The Darkness Inside Me von robin-chan ================================================================================ Kapitel 47: Sogno a occhi aperti. --------------------------------- Tagtraum 21. September 2012 „Spann mich nicht auf die Folter“, quengelte Nami. Endlich. Das Hin und Her gehörte der Vergangenheit an. Irgendwo wartete ein Tisch auf sie, so viel hatte Nami in Erfahrung gebracht. Bis dahin musste sie sich jedoch in Geduld üben, Robin sprach in Rätseln, über einen Abstecher und Nami folgte planlos. Bis sie am Markusplatz hielten. Allmählich zeigte sich der Touristenrückgang. In den warmen Monaten tummelten sie sich, kaum klopfte der Herbst an, verschwanden sie nach und nach. Ein Umstand, den Nami weniger verstand. In den kühleren Monaten ließ sich die Stadt weitaus angenehmer erkunden. Selbst wenn September meist der regenstärkste Monat war. „Bekomme ich eine Führung?“, fragte sie nach. „Würde zu dir passen. Vivi hat mir schon eine Führung spendiert.“ Gefolgt von einem belustigten Zwinkern. „Wir haben heute Glück, das Wetter spielt mit“, entgegnete Robin und sah zum fast wolkenlosen Himmel empor. Nach den letzten zwei Tagen auf jeden Fall. Leider blieb ihre Frage offen. „Du hast ein paar Sehenswürdigkeiten ausgelassen.“ „Also kein Klosterbesuch.“ Robin lachte. „Nein, heute nicht. Komm.“ Da spürte Nami die warme Hand der anderen, die ihre sanft umschloss und mit sich zog. Es war anders. Die Nähe, die Berührungen. Nun, da sie eine Chance witterte und keine Freundschaft im Vordergrund stand. Von beiden ausgehend. Ein Herzklopfen. Ein Lächeln. Einfach anders. Nami war glücklich. „Wo hast du die Meute versteckt?“ Staunend trat sie aus dem Fahrstuhl in den Schauraum des Markusturms. „Um die Zeit stehst du immer an.“ Während ihres Urlaubs hatte sie mit Vivi die eine oder andere Besichtigungstour gemacht, keine Frage, aber dank des Karnevals und später durch den Sommertourismus hatte sie den Turm und ehrlich gesagt auch den Dom zur Gänze gemieden. Sie hasste warten. Die Menge und den dazugehörigen Lärm. „Bei Schlechtwetter wird er oft gesperrt“, erklärte Robin schulterzuckend. Nami hob ihre Braue. Heute blieb ihnen ein Wolkenbruch erspart. Nach ihrer Aussage wäre der Turm wieder begehbar. „Merke ich, der Sturm draußen ist fürchterlich“, entgegnete sie auffordernd. „Ich sein hat Vorteile.“ „Heißt, du sperrst das nächste Mal den Dom? Den allein genießen, ist sicher eine nette Erfahrung.“ „Wenn du nett bist, bringe ich dich dorthin, wo kein Tourist Zugang hat.“ „Stellst du mich als deine neue Assistentin vor?“ Glucksend schritt Robin an ihr vorbei zu einem der Fenster. „Der Turm ist das höchste Gebäude der Stadt. Du siehst wieder neue Facetten und ich mag die Aussicht ... besonders bei Sonnenuntergang.“ „Schlummert in dir etwa eine Romantikerin?“, zog sie Robin auf und trat neben sie. „Weil ich meine Vorteile ausspiele, lieber die Ruhe genießen und mich nicht mit Touristen herumschlage?“ Seufzend schüttelte Nami den Kopf. Als ob sie eine andere Antwort erwartet hatte. „Alles eine Frage des Blickwinkels“, murmelte Nami und schielte hoch. „Der Mond weicht der Sonne.“ Ja, das taten er und Nami zog das Sonnenlicht vor. Besonders die Farbenpracht. Wären sie damals nicht ins Gespräch gekommen, hätten sie sich eben nie kennengelernt. Eine Zeit, in der sie nicht an mehr dachte. Zwei sich Unbekannte in einer kurzen, netten Begegnung, deren Wege sich danach trennten. Heute sah die Welt anders aus. Robin war keine kurzweile Begegnung mehr und liefen die nächsten Stunden glatt, ließen sie die Freundschaft hinter sich. Glücklich betrachtete sie das Farbenspiel. Sie liebte das Orange des Abends. „Das Warten hat sich gelohnt“, murmelte sie und lehnte sich gegen Robin. Nicht direkt der Turmbesuch, eher auf Robin. Mit ihr allein den Sonnenuntergang genießen, mit Venedig unter ihnen. 