Bird On A Wire von yezz ================================================================================ Kapitel 19: Wiedersehen ----------------------- Als Otabek und Katya wieder auf ihre Plätze kamen, grinste zumindest Katya vergnügt. Otabek hatte einen doch recht grimmigen Gesichtsausdruck aufgesetzt. Das riss Victor schlagartig aus seinen düsteren Gedanken. "Was schaust du so glücklich?", fragte Aida fröhlich, die den Wettkampf sichtlich genoss. Victor hatte sie selten mit so leuchtenden Augen gesehen. "Die Kamera ist eingestellt und alles passt. Nach der Pause können wir dann schöne Fotos von Yuri machen!", freute sie sich schon beinahe wie ein kleines Kind. „Was war da unten los?“, hakte nun Victor nach, da er gesehen hatte, wie Otabek mit einem anderen Fotografen diskutiert hatte und vermutete, dass dessen grimmige Miene darauf zurückzuführen war. „Ach, dieser Affe hatte mehr als genug Platz und war am Meckern, dass Katya dazu kam. Er meinte, das wäre kein Kindergarten und sie soll sich wieder dorthin verziehen, wo sie hergekommen ist“, grummelte er immer noch etwas aufgebracht. „Ich habe ihm dann mal Kindergarten gegeben“, schob er hinterher. „Beka-Schatz!“, setzte Aida halb mahnend, halb bestürzt an und Otabeks Mundwinkel schoben sich noch ein Stück weiter hinunter bei diesem Spitznamen. Victor hingegen hatte alle Mühe, nicht drauflos zu lachen. „Du warst doch nicht ausfallend oder so?“, fragte sie. „Nein, nein, Mama! Er hat ihm nur klar gemacht, dass genug Platz wäre und er mir doch einfach einen Platz zuweisen soll, damit wir ihn nicht stören“, beschwichtigte Katya. „Seine pure Präsenz und sein Gesichtsausdruck haben gereicht. Als er die Arme vor der Brust verschränkt hat, war er ganz kleinlaut“, lachte Katya, Aida seufzte nur und rieb sich die Schläfen. „Wir haben Yuri Fotos versprochen, also bekommt Yuri Fotos“, schloss Otabek in einem Tonfall, der keinerlei Diskussionen mehr zuließ. „So amüsant das Gespräch auch ist, ich hole uns was zu trinken. Was möchtet ihr?“, fragte Victor mit einem schiefen Grinsen und stand auf. Nachdem er die Bestellungen aufgenommen hatte, sprang auch Katya auf. „Ich muss auf Toilette. Also begleite ich dich ein Stück! Dann kann ich dir auch gleich tragen helfen!“, bot sie in bester Laune an. So gingen sie nebeneinander aus dem Innenraum der Halle. Es war recht viel los, aber die Schlangen an Toilette und Getränkestand waren nicht allzu lang. Also trennten sie sich und verabredeten als Treffpunkt den Durchgang, um wieder zu den Zuschauerrängen zu gelangen. Victor hing seinen Gedanken ein wenig nach, während er in der Warteschlange stand. Er überlegte, wann er das letzte Mal etwas Derartiges unternommen hatte. Wenn Chris in der Stadt war gingen sie schon immer mal wieder weg, aber dass er einen Wettkampf, Museum oder etwas anderes in der Richtung besucht hatte, kam ihm gerade nicht in den Sinn. Zumindest nicht seit Ende seines Studiums. Mit Chris war er oft noch abends oder am Wochenende in Ausstellungen gegangen. Da die Eltern von Chris in der Schweiz lebten, konnte er nie übers Wochenende nach Hause fahren und Victor hat das oft genug als Grund genommen, dass er nicht nach Hause fahren konnte. Nur ein paar Mal hatte seine Tante darauf bestanden, dass er nach Hause fuhr und einmal hatte er Chris mitgenommen. Das war grandios in die Hose gegangen, da sie mit seiner Art überhaupt nicht klar kam. Immerhin war sie eine erzkonservative ältere Frau. Engstirnigkeit war eine der vielen schlechten Eigenschaften bei dieser Frau. Aber zu einem Eiskunstlaufwettbewerb waren auch sie nicht gegangen. Zwar hatte Chris auch den Sport in seiner Kindheit und Jugend