Bird On A Wire von yezz ================================================================================ Kapitel 59: Göttliche Fügung ---------------------------- Yūri wurde von einer ungewohnten Wärme in seinem Bett wach. Noch drang kein Sonnenlicht durch die Lamellen seiner Jalousie. Also musste es noch mitten in der Nacht sein, schlussfolgerte er. Er schlug ein wenig die Decke auf, um kühlere Luft hinein zulassen. Doch bei seiner Bewegung, begann sich hinter ihm etwas zu rühren. Kurz darauf fühlte er, wie ein Arm, der scheinbar seine Taille umschlungen hatte, sich fester um ihn zog und näher an den warmen Körper hinter sich zog. Vitya, kam es Yūri plötzlich in den Sinn und der Gedanke an das, was am Abend zuvor passiert war. In genau diesem Bett. Mit dem Mann, der hinter ihm lag und sich an ihn kuschelte. Yūri spürte, wie sein Körper noch einmal etwas wärmer wurde. Es war eine eigentümliche Mischung aus Scham und Erregung, die durch seinen Körper ging. Wenn er ehrlich war, hatte er immer gedacht, dass das erste Mal mehr Experiment als gute Erinnerung sein würde, doch Victor hatte ihn eines Besseren belehrt. Nicht, dass sich Yūri beschweren würde. Es war eher, dass es seine Bewunderung gegenüber dieses Mannes noch gesteigert hatte. Er hatte es geschafft, ihm die Nervosität zu nehmen und ihm die Sicherheit gegeben, sich fallen zu lassen. Sie kannten sich erst einige Wochen und doch fühlte sich Yūri, als würden sie sich seit Ewigkeiten kennen. Er vertraute Victor wie kaum jemanden anderen. Wie Phichit vielleicht, wie seiner Familie. Warum war es so einfach, Victors Worten vertrauen zu schenken? Nur, weil er in ihn verliebt war? Oder vielleicht, weil er ihn scheinbar durchschauen konnte und geradeheraus genug war, um es anzusprechen? Victor hatte bemerkt, dass Yūri nervös war und dass er auf dem Wege war, sich ein wenig Mut anzutrinken. Wie Victor seine Hände genommen und massiert hatte, hatte es gleichzeitig ein wenig seine kreisenden Gedanken beruhigt, aber auch sein Herz schneller schlagen lassen. Seine Worte und seine ruhige Stimme hatten ihn nicht nur beruhigt, sondern auch versichert, dass Fehler kein Problem waren. Er hatte sich selbst Druck aufgebaut, hatte gedroht darunter begraben zu werden und doch hatten nur wenige Sätze von Victor gereicht, dass seine Sorgen zum größten Teil verschwunden waren und seine Nervosität sich mehr in Aufregung gewandelt hatte. Mit einem Seufzen lehnte er sich in Victors Umarmung und schloss mit einem Lächeln die Augen. Er legte eine Hand über Victors Arm um seine Taille und verschränkte die Finger ineinander. „Любимый“, meinte er von hinten leise Victors Stimme zu hören und spürte seinen warmen Atem im Nacken. Ja, so könnte er jede Nacht verbringen, ging ihm mit einem Schmunzeln durch den Kopf. Victor war zwar in der Nacht unglaublich warm, aber er war sich sicher, dass er sich daran gewöhnen konnte. Er war sich sicher, dass er sich daran gewöhnen wollte. Zufrieden driftete er langsam wieder in den Schlaf. Als Yūri das nächste Mal wach wurde, war sein Bett eigentümlich kalt. Er drehte sich rum, nur um die Wand anzublicken. Er richtete sich auf und blickte sich suchend in seinem Zimmer um. Doch er sah weder Victor, noch seine Kleidung, die eigentlich noch verstreut auf dem Boden hätten liegen müssen. Yūri runzelte die Stirn und streckte seine Hand aus. Die Matratze war bereits kalt, also musste Victor schon eine Weile das Bett verlassen haben. Aber warum? Hatte er geschnarcht oder gesabbert? Hatte er ihn irgendwie vergrault? Hatte er im Schlaf irgendeinen peinlichen Unsinn geredet? Yūri schluckte bei dem Gedanken, was Victor wohl aus dem Bett getrieben hatte. Victor musste wahrscheinlich einfach nur mit Makkachin raus, beruhigte