The Darkness Inside Me von robin-chan ================================================================================ Prolog: Sangue. --------------- Blut     30. Jänner 2013   Blut. Die warme, rote Flüssigkeit floss am leblosen Körper hinab. Starre, glanzlose Augen starrten ihrem Peiniger entgegen. Vergnügtes Lachen durchdrang die Stille. Ein Mann, schwarz gekleidet mit einem Zylinderhut, trat nah an die Leiche heran, schien sich jedes erdenkliche Detail einzuprägen. Blut. Er liebte es. Ihm gierte danach. Der Geruch stieg ihm in die Nase, versetzte ihn in leichte Ekstase. Nicht, dass er seinen Auftrag vernachlässigen würde, mit Sicherheit nicht, doch die wenigen Minuten vor und nach dem Tod, die wollte er sich im Gedächtnis behalten. Nicht unweit, ein paar Schritte entfernt, stand eine großgewachsene Frau. Im Gegensatz zu ihrem Partner, missfiel ihr die Situation. „Wir sollten gehen, komm“, sprach sie gepresst und besah sich die Umgebung. Je länger sie sich an diesem Ort befanden, desto größer die Möglichkeit einer unerwarteten Änderung. „Nur die Ruhe“, entgegnete der schwarzhaarige Mann emotionslos und wandte sich von der Leiche ab. „Warum die Hektik? Niemand wird nachts, einen alleinstehenden, alten Mann vermissen. Wir haben alle Zeit der Welt.“ „Dennoch. Lass uns gehen, Lucci“, ermahnte die Frau erneut. Mit Abscheu warf sie einen letzten Blick auf ihren Auftrag, verspürte den Ekel, der sich in ihrem Innersten ausbreitete. Mit diesem Partner zog sie ungern los. Er lechzte zu sehr nach Blut. Nicht sie. Sie tötete schnell, präzise, ohne das kostbare Lebenselixier zu vergießen. „Von mir aus, aber entspann dich. In letzter Zeit wirkst du unruhig, nicht bei der Sache.“ „Du irrst dich“, sprach die Frau kalt. Mit Vorsicht verließen sie das Anwesen, entfernten jede noch so kleinste Spur, die auf ihr Eindringen hinweisen könnte. „Manchmal bist du rätselhafter, als es sonst der Fall ist. Ist dir das bewusst, Nico Robin?“   Kapitel 1: Benvenuta! --------------------- Willkommen! 10. Februar 2012   Fröstelnd zog die junge Frau den Zip ihrer Jacke nach oben, als ihr der kalte Abendwind entgegen wehte. Aufmerksam beobachtete sie die Menschenmenge, die sich durch die Gasse bewegte. In dieser erkannte sie allen voran gut gelaunte, lachende Gesichter. Obwohl die Temperatur seit ihrer Ankunft rapide gefallen war, schien sich niemand stören zu lassen. Wartend tapste sie von einem Fuß auf den anderen. „Tut mir leid, Nami, aber wenn mein Vater ein Gespräch anfängt, dann ist er kaum zu bändigen“, hörte sie ihre Freundin, die seufzend vor die Haustüre trat und diese abschloss. Ein Lächeln zierte die Lippen der Angesprochenen. „Kein Problem. Er ist tatsächlich äußerst gesprächig“, antwortete Nami und sah, wie Vivi belustigend die Augen verdrehte. „Jedenfalls dann, wenn es um seine Fürsorge oder Neugierde geht. In diesem Fall kann er sehr hartnäckig sein. Beinah als wäre ich eine Prinzessin, die beschützt werden muss. Pass auf. Tu das nicht. Mit wem trefft ihr euch? Wann seid ihr zurück? Immer dieselben Sprüche. Mich wundert es, dass ich noch keine persönliche Leibwache habe. Wart nur ab. Ich wette mit dir, dass du diese Fragen in den nächsten Tagen öfter zu hören bekommen wirst.“ Nami lachte herzhaft auf und nahm leichtfüßig die paar Stufen hinunter zur Straße. „Keine Sorge, ich weiß mich zu wehren.