Psycho-Pass | Ω von Rigel (Wrath of the Wraith) ================================================================================ Kapitel 5: Pandoras Büchse -------------------------- 13. Juli 2117 Angkor Wat, Kambodscha Sibyl gab den Menschen Sicherheit. Das war ein Gedanke, der ihm kam, als er in der tropischen Hitze durch das hohe Gras auf den Haupttempel von Angkor Wat zusprintete - ungesehen, nur gefolgt von den steinernen Blicken der Götter und Dämonen des alten Khmer-Volkes. Seit er die sicheren Grenzen Japans verlassen hatte, musste er vermeiden, gesehen zu werden, wann immer es ging. Sibyl gaukelte den Menschen eine Sicherheit vor, in die sie sich einspinnen konnten wie eine Raupe in ihren Kokon. So viel Ordnung, so viel Ruhe, so viel Sicherheit, dass es Geist und Körper träge machte, unfähig zu fliehen oder sich zu wehren. Flucht ist keine Option, dachte Kogami. Trotzdem konnte er nicht leugnen, dass das Herz in seiner Brust lauter hämmerte als sonst. Während der Rest seiner Leute im Lager in Phnom Penh geblieben war, sollte er sich in der verlassenen Tempelruine auf die Jagd nach Subadachan machen. Dessen letzte bestätigte Sichtung soll in Angkor Thom gewesen sein, etwa einen Kilometer nördlich von hier. Seitdem Präsident Han die Wahl gewonnen hatte und Südostasien in die Klauen des Sibyl-Systems gefallen war, wurde das Gebiet nördlich der Hauptstadt zum Sperrgebiet erklärt und die bisher starken Touristenströme nach Angkor Wat versiegten. Die Hauptstadt Phnom Penh war technisch noch nicht gut genug aufgestellt, um das Sibyl-System vollständig zu übernehmen, weshalb man sich an den richtigen Orten noch immer gefahrlos aufhalten konnte. Kogami blieb stehen. Er hatte ein rostiges Schild passiert, das vor Guerilla-Kämpfern und Warlords in der Umgebung warnte, hatte zwei Treppen zu einem höheren Plateau erklommen und horchte nun. Um ihn herum lagen die Eingänge in den Tempelkomplex. Tiere, Blätterrauschen, Steinchen, die in tiefere Ebenen fielen und sein eigener gehetzter Atem waren alle Geräusche, die in der dunstigen Luft zu hören waren. Dann ertönte ein Pfiff. Zunächst war nicht klar, ob von einem Tier oder Menschen. Darauf folgte dann eine Stimme. “Söhnchen!” Die Stimme des Mannes hallte von allen Wänden wider, so dass unmöglich zu bestimmen war, woher sie kam. Die Handgriffe, die Kogami ausführte, waren alle Routine: Waffe ziehen, entsichern und die Sinne nur auf die Umgebung konzentrieren. “Wenn sie kommen - und sie kommen immer - schicken sie ein ganzes Bataillon, bestehend aus zwölf Militärdrohnen und einer 30-Mann starken Fußtruppe mit Sturmgewehren, mit Panzerfäusten, mit Granatwerfern, mit Miniguns, mit Lasern und allem, was das Herz begehrt, nur um Mich zu erwischen.” Der Mann machte eine Kunstpause. “Und du kommst hierher: ganz allein, nur mit Marschausrüstung und Handfeuerwaffe. Ich bin gerade nicht ganz sicher, ob ich nun beeindruckt oder beleidigt sein soll. Entweder deine Leute in Phnom Penh haben übermenschlich großes Vertrauen in dich…” Wieder eine Kunstpause. “...Oder sie können dich nicht mehr leiden und wollen dich loswerden.” Da Kogami nur annehmen konnte, dass der andere seine Position sowieso bereits kannte, rief er: “Du bist also Subadachan!” “Zumindest so lange, bis mir der Name nicht mehr gefällt und ich mich entschließe, einen anderen zu tragen, ja. Ein Name verbreitet sich schneller als ein Ruf, Söhnchen. In ganz Siem Reap zerreißen sie sich schon das Maul über Shinya Kogami. Sie nennen dich den weißen Wolf, einen furchtlosen Jäger. Du sollst auch Desmond Rutaganda in Shambala kalt gemacht haben.” “Und wenn”, fragte Kogami, während er noch immer versuchte, die Position des Mannes zu bestimmen. “Ist ein Jammer. Er und seine Leute waren gute Kunden.” Kogami grinste, diesmal wie ein wirklicher Wolf. “Erwartest du, dass ich mich bei dir entschuldige?“ “Nein”, antwortete Subadachan, “Ich erwarte nur, dass du stirbst. Denn deshalb sind wir beide doch hier, nicht wahr? Ein kleiner Showdown für zwischendurch?” Kogami wusste, dass dies der Moment war. Entweder würde Subadachan fliehen wie üblich oder angreifen. Deshalb war er wider die Einwände seiner Leute allein gekommen - um den Drogenboss zum Angriff zu bringen. Trotz all seiner Jahre in der Wildnis und im Kampf bemerkte er den Mann zu spät. Er erschien plötzlich aus einem Torbogen keine zwanzig Meter vor Kogami, während dieser sich dem Osttrakt zugewandt hatte. Obwohl der kleine Asiate vier Stufen auf einmal herunter sprang, verursachte er beim Aufkommen nicht mehr Geräusch als ein trockenes Blatt, das auf den Steinboden fiel. Als Kogami ihn aus dem Augenwinkel heran stürmen sah und seine Waffe in diese Richtung lenkte, erkannte er, dass der schwarze Stock in der rechten Hand des Mannes ein Katana war, das nun eben aus seinem Schaft glitt. Subadachan hatte bereits zu Sprung und Schlag angesetzt und Kogami wusste, dass er die Pistole nicht mehr rechtzeitig in Schussrichtung bekam, bevor das Schwert seinen Unterarm abtrennte. Er wich schnell zurück und parierte den Schlag mit der Pistole selbst. Da riss Subadachan - das Moment des Aufpralls nutzend - sein rechtes Bein hoch und trat gegen die Rückseite der Klinge. Mit dem linken Arm konnte Kogami nicht dagegen halten, das Schwert drang durch seine Verteidigung und die Spitze streifte seinen Hals auf Höhe der Schlagader. Noch bevor er sein Gleichgewicht wiederfinden konnte, hatte sein Gegner sich um sich selbst gedreht und einen Tritt gegen Kogamis Körpermitte gelandet. Noch im Fallen riss Kogami das Metallschild mit sich und stürzte drei Stufen hinab. Der Aufprall presste ihm die Luft aus den Lungen und ließ keine Zeit sich zu sammeln. Schrecken durchzuckte ihn, als er die Waffe in seiner Linken nicht mehr fand. Ein Blick nach oben und er sah die Pistole - in Subadachans linker Hand, wie sie sich gerade auf die Stelle zwischen seinen Augen zubewegte. Subadachan lächelte ohne großen Triumph, als enttäusche ihn wie einfach das gewesen war. Kogami sah mit einem Mal Akane vor sich. Wie sie ihm mit zornigen Tränen in den Augen irgendetwas zurief. Er wusste nicht, wann er sie schon einmal so gesehen hatte, wenn überhaupt, doch er wusste, dass es hier nicht enden durfte. Noch ehe der Schuss durch den Tempel peitschte, riss er das Schild hoch und betete zu Vishnu, er möge ein Wunder tun. Tatsächlich geschah, was Kogami nie für möglich gehalten hätte, die Kugel blieb in dem alten Schild stecken. Nur Sekunden später explodierte gleißender Schmerz in seiner rechten Schulter, als Subadachans Katana, das dieser wie einen Speer geworfen hatte, das Schild und auch seine Schulter durchschlug. Auch ohne die Augen zu öffnen, wusste er, dass Subadachan bereits wieder auf seinen Kopf zielte und diesmal würde er wohl nicht so viel Glück haben. Das metallische Klicken, das Sekunden später durch die Stille des Tempels hallte, überraschte ihn wohl ebenso sehr wie Subadachan selbst, denn als er hinsah, war sein Gegner gerade dabei, die Pistole zu inspizieren. “Nanu”, begann er und hob den Blick zu Kogami, “hat da jemand vergessen, seine Waffe nachzuladen? Böse, böse. Aber Glück für dich. Dann geht unser Showdown wohl unentschieden aus. Behalt das Schwert als Andenken, Söhnchen und gib es mir beim nächsten Mal wieder.” Subadachan winkte ihm noch zu, dann warf er ihm die leere Waffe hin und spurtete davon. Shinya Kogami saß noch eine Weile dort, ein rostiges Schild mit feststeckender Kugel in den Händen, die ersten zehn Zentimeter eines Katana in der Schulter und konnte nicht recht glauben, dass er immer noch lebte. Seine Gedanken schossen wie die Verästelungen eines Blitzes in alle Richtungen und verdichteten sich erst nach und nach auf einen festen Punkt - eine Nachricht, die er zwei Wochen nach seiner Flucht von den Hyper Oats Feldern erhalten hatte. Sogar diese Begegnung mit Subadachan hatte er überlebt. Offenbar sollte er noch nicht sterben. Und in eben diesem Moment fasste er einen Entschluss, einen Entschluss, was er mit dem Rest seines Lebens anfangen wollte. Dienstag, 08. November 2118 Safe House 31-00-S2 “Kogami-san” Der Name kam Akane als ein kaum hörbares Flüstern über die Lippen und nun fühlte sie sich wirklich von Geistern heimgesucht. Wie sollte sie jemals nach vorn schauen und die Vergangenheit begraben, wenn dieser Mann immer wieder auferstand? Was würde er tun? War er ein Freund, ein Feind oder nichts dergleichen? Und was um alles in der Welt brachte ihn nach Japan zurück? “Ich hätte nicht gedacht, dass du einmal deine Deckung vernachlässigen würdest”, unterbrach er ihre Gedanken. Die Tür zum Safe House flog auf, knallte lautstark gegen die Wand und schon im nächsten Moment zielte die Mündung eines Dominators auf Kogamis Hinterkopf. “Hat sie auch nicht”, knurrte Ginoza. Kriminalkoeffizient 346. Objekt zur Vollstreckung. Vollstreckungsmodus ist Lethal Eliminator. “Wie habe ich diese Stimme doch vermisst”, verkündete Kogami mit einem schiefen Lächeln. “Meine”, fragte Ginoza. “Nein, die des Dominators.” “Ich hatte dir beim letzten Mal gesagt, dass wir dein Gesicht besser nie wieder sehen. Hast du mir nicht zugehört.” “Auch wenn dich das traurig macht, Gino, ich bin nicht deinetwegen hier. Und wenn du so sehr wünschst, dass ich verschwinde, dann sei nicht mehr so ein Feigling, sondern drück endlich den Abzug und sieh was passiert.” “Warten Sie, Ginoza-san”, rief Akane, die nicht sicher sagen konnte, ob Ginoza es nicht wirklich getan hätte. “Wir müssen ihn verhaften wie wir es das letzte Mal vorhatten. Er steht immerhin im Verdacht, ein Mitglied von Wraith zu sein.” Kogami zog dabei die Augenbrauen hoch. “Von Wraith? Du meinst diese Randalierer. Das letzte Mal hast du mich also für einen Terroristen gehalten und nun bloß noch für einen Vandalen. Ist das jetzt eine Verbesserung?” “Reden Sie sich nicht heraus, Kogami-san. Wraith verfügt eindeutig über strategische Kenntnisse, die in unserer Gesellschaft keinem gewöhnlichen Menschen zugänglich sind”, hielt sie ihm vor. Ihr ehemaliger Vollstrecker verschränkte die Arme. “Hast du schon erwogen, dass sich Wraith diese Kenntnisse schlicht angelesen haben