27. Februar 2013 Stumm. Ihr Mund stand offen, unfähig einen Laut von sich zu geben. Wozu? Wo sie keine Worte fand. Anders als in Gedanken, denn die standen Kopf. Kein Schock, stattdessen rasten sie wild durcheinander. Aus allen Richtungen, in alle Richtungen. Wo begann sie? Was zog sie vor? Erst als sich ein einziges Wort schreiend herauskristallisierte, wusste sie, was zählte. Warum? Robin war da. Robin hielt sich in der Stadt auf. Warum? Warum kam Robin hierher? Warum jetzt? Warum sprach Bellemere über Robin? Verdammte Scheiße! Hatte sie Bedenken? Wollte sie der Unsicherheit ein Ende bereiten? Schickte sie Nami eine Botschaft? Dass sie jederzeit bereit war? Eine niederträchtige Drohung? Was ritt die Frau? Oder … Nami schnappte nach Luft. Unbewusst hatte sie den Atem angehalten. „Ich habe mich an deine Bitte gehalten, Nami“, durchbrach ihre Mutter die Stille, „und habe deine Beziehung vor Vergo geheim gehalten.“ Behutsam strich sie über Namis Rücken. „Irgendwann zählst du eins und eins zusammen. Dein unerwarteter Besuch. Du tust als gäbe es Robin nicht – Vergo hat sie gestern während der Auktion getroffen und mir von ihr erzählt.“ Natürlich. Von da wehte der Wind. Warum sonst lenkte Bellemere ein Gespräch auf Robin? Wenige Tage vor der Abreise. Verdammt – seit sie ein Paar waren, war Robin nie in die Schweiz gereist. Nie, außer Robin hatte ihr irgendwann irgendetwas vorenthalten. Vielleicht falsche Ziele angegeben, für den Fall der Fälle? Nami wurde paranoid. Das ständige Hinterfragen zerrte. Eher rückte wieder die Angst in den Vordergrund. Sie empfand pure Angst bei den Gedanken. Robin in nächster Nähe. Im gleichen Raum mit Vergo. All das entsprang keinem Zufall. Nami hatte mit Zufällen abgeschlossen. Sie existierten nicht. Jeder Schritt folgte einem Plan. Noch blieb sie stumm, knabberte mittlerweile nachdenklich auf ihrer Lippe, während sich ein kalter Schauer auf ihrem Rücken bildete. Ihr das Herz tiefer sank und der Magen schmerzte. Bewahrheiteten sich Laws Befürchtungen? Zahlte sie nun den Preis ihrer unverfrorenen Art Robin gegenüber? Diese saß am Ende am längeren Hebel. Jemanden verschwinden lassen, gehörte zu ihren Aufgaben, war im Alltag integriert. Rasch, ohne Zeugen, ohne großes Tamtam. Vielleicht sucht Robin ein Gespräch und möchte eine anständige Lösung finden. Ein normales Gespräch, um das Verhältnis zu kippen. Das letzte Mal war Nami zu aufgebracht gewesen, hatte ihr kaum zu gehört. Eine weitere Möglichkeit. Warum suchte sie sie dann nicht selbst auf? Nami schluckte, dachte an all die ignorierten Anrufe und Nachrichten. Wie sollte sie sonst mit ihr Kontakt aufnehmen? Sofern sie nicht auf ihrer Rückkehr wartete oder zweifelte Robin daran? Wieder vernahm sie die Stimme ihrer Mutter, die ihr nebenbei den Arm um die Schulter legte und zu sich zog. „Ihr habt euch getrennt“, sagte sie fest überzeugt. „Offen steht, was zwischen euch vorgefallen ist.“ „Vorbei ist vorbei. Paare trennen sich, wen interessieren da die Gründe“, fand Nami schlussendlich ihre Stimme. Sie spürte die sich aufbäumenden Tränen. „Belassen wir’s dabei, okay?“ Anders als mit Lola konnte und wollte sie nicht näher auf die Umstände eingehen. Nicht mit Bellemere. Denn Nami fühlte deutlich, dass sich ihre Fassade nicht aufrecht halten ließe. Nicht Bellemere gegenüber. Zeitgleich schlich sie Erleichterung ein. Vergo wusste nichts und würde auch nie eingeweiht werden. 21. September 2012 „Und?