den salzigen Geschmack von Blut im Mund hatte. Er sah gar nicht erst wieder auf, als die Hände sich von seinem Kragen lösten, lies auch noch den harten Fausthieb über sich ergehen und sackte einfach zu Boden. Hastig machte Jan kehrt, eilte so schnell es ging an den Crewmitgliedern vorbei, hinter den Parkplatz und landete schließlich in der Ecke, wo gerade Mülltonnen gefüllt worden waren. Noch immer war seine Sicht verschwommen von den brennend heißen Tränen, die er so selten preisgab und so lies er sich einfach an der hart geputzten Hauswand sinken, saß breitbeinig und ausgestreckt da und führte sich ungewollt Bilder vor Augen, die er sehr vermisste, Bilder einer engen Bindung, mehr als Freundschaft, aber weniger als eine feste Beziehung, ein kleines Geheimnis, ein unausgesprochener Bund, der nach und nach zerrissen war. Wieder quollen Tränen über seine geröteten Wangen, tropften von seinem unrasierten Kinn. Er ballte seine Hände zu Fäusten, schlug damit hart auf den Steinboden unter sich und zog dann seine Beine zu sich und lehnte Arme und seinen Kopf darauf. Warum er diese Gefühle auf einmal so stark bemerkte, wusste er nicht, vielleicht weil in ihm eine Sehnsucht wach geworden war, vielleicht weil die Freundschaft so zerrissen war, dass sie nur mit Liebe hätte wieder geflickt werden können... "Hey, schon wach?" Eine Stimme riss ihn aus dem Selbstmitleid in dem er drohte, zu versinken. Sie war klar und zart, nicht mit so tiefer, dunkler Sanftheit und doch wirkte sie beruhigend auf den Gitarristen und langsam sah er hoch in ein paar Augen. Sie waren nicht grün, nicht so geheimnisvoll und verführerisch, sie waren dunkelbraun, weich und glänzend. Eine völlig andere Art der Schönheit, aber sie wogen ihn in Sicherheit und langsam zog er das Mädchen in seine Arme und sie drückte sich leicht lächelnd an seine Brust, spendete ihm Wärme, die er ihr letzte Nacht gegeben hatte und jetzt brauchte und schwieg einfach darüber, warum er so traurig war, es schien ihr auch egal, sie war einfach da. Ohne Fragen, ohne Forderungen, ohne Schuld. Er liebte sie nicht, nicht so innig wie er Bela liebte, aber er brauchte sie als einen Halt, als jemanden an dem er sich festklammern konnte, ohne das er ihn fallen lies. le fin Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)