Kiwi von abgemeldet (verspreche nur was du gedenkst zu halten) ================================================================================ Kapitel 4: Shopping ------------------- 27. November Donnerstag -------------------------------------------------- -Alles Leid ist Einsamkeit, alles Glück Gemeinsamkeits- "Hey, zieh doch das hier mal an. Das sieht bestimmt geil an dir aus!" Kristin warf der Schwarzhaarigen quer über zwei Kleiderständer ein schwarzes Stück Stoff zu, an dem, der Menge nach zu urteilen, nicht viel dran sein konnte. Laila fing das spärliche etwas auf und hielt es so, dass sie es betrachten konnte. Sie runzelte die Stirn. Es entpuppte sich als ein bauch- und schulterfreies, extrem enges Top, das auf der Brust in silberner Schnörkelschrift ,Dark Lady' stehen hatte. "Vergiss es, ich bin doch nicht die letzte Schlampe von Monte Carlo!" Sie warf es zurück, wobei es jedoch nur den Ständer ereichte. "Ach, komm schon. Du musst es ja nicht kaufen. Ich weiß, dass das nicht dein Stil ist, aber mach mir doch die Freude." Das Mädchen sah sie belustigt an. "Wieso ‚Freude’? Ich bin sowieso zu fett für dieses Stripteil. Da kann von Freude nicht die Rede sein." "Hey, du bist nicht dick!" Sie konnte Kristin nicht sehen, da sie hinter den Klamotten verborgen war, aber sie hörte ihre Stimme. "Okay, vielleicht nicht zu dick, aber es bleibt dabei. Ich zieh so etwas nicht an, da kann ich auch gleich nackt bleiben. Spart wenigstens Geld." Die andere lachte. "Wieso nicht? Sähe sicher nicht schlecht aus." Laila dachte an Yese und lief knallrot an. Sie hatte Kristin nie erzählt was sie wusste, doch ihr war aufgefallen, dass sich die beiden am folgenden Tag, nachdem sie von ihr abgefangen worden war, offensichtlich mieden. Kristin schien das nichts auszumachen, doch Yese war eindeutig sehr sauer gewesen, worüber auch immer. Laila hatte es nie erfahren, sie wusste offiziell überhaupt von nichts. Obwohl die andere hinter den Kleiderständern verborgen war, und sie somit nicht sehen konnte, drehte sie sich vorsichtshalber weg. "Du spinnst." Die Braunhaarige kam hervor und umarmte sie von hinten. Das war etwas, was sie sehr gern machte. Nicht selten fiel es etwas stürmisch aus. "Du lässt mich noch mal auf die Fresse fliegen mit deiner Umarmerei." Inzwischen hatte sie es sich abgewöhnt sich zu versteifen, wenn Kristin sie berührte. Sie hasste es, angefasst zu werden, doch bei ihr machte das nicht ganz so viel und inzwischen mochte sie es sogar irgendwie. Das Mädchen lachte und ließ sie wieder los. "Direkt und verletzend wie immer, was?" Erst jetzt bemerkte Laila, dass sie immer noch das Shirt in der Hand hielt. "Was willst du mit dem Teil noch?" Kristin sah auf den schwarzen Stofffetzen und grinste sie dann frech an. "Dich reinzwängen!" "Vergiss es!" Kristin seufzte. "Wieso denn nicht? Nur kurz, bitte!" "Nein!" Kristin setzte einen bettelnden Blick auf. Sie sah zu süß damit aus. Laila wurde unsicher. "Nein." Kristins Blick blieb wie er war. Das Mädchen geriet noch mehr ins Zögern. "N... Nein" Doch als sie wieder in Kristins Gesicht sah, seufzte sie. "Na gut, aber nur kurz." Das Mädchen grinste breit und reichte ihr das Stück Stoff. Laila seufzte erneut und zog damit in Richtung Umkleidekabine