er sich selbst in Gedanken. Er hatte bereits so viele peinliche Details über ihn erfahren, was machte da ein wenig Sabber oder Gebrabbel im Schlaf schon? Alleine der Gedanke daran, dass Victor wusste, was er vor seinem IT-Job getan hatte, um über die Runden zu kommen, ließ Yūri wieder die Schamesröte ins Gesicht steigen. Es war ihm schon früher etwas peinlich gewesen, aber mittlerweile wollte er bei dem Gedanken daran am liebsten in Grund und Boden versinken. Vielleicht kam es durch die zeitliche Distanz zu dem Job und dass er es jetzt relativ gut in seinem aktuellen Job hatte. Vielleicht hätte er das auch alles früher haben können, wenn er nur ernsthafter gesucht hätte? Andererseits… Victor hatte mit ihm telefoniert. Sie hatten sich im Prinzip zuerst durch die Hotline kennengelernt. Hätte er direkt so ein Auge für Victor gehabt, nachdem sie den Unfall gehabt hatten, wenn er nicht sofort diese Stimme erkannt hätte? Vielleicht wäre er eher durch sein Auftreten und seinem Aussehen eingeschüchtert gewesen, statt kühn genug, um ihn nach einer Buchempfehlung zu fragen. Yūri konnte es nicht sagen. Doch Victor hatte ihm nie das Gefühl gegeben, sich dafür schämen zu müssen. Aber sie hatten auch nie wirklich noch einmal darüber geredet. Vermutlich hatte Victor ihn nicht verschrecken wollen, immerhin hatten sie einige Fantasien gemeinsam durchgespielt, mutmaßte Yūri. Und da fiel ihm etwas auf: Zwar überdachte er fast jede Geste zwei Mal und bewunderte Victor für seine Lockerheit, aber andererseits musste Victor so sicherlich genauso viele Gedanken in ihre Beziehung investieren. Wie sonst konnte er jedes Mal die Geistesgegenwart haben, ihn zu beruhigen und eben solche Themen nicht anzusprechen. Hätte Yūri sie von sich aus angesprochen, wenn es andersherum gewesen wäre? Wenn er ähnlich selbstbewusst wäre, wie Victor? Vielleicht. Gut möglich. Aber nicht, wenn er bemerken würde, dass sein Gegenüber stellenweise ein reinstes Nervenbündel war. Das würde bedeuten, dass sich Victor oft Gedanken darüber machte, was er tun und lassen sollte, oder? Und während Yūri so in seinem Bett saß, fiel ihm noch etwas anderes auf, während sein Magen wie auf ein Zeichen knurrte. Es roch gut. Es roch nicht nach ‚Victor-gut‘. Zumindest nicht nur, denn er konnte noch eindeutig seinen Geruch am Kissen wahrnehmen. Es roch gut nach Eiern und Speck. Ein erleichtertes Lachen kam ungebeten über die Lippen, während er seine Beine über die Bettkante schwang, eilig ein paar Klamotten zusammensuchte, seine Brille vom Nachttisch nahm und sein Zimmer verließ. Dass ihm das Wasser im Mund zusammenlief, war sogar ein wenig untertrieben. Victor wendete gerade noch einmal den Speck und blickte zur Uhr. Er haderte damit, ob er Yūri wecken sollte oder nicht. Doch als er aufgestanden war, hatte er so fest geschlafen. Das Gesicht so entspannt und friedlich. Er hatte es nicht über sein Herz gebracht, ihn aufzuwecken. Stattdessen warer zum Bäcker gegangen, hatte Brötchen und Croissants gekauft. Auf dem Rückweg war er dann noch kurz bei Saturn Super Food reingesprungen und hatte Eier, Bacon, Orangensaft und ein wenig Obst gekauft. Wie immer bedauerte er das arme Supermarkt-Personal dafür, dass sie auch sonntags arbeiten mussten. Das war auch der Grund, warum er sich normalerweise weigerte, samstags nach 18:00 Uhr und vor allem sonntags einen Laden zu betreten. Dabei war es ihm egal, ob es die normalen Öffnungszeiten waren oder irgendein Aktionstag war. Diese Leute hatten doch auch Familie! Warum gönnte man ihnen kein Wochenende? Doch wie jedes Mal fiel ihm Schuldbewusst ein, dass er gleiches über Restaurantmitarbeiter denken müsste oder Hotelangestellte. Krankenhauspersonal oder Polizei. Jedenfalls hatte er nur