Bird On A Wire von yezz ================================================================================ Kapitel 17: Kennenlernen ------------------------ Während Otabek Yuri verwirrt anblickte, musste Victor lachen. Makkachin ließ von Yuri ab und lief fröhlich zu ihm, ließ sich ordentlich beschmusen. „Kannst du das glauben, alter Freund? Müssen wir jetzt noch unserem Ziehbruder beibringen, was Männlein und Weiblein ist“, kicherte er, während er Makkachins Ohren kraulte. „Das weiß ich sehr wohl!“, brauste Yuri auf. „Außerdem war ich mir nicht sicher, ob 'Katya' vielleicht irgendwo auch ein Name für Männer sein könnte oder Katya vielleicht eine Kampflesbe oder so ist“, rechtfertige er sich und wurde zum letzten Teil hin immer leise. „Was?“, fragte Otabek deutlich irritiert. „Nichts! Andrea ist ja auch in Italien ein Männername.“ Für Victor war es interessant zu sehen, wie Yuri gerade scheinbar ein wenig kleinlaut war. So hatte er ihn schon eine Weile nicht mehr erlebt. Ob das von der generellen, etwas einschüchternden Art von Otabek kam?, fragte sich Victor kurz. „Na, jedenfalls ist das Essen in 20 Minuten fertig, soll ich noch ausrichten. Ihr könnt also rüberkommen, wann ihr wollt“, damit ließ Otabek sie zurück. Yuri blinzelte verdattert, während er die Tür schloss und blickte zu Victor. Dieser hatte sich im Schneidersitz auf den Boden niedergelassen und kuschelte mit Makkachin, fast schon als hätte er ein übergroßes Plüschtier im Arm. „Was war das jetzt?“, wollte er wissen. Seine Stimme verriet immer noch Verwirrung, doch ist auch sein leicht aggressiver Unterton wieder zurückgekehrt. „Das war Otabek. Der Neffe von Aida und Cousin von Katya. Er wohnt während seinem Studium bei ihnen. Es gibt hier scheinbar eine sehr gute Uni für Musik. Wenn du mehr wissen willst, musst du ihn selbst fragen“, er kraulte nachdenklich Makkachin den Kopf, legte dann aber einen Finger an seine Lippen. Makkachin winselte im leisen Protest, als Victors Hand seinen Kopf verließ. „Ach, Moment! Er meinte, er sei 'eher so der Katzenmensch'. Kannst du dir das vorstellen? Er wollte erst nicht mit Makkachin gehen! Aber jetzt, wo er den tollsten Hund der Welt kennt, sieht er das natürlich sicher anders! Nicht wahr?“, er wandte sich wieder Makkachin zu, blickte dann aber noch einmal auf. „Du solltest dich also zumindest da gut mit ihm verstehen. Vielleicht findest du hier einen neuen Freund“, grinste Victor und zwinkerte Yuri zu. Yuri hingegen entglitten wieder einmal alle Gesichtszüge. „Du gehst mir auf die Nerven. Ich geh jetzt mal duschen. Danach können wir zu denen gehen. Ich habe Kohldampf“, grummelte er, während er zu seinem vorläufigen Zimmer ging. Victor überlegte, ihn noch irgendwie aufzuziehen, aber verwarf die Idee dafür, sich selbst ein wenig frisch zu machen, bevor sie sich zum großen Abendessen aufmachten. Es roch herrlich, als sie 15 Minuten später in der Wohnung von Aida, Katya und Otabek standen. „Es ist vielleicht ein wenig zu Klischeehaft, aber ich habe Boeuf Stroganoff gemacht“, sagte Aida nach der Vorstellung. „Es riecht fantastisch und gutes Essen ist gutes Essen. Danke, dass du dir so viel Mühe gemacht hast“, winkte Victor ab und war schon fast erleichtert, dass er beim Rausgehen noch die Idee hatte, eine Flasche von einem teuren Weißwein mitzunehmen, den er einmal von einem seiner Autoren geschenkt bekommen hatte, nachdem er einen Bestseller gelandet hatte. „Es gibt Kartoffeln oder Bandnudeln dazu, ich wusste nicht, was ihr lieber mögt. Wenn beides nichts ist, kann ich aber noch...“ „Aida, alles gut. Wir essen beides gerne. Oder Yuri?