ab. Sie zog das Oberteil an und betrachtete sich im Spiegel. Sie sah tatsächlich wie die letzte Schlampe aus, auch wenn sie der Meinung war, das es ihr irgendwie doch stand, aber das hätte sie nie zugegeben. Sie streifte sich ihre Strickjacke über, schob zögernd den Vorhang zurück und trat hinaus. Kristin war wieder zwischen Kleiderständern verschwunden, deswegen rief sie ihren Namen. Laila hatte keine Lust lange so rum zu laufen. "Hey, sexy!" Kristin grinste noch breiter als vorher und Laila wurde leicht unwohl. "Mir gefällt es nicht, das ist nuttig." Laila spuckte das Wort förmlich aus. Sie fand zwar, dass es ihr stand, trotzdem sah sie es als eine unglaubliche Schande an und es verstieß gegen sämtliche ihrer Prinzipien sich in so was hineinquetschen zu lassen. War denn überhaupt nichts mehr von ihrer Würde übrig geblieben? Die Braunhaarige lachte. Es war komisch. Meist war sie kalt, überheblich und zynisch, doch ab und zu war sie, wie jetzt, einfach am Leben. Lachte und scherzte, als wäre die Welt in Ordnung. Im letzten Monat hatte sie sich immer mehr mit dem Mädchen angefreundet. Sie hätte nicht gedacht, dass sie jemals in der Lage wäre, eine wirkliche Freundschaft aufzubauen, doch Kristin schienen ihre Launen nichts auszumachen. Sie prallten ganz offensichtlich ab und später war es als wäre nichts passiert. Manchmal mochte Laila das nicht, weil sie es als wichtig fand Probleme auszudiskutieren und aus der Welt zu schaffen. Doch sie sah ein, dass das nicht möglich wäre, denn wenn es tatsächlich mal zu einer Diskussion kam, führte sie nirgendwo hin, weil sie beide starrköpfig ihre Meinungen vertraten und nichts anderes akzeptieren wollten. Laila wusste, dass viele Sachen, so wie sie sie haben wollte, einfach nicht möglich waren. Bestraft wurde das mit Enttäuschung, doch lassen konnte sie es trotzdem nicht. "Nuttig, ja, aber es sieht trotzdem geil aus. Aber zieh doch mal die Jacke aus, man sieht es ja kaum.“ Laila durchzog ein eiskalter Schauer den sie schon gewohnt war und sie schüttelte schnell den Kopf. "Ne, es ist kalt." Sie hörte, dass ihre Stimme wieder hart geworden war und verfluchte sich dafür. Bei Kristin reichte der kleinste Fehltritt und sie wusste, was Sache war. "Ach, komm schon. Nur kurz, du Frostbeule. Du wirst schon nicht erfrieren." "Na bei dem kurzen Teil wäre ich mir da nicht so sicher. Ich will nicht, okay?" Kristin blickte wieder so treudoof wie vorhin schon. "Bitte!" Laila zog seufzend die Jacke etwas weiter runter, aber nur ein Stück. "Ganz aus, du Frostbeule!" Laila fand sich in einer Zwickmühle wieder. Sie wusste, dass das Mädchen nicht aufgeben würde bis sie nachgab, doch auf keinen Fall wollte sie ihren arme offenbaren. Schon gar nicht in dem voll gestopften Laden. Jetzt brauchte sie verdammtes Glück. Sie zog die schützenden Ärmel runter, hängte die Strickjacke blitzschnell über ihren Arm und legte ihre Hand darauf, dass es aussah als würde sie frieren. Unmöglich hätte sie etwas sehen können, da war die Schwarzhaarige sich sicher, doch Kristin hatte mit einem Mal einen ernsten Blick aufgesetzt und kam auf sie zu. Laila fühlte sich völlig erstarrt, als sie die warmen Hände auf ihrem Arm Spürte, die sanft aber energisch ihre Hand wegstemmten und den