das Nötigste gekauft und war dann schnell wieder in Yūris Wohnung geeilt. Er hatte gehofft, dass Yūri nicht ausgerechnet diesen Zeitpunkt gewählt hatte, um aufzuwachen und sich dann zu fragen, wo er nur abgeblieben war. Daher war er erleichtert, als ein kurzer Blick in sein Zimmer einen, immer noch, friedlich schlummernden Yūri preisgab. Dann blieb ihm nur noch zu hoffen, dass der Geruch von gebratenen Eiern und krossem Speck Yūri zum Aufstehen bewegen würde. Doch da stand er gleich vor dem nächsten Problem: Mochte Yūri lieber Rührei oder Spiegelei? Und wenn Spiegelei, dann von beiden Seiten gebraten oder das Eigelb noch flüssig? Bei Yurio wusste er es ganz genau. Von beiden Seiten gebraten, aber nur kurz, damit die Mitte noch flüssig war. Das ließ ihn bemerken, wie lange die beiden nicht mehr gemeinsam in Ruhe gefrühstückt hatten. Er verharrte kurz in der Bewegung inne und beschloss, nächsten Sonntag mit seinem Bruder gemeinsam zu frühstücken. Yūri hatte recht, er musste sich mehr um seinen Bruder kümmern. Mehr als die Nachricht, ob er heute Morgen mit Makkachin rausgehen könnte und ein genervtes ‚Wenn es sein muss, alter Sack!‘ hatten sie am heutigen Tag noch nicht ausgetauscht. Er schlug zwei Eier in die Pfanne und beobachtete, wie das Eiweiß langsam stockte und die Farbe änderte. Er beschloss, einfache Spiegeleier zu machen und falls Yūri sie lieber beidseitig gebraten wollte, konnte er sie immer noch kurz in die Pfanne hauen. Zusätzlich konnte er noch von vier Eiern Rührei machen, dann war von allem etwas da und er würde sich einfach daran bedienen, was Yūri nicht essen wollte. Er selbst war mehr der Spiegeleier-Typ. Rührei war nicht so seins, aber es war nicht so, als würde er es nicht mögen. Bevor er allerdings die Eier in die bereitgestellte Schüssel schlagen konnte, nahm er aus den Augenwinkeln eine Bewegung war. Yūri stand noch sichtlich verschlafen im Übergang zur Küche und grinste ihn schief an. „Das riecht herrlich“, sagte er und kam ein paar Schritte näher. „Bedank dich bei den Schweinen und Hühnern“, grinste Victor bevor er sich ein wenig zu Yūri hinunterbeugte und kurz auf den Mund küsste. „Guten Morgen, Любимый. Wie geht es dir?“, fragte er dann und wandte sich schnell wieder den Eiern zu. „Gut“, sagte Yūri und Victor nahm das ehrliche Lächeln, als er kurz zur Seite blickte. Er musste gestehen, dass es ihn erleichterte. Zeigte es doch, dass er seinen Job gestern wohl recht gut gemacht hatte. „Und dir, Vitya?“, hörte er Yūris Stimme, während er mit dem Pfannenwender gegen das Ei stieß um zu schauen, ob das Eiweiß komplett gestockt war. „Ich habe himmlisch geschlafen“, gestand er wahrheitsgemäß. Er konnte einfach immer besser schlafen, wenn er etwas in seinen Armen hatte, was nicht gerade ein Kissen war. Und leider hatte Makkachin nicht immer Lust, sich den Kuschelattacken seines Herrchens zu fügen. Etwas Fett spritzte durch das Ei hoch und brachte eine wichtige Frage zurück in Victors Gedächtnis: „Magst du lieber Rührei oder Spiegelei? Und wenn Spiegelei, wie magst du dein Spiegelei?“, lachte und grinste er dann mit erhobenem Pfannenwender. „Spiegelei, von einer Seite gebraten und den Bacon möglichst kross“, gab Yūri mit einem breiten Grinsen zurück. Victor wurde warm ums Herz. „Mein Freund ist einfach perfekt“, grinste er und küsste Yūri noch einmal kurz, bevor er die beiden Eier aus der Pfanne holte und noch einmal zwei nachlegte. Ihm war sehr wohl bewusst, dass Yūri wieder rot geworden war. Aber für Victor war es die Wahrheit. Wie konnte er nicht so denken, wenn Yūri sein Spiegelei und Bacon genauso mochte, wie er selbst? Das war göttliche Fügung! Er musste selbst ein belustigtes Kichern unterdrücken, als er über seine Worte nachdachte. Manchmal