Psycho-Pass | Ω von Rigel (Wrath of the Wraith) ================================================================================ Kapitel 1: Das Ass der Schwerter -------------------------------- 6 Monate zuvor… Resorts World Sentosa Casino, Singapur 1:23 Ortszeit Er kam sich vor wie ein Hund, den man zwang, ein Strickjäckchen zu tragen. Erstens war es sehr lang her seit er seinen letzten Anzug gegen Militär-Tarnkleidung getauscht hatte und zweitens hätte er einen Anzug niemals so getragen wie es die Umstände nun erforderten: Die Ärmel nicht hoch gekrempelt und beide Manschettenknöpfe geschlossen ebenso wie den obersten Hemdsknopf und die Krawatte saß so eng als wolle er sich selber strangulieren. Es ließ sich jedoch nicht vermeiden, sagte er sich, als er die langen röhrenartigen Rolltreppen bei lärmender Musik und wechselnden Farben herunterfuhr. Ein Glücksfall war es schon, dass man ihn mit seinem gefälschten Pass überhaupt durch die Sicherheitsschleuse vor dem Casino gelassen hatte. Im Grunde waren das Casino von Sentosa und Sibyl sich gar nicht unähnlich. Auch im Casino arbeiteten alle Menschen wie eine Einheit am Erhalt des Systems. Sie waren wie die flirrenden, ewig zuckenden und surrenden Nervenzellen eines Organismus, der - im Glauben an seine eigene Bereicherung - immerzu Geld in die Kassen des Hauses spülte. Während Sibyl die Menschen durch den Wunsch nach einem immer reinen, immer klaren Psycho-Pass beherrschte, beherrschte das Casino die Menschen durch den Wunsch nach der einen glücklichen Nacht, die alles verändern sollte. Als er sich also durch die rot-goldene Welt der Spieltische, Automaten und Slot Machines zwängte, musste er sich vollends auf die bevorstehende Aufgabe konzentrieren. Aus der Tasche seines Jacketts zog er noch einmal das Kärtchen auf dessen Vorderseite vor einem gezeichneten Farbspektrum der Name Hue Grant zu lesen war und auf der Rückseite die Aufschrift Private Lounge 160. Der vereinbarte Ort kam in Sicht: Eine lackierte Holzwand, in der die Umrisse einer Tür kaum erkennbar waren und zwei Gorillas in Anzügen davor. Er hoffte alles richtig auszusprechen, sein Chinesisch war nämlich etwas eingerostet. Vor den beiden blieb er stehen und sprach einen beiläufig an, während er vorgab, woanders hinzusehen. “Ich habe eine Verabredung mit Hue Grant.“ “Träum weiter, du Spinner”, erwiderte der Angesprochene, doch das war genau die vereinbarte Antwort, die er bekommen sollte. Aus dem Augenwinkel sah er den Mann hinterrücks einen Schalter betätigen, woraufhin sich die Tür öffnete. Er schritt hindurch, nicht ohne den beiden in ihre auf dem Rücken verschränkten Hände jeweils zwei 100 Singapur-Dollar-Scheine zu drücken. Durch eine Reihe nur spärlich erleuchteter Gänge gelangte er zu den privaten Casino Lounges. Private Lounge 160 war ein vollkommen dunkler Saal dessen halbes Dutzend Spieltische wie erleuchtete Inseln hervor stachen. Er fühlte einen dumpfen Schmerz in der Brust, als er seinen Kontaktmann sah, denn der erinnerte ihn ungemein an den alten Masaoka. Gleichzeitig bediente er wohl auch jedes in Asien vorherrschende Klischee eines Amerikaners: Aschgrauer Trenchcoat, der zur Farbe seiner wirren Haare passte und eine verspiegelte Sonnenbrille selbst hier, wo es kaum Licht gab. “Wie es aussieht, könntet ihr noch einen Spieler brauchen“, wandte er sich an den Amerikaner und die zwei anderen Spieler um den halbkreisförmigen Tisch. Der Mann mit der Sonnenbrille blickte auf und ein breites Grinsen trat auf seine faltigen Züge. “Aber klar, Junge. Nur zu, setz dich. Wir spielen Caribbean