The Darkness Inside Me von robin-chan ================================================================================ Kapitel 46: Sfinitezza. ----------------------- Müdigkeit. 26. Februar 2013 Lola. Wenn ihr jemand half die Nacht zu überstehen, dann sie. Lola war einer dieser Menschen, die aufgrund eines bescheuerten Missverständnisses ins Leben stießen und auf wundersame Weise blieben. Bei ihrer ersten Begegnung hatten sich die beiden ordentlich in den Haaren gehabt. Der Kerl, den Lola als ihren Liebsten auserkoren hatte – ein verdammt schmieriger und aufdringlicher Typ – hatte Nami auf dementsprechend niveaulose Art angemacht. Für Lola war Nami das rote Tuch gewesen. Lola hatte im Effekt das Gegenteil geglaubt. Ihr in Rage die Wahrheit aufzutischen, hatte Nami etliche Nerven gekostet. Tage später trafen sie erneut aufeinander, kamen nochmals ins Gespräch deswegen und aus einem stressigen Kennenlernen hatte sich irgendwie eine sonderbare Freundschaft entwickelt. In manchen Belangen waren sie unterschiedlich gestrickt, besonders in der Liebe. Lola verliebte sich rasch und mit einer Leidenschaft, die erschreckend war. Manchmal fragte sich Nami, ob das ihrer Arbeit geschuldet war. Lola betrieb mit Leib und Seele ein Brautmodengeschäft. Ihre Freundschaft hatte definitiv einen anderen Touch. Manchmal standen sie über Wochen nicht in Kontakt miteinander. Dennoch fühlte es sich nie danach an, wenn sie sich dann wieder trafen oder sich unterhielten. Dabei trug Lola das Herz am richtigen Fleck, und in einem Punkt ähnelten sie sich sehr. Beide Gemüter änderten sich rasch, sobald die Situation ein Umdenken erforderte. Für Freunde kam ein Biest zum Vorschein, das man Lola, mit ihrer sonst gutmütigeren Art, auf den ersten Blick hin gar nicht zutraute. Lola unterschied sich von anderen und das mochte Nami. „Was läuft bei dir und deiner Holden schief?“, fragte Lola ohne Umschweife, nachdem sie Nami förmlich auf ihre Couch geschupst und ein Bier in die Hand gedrückt hatte. Irgendwie brauchte es bei Lola selten große Erklärungen, als ob diese im Vorfeld ahnte, was Nami am Herzen lag. Sie ließ sich neben ihr nieder, beobachtete Nami zurückgelehnt mit großer Neugierde. Wenn sie um diese Zeit aus dem Nichts anrief und vorbeikam, hatte der Besuch eine größere Bedeutung und Anhand der Aufmache, brauchte jemand wie Lola bloß eins und eins zusammenzählen. Das letzte Treffen lag erst ein paar Tage zurück. Zusammen mit Rebecca waren sie etwas Trinken gewesen und dabei hatte Nami durchaus versucht, ihre eigene Beziehung und das Thema Liebe unter den Teppich zu kehren. Lieber hatte sie auf Rebecca gelenkt, die momentan glücklicher denn je war oder sogar in eine gänzlich andere Richtung gelenkt. Bei Rebecca hatte sie kein Hinterfragen festgestellt, da waren ihr schon eher Lolas taxierende Blicke aufgefallen. Als ob man ständig über die Liebe reden musste. „Bei deinem letzten Besuch hast du noch bis über beide Ohren gestrahlt und während der Telefonate öfter erzählt, was ihr so macht. Muss ein gewesen sein.