Bird On A Wire von yezz ================================================================================ Kapitel 72: Lust auf Russisch ----------------------------- Victor schlug vor, dass sie noch einmal ihr Glück im Chartreuse Kitchen & Cocktails versuchen sollten. Er behauptete, unter der Woche sei nicht ganz so viel los und Katya arbeitete wohl heute dort, somit würde sich ihre Chance auf einen Tisch noch einmal steigern. Yūri wagte das zu bezweifeln, denn von dem, was er so gehört hatte, war der Laden immer gut besucht. Allerdings hatte er nichts gegen das bekannte und recht gemütliche Ambiente des Restaurants. Auch hatte er nichts dagegen, dass Victor darauf bestand, dass sie gerade sein Auto wegbrachten und sie dann mit seinem Auto zum Essen fuhren. „Eine Schande, dass Yurio noch nicht alt genug zum Autofahren ist. Sonst hätten wir heute gemeinsam auf dein Jobangebot anstoßen können“, grinste Victor, als er gerade einparkte. Yūri zog die Augenbrauen hoch. „Du hättest ihm dein Auto anvertraut?“, fragte er misstrauisch. „Was? Nein, um Himmels willen! Ich würde ihm einen eigenen Wagen kaufen. Irgendeinen gebrauchten Kleinwagen. Einen Kia Rio oder Chevrolet Spark“, lachte Victor. „Du weißt, dass er dich wegen so einem Auto umbringen würde?“, antwortete Yūri und musste unweigerlich lachen, als er sich Yurios Gesicht vorstellte, wenn ihm ein solches Auto präsentiert worden wäre. „Meinst du? Wie wäre es mit einem Fiat 500? Oder Mitsubishi Mirage?“, da Victor fertig eingeparkt hatte, blickte er Yūri an, der aber nur mit dem Kopf schüttelte. „Ford Fiesta?“, fragte er. „Das schon eher, aber ich glaube, dass ist ihm alles nicht stylisch genug“, grinste in Yūri an. Victor verdrehte theatralisch die Augen und warf die Hände soweit in die Luft, wie es sein Auto zuließ. „Die Jugend von heute… Alles muss toll aussehen und was es kostet ist egal, Hauptsache ein anderer zahlt“, seufzte er. Alles an seiner Körpersprache und dem Ton seiner Stimme sagte Yūri, dass er es nicht ernst meinte. Also konnte Yūri ohne Bedenken zum Gegenschlag ausholen. „Was willst du erwarten? Er kommt eben nach seinem Bruder. Der fährt, nur falls du es vergessen hast, einen Tesla Model S“, neckte er. Victor schaute Yūri blinzelnd an. „Den muss ich kennenlernen. Der scheint wirklich Geschmack zu haben und sieht sicherlich auch umwerfend aus“, danach grinste er Yūri wieder breit an. Jetzt rollte Yūri mit den Augen. „Wenn das ein Versuch war, ein Kompliment zu ergaunern, hat es nicht funktioniert, Herr Nikiforov“, schüttelte er mit schiefem Lächeln den Kopf. Victor blies kurz die Wangen auf und schob schmollend die Unterlippe hervor. „Das ist der Dank dafür, dass ich dich hierher fahre und dich zum Essen einlade?“, fragte er im leicht weinerlichen Ton. „Ich dachte, dass Ganze wäre ein Dankeschön für den Blowjob im Serverraum“, konterte Yūri mit mehr Selbstvertrauen in der Stimme, als er fühlte. Dabei spürte er, wie seine Wangen heiß wurden und war froh, dass es schon dunkler war, denn so würde es wenigstens nicht ganz so stark auffallen. Victor legte einen Finger an die Unterlippe, Yūri kannte diese typische Geste, wenn er überlegte. Doch das Funkeln in den blauen Augen verriet ihm, dass er gar nicht wirklich überlegte. „Hmm… Na gut. Das ist es durchaus wert. Aber glaube ja nicht, dass du dir so immer dein Abendessen verdienen kannst“, zwinkerte er dann. „Keine Sorge, ich sollte mir eigentlich eher versuchen, mir so eine Mitgliedschaft im Fitnessstudio zu verdienen“, seufzte Yūri stattdessen und blickte an sich hinunter. „Ich habe doch ein paar Fitnessgeräte zu