könnte? Wenn diese Leute in den Kreisen verkehren, die man vermuten kann, dann haben sie leichten Zugriff zum Darknet und dort finden sie alles: alle Informationen und Kenntnisse, die sie brauchen. Aber ihr gebt wohl nur wenig darauf, wenn ich versichere, dass ich nichts mit denen zu tun habe.” “Verdammt richtig”, grollte Ginoza, “Wir nehmen ihn am besten mit und führen an ihm einen Memory Scoop durch, dann haben wir Gewissheit.” “Und wenn ich euch sage, dass ich erst seit zwei Wochen wieder im Land bin”, fragte Kogami, während er in seiner Tasche vergeblich nach einer Zigarette suchte, “Wraith ist, soweit ich gehört habe, bereits seit mindestens einem Monat aktiv.” “Sie könnten auch erst kürzlich zu ihnen gestoßen sein. Übrigens, hier.” Akane hielt ihm plötzlich etwas hin, das Kogami erst beim zweiten Blick als eine Spinel-Zigarette erkannte. “Woher-” “Fragen Sie nicht, nehmen Sie sie”, unterbrach ihn Akane, “Betrachten Sie sie als die letzte, die Sie für lange Zeit bekommen. Denn wenn wir mit dem Memory Scoop fertig sind, werden Sie ziemlich sicher in Isolationsverwahrung kommen.” “Das glaube ich weniger”, warf Ginoza plötzlich ein. “Ich auch”, stimmte Kogami unerwartet zu und Ginoza fuhr fort: “Bei einem Kriminalkoeffizienten wie seinem wird Sibyl fordern, dass er umgehend beseitigt wird, sobald wir alle nützlichen Informationen aus ihm heraus bekommen haben.” Kogami hatte sich seinem früheren Freund zugewandt und sah nicht wie Akane sich auf die Unterlippe biss. “Ich möchte euch etwas vorschlagen”, begann Kogami erneut und sprach sofort weiter, als er Ginozas Blick sah, “und lass mich erst aussprechen, bevor du Nein sagst, Gino. Ich bin hier, weil ich einen Mann suche, der viel gefährlicher und viel schädlicher für diese Gesellschaft ist als ich. Wenn ihr mir helft, ihn zu fassen, komme ich danach mit euch und ihr könnt tun, was immer Sibyl will, das ihr tut.” “Und wer soll dieser Mann sein”, fragte Akane. “Hör nicht auf ihn, Tsunemori. Das ist nur ein Bluff, um seine Haut zu retten.” Nein, dachte Akane, das passt genau zu Kogami-san. Das Wichtigste ist es, die Mission zu erfüllen, auch wenn er am Ende dabei umkommen sollte. Ginoza ignorierend, wollte Kogami gerade antworten, als ein Knarzen und Rauschen am Gürtel seiner grünen Cargohose die Aufmerksamkeit der drei auf sich lenkte. Eine Sekunde später ertönte eine krächzende Männerstimme am anderen Ende der Leitung. “Yoko kommen… Yoko kommen… Yoko-” Kogami riss das Sprechgerät von seinem Gürtel und hielt den Knopf für die Übertragung gedrückt. “Ich höre dich, Hue. Was gibt es?” Zwischen weiterem Knacken und Rauschen hörten sie den Mann wieder. “Ich weiß ja nicht wie viel Zeit ihr Ladies für euer Häkelkränzchen eingeplant hattet, aber das halbe Dutzend Militärdrohnen, das da gerade von Südwesten anrollt, macht den Eindruck, als wollte es eure Party platzen lassen. Und wenn ihr nicht als Cocktailwürstchen enden wollt, schlage ich vor, dass ihr nun ganz schnell eure Stulpen unter die Arme klemmt und rennt.” Akane zog die Stirn in Falten. Der Mann hatte wohl Japanisch gesprochen, jedoch mit starkem amerikanischem Akzent und einer so grotesken Wortwahl, dass sie noch immer nicht ganz verstand, was er gewollt hatte. “Wir müssen weg!” Kogami eilte zu einem der Schränke, riss die Tür auf und kramte eilig einige Dinge heraus, von denen Akane nicht erkannte, was es war. Aber sie kannte diesen Blick in seinen Augen. Die Ruhe, die er normalerweise ausstrahlte, war fort. Nun wirkte er wieder wie ein Jagdhund. “Wärst du wohl so gut, uns zu sagen, was hier vorgeht”, verlangte Ginoza und machte einen drohenden Schritt auf ihn zu. Kogami hielt inne. “Es scheint so” - Er machte eine Pause, holte tief Luft und fuhr sich mit der Hand durch sein wie üblich struppiges schwarzes Haar - “als hätte der Mann, den ich finden wollte, uns zuerst gefunden. Wir müssen hier weg, bevor er hier ist.” Und schon war er in Richtung Tür unterwegs. “Verdammt, Kogami! Das ergibt überhaupt keinen Sinn”, fluchte Ginoza, “Du hattest vorhin noch gesagt, du wolltest diesen Mann fassen.” Kogami wirbelte herum und Akane sah etwas in seinen Augen, das sie darin nur sehr selten gesehen hatte, wenn überhaupt jemals zuvor: Furcht. “Aber nicht ohne Plan, Gino. Nicht ohne ein halbes Dutzend Militärdrohnen auf unserer Seite und am besten noch alle Vollstrecker aus Einheit eins bis drei.” Er ließ mit einer Bewegung seiner Schulter den Rucksack von seinem Rücken rutschen und suchte darin nach etwas. “Hier, nimm das.” Er hielt Ginoza ein Fernglas hin. “Geh nach draußen und halt damit nach allem Ausschau, was verdächtig aussieht. Wenn du etwas entdeckst, schieß! Denk nicht nach, ziele einfach und schieß.” “Ich lasse mir nichts sagen von-” “Ginoza-san!” Er riss den Kopf herum und begegnete dem flehenden Blick seiner Vorgesetzten. “Würden Sie das tun? Bitte?” Ginoza wandte sich schwer seufzend von ihr ab und riss Kogami das Fernglas aus der Hand. “Halt damit nach allem Ausschau, was verdächtig wirkt, nicht nur nach den Drohnen”, forderte Kogami. Ginoza antwortete nicht, sondern stampfte nach draußen. Kogami warf sich den Rucksack über, hängte sich das Sturmgewehr, das kurz zuvor noch an der hinteren Wand gelehnt hatte, über die Schulter und eilte zusammen mit Akane hinaus. Sie hielt inne, als sie herauskam. Die Nachmittagssonne senkte sich bereits dem Abend entgegen und von hier oben war der Ausblick unvergesslich. Das Gras der Felder sah nun beinah golden aus und wurde immer wieder in Wellen von dem Wind bewegt wie Wasser von einem geworfenen Kiesel. Und weit in der Ferne wirkten die Türme der Stadt wie ein Wald aus glitzernden Stalagmiten unter Wolken, die brennenden Wattebäuschen glichen. “Gino, siehst du etwas?” Ginoza hielt das Fernrohr gen Süden. “Nein, die Drohnen sehe ich nicht und auch sonst ist da nichts- Warte.” Kogami, der schon fast erleichtert die Schultern sinken lassen wollte, verspannte sich wieder. “Da kommt eine kleine schwebende Reinigungsdrohne auf uns zu… und... auf ihr steht ein Mann.” Ginoza sagte das, als wolle er sich selbst davon überzeugen. Kogami schnappte ihm das Fernglas weg, stellte aber fest, dass er es bereits mit bloßen Augen sehen konnte. Eine schwebende Müllsammlerdrohne, auf der ein kleiner Asiate stand; einer mit grünem, goldverziertem Gewand, ein Katana im schwarzen Schaft wie einen Spazierstock neben sich und mit langem, im Wind wehendem schwarzem Kinnbart. Die blutrote Iris seiner Augen konnte er aus der Entfernung nicht sehen, aber er ahnte sie. “Wie weit ist es bis zum Auto?” Ginoza und Akane blickten einander an. “Etwa fünf Minuten den Weg dort runter”, antwortete Akane. Kogami fluchte etwas auf Chinesisch, das sie nicht verstand. “Das ist zu lang, er ist vor uns hier.” “Ja, aber wir sind zu dritt und er hat nur einen Stock”, gab Ginoza verständnislos zurück. “Das ist kein Stock. Und glaub mir, Gino, es würde nicht einmal reichen, wenn wir zu zehnt wären. Wenn er zu nah kommt, erschieß ihn mit dem Dominator.” Kogami drehte sich zu seiner ehemaligen Inspektorin um. “Du läufst los und holst den Wagen. Wenn Gino ihn nicht erwischt, versuche ich, ihn weg zu locken.” “Kommt nicht in Frage, Kogami-san”, widersprach Akane kopfschüttelnd, “Sie warten doch nur darauf, das Ginoza-san abgelenkt ist, um dann fliehen zu können.” Sie wusste, dass er nie so handeln würde, doch sie wollte sich nicht wegschicken lassen. “Ich habe Gino damals gegen Rutaganda nicht im Stich gelassen und ich werde es auch jetzt nicht”, konterte er gekränkt. “Gut”, antwortete sie, “und ich darf meinen Vollstrecker nicht unbeaufsichtigt lassen.” Seinerseits den Kopf schüttelnd, nahm Kogami das Funkgerät zur Hand. “Hue, komm endlich her und hilf uns! Er ist hier, verstehst du? Subadachan ist hier!” “Heul nicht, ich bin unterwegs”, krächzte es vom anderen Ende der Leitung. Subadachan sprang von der Reinigungsdrohne und beide Seiten standen einander gegenüber, zunächst noch im Abstand von etwa 30 Metern. Ginoza hoffte bis zuletzt, dass der Mann die Gefahr ahnen und umkehren würde. Doch der Asiate marschierte plötzlich auf sie zu, immer schneller werdend, bis er rannte. Akane hätte beinahe den Kopf geschüttelt wie jemand, der von den Fähigkeiten eines Dominators wusste, darauf zu rannte als sei er nicht in Gefahr. Ginoza zielte. Kriminalkoeffizient 4810. Objekt zur Vollstreckung. Vollstreckungsmodus ist Lethal Eliminator. Das muss doch ein Fehler sein, schoss es Ginoza durch den Kopf. “Gino schieß!” Das war Kogami. Der Asiate war nahe genug gekommen. Ginoza drückte ab. In dem Augenblick, da sein Finger den Abzug drückte, vollführte sein Gegner einen beeindruckenden Sprung mit einem aus der Bewegung genommenen Spin, so dass er - sich wie eine Schraube drehend - in der Luft lag. Der Schuss des Lethal Eliminator war unsichtbar wie ein Lufthauch. Einer, der erst in der Drastik des Tötens seine Kraft zeigte - nämlich, wenn die Haut des Getroffenen Blasen warf und sich aufblähte, wenn die Flüssigkeit in den Zellen verdampfte und den Körper erst unnatürlich anschwellen und dann platzen ließ wie einen Wasserballon aus Blutplasma und verkochten Eingeweiden. Während Akane bereits wusste, dass der eben abgegebene Schuss längst hätte wirken müssen, geschahen mehrere Dinge gleichzeitig. Ginoza schrie, von irgendetwas getroffen, auf und ging in die Knie, Kogami fluchte und stellte sich vor Akane. Ihr Gegner machte einen weiteren Sprung und trat mit dem rechten Fuß auf Ginozas rechte Schulter, stieß sich ab und rammte Ginoza im selben Augenblick den Schaft des Katana in den Nacken. Zum zweiten Mal in seinem Leben wusste Kogami, dass seine Waffe nicht rechtzeitig in Position wäre. Diesmal nur deshalb, weil er mit seinem Sturmgewehr auch Ginoza zu treffen riskiert hätte. Zum zweiten Mal parierte er das Katana seines Feindes mit dem Lauf seiner Waffe... und zum zweiten Male war er nicht schnell genug für eine Reaktion, als ihm Subadachan im Zuge des Angriffs das Magazin aus dem Gewehr riss und sich mit einem Tritt gegen seine Hand von ihm abstieß. Akane sah ihre Chance zum Schuss gekommen, als Kogamis Widersacher wieder am Boden