ausgeübt, aber keiner der beiden hatten je den Wunsch geäußert, einen Wettkampf anzuschauen. Doch Victor konnte nicht sagen, ob Chris das selbst nicht gewollt hatte oder einfach gemerkt hatte, wie tief der Stachel vor allem damals gesteckt hatte, sodass der Gedanke für Victor teilweise zu schmerzhaft gewesen war. Er fragte sich, wie es wohl wäre, einen Partner zu haben, der auch diese Interessen teilte. Konnte er vielleicht irgendwann mal mit dem Menschen, den er liebte, zu einem solchen Wettbewerb fahren? Vielleicht sogar zu einem echten Grand Prix? Vielleicht Yuri unterstützen? Interessiert sich Yūri für Eiskunstlauf?, schoss es Victor plötzlich durch den Kopf und er wurde wirklich neugierig. Sollte ich ihn mal fragen? Versuchen, ein Gespräch bei einem ihrer Telefonate anzufangen? Durfte er das überhaupt? Andererseits konnte es doch der Firma eigentlich egal sein, so lange ich dafür zahle, oder? „Ihre Bestellung bitte“, riss ihn die Stimme der Dame am Getränkestand aus den Gedanken. Schnell hatte Victor sich erholt und gab die Bestellung ab und blickte zur Seite, in die andere Schlange, die parallel zu seiner verlief. Geweitete, dunkle Augen starrten ihn von der anderen Seite aus an. „Ach, Victor! Das ist ja ein Ding! Was machst du denn hier“, lachte Phichit etwas nervös. Verdammte Scheiße! Was macht der denn hier?, schoss ihm gleichzeitig durch den Kopf. Seine Augen glitten hastig umher. Yūri ist bestimmt noch auf Toilette. Bitte Gott, wenn es dich gibt, jetzt brauche ich dich! Gib alles!, sendete Phichit ein Stoßgebet in den Himmel. Victor legte den Kopf schief und schaute ihn fragend an. „Mein Cousin nimmt heute an dem Wettbewerb teil“, erklärte er. Die Art, wie Victor sprach, machte Phichit klar, dass er etwas über seine Art verwundert war. „Ach! Das ist ja stark. Ein Freund macht heute auch mit. Man! Ich glaube ich bin nervöser als er!“, lachte Phichit eine Spur zu laut und hoffte inständig, dass Victor ihm glaubte. Wieder blickte er an ihm vorbei zu den Toiletten, aber er hatte keinen freien Blick auf die sanitären Einrichtungen. „Ach so!“, strahlte Victor. „Dann sind wir also zurzeit so etwas wie Konkurrenten“, er lachte und stemmte eine Hand in die Hüfte. Phichit nickte erleichtert. „Meine Begleitung macht Fotos. Soll sie auch Fotos von deinem Freund machen?“, fragte Victor und legte den Kopf schief. Begleitung? Victor war in Begleitung hier? War es dann wirklich der Victor? Ein Victor, der mit Begleitung auf ein Eiskunstlaufturnier ging, konnte unmöglich jemand sein, der regelmäßig bei einer Telefonsex-Hotline anrief, oder?, Phichits Gedanken drehten sich und er wusste nicht mehr, was er von der ganzen Sache halten sollte. „Ich kann sie dir dann gerne vorbeibringen. Du wohnst ja vermutlich nicht weit weg von mir?“, bot nun Victor weiter an. Das holte Phichit schnell aus den Gedanken. „Nein, nein! Nicht nötig! Wir haben selbst ein Fotoapparat dabei“, lehnte er hektisch ab. Unter keinen Umständen darf ich zulassen, dass er Yūri zu nahe kommt. Wie könnte ich ihn dann beruhigt alleine lassen? Victor lachte. „Du bist ja wirklich total aufgeregt“, zwinkerte er und Phichit konnte mit einem Mal nicht sagen, ob der andere ihm die Nummer abkaufte oder nicht. Inzwischen hatten beide ihre Getränke bekommen, Victor in einem Becherhalter, damit er die 4 Getränke auch tragen konnte. Sie gingen langsam zu dem Durchgang, der am Nächsten zum Getränkestand, aber fast direkt vor den Toiletten, war. Phichits Herz hämmerte ihm bis zum Hals und er musste mehrfach schlucken. Er wollte gerade ansetzen, etwas zu sagen, als ihm ein fröhlichen „Victor! Hier bin ich!