schwarzen Stoff beiseite schoben. "Warum hast du mir nie davon erzählt?" Die Jacke rutschte zu Boden und gab die Narben und Schnitte frei. Kristin sah nicht auf, sondern hatte nur Augen für die Wunden. Laila hatte den letzten Widerstand aufgegeben und stand nun ruhig da, ließ das Mädchen machen was es wollte. "Es hat sich nie ergeben..." Die Braunhaarige schüttelte energisch den Kopf und hob ihren Blick, um in ihr Gesicht zu sehen. Ihr Blick war kalt wie ihre Stimme. "Lüg nicht, du hättest jede Möglichkeit gehabt. Du wolltest es mir nicht sagen. Hätte ich es jetzt nicht raus gefunden, du würdest es mir nie sagen, so sieht die Sache doch aus." Kristin hatte die Eigenart immer alles genau auf den Kopf zu treffen was man meinte. Nur gut war das nicht immer. "Hättest du es wirklich wissen wollen? Menschen sind doch alle gleich. ‚Halleluja die Welt ist schön’! es muss ja so sein, man sieht ja nichts andres." Laila zog ruckartig ihren Arm zurück und funkelte das Mädchen mit Abscheu an. In ihr war wieder einmal mehr diese unglaubliche Wut aufgestiegen, die sie alles andere vergessen ließ. Dann blieb immer nur noch das leere Gefühl der Wut zurück, unkontrollierbar kam sie aus dem Nichts und hinterließ Chaos in ihrer so leicht zerstörbaren Welt. Kristins Blick war hart, doch loderte er nicht wie Lailas, sondern blieb eiskalt. "Wenn ich für dich nur ein Mensch von vielen bin, die du anlügst und verachtest, okay. Aber ich mag dich und ich wüsste ganz gerne solche ‚Nichtigkeiten’, wie du es ansiehst." Laila fühlte wie die Wut immer schneller in ihr hochkam und immer bedrohlicher wurde. "Du kapierst überhaupt nichts! Ich hätte dich nie so nah an mich ran lassen dürfen, ich verachte mich dafür, dass ich dir so viel erzählt habe! Verdammt, würdest du das an meiner Stelle vielleicht in der Welt herumposaunen?!" Kristin grinste giftig. "Das tust du grade, Mädchen." Laila wurde schlagartig klar, dass sie Recht hatte. Schnell sah sie sich um, doch niemand schien sich für die zwei streitenden Jugendlichen zu interessieren. Sie hob ihre Jacke auf und streifte sie sich über. "Es geht dich einen feuchten Scheißdreck an was ich tue oder lasse, okay? "Nein, nicht okay. Laila, du suchst Freundschaft und bist nicht bereit etwas dafür zu geben. Weißt du wie blöd das ist? Das ist, wie wenn du mit einer leeren Streichholzschachtel versuchst eine Kerze anzuzünden!" Es klang logisch. Alles was Kristin sagte klang logisch. Sie wusste immer alles und war überheblich. Sie hasste das. Es machte sie klein, dumm und unbedeutend. "Na und? Dann ist es halt bescheuert. Muss dich doch nicht kümmern." "Muss es mich sehr wohl, ich will nämlich deine Freundschaft, wenn das in deinen zickigen Dickschädel reinpasst." Der Punkt, wo die Wut verflog und sich in Luft auflöste, kam immer. Jedes Mal war die Mauer aus Zorn verschwunden und Traurigkeit war das, was zurückblieb. Unendliche Traurigkeit die sie weich werden ließ. "Tut mir Leid." Kristin seufzte. "Warum entschuldigst du dich immer? Wer soll dir dein ‚Es tut mir Leid’ noch abkaufen, wenn du es für jeden Scheiß brauchst? Hast du wirklich so wenig Selbstvertrauen?" Sie erwartete keine Antwort, sondern zog Laila in ihre Arme. So standen sie eine Weile zwischen Kleiderständern und