“ Nami stützte sich mit den Ellbogen nach vorne gelehnt an den Knien ab, wobei ihr rechter Daumen nervös am Flaschenetikett puhlte. Hierherkommen hatte nicht nur Überwindung gekostet, sie hatte streng überlegt, was sie überhaupt preisgeben sollte oder besser gesagt, welche Ausrede sie nutzte. Ihr Magen rebellierte ungestüm. Ein Zurück existierte nicht wirklich – andererseits … kam sie nicht deshalb zu Lola? Weil wenig Worte ausreichten? „Wir sind getrennt“, warf Nami, ohne aufzusehen, die unwiderrufliche Wahrheit in den Raum. Und die Wahrheit tat weh, ganzgleich welche Gründe dahinter lagen. So sehr sie Robin verteufelte, genauso sehr liebte sie Robin. Solange die Liebe vorhanden war, konnte ihr Verstand Fakten en maß vorlegen, ihr genügend einreden. Sie war der Grund, warum es sie in diesen dunklen Abgrund zog. Umgekehrt fiele ihr manches vermutlich leichter, aber daran denken, brachte sie keinen Schritt voran. Nami liebte Robin einfach, Punkt. Nichts, das ihr Verstand sagte, brachte das Herz zum plötzlichen Umdenken. Daher zweifelte sie stark an einer Veränderung, denn irgendetwas tief in ihr glaubte, dass sie ohne all das vermutlich auf Dauer zusammengeblieben wären. Eine naive Annahme. Immerhin hatten sie bloß ein paar Monate miteinander gehabt und Nami war noch jung, vielleicht wären andere Probleme zu Vorschein gekommen, aber diese Stimme existierte. Eben jene, die das Ende weiterhin nicht wahrhaben wollte, die regelrecht auf eine andere Lösung drängte, die an Loslassen kein Interesse hatte. Und diese musste ungehört bleiben, musste verdrängt werden. Auf Biegen und Brechen. Die Beziehung hatte keine Zukunft. „Sie oder du?“ „Ich.“ Nami merkte eine Regung, warf bloß einen flüchtigen Blick zur Seite, der sie Lolas Nicken erkennen ließ und wie sie ein Bein an sich zog. „Hat sie dich betrogen?“, fragte Lola weiter. Mit den kurzen, aber einfachen Fragen, verschaffte sie sich einen halbwegs brauchbaren Überblick. Schluckend entfernte Nami das gesamte Etikett. „Hat sie.“ Ein nicht gelogenes Wispern. Betrügen existierte in verschiedensten Formen. In dem Fall wünschte sich Nami regelrecht eine andere Frau. Lieber hätte sie Robin mit einer anderen Frau erwischt. Ist definitiv ein erträglicherer Gedanke. Darüber nachzudenken … wie in einem falschen Film. Wer wünscht sich lieber eine Affäre? „Nachdem es ans Tageslicht gekommen ist, habe ich den Schlussstrich gezogen“, setzte Nami mit einem tiefen Schnaufen nach. „Die Heimat sollte mich auf Abstand und andere Gedanken bringen. Irgendwie geht mein Plan dezent nach hinten los.“ „Weil die Liebe dich hindert, aber da ist mehr“, stellte Lola fest. „Was noch?“ „Du bist unverbesserlich.“ Glucksend schüttelte Nami den Kopf. „Freunde kennen seit einer Weile die Wahrheit, sie haben sie vor mir verschwiegen. Robin gedeckt.“ Erschreckend einfach. Bislang hatte sich Nami den Kopf zerbrochen und plötzlich erzählte sie die Geschichte und musste selbst feststellen, wie gewöhnlich sie sich anhörte. Warum nicht? Niemand vermutete etwas über Auftragskiller zu hören. Am Ende erzählte sie bloß von einer betrogenen Frau und ihren unter einer Decke steckenden Freunden. Das ist Irrsinn, wie paranoid einen die Wahrheit machte. Auch mit den Jungs. Vielleicht, so dachte sie, lernte sie wenigstens die Idioten zu verstehen. Irgendwann. Irgendwie. Verrat blieb zwar Verrat, aber wenigstens so, um neben ihnen leben zu können. Zorro hatte seinen Weg aufgrund der Liebe gewählt, Sanji um weiterhin seine Familie im Dunklen zu lassen. Leider hatte er auch gewählt Robin auf seine Weise zu helfen. Beide haben sich damit abgefunden und somit das Treiben unterstützt. Besonders Nami gegenüber. Etwas, das sich eben nicht mit einer einfachen Erklärung aus der Welt schaffen ließ. Gründe hin oder her. Aber auch hierbei meldete sich langsam eine andere Stimme zu Wort. Zum Kotzen. Ein Zungenschnalzen ertönte. „Trink aus. Wir brauchen härtere Geschütze.