landete. Doch Subadachan warf das dem Sturmgewehr entrissene Magazin mit beachtlicher Kraft und traf Akane am Handgelenk. Akane bekam den fallenden Dominator nicht mehr zu fassen und sprang ihm nach, verlor so aber die Konfrontation zwischen Kogami und seinem Gegner aus den Augen. Gerade hatte sie die Finger nach dem Griff ihrer Waffe ausgestreckt, als sie die Spiegelung ihrer Augen in der blanken Klinge eines Katana sah. “Liegen lassen”, befahl der Mann, der das Schwert hielt. Akane hörte Kogami stöhnen und sich wieder aufrichten. Sie selbst blieb in derselben Position - erstarrt wie eine letzte Bewohnerin von Pompeji in den Fluten des Lahar. “Hör mal, Söhnchen”, sprach Subadachan, “Ich bin im Grunde ein fairer Kämpfer. Die Kleine und der da drüben können gerne gehen. Ich bin nicht ihretwegen hier. Du bist der einzige, der diesen Ort nicht in einem Stück verlassen wird. Komm schon: Sei der Held, der du immer sein wolltest. Schick sie weg und stirb allein.” Sag nichts, befahl Akane in ihrem Kopf, bitte, antworten Sie ihm nicht! “Er hat Recht”, hörte sie Kogami sagen, “Du wurdest schon viel zu weit hinein gezogen, Inspektorin. Nimm Gino mit und verschwinde. Wenn wir uns gegenseitig umbringen, dann sind zwei deiner Probleme auf einen Schlag gelöst.” Akanes Kopf fuhr zu ihm herum und er sah sie so wie er sie damals in Angkor Wat gesehen hatte, als er glaubte, sterben zu müssen. Die Augen aggressiv entschlossen, mit einer Vorahnung von Tränen und die Zähne in einer MIschung aus Zorn und Trotz zusammen gebissen, einen energischen Widerspruch auf den Lippen. Doch sie sagte nichts. Langsam entfernte sie ihre Hand von ihrem Dominator und erhob sich. Im Vorbeigehen vernahm er noch einmal ihre Stimme. “Leben Sie wohl, Kogami-san”, war alles, was sie sagte. Kogami hätte sich fast nach ihr umgedreht, doch er traute Subadachans Fairness nicht so weit, um anzunehmen, dass der ihn nicht von hinten erschlüge, wenn er die Chance bekäme. “Also, Söhnchen”, fragte Subadachan, während er die Schulter lockerte und sein Schwert herum wirbelte, “Wollen wir da weitermachen, wo wir beim letzten Mal aufgehört haben?” Kogami wandte sich seinem Rucksack zu, den er beim Kampf abgestreift hatte und zog aus einer seitlichen Lasche einen glänzenden schwarzen Schaft. “Oh, du hast das Schwert tatsächlich aufgehoben. Hast du auch fleißig geübt?“ “Es wird meine Grabbeigabe für dich sein”, schwor Kogami. “Das haben schon vier Dutzend vor dir gesagt.” Schweiß tropfte Akane von den in ihr Gesicht hängenden Haarsträhnen, als sie Ginoza den Hang herunter schleppte. Subadachan hatte ihm während seines Sprungs einen Dolch in das linke Bein geworfen. Und immer war da dieser Widerstand in seiner Bewegung. Als wolle er sich mit aller Macht zum Umkehren bewegen. “Warte”, brachte er endlich hervor, “Wir können… wir dürfen… nicht einfach…” Sie zog ihn wieder auf die Füße und nutzte die Bewegung, um nah an sein Ohr zu kommen, damit Sibyl sie über den Dominator nicht hören konnte. “Vertrau mir”, flüsterte sie ihm zu. Kogami erkannte, dass alles Schwerttraining mit Juu-Hyan Park - einem Kameraden aus dem Lager der Shambala-Befreiungskämpfer - ihn nicht auf diesen Kampf hätte vorbereiten können. Vielleicht hätte er doch Parks fehlende linke Hand - die Folge eines Kampfes gegen eben jenen Subadachan - bedenken sollen. Denn anders als der klassische japanische Kendo-Kämpfer führte Subadachan sein Katana mit nur einer Hand und einer Mühelosigkeit, als spiele er mit einem im Wald aufgelesenen Zweig. Er hatte schon ebenso viele unmögliche Angriffe pariert wie er unmögliche Paraden seines Gegners gesehen hatte. Dann kam der Stein - ein einzelner Kiesel nur, auf den er beim Zurückweichen trat und glaubte, seine Balance zu verlieren. Nur für den Bruchteil einer Sekunde wandte er den Blick von seinem Gegner ab - und Subadachan sah seine Chance… Noch bevor er losschlug, sah er in der Spiegelung seiner Klinge den fernen Feuerstoß, als ein Projektil seinen Lauf verließ. Subadachan schaffte gerade noch den Satz zurück, als die Kugel dort die Luft zerschnitt, wo eben noch sein Gesicht gewesen war. Er hielt sich hinter einem der Gütercontainer versteckt, geradezu amüsiert über Kogamis offensichtliche Frustration, dass die Kugel ihn nicht getroffen hatte. “Hue Grant ist bei dir”, rief ihm Subadachan zu, “Diese 500er Magnum kenne ich doch. Da habe ich dir wohl zu viel zugetraut, als ich annahm, du könntest es allein über die Grenze geschafft haben, Söhnchen.“ “Hue hatte eben auch erhebliches Interesse an deinem Ableben. Ich wollte ihm dabei helfen.” “Da haben sich ja zwei gefunden. Aber, wenn er bei dir ist, wird er dir bereits gesagt haben, dass ich nicht allein bin. In fünf Minuten werden die Militärdrohnen hier sein. Du bist ganz allein und kommst so schnell nicht von hier weg. Ebenso gut könntest du dich in mein Schwert hier stürzen. Wenn du schon nicht ehrenhaft kämpfen kannst, könntest du zumindest ehrenhaft sterben.” Subadachans Grinsen verbreiterte sich, als er Kogami angestrengt seine Optionen durchgehen sah. Allerdings wurde dieses Grinsen von seinem Gesicht gewischt, als er das immer näher kommende Brüllen eines bis zum Äußersten beschleunigten Autos hören konnte. “Ich hatte doch irgendwie geahnt, dass das passieren würde”, fluchte er. Staubfontänen hinter sich ausspeiend, raste Ginoza am Steuer von Akanes Wagen auf den Gegner zu. Kogami war vorsichtshalber aus dem Weg verschwunden, doch der Asiate reagierte nicht, wie Ginoza gedacht hatte. Statt dem Wagen auszuweichen, rannte er direkt darauf zu, um im richtigen Moment zu springen, mit dem Fuß auf der Motorhaube zu landen und einen Salto über den Wagen hinweg zu machen. Jedoch fiel Subadachan während dieses Sprungs ein fatales Detail auf. Moment mal. Die Kleine hat gar nicht mit im Wagen gesessen. Wo steckt sie?! Erst als er wieder am Boden landete, wurde ihm das ganze Ausmaß seines Fehlers bewusst, als direkt neben ihm eine blau leuchtende Stimme erklang. Kriminalkoeffizient 4790. Objekt zur Vollstreckung. Vollstreckungsmodus ist Lethal Eliminator. Er wandte den Kopf nach links und sah in den Lauf von Ginozas Dominator in den Händen von Akane, die hinter dem Container gelauert hatte. “Game over“, sagte sie und drückte ab. “Verdammte Schei-” Der letzte Fluch Subadachans wurde durch den Einschlag des Eliminators erstickt und von einer vertrauten Explosion. Akane, die vorsorglich ihre Augen geschlossen hatte, war jedoch überrascht, als sie nicht das Gefühl von heißem, geradezu kochendem Blut fühlen konnte, das auf sie spritzte. Sie öffnete die Augen und von Subadachan waren nur die Schienbeine übrig. Kein Tropfen Blut weit und breit, nur der schwefelige Geruch von Hydraulikflüssigkeit. Auch die Beine des vermeintlichen Schwerverbrechers bestanden im Inneren nur aus Kabeln, Leitungen und mechanischen Gelenken. Sie wollte sich gerade den Kopf darüber zerbrechen, als ihre Hand gepackt und sie fortgerissen wurde. Im Augenwinkel erkannte sie den Grund für all die Eile. Im Licht der Abendsonne rollten aus der Richtung, aus der zuvor Subadachan gekommen war, sechs massive Militärdrohnen vor. Die Drohne an der Spitze der Formation hatte Akane noch nie gesehen: Ein massiger, torsoartiger Hauptbau auf zwei gepanzerten Ketten, mit vier Geschützarmen und drei roten Kameras in der Kopfpartie. Sie war doppelt so groß wie die anderen Drohnen, mitternachtschwarz und schnell. Akane fand sich gleich darauf auf dem Rücksitz ihres eigenen Wagens wieder, während Ginoza bereits wie ein Besessener das Gaspedal trat. “Fahr schneller, Gino”, schrie Kogami über das Brüllen des Motors hinweg, in dem er - den Oberkörper gedreht - nach hinten starrte. “Sag mir nicht wie ich fahren soll!” Gefahr! Geschwindigkeit reduzieren! Ginoza warf einen Blick auf die Anzeige des Navigators und fluchte. “Was ist los”, fragte Kogami, wagte aber nicht, den Kopf von der Drohne abzuwenden. “Eine Kurve in zehn Kilometern, also in etwa fünf Minuten. Bei diesem Tempo kriegen wir die nie. Was sollen wir machen?!” “Wir können die Drohne bitten, langsamer zu werden.” Ginoza fletschte die Zähne. “Ich schwöre dir, Kogami, wenn wir das hier überleben, bringe ich dich um.” “Ginoza-san, konzentrieren Sie sich nur darauf, zu fahren. Um die Drohne kümmere ich mich”, rief Akane, ehe sie mit Kogamis Sturmgewehr die Rückscheibe ihres Wagens einschlug und den verbliebenen Dominator zur Hand nahm. Sie richtete ihn auf die schwarze Drohne, bereits mit hämmerndem Herzen, weil sie das Ergebnis fürchtete. Fehler! Ungültiges Objekt. Auslöser bleibt gesperrt. Genau wie ich befürchtet hatte, dachte Akane, Das ist eine von denen. Es gibt sie also wirklich. Kogami war derweil in eigenen Gedanken. Sie ist jetzt vielleicht noch zwanzig Meter hinter uns und sie besitzt zwei Miniguns und zwei Panzerbrecher. Wieso benutzt sie die nicht? Als wollte der Metallkoloss seine Frage beantworten, verlagerte er den Oberkörper nach vorn und entblößte eine eigentümliche Konstruktion auf seinem Rücken. Und plötzlich war es Kogami, der etwas befürchtete. “Was ist das auf ihrem Rücken, Kogami-san?“ Er riss das Funkgerät von seinem Gürtel. “Hue! Hue, hörst du mich?!” “Die Tonqualität entspricht einem 80er Jahre Grammophon, aber: ja.“ “Siehst du die schwarze Drohne vorn an der Formation?“ “Die böse Boss-Drohne? Ja. Beeindruckend, nicht wahr? Ich wollte so einen Negator immer schon mal in Aktion sehen“, gestand er so freimütig als sitze er gerade gemütlich in einer Kneipe. “Bist du jetzt zufrieden?! Was ist das auf ihrem Rücken? Und sag mir bitte, dass es nicht ist, was ich befürchte.“ “Was befürchtest du denn, Yoko? Ich sehe zwei stromführende Stahlschienen und ein Wolfram-Wuchtgeschoss in der Mitte.” “Scheiße!” “Kogami-san!” “Es ist eine Railgun, Akane”, antwortete er und hielt ihr das Funkgerät hin, damit sie Hue Grant hören konnte. “Eine elektromagnetische Schienenkanone. Sie beschleunigt das Projektil auf 7000 Meter die Sekunde. Zum Vergleich: Der Destroy Decomposer eines Dominators schafft gerade einmal 100 in der Sekunde.” “Wann hat sie die Waffe vollständig aufgeladen”, fragte Kogami. Hue machte eine Pause. “Lass mich überlegen. Diese Wunderwaffe wird keine Kondensatoren zum Aufladen benutzen, die wären zu schwer. Ich vermute, sie benutzt einen Spulenbeschleuniger, also etwa dreieinhalb Minuten bis zum ersten Schuss. Und bei der Feuerkraft braucht sie nur einen.” “Was können-” Kogami wurde unterbrochen, als Akane ihm das Funkgerät weg schnappte. “Kennen Sie die Baupläne dieser Maschine?