“ zuvor kam. Schnell kam eine junge Frau in Sichtweite. Phichit runzelte die Stirn. Es war schlecht zu schätzen, wie alt sie war, aber dennoch vermutete er, dass sie noch minderjährig war. Phichit schluckte. War das etwa einer dieser Typen? Er hatte doch schon die ganze Zeit gewusst, dass etwas mit diesem Kerl nicht stimmen konnte! Und wie recht er doch hatte. Vermutlich gehörte er auch zu dieser Sorte von Perversen, die darauf standen 'Daddy' genannt zu werden. Und gerade deswegen mit Mädchen ausgingen, die ungefähr halb so alt waren. „Ah, Katya! Du hast aber lange gebraucht“, stellte Victor lächelnd fest und bei Phichit drehte sich, wegen diesem väterlichen Lächeln, halb der Magen um. „Tut mir leid! Ich habe noch jemanden getroffen, den ich kenne!“, lachte sie und hob eines der Getränke aus dem Halter. „Du scheinbar auch. Jemand vom Verlag?“, fragte sie und reichte ihm die Hand. „Hallo, ich bin Katya!“ „Nein, kein Kollege. Ich kenne auch Leute außerhalb der Arbeit“, lachte Victor leise. „Freut mich, ich heiße Phichit“, er nahm ihre Hand, wenn auch ein wenig widerwillig. Armes Ding, dass du auf so jemanden reinfällst, dachte er mitleidig. „Wir müssen los. Deine Mutter hat sicher Durst“, lachte Victor und verabschiedete sich von Phichit, der zurückblieb und seine Gedanken ordnen musste. Hatte er gerade Mutter gesagt? War Victor vielleicht Gerontophil? Färbte er sich die Haare grau, um für ältere Damen attraktiver zu sein? Phichit kam es jetzt nicht so vor, als wäre Victor ein typischer Boy Toy oder 'Opfer' eines Cougars. Allerdings würde das unter Umständen erklären, warum Victor regelmäßig bei Yuri anrief. Oder hatte er etwa was mit Mutter UND Tochter? Er wirkte wie ein schelmischer Kerl, vielleicht hatte er es faustdick hinter den Ohren? „Tut mir leid, dass ich los lange gebraucht habe“, erklang Yūris Stimme hinter ihm und holte ihn aus seinen Gedanken. „Alles ok?“, fragte er danach, als er Phichits Gesichtsausdruck sah. „Ja, klar! Ich bin nur noch durchgegangen, ob ich auch alles auf meine Checkliste eingetragen habe“, lachte er und sah, wie Yūri mit seinen Augen rollte. Er hatte gewusst, dass das ziehen würde und der andere ganz schnell das Thema wechselt würde. Manchmal hatte es Vorteile, sein Gegenüber genau zu kennen, dachte Phichit erleichtert und setzte sich in Bewegung. „Hatte ich dir davon erzählt gehabt, dass ich letztens von einem Hund umgeworfen wurde?“, lachte Yūri und blickte Phichit an, während sie in Richtung ihrer Sitzplätze gingen. Phichit nickte nur. „Ich habe sie eben vor der Toilette wiedergetroffen. Sie ist mit ihrer Mutter, Cousin und ihrem Nachbarn da, also dem, dem der Hund gehört. Er hat sie eingeladen als Dankeschön, dass sie immer mit dem Hund spazieren geht“, erzählte er. „Echt?“, fragte Phichit und Yūri merkte, dass einige Regungen durch das Gesicht seines Freundes gingen. Erleichterung, Verwirrung, Misstrauen? „Das ist aber nett!“, da war wieder Phichits gewohnt fröhliches Gesicht. „Du bist heute echt komisch“, schloss Yūri stirnrunzelnd. „Ich stehe unter Stress! Die ganze Packerei, die Arbeit und jetzt noch mit Leo mitfiebern! Das ist zu viel für meine zarte Seele“, scherzte Phichit. Das machte in Yūris Augen Sinn, immerhin stand viel für Phichit auf dem Spiel. Würden sie gut in New York abschneiden, hatten sie vielleicht die Möglichkeiten, mehr Forschungsgelder für das Krankenhaus zu erhalten. Sie kamen gerade rechtzeitig bei ihren Plätzen an. „Man, was habt ihr so lange gebraucht?