“ Verdattert hob Nami den Kopf. „Alkohol ist bekanntlich keine Universallösung, aber manche Probleme fordern dementsprechende Maßnahmen.“ Lola klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter, ehe sie sich von der Couch erhob. „Du magst viel vertragen, aber manchmal lockert das Trinken. Wenn ich dich richtig einschätze, hast du dich seither vergraben, hast dich selbst gepeinigt. Deine Probleme möchten raus, deshalb bist du zu mir.“ Leicht zuckten Lolas Schultern. „Hopp, hopp.“ Abermals blinzelte Nami. An ein Besäufnis hatte sie nicht gedacht und fragte sich auch, wie ihr das helfen sollte. Andererseits … zielt ihr Kommen nicht gerade darauf ab? Für eine Nacht abzuschalten, zu vergessen? Einfach die kommenden Stunden zu überstehen, ohne neuerlich von der Flut mitgerissen zu werden? Was aber, wenn der Alkohol am Ende mehr ans Tageslicht brachte, als erhofft? Er konnte genauso das auslösen, das sie nicht haben wollte. Unschlüssig sackte sie tiefer. „Nami, du bist der gefühlsbetonteste Mensch, den ich kenne. Du bist explosiv, sprichst deine Gedanken ohne Denken aus. Gerne wird dir erst im Nachhinein bewusst, was du von dir gegeben und was du eventuell angerichtet hast. Dasselbe gilt für positive Gefühle und Gedanken. Zum ersten Mal versteckst du dich, schluckst sämtliches für längere Zeit hinunter. Das ist verdammt untypisch und tut dir nicht gut.“ Lolas Worte trafen genau ins Schwarze. Es stimmte. Sie fand sich schneller in Rage versetzt, war für viele ein offenes Buch. Wenn Lola allerdings wüsste, warum sie von ihrer Norm abwich, was dann? „Du musst dich nicht volllaufen lassen, keine Sorge, ich finde nur, es braucht heute ein bisschen mehr.“ 19. Februar 2013 Als der Wagen am Straßenrand hielt, ballten sich ihre Hände nervös im Schoß. „Wofür hast du dich entschieden?“, fragte Law leise. Während der Fahrt hatte sie für sich oder mit ihm mehrere Varianten abgewogen. Was ausblieb, war ihre Entscheidung. Welchen Weg schlug sie vorerst ein? Oder entschied sie kurzfristig aus dem Bauchgefühl heraus? Müde rieb sie sich die Augen, bevor sie einen raschen Blick zur Einfahrt wagte. „Behalten wir die Trennung für uns. Ich bleibe bei der Ausrede. Der Urlaub kam dank Robins Arbeit nicht zustande und ich nutze die Zeit, um meine Familie zu besuchen“, dabei wandte sie sich wieder zu ihrem Gesprächspartner, der genauso müde wirkte. „Einverstanden?“ Überzeugt von ihrem Plan schien er nicht, dementsprechend hörte sie sein tiefes Einatmen. „Einverstanden.“ Was den Rest anging, blieben sowieso noch genügend Fragen offen. Daher hatten sie sich schon für die kommenden Tage verabredet. Bislang drängte er sie zu keiner Entscheidung, vermutlich weil er selbst genügend nachdachte und sämtliche Seiten abwog. „Danke.“ Ein schwaches Lächeln, ehe sich ihr Kopf wieder zum Seitenfenster drehte. Im Moment sehnte sich Nami nach Ruhe. Fiel das Wort Trennung würde ihre Familie sie mit Fragen durchlöchern, besonders Bellemere. Immerhin war sie vor zwei Monaten noch glücklich gewesen, hatte gestrahlt und war kaum aus dem Schwärmen herausgekommen. Daher wollte Nami vielmehr ankommen, halbwegs normale Gespräche führen. Die Tage schlauchten sie ungemein. Ihr fehlte schlichtweg die Kraft. „Bedenken?“ Fragend zog sie die Braue hoch. „Zwei Wochen vergehen wie im Flug, du brauchst eine Lösung. Bleibst du oder kehrst du zurück? Und wer weiß, was innerhalb der Tage passiert. Alles ist möglich.