Kurzgeschichten feat. MiKu von MSK (Archiv für Ficlets/Drabbles/Shortstorys) ================================================================================ Urlaub (für Missi) ------------------ für Missi, weil sie ein großes Mädchen ist... was Urlaub braucht! Happy Birthday~ Flapp. Schlürf. Flapp. Schlürf. Flapp machten seine Sandalen auf dem unebenen Boden, Schlürf seine knielange Wanderhose bei jedem Schritt. Farin Urlaub war ein einziges lebendes Musikinstrument. So fühlte er sich zumindest an manchen Tagen, wenn er nur in Rhythmen und Melodien zu handeln und zu sprechen schien. Vermutlich war auch genau das der Grund, warum ihn ein gewisser Chilene so gut unter Kontrolle hatte. Denn Rodrigo González konnte jedes, wirklich jedes Instrument im Handumdrehen spielen. Zu den Schlürfs und den Flapps gesellte sich nun im Off-Beat sein angestrengtes Schnauben. Mallorca. Wieso hatte er sich darauf nur eingelassen? Warum hatte er Rodrigo zum Geburtstag nicht einen verdammten Laptop geschenkt? Oder eine neue Stereoanlage? Oder 100 Stunden Sex vom aller Feinsten? Die ersten beiden Ideen waren daran gescheitert, dass der Herr Anzugträger natürlich immer die modernsten Geräte besaß und die letztere an Farins eigener Gutmütigkeit. Er wäre sich einfach zu eigennützig vorgekommen. Natürlich hatte er einen dummen, dummen Witz mit seinem eigenen Namen machen müssen und Rod „Urlaub mit Urlaub“ schenken müssen. Zielwahl frei. Dieser blöde Latino hätte sich eine Tour durch USA, Asien oder Afrika, eine Weltreise oder einen Trip zum Mond wünschen können. Aber nein. Mallorca. Helle Senfstrände, dicht bepflanzt mit Hotels und Ferienhäusern jeder Größe und Hässlichkeit, in ihrem Fall auch noch eine Hotekette: etap. Rods Sonderwunsch. Hauptsaison. Touristen aus ganz Europa, die auf ihren weißen Plastikliegen vor sich hin brutzelten, langsam die Farbe von gut durchgebratenen Bockwürsten annehmend. All inclusive. Farin Urlaubs persönlicher Alptraum. Und hier ging er nun. Flapp. Schlürf. Schnaub. Flapp… Einsam und frustriert krackselte er über die mallorcienische Steilküste, seine große Spiegelreflexkamera schlug im Takt gegen seine Brust. Shorts, Shirt, Sonnenbrille- und hut. Die Nase dick eingecremt. Allein. Selbstverständlich hatte Rod ihm das anders versprochen. Von gemeinsamen Radtouren war die Rede gewesen, Tiefseetauchen hatte er ihm beibringen wollen. „Dann zeige ich dir meine Welt. Unter Wasser…“ Bei dieser Voraussage hatten die rotbraunen Schokoaugen seines Freundes so warm geleuchtet, dass er schlichtweg schwach geworden war. Jetzt war er auf dieser vermaledeiten Insel gestrandet und auf eigene Faust losgezogen, da sein verpennter Lebensgefährte lieber der Matraze horchte, bis ihn die „angesagte Partymusik“ am Pool unterhalb ihres winzigen Balkons aus den Federn holte. Hätte Farin nur wenigstens noch ihren Schlagzeuger überredet, mitzukommen. Der hätte sich zumindest auf ein oder zwei von Farins verrückten Trips eingelassen oder wäre nachts mit ihm schwimmen gegangen. Dann kam ihm allerdings in den Sinn, dass Herrn B. betreffend inzwischen Kind und Kegel erschweret Umstände bereiteten. Frustriert kickte er einen spitzen Stein von der Steilküste und sah, sich den daraufhin höllisch schmerzenden großen Zeh reibend zu, wie sein Geschoss glitzernde Ringe ins azurblaue Wasser unter ihm stach. Dieser kleine schmerzhafte Moment riss ihn etwas aus seinen Gedanken. Er schien eine Art naturbelassene Aussichtsplattform erreicht zu haben. Jedenfalls ragte diese Landzunge am weitesten von allen ins Meer hinaus, gerade bis dahin, wo eben jenes von türkiser in marineblaue Farbe umschlug, die irgendwo in weiter Ferne mit dem Himmel verschmolz. Der zerspaltene graue Steinboden war immer wieder befleckt mit kleinen Sträuchern und hohen Gräsern, die zur Inselmitte hin zu einem dichten, sattgrünen Teppich zusammenwuchsen und sich auftürmten zu großen, alten Wäldern im Schatten der sanften Gebirge. Hinter ihnen senkte sich die Sonne gerade langsam zu Bett. Seeluft umfuhr seine Nase. Er atmete sie tief ein und lächelte einen Moment lang ein wenig beduselt. Er liebte es, auf Reisen zu sein. Und sogar am 17. Bundesland Deutschlands fand er irgendwie verführerische Seiten. Als zwei verliebte Möwen von der Klippe hoch schwebten und ihn kurz den Kopf nach ihnen herumdrehen und sich einsam fühlen ließen, beschloss er, zurück zu gehen. Die Musik seines Körpers war jetzt leiser, der Rhythmus seines Ganges sanfter. Fast melancholisch war ihm zumute. In Wahrheit war er nicht wirklich sauer auf Rod. Er war kein nörgelndes Waschweib, das jeden Abends zeternd auf seinen Bürohengst wartete, um ihm eine Standpauke übers im-sitzen-Pinkeln zu halten. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, vermisste er seinen Freund einfach. Ihre Beziehung war schwer genug zu halten. Entweder sie steckten in so verschiedenen Projekten fest, dass sie sich kaum sahen, oder sie hatten mit der gemeinsamen Band alle Hände voll zu tun, sodass kaum mehr für eine Umarmung Zeit blieb. Aus ideellen Gründen, aus unausgesprochener Angst vor Sesshaftigkeit und betagter Vernunft weigerten sich aber auch beide, zusammen zu ziehen. Sie waren kein Ehepaar. „Scheiß Kodex…“ murmelte der große Blonde, als er das achtstöckige Hotel umkreist hatte und die Brutzelterrasse überquerte, wo am Poolrand einige dicke Engländer ihre Hüften zu Sean Paul schwangen. Farin grinste leise und ging durch die kühle Lobby in Richtung Fahrstuhl. Geiler Kerl, dieser Sean Paul. Zu jung. Aber geil. Natürlich waren mit ihm noch vier der dicken Briten auf die Idee gekommen, acht Stockwerke nach oben zu fahren. Kurz überschlug er, ob so vielleicht die Maximalbelastung von 600kg überschritten war. Sein Ergebnis war ihm unheimlich und so ließ er seine Gedanken lieber schon einmal vorweg gehen. Etwas in ihm flehte danach, eine seiner erotischsten Fantasien jetzt hinter seiner Zimmernummer zu begegnen: Sein hübscher Lieblingslatino, nur bekleidet mit einem blütenweißen Hemd und einer nachtschwarzen Akustikgitarre, auf der er die heißen Rhythmen seiner Heimat zum Besten gab. Doch die (zweifelsohne mit Sperrholz befüllte) Tür schwang knarzend zur Seite und nahm ihm all seine romantischen Illusionen. Zwar blies der Seewind sanft die Gardienen zur Seite und legte den Ausblick auf den fortschreitenden Sonnenuntergang frei. Doch der Zimmeranblick war enttäuschender denn je. Über die kleine Anrichte und den Tisch lagen nach wie vor Kamerafilme (Rodrigos blöde Analogfotografie…pah!), zerknüllte Schokoladenpapiere, einige Bierdosen und zwei Nassrasierer nebst Klingen verstreut. Der aufgeklappte Koffer am Boden quoll über vor getragener und ungetragener Wäsche, jedes Teil zerknüllt wie ein kleiner Basketball. Der Schrank gegenüber war noch immer nur auf Farins Hälfte befüllt. Rodrigo hatte keinen Finger gerührt. Er lag im bett, eingeklemmt zwischen Wolldecke und Spannbettlaken. Zwischen den Stoffbahnen waren nur sein zerwuschelter Hinterkopf und ein wenig der linken Schulter zu sehen. Dahinter stieg ein kleiner Rauchfaden in die Höhe. Farin verdrehte genervt die Augen und warf sich ohne zu überlegen grob neben ihn. Etwas zu stark boxte er seinen Freund auf den ihm zugewandten Rücken. Der zuckte zusammen, als hätte er ihn noch gar nicht bemerkt und drehte sich langsam auf den Rücken, sein Kopf kullerte noch etwas weiter seitlich, sodass sie Angesicht zu Angesicht lagen. Nun erschrak Farin seinerseits. Denn Rodrigo hatte geheult. Sein Gesicht sah nicht mehr desinteressiert aus. Er wirkte krank und blass, seine Augen nicht mehr aus Halbmast, sondern weit geöffnet. Bäche flossen aus ihnen und malten gelbe Linien auf das Teiggesicht, das Farin bemüht anlächelte. „Ist die Küste schön?“ Auch Rodrigos Stimme klang angeschlagen. Farin konnte nur nicken und grübelte hinter seiner gerunzelten Stirn besorgt, was ihm fehlen mochte. „Ist dir schlecht?“ Sein Chilene rang sich ein weiteres Lächeln ab und wischte sich mühsam über die Augen. Derweil wurde Farin seine Frage peinlich. Verlegen ließ er seine Fingerspitzen über einige der schwarzen, heute glanzlosen, rauen Haarsträhnen gleiten. Plötzlich – RUMMS – machten seine Gedanken eine Vollbremsung, gerade rechtzeitig, bevor sie Rods eindeutige Bemerkung platt fuhren: „Ich hatte doch gesagt, ich bin einfach irgendwie… ausgebrannt in letzter Zeit.