Schwarzer Drache: Silberschwingen von abranka (Schwarzer Drache III) ================================================================================ Kapitel 23: 23. Kind des Manticor --------------------------------- Ivory blickte nachdenklich aus dem Fenster. Ein Erdbeben. Wie es wohl Alexander gehen mochte? Er musste gerade auf dem Weg zum Schloss gewesen sein... "Ich sollte wohl besser einmal nachsehen," sagte sie sich mit einem leichten Lächeln. Sie mochte den schwarzhaarigen Jungen zwar erst kurz kennen, doch irgendwie hatte er sich bereits in ihr Herz geschlichen. Im Schlossgarten wurden Laures und Lauria von dem Erdbeben derart überrumpelt, dass sie den Boden unter den Füßen verloren und ins Gras fielen. Benommen fand sich Lauria über dem schwarzhaarigen Jungen wieder. Sein Gesicht war dicht vor ihrem. Ein Lächeln huschte über seine Lippen, als er ihr die Augen sah. "So nah waren wir uns noch nie," sagte er leise. "Ja..." Lauria blickte ihm tief in die schwarzen Augen. Auf einmal erschien ihr die Schwärze darin doch dunkler. Etwas war geschehen. Irgendetwas... Fast schien es ihr, als wenn auf einmal eine weitere Schattierung der Dunkelheit in das Spektrum getreten wäre, die Laures' dunkle Aura noch um einiges dunkler erscheinen ließ... Ihr Licht strahlt noch heller als je zuvor. Fast ist es so, als wenn eine neue Nacht hinzugekommen ist, die ihr Licht noch heller scheinen lässt... dachte Laures und strich Lauria sanft eine goldene Haarsträhne aus dem Gesicht. Ihre Wärme so nah zu spüren, gefiel ihm. Am liebsten hätte er ewig so unter ihr gelegen. Langsam näherte er sich ihrem Mund mit seinen Lippen. Abrupt machte sich Lauria frei und sprang auf. "Entschuldigt bitte..." murmelte sie verlegen. "Schon gut. Es war nicht Eure Schuld," lächelte Laures und stand auf. Nach seinem kurzen Ausbruch sackte der Manticor erschöpft zusammen. Auriana betrachte ihren Herrn nachdenklich. Natürlich war es ihre Pflicht gewesen ihn wieder aufzuwecken, aber war sie glücklich darüber? Nein, eher nicht. Langsam trat sie näher an den Sockel heran. Der Atem des Manticor ging schnell und unregelmäßig. Er keuchte und leichter Schaum stand ihm vor dem Maul. Er öffnete seine Augen und sah Auriana durchdringend an. "Zeig mir deine Flügel," sagte er plötzlich. "Zeig mir deine Flügel. Zeig mir, dass du mein Kind bist..." Auriana ließ den Mantel von ihrem Schultern rutschen und stand in ihrem einfachen, dunkelrotem Kleid vor dem Manticor. Sie schloss die Augen und breitete ihre Arme aus. Einen Augenblick lang konzentrierte sie sich, dann brachen die schwarzen, ledrigen Flügel aus ihrem Rücken hervor. Anmutig streckte sie die Schwingen, bis sie vollständig entfaltet waren. "Ja, du bist mein Kind..." murmelte der Manticor erschöpft und schloss seine Augen wieder. Kopfschüttelnd sah Auriana ihn an. Ihre Flügel ausbreiten... Lange war es her, dass sie ihre Flügel überhaupt gezeigt hatte. Lange. Sehr lange. Sie war noch ein Kind gewesen, als sie gemerkt hatte, dass sie Flügel besaß. Doch die Menschen hatten Angst bekommen, wenn sie sie benutzt hatte, also hatte sie ihre Flügel immer versteckt. Allein der Manticor und Balthéro hatten sie seither zu Gesicht bekommen. Ja, sie war eine Tochter des Manticor. Aber sie war nicht stolz darauf. Sie war es einfach und erfüllte ihr damit verbundenes Schicksal. "Laures," sagte Lauria langsam und sah den dunkelhaarigen Jungen liebevoll an. "Ich muss langsam gehen. Meine Mutter wird sich schon fragen, wo ich so lange bleibe..." Das goldhaarige Mädchen lächelte scheu. Laures erwiderte ihr Lächeln sanft und strich ihr eine vorwitzige Haarsträhne aus dem Gesicht. "Dann solltet Ihr wohl besser gehen," sagte er heiser und blickte ihr tief in die schwarzen Augen. "Ich werde wohl auch langsam in den Unterkünften erwartet. Ich sollte mir nicht gleich an meinem ersten Tag Ärger einhandeln..." "Ja..." Lauria versank tief in Laures' Blick und legte ihm vorsichtig die Hand auf die Schulter. Fast schien es ihr, als wenn sie die Schwärze in ihm brodeln spüren könnte. Zitternd zog sie die Hand zurück. Was ist das? Wer ist er? WAS ist er? Einen Moment lang sah sie ihn starr an, dann drehte sie sich um und ging in Richtung Stadt davon. Im Laufen warf sie noch einen Blick über die Schulter zurück und winkte Laures zu. Was auch immer er ist, wer auch immer er ist - ich liebe ihn trotzdem! Es dauerte drei Stunden, bis Hitomi, Merle, Allen und Louvain endlich im Sitzungssaal des Schlosses ankamen. Sie wurden bereits ungeduldig von Van, Milerna, Shid, Alexander, Ivory - die Alexander