Hause. Die kannst du gerne jederzeit nutzen. Den Mitgliedbeitrag überlege ich mir noch“, schlug Victor mit einer hochgezogenen Augenbraue vor. Yūri hatte nur eine allzu gute Vorstellung von diesem ‚Mitgliedsbeitrag‘. „Du denkst aber nur an das Eine“, gab er mit einem gespielten Schnauben zurück. „Was kann ich dafür, wenn du einfach zu gut bist. So, und bevor wir jetzt hier weiter flirten und ich mich gleich nicht mehr in der Öffentlichkeit zeigen kann, sollten wir langsam mal reingehen“, schlug Victor nun vor. Yūri nickte und öffnete die Beifahrertür. Die kalte Abendluft tat seinen erröteten Wangen gut und würde ihm eine zusätzliche Ausrede geben, falls seine Wangen im Restaurant immer noch glühen würden. Sie gingen die paar Meter zum Restaurant, doch Victor ließ es sich nicht nehmen, seine Finger in Yūris zu verschränken. Jedes Mal, wenn er solch kleine Gesten machte, seine Hand hielt, einen Arm um seine Schulter legte, ihm eine Strähne aus der Stirn strich oder Ähnliches, setzte Yūris Herzschlag für einen Moment aus. Vielleicht hätte er sich mittlerweile daran gewöhnen müssen, doch jedes Mal schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, wie es sein konnte, dass ausgerechnet dieser Mann in sein Leben getreten war. Am Anfang war er sich noch sicher gewesen, dass er ihn wieder verlieren würde, sobald er merkte, wie langweilig Yūri war. Doch diese Sorge wurde nach und nach weniger. Zum einen, weil in Victors Leben scheinbar immer irgendetwas passierte und er so vielleicht froh war, jemanden zu haben, der alles ein wenig entschleunigte. Zum anderen riss Victor ihn aber auch manchmal mit, wie eine Flutwelle. Einen Blowjob im Serverraum einer Firma? Vor einem Jahr wäre das für Yūri undenkbar gewesen. Egal, ob er bei einer Telefonsex-Hotline gearbeitet hatte oder nicht. Telefonsex war fake, fand nur in der Fantasie der beteiligten Personen wirklich statt, aber ein Blowjob? Das war real. Vielleicht sogar etwas zu real. Yūri haderte mit sich selbst, während er durch die Tür ging, die Victor ihm aufhielt. Sollte er mit Victor über die Sache sprechen? Klar machen, dass er nicht der Typ für regelmäßige sexuelle Interaktionen am Arbeitsplatz war? Aber wie sollte er begründen, warum er ausgerechnet heute von selbst die Initiative ergriffen hatte? Aufgestaute Glücksgefühle von dem Jobangebot? Klang das nicht irgendwie ein bisschen billig? Und wie sollte er das anstellen? „Victor! Yūri! Schön euch zu sehen!“, riss ihn Katyas fröhliche Stimme aus den Gedanken. Sie trug das typische Kellneroutfit des Restaurants und hatte ihre braunen, lockigen Haare in einen, leicht unordentlichen, Dutt aufgetürmt. Yūri fragte sich kurz, wie viele Tonnen Haarspray und Haarnadeln notwendig waren, um das Gebilde auf dem Kopf zu halten, er lenkte seine Aufmerksamkeit wieder den wichtigeren Dingen zu. „Hast du einen Tisch für uns?“, fragte Victor und Katya nickte lächelnd. „Wenn mir die Herrschaften bitte folgen würden?“, säuselte sie im gutgelaunten Ton und führte sie mit einem durchaus verführerischen Hüftschwung zu ihrem Tisch. Nicht, dass es Yūri in irgendeiner Weise beeindruckt hätte, aber der ein oder andere junge Mann an den Tischen, die sie passierten, schauten ihr sicherlich nicht mit ganz unschuldigen Gedanken hinterher. Eine Masche für mehr Trinkgeld, vermutete Yūri, denn normalerweise ging sie relativ normal. Sie setzten sich, Katya gab ihnen die Menükarten und fragte, ob sie vielleicht schon wissen, was sie trinken wollten. Während Yūri seinen Blick über die Getränkeoptionen schweifen ließ, bestellte Victor ein alkoholfreies Bier und eine