“ “Ich habe in Senju Midaris Dokumenten mal einen Blick darauf geworfen, wieso?“ “Wo befindet sich der Chip, der die Drohne vor dem Dominator schützt?” “Ich glaube zwischen den drei Kameras, in der Mitte der Kopfpartie.“ Akane hatte den Satz nicht einmal zur Hälfte angehört, schon legte sie das Sturmgewehr an und schoss mit beachtlicher Präzision. Die Kugeln jedoch prallten Funken stiebend an der Außenpanzerung der Drohne ab. “Vergiss es”, meldete Hue durch das Knarzen des Funkgerätes, “da könntest du gleich Kieselsteine auf einen Güterzug werfen.” “Hue! Das ist nicht hilfreich”, brüllte Kogami. “Was ist mit einer EMP-Granate?” Akanes Frage brachte selbst Ginoza dazu, den Kopf nach ihr umzudrehen. “Die Drohne selbst hat eine integrierte Spannungssicherung, die sie insgesamt vor elektromagnetischen Impulsen schützt”, erklärte Hue, “Aber: Eine Railgun braucht unvorstellbar viel Energie. Zum Aufladen leitet die Drohne daher 80 % ihrer Kapazität in die Primärwaffe und nutzt den Rest für die Manövrierung. Das heißt, dass eine EMP-Granate zwar die Drohne nicht lahmlegen kann, aber den Chip. Vorausgesetzt, du hättest eine EMP-Granate im Handschuhfach.” Alle Zuhörer waren von einer Hypothese ausgegangen, bis Akane sich Kogami zuwandte. “Kogami-san, öffnen Sie das Handschuhfach.” Das meint sie doch nicht- Seine Gedanken verstummten, als er das Handschuhfach öffnete und tatsächlich den grünen Metallzylinder einer EMP-Granate darin sah. “Woher-” “Fragen Sie nicht, geben Sie her!” Sie hatte die Granate zu fassen bekommen, brach den Stift ab, der den Zünder schützte, drückte ihn und beugte ihren Oberkörper zur Seite, um mit mehr Kraft aus dem niedrigen Fenster werfen zu können. Die Zündung der Granate war eine geräuschlose Verdumpfung, als würde ein Unterdruck die Ohren taub werden lassen. Durch den Staub, den der rasende Wagen aufwirbelte, war zunächst nichts zu erkennen. Aus dem Staub brach dann wieder die Drohne hervor. Sie schien unbeschädigt, doch sowohl Akane als auch Kogami sahen, dass die drei roten Kameras an der Kopfpartie ausgefallen waren. “Sie fährt also blind”, folgerte Kogami. “Macht euch keine Hoffnungen”, relativierte Hue durch das Funkgerät, “Sie hat wahrscheinlich schon automatisch auf Bewegungssensoren umgestellt. Jetzt schieß oder willst du ihr den Vortritt lassen?” Akane riss darauf den Dominator, die Zeit über in ihrem Schoß geruht hatte hoch. Noch nie war ihr das Adrenalin so durch den Körper gerauscht wie jetzt. Bewertung des Zielobjektes wurde angepasst. Vollstreckungsmodus ist Destroy Decomposer. Das Ziel wird vollständig zerstört. Seien Sie vorsichtig. “Ja!” Akane drückte ab. Was keiner der drei nun noch für möglich gehalten hätte, geschah. In dem Moment, da Akane den Abzug drückte, senkte sich die Drohne fast bis auf den Boden und vollführte, als sich der Schuss vom Dominator löste, einen beachtlichen Sprung wie eine Heuschrecke - aus der Bewegung zehn Meter in die Höhe - und wich dem Schuss aus, der stattdessen die Drohnen hinter ihr traf. “Schieß nochmal!” In dem Dröhnen hatte sie Kogamis Stimme kaum gehört und schoss zum zweiten Mal, auf den Punkt zielend, an dem die Drohne aufkommen würde. Jetzt galt es - eine dritte Chance würde sie nicht bekommen. Die Landung der Drohne ließ selbst den Wagen einen kleinen Sprung machen. Das Letzte, was Akane sah, als sich der Schuss löste und bevor sie die Augen zu kniff, war wie die Signalleuchten an der Railgun der Negator-Drohne aufflammten. Wie durch Wasser hindurch hörte sie Kogami brüllen. “Gino, dreh den Wagen!” Dann traf sie etwas Schweres von hinten, das sie in den Sitz der Rückbank drückte und eine Detonation, die jedes andere Geräusch verschlang, erfasste den Wagen. Habe ich zu spät geschossen? Werden wir nun sterben? Nein, das konnte nicht sein. In diesem Fall wären sie bereits tot. Stattdessen war alles ein blindes, kakophonisches Chaos. Scheiben zerplatzten, Glassplitter pfiffen wie Gewehrkugeln umher, Staubfontänen schnürten die Kehle ab und immer das Gefühl, sich um sich selbst zu drehen, so als stecke sie in einer Waschmaschinentrommel. Jede Sekunde erwartete sie sengende, gleißende Schmerzen, doch keine kamen. Sie prallte nicht wie eine umher geworfene Puppe gegen Wände. Etwas hielt sie sicher in Position. Dann verlangsamte sich der Schleudergang und erst da wurde Akane klar, dass es der Wagen gewesen sein musste, der sich mehrmals überschlagen hatte und dass nicht etwas sie in Position hielt, sondern jemand. Eine große Hand drückte ihren Hinterkopf sicher gegen eine nach Zigaretten und Leder riechende Schulter. Sie hörte heftiges Atmen und wusste nicht, ob es von ihr oder jemand anderem kam. Etwas Warmes tropfte auf ihre Stirn, als sich die Umklammerung um sie lockerte. Als Akane die Augen öffnete, blickte Kogami auf sie herab. Er hatte - wie damals auf Shambala - ihren Körper mit seinem geschützt. Nun aber tropfte Blut von seinen Haarspitzen auf sie. “Bist du verletzt”, presste er hervor. Akane blinzelte. “Sie fragen mich, ob ich verletzt bin? Was ist mit Ihnen?“ Sie hatte reflexartig die Hand gehoben, um die Verletzung zu inspizieren, doch er hielt ihre Hand mit seiner fest. “Lass. Ist nur ein Kratzer.” Sie war plötzlich daran erinnert, dass noch jemand mit im Wagen gesessen hatte. Akane fuhr hoch und wäre beinah mit ihrem Kopf gegen Kogamis gestoßen. “Ginoza-san! Geht es Ihnen gut?” Sie sah eine Hand, die eben das Lenkrad griff, um sich aus dem Fußraum des Wagens herauf zu ziehen und hörte ihn stöhnen. “Nein”, antwortete er, “Es geht mir nicht gut. Haben wir gewonnen?” Akane blickte durch die verbeulte linke Seitentür des Wagens und sah, dass keine der kleineren Drohnen sich mehr rührte. Manche waren durch den Impuls der Granate zerstört wurden, andere hatte der erste Schuss des Decomposers zerlegt. Von der Negator-Drohne war nur noch ein qualmender Unterbau übrig. “Es scheint so. Aber was hat dann das Auto getroffen”, fragte Akane mehr sich selbst als sie die beeindruckenden Krater betrachtete, die der Wagen bei seinen Überschlägen in den Boden gehauen hatte. “Ich vermute, das war die Druckwelle. Weil die Drohne in dem Moment geschossen hat, nachdem du gerade abgedrückt hattest. Der Dominator hat das Projektil zerstört, aber nicht den Druck.” “Das war dann um Haaresbreite”, schnaubte Ginoza. Nachdem sie aus dem Wagen gestiegen waren, Staub aus ihrer Kleidung geklopft und Glassplitter aus ihrer Haut gezupft hatten, erwiesen sich mehrere Versuche, den Wagen wieder zu starten, als vergeblich. Ginoza verband notdürftig sein Bein. Als sie gerade besprechen wollten, wie es nun weiterging, wurden sie von einer vierten Stimme aufgeschreckt. “Oha! Der Wagen sieht aus, als hätte er einen Kuss mit einer Abrissbirne hinter sich - und ihr übrigens auch.” “Wie habe ich dich vermisst, Hue”, gab Kogami sarkastisch zurück, ohne sich umzudrehen. Kogamis ominöser Begleiter trat nun aus den Schatten hinter einem der Gütercontainer und Akane - der noch immer der Schrecken in den Knochen saß - richtete instinktiv ihren Dominator auf ihn. Kriminalkoeffizient 14. Kein Objekt zur Vollstreckung. Auslöser bleibt gesperrt. “Whoa”, beschwerte sich Hue und hob beide Hände, “Sachte! Ein einfaches ‘Danke’ hätte auch gereicht.“ “Wer sind Sie!” Akane formulierte es mehr als Forderung denn als Frage. Nun, da sie den Dominator herunter nahm, konnte sie den Unbekannten besser erkennen. Er war deutlich kleiner als Kogami und Ginoza, eher nicht athletisch, trug einen Trenchcoat, der genau so faltig war wie sein Gesicht und genau so grau wie seine wirren Haare. Auffälligste Merkmale waren aber das in sein Gesicht gemeißelte Grinsen und die blau verspiegelte Sonnenbrille. “Hi, ich bin Hue. Hue Grant. Das da ist Yoko”, polterte er mit seinem amerikanischen Akzent und deutete ungeniert mit dem Zeigefinger auf Kogami. “Wieso gibt er dir einen japanischen Mädchennamen”, fragte Ginoza. Kogami verschränkte die Arme und wandte den Kopf zur Seite wie ein Kind, das sich sträubt, einen Fehler zuzugeben. “Er hat sich angewöhnt, mich bei jedem Funkspruch mit ‘Yo, Kogami’ anzusprechen. Da ihm aber mein Nachname zu lang war, hat er es in ‘Yo, Ko’ abgekürzt und daraus ist Yoko geworden.” “Ich verstehe. Yoko also”, bestätigte Ginoza, mit einem Zug um die Mundwinkel, den Kogami nur als rachsüchtig beschreiben konnte. “Ich wusste es”, stöhnte er, “Das werde ich nie mehr los werden. Danke, Hue.” Hue Grant machte eine zu sich winkende Handbewegung, als wolle er Kogami herausfordern. “Komm schon. Komm schon, Yoko. Sag es ihnen. Sag ihnen, dass alles meine Schuld ist: Dass wir auf einem alten Müllfrachter über die Grenze schippern mussten und deshalb eine Woche lang gestunken haben wie vier Wochen alte Lethal-Eliminator-Suppe. Dass ich - so wie wir über die Grenze waren - angefangen habe - wie hattest du dich noch gleich ausgedrückt? Ach ja - zu quatschen wie eine Thai-Nutte. Und jetzt, dass dein Kollege dich für immer mit dem japanischen Mädchennamen aufziehen wird. Was, bitte, ist denn ausnahmsweise nicht meine Schuld?“ “Kogami-san!” Akanes energischer Tonfall lenkte alle Aufmerksamkeit auf sich. “Ich finde, Sie schulden uns eine Erklärung”, forderte sie, “Wer war der Mann, dem wir heute begegnet sind?