“ Diesen Part hatten ihre Eltern kaum eingenommen. Die meiste Zeit über waren sie geschäftlich unterwegs. Vielmehr lag es an ihrer Schwester aufzupassen, dass Nami keinen Unfug anstellte. Manchmal fragte sie sich, wer eigentlich ihre Erziehung übernahm. „Wenn ich mich umsehe, kann ich mir gar nicht vorstellen, dass das tatsächlich zu Venedig gehört. Es wirkt so, normal?“, bemerkte sie verwundert und wartete, bis Vivi aufgeschlossen hatte. Diese grinste verschmitzt und hakte sich bei Nami unter. „Das ist der Vorteil an Castello. Dieser Stadtteil zeigt ein anderes, normales Leben, fern der Tourismusorte. Hier ist es angenehm ruhig. Touristen findest du wenige, höchstens im Sommer ist mehr los, da es sich auf den Weg nach Lido befindet. Alles andere spielt sich in den übrigen Stadtvierteln ab, insbesondere natürlich in San Marco. Bist du dort unterwegs, kann es passieren, dass du täglich mehrmals nach dem Weg gefragt wirst, obwohl alles voller Schilder ist. Eigentlich ist es unmöglich die Sehenswürdigkeiten zu übersehen. Eher sind sie faul zu lesen“, erklärte sie ruhig und verzog gegen Ende hin das Gesicht. Nami hatte während des Zuhörens ab und an genickt und betrachtete weiterhin die Umgebung. „Wenigstens habe ich meine persönliche Reiseleiterin, die ich ruhig fragen kann.“ Die Blauhaarige setzte ein breites Grinsen auf und zog Nami regelrecht mit sich. „Stets zu Diensten. Es war an der Zeit, dass du mich endlich besuchen kommst. Nach all den Jahren, die wir uns nun kennen, hast du dich nie hierher aufgemacht.“ Schuldig ließ Nami den Kopf sinken, kratze sich an der Wange. „Ja, ich weiß. Immerhin musste ich erst meine Sprachkenntnisse verbessern“, entschuldigte sie sich leicht lächelnd und spürte, wie ihr Vivi in die Seite kniff. „Red‘ keinen Stuss, mir machst du nichts vor. Soweit ich weiß, sprichst du auch mein Indisch, warst aber zwei Wochen lang dort“, konterte die Schülerin gekonnt und schüttelte den Kopf. Womöglich gab es andere Gründe über die Vivi nicht Bescheid wusste. In manchen Dingen verhielt sich Nami sehr bedeckt. Doch vorerst genoss sie den Besuch ihrer Freundin, zum Reden gab es in der kommenden Woche reichlich Zeit. „Nun ja, da ich die Anlage kaum verlassen habe, brauchte ich keine Kenntnisse“, entgegnete die Orangehaarige. Keine passende Ausrede, klar, aber etwas Besseres fiel ihr dazu nicht ein. Vivi hatte keinerlei Ahnung über ihre derzeitige Lage, darüber wollte sie vorerst kein Wort verlieren. „Schon gut, schon gut. Keine Sorge, du machst das schon.“ Bei diesen Worten kniff Nami ihre Augen zusammen. Aus den Erzählungen konnte Vivi herauslesen, dass die Leute, die sie in wenigen Minuten kennenlernte, nicht zu dem Freundeskreis gehörten, den sie erwartete. Daher befürchtete die Schülerin ein kleines Debakel. Solange sie sich ohne Hände und Füße unterhalten konnten, konnte sie damit Leben. Denn in den letzten Jahren hatte sie wenig mit dieser Sprache zu tun gehabt. Resignierend seufzte sie auf. „Kurz, es spricht keiner eine andere Sprache? Ich bin geliefert, wenigstens habe ich eine Dolmetscherin.“ An einem der Kanäle kamen sie schließlich zum Stillstand. Verwirrt sah Nami abwechselnd nach links und rechts. „Worauf warten wir?