übertrieb er auch nach seinem Geschmack maßlos, doch er konnte es einfach nicht lassen. Es machte ihm viel zu viel Spaß. Yūri hatte in der Zwischenzeit damit begonnen, ihren Frühstückstisch zu decken. Seine Augen folgten ihm aufmerksam, wie er sich durch die Küche bewegte. Yūri war einfach ein Augenschmaus, befand Victor, doch dann fielen ihm mit einem Mal die Spiegeleier in der Pfanne ein. Erleichtert stellte er fest, dass sie in der heißen Pfanne noch nicht zu dunkel geworden waren. Wobei er sich gleich ausmalte, wie Yūri wohl reagieren würde, wenn er ihm sagte, dass er an den verbrannten Eiern schuld war. Vermutlich würde sofort wieder die Röte in Yūris Gesicht steigen. Für einen kurzen Moment war er versucht, die Eier noch ein wenig in der Pfanne zu lassen. Allerdings entschied er sich dagegen, denn auch wenn es nur zwei Eier waren, es wäre immerhin noch Lebensmittelverschwendung gewesen. Und das nur, wegen einem mäßigen Spruch. Da konnte Victor bestimmt noch Besseres aus dem Ärmel schütteln und musste dabei keine Eier anbrennen lassen. Behutsam holte er die Eier nacheinander aus der Pfanne und legte sie auf einem Teller ab. Dann stellte er den Herd aus, stellte die Pfanne in die Spüle und ließ etwas Wasser hineinlaufen. Als er sich mit dem Teller Spiegeleier in der Hand umdrehte, hatte Yūri den Tisch bereits fertig gedeckt und sah ein wenig unsicher auf das Obst hinab. „Hattest du irgendetwas damit geplant?“, fragte er. „Ich könnte noch einen Obstsalat machen. Ansonsten können wir es auch einfach so essen. Ganz wie du magst. Kennst du die Obstbuffets in Hotels beim Frühstück? Ich mag das irgendwie total“, grinste Victor schief und zuckte mit den Schultern. Yūri nickte. Es sah aus, als könne er es gut nachvollziehen, was Victors Grinsen nur breiter werden ließ. „Pur reicht mir eigentlich. Du musst dir nicht noch die Mühe machen. Möchtest du einen Kaffee?“, ging Yūri dann noch auf seine Frage ein und bot ihm eine Tasse an. Victor nickte nur und stellte den Teller ab. Kurze Zeit später saßen sie sich gegenüber am Frühstückstisch und ließen sich das Frühstück schmecken. Es erstaunte Victor immer wieder, wie häuslich es mit Yūri war. Bisherige Beziehungen hatten für ihn am Anfang immer bedeutet, viel auszugehen. Ins Kino, in Restaurants, eventuell mal auf eine Ausstellung, wenn er jemanden kennengelernt hatte, der mehr auf Kultur stand. Aber nach nur wenigen Wochen in der jeweiligen Wohnung gefühlt ein- und auszugehen… Das hatte er bisher noch nicht gehabt. Was vielleicht auf dem ersten Blick etwas langweilig wirkte, entschleunigte Victors Leben und er hatte seit langem wieder das Gefühl, seine Freizeit richtig zu genießen. Sogar, dass ihm seine Freizeit manchmal sogar ein bisschen zu wenig vorkam. Würde Chris den Gedankengang mitverfolgen können, würde er jetzt breit grinsen und ihm auf die Schulter klopfen. Doch wie würde es sein, wenn Yūris Mitbewohner wieder zurückkam? Er fühlte sich einerseits schlecht, weil er eigentlich hoffte, dass sich an ihrer Situation nichts ändern würde. Andererseits konnte man ab und an aber auch ein wenig egoistisch sein, oder? Aber es war ja auch nicht so, als könnte er Phichits Rückkehr, wann auch immer sie sein möge, irgendwie beeinflussen oder verhindern. Er musste es so nehmen, wie es kam und mit ein bisschen Glück konnte er Yūri irgendwann davon überzeugen, bei ihm einzuziehen. Wobei er sich dann sicherlich Gedanken darüber machen musste, was er mit Yurio anstellen würde. Aber vielleicht war Otabeks Einfluss, wie auch immer er aussehen möge, gut für seinen kleinen, kratzbürstigen Bruder. Das war allerdings eines der nächsten Themen, die er in Angriff nehmen musste. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)