“ “Verrate du mir, was eine EMP-Granate in deinem Handschuhfach macht.” Akane zuckte die Schultern. So viel Information konnte nicht schaden. “Sie erinnern sich noch an den Aufstand, den Makishima damals ausgelöst hatte. Jeder von uns bekam zwei von diesen EMP-Granaten. Ich hatte nach dem Einsatz zu Protokoll gegeben, eine davon verwendet zu haben. Das… war aber nicht die Wahrheit.” “Stimmt. Jetzt wo du es sagst. Ich habe dich damals keine Granate einsetzen sehen”, pflichtete Kogami mit einem Kopfnicken bei. “Ich dachte mir: Man weiß nie, wofür sie vielleicht einmal gut ist”, rechtfertigte sich Akane. Ginoza kratzte sich am Hinterkopf. “Wer hätte gedacht, dass ein Regelverstoß von dir uns allen mal das Leben retten würde.” “Zurück zu meiner Frage, Kogami-san.” “In Ordnung: Der Mann, den wir heute getroffen haben, nennt sich Subadachan. Es heißt, dass er allein für 80 % aller Waffen-, Drogen-, Alkohol- und Tabakgeschäfte auf dem asiatischen Kontinent verantwortlich ist. Lasst euch von dem, was ihr gesehen habt, nicht täuschen. Er verwendet Verkleidungen, Hologramme und - wie wir heute gesehen haben - sogar Cyborgs, um seine Identität zu verschleiern. Seine Macht besteht darin, dass niemand weiß wie er wirklich heißt und niemand weiß wie er wirklich aussieht.” Akane griff sich ans Kinn. “Cyborg, sagen Sie? Sie meinen, das, was wir heute gesehen haben, ist kein cyborgisierter Mensch gewesen?“ “Nein, ganz sicher nicht. Das war eine reine Maschine mit einem positronischen Gehirn”, bestätigte Kogami. “Wie soll denn das möglich sein? Um sich so zu verhalten und zu bewegen wie ein Mensch benötigt ein Cyborg das zentrale Nervensystem und die Persönlichkeit eines Menschen”, zweifelte Ginoza. “Subadachan wird einen Soul Scoop auf den Cyborg aufgespielt haben”, erwähnte Hue und sah gleich die gerunzelte Stirn von Akane und Ginoza. “Ihr wisst, was ein Memory Scoop ist”, stellte er fest, “Ein Soul Scoop ist so ziemlich das Gleiche. Nur, dass hier nicht Erinnerungsfetzen eines Menschen visualisiert werden, sondern seine gesamten Erinnerungen, von der ersten bewussten Erinnerung bis zum aktuellen Stand.“ Ginozas Stirn zog sich dabei in noch tiefere Falten. “Wie lange soll denn so etwas dauern?“ “In etwa drei Sitzungen täglich einen Monat oder länger, abhängig von Alter und Erfahrungsschatz des Menschen. Das ist aber noch nicht alles. Die visualisierten Erinnerungen werden anschließend in Datensätze umgewandelt. Daten, die mühelos transferiert, heruntergeladen und kopiert werden können. Man kann sie auch auf solche Maschinen aufspielen, die wir gesehen haben.” “Ist das denn legal”, fragte Akane und ließ einen Augenblick ihre Naivität aus der Zeit durchscheinen, als sie noch ein Frischling gewesen war. “Legal”, spottete Hue, “Scheiße, nein. Illegaler geht es kaum. Weswegen ja auch Subadachan diese Methode nutzt.“ “Aber Akane hat seinen Cyborg zerstört”, bekräftigte Kogami, “Damit dürfte der Spuk ein Ende haben.“ “Wenn es nur den einen Cyborg gäbe”, widersprach Hue und erstmals wich das Grinsen von seinem Gesicht. “Du meinst, es gibt noch mehr wie diesen”, fragte Ginoza. “Nein, ich meine das nicht nur. Bis vor einer halben Stunde war es nur eine Vermutung, aber jetzt weiß ich, dass meine schlimmsten Befürchtungen sich bewahrheitet haben. Seht mich nicht so entgeistert an, ihr habt es doch selbst bemerkt. Habt ihr seinen Kriminalkoeffizienten nicht gesehen? Ihr hattet schon recht mit eurer Skepsis: Kein Mensch hat einen so absurd hohen Koeffizienten, jedenfalls kein einzelner.” “Wenn du das freundlicherweise erklären würdest”, drängte Kogami. “Hetz mich nicht! Also, wenn ein Mensch seine Persönlichkeit per Soul Scoop auf ein anderes Objekt überträgt, dann kopiert er damit auch seinen eigenen Psycho-Pass. Mit anderen Worten: Sibyl kann dann nicht mehr zwischen Original und Kopie unterscheiden, weil die Kopie dieselben Verhaltens-, Denk- und Gefühlsmuster hat wie das Original. Kopiert dieser Mensch aber seine Persönlichkeit auf gleich zwei androide Objekte, erkennt Sibyl die Diskrepanz. Das System versucht also, den Fehler zu beheben, nur mit der falschen Herangehensweise. Sibyl sucht nach einem Fehler in seinem eigenen System, der den doppelten Psycho-Pass erzeugt und erkennt nicht, dass der Fehler von außerhalb kommt. Die Psycho-Pässe der zwei Kopien werden also durch Sibyl als einer erfasst. Dadurch aber verdoppelt sich auch der Kriminalkoeffizient der Kopien. Subadachans Kriminalkoeffizient ist also sein ursprünglicher Koeffizient, multipliziert mit den Soul Scoop-Kopien, die er besitzt.” “Wie viele Cyborgs, glaubst du, besitzt er?“ “Warst schlecht in Mathe, was Yoko? Ich fürchte, es können gut und gerne zehn Cyborgs sein. Das heißt also, dass sich hier momentan noch neun Cyborgs und das Original herumtreiben.” Akane ertappte sich dabei wie sie wieder an ihrem Daumennagel knabberte. “Sehen alle Cyborgs so aus wie der, den wir getroffen haben oder war das nur eine holografische Software und sie können aussehen wie auch immer sie wollen?“ “Du stellst clevere Fragen, Kleine. Ich denke, Letzteres passt eher zu Subadachan”, erwiderte Hue. “Wie geht es jetzt weiter? Wir haben gerade eben einen Angriff dieses Irren und die Drohnen von Wraith überstanden.“ “Ginoza-san, wir können noch nicht sicher sagen, dass die Drohnen-” “Tsunemori, komm schon! Der Anführer von Wraith hatte einen dieser Chips benutzt, um den Dominator zu blockieren und Wraith hat Drohnen-Bauteile gestohlen. Wie viele Beweise brauchst du noch, dass sie dahinter stecken? Sie haben dich mit dieser Flasche hierher gelockt und dann die Drohnen auf uns los gelassen.“ Wieso hat die Drohne uns dann nicht mit Miniguns und Panzerbrechern beseitigt, sondern hat ihre Primärwaffe eingesetzt? Das ist wie mit Kanonen auf Spatzen schießen, dachte Akane und wiederholte damit unbewusst Kogamis frühere Gedanken. Sie konnte diese Bedenken aber nicht laut aussprechen. Das, was sie herausgefunden hatte, durften die anderen nicht erfahren. “Ich schlage vor, dass Hue und ich weitere Informationen zum Verbleib von Subadachan und seinen übrigen Kopien sammeln und euch dann kontaktieren.“ “Damit du deiner Verhaftung entkommst, was”, fragte Ginoza, unverhohlen drohend. “Wir wissen doch jetzt, dass Kogami-san kein Mitglied von Wraith sein kann”, entgegnete Akane ihrem Vollstrecker, “Das war doch ihre eigene Schlussfolgerung, Ginoza-san. Wenn die Drohnen wirklich von Wraith geschickt wurden, kann er nicht zu ihnen gehören. Sie würden doch keine Drohnen auf uns hetzen, wenn die Gefahr bestünde, dabei ihren eigenen Mann zu töten. Aber Ginoza-san hat recht: Ich brauche etwas mehr von Ihnen als die bloße Zusage, dass Sie uns kontaktieren werden, Kogami-san.“ “So leicht kommt man nicht aus diesem Land heraus, wenn man einmal drin ist. Außerdem ist Hue bei mir.” Akane verschränkte die Arme. “Ihm traue ich noch weniger als Ihnen, Kogami-san.“ Hue zog eine Grimasse. “Shroom“, murmelte er. “Tsunemori, ich gebe dir mein Wort, dass ich nicht einfach versuchen werde, das Land zu verlassen.“ “Du kannst kein Wort geben, dem ich trauen würde”, zischte Ginoza. “Verzeihung, ich aber: Und ich gebe Ihnen mein Wort, Ginoza-san, dass, wenn sich mein Vertrauen in Kogami als falsch erweist, ich die alleinige Verantwortung dafür tragen werde. Ich erwarte eine erste Rückmeldung von Ihnen in genau einer Woche, Kogami-san. Bleibt diese Rückmeldung aus, werde ich Jagd auf Sie machen so wie Sie einst auf Makishima.” Kogami konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. “Das klingt fair... Hue, kommst du?” Akane sah, wie Hue - bevor er sich zum Gehen abwandte - einen Schluck aus einem silbernen Flachmann nahm. “Dich werden wir auch im Auge behalten”, warf Ginoza Hue Grant entgegen. Der drehte sich um und deutete, wieder in westlicher Unhöflichkeit, mit dem Zeigefinger auf Ginoza. “Ach ja? Nur damit du’s weißt, ich habe Bullen noch nie vertraut!” “Hue, du bist selbst ein Bulle”, erinnerte ihn Kogami aus dem Hintergrund. “Na eben drum”, gab der zurück. “Eines würde mich aber noch interessieren”, sprach Kogami, ohne sich umzudrehen, “Wieso hattest du meine Zigarettenmarke dabei?“ Akane spürte wie ihre Ohren heiß wurden. Sie war seit Jahren nicht mehr errötet und deshalb froh, dass Kogami sich nicht umdrehte. “Der Rauch hat... mir im Kamui-Fall geholfen, mich zu konzentrieren und zu beruhigen. Weil Sie immer ein so guter Ermittler waren, glaube ich. Ich habe erst nach Shambala angefangen, sie wirklich zu rauchen.” “Hilft noch besser, sich zu konzentrieren, was?” “Ja.” Sie rieb sich verlegen den Nacken. Kogami seufzte. “Von allen Angewohnheiten, die du von mir hättest übernehmen können, ist das die Schlechteste. Gib sie lieber wieder auf…” Dann ging er und sagte leiser, in dem Glauben, Akane könne ihn nicht mehr hören. “...und mich auch.“ “Das ist der sinnvollste Rat, den Kogami dir je hätte geben können”, erwähnte Ginoza fast beiläufig. “Sagt der Mann, der nach dem Tod seines Vaters dessen Whisky trinkt.“ Erst einige Sekunden später, als Schweigen sich ausbreitete, wurde Akane bewusst, was sie da gesagt hatte. “Ginoza-san, es tut-” “Lass nur”, er wiegelte mit seiner prothetischen Hand ab, “Du hast wieder einmal recht. Ich bin ein Heuchler. Nicht nur, dass wir alle unsere Bürden immer selbst tragen, wir kommen auch beide nicht von der Vergangenheit los.” Um die düstere Stimmung zu heben, fragte er daraufhin. “Wie kommen wir jetzt von hier weg?“ “Ginoza-san, sobald Sie das wissen, werden Sie es bereuen, mich gefragt zu haben. Hätte ich bloß nicht gefragt, dachte Ginoza, als er auf der Rückbank eines Wagens des Ministeriums saß und die fühlbare Gewitterstimmung zwischen Akane (auf dem Beifahrersitz) und Mika Shimotsuki (am Steuer) ertragen musste. Er konnte Mika lediglich zugute halten, dass sie sich nicht beschwert hatte, wie eine Chauffeurin den ganzen langen Weg fahren zu müssen - jedenfalls noch nicht. “Das ist eine verbindliche Frage, Inspektorin Tsunemori: Safe House 31-00-S2, was hatten Sie da zu suchen?” “Das ist nicht-” “Doch, es ist wichtig”, fuhr Mika Akane über den Mund, “Sie wollen mir nicht erzählen, dass Sie zu Ihrem Privatvergnügen dort gewesen waren. Sie hatten einen Vollstrecker und einen Dominator dabei. Außerdem wurden Sie offenbar von Drohnen angegriffen und der Wagen wurde zerstört. Es betrifft die Ermittlungen, also geht es uns alle an. Haben Sie nicht einmal selbst gesagt, dass wir nur dann effektiv arbeiten, wenn wir uns aufeinander verlassen können? Wie ernst haben Sie das bitte gemeint?