Umkleidekabinen. "Ich zieh mich um, bevor mich noch jemand sieht." Kristin nickte nur und verschwand wieder zwischen den bunten Klamotten, während Laila zurück in die Kabine ging und begann, sich wieder auszuziehen. Sie hatte sich grade das Schlampenoberteil über den Kopf gezogen, als der Vorhang aufging. Kristin kam mit einem langärmeligen, schwarzen Shirt herein. "Die anderen Kabinen sind voll", erklärte sie entschuldigend und begann sich umzuziehen. Laila gefiel die Situation nicht. Auf einem Quadratmeter sollten sie sich zusammen umziehen? Immerhin stand Kristin auf Mädchen... Wer wusste schon, ob sie da Hintergedanken hatte? Sie versuchte, sich nichts von ihrer Unsicherheit anmerken zu lassen und bückte sich nach ihrem T-Shirt, das zu Boden gefallen war. Doch war in der Umkleidekabine nun mal wirklich nicht mehr Platz als ein knapper Quadratmeter, wenn überhaupt. Ihre nackte Haut streifte aneinander und während Kristin das nicht mal wahrzunehmen schien, spürte Laila wie sie knallrot anlief. Schnell drehte sie sich von dem Mädchen weg und zog sich an. Wie war sie froh, als sie endlich aus dem viel zu engen Raum heraus konnte, um nicht mehr die Wärme der anderen fühlen zu müssen. Sie lehnte sich an die Holzwand, bis auch die andere fertig war. Sie gingen aus dem Laden, wo ihnen sofort Schnee ins Gesicht blies. Das es im November schon schneite war ungewöhnlich. Normalerweise fing es immer erst Mitte Dezember an, frühestens. Noch dazu, wo es Oktober noch so warm gewesen war. Eine Weile gingen sie stumm nebeneinander her. Die Abenddämmerung hatte bereits eingesetzt und der Wind hatte nach einer Zeit aufgehört zu wehen. Dann hatte plötzlich etwas Kristins Aufmerksamkeit erweckte. "Hey, kuck mal da!" Laila wandte sich zu der Plakatsäule, die am Straßenrand stand. Dort prangte über all den alten, nie abgenommenen Papierfetzen eine nagelneue Bekanntmachung. - Großer Weihnachtsmarkt - Sie zuckte mit den Schultern. "Na und? Der ist jedes Jahr." Doch Kristin hatte leuchtende Augen bekommen. Laila hatte sie nur sehr selten so gesehen, aber sie fand, dass die Braunhaarige damit einfach nur wunderhübsch aussah. "Gehst du mit mir dahin?" Das Mädchen zögerte. Sie verabscheute Menschenmassen, und das hier roch geradezu danach. "Du weißt, dass ich nicht so gerne unter Mensche gehe..." "Ach, komm schon. Das ist doch nur ein Mal im Jahr." Kristin sah sie bittend an. Laila spürte, wie so oft in letzter Zeit, wie ihr Widerstand dahin schmolz. Wie auch immer Kristin das immer fertig brachte, die Taktik müsste sie irgendwann mal lernen. Sie seufzte. "Na, von mir aus..." Wieder einmal spürte sie die Arme, die sich von hinten um sie schlangen, die sie für ihr Nachgeben immer als Belohnung umarmten. Kristins Wange rieb sich scheinbar beiläufig an der ihren und sie konnte den Atem des Mädchens an ihrem Hals spüren. Ein leichter Schauer überfiel sie. "Ich pass auch auf dich auf." Diese Worte waren überflüssig. Laila wusste nur zu gut, dass die andere es nie zulassen würde, wenn jemand versuchen würde sie fertig zu machen. Aber das war nicht mal nötig, denn wenn sie da war, prallte eh alles an ihr ab. Wusste der Teufel, wie Kristin das immer schaffte... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)