“ Vivi blickte auf ihr Mobiltelefon und ließ sich auf einem Pfeiler nieder. „Lysop. Er bringt uns durch die Stadt. Abends arbeitet er als Wassertaxi-Fahrer, da seinen Eltern ein kleines Unternehmen gehört. Ansonsten laufen wir hier ewig rum und je näher wir dem Zentrum kommen, desto voller wird es“, erklärte sie nüchtern und hatte bereits geahnt, dass er es nicht ganz pünktlich schaffen würde. „Und um auf deine Frage zurückzukommen. Warte ab. Du wirst überrascht sein. Diese Truppe hat weitaus mehr auf dem Kasten, als du dir denkst. Du wirst dich mit Sicherheit verständigen können. Bis auf Bonney ist niemand in diesem Land geboren.“ Interessiert verschränkte Nami die Hände vor der Brust und legte den Kopf schief. „Weiter? Du hast mir von ihnen eigentlich noch nicht sehr viel erzählt“, hakte sie sofort nach und verzog leicht den Mund. „Diese Leute kenne ich selbst noch kein Jahr. Sie sind speziell. Doch ich habe sie in dieser kurzen Zeit lieb gewonnen und sie bedeuten mir bereits mehr, als meine restlichen Freunde, die ich aus der Schule oder von früher kenne. So gesehen passen sie nicht in das Schema eines Mädchens, das ihre Lebensjahre auf elitären Schulen verbrachte. Sie sind bodenständig und keine Ahnung, sie lassen mich eine Seite zeigen, die ich anderswo nicht kann, ohne wirre Blicke zu ernten.“ „Deshalb gehen wir in diese Bar?“ Vivi nickte und ein verträumtes Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus. „Richtig. Zorro arbeitet dort jedes Wochenende. Daher ist es ein Art Treffpunkt geworden.“ Zuhörend ging Nami in die Knie um auf Augenhöhe zu sein. „Also möchtest du mir sagen, dass ich vermehrt die ausgeflippte, lockere Version von dir sehen werde?“ Bereits auf der Schule hatte Vivi meist zwei Seiten gezeigt. Während des Unterrichts, als sie in Gesellschaft der anderen waren, zeigte sie sich ernst, schüchtern, pflichtbewusst. Kaum ließ man die Leute hinter sich und war in den Ausgangszeiten in der Stadt unterwegs, blühte sie förmlich auf und hatte ab und an den Drang alberne Dinge zu tun. „Darauf kannst du wetten“, lachte Vivi und tippte Nami auf die Stirn, ehe sie ein Boot und dessen Fahrer erkannte. „Endlich“, murmelte sie. Schwungvoll sprang Vivi auf die Beine und lächelte dem Schwarzhaarigen entgegen. „Ich dachte, du tauchst gar nicht mehr auf“, scherzte sie und setzte ein Lächeln auf. „Tut mir leid. Die letzte Fahrt war ans andere Ende und es ist noch viel los, musste einige Seitengassen nehmen“, entschuldigte sich Lysop, ein schmaler junger Mann, der eine äußerst markante Nase besaß. Seine Locken hatte er unter einem Hut versteckt und Nami musste sich bei seinem ängstlichen Eindruck ein Grinsen verkneifen. „Sooft, wie du mir bereits aus der Klemme geholfen hast, wenn ich spät dran war, kein Thema.“ Er lächelte erleichtert und half den beiden ins Boot. „Ich bin Lysop, du kannst mich gerne Käpt’n nennen“, stellte er sich breit grinsend vor und plusterte sich dabei auf. Lachend streckte sie ihm die Hand entgegen. „Nami. Äußerst schnuckliges Bötchen, Käpt’n“, bemerkte sie neckisch als sie sich setzte und nach hinten lehnte. „Pff, das ist nur mein Arbeitsboot, niemand soll Wind davon bekommen, dass ich eine ganze Armada in petto habe“, entgegnete er erhaben. Vivi verkniff sich ein Glucksen und spähte zu Nami, die ein Bein über das andere gab. „Natürlich, Käpt’n. Ich werde dieses Geheimnis gut verwahren“, spielte Nami mit und schüttelte den Kopf. Die Fahrt verlief ruhig und bot Nami einen netten Überblick über Teile der Stadt. Sie fuhren durch diverse kleinere Kanäle. Lysop erklärte, dass er um diese Zeit den Canale Grande noch, sofern es möglich war, vermeiden wollte. Auf diesem spielte sich