“ Akane blinzelte. Sie war überrascht, dass sie diesmal die Standpauke von Mika bekam - und das auch zu Recht. Wäre die ganze Einheit 1 dort aufgetaucht, hätte Subadachan sich vielleicht nicht blicken lassen. Kogami-san aber auch nicht, widersprach sie sich selbst. “Es könnte sein, dass ich vergesse, einen umfassenden Bericht des Vorfalls an die anderen Einheiten weiterzugeben, wenn Sie mir erzählen, was genau passiert ist.“ Akane seufzte. Was sollte es schaden. “Einverstanden.” Donnerstag, 10. November 2118 MWPSB - Direktorat Ein System konnte immer nur dann als vollkommen gelten, wenn es Fehler und Unwägbarkeiten einkalkulierte, bevor diese geschahen, so Sibyls eigene Schlussfolgerung. Es war kennzeichnend für die Verbindung zwischen beiden wie beharrlich Akane Tsunemori das System - zuweilen unbewusst - an diese Folgerung erinnerte. Als sie daher - wie immer unangemeldet - aus dem Fahrstuhl in das Büro von Direktorin Kasei trat, war es ihr nicht mehr anzumerken wie sehr sie dieser Begegnung entgegen gefiebert hatte - um endlich etwas Entscheidendes aussprechen zu können. “Akane Tsunemori. Wir haben dich nicht herzitiert. Etwas mehr Zurückhaltung in dieser Sache wäre wünschenswert, damit die übrigen Mitglieder von Einheit 1 keinen Verdacht schöpfen.” “Ich bin nur hier, um euch etwas zu zeigen”, erwiderte Akane und marschierte ungehemmt nach vorn, um etwas auf dem Schreibtisch der Direktorin abzustellen, was man als die Flasche mit der Puppe erkannte, die von Wraith geschickt worden war. Akane beobachtete mit unverhohlener Faszination wie die Direktorin die Hände vom Tisch nahm und ein unmerkliches Stück davon weg rückte: Wie ein Dämon, der vor einem Kreuz zurückwich. “Ihr wisst, was das ist”, stellte Akane fest, “Nicht nur, was es ist, sondern was es bedeutet. Falls nicht, erzähle ich es euch. Ich erzähle euch eine Geschichte, von der ich kürzlich erfahren habe. Ovid berichtet in seinen Metamorphosen von einer antiken Prophetin, der Sibylle von Cumae. Diese wünschte sich einst vom Gott Apollon, sie möge so viele Lebensjahre erhalten wie sie Sandkörner in ihre Hände hüllen konnte. Apollon gewährte ihr den Wunsch, wohl wissend, dass sie vergessen hatte, um eben so lang währende Jugend zu bitten. Er bot ihr an, diesen Wunsch ebenso zu erfüllen - unter der Bedingung, dass sie ihm zu Willen sein sollte. Doch die Sibylle verweigerte sich Apollon. Also war sie verdammt. In den Jahrhunderten, die sie lebte, wurde sie immer älter, verwitterte und schrumpfte - so sehr, dass man sie irgendwann in eine Flasche stecken und diese an einem Baum aufhängen konnte. Und wenn die Kinder kamen und sie fragten: ‘Sibylle, was willst du?‘, antwortete sie: ‘Sterben will ich.’ Erkennt ihr euch darin wieder? Wie kommt es, dass ihr all diese Anstrengungen auf euch nehmt, ein Briefing für alle Einheiten geben lasst, um Wraith zu unser aller Top-Priorität zu machen und das für eine Gruppe von Leuten, die Graffitis an Wände sprühen und ansonsten hier und da einen harmlosen Area-Stress-Level erzeugen? Ihr wisst, dass Wraith etwas über euch weiß und deshalb fürchtet ihr ihn. Er hat euer Geheimnis entdeckt - nicht nur das Geheimnis, das auch ich kenne, sondern eines, von dem ich bisher nur Vermutungen hatte. Nämlich, dass ihr der Sibylle in der Legende gar nicht unähnlich seid, denn auch ihr habt vergessen, euch die ewige Jugend zu wünschen.“ “Akane Tsunemori” - die Direktorin hob den Blick von der Flasche - “wir kommen nicht umhin, eine gewisse Bewunderung deinerseits für die Schlussfolgerungen von Wraith zu erkennen.” “Nein. Nicht Bewunderung. Aber beeindruckt bin ich. Beeindruckt, dass sie an etwas gedacht haben, das aus eurer Frühzeit stammt, um damit den unsterblichen Propheten zum verfluchten Propheten zu machen. Die erste Vermutung in diese Richtung hatte ich bereits, kurz nachdem ihr mir euer wahres Gesicht gezeigt hattet. Nach meinen Informationen waren der erste kymatische Scan und damit die Erfassung des ersten Psycho-Pass im Jahre 2050. Da ihr von Anfang an in der Lage sein wolltet, jeden Psycho-Pass des Landes zu erfassen, vermute ich, dass die meisten eurer aktiven Mitglieder auch von Anbeginn dabei waren. Wie viele mögen das gewesen sein? 40 % oder 50 %? Bedenkt man das vorherige Alter ihrer physischen Körper, kann man davon ausgehen, dass die meisten eurer Mitglieder heute an die Einhundert Jahre alt sein dürften oder gar älter. Und hier kommt die Überlegung von Wraith ins Spiel: denn euer System, so vollkommen es auch sei, besitzt den menschlichen Makel und das ist der Verfall. Ihr könnt Gehirne mit Nährmitteln versorgen, ihr könnt sie konservieren und pflegen wie ihr wollt, aber es bleiben menschliche Organe und als solche werden sie verschleißen und sterben. Ich bin sicher, ihr habt bereits alles versucht, um diesen Fehler im System zu beheben. Ihr braucht Mitglieder mit selbstbegnadigender, kriminell asymptomatischer Konstitution. Mir hattet ihr aber bereits gesagt, dass ein solcher Mensch wie Makishima vielleicht einmal unter zwei Millionen vorkommt. Eure Möglichkeiten, neue Mitglieder zu bekommen, sind also begrenzt. Und Gehirne zu klonen, war keine Lösung. Ihr könnt die Gehirne klonen, aber nicht die Asymptomatik. Also habt ihr den Soul Scoop entwickelt. So ist es doch. Als ich gestern von dieser Variante des Memory Scoops erfuhr, wurde es mir klar. Der Soul Scoop war ein weiterer Versuch, die asymptomatische Konstitution zu kopieren und zu übertragen. Aber auch das hat nicht funktioniert. Woraufhin ihr den Soul Scoop als illegal erklärtet.” “Wir erkennen nicht ganz, worauf du mit dieser Geschichte hinaus willst”, warf Kasei ein und zog eine Augenbraue hoch, in dem bemühten Versuch, die Oberhand zu gewinnen. “Worauf ich hinaus will, ist einfach: euer ganzes theatralisches Geschwafel, weshalb ihr euch auf den asiatischen Kontinent ausbreiten wolltet, war eine Lüge. Eure Intrige, die euch die Herrschaft über SEAUn einbrachte und die Übernahme von Shambala Float waren nicht euer Versuch, den Menschen den Segen des Sibyl Systems zu schenken. Es waren Verzweiflungstaten. Die meisten eurer Gründungsmitglieder machen es wohl nicht mehr lange. Im Kamui-Fall hattet ihr euch bereits von einigen Mitgliedern getrennt. Und wenn ihr einen Ausfall von 40 oder gar 50 % aller aktiven Mitglieder erleidet, werdet ihr nicht länger in der Lage sein, jeden Psycho-Pass des Landes zuverlässig zu erfassen. Die Menschen werden beginnen, am Sibyl System zu zweifeln und gleichzeitig tun sich Schlupflöcher auf - für Leute wie Wraith. Im schlimmsten Fall bricht die Gesellschaft, die ihr erschaffen hattet, zusammen und es kommt zu einem Bürgerkrieg - zwischen jenen, die euch treu ergeben sind und jenen, die euch loswerden wollen. Da ihr in Japan keine asymptomatischen Kriminellen mehr findet, musstet ihr euch ausbreiten. Südostasien ist das Tor zum asiatischen Kontinent und damit zu 75 % der Weltbevölkerung. Tut ihr das nicht, geht es euch wie der Sibylle in der Legende: Ihr schrumpft so lange, bis ihr verschwindet. Die letzte Frage, die bleibt, lautet: Hat Wraith nun ein Endspiel, einen Plan, mit dem sie euch vernichten wollen oder verbauen sie euch nur die Möglichkeit, neue MItglieder zu gewinnen und lassen die Zeit ihre Arbeit tun?” “Du machst den Eindruck, als wollest du darauf bereits eine Antwort geben”, deutete Kasei und schob sich die Brille hoch. “Wenn euch meine Meinung dazu interessiert.“ Mit einer Handbewegung lud die Direktorin Akane ein, fortzufahren. “Ich glaube nicht, dass Wraith die Zeit abwarten wird. Bisher waren sie immer darum bemüht, dass bei ihren Aktionen keine Menschen zu Schaden kommen - weder physisch noch psychisch. Ein Bürgerkrieg, in dem euer Niedergang mit vielen Opfern bezahlt wird, kann nicht in ihrem Sinne sein.“ “Aber gerade du müsstest den Widersinn in dieser Vorstellung erkennen. Sobald das Sibyl System endet, wird die Gesellschaft untergehen, ob sie dies nun wollen oder nicht.“ “Deshalb frage ich mich ja gerade, welches Endspiel sie im Sinn haben”, erklärte Akane und nahm die Flasche wieder zurück, “Habe ich mich am Ende in ihnen geirrt und sie lassen die Gesellschaft doch zusammenbrechen? Oder haben sie gar eine Möglichkeit gefunden, euch los zu werden, ohne dass die Gesellschaft dabei Schaden nimmt?“ Die Augen der Direktorin färbten sich blau - ein Zeichen für Akane, dass sich nun auch die anderen Mitglieder des Kollektivs zugeschaltet hatten. “Akane Tsunemori! Wir müssen uns nach diesen Ausführungen fragen, auf welcher Seite du in dieser Sache stehen wirst. Daher beantworte uns nun diese Frage: Gilt deine Loyalität nach all dem noch immer dem Sibyl System?“ Akane schlug die Handflächen auf ihre Seite des Schreibtisches und biss die Zähne zusammen. “Ihr seid so maßlos arrogant! Meine Loyalität galt niemals euch, sondern der Gesellschaft. Ich habe euch bisher nur deshalb geschützt, weil ich davon überzeugt war, dass euer Fortbestehen auch die Gesellschaft schützen würde.” Direktorin Kasei lehnte sich nun erwartungsvoll vor. “Und bist du noch immer dieser Überzeugung?“ “So viel sollt ihr wissen: Ich werde tun, was in meiner Macht steht, um den Plan von Wraith - welcher das auch immer sei - zu vereiteln. Sollte mir das nicht gelingen, seid ihr auf euch gestellt. Immerhin sind das Geister, die ihr selbst gerufen habt.” Akane wollte gerade die Antwort der Direktorin erwarten, als ihr Communicator sich meldete - es war Yayoi. “Verzeihen Sie die Störung, Inspektorin. Können Sie sofort kommen?” “Was gibt es, Kunizuka-san?” “Wraith hat eine weitere Flasche geschickt.” Akane versicherte Yayoi, sie werde sofort da sein und wandte sich der Direktorin zu, während ihr Herz vor Aufregung in ein wildes Stakkato verfallen war. “Ich empfehle mich nun. Die Ermittlungen gehen vor.” Ohne auch nur eine Antwort abzuwarten, marschierte sie zu dem doppeltürigen Aufzug und war verschwunden. Direktorin Kasei legte den Kopf gegen die Lehne des Stuhls. “Ja, das sehe ich auch so”, beantwortete sie die stumme Aussage des Kollektivs. Darauf aktivierte sie den Kommunikationskanal. “Inspektor Kojirou Mitsuba von Einheit 3 soll sich umgehend in meinem Büro melden.