große Flasche Wasser für sie beide. Er war schon fast gewillt, es bei Wasser zu belassen, als ihm wieder einfiel, dass sie ja extra sein Auto weggebracht hatten, damit er etwas trinken könnte. Um das Angebot zu feiern, wie Victor gesagt hatte. Sein Blick fiel auf ein Getränk, das ihn interessierte. „Ich nehme einen Moscow Mule, bitte“, bestellte er. Ein Getränk aus Vodka, Limettensaft und Ingwerbier, garniert mit Gurkenscheiben und Minze. Es klang irgendwie anders, auch wenn Yūri vermutete, dass es sich aktuell ein richtiges Hipster-Getränk handelte. Nicht, dass Yūri etwas gegen Hipster hätte, nur konnte er sich mit deren Lebenseinstellung nicht wirklich identifizieren. Aber das hieß ja nicht, dass dieses Getränk per se schlecht sein musste. Katya nickte und verschwand, während sie sich die Karte anschauten. Das Thema war deutlich zu erkennen: Winter. Viel Kürbis und Kohl standen auf der Karte, aber auch noch ein paar Pilzgerichte. Der Nachtisch wurde von Äpfeln und Pflaumen, aber auch von Orangen und Nüssen dominiert. Das erinnerte Yūri an seine Heimat, denn in der japanischen Küche wurde auch auf die saisonalen Zutaten geachtet. „Hast du dich schon entschieden?“, fragte Victor nach einer Weile, die sie schweigend in die Karte gestarrt hatten. „Ich tendiere zu den Kürbis-Ravioli mit Walnuss-Pesto“, überlegte Yūri laut, auch wenn er die Hähnchenkeule auf geröstetem Rosenkohl, Kartoffeln und Kürbis mit Orangenjus auch sehr spannend fand. Er konnte sich nicht erinnern, dass er jemals Rosenkohl gegessen hatte. Zumindest nicht bewusst. „Ah, die interessieren mich auch. Oder die Hähnchenkeule darunter“, sagte Victor und schien wirklich unentschlossen zu sein. „Was hältst du davon, wenn wir uns beides teilen? Die Hähnchenkeule reizt mich auch“, fragte er ein wenig unsicher. Sofort hellte sich Victors Gesicht auf. „Natürlich können wir gerne teilen, Любимый!“, lächelte er strahlend. Doch bevor Yūri noch etwas erwidern konnte, war Katya zurück. „Hier das Wasser und dein Bier, Victor“, sagte sie, als sie alles vor ihm abstellte. Dann stellte sie eine gefüllte Kupfertasse vor Yūri hin. „Und dein Victor on Ice!“, zwinkerte sie. „Was kann ich euch zu essen bringen?“, fragte sie dann unschuldig. „Wir teilen uns die Hähnchenkeule und die Ravioli!“, verkündete Victor voller Freude und Katya schüttelte nur lächelnd den Kopf. „Immer diese turtelnden Pärchen…“, seufzte sie und notierte ihre Bestellung, bevor sie wieder verschwand. Doch dann wurde schlagartig Victors Gesicht ernst. „Hat sie eben Victor on Ice zu deinem Getränk gesagt?“, fragte er mit aufgerissenen Augen. „Ja“, nickte Yūri nur und er spürte, wie seine Wangen etwas rot wurden. „Moment! Hat sie mich damit etwa einen Esel genannt?!“, fragte Victor fassungslos. Yūri war froh, dass er noch keinen Schluck genommen hatte, denn sonst hätte er ihn bestimmt vor Lachen quer über den Tisch gespuckt. Natürlich hatte Victor Katya noch darauf aufmerksam gemacht, dass ihre Unverfrorenheit von ihrem Trinkgeld abgezogen wurde. Doch über das Essen konnte sich Victor wirklich nicht beklagen. Er hatte schon lange Zeit keinen Rosenkohl mehr gegessen, denn oftmals war ihm das Herbe zu viel. Doch gemischt mit Kartoffeln und Kürbis, dazu dann noch die süßlich-fruchtige Orangenjus, ergab es eine echt leckere Kombination. Auch die Ravioli waren sehr lecker, wobei ihm das Walnuss-Pesto da am meisten überzeugte. Yūri saß ihm mit einem kleinen Lächeln gegenüber und trank an seinem dritten ‚Victor on Ice‘ und er war froh, dass es ihm zu schmecken schien. „Wie wäre es mit einem Nachtisch, Yūri?“, fragte Victor und angelte nach der Karte, die er nach der Bestellung der Hauptspeisen behalten hatte. Yūri schüttelte mit einem verneinenden Laut den Kopf. „Warum nicht? Sie haben hier Kaiserschmarrn mit gerösteten Pflaumen und Apfelmus. Davon hat Chris immer geschwärmt, das ist wohl ein beliebtes Gericht in Österreich. Das wollte ich schon immer mal probieren. Oder hier: Warmer Gewürzkuchen mit Orange und heißer Schokoladensauce. Bratapfel mit gerösteten Nüssen… Wobei die anderen beiden Sachen hörten sich besser an…“, seufzte Victor. Yūri schüttelte wieder den Kopf. „Ich muss ein bisschen darauf achten, was ich esse. Das habe ich doch schon erwähnt“, seufzte Yūri und Victor merkte deutlich, dass er eigentlich lieber noch einen Nachtisch essen würde. „Ich habe dir doch schon angeboten, meine Trainingsgeräte zu benutzen. Was hältst du davon, wenn wir morgen einfach anfangen, gemeinsam abends eine Stunde zu trainieren?“, bot Victor an. „Ich habe dich schon mal gefragt, was mich das kostet“, lachte Yūri leise. Victor legte seinen Kopf schief und einen Finger auf die Unterlippe. Er tat so, als würde er überlegen, wusste die Antwort aber bereits, als er nur Yūris Antwort gehört hatte. „Hmmm… Wie wäre es mit einem Kuss pro Gerätenutzung? Am Tag versteht sich. Sonst bekomme ich ja am Ende keinen Kuss mehr von dir“, erklärte er grinsend. „Könnt ihr bitte mal mit eurer Turtelei aufhören? Das ist ja furchtbar! Kein Wunder, dass Yurio mittlerweile so oft bei uns ist“, seufzte Katya theatralisch und schüttelte lachend den Kopf. „Und sagt mir jetzt bitte nicht, dass ihr euch den Nachtisch auch noch teilen wollt wie zwei frisch verliebte Teenager“, schob sie dann noch hinterher. Victor und Yūri sahen sich grinsend an. „Wir nehmen den Kaiserschmarrn und den Gewürzkuchen. Zum Teilen natürlich“, grinste Yūri Katya nun an und sah dabei so unschuldig aus, als wäre ihm überhaupt nicht bewusst, was er da gerade machte. Katya rollte nur mit den Augen, nahm Victor die Karte aus der Hand und verschwand mit einem: „Die beiden lasse ich nie wieder in meinem Bereich sitzen. Unerträglich!“ Victor, der bis eben mit Mühe sein Lachen unterdrückt hatte, gluckste nun vergnügt vor sich hin. „Hmm… ich könnte noch mal so was Russisches vertragen“, gab Yūri nach einer kurzen Pause zurück und spielte dabei mit der Kupfertasse. Victors Augenbrauen schnellten in die Höhe. „Trifft sich gut, ich habe auch immer Lust auf was Japanisches“, gab er mit einem schiefen Grinsen zurück und leckte sich über die Unterlippe. Plötzlich setzte sich Yūri etwas gerade auf, blickte ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen blinzelnd an. Dann wurde er mit einem Mal rot. „O-oh… I-ich“, stammelte er. „Ich meinte eigentlich den Moscow Mule“, setzte er dann mit festerer Stimme fort. Victor fasste sich ans Herz und sackte ein wenig zusammen. „Yuuuuuri! Wie kannst du mir so etwas antun?“, wimmerte er dann und legte einen Handrücken auf seine Stirn. „Vielleicht musst du mich wieder richtig auf den Geschmack bringen“, sagte Yūri leise, die Röte wich nicht aus seinem Gesicht. Die Erinnerungen an einen kecken, verführerischen Yūri lebten in Victor wieder auf. Er fragte sich, was er tun musste, damit diese Seite an Yūri öfter und selbstverständlicher zur Geltung kam. Er mochte den schüchternen, verlegenen Yūri. Doch der flirtende, verdorbene Yūri war mindestens genauso reizvoll. „Wir haben ein Wochenende in einem Wellnesshotel und ein Adventskalender voller Spielzeuge. Ich glaube, da lässt sich was machen.“, erwiderte Victor vielsagend. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)