zum Karneval noch mehr ab, als es sonst der Fall war. Vor allem um die Uhrzeit. Zwischendurch erzählte Lysop einige Geschichten, die er von sich gab, als fanden sie tatsächlich statt. Sie boten Unterhaltung und Nami fragte stets nach, wodurch er sich angespornt fühlte, sich mehr Details einfallen zu lassen. Am gewünschten Ziel angekommen, verabschiedeten sie sich voneinander und die Frauen blickten Lysop grinsend hinterher. „Ein ulkiger Typ“, murmelte Nami. Ihre Freundin zuckte daraufhin mit der Schulter und zog die junge Frau erneut hinter sich her. „Er ist eben ein Lügenbaron. Ein netter Kerl, leider zu nett“, meinte sie seufzend und strich sich eine Strähne hinter das Ohr. Der Gedanke, dass er endlich eine andere Seite aufzog, breitete sich einmal mehr in ihr aus. Dafür kannte sie den jungen Mann jedoch viel zu gut, nie würde er seine Einstellungen verändern. „Wieso? Woher kennst du ihn?“ Vivi hielt kurz inne, reckte den Kopf in die Höhe und versuchte ein paar Sterne zu entdecken. „Wie soll ich sagen. Oft hielt er sich vor meiner Schule auf. Grund dafür ist Kaya, eine Mitschülerin und auch gute Freundin, die ich seit meiner Kindheit kenne. Lysop macht ihr sozusagen den Hof, er ist verliebt, sehr sogar. Anfangs traute er nie sie anzusprechen, manchmal brachte er ihr Blumen mit und lief davon. Irgendwie süß, aber das bringt nichts. Sie sieht ihn nicht, ignoriert seine Versuche gekonnt. Kaya lebt in, sagen wir, unserer Welt. Wie Corsa und andere meiner Schulfreunde, hält sie sich eigentlich nur in dieser Schicht auf. Vor einem Jahr war ich mal spät dran und er fuhr vorbei, nahm mich mit und wir kamen eben in ein Gespräch. Seither brauche ich ihn lediglich anzurufen. Er kommt und macht es sogar als Freundschaftsdienst, vor allem weil ich hinsichtlich Kaya seine beste Ansprechperson bin, obwohl ich ihm rate von ihr abzulassen. Keine Chance.“ Nami hatte aufmerksam zugehört und blickte nochmals in die Richtung, in die der junge Mann verschwunden war. Hörte sich alles andere als gut an. „Autsch, unerwiderte Liebe,…, er macht sich nur selbst kaputt“, murmelte sie und konnte sich in seine Lage versetzen. Sie selbst hatte das Problem bereits durchgemacht. Niemand beherrschte seine Gefühle und umso mehr verletzte es, wenn die gewünschte Person diese nicht erwiderte. Vor allem hörte sich die Erzählung danach an, dass sie ihn komplett zur Seite schob und ihm keinerlei Aufmerksamkeit schenkte, gar nichts. „Er kann wohl nicht anders. Das Ganze geht seit drei Jahren so, ohne eine Besserung, gar nichts“, entgegnete Vivi und seufzte tief. „Drei?!“, kam es geschockt und Nami stieß einen Pfiff aus. „Er braucht dringend ein anderes Objekt der Begierde.“ „Alles schon probiert, in dieser Sache lässt er nicht mit sich reden.“ „Das muss Liebe sein“, betitelte sie das Ganze und folgte Vivi, die blindlings durch die Gassen schlenderte. Je mehr sie sich von den größeren Straßen entfernten, desto ruhiger schien es zu werden und nur vereinzelte Passanten kamen ihnen entgegen. Neugierig sah sich Nami immer wieder um, obwohl die Kälte den Wunsch nach einer Wärmequelle größer machte. „Eigentlich ist hier mehr los. Die Leute sind jedoch noch ein wenig verteilt, da die Vorführungen weiterhin andauern“, erklärte sie erneut und hielt vor einem Haus inne. Die Fassade gab kaum aufschlussreiche Informationen preis, vielmehr sah sie aus, wie alle anderen, ein wenig am Bröckeln und Renovierungsbedürftig. „Dann mal ab ins Vergnügen?