“, unterbrach Victor sie, da er nicht wollte, dass sie noch mehr Aufwand betrieb, nur weil ein Zögern ihrerseits falsch ausgelegt wurde. „Ja. Danke für die Mühen“, murrte Yuri, doch wesentlich freundlicher, als Victor es von ihm gewohnt war. Er grinste fröhlich. „Katya, Aida? Kann ich euch in der Küche helfen? Otabek und Yuri können sich weiter um den Tisch kümmern“, fragte er fröhlich und begann bereits, seine Hemdärmel hochzurollen. Seine Anzugsjacke hatte er schon zu Hause gelassen und trug nur noch die zum Anzug passende Weste. Als er um die Ecke in die Küche kam, wuselten die beiden Frauen im relativ kleinen Raum umher. Er blieb im Türrahmen stehen, da er die beiden nicht behindern wollte, wollte aber auch gleichzeitig, dass Otabek und Yuri sich ungestört kennenlernen konnten, denn Victor wünschte sich tatsächlich, dass sie sich ein wenig anfreunden konnten. Vielleicht konnte er so auch ein wenig die Wogen zwischen ihm und seinem Cousin glätten. Er hatte zwar von Yakov erfahren, dass es Yuris Wunsch gewesen war, während des Wettbewerbs bei ihm zu wohnen, aber Victor argwöhnte, dass er einfach die besser Wahl zwischen Pest und Cholera gewesen war. Man konnte sich an zwei Fingern ausrechnen, dass es bei Victor lockerer zuging, als bei dem Onkel und Familienoberhaupt. „Bist du so gut und rührst den Salat um, Victor?“, Aidas Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Victor stieß sich strahlend vom Türrahmen ab. „Aber natürlich! Gerne.“ Yūri hasste solche Abende. Abende, an denen er ein wenig sentimental war und niemand außer ihm in der Wohnung war. So ging es ihm oft, wenn er mit seiner Familie zu Hause gesprochen hatte. Zwei bis drei Tage danach hatte er immer ein wenig Heimweh, sehnte sich nach der heimischen, heißen Quelle und dem langen, entspannenden Bad. Damit konnte einfach nichts hier mithalten. Er hoffte wirklich, dass er durch seinen Job genug verdienen würde, dass er bald mal wieder einen Heimatbesuch machen konnte. Er wusste, dass seine Eltern ihm das Flugticket auch bezahlen würden, doch das wollte er nicht. Sie arbeiteten viel, um sich irgendwann einmal zur Ruhe setzen zu können. Seine Mutter wollte auch einmal die Welt sehen, wie sie ihm verraten hatte, als er seinen Eltern eröffnet hatte, dass er in Amerika studieren wollte. Sie war so stolz auf ihn, dass er den Schritt in die weite Welt wagte, auch wenn die mütterliche Sorge ihr natürlich ins Gesicht geschrieben war. Allerdings hatte sie immer ein unerschütterliches Vertrauen in Yūri gehabt. Mehr Vertrauen, als er je selbst in sich gehabt hätte. Aber das war vielleicht typisch für Mütter, wobei Yūri das nicht mit Sicherheit sagen konnte. Nicht zum ersten Mal seit dem Gespräch mit seinen Eltern kam ihm der Gedanke, ob er vielleicht seinen Job an der Hotline weiterführen sollte. So könnte er sich die Reise sicherlich schneller leisten. Andererseits kamen auch bald wieder Prüfungen auf ihn zu und irgendwann war auch seine Belastbarkeitsgrenze erreicht. Außerdem würde er hier und da sicherlich noch die privaten Anfragen zu Computerproblemen bekommen, auch wenn er dann wahrscheinlich nicht mehr so flexibel sein konnte. In Gedanken hörte er schon, wie Phichit ihn ausschimpfte, er solle mehr auf sich achten. Yūri lachte über sich selbst. Phichit würde jetzt auch sagen, dass er sich einfach mal weniger Gedanken machen und alles auf sich zukommen lassen sollte. Er war froh, dass er einen Freund hatte, der ihn so gut durchschauen konnte. Sie kannten sich schon lange und durch seine Art hatte Yūri schnell das Gefühl bekommen, dass er sich nicht über seine Sorgen lustig machen würde. Zumindest nicht, wenn er merkte, dass Yūri das wirklich ernst meinte. Manchmal jedoch war Pichit, gerade wenn er darüber lachte, weil er dachte, dass es nicht ernst gemeint wäre, eine Hilfe für Yūri. Er machte sich einfach schon über Schritte 5, 6 und 7 Gedanken, bevor er