“, maulte Guang Hong. „Ich dachte schon, wir müssen euch ausrufen“, schob JJ ein. „Auch schon da, JJ“, stellte Phichit mit hochgezogener Augenbraue fest. „Sorry, ich musste immerhin noch arbeiten. Im Gegensatz zu euch, bin ich nicht ersetzbar auf der Arbeit und musste meine Kundinnen glücklich machen“, erklärte er mit breitem Grinsen. „Mensch, das hört sich auf so vielen Ebenen falsch an“, erklärte Guang Hong mit zusammengezogenen Augenbrauen. „Nur weil ich Frauen beglücke und du nicht?“, konterte JJ. „Du machst es echt nicht besser“, Guang Hong hielt sich die Ohren zu und richtete seinen Blick fest auf die noch leere Eisbahn. JJ lachte laut und Yūri wusste mit einem Mal wieder, warum er nur Phichit von seinem Nebenverdienst erzählt hatte. Es gab wirklich nur zwei Szenarien, die er sich vorstellen konnte, die geschehen konnten, wenn es rauskam. Entweder würde sie, vor allem JJ, lachend auf dem Boden liegen und Yūri kein Wort glauben oder jeder würde Anmachsprüche von ihm verlangen und er wäre der neue Ansprechpartner für Liebesangelegenheiten jeglicher Art. Beide Vorstellungen waren nicht nach Yūris Geschmack. Alleine die Vorstellung, mit einem Freund von Angesicht zu Angesicht über seine Arbeit zu sprechen, ließ ihm die Schamesröte ins Gesicht steigen. Selbst Phichit gegenüber sprachen sie die Sache nie direkt an. Wäre ja auch noch schöner, wenn Phichit reinkommen würde mit den Worten 'Na? Spielst du wieder Wichsvorlage für einen Perversen?' „Yūri? Alles ok? Du bist plötzlich so rot“, fragte Guang Hong. Spielerisch klopfte Phichit ihm auf den Rücken. „Unser kleiner Yūri hier hat eben eine hübsche Frau getroffen“, lachte er und Yūri riss die Augen auf. Doch JJ winkte ab. „Kann nicht sein, dass er deswegen rot ist. Oder war das ein Crossdresser? Das würde wieder Sinn ergeben“ Alle drei lachten und Yūri vergrub nur das Gesicht in den Händen. Zu seinem Glück wurden in diesem Moment die Lichter etwas gedimmt und der Wettkampf wurde fortgeführt. Sie feuerten ihren Freund lautstark an und jubelten über jeden gestandenen Sprung, nur einmal hatte er auf das Eis greifen müssen, um einen Fall abfangen zu müssen. Doch im Großen und Ganzen sah er zufrieden aus, als er vom Eis ging und die Leute waren offensichtlich sehr zufrieden mit der Leistung des Lokalmatadors, der sich auf den ersten Platz geschoben hatte. „Jetzt kommt dieser Yuri Plit... Plisch... Verdammt“, kam es von Guang Hong. „Plisetsky“, korrigierte Phichit geduldig. „Der soll im Übrigen richtig gut sein“, erklärte er danach. Und er sollte Recht behalten. „Scheiße, so jung und schon so gut“, staunte Guang Hong bereits kurz vor dem Ende und erhielt nur ein Nicken der anderen. Tatsächlich war es ein fehlerfreier Lauf gewesen, womit er sich die vorübergehende Führung gesichert hatte. Mit fast 10 Punkten Vorsprung auf Leo. „Jetzt muss Leo morgen Gas geben und dem blonden Bengel zeigen, wo der Hammer hängt!“, stellte Guang Hong klar. „Wir sollten ihn mehr anfeuern“, schlug Phichit vor. „Dann setze ich mich aber auf die andere Tribüne. Das wird mir zu peinlich“, murrte JJ. „Das ist die Chance, ihn loszuwerden!“, lachte Phichit und erntete nur ein Schnauben von JJ. Sie foppten sich gegenseitig und mussten dann feststellen, dass sie den letzten Läufer gar nicht wirklich mitbekommen hatten. Er reihte sich 2 Punkte hinter Leo in die Top 3 ein. „Kenjirō Minami“, wiederholte Yūri den Namen des Läufers noch einmal und überlegte. Doch dann fiel es ihm wieder ein. „Für seine Mutter repariere ich hin und wieder den PC“, sagte er, wie zu sich selbst. „Der Junge, der immer auf-“, setzte Phichit an, doch Yūri hielt ihm schnell die Hand vor dem Mund. „Nein, das war wer anderes“, sagte er etwas steif und seine Freunde fingen an zu lachen. Phichit klopfte ihm beschwichtigend auf die Schulter. „Lügen kannst du immer noch nicht.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)