“ Nami hatte ihm darauf keine Antwort gegeben. Momentan stand sie ohne Plan da, eben weil die Abreise chaotisch entschieden worden und alles noch recht frisch war. Konnte er sich nicht seinen Teil denken? Vielleicht brachte die Zeit manches von allein mit sich und bevor sie diese Brocken in die Hand nahm, wollte sie ihr Zuhause ein bisschen genießen (auch wenn hier andere Probleme auftreten konnten), sich ablenken lassen. Das ständige Zermartern belastete. Umso mehr schien sie überzeugt von ihrer Rückkehr. Venedig bot keinen Abstand, dafür waren diese Menschen auf ihre Weise zu sehr in ihr Leben eingebunden. Als sie das Haus betrat, vernahm sie sofort gedämpft Musik. Bellemere war definitiv zu Hause. Das machte sie gerne, damit die Stille nicht zu erdrückend war. Langsam glitt die Tasche zu Boden, sie schlüpfte rasch aus Jacke und Schuhen. Bevor sich Nami bemerkbar machte, nahm sie noch einen tiefen Atemzug. Zudem betrachtete sie sich im Spiegel. Ginge besser, aber auch wesentlich schlimmer. „Hallo?“ Keine Reaktion. Suchend ging Nami durch das Erdgeschoss und erst als ihr Blick an der Schiebetür zur Terrasse hängenblieb, die leicht geöffnet war, verstand sie. Ihr Herz klopfte deutlich schneller. Hier schwang Nervosität mit. Schließlich würde sie ihre Mutter sehen und die durchschaute sie oft genug schneller als es ihr lieb war. Diese Frau war unmöglich! Langsam schob sie die Türe weiter auf, spähte suchend nach draußen. Gefunden, Bellemere saß rauchend auf einem der Stühle und sah nachdenklich auf dem Bildschirm ihres Notebooks. Sah nach Arbeit aus, wobei sich Nami fragte, was es sie (abgesehen vom Rauchen) an die frische Luft zog. Die Temperaturen waren nicht gerade einladend. „Hey“, begrüßte sie Bellemere mit einem Lächeln und einem sachten Winken. Diese hob erschreckt den Kopf. „Hey!“, stieß sie aus und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. „Wolltest du nicht erst später kommen?“ Sogleich drückte sie die Zigarette aus. „Du weißt ja, der Verkehr und so, haben uns für eine frühere Abreise entschieden“, gab Nami schulterzuckend zu bedenken. Rasch hatte Bellemere den Abstand überbrückt und schloss ihre Tochter in eine feste Umarmung. „Ich habe dich vermisst, Kleines“, gluckste Bellemere freudig, während Nami spürte, wie sich die nächste Welle langsam aufbäumte. Eine einfache Umarmung war gerade dabei ein verdammt großes Chaos auszulösen und sich diesem nicht hinzugeben, sämtliche Gefühle zu schlucken, entpuppte sich in diesem Moment als ein verdammt schwerer Kraftakt. Dabei wollte sie am liebsten nachgeben und sich in den Armen ihrer Mutter ausweinen. „Ich dich auch“, brachte sie schließlich hervor und löste sich, um ihrem Inneren keine Chance zu geben. „Vergo hat ein Abendessen in deinem Lieblingsrestaurant vorgeschlagen, aber ich dachte, ich koche selbst. Was sagst du?“, fragte Bellemere über ihre Schulter hinweg. Nachdem sie kurz miteinander gesprochen hatten, hatte Nami ihre Tasche aufs alte Zimmer gebracht. Frisch geduscht (und das warme Wasser hatte unsagbar gutgetan) und umgezogen kam sie in die Küche, wo Bellemere trotz allem einen kleinen Snack zubereitet hatte. Hunger hatte sie keinen, schon an der Raststation hatte sie das Essen lediglich hinuntergewürgt. „Nojiko kommt nachher vorbei. Hat extra ein Date sausen lassen.