den Ersten überhaupt gewagt hatte. Doch im Moment konnte Phichit ihm nicht helfen. Er war noch auf der Arbeit und Yūri wollte ihn auch nicht stören. Er blickte sich ratlos im Zimmer um, in der Hoffnung etwas zu finden, mit dem er sich beschäftigen konnte. Sein Buch lag auf dem Bett, doch hatte momentan nicht sonderlich viel Anziehungskraft auf ihn. Er war zwar bereits im letzten Drittel, aber das Thema und der Schreibstil hingen ihm langsam zum Hals raus. Sein Blick blieb am Kleiderschrank hängen, dann blickte er zum Fenster. Es war noch hell genug und trocken. Kurzentschlossen stand er auf, zog seine Laufsachen an und war keine 5 Minuten später aus der Tür hinaus. Er schlug die altbekannte Strecke ein, während seine Playlist mit dem Titel Motivation durch seine Kopfhörer plärrte. Als er um die nächste Ecke bog, kam er an der kleinen Grünanlage vorbei, in der vor nicht allzu langer Zeit ein wirklich süßer Hund ihn für Streicheleinheiten angefallen hatte. Makkachin war sein Name, erinnerte sich Yūri mit einem kleinen Lächeln. Er mochte Hunde und diesen Pudel fand er besonders toll. Sollte ich vielleicht mal bei ihr klingeln und fragen, ob sie mal wieder gemeinsam Spazierengehen sollten?, fragte er sich kurz, schüttelte dann aber vehement den Kopf. Wie sah das denn aus? Das wäre wohl ein wenig zu peinlich. Yūri durchquerte die parkähnliche Anlage und kam nicht umhin, sich zu fragen, wie viel Geld wohl eine Wohnung dort kostete. Phichit hatte mal gesagt, dass dort nur Eigentumswohnungen waren und kein einzelner Vermieter dahinter steckte. Das sprach ja wiederum dafür, dass die Bewohner dieses großzügigen Gebäudekomplexes nicht gerade am Hungertuch nagen sollten. Neugierig näherte er sich dem Gebäude und zählte die Klingelschilder. Es war ungewöhnlich, dass ein so breites Gebäude nur sechs Schilder hatte. Also mussten sich auf jeder Etage zwei Wohnungen befinden, denn er glaubte nicht, dass eine über zwei Etagen ginge. Katyas Wohnung war zumindest auf einer Etage und der Hauptwohnraum, eine Kombination aus Esszimmer und Wohnzimmer war groß, hell und geräumig gewesen. Einen Flur hatte er ebenfalls gesehen und war im großzügigen Bad gewesen. Eine große Badewanne, eine überdurchschnittlich große Dusche und zwei Waschbecken waren auch heutzutage in einer Standardmietwohnung eher selten vorzufinden. Neben dem Namen den Yūri bereits an der Wohnung von Katya gesehen hatte, sprang ihm noch ein Name ins Auge: Nikiforov. Eigentlich fiel ihm der Name nur wegen den kyrillischen Schriftzeichen daneben auf. Nun fragte er sich, ob der Name 'Tursunbaj' russisch war und ob kyrillische Schriftzeichen in mehr Ländern als nur Russland verwendet wurden. Doch da er die Anlage schon wieder verlassen hatte, schob er die Gedanken weg. Er konnte nicht so verträumt durch die Gegend laufen, schließlich fuhren auf der Straße Autos und auf dem Gehweg konnten noch andere Leute außer ihm sein. Stattdessen lenkte er seine Gedanken auf unverfänglichere Dinge. Samstag am späten Nachmittag würde der erste Wettkampf von Leo anfangen. Er war gespannt, wie sein Freund im Wettkampf gegen andere Eiskunstläufer abschnitt. Außerdem freute er sich auf die Eishalle. Er war lange nicht mehr dort gewesen und fühlte ein leichtes Kribbeln der Aufregung, selbst wenn er nicht auf dem Eis stehen würde. Vielleicht sollte er mit Phichit mal wieder in die Eishalle gehen? Dann sollte er allerdings noch einmal neue Schuhe dafür kaufen, denn er konnte sich kaum vorstellen, in solche Mietschuhe zu schlüpfen. Victor war fasziniert von der Wendung. Auch wenn Yuri und Otabek während dem Essen nur ein wenig über Musik gesprochen hatten, waren sie später in Otabeks Zimmer verschwunden, um irgendein Multiplayer-Spiel zu spielen. Auch während