“ Burn Out. Farin sagte nichts mehr. Er nickte nur erneut stumpf und schallt sich innerlich einen Dummkopf. Wie hatte er so blind sein können? Vor seinen Augen war es passiert und irgendwie auch nicht. Er erlebte ein gedankliches De-ja-vu; Wenn sie nicht für DÄ arbeiteten, dann sahen sie sich nicht. Und sie waren beide die letzten Monate unglaublich „busy“ gewesen. Farin hatte aber einen deutlichen Unterschied verkannt. Sicherlich war eine Reiseplanung von seinem Kaliber unglaublich aufwändig. Das Ziel aber würde alles entlohnen, ihm jede Schreibtischstunde zurückzahlen. Denn er arbeitete damit nur für sich. Rodrigo hatte all seine Energie in Bandprojekte der verschiedensten Genres gesteckt. Alle waren gescheitert. Niemand hatte ihn aufgefangen… Verärgert über sich selbst tauchte Farin seine Finger tiefer in das schwarze Haarmeer. Leise seufzend schloss Rodrigo die Augen darüber. Das Lächeln verschwand und Farin war froh. Er mochte gefälschte Freude nicht. Er hatte ja auch gar kein Rodrigo-Lachen verdient. Statt sich um ihn zu kümmern, hatte er lieber Flugzeiten und Wechselkurse verglichen, hatte herumtelefoniert und sich demonstrativ gefreut, endlich wegzukommen aus Deutschland. Wo er ihn zurück lassen würde. Als Vorgeschmack hatte er Rod schon mal eine Reise geschenkt und sich auch noch lauthals über das gewählte Ziel beschwert, anstatt seinem überarbeiteten Freund jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Farin ballte eine Faust, war kurz davor, sich selbst laut anzubrüllen. Da legte sich eine heiße, flache Hand auf seine Wutfaust. „Au…“ Sofort schreckte er von Rods Haaren zurück, fuhr hoch und sah nahezu verzweifelt auf seinen lethargischen Freund hinab. Tausend Worte schwirrten durch seinen Kopf. „Rod, ich… du… verzeih mir… ich meine, also…“ Farin Urlaub war sprachlos. Rodrigo González sah ihn an wie ein Welpe und rieb sich die Schläfe und den Wangenknochen. „Äh, nicht schlimm… hat nur etwas geziept, aber-“ Nun musste er ihn doch unterbrechen. Natürlich kam Rod nicht in den Sinn, dass sein Freund von einem Moment auf den anderen absolut empathisch geworden war. Wie auch? „Ich hätte dir zuhören sollen. Für dich da sein. Du bist völlig fertig und dann komme ich noch und fordere absurde Trekkingtouren und Wanderungen und Zeit zu Zweit und alles. Das tut mir Leid. Ich hab dich nicht aufgefangen, ich… Herrje, sogar bei deinem Geburtstagsgeschenk war ich total egozentrisch!“ Auf Knien krabbelte er nach vorn. „Ich bin ein furchtbarer Partner…Bitte verzeih mir das.“ Wie ein Schuljunge, der bei einem Streich erwischt worden war, senkte er den Kopf und wartete Rodrigos Reaktion ab, eine Standpauke, eine Beleidigung, ein „Wie recht du gerade ausnahmsweise hast“. Doch nichts dergleichen. Minuten später erst traute Farin sich, aufzusehen. Und Rodrigo tat genau das, was er nun gerade nicht erwartete. Er heulte. Und nicht etwa leise oder gehemmt. Die Bäche auf seinem Gesicht waren zu reißenden Flüssen geworden, die sich heiß und tief in seine Wangen bohrten und sogar die geschwungenen, bebenden Lippen überschwemmten. Sein Oberkörper zitterte. Er atmete schnappend. Er packte Farin bei der Hand und zerrte ihn so grob zu sich, dass dieser kurz Angst vor einer Prügelei hatte. Kurz darauf lagen sie Arm in Arm auf ihrem knarzenden etap-Bett, streichelten und liebkosten sich heftig, der Hitze zum Trotz und fühlten sich einander näher denn je. Der Urlaub wurde entspannt. Geplantsche in seichtem Meerwasser, das doch im Wonnemonat Mai noch erfrischend klar und kalt war. Eis und Früchte bei Promenadenspaziergängen. Sex im Zimmer, vorm Zimmer, auf dem Balkon, am Strand, im Wald, in den Bergen… Als sie schließlich völlig gelöst in die Sitze des Fliegers sanken, der sie zurück ins nasskalte Deutschland bringen sollte, breitete Rod eine Berliner Morgenpost über ihre Beine aus und drückte dem verdutzten Farin wortlos einen Textmarker in die Hand. Jener überflog verwirrt die Wohnungsanzeigen in seinem Schoß, bis Rodrigo lächelte: „Wenn du dein Versprechen halten willst, sollten wir jetzt wohl ein Pärchen werden. Aber damit eins klar ist…!“ Farin grinste verknallt. „Wir sind keine Eheleute.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)