“, kam es etwas zögernd, da sie sich vor dem Unwissenden doch ein wenig Angst verspürte. Etwas, das Vivi mitbekam. Normalerweise hatte sie kein Problem damit vollkommen neue Menschen kennenzulernen, doch hierbei war es anders. „Entspann dich, Nami.“ Aufmunternd strich sie ihr über den Rücken, ehe sie sanft lächelnd vorausging. Abwartend folgte Nami, nun musste sie durch. Eigentlich verspürte sie durchaus Neugierde. Immerhin wollte sie jene Leute kennenlernen, die Vivi zu Veränderungen führten, die sie seit jeher erhoffte. Schließlich hatte sich diese zu lange hinter einer Fassade versteckt. Kaum trat sie ein, fühlte sie die wohlige Wärme, die entgegen kam. Im Inneren sah sie sich neugierig um und der erste Eindruck war durchwegs positiv. Nach dem Äußeren durfte sie hierbei wahrlich nicht gehen. Das Licht war gedämmt und strahlte eine Wärme aus. Aus der Musik konnte sie erkennen, dass hier wohl eher heimische gespielt wurde als ausländische Lieder. Mit der Größe trumpfte diese Bar nicht auf, dafür jedoch mit der Beschaulichkeit und allem voran mit einer angenehmen Atmosphäre. Nami entledigte sich ihrer Jacke und marschierte Vivi hinterher, die schnurstracks den Weg zur Theke suchte, wo sie ein großgewachsener Mann, mit kurzen Haaren begrüßte. Als sie näher trat, erkannte sie eine Narbe, die sich über sein linkes Auge zog. „Ciao. Mi chiamo Zorro. Sei Nami? Vivi ha raccontato molto da te. Dimmi. Che cosa prendi?” Nami musterte den Mann seufzend und erkannte sein durchwegs breites Grinsen. Nebenbei trocknete er ein Glas ab. Schwungvoll ließ sie sich auf einen der Hocker nieder. „Davvero?”, antwortete sie und spähte zu Vivi, die unschuldig lächelte. „Vorrei una birra, per favore.” Worauf hatte sie sich hier tatsächlich eingelassen? Sollte der gesamte Abend auf diese Weise verlaufen, dann wäre sie bald mit ihren Kenntnissen am Ende und durfte sich mit Händen und Füßen verständigen. Einfache Gespräche funktionierten halbwegs, doch in die Tiefe? Dabei hatte sie wahrlich schlechte Karten. Zorro tauschte mit Vivi einen belustigenden Blick aus. „Darf ich dir einen Spritz empfehlen? Ist hier, wie soll ich sagen, ein heimische Spezialität. Die Leute stehen drauf, frag mich bitte nicht warum“, schlug der Barkeeper schließlich vor und stützte seinen Kopf grinsend am Tresen ab. Entgeistert starrte sie diesen an, merkte wie ihr nach und nach die Gesichtszüge entglitten. „Sag bloß, ich habe mich bereits blamiert und du gibst bereits auf?“, brummte die junge Frau und zog eine schmollende Miene auf. Zorro lachte. „Nein, aber wie mir Vivi mitgeteilt hat, scheinst du mächtigen Bammel zu haben“, meinte er neckend und stieß sich vom Tresen ab, um sich das nächste Glas zur Hand zu nehmen. „Nein, ich bin lediglich,…, unsicher, ungeübt.“ Zorro nickte langsam und schien sichtlich amüsiert. „Unsicher, verstehe. Du hast Glück, dass ihre Freunde mehrsprachig veranlagt sind. Ansonsten hättest du dich anstrengen müssen.“ „Nun ja“, warf Vivi ein und sah provokant zu Nami hinüber. „Wenn wir gemein wären, könnten wir dennoch darauf zurückgreifen, dann müsste sie sich endlich mal ernsthaft damit auseinandersetzen.“ Von dieser Idee war Nami tatsächlich alles andere als begeistert. Auch, wenn sie an einem wichtigen Fakt dachte, wollte sie sich vorerst nicht damit abringen. „Vergiss. Es.