Stud Poker. Die Bank gegen alle und alle gegen die Bank. Ich bin Hue Grant, nenn mich Hue.” Er wollte gerade den Mund öffnen, um mit seinem Namen zu erwidern, da hielt ihm der andere einen Finger entgegen. “Eh, eh! Keine Namen, nenne niemals Namen. Glaubst du denn vielleicht, Hue Grant wäre mein richtiger Name?” Er hatte vom Croupier gerade seinen Satz Karten bekommen, da wandte sich Hue bereits wieder an ihn. “Kubaner”, fragte er und schob ihm ein samtbezogenes Holzkästchen mit dicken, unförmigen Zigarrenzinken hin. Er verneinte mit einem Kopfschütteln und kramte eine ziemlich zerknitterte Zigarettenpackung aus der Tasche. “Hab meine eigenen”, erwiderte er und steckte sich die erste Zigarette an diesem Abend an - endlich! “So, Jungs”, eröffnete Hue, “lasst doch mal die Bank sehen, was ihr so auf der Hand habt.” Er legte seine Karten auf den Tisch und sein Nachbar tat es ihm gleich. Hue beugte sich so weit über die Karten des Anderen, dass er sie mit der Nase hätte berühren können, nur um gleich darauf in lautes Lachen auszubrechen. “Das darf ja nicht wahr sein. Ein Royal Flush und das, wo er kaum am Tisch gesessen hat. Du hast Glück, Junge. Lass es dir schnell auszahlen und verschwinde. Du weißt ja: Das Glück verlässt dich schneller als dir lieb sein kann.” Nach dem Spiel stand Hue Grant auf und reckte sich, um dann wie zu sich selbst zu sagen. “Also, ich verziehe mich jetzt. Wer von den Herrschaften noch anderes zu bereden hätte als illegale Gehirnamputationen in Singapur, der möge mir folgen.” Er wartete noch einen Moment, um Desinteresse vorzutäuschen und folgte Hue dann durch weitere Gänge, bis zu einer zweiten Holztüre. Sie führte in einen edlen Raum mit grünem Teppich und braunen Holzschränken. Im Zentrum des Raumes ein Tisch, zwei Sessel, eine Flasche mit honigbraunem Inhalt und zwei tulpenförmige Gläser. Hue schloss und verriegelte die Tür. “Keine Kameras, keine Wanzen, keine Scanner. Was immer in diesem Raum gesagt wird, bleibt auch hier drin.” Sein Gesprächspartner weitete die Augen, als er das goldene japanische Schriftzeichen auf der schwarzen Banderole der Flasche erkannte. “Das kann nicht sein. Ist das etwa-” “Jaaa”, antwortete Hue ohne auch nur hinzusehen, “Das ist ein 18 Jahre alter Yamazaki aus der Destillerie Suntory - japanischer Single Malt Whisky. Eine der letzten Flaschen, die es über die Grenze geschafft hat, ehe Sibyl das Embargo verhängte… Elende Spielverderber!” “Machen wir den heute Abend auf?” Hue schnaubte. “Spinnst du? Den machen wir heute Abend leer! So ein Treffen wie das unsere muss gefeiert werden.” Beide setzten sich an den Tisch und Hue schenkte beiden zwei Finger breit des japanischen Whiskys ein. Während er selbst die Nase fast in das Glas steckte, hielt sich sein Gegenüber das Glas an die Stirn und flüsterte kaum hörbar. “Auf dich, alter Mann.” “Also, Junge. Zum Geschäftlichen. Was kann ich für dich tun?” Der Angesprochene holte seine zweite Zigarette hervor. Vier verblieben noch in der Packung. “Ich muss nach Japan zurück”, gab er zu verstehen. Hue warf einen Blick auf die Schachtel in den Händen seines Gesprächspartners und zog ein schiefes Lächeln. “Doch nicht nur wegen der Kippen.” “Ist meine letzte Schachtel”, antwortete er ungerührt. “Spinels, heh? Wenn es dir nur darum geht, da kenne ich ungefährlichere Alternativen. Das Lager der ATF zum Beispiel. Was glaubst du, wie viel Schmuggelware wir konfiszieren? Da sind auch ein paar von diesen dabei. Und wenn ein, zwei Kartons davon mal aus dem Lager verschwinden, merkt das sowieso keiner.” Der Andere musste lachen. “Es geht natürlich nicht nur um Zigaretten. Ich muss mich bei einigen Leuten entschuldigen und habe noch andere Dinge zu erledigen. Ich hatte gehört, es wäre möglich wieder über die Grenze zu kommen.” Hue presste die Lippen zusammen. “Es ist ziemlich schwierig, ziemlich kostspielig, ziemlich gefährlich und ziemlich dämlich, aber möglich ist es.