“ Donnerstag, 10. November 2118 - gleiche Zeit L. Coholic’s Whistleblow - CommuField Ein Mensch konnte nur dann strebsam und erfolgreich sein, wenn er sich seine Schwächen und Unsicherheiten eingestand. Eine Fähigkeit, die bei Mika Shimotsuki - wie diese nur ungern zugab - noch ausbaufähig war. Wenigstens in diesem Sinne nutzte ihr der Ausflug ins CommuField: Sie gestand sich ihre Unsicherheit ein, denn sie hatte ihren Avatar, ehrlich gesagt, seit ziemlich langer Zeit nicht mehr benutzt - genau genommen nicht mehr seit sie ihren Abschluss an der Oso Akademie gemacht hatte. Zwischen all den verrückten, flirrenden Gestalten und leuchtenden Phantasiegebilden, verspürte sie eine beruhigende Anonymität: Niemand hier wusste, wer sie war und niemanden schien es zu kümmern. L. Coholic’s Residenz im CommuField sah von außen aus wie eine riesige Druckerpresse deren Bänder sich wanden wie eine undurchschaubare Wasserrutschte. Diese Bänder produzierten am laufenden Band virtuelle Zettel, Zeitungen und Plakate, die in das Netz geschleudert wurden. Ungefilterte Informationen, auf die Sibyl keinen Einfluss nehmen konnte, waren wie eine moderne Droge, die die Menschen in ihren Bann gezogen hatte. Der Empfangsschalter war ein Schreibtisch, der in seiner Länge den ganzen Raum einnahm. An ihm saß eine an ein japanisches Chibi erinnernde alte Frau mit grauer Lockenperücke, die ihre Arme beliebig verlängern konnte und so eine den ganzen Schreibtisch ausfüllende Tastatur bediente, so dass das Klicken der Tasten mit einer Regelmäßigkeit erklang wie das Tick-Tack einer Uhr. “Sie wünschen…”, fragte die Frau ohne von der Arbeit aufzusehen. “Ich würde gern L. Coholic sprechen, es geht um einige seiner Artikel”, erklärte Mika und machte eine Verbeugung mit dem Kopf. “Presse“, fragte die kleine Frau, in dem sie weiter tippte. “Nein.” “Polizei?“ Mika konnte den Schock darüber verbergen, dass die Empfangsdame so nah an der Wahrheit war. “Natürlich nicht.“ “Lieutenant Coholic ist nicht zu sprechen. Bitte versuchen sie es später erneut”, wiegelte die Frau ab. “Aber nicht doch, Frau Fies-Ling”, ertönte eine Stimme aus dem Nichts. “Neugierige Gäste und engagierte Entdecker sind immer willkommen. Nur hereinspaziert.” Bevor Mika sich in Bewegung gesetzt hatte, knurrte die kleine Alte noch: “Namen zu Protokoll geben.“ L. Coholic’s Avatar war eine Militäruniform, in der kein Mensch steckte. Sie saß auf einem Sessel am Ende einer langen Treppe und überwachte einen weiten Raum voller Sitzgruppen, Couches und weiteren Sesseln. “Meine Freunde”, verkündete L. Coholic feierlich, ”heute begrüßen wir eine neue Besucherin, Geheimniskrämerin, Forscherin und Zweiflerin. Heißen wir sie willkommen: Hell_Kitty.” Mika betrat den Raum als ihr Avatar: eine pechschwarze Katze, groß wie ein Ozelot mit Augen, ebenso bernsteinfarben wie ihre eigenen und meterlangen Schnurrhaaren an deren Enden violette Flämmchen brannten. Sie gesellte sich zu jenen Sitzen, die besetzt waren mit einer Gruppe von Avataren, die ebenso verrückt waren wie L. Coholic. Sie kam sich fast vor wie Alice, die zum Tee mit den verrückten Kreaturen des Wunderlandes eingeladen war. “Ich war neugierig wie oft ein User namens Spectre sich hier blicken lässt”, erklärte sie und versuchte, nicht zu sehr nach Polizistin zu klingen. “Der kommt schon mal hierher”, antwortete What-Ka, eine Vodka-Flasche über der ein Fragezeichen hing und auf der etwas auf Russisch geschrieben stand. “Mal weniger, mal mehr”, mischte sich Sherry Blossom ein - ein kleines Bäumchen an dessen Zweigen Sherry-Trauben aller Art wuchsen, die immer wieder als fertige Tropfen des alkoholischen Getränks zu Boden tropften. “Wer will das überhaupt wissen”, fragte Whiz-Key, eine Sphäre der goldbraunen Spirituose, die so etwas wie eine Wahrsager-Kugel darstellen sollte. “Jemand, der ihm einen Deal anbieten möchte. Eine Information für eine Information.“ “Was für einen Deal”, wollte Whiz-Key wissen. Mika sah sich mehrmals im ganzen Raum um und flüsterte dann. “Was hier gesagt wird, bleibt doch wohl hier drin.“ Nun meldete sich L. Coholic selbst zu Wort. “Die Dinge, die hier gesagt werden, sind Informationen, von denen die Öffentlichkeit erfahren soll. Aber vielleicht… machen wir diesmal eine Ausnahme. Je nachdem, was die Information wert ist.” “Gut”, stimmte Mika zu, “Ihr alle kennt oder besser kanntet doch sicher Shogo Makishima.“ “Den ersten wahren Gegner des Sibyl Systems, wie sollten wir den nicht kennen”, spottete What-Ka. “Was, wenn ich an einen originalen Memory-Scoop einer Inspektorin des Amtes für öffentliche Sicherheit herankommen könnte, auf dem er zu sehen ist?” Ein Raunen ging durch den Saal. L. Coholic hatte seinen Sessel verlassen und hatte sich von seiner Treppe herunter begeben. “Wie zum Teufel soll denn ein Zivilist an solche Informationen kommen”, fragte Whiz-Key, während die flüssige Substanz seines Avatars ein Fragezeichen formte. “Ich habe mich in das System gehackt und bin zufällig auf diese Daten gestoßen.” Dafür, dass der Bluff improvisiert war, war er recht gelungen, gestand sich Mika schulterklopfend. “Quatsch nicht! Die Kriminalabteilung des Amts für öffentliche Sicherheit. Und du willst dich da hinein gehackt haben? Kleine, wenn du uns verarschen willst, solltest du dich mehr anstrengen“, warnte Sherry Blossom. “So schwierig ist das gar nicht”, kommentierte nun eine andere Stimme, die aus dem Off zu kommen schien. Sekunden später erschien direkt neben ihrer Runde ein rechteckiges Logo. “Spectre - Voice only” war darauf zu lesen. “Ah, da ist er ja”, verkündete Whiz-Key in eindeutig übertrieben ehrfürchtigem Ton. “Du meinst also, man kann sich einfach so dort rein hacken?“ Sherry Blossom wirkte noch immer skeptisch. “Natürlich. Das habe ich selbst schon gemacht. Das Amt ist so arrogant, dass sie es nicht einmal für notwendig halten, ihre Codierungsprogramme zu aktualisieren. Deshalb glaube ich unserem Gast erst einmal. Aber eine andere Frage: Diese Information ist zweifellos wertvoll. Was willst du dafür?” Mikas Katzen-Avatar bleckte die Zähne in einem Grinsen. “Ich gebe euch diese Information im Austausch für eine ähnlich wertvolle Information. Ich will mehr über Wraith wissen und ich habe mir sagen lassen, dass ich hier an solche Infos kommen kann.“ “Wenn du von Wraith erfahren willst”, begann Spectre, “dann bist du eine Gegnerin des Sibyl Systems?” Jetzt wird es ernst, Mika. Pokerface. Sie nickte. “Lass hören? Was hat die geniale, barmherzige Sibyl dir wohl getan?“ “Einer von Makishimas Handlangern hat jemanden getötet, der mir wichtig war. Und ich weiß, dass Sibyl diesen Makishima verschonen wollte. Das kann ich nicht verzeihen.“ Die anderen MItglieder machten verständnisvolle und bestätigende Gesten. “Das ergibt Sinn”, sprach Spectre, “Noch mehr sogar, wenn man bedenkt, dass du damit noch das Amt bloß stellst.” Auf Mikas fragenden Blick hin fuhr Spectre fort. “Nun ja, die Kriminalabteilung hat etwas mit Makishima gemeinsam: Beide benutzen latente Verbrecher, die sie für geringer halten, als ihre Sündenböcke, ihre Schutzschilde und um die Drecksarbeit zu machen.” Mika wollte bereits protestieren, doch sie hatte sich schnell genug wieder unter Kontrolle, um nicht preiszugeben wie sie wirklich über all das dachte. “Du setzt dich also für latente Verbrecher ein, ja”, fragte sie stattdessen. “Nein, ganz und gar nicht”, erwiderte Spectre, “Aber, siehst du, es geht gar nicht darum, ob latenten Verbrechern Unrecht getan wird, ob sie gerechter behandelt werden sollten oder ob sie von der Gesellschaft verkannt werden. Es geht nur darum, dass jeder Inspektor des Amtes, der latente Verbrecher für sich sterben lässt oder sie gar selbst exekutiert, sich auf eine Stufe mit Makishima stellt. Haben also latente Verbrecher verdient, so behandelt zu werden? Oder können wir unserer eigenen Farbe noch trauen, wenn wir sie so behandelt haben?“ What-Ka schaltete sich nun in die Diskussion ein. “Ein latenter Verbrecher auf der Flucht hat meine Frau umgebracht. Ich habe daraufhin ihn umgebracht. Dann trübte sich mein Farbton und nach einigen Jahren in der Internierung bin ich abgetaucht. Wozu macht mich das dann? Sibyl können wir nicht fragen. Sibyl fällt immer das gleiche Urteil, oder etwa nicht?“ Etwas an der Art wie er die Frage stellte, gefiel Mika nicht. “Wusstest du, dass es dokumentierte Fälle gibt, in denen der Dominator einen Modus annimmt, der dem Kriminalkoeffizenten des Zielobjektes widerspricht”, fragte Spectre. Das ist völlig unmöglich, wollte Mika zunächst herausplatzen, doch sie zügelte sich, da sie sich von der Person hinter dem Logo genau beobachtet fühlte. Ihr Schweigen schien Spectre als Unglauben zu verstehen. “Es ist wahr. Zur Zeit des Makishima-Falles richtete der damalige Inspektor, Nobuchika Ginoza, einen Dominator auf den Vollstrecker, Shinya Kogami. Dieser wollte die Flucht antreten. Obwohl sein Kriminalkoeffizient unter 300 lag, wechselte der Dominator in den Modus Lethal Eliminator. Damals wurde offiziell ein Defekt am Dominator dafür verantwortlich gemacht. Ich frage mich: War der Dominator defekt? Oder kann Sibyl gegen seine eigenen Regularien verstoßen, um Personen loszuwerden, die unbequem geworden sind?” Die echte Mika, die derweil an ihrem Computer saß, spürte, wie ihr Herz flatterte und ihr die Handflächen feucht wurden. Dies alles ging zu sehr in eine Richtung, die sie so gern verdrängen wollte. “Habt ihr das bereits der Öffentlichkeit mitgeteilt”, fragte ihr Avatar schließlich. “Was, denkst du, würde passieren, wenn die Öffentlichkeit das wüsste? Im schlimmsten Fall würden die Menschen anfangen, am Urteil des Dominators und somit am Urteil von Sibyl zu zweifeln. Der Psycho-Pass, der den Menschen so lange schon Sicherheit gibt, wäre auf einmal unsicher geworden? Das blanke Chaos könnte ausbrechen.“ “Das müsste doch dann genau in Wraith Sinne sein”, erwiderte sie. “Nein”, widersprach Spectre, “und jetzt kommen wir zu dem Punkt, an dem ich meinen Teil unseres Handels erfülle. Was, wenn ich dir sage, dass Wraith Sibyl nicht abschaffen, sondern ersetzen will? Wraith will Sibyl beseitigen, aber die Gesellschaft soll dabei ihre Ordnung behalten. Die Sucht nach einem reinen Farbton und einem niedrigen Kriminalkoeffizienten ist eine Droge für die Menschen. Eine Droge, von der sie langsam entwöhnt werden müssen. Der Plan wie das gelingen soll, ist noch nicht vollkommen ausgereift. Deshalb hat Wraith bis jetzt noch nicht losgeschlagen.