“, konterte sie grinsend. Im Grunde sprach eigentlich nichts dagegen, die Übung brauchte sie, doch am heutigen Abend hatte sie kein Interesse daran, zu viel nachdenken zu müssen, obwohl sie natürlich wusste, wohin sie fuhr und wie dort kommuniziert wurde. „Schon gut. Wo ist der Rest?“, fragte Vivi schließlich Zorro, der einen Blick auf die Wanduhr warf. „Puh, soweit ich weiß, wollten Ruffy und Bonney noch einen Bummel machen. Die Touristen sind noch eine Weile unterwegs und sie hoffen auf ein wenig Kohle. Sanji müsste eigentlich längst hier sein und bezüglich der Irren, keine Ahnung. Wenn ich Glück habe, bleibt sie gänzlich fern.“ Gegen Ende hin hatte er merklich sein Gesicht verzogen. Bei dem Gedanken an diese Frau bekam er regelmäßig Kopfschmerzen. Vivi nickte und nahm freudig ihr Getränk entgegen. „Irre?“, hakte Nami nach und lächelte ihm entgegen, als er ihr das Glas hinstellte. „Perona. Ich sag es dir, die Kleine tickt nicht richtig“, meinte er ernst und sah sich um als würde er beobachtet werden. „Das ist ein Stalker der Extraklasse. Ihr habe ich zwar Vivis Bekanntschaft zu verdanken, aber sie selbst? Die Pest war nichts dagegen“, erklärte er weiter und schüttelte den Kopf. Nami verstand nicht wirklich und hörte schließlich wie Vivi sich zu Wort meldete. „Du übertreibst maßlos, Zorro. Sie ist nett, speziell, aber nett. Du gibst ihr nie eine Chance!“ „Speziell? Speziell?! Du kennst die Voodoo-Puppe!“ Er erkannte Namis Verwirrung und beugte sich ein wenig zu ihr. „Du hast richtig gehört. Sie hat hie und da so eine Puppe dabei, die Merkmale von mir aufweist. Die hat ernsthaft drei Ohrringe! Ich hab sogar schon gesehen, wie sie mit der gesprochen hat. Wenn die in meiner Nähe ist, läuft sie mir auf Schritt und Tritt nach. Wie viel Facebook-Accounts hat die eigentlich? Ich bekomm jeden Tag eine Einladung oder Nachrichten, obwohl ich sie ständig blockiere!“, sprach er aufgebracht und wandte sich bei seiner Erzählung wieder Vivi zu. Diese trank gerade und verschluckte sich dabei. „W-was?“, fragte sie nach, während sie mehrmals hustete. Nami fand die Situation allmählich amüsant und blickte regelrecht abwechselnd zwischen ihnen hin und her. „Woher soll ich das wissen?“ „Du bist mit ihr befreundet!“, sprach er ein wenig lauter und fuchtelte wild mit seiner freien Hand. „Du auch!“ „Nein, ich habe sie durch Bonney und dich an der Backe.“ Dabei verstummte Vivi und widmete sich erneut ihrem Getränk. Zorro hatte auf ganzer Linie gewonnen. Seine Worte entsprachen der Wahrheit. Soweit man ihr erzählt hatte, kannte er ihre Mitschülerin allen voran durch Bonney. Vorher hatten sie nichts miteinander zu tun gehabt. Spielerisch ergötzte sich Zorro an seinem kleinen Triumph. „Oi Zorro“, ertönte plötzlich eine männliche Stimme und ein Schwarzhaariger mit Strohhut kam angerannt. Aufgedreht, klopfte er mit seinen Handflächen auf die Theke. Der Angesprochene verdrehte die Augen. „Due pizze e una birra. Subito, subito!“, quasselte er quirlig drauf los und achtete kaum auf seine Umgebung. „Darf ich vorstellen, Ruffy“, flüsterte Vivi in Namis Ohr, die den Jungen etwas skeptisch betrachtete. „Wirkt auf mich wie fünfzehn“, antwortete sie daraufhin und musterte ihn gründlich, wodurch sie ebenfalls eine Narbe erkennen konnte, die sich unter dem linken Auge befand. Diese Seite hatte hier wohl eine Tradition. „Ja, anfangs denkt niemand, dass er neunzehn Jahre alt ist, aber ist er nicht süß?