Victor am Vortag noch auf der Arbeit waren, hatten sie wohl irgendetwas unternommen. Und nun stand er in Victors Wohnung und sah... nun ja, nicht direkt interessiert aus, aber dennoch nicht ganz so genervt, wie Victor befürchtet hatte. Er konnte sich noch lebhaft daran erinnern, dass Otabek nicht sonderlich davon begeistert gewesen war, dass er mit zu einem Eiskunstlauf-Wettbewerb geschleppt wurde. Er hatte zwar gemeint, dass das an sich ein netter Sport sei, aber er besseres an dem Tag zu tun hatte. Und nun stand er dort, hatte noch ein paar Worte mit Yuri gewechselt, hauptsächlich so etwas wie 'viel Glück' und 'du packst das schon', und wartete nun darauf, dass sie losfuhren. Yuri hatte gerade noch einmal seine Sachen durchgeschaut, um sicherzustellen, dass er alles dabei hatte und wollte gerade seine große Tasche schultern. Doch Otabek packte die Tasche und warf sie sich über die Schulter. „Ich mach das, schon deine Kräfte für den Wettkampf“, erklärte er knapp auf Yuris fragenden Blick hin. Dieser nickte, so etwas wie Dankbarkeit lag in der Geste. Victor war sich sicher, dass er das bei ihm nicht zugelassen hätte. Vermutlich hätte Victor irgendwelche dummen Sprüche sein Alter betreffend an den Kopf geklatscht bekommen. Yuri war ein überraschend ausgeprägtes Großmaul geworden mit einem reichhaltigen Wortschatz unterschiedlichster Schimpfwörter. Manche waren amüsant, manche gingen mehr als nur unter die Gürtellinie und Victor hoffte inständig, dass sein Ziehbruder seine Zunge in der Anwesenheit ihrer Tante zu zügeln wusste. Er zumindest hatte noch lebhafte Erinnerungen daran, als er seine Tante einmal als 'Arschloch' betitelt hatte. Seine Tante hatte ihm mit einem Teppichklopfer vermöbelt und dann für einen Tag in sein Zimmer gesperrt. Danach war er lieber raus in den Wald gegangen und hatte Bäume angeschrien, wenn er sich von seiner Tante ungerecht behandelt gefühlt hatte. Irgendwann war er sogar dazu übergegangen, bei trockenem Wetter auch ein Buch mitzunehmen und so lange wie möglich wegzubleiben. Ein Gutes hatte das Ganze jedoch. Da seine Tante nicht wollte, dass Victor sich ewig lange alleine in den Wäldern herumtrieb, hatte er irgendwann von einem Züchter im Dorf einen Pudel bekommen. Makkachin. Der einzige Grund, warum seine Tante so viel Geld für einen Pudel ausgegeben hatte, war, dass diese nicht haarten und mit einer Fellschneidemaschine die Länge selbst kontrolliert werden konnte. Da Makkachin schon immer ein überdurchschnittlich braver Hund war, war das zum Glück nie ein großes Problem gewesen, denn Victor bezweifelte, dass seine Tante lange geduldet hätte, wenn das jedes Mal eine größere Nummer gewesen worden wäre oder sie für einen Hundefrisör, wie ihn Victor mittlerweile besuchte, hätte bezahlen müssen. Als sich Yuri und Otabek zur Tür wandten, stand Victor von der Couch auf. Katya folgte aufgeregt seinem Beispiel, ebenso wie Aida, die leise über die Aufregung ihrer Tochter lachte. „Kind, du bist ja aufgeregter als Yuri“, stellte sie fest. „Ich war noch nie bei einem solchen Wettbewerb! Das wird so toll“, sie klatschte aufgeregt in die Hände, worauf auch Victor in Aidas Lachen einstimmen musste. Er warf einen Blick zu den beiden an der Tür und glaubte, aus den Augenwinkeln Yuri mit den Augen rollen zu sehen. Doch da es niemand sonst mitbekommen zu haben schien, sparte sich Victor die Ermahnung wegen der doch recht unhöflichen Geste. Trotz seiner anfänglichen Skepsis freute er sich mittlerweile auf den Wettbewerb. Vor allem mit so einer illustren Gruppe, würde ihm nicht langweilig werden. Er hatte das Gefühl, dass das Wochenende ihn mal ein wenig aus seiner doch ziemlich eingefahrenen Routine holen konnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)