“ Fragend kaute Nami auf einem Orangenstück. Davon hatte sie bislang nichts gehört. Obwohl sich ihre Schwester, wenn sie denn frisch verliebt war, nicht lange bedeckt hielt. Zeitgleich erinnerte sich Nami daran, dass sie in letzter Zeit recht wenig miteinander telefoniert oder geschrieben hatten. „Hast du Infos?“ „Leider nicht. Nojiko hat vor einer Weile beiläufig erwähnt, dass sie jemanden kennengelernt hat. Ich weiß nur, es ist derselbe. Sie macht sich seit ein paar Wochen recht rar“, erklärte Bellemere schlicht. „Kommt vor, nicht wahr?“ Seufzend strich sich Nami eine Strähne zurück. „Zeiten ändern sich recht schnell?“ Nami unterschied sich seither von ihrer Schwester. Reisen und Neues entdecken gehörte zu Nami. Das liebte sie. Daher hatte sie sich einst für das Internat entschieden, nicht ihre Eltern, obwohl das manche angenommen hatten. Ihre Eltern waren es gewöhnt, wenn sie lange nicht zu Hause war oder sich oftmals länger nicht meldete. Nojiko hingegen war diejenige, die die Nähe zur Familie mochte. Trotz ihres Auszugs schneite sie eigentlich oft genug herein, stand auch sonst fast im täglichen Kontakt. Nami selbst hatte ihrer Mutter gegenüber manchmal ein schlechtes Gewissen, weil sie meist für eine Weile abtauchte. Hieß es nicht, keine Nachrichten waren gute Nachrichten? Nach dem Motto lebte sie schon mal. „Für mich werdet ihr immer meine kleinen Mädchen sein, aber mit dem Alter führt ihr genauso euer eigenes Leben. Das gehört dazu. Also schau nicht so.“ Bellemere neigte den Kopf. „Was knickt dich daran?“ Welchen Ausdruck hatte sie gerade? Nami schob sich ein weiteres Stück Orange in den Mund. Im Grunde hatte sie nichts gesagt und lediglich zugehört. Wie kam ihre Mutter nun darauf? „Oder bist du über den ins Wasser gefallenen Urlaub mit Robin enttäuscht? Immerhin musst du nun mit uns Vorlieb nehmen“, neckte Bellemere. „Schließt sich eine Türe, öffnet sich die nächste. So haben wir wieder etwas Zeit miteinander und außerdem bin ich bloß von der Fahrt müde“, redete sie sich raus und legte sogleich einen Themenwechsel nach: „Um zur Ausgangsfrage zurückzukehren. Ich wäre für einen gemütlichen Abend unter uns.“ Zwar behielt Bellemere sie ein Stück länger im Auge als es Nami lieb war, doch schwieg sie. Sehr zum Wohlwollen ihrer Tochter. „Einverstanden, dann koch ich uns etwas Leckeres.“ 27. Februar 2013 Brummend vergrub Nami das Gesicht tiefer im Kissen, während ihre Hand blind nach dem Störenfried suchte. „Zu früh“, murrte Lola, wobei sie ihren Kopf unter dem Polster vergrub. Die Nacht war lang gewesen, der Schlaf war kurz ausgefallen, zudem meldete sich noch Gevatter Alkohol, der am Ende in reichlicher Menge geflossen war. Ein Anruf hatte beide aufgeweckt, wobei Nami ungeniert fluchte. Warum hatte sie das nervige Ding nicht auf lautlos gestellt? Wer rief überhaupt so früh an? Dazu mit einer solchen Ausdauer? Als ihre Hand das gewünschte Objekt ergattert hatte, hob Nami träge den Kopf an, wobei ihr plötzlich der Schrecken im Gesicht stand. Nicht die Uhrzeit, die ihr nach Mittag anzeigte, vielmehr der aufleuchtende Name – Bellemere! „Guten Morgen“, säuselte diese als Nami abhob, „du bist alt genug, ich weiß, ich weiß, aber wärst du so nett Bescheid zu geben, wenn du länger fort bist? Besonders wenn du spät abends wortlos mit dem Auto verschwindest?“ Unterschwellig hörte Nami in der Stimme einen klaren Vorwurf heraus und sie raufte sich sogleich durchs Haar. Verdammt, darauf hatte sie in der Tat vergessen. Das Übernachten war anfangs nicht vorgesehen gewesen und wenn sie auf die Uhrzeit achtete, konnte sie den Anruf ihrer Mutter gar nicht verübeln. „Tut mir leid, bin hängen geblieben“, meinte sie ehrlich und unterdrückte ein aufkommendes Gähnen. „Flüssige Nächte sind was Feines, oder?