“ “Ich hatte auch gehört, du könntest dabei behilflich sein.“ Hue Grant nickte. “Ja, könnte ich. Betonung auf dem Konjunktiv. Wenn nämlich einer deiner Ex-Kollegen dort mit einem Dominator auf dich zielt und von dir gerade mal so viel übrig bleibt, dass man’s in ein Suppentütchen füllen könnte, zeig nicht mit dem Finger auf mich!” “Du meinst, wenn ich dann noch einen Finger hätte, mit dem ich auf dich zeigen könnte.” Hue prustete beinahe seinen Whisky wieder aus. “Du hast das Prinzip verstanden.” Die Flasche war schon halb leer und die Uhr zeigte 3:15 Uhr Ortszeit, als sich beide über das genaue Vorgehen einig waren. Inzwischen zeigte der Alkohol seine Wirkung und machte ihn wohl redseliger als er sonst gewesen wäre. “Du willst mir aber noch nicht sagen, welche Pläne du dort genau hast”, stellte Hue fest. Der Andere schüttelte den Kopf. “Es ist absolut wichtig, dass ich keine sensiblen Informationen preisgebe, ehe die Zeit reif ist.” Hue konnte nun ein breites Grinsen nicht mehr verbergen. “Sag mal, hier geht es aber nicht primär darum deine kleine Inspektorin wieder zu sehen?” “Sie ist keine kleine Inspektorin und meine schon gar nicht. Inzwischen wird sie ein besserer Bulle sein als ich es damals war. Und es geht nicht nur um sie. Es geht um sie alle, verstehst du? Um Gino und seinen Vater. Ich war damals dort, als er starb. Ich weiß nicht, ob ich hätte helfen können, aber… alles wäre wohl besser gewesen, als einfach weiter zu rennen wie ein wildes Tier auf der Jagd nach seiner Beute. Und sie… sie hat mir vertraut. Hat geglaubt, ich könne ein guter Mensch sein und ich... “ “Du bist nie für alle gleich gut und für alle gleich schlecht. Mach dir nichts draus, Junge. “ Er blickte abwesend über den Rand seines Glases hinweg. “Ihre Haare riechen nach kandierten Pfirsichen. “ Hue beugte sich nun weit vor. “Jetzt wird’s interessant. Woher zum Teufel weißt du wie ihre Haare riechen?” “Damals, als der Lastwagen von Makishima verunglückte, wurde sie verletzt. Ich habe sie getragen, deswegen. Ich höre den Schuss heute noch. Und mittlerweile glaube ich, dass ich damals nicht nur ihn, sondern auch sie erschossen habe.” “Dann, Junge, wird es Zeit das gerade zu biegen. Du kannst auf mich zählen. Und sei es nur damit es in Zukunft wieder mehr von dem hier”, er schwenkte den letzten Schluck des Whiskys in der Flasche, “auf dem ausländischen Markt gibt.” “Du weißt, dass Subadachan dort sein könnte?” “Das will ich doch hoffen, dann kriegen wir ihn endlich”, antwortete Hue. “Sei vorsichtig mit ihm. Ich bin ihm einmal in Angkor Wat begegnet. In dem einen Kampf bin ich gleich dreimal knapp mit dem Leben davon gekommen.” “Ich weiß, er ist gefährlich. Wir schaffen das schon. Alles weitere aber dann, wenn wir über die Grenze sind. Und jetzt hau dich aufs Ohr, Junge. Hab eine Hotelsuite für dich reserviert. Hoffe, es macht dir nichts aus.” “Im Gegenteil. Es wird schön sein mal wieder in einem richtigen Bett zu schlafen.” Hue und er stießen mit dem letzten Tropfen Whisky an auf neue Pläne, neue Gefahren und neue Hoffnung. Vielleicht, dachte er, war dies für ihn auch ohne das Glücksspiel die eine Nacht, die alles veränderte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)