“ Ich verstehe, dachte Mika. Das heißt, ihre nächste Aktion wird uns verraten, ob sie bereit sind, ihren Plan umzusetzen. “Dann kommen wir nun zu dem, was du uns versprochen hast”, forderte Spectre. “Gut. Ich lade die Daten in diesem Augenblick auf eure CommuField-Domain hoch”, bestätigte Mika. Ebenso schnell wie sie dies ausgesprochen hatte, floh ihr Katzen-Avatar aus der Domain und sie loggte sich aus. Deshalb bemerkte sie nicht mehr wie die Person hinter dem Logo sagte: “Wir werden sehen, ob dir die Informationen nutzen, die du eigentlich wolltest, kleine Detektivin. Ihr anderen macht weiter wie geplant. Projekt Prometheus startet am 14 November, um Mitternacht.“ Damit verschwand das Logo. Mika nahm sich den VR-Helm ab und atmete tief durch, ignorierte die blinkende Warnleuchte am Scanner ihres Computers. Sie hatte sich gerade überlegt wie sie es ihrer eigensinnigen Kollegin beichten sollte, als Yayoi in das Büro platzte. “Hier steckst du”, entfuhr es ihr. Mika hatte den völligen Wegfall der Höflichkeitsformel wohl bemerkt, ging aber nicht darauf ein. “Wir brauchen dich in Shions Labor. Wraith hat eine neue Botschaft geschickt.” Mika stand auf. Also hat das Spiel begonnen. Als sie Shions Analyse-Labor betrat, zuckte sie instinktiv zusammen. Nicht weil die ganze Einheit 1 dort versammelt war, sondern weil unter ihnen auch ein Mann war, von dem sich die Studenten der Oso Akademie Schauergeschichten erzählt hatten. “Was macht dieser latente Verbrecher hier”, fuhr sie Akane an, die neben dem Mann stand und freundlich lächelte. “Willkommen, Shimotsuki-san”, grüßte sie, “Ich habe einen temporären Freistellungsantrag für Professor Saiga gestellt, damit er uns im aktuellen Fall assistieren kann.” Saiga schob sich die Brille hoch. “Bevor wir uns der Botschaft zuwenden”, fuhr Akane fort, “erzählen Sie uns doch, was Sie im CommuField erreicht haben.” Es brauchte eine Zeit, bis Mika alles berichtet hatte. “Du hast was getan”, platzte es aus Ginoza heraus. “Untersteh dich, so mit mir zu sprechen, Vollstr-” “Inspektorin Shimotsuki”, unterbrach Akane, “Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein so akribischer Mensch wie Sie eine Information weitergeben sollte, für die sie suspendiert werden könnten.“ “Das habe ich natürlich auch nicht getan. Alles, was ich ihnen hoch geladen habe, war ein Werbevideo für Haushalts-Hologramme. Ich hatte nicht erwartet, dass er so freimütig von Wraith Plänen sprechen würde.” Das ist mir allerdings immer noch ein Rätsel, fragte sich Akane. Warum lassen sie uns, den Feind, an ihren Plänen teilhaben? Wollen sie versuchen, uns für sich zu gewinnen? “Wenn Sie nicht davon ausgingen, Informationen über Wraith zu bekommen, was hatten Sie sich von dem Treffen erhofft”, fragte sie laut. “Ich wollte Spectre auf die Spur kommen. Tatsächlich ist eine Rückverfolgung unmöglich, weil er etwa zehn Dutzend verschiedene IP-Adressen verwendet, die immer wieder die Datenweitergabe wechseln. Das ist aber nicht das Interessante. Ich habe mir seine Log-in-Daten angesehen. Er verwendet mehrere Log-Ins. Einen dieser Datensätze habe ich aber als einen von unseren identifiziert.” “Sie meinen, er benutzt die Log-in-Daten von einem Mitarbeiter des Amtes.” Akane hatte schlimme Befürchtungen dabei. “Eines ehemaligen Mitarbeiters. Die Log-in-Daten sind die von Shusei Kagari. Den Regularien des Amtes zufolge müssen diese Daten genauso wie die Habseligkeiten eines Vollstreckers fünf Jahre aufbewahrt werden, ehe man sie löscht.” “Können wir herausfinden wie er an diese Daten gekommen ist”, fragte Akane und blickte dabei Shion an. Diese antwortete nach dem ersten Zug von ihrer Zigarette. “Ich versuche es, könnte aber eine Weile dauern.” “Gut. Danke an Sie, Inspektorin Shimotsuki, das war gute Arbeit.“ Mika wusste nicht recht, ob sie sich nun über das Lob freuen oder ärgern sollte. Die Aufmerksamkeit aller wandte sich nun dem größten Monitor in Shions Labor zu, auf dem gerade die Aufnahme von Sicherheitskameras wiedergegeben wurde. “Diese Aufnahme stammt von heute morgen, 2:23 Uhr”, fügte Shion hinzu. Man sah den von zwei Drohnen flankierten Eingangsbereich des Nona Tower. Im Sichtfeld der Kameras tauchte plötzlich ein Mann auf, den Akane sofort als den Mann mit dem Motorrad-Helm erkannte. Er spazierte einfach zu den Eingangstoren des Turmes, tätschelte den Kopf einer der Drohnen und winkte in die Kamera. “Dieser unverschämte-” Yayoi unterbrach sich selbst, um nicht zu fluchen. Dann sah man wie der Mann ein in Papier gewickeltes Objekt einfach am Boden abstellte und verschwand. “Genauso haben wir sie gefunden”, meldete Shion sich wieder und deutete auf die Flasche, die auf der Analyse-Plattform stand, “Aber aus forensischer Sicht ist sie sauber: keine DNA, keine Fingerabdrücke, nichts.” “Euch ist schon aufgefallen, dass der Mann uns bereits wieder etwas mitgeteilt hat”, sagte Professor Saiga in den Raum, “Spielen Sie doch die Aufnahme noch einmal ab”, bat er Shion. Als die Stelle kam, an der der Mann der Kamera zuwinkte, sagte Saiga: “Stop. Können Sie die Aufnahme, wie er winkt, wiederholen lassen?“ Shion tat dies. “Was sollen wir denn übersehen”, fragte Teppei, der in einer Ecke saß und kaum zu sehen war. “Achten Sie nicht auf die Hand, mit der er winkt, achten Sie auf seine Linke.“ Akane riss die Augen auf. Mit dem Zeigefinger der linken Hand, die er - während er mit dem ausgestreckten rechten Arm winkte - auf Hüfthöhe hielt, schien er etwas in die Luft zu schreiben. “Japanische Schriftzeichen sind das nicht. Es sieht mehr wie Zahlen aus.“ Saiga nickte. “Korrekt. Spiegelverkehrt geschrieben, damit wir sie lesen können. Du sagtest doch, dieser Mann habe bereits im Einkaufszentrum etwas aus der Bibel zitiert.” Nun war es Akane, die nickte. “Dann ist es am wahrscheinlichsten, dass diese Zahlen wieder auf ein Zitat verweisen. Sie hin, was er schreibt: 1 18. Ich dachte da an die Offenbarung, Kapitel 1, Vers 18: Ich bin der Lebendige und ich war tot.” “Und was soll uns das jetzt sagen”, fragte Mika, während sie mit dem Fingernagel auf die Armlehne ihres Stuhls klopfte. Saiga zuckte die Schultern. “Das weiß ich nicht. Ich sagte nur, dass er uns etwas mitgeteilt hat, nicht, dass ich wüsste, was es bedeutet.” In einem japanischen Anime wäre dies nun der Moment, in dem alle Charaktere zu Boden fallen und ein riesiger Schweißtropfen neben Saigas Kopf erscheinen müsste. “Zurück zu der Flasche”, rief Shion sie wieder zur Raison. “Sie ist zwar im Aussehen identisch mit der ersten Flasche. Aber seht mal, was die Puppe in der Hand hält.“ Alle warfen einen weiteren Blick auf die Flasche und bemerkten nun tatsächlich etwas in der Hand der Holzpuppe: eine winzige Schriftrolle, mit einem roten Band verschlossen. Shion stand auf und zupfte mit einer langen Pinzette das Papier aus der Hand der Puppe. Sie öffnete die Schriftrolle und musste sie nah vor ihr Gesicht halten. “Es ist in Englisch geschrieben. Wartet, ich scanne es ein und übersetze es, damit es alle lesen können.” Shion brauchte nur einen Augenblick, bis der Text der Schriftrolle auf dem Hauptmonitor erschien. Doch sterben muß sie, sonst betrügt sie andre. Tu' aus das Licht und dann – Tu' aus das Licht; – Ja, lösch' ich dich, du flammenheller Diener – Kann ich dein vorig Licht dir wiedergeben, Sollt' ich's bereun; – doch dein Licht ausgetan, Du reizend Muster herrlichster Natur, Nie find' ich den Prometheusfunken wieder, Dein Licht zu zünden. Pflückt' ich deine Rose, Nie kann ich ihr den Lebenswuchs erneun, Sie muß, muß welken; dufte mir vom Stamm! Kaum hatten sie es gelesen, riefen Akane und Mika gleichzeitig. “Das ist aus Othello.” Sie blickten einander überrascht an und dann wieder auf den Monitor. “Das geht wieder so los wie beim letzten Mal. Eine Hexenjagd, die nichts bringt, als uns die Zeit zu stehlen oder uns in eine Falle zu locken.” “Etwas anderes als das haben wir im Augenblick leider nicht, Ginoza-san. Überlegen wir also, was es bedeuten könnte.” “Dürfte ich derweil noch etwas anderes anbringen”, meldete sich Mika. Als sie die Aufmerksamkeit aller hatte, erklärte sie. “Dieser Mann von der Aufnahme verwendet doch einen Chip, der jeden Scanner und jede Drohne, die ihn erfassen, eine Fehlermeldung produzieren lassen.” Alles nickte. “Darf ich dann vorschlagen, dass wir alle von Drohnen und Scannern gemeldeten Fehler aufzeichnen und kartieren? Auf diese Weise, können wir seine Bewegungen durch die Stadt verfolgen und wissen, wo er sich aufhält. Zugreifen sollten wir aber noch nicht, um seine Hintermänner nicht aufzuschrecken. Es dürfte ausreichen, ihn erst einmal zu observieren.” Akane fühlte etwas Neid, dass ihr dies nicht eingefallen war und wusste plötzlich, wie sich Mika ihr gegenüber immer gefühlt haben musste. “Das ist eine brillante Idee, Inspektorin Shimotsuki. Karanomori-san, könnten Sie das übernehmen?“ “Schon dabei. Ist ja nicht so, als hätte ich sonst schon genug zu tun, aber für dich tue ich alles, Akane-chan.” “Wir überlegen uns derweil, was die Botschaft zu bedeuten haben könnte.” Akane wollte gerade ihre ersten Überlegungen dazu kundtun, als ihr Communicator eine Nachricht anzeigte. Es war Vollstrecker Hatano von Einheit 3. “Hatano-san, das ist äußerst ungünstig, ich befand mich gerade in einer-” “Es ist wichtig. Inspektor Mitsuba ist bereits vor Ort. Er sagte, Sie sollen sofort kommen.“ Sie hatte den Vollstrecker so noch nicht gehört. So als sträube er sich, eine schlimme Wahrheit auszusprechen. “Was habe ich denn mit den Ermittlungen von Einheit 3 zu tun? Wir wurden nicht als Begleitung beauftragt.“ “Keine Ermittlungen. Mitsuba sagte, es gehe um Ihre Eltern.” Für Akane kamen alle Bilder ihrer Großmutter wieder hoch und grässliche Kälte nistete sich in ihrer Magengrube ein. “Ich muss sofort los.“ Ohne jemandem die Chance, sie aufzuhalten zu lassen, stürmte sie aus dem Raum. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)