“ Das Lachen in der Stimme entlockte Nami ein Brummen. „Gib mir noch ein bisschen, mach mich bald auf den Weg.“ Irgendwie fühlte sich Nami in diesem Moment zurückversetzt. Während der Internatszeit hatte sie oftmals Nächte um die Ohren geschlagen, Pläne geschmiedet, wie sie den wachenden Augen unentdeckt entkam. Zu Hause war sie oft erst früh morgens heimgekehrt, hatte manchmal darauf vergessen Bescheid zu geben, manchmal hatte sie bewusst nichts gesagt. Je nachdem, was gerade los war. Mittlerweile sah sie das alles durchaus mit anderen Augen und sie war Bellemere nicht böse, aber dennoch fühlte sich das ganze merkwürdig an. „Kleines, mach dir keinen Stress. Du bist alt genug, aber mache ich mir bei diesen Umständen weiterhin Sorgen. Mutter bleibt Mutter. Wollte lediglich herausfinden, ob du noch lebst oder in einem Graben liegst.“ Das Gesagte entlockte Nami eine wohltuende Wärme und ein sanftes Lächeln, auch wenn momentan manches ausweglos erschien, tat es gerade überraschend gut. „Du weißt, dass du einen Unfall deutlich früher mitbekommen hättest?“ Bellemere lachte auf. „Möglich. Stress dich nicht.“ „Bis später.“ Nachdem Nami aufgelegt hatte, legte sie das Smartphone zur Seite und drückte den Kopf noch mal entspannter ins Kissen. Innerlich fühlte sie sich wesentlich besser als am Vortag. Es war einfach ruhiger. Das Gespräch hatte geholfen, irgendwann hatten sie die Themen in seichtere Gefilde gelenkt, die die Atmosphäre gelockert hatten. „Wie spät haben wir?“, murmelte Lola, die neben ihr lag und kaum Anstalten machte, gänzlich aufwachen zu wollen. „Halb zwei vorbei.“ Lola lachte rau. „Fühlt sich an, als wären wir erst ins Bett.“ „Bedanke dich bei deinen Mischungen.“ Lola hatte bei den Drinks ein eigenes Verhältnis, das sich je nach Gegebenheit anpasste und je länger die Nacht, desto mehr Alkohol. „Als ob sie dich gestört haben.“ Herzhaft gähnte Lola, wobei sie den Arm aus dem Bett hängen ließ. „Noch ein paar Minuten?“ „Noch ein paar Minuten.“ Das Aufraffen hatte seine Zeit beansprucht und Nami befand sich mittlerweile auf dem Rückweg. Den kurzfristigen Besuch bei Lola bereute sie nicht. Umso mehr nagten dafür die vorangegangenen Nächte. Um das Defizit auszugleichen, brauchte ihr Körper deutlich mehr Schlaf. Da zählte das Durchschlafen nicht, denn egal wie viel sie vertrug, in dieser Kombination zeigte sich der Alkohol genauso heimtückisch. Er spielte auf seine Weise mit, um einem komplett erholsamen Schlaf im Weg zu stehen. Vielleicht holte sie kommende Nacht auf, nachdem sie sich nun gelöster fühlte. In dem Fall hatte ihre Intuition wahrhaft ins Schwarze getroffen. Lola half eben auf ihre eigene Weise, bohrte oftmals weniger oder brauchte eine deutlich kürzere Erklärung als manch andere. Auf der anderen Seite hinterfragte sie schon mal mehr, das kam dann auf die Situation an. Allerdings zwang sie nicht zu reden, besser gesagt, sie zwang nicht alles auszusprechen. Sie wartete ab, ohne zu drängen. Genau was Nami brauchte. Hätte ihr ein früherer Besuch manches erspart? Vielleicht. Doch vor dem Lesen der Nachrichten hatte sie keinen konkreten Anstoß gehabt. Sich eher selbst davon überzeugt, alles für sich zu behalten, einfach zu schlucken. Erst das Lesen und die daraus entstandenen Gedanken hatten aufgezeigt, wo sie stand und dass sie in dem Punkt allein nicht weiterkam. Manchmal brauchte es eben Zeit. Besser spät als nie. Nami stellte sich vor, wie das Gespräch mit ihrem restlichen Umfeld ausgesehen hätte. Es wäre in eine vollkommen andere Richtung, sicher in einer nervenaufreibende, gelaufen. Das Unkomplizierte machte den Unterschied aus, es hatten dem Sturm etwas Wind genommen. Jedoch vergaß Nami nicht, wie viel noch ausstand. Mit Glück ging sie die härteren Brocken etwas gelassener an. Nach einer gehörigen Portion Schlaf las sie die Nachrichten vielleicht nochmal oder vielleicht schaffte sie es, sich zu melden oder wenigstens eine konkrete Vorgehensweise zu schmieden. Langsam rannte ihr die Zeit davon. Genügend Fragen waren weiterhin unbeantwortet. Blieb sie oder kehrte sie Venedig den Rücken zu? Und jede Gabelung warf neue Fragen auf. Allein der Verbleib. Wie löste sie das Problem auf? Immerhin existierten genügend Bedenken, die ihr die Gespräche mit Law immer wieder aufzeigten. Das Unvorstellbare traf genauso ein. Dabei fielen ihr Robins Nachrichten ein, sie hatte auch in den letzten Tagen geschrieben. Sollte sie sie ansehen? Ihr Kopf nervte. Ein Gedanke jagte den nächsten. Sich besser fühlen hieß eben nicht, dass die Räder aufhörten. Sie drehten sich weiter. Wussten zu nerven, sobald sie die nächste Gelegenheit fanden. Was stimmte nicht mit ihr? Ihr Kopf könnte ihr ruhig eine längere Verschnaufpause schenken. Mit allem. Brummend betrat sie das Haus. Später. Wenn überhaupt. „Bin wieder da.“ Erst mal ein langes Bad und danach eine Kleinigkeit essen. Hunger meldete sich. „Wieder unter den Lebenden, sehr schön.“ Bellemere trat mit verschränkten Armen aus dem Wohnzimmer. Ihr breites Grinsen ließ Nami die Augen verdrehen. „Sorry für die Sorgen.“ „Solange das Auto unversehrt zurückgekommen ist, ist alles gut“, lachte Bellemere. „Wie geht’s Lola?“ „Ist klar – sie kämpft mit den Nachwirkungen.“ Natürlich hatte Bellemere erraten, bei wem sie die Nacht verbracht hatte. „Soll dich von ihr grüßen.“ Gähnend schlenderte sie die Treppe hinab. Das lange Bad hatte seine Wirkung nicht verfehlt. Nami fühlte sich fast eine Spur zu entspannt. Lieber gleich ins Bett? Oder bloß ein Nickerchen? In der Küche stellte sie sich eine Kleinigkeit zusammen. Einfach damit ihr Magen mit dem Rumoren aufhörte. Zusammen mit einer Kanne Tee ließ sie sich auf der Couch nieder, schaltete den Fernseher ein. Half angeblich. „Noch Pläne für heute?“, hörte sie nach einer Weile und bemerkte aus dem Augenwinkel heraus, wie sich Bellemere neben sie setzte. Ohne den Blick vom Fernseher abzuwenden, schüttelte Nami den Kopf. „Außer das Date mit meinem Bett zählt?“, erwiderte sie und fuhr sich angestrengt durchs Gesicht. „Fühl mich gerädert.“ Bellemere lachte leise. „Schlaf wird dir guttun, davon brauchst du einiges.“ Nun sah Nami jedoch zur Seite, hob dabei fragend eine Braue. Irgendetwas in dem Tonfall sagte ihr, dass Bellemere nicht von der letzten Nacht ausging. Sie wurde hellhörig. „Denkst du, ich habe keine Augen im Kopf?“ Ihre Mimik wurde ernster. Eine Spur zu ernst, die von einem schweren Seufzer unterstrichen wurde. „Wann hast du das letzte Mal ordentlich geschlafen?“ „Vor ein paar Stunden?“, nuschelte Nami, deren Alarmglocken schrillten, in ihre Tasse, ehe sie einen Schluck daraus nahm. Nein hier stimmte etwas nicht. Bellemere verfiel in ein längeres Schweigen. Sollte sie ignorieren oder nachfragen? Oder einfach abwarten. „Willst du mir endlich sagen, was vorgefallen ist?“ „Hab mit die Nacht um die Ohren geschlagen.“ Nami tat als ob sie der Serie folgte, dabei hatte sie keinen blassen Schimmer worum es darin gerade ging. „Was ist passiert? Zwischen dir und Robin.“ Augenblicklich schnellte ihr Puls in die Höhe. Nami fühlte sich ertappt. Da war keine Frage, ob es eventuelle Probleme gab, für sie war es offensichtlich. Auch ihre Stimme ließ keine Zweifel aufkommen. „Was meinst du?“, wich sie aus. Scheiße, woher kam das plötzliche Interesse? Schön und gut, die Müdigkeit konnte sie nicht immer verbergen, aber warum schoss sie sich auf Beziehungsprobleme ein? Fragte auf einmal nach? „Komm schon, fallen dir die Unterschiede etwa nicht auf? Die Tour zieht nicht.“ Bellemere stützte den Kopf ab. „Nach unserer Unterhaltung an Weihnachten und später bei unseren Telefonaten, da hast du oft über sie geredet. Seit du hier bist? Von dir aus kommt kein ein Wort, du wechselst bei der nächstbesten Gelegenheit das Thema. Du ignorierst schon mal Anrufe. Irgendwann stellt man sich da manch eine Frage oder zählt eins und eins zusammen – Ihr ist die Arbeit nicht dazwischengekommen.“ Sprachlos sah sie ihre Mutter an. In dem Moment fehlten ihr einfach die Worte. Eigentlich hatte sich Nami neben ihrer Familie wie sonst gegeben, hatte darauf geachtet sich nicht gehen zu lassen oder ihr Gefühlschaos nicht offen zu zeigen. Wirklich. Auf ihrer Lippe kauend wandte sie sich dem vielsagenden Blick ihrer Mutter ab. „Nami …“ „Okay, vielleicht haben wir Probleme“, murmelte sie gedrückt. „Was soll’s. Muss ich dir einen Roman erzählen? Ist doch meine Sache.“ Was für eine verdammt unangenehme Situation. Leicht rutschte sie tiefer. „Ist nicht der Rede wert.“ „Warum so verschwiegen?“ „Keine Lust?“ „Bist du dir sicher?“ „Ja, ich will mir die Serie ansehen.“ „Vielleicht redest du mir ihr.“ Hatte sie richtig gehört? Was sollte sie? Gereizt zogen sich ihre Brauen zusammen. „Ich soll was?“, sprach sie den Gedanken wütend aus. „Was soll das jetzt?“ Aus dem Nichts heraus sprach sie ihre Mutter darauf an, wusste nichts und nun kam sie mit dem Ratschlag da her? Mit Robin reden? Recht simpel. Da stellte sich die Frage, warum Nami nicht selbst auf die Idee gekommen war. Sie mied zwar die Jungs, aber mit dem eigentlichen Problem ein klärendes Gespräch führen? Kein Ding. Beschwichtigend hob Bellemere ihre Arme. „Immer mit der Ruhe.“ Nami atmete laut aus. „Die Nacht hat Spuren hinterlassen und ich bin hundemüde … heute will ich nicht.“ „Und morgen?“ Entnervt stellte sie die Tasse am Tisch ab. „Möglich, dass ich gar nicht mehr mit ihr rede!“ Bellemere hatte keinen blassen Schimmer was los war. Energisch stand Nami auf. „Was wird das gerade?“ „Wie habe ich das vermisst“, seufzte Bellemere indes. Wunderte es sie? „Wie gesagt, du gibst dich verändert, was Robin angeht. Ganzgleich was du versuchst, ich durchschaue dich. Du bist nicht gerade ein Buch mit sieben Siegel.“ Mit den Augen rollend verschränkte Nami die Arme. Dessen war sie sich bewusst. Umso mehr hatte sie versucht sich normal wie möglich zu geben. Auch mit allen erdrückenden Gedanken und dem daraus resultierenden Schlafmangel. Mehr war eben nicht drin. „Warum habe ich das dumpfe Gefühle, dass hier irgendetwas im Busch liegt?“, sprach sie gepresst. Bellemere lächelte daraufhin entschuldigend und beugte sich leicht vor. „Robin ist in der Stadt.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)