gesucht hatte und von Van kurzerhand eingeladen worden war zu bleiben - und Farla erwartet. "Hitomi." Als seine Frau hereinkam, stand Van auf und begrüßte sie mit einer liebevollen Umarmung. Dabei ignorierte er vollkommen, dass sie staubig und verschwitzt war, da die vier Neuankömmlinge bisher noch keine Zeit gefunden hatten, ihre Kleider zu wechseln. "Setzt euch," sagte Van und deutete auf die freien Stühle. Dann ließen Hitomi und er sich am Kopfende des Tisches nieder. "Erzählt uns, was passiert ist," verlangte er. Hitomi und Merle berichteten abwechselnd, wie sie den Drachen gesucht und schließlich aufgeweckt hatten. Bei dem Gedanken an das Einhorn musste Hitomi wieder schwer schlucken. Tränen stiegen ihr in die Augen. Zärtlich nahm Van ihre Hand und drückte sie liebevoll. Sie schenkte ihm ein leichtes Lächeln und berichtete weiter. "Dann hat der Drache gesagt, dass der Manticor auch wieder wach ist... " endete Hitomi. "Na, der Manticor hat uns ja gerade noch gefehlt," knurrte Alexander. "Warum konnte dieses Mistvieh nicht einfach weiterschlafen?" Van zuckte mit den Schultern. "Ehe du noch weiter meckerst, überleg lieber einmal, was wir jetzt tun sollen," sagte er. "Na, die Kinder suchen, so wie der Drache es euch gesagt hat," mischte sich Ivory entschlossen ein. Ihre roten Augen blitzten in die Runde. "Ich kenne den Drachen zwar nicht, aber das mit den Kindern scheint doch das Wichtigste zu sein. Ihr müsst sie finden." "Ivory hat Recht," meinte Louvain, der die Worte des Wolfsmädchens argwöhnisch verfolgt hatte. "Wir müssen als Erstes die Kinder finden. Denn wenn sie dir, Van, wirklich schon so nahe sind, dann... Dann könnte es vielleicht wirklich gefährlich werden..." "Aber," merkte nun Allen an, "Was bedeutet das, was der Drache sonst noch gesagt hat? Das mit der Schwärze und dem Licht? Was hat das für einen Sinn?" Nachdenklich stützte Hitomi ihr Kinn in die Hände. Sie hatte da eine Idee. "Allen, ich glaube, der Drache hat von der Aura der Kinder gesprochen. Der Junge hat eine dunkle Aura. Und das Mädchen eine sehr helle... Der Manticor hat auch eine extrem dunkle Aura und der Drache eine helle... Also scheinen die Kinder vielleicht doch nicht beide so wie der Manticor zu sein. Das Mädchen muss ganz einfach wie der Drache sein." "Da hat wohl nicht alles so geklappt, wie der Manticor es gerne gehabt hätte," murmelte Merle leise und fing sich für ihre Zwischenbemerkung einen unsanften Rippenstoß von Louvain ein. Alle wollten hören, was Hitomi noch zu sagen hatte. "Ich denke, dass das Mädchen mit der hellen Aura vielleicht der Schlüssel sein könnte... Ich meine, sie kann doch gar nicht böse sein, wenn sie von Licht umgeben ist..." fuhr Hitomi langsam fort. "Das klingt gut," erwiderte Van. "Aber der Schlüssel wozu?" "Der Schlüssel, um mit dem Jungen fertig zu werden. Dem mit der dunklen Aura. Dem gefährlichen..." "Aber..." mischte sich Merle jetzt hartnäckig ein, "Wenn die beiden noch Kinder sind - die müssen ja noch Säuglinge sein -, wie können sie - oder er - dann jetzt schon gefährlich sein? Was können Babys schon tun?" "Weißt du, Merle," sagte Milerna ruhig, "Ich gewinne immer mehr den Eindruck, dass wir gar keine Kinder mehr suchen..." Schockiert sahen alle die Prinzessin an. Dieser Gedanke schien ihnen so ungeheuerlich. "Ich stimme dir zu, Milerna," meinte Hitomi nachdenklich. "Wir sind nicht auf der Suche nach Babys. Wir suchen nach Erwachsenen - oder zumindest Jugendliche." "Und wie finden wir sie?" hakte Shid nach. "Ich kann sie finden," erklärte Farla. Diesmal richteten sich alle Blicke auf das Elfenmädchen. "Ich... Ich kann die Aura eines Menschen gut spüren," stammelte sie nervös auf Grund der Blicke, die auf einmal auf sie geheftet waren. "Das ist ein Talent von uns Elfen..." "Na wunderbar." Erleichtert sah Van in die Runde. "Dann haben wir zumindest einen Plan. Morgen wird Farla anfangen nach den beiden Kindern zu suchen. Wobei..." Van hielt inne und erinnerte sich an den Übungskampf mit Laures von Styx und an das Gefühl, das er bei der Berührung gehabt hatte. Was sagte Hitomi noch gerade? Eine dunkle Aura, die den Jungen umgibt? Und er soll kein Kind mehr sein? Vielleicht... "Und ich habe da auch schon einen Verdacht, wen du dir einmal genauer ansehen solltest..." meinte er schließlich laut zu dem Elfenmädchen. Anschließend blickte er aus dem Fenster und sah, dass es schon längst dunkel geworden war. "Und jetzt ist es endlich Zeit für das Abendessen," brummte Merle. "Ich sterbe vor Hunger..." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)