“, blieb Nami fragend stehen. Ihre Gefühle waren eindeutig, sie sah in der Verabredung keinen Fehler. Im Gegenteil. Sie wollte Robin umso mehr. Derselbe piazzo, dachte sie und lächelte über ihre Schulter hinweg Robin zu. Als ob die Gespräche eine Ewigkeit zurücklagen. Jenes nach dem Abendessen und eben jenes das sie hier führten, nachdem sie vom Treffen mit Law nach Hause wollte. Irgendwie anders, irgendwie ident. Robin hatte sich auf den Versuch eingelassen, aber stand eben noch aus, ob sie darin die richtige Abzweigung sah. Die Chance auf einen gemeinsamen Weg. „Was denkst du nach heute? Geflirtet hast du“, neckte sie herausfordernd. Räuspernd schob Robin ihre Hände in die Manteltaschen und warf einen Blick hoch zum Himmel, zu den vereinzelten Sternen. „Habe ich oder hast du es als solches aufgenommen?“ Demonstrativ rollte Nami ihre Augen über. Manchmal war Robin unmöglich. Als ob sie die Unterschiede nicht ausmachte. Eindeutig hatten die Gespräche den Umgang zwischen ihnen verändert. Nicht nur vom Reden. Bislang hatte Robin sie auch nie an der Hand genommen, ganzgleich was sie ihr auch zeigte. Eine kleine Geste, die bei einer Frau wie Robin größer wirkte. „Letzte Woche“, begann Nami, den Blick weiterhin auf Robin gerichtet, „nach unserem Filmmarathon. Dich einfach so gehen lassen – ich wollte dich küssen. Dich einfach küssen. Oder dich umarmen, wann immer ich will. Würde mir reichen.“ Sacht schüttelte sie den Kopf, drehte sich gänzlich zu Robin, wobei der Abstand blieb. „Der Abend, auf dieser bescheuerten Feier, an dem du mich nach Hause gebracht hast. In all den Monaten bist du mir nicht aus dem Kopf gegangen. Oft habe ich an dich gedacht, aber nie daran geglaubt, dass wir irgendwann an diesem Punkt stehen. Ich dachte, es sei bloß eine Schwärmerei … Robin, du machst mich verrückt. Weißt du, wie schwer du es mir machst, dich nicht auf diese Weise zu sehen, an dich zu denken? Unsere Freundschaft ist zu wenig. Allerdings liegt die Entscheidung bei dir.“ Ein Umstand mit dem sich Nami arrangierte. Beide mussten denselben Weg wählen und nun war Robin am Zug. Was immer am Ende herauskam, Nami würde es akzeptieren. Mit allen Konsequenzen. Eine Antwort ließ warten. Ohne tiefere Einblicke zu gewähren, stand Robin da und betrachtete sie. Verunsicherung breitete sich aus. Wie so oft, sobald Robin die Mauer aufzog. Da reichte nicht, dass sie Robin mittlerweile besser kannte, dann und wann erahnte was sie fühlte, wie ihre Stimmung war. Wenn man gerade sein Herz ausschüttete und nichts erkannte … zum Verzweifeln. „Für Schweigen ein falscher Zeitpunkt.“ „Du malst dir Horrorszenarien aus“, tadelte Robin und setzte ein aufmunterndes Lächeln auf. „Ich habe dir meine Gründe genannt, die du ignorierst und doch bin hier bei dir. Bliebe ich meinem Standpunkt treu … wäre ich nie gekommen, um dich um ein Date zu bitten.“ Leicht nickte Nami. Dessen war sie sich bewusst. Genauso der Abmachung. Robin sollte den Schritt wagen und danach entscheiden. Ob sie eine Zukunft sah oder ob sie ihre Gefühle nicht zu ließ. „Heißt?“, fragte sie erneut nach. Die Frage brannte ihr auf der Zunge. Nami wollte eine Antwort, ein Wort. Irgendetwas. Einfach direkt auf den Punkt gebracht. Als neuerliches Schweigen eintrat, wollte Nami schon gefrustet schnaufen. Der Impuls wurde unterdrückt, indem Robin zu ihr kam, ihr Gesicht umfasste und sie einfach küsste. Wer brauchte schon Worte? 27. Februar 2013 Zögerlich hatte Bellemere zugestimmt. Keine weiteren Fragen wurden gestellt, das Thema fürs erste zur Seite gelegt. Nami kannte ihre Mutter, die vermutlich bei der nächstbesten Gelegenheit nochmals das Gespräch suchen würde. Im Normalfall störte es Nami weniger, sie sprach auch darüber. Gut, meistens verdeutlichte ihre Stimmung sofort, was los war. Hinsichtlich ihrer Gefühlswelt glich sie einem offenen Buch, für jeden lesbar. Bloß die Art und Weise, wie sie sie zeigte, hatte sich in den Tagen verändert. Ihr aufbrausendes Temperament fehlte, war stoischem Schweigen und Zurückhaltung gewichen. Etwas, das Nami nicht kannte. Vielleicht die Ruhe vor dem Sturm. Vielleicht aber die einzige Möglichkeit, um mit dem Problem umzugehen. Rastlos tigerte sie quer durchs Zimmer. Dabei hakte sie das Gespräch mit Bellemere ab. Wichtiger war bloß die Tatsache, dass sich Robin in direkter Nähe befand. Immer wieder wechselten sich dieselbe Fragen ab. Warum sich Robin die Reise antat? Was die genauen Hintergründe waren. Ob sie die endgültige Bereinigung suchte oder, was durchaus der Möglichkeit entsprach, Robin versuchte die Wogen zu glätten. „Zufälle existieren nicht“, nuschelte sie zähneknirschend und blieb beim Fenster stehen. Den Blick dabei fest auf den Garten gerichtet. Nein, Zufälle existierten nicht mehr. Nicht in der Welt, in die sie ungewollt hineingeschlittert war. Und was immer Robin im Schilde führte, gehörte einem Plan an. Robin tat nichts unüberlegt. Wollte sie wissen, was dahintersteckte, musste sie was tun, auch wenn sie damit eben das tat, was Robin erwartete – reagieren. Im schneebedeckten Garten fand sie keine Antworten, schon gar nicht in ihrem Kopf, also nahm sie ihr Telefon zur Hand. Eine Nachricht oder gar Anruf. Darauf wartete Robin. Vermutlich lief’s sogar darauf hinaus, bloß war die Zeit noch nicht gekommen. Erst musste Nami das störrische Ignorieren beenden. Im Laufe der Tage hatten sich genügend Nachrichten angesammelt, die eventuell Aufschluss darüber gaben, was Robin vorhatte. Wobei Nami nicht mit irgendwelchen Drohungen rechnete. Jedoch mit kleinen Hinweisen, kleine Wegweiser. »Bitte rede mit mir.« »Es tut mir leid!« »Schätze, du hast begriffen, warum ich lange gezögert habe? Ohne die Hintergründe … ich hätte weitaus früher gehandelt. Stattdessen habe ich die Zeichen ignoriert, dich auf Abstand gehalten, eben weil mir die aktuelle Situation Angst bereitet hat. Ich habs immer geahnt. Die Wahrheit kommt ans Tageslicht. Ich hoffte auf mehr Zeit.« »Die, die du kennst, das bin ich. Bitte lass mich nicht in der Luft hängen. Ich will dich nicht verlieren.« »Ich weiß von deinem Verschwinden … deinem Schweigen den anderen gegenüber … lass es nicht an ihnen aus. Sie sind die letzten, die du meiden solltest. Du bist verletzt, aber haben ihre Gründe genauso ein Recht. Mach aus mir, was du möchtest, du kannst mich gerne als das Böse darstellen, was auch immer. Bloß denke nicht, dass meine Gefühle eine Lüge sind.« »Rede mit Vivi! Du magst vor mir flüchten, aber mach ihr nicht unnötige Sorgen. Sie war heute bei mir und ist aufgebracht.« »Du wirst ihr die Wahrheit nicht sagen, sag ihr irgendetwas, nur tu ihr das nicht an.« Nami ließ das Smartphone sinken, lehnte vor und ihre Stirn berührte die kühle Glasscheibe. Das Lesen der Nachrichten von den Jungs war ihr weitaus leichter gefallen. Robin war eben Robin. Der Auslöser. Das Hauptproblem. Verstand sie den angerichteten Schaden? Neben Robin wirkten sämtliche Frauen, mit denen sie zuvor etwas gehabt hatte, wie eine belanglose Schwärmerei. Surreal, wie sich manches im Nachhinein änderte, denn derzeit sah sie ausgerechnet in Robin ihren wohl größten Fehler. Einen Fehler, weil sie Robin auf die dumme Idee gebracht hatte, sie wären einen Versuch wert. Einen Fehler, weil sie diese Frau liebte, weil ihr Herz nicht aufhörte für sie zu schlagen und ihr das immer wieder aufs Neue vor Augen führte. Angst. Liebe. Wut. Liebe. Sehnsucht. Diese verdammte Sehnsucht. Wie sollte sie eine Frau hassen, nach der sie sich zeitgleich schmerzhaft sehnte? 14. Oktober 2012 Mit einem skeptischen Blick nahm sie einen Schluck Wein. Robin hatte ihr offenbart, sie wäre dem Treffen mit ihrer Cousine ferngeblieben, wäre Nami nicht gewesen. „Bei eurer Vorgeschichte … allein ist immer schwieriger.“ Mit Rückenstärkung nahmen sich Hürden wesentlich leichter. Robin schüttelte den Kopf, wich ihrem Blick aus, indem sie ins Glas starrte. „Kommt auf den Menschen an. Wen man an seiner Seite hat. Ehrlich gesagt, ich bezweifle, dass ich den Schritt mit jemanden wie Franky oder Kalifa gemacht hätte.“ Das Glas wurde abgestellt und Robin griff nach ihrer Hand. „Danke, dass du stur geblieben bist.“ Sanft zog sie Nami an sich, die wiederum in sich hineinlachte. „Manche Menschen müssen zu ihrem Glück gezwungen werden. Und wer kann mir schon widerstehen?“ „Bessere gerade dein Ego auf, was?“ „Oh, das ist groß genug, aber bitte, mach weiter.“ „Nun verstehe ich Zorro. Du bist eine kleine eigebildete Hexe“, neckte Robin. Bevor Nami zum Konter ausholen konnte, spürte sie schon Robins Lippen auf ihren, die Arme, die sie auf die Anrichte hoben. Vergessen war, was sie sagen wollte oder das eigentliche Gespräch. Was zählte waren die Küsse, die verlangender wurden. Das Prickeln auf ihrer Haut bei jeder Berührung. Ein wild pochendes Herz. Robins Wärme. Ihr Geruch. Fakt war, Nami konnte ihr nicht widerstehen. 28. Februar 2013 Seufzend schob sie den Schal höher. Das Wetter blieb konstant kalt und windig. Sie hasste das. Vielleicht passend, aber sehnte sie sich mittlerweile nach Wärme und Sonne. Hätte sie lieber das Auto genommen. Bekanntlich half jedoch ein Spaziergang an der frischen Luft. In der Tat fühlte sie sich gefasster. Glaubte Nami zumindest. Normalerweise half eine Nacht darüber schlafen, aber hatte sie wirklich geschlafen? Wohl eher gedöst, sobald die Müdigkeit Oberhand nahm. Und doch fühlte sie sich gefasster. Betrachtete den gestrigen Tag mit anderen Augen. Nüchterner? Momentan verfiel sie der Verlockung zum Bau einer Mauer. Einer großen, dicken Mauer hinter der sie sämtliche Gefühle ohne Licht und Luft zum Ersticken brachte. Verlockend, guttuender und genauso naiver Gedanke. Verdrängen und ignorieren. Natürlich konnte Nami Gefühle schlucken, ihre Geheimnisse wahren, wenn nötig. Das war nötiger denn je, warum also nicht den Weg nehmen. Für eine Weile. Einen freien Kopf bekommen, den Druck mindern – heute brauchte sie klare Gedanken. Rationales Denken, keine Gefühlsduselei. Noch am Abend hatte sie angefangen mit Law zu schreiben, dem es nach eigener Aussage gut ging. Über Robins Anwesenheit hatte sie kein Wort verloren, wollte ihn nicht unnötig in Panik versetzen. Ob sie damit richtig lag? Er war in Gefahr, er wurde rasch als Sündenbock erkannt. Abwarten, noch hatte sie selbst keine Ahnung, was Robin nach Zürich trieb. Stand das Glück auf ihrer Seite waren sämtliche Bedenken grundlos. Lächerlich, als ob das Glück mit ihr war. Law erfuhr früh genug davon, lieber auf Nummer sicher. Ausgerechnet Nami versuchte ihn zu beschützen, dabei wäre ohne sein Zutun alles anders gelaufen. Wann und wie hätte Nami die Wahrheit erfahren? Gar nicht oder in Monaten oder gar Jahren aufgrund eines dämlichen Zufalles? Nie hinter das Geheimnis kommen, blieb ihr liebster Gedanke. Ohne Wissen wäre alles den gewohnten Bahnen nachgegangen. Nami trauerte einem Märchen nach. Einem für sie realen, in dem sie mit der Frau ihrer Träume lebte, mit ihren Freunden Spaß hatte. In einem, in dem sie das Leben in vollen Zügen genoss und in der sie die niederträchtige Realität in Filmen mit dem nötigen Abstand betrachtete. Eingepackt in alltägliche, im Vergleich langweiligen Dramen. Ein von Perona genervter Zorro. Arlongs nervige Visage. Vivis unsterblich erscheinenden Gefühle Ruffy gegenüber. Sanjis Frauenprobleme. Oder liebend gern würde sie sich gerade mit Vergo streiten. Nami liebte die kleine Welt. War eine Rückkehr möglich? Bei all den Hintergründen? Brummend bog sie ums Eck, der nächste kalte Windstoß kam auf. Wenigstens war sie am Ziel und rasch betrat sie das Café. Gut gefüllt, aber nicht überfüllt. Vor Venedig kam sie oft hierher, nahm sich meist einen Kaffee für unterwegs mit oder saß schon mal da und beobachtete. Andere Gäste oder die vorbeigehenden Passanten. Ihre Freunde zogen andere Orte vor, der blieb ihr allein vorenthalten. Heute entschied sie für einen Tee, hoffend er half gegen die Kälte. Trotz der Handschuhe froren ihre Hände, wie der restliche Körper. Ihr war ständig kalt. Gutgelaunt wie jedes Mal nahm die Kellnerin ihre Bestellung auf. Während des Aufenthalts kam Nami fast jeden Tag vorbei, die Frau kannte sie mittlerweile. Müsste nach ihrem Umzug angefangen haben, denn Nami hatte sie vorher nie bemerkt. Als sie den Tee brachte, schenkte sie Nami ein wärmendes Lächeln. Sie strahlte eine Leichtigkeit aus. Wahr oder falsch? Verbarg sich hinter der Fassade ein dunkles Geheimnis? Oder war sie eben eine Frohnatur? Eine Frohnatur … Neid spielte mit. Bisschen erbärmlich, findest du nicht?, hörte sie ihre innere Stimme. Erbärmlich. Passend. Zurück zu ihrem alten Gemüt finden. Wäre einfacher. Daher folgte sie der Verlockung und hoffte inständig auf Bau einer undurchdringbaren Mauer. Robin für immer einsperren bis die Zeit ihre Arbeit vollstreckte und sämtliche Erinnerungen und Gefühle fortspülte. „Hey.“ Nami holte Luft. Je schneller desto besser. Von einer Sekunde auf die nächste. „Hallo Robin.“ 1. Dezember 2012 Ungeduldig und fuchsteufelswild trat sie auf der Stelle. Was brauchte er so lang? Irgendjemand durfte ihre Wut ausbaden. Zorro hatte sie vorerst perfekt aus der Schusslinie genommen. Ein Anruf. Ein kurzer Anruf. Leider hatte er all ihre Sorgen bestätigt. Mit einer Absage konnte Nami mittlerweile recht gut leben. Das war sie gewohnt, manchmal blieb Robin kurzfristig länger oder musste vereisen. Sagte Robin jedoch ab und meldete sie gar nicht mehr … an der Sache war etwas faul. Den ganzen Tag schon spielte ihr Kopf sämtliche Horrorszenarien ab. Eine hatte sich bewahrheitet. In der Nacht verdammt! Nun war Nachmittag und Nami hatte sich direkt von der Arbeit hierher begeben. Erst wollte ihr Zorro nicht mal Auskunft geben, ihr die Adresse verschweigen. Was für ein Haufen Idioten! Als die Türe endlich aufging, kam Franky nicht zu Wort. Automatisch schob sie sich an dem Mann vorbei, dem sie absichtlich einen kräftigeren Schubser gab. „Habt ihr sie noch alle? Was baut ihr für ne Scheiße?! Wenn ihr schon ein Besäufnis veranstaltet, schaut selbst wie ihr zurückkommt!“ Vorwürfe, die er sich anhören musste. Wären er und Kaku nicht gewesen … sie könnte ihnen die Hälse umdrehen. Brummend schloss Franky die Türe. „Dir auch einen guten Tag. Danke der Nachfrage, mir geht’s den Umständen entsprechend.“ Erbost blickte sie hoch. Natürlich war sich erleichtert, dass ihnen nicht mehr passiert war. Doch spielte das gerade eine untergeordnete Rolle. Ohne diese Weichbirnen wäre Robin nicht verletzt worden. „Du lebst, du kannst Sprüche reißen. Freut mich, wo ist Robin?“ „Dein Charme ist unwiderstehlich“, murmelte er, zeigte allerdings keinen Widerstand. „Sie ist oben. Zweite Tür links.“ Nickend folgte sie seiner Beschreibung, nachdem sie sich ihrer Jacke und den Schuhen entledigt hatte. Vermutlich würde sie ihm später noch die Leviten lesen. Unfälle geschahen, aber dieser war zu vermeiden gewesen. Unaufhörlich dachte sie daran, wenn sie an die Verletzungen ihrer Freundin dachte. „Hey“, sagte sie leise, mit sanfter Stimme. Draußen herrschte längst Dunkelheit. Eine Lampe bot wenig Licht. Gedimmt, aber ausreichend. Langsam begab sie sich zum Bett und Nami stockte der Atem. Blutergüsse. Wenn die Spuren in Robins Gesicht schon deutlich erkennbar waren, wie sah ihr restlicher Körper aus? Zorro hatte ihr einen raschen Überblick gegeben. Hören und sehen waren zwei verschiedene Dinge. Es tat weh, allein die Vorstellung welche Schmerzen sie litt. An der Bettkante ging sie in die Knie. „Was macht ihr Blödsinn?“, kam kaum hörbar über ihre Lippen, während sie langsam ihre Hand ausstreckte und Robin vorsichtig eine Strähne zurückstrich. Wenige Tage zuvor hatte sie ihre Freundin mit Fieber noch ins Bett zwingen müssen. Robin hatte sich als schlechte Patientin ausgezeichnet. Dieses Mal brauchte Nami bestimmt keine Überzeugungsarbeit leisten. Es dauerte bis Robin träge die Augen öffnete und irritiert die Brauen zusammenzog. „Warum bist du hier? Wer hat’s dir gesagt?“, fragte sie in einem ungewöhnlichen Tonfall. Glaubte Nami etwas wie Unsicherheit und vielleicht sogar Furcht herausgehört zu haben? Bestimmt täuschte sie sich. Gab schließlich keinen Grund. Nami lehnte vor, küsste sie sanft auf die Schläfe. „Dummerchen. Denkst du, ich lasse dich allein? Warum habt ihr euch nicht früher gemeldet?“ Als ob relevant war, wer was sagte. Einzig und allein die Information, die Anwesenheit zählte. „Bisschen Schlaf und ich bin topfit. Versprochen.“ „Du bist unverbesserlich“, lachte Nami. Kopfschüttelnd erhob sie sich, nur um sich ins Bett zu legen. Vorsichtig legte sie den Arm um Robin, küsste ihre Schulter. „Jag mir bitte nie wieder so einen Schrecken ein“, murmelte sie und festigte den Griff, dennoch bedacht keine unnötigen Schmerzen zu bereiten. „Tut mir leid“, kam die leise Antwort. Da spürte sie Robins Hand an ihrem Arm. „Es tut mir wirklich leid.“ Nami hob den Kopf als sie ein Zittern vernahm – weinte Robin? Kannte sie ihre Freundin emotionaler? Gewiss. Allerdings war das Weinen neu. Nie hatte sie sich so gehen lassen. Traurig, niedergeschlagen, aber keine Tränen. Dumpf hüpfte ihr Herz. „Hey, alles in Ordnung, du hast selbst gesagt, ein bisschen Schlaf und alles wird gut“, wisperte sie, verteilte federleichte Küsse, während sie Robin festhielt. „Ich bin da. Ich werde immer da sein.“ „Du weißt, dass ich dich liebe, oder?“ Nami schluckte den Kloß hinunter, verstand nicht, warum sie sich so komisch verhielt. Steckten Schuldgefühle dahinter? Das Absagen ihrer Verabredung? Das fehlende Melden? „Und ich dich, was auch passiert.“ Wie konnte sie diese Frau nicht lieben? Ihr nicht bei allem beistehen? Minuten übe sprach Nami leise auf ihre Freundin ein, bis sie sich irgendwann beruhigte. 28. Februar 2013 Neutral und öffentlich. Ihre Treffpunkte wählte sie bewusst. Hier traf sie nie Bekannte. Hier blieben sie ungestört und doch nicht verborgen. Nami konnte jederzeit gehen und Robin würde kein Aufsehen erregen. Niemals inmitten anderer Menschen. „Danke“, sagte Robin nur als ihr Kaffee gebracht wurde. „Du gefällst ihr“, gab sie beim ersten Schluck zu bedenken. Einen Kommentar, den Nami mit einem spöttischen Lächeln quittierte. „Ist dir nicht aufgefallen, wie sie dich ansieht? Meine Anwesenheit missfällt ihr.“ „Suchst du deine Nachfolgerin oder was bezweckst du?“ „Du redest mit mir und siehst mich mal an.“ Nami hob ihre rechte Braue. Tat sie und nur kurz fand sie das Augenpaar der anderen. Punkt für Robin. An Smalltalk hatte sie kein Interesse und was wollte sie Robin sagen? Wo fing sie an? Etliches hatte sie sich zurechtgelegt. Umso mehr hatte sie auf einen klaren Verstand gehofft, doch was machte der? Verabschiedete sich und hinterließ gerade eine gähnende Leere. Was funktionierte stattdessen? Natürlich ihr Herz. Das in bloßer Gegenwart schneller schlug und ihren Körper anstiftete. Diese dummen Gewohnheiten. Rasch fügten sie sich ein. Ein Kuss zur Begrüßung, Nähe suchen, einfache Berührungen und Blicke. Recht unspektakuläre Gesten, die zur Normalität werden und Irritation auslösten, wenn sie ausblieben. Was hatte sich die Natur bloß bei dem Mist gedacht? „Was meinen Aufenthalt angeht … du hast dir den Kopf darüber zerbrochen, dir sämtliches ausgemalt, oder?