“ Wie in Zeitlupe drehte Nami den Kopf um Vivi direkt ansehen zu können. Vorsichtig zeigte ihr Finger auf Ruffy, woraufhin die Blauhaarige verlegen nickte. Nami fiel die Kinnlade hinunter. „Ruffy!”, rief eine Frauenstimme aufgebracht. Neugierig wandte Nami den Kopf zur Seite und sah, wie eine junge Frau auf den Strohhutjungen zukam um ihn eine Kopfnuss zu verpassen. Als dies getan war, staunte Nami nicht schlecht, denn sie zog dieselbe Seite auf, wie es bei Ruffy eben der Fall gewesen war. „Zorro…? Ho fame“, gab diese gespielt theatralisch von sich und hielt sich ihren Bauch. Diese Frau zeigte keine besseren Manieren, schien genauso verfressen wie der Junge, der sich wütend bei dieser über die Kopfnuss beschwerte. „Sind die beiden Zwillinge?“, fragte sie nach, denn diese Ähnlichkeit war beinah beängstigend. Vivi schüttelte lachend den Kopf. „Nein, mit Sicherheit nicht. Sie sind sich einfach sehr, sehr ähnlich. Vorbei sie sogar die besseren Manieren aufweisen kann, jedenfalls, wenn sie es möchte. Glaub mir.“ „Ach ja? Wie groß sind die Pizzen?“ „Groß“, deutete Vivi an und zuckte mit der Schulter. Manchmal fragte sich Vivi wo sie all das Essen verdauten. Ihre Mägen konnten unmöglich all die Nahrung in sich aufnehmen. „Ciao bastardo. Come stai? Un’ombra, subito.“ Die Umgangsformen hier waren definitiv anders, als gewohnt. Ein blonder, junger Mann stand neben ihr, zündete genüsslich eine Zigarette an. Sofort bemerkte er ihren Blick und besah sie die Frau kurz, ehe er Vivi erspähte und diese verträumt ansah. „Mettiti in coda, stronzo!“, fauchte Zorro wütend und hatte weiterhin mit den restlichen Bestellungen zu tun. Der Blonde ignorierte die Worte des Barkeepers. Euphorisch begrüßte er Vivi auf seine natürlich Weise. Allerdings verweilte er nicht sehr lange an ihrer Seite. Vielmehr zog Nami die Aufmerksamkeit auf sich. Verführerisch legte er den Arm um die junge Frau und drückte sie an sich. „Buona sera ammaliatrice“, sprach er charmant. Kokett wie sie nun mal war, packte sie seinen Arm und gab ihn schwungvoll von sich. Sie schubste den Blonden zur Seite und zog Vivi näher. „Das sind also deine heißgeliebten Freunde?“, fragte Nami mit hochgezogener Augenbraue. Eine Reaktion, die Vivi Kopfzerbrechen bereitete. Sie nickte zögerlich. Einen Augenblick lang musterte Nami die Runde. Perona fehlte noch. Nach den Erzählungen dürfte sie die Gruppe perfekt ergänzen. Damit hatte die Schülerin nicht gerechnet. Schließlich lachte sie laut auf, stützte den Kopf ab. „Meine Güte, da hast du dir tatsächlich einen bunten Haufen angelacht.“             × ×     „Wie sie lachen und feiern. Ich sehe die Faszination in ihren Augen, bei dem Anblick der Masken, der Verkleidungen. Die ideale Maskerade für alle, die nicht erkannt werden möchten.“ Die Blonde richtete ihre Brille, betrachtete die Masse vom Balkon aus. „Dennoch gehen wir selbst auf einen Maskenball“, erwiderte eine schwarzhaarige Frau, die sich neben sie gesellte und sich im Gehen ihren Mantel über zog. „Wenn es euch zuwider ist, dann schmeißt euch etwas rein, bewirkt Wunder“, lachte ein großgewachsener Mann, dessen Haare aufgestellt waren. An jedem Arm hatte er sich einen blauen Stern tätowiert. Die Beweggründe, die dazu führten, behielt er strikt für sich. „Vielleicht solltest du weniger zu dir nehmen?“ Der Blonde wippte unruhig mit einem Bein. Seine markante Nase stach hervor. Mit einer Hand versuchte er eine widerspenstige Strähne zu bändigen, die sich stets von selbst aufrichtete. Der Angesprochene brummte. „Keine Sorge, ich bin nicht high.