“, nahm Robin ihrerseits das Gespräch in die Hand. Sie rückte die Tasse zur Seite und beugte sich vor. „Erinnerst du dich an meine Worte? Ich halte mich an sie. Dir würde ich nie ein Haar krümmen. Ehrlich gesagt, habe ich nicht gedacht, er würde von mir erzählen.“ Tat Vergo auch nicht. „Bellemere“, korrigierte sie. „Vergo hat dich ihr gegenüber erwähnt und sie wiederum zählt eins und eins zusammen.“ Hörbar holte Robin Luft und Namis Blick blieb an ihrem Schlüsselbein haften. Bellemere sah ihn ihr nicht länger die perfekte Kandidatin, die Vergo in die Knie zwang. „Was hast du Vivi gesagt?“ „Nichts. Ich habe sie abgewimmelt.“ Nickend trank Nami den Tee. Somit blieb ihr jede Ausrede offen. Sobald sie nach Venedig zurückkehrte, würde sie das Gespräch suchen. Sich entschuldigen. Für das Schweigen, das überstürzte Abreisen. Vivi hatte nichts Falsches getan. „Du hast mich von Anfang an gewarnt. Du bist prinzipiell gegen Beziehungen, hast dich mir zuliebe verbogen. Das eine führte unweigerlich zum anderen. Die Jungs haben was mitbekommen, aber haben sich für Neutralität entschieden. Mir stieß das sauer auf und brauchte Zeit für mich, fertig. Simpel, oder?“, ratterte sie nüchtern herunter. Nami, die unsterblich verliebt war, brauchte abseits des Trubels Zeit und Ruhe, um das Aus zu verarbeiten. Was Vivi verstehen dürfte, sie wusste um die Gefühle ihrer Freundin. Weitere Fragen würde Nami einfach im Keim ersticken, denn Vivi dachte leider eine Spur zu viel, suchte und forschte. In anderen Themen mochte Nami ihre Art. In dem Fall war sie gefährlich, obwohl kein Grund vorhanden war, warum Vivi jemals auf dieses Geheimnis stoßen sollte. Ermüdet fuhr sie sich durchs Haar. „Wir werden wieder Fremde. Du lebst dein Leben, ich das meine. Alles zurück auf Anfang.“ Zurücksetzen. Wie ein Gerät. Der Unterschied lag einzig in der Umsetzung. Arbeit stand bevor. Dieser Blick. Nami spürte ihn auf sich. Als ob Robin alles bis auf sie ausblendete. Manchmal fühlte sie sich wie eine Beute, die bei allem vom Jäger beobachtet wurde. „Bist du dir sicher? Möchtest du uns wirklich aufgeben?“, hörte sie gedämpft. Ihre Aufmerksamkeit litt, denn zeitgleich hatte Robin nach ihrer Hand gegriffen. Hielt sie fest, während ihr Daumen sanft über den Rücken glitt. Gerade zählten lediglich ihre Hände. Nami kämpfte. Nicht nachgeben. Nichts tun. Der Impuls war da. Eine schlichte Geste. Eine Hand umfasste eine andere. Unzählige Male hatte sie diese gehalten, ob beim Gehen oder wenn sie beieinander lagen, versunken in Gespräche, beim Schauen eines Films, im Bett. Sie mochte Robins Hände. Hatte sie immer schon. Blinzelnd löste sie sich, schloss die Augen zur Gänze. Es war, als ob sie erst in dieser Sekunde, mit diesem einen Atemzug den Geruch der anderen erstmals wahrnahm. Robin überließ nichts dem Zufall. Es roch nach ihrem Lieblingsparfüm. Erinnerung um Erinnerung. Mit Robin schien alles perfekt, aber Perfektion ist ein unerreichbares Konstrukt. Erinnerungen oder doch eher Tagträume? „Nami?“ Ruckartig löste sie die Starre, zog die Hand zurück. An derselben Hand klebte Menschenblut. Dieselbe Hand führte Morde aus. Der Druck in ihrer Brust kehrte zurück. „Warum bist du nicht einfach mit einem billigen Flittchen ins Bett gestiegen?“, warf sie verletzt vor, stand auf und ließ Robin zurück. Luft, sie brauchte Luft zum Atmen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)