“ An diesem Abend leistete er sich keinen Absturz. Jedenfalls nicht während der kommenden Stunden. Zwar verspürte er den Drang dazu, hatte er auf die Gesellschaft sowieso keine Lust, doch es galt sich nicht zu blamieren. „Bringen wir es hinter uns, dann können wir den restlichen Abend genießen“, sprach die Schwarzhaarige resignierend und wandte sich desinteressiert Richtung Türe.         Kapitel 2: Chiaro di luna. -------------------------- Mondschein 10. Februar 2012   „War klar, dass der Abend nicht ohne Überraschung abläuft“, brummte Franky und gab die Hände in die Hosentasche. „Dachtest du allen Ernstes wir bekämen Urlaub?“ Die Blonde verdrehte unweigerlich die Augen und legte einen Gang zu. „Ehrlich gesagt habe ich darauf gehofft. Ist es denn so verwerflich?“ Sie sahen sich an und Kalifa musste sich eingestehen, dass sein Gedanke nachvollziehbar war. Im Grunde sprach er lediglich das aus, dass sie sich alle dachten. Die Blonde wandte den Blick ab und sah geradewegs auf den bröckeligen Asphalt. „Wir haben heute einen neuen Rekord aufgestellt. Von Jahr zu Jahr gehen wir früher“, lachte Kaku, darauf bedacht die Situation ein wenig zu lockern. „Einzig unser Liebling bleibt wieder bis zum Ende. Passt nicht gerade zu seinem sonstigen Verhalten“, bemerkte die Schwarzhaarige, die sich fragte, warum es stets auf dieselbe Weise ablief. „Vielleicht geilt es ihn auf im Mittelpunkt zu stehen?“ Franky zuckte mit der Schulter, besah sich seine Partner, die er mittlerweile als Freunde, wenn nicht gar als Familienersatz ansah. Über seine Aussage konnten sie lediglich mit den Köpfen schütteln. „Was denn? Ihr kennt meine Meinung zu Lucci. Im Gegensatz zu uns blüht er immer mehr auf und steigert sich hinein. Einfach abartig“, sprach er abwertend weiter und verstand den Mann nicht. Wie konnte man von dieser Arbeit dermaßen besessen sein? „Womöglich hofft er auf eine Art Beförderung?“ Kaku legte den Kopf schief, gab den Schal enger um seinen Hals. „Mit Sicherheit nicht. Er ist eine Tötungsmaschine, die an Bürokratie kein Interesse hat. Damit entgehen ihm die Morde sowie verliert er die Gewissheit ob der Auftrag korrekt ausgeführt wurde.“ Robin zog ihre Handschuhe hervor, streifte sie sich über. Allmählich schien die Kälte die Stadt wahrlich in Beschlagnahm zu nehmen. Der Frühling konnte ihrer Meinung nach ruhig früher kommen. „Lucci hebt sich eben von unserer Truppe ab“, warf Kalifa nachdenklich ein und ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Anfangs schien er tatsächlich wie einer von ihnen zu sein, ein halbwegs normaler Mann. Schnell jedoch zeigte er seine wahre, andere Natur. „Hat der überhaupt ein Gewissen?“ „Haben wir denn eines, Franky?“ Der Angesprochene wandte sich seiner besten Freundin zu. Ein raues Lachen verließ seine Lippen, während er stehenblieb und Robins Mimik eingehend studierte. „Ich sage, wir haben eines. Ansonsten hätten wir nicht all diese Probleme. Sieh uns an. Wir sind abgebrannt. Jeder von uns versucht auf seine Weise damit klar zu kommen. Ich betäub mein Gewissen, meine Erinnerungen und Schuldgefühle mit irgendwelchen Mitteln, die mich high machen und keinen klaren Gedanken fassen lassen, die meinen Schmerz für ein paar Stunden ausschalten.“ Sein Blick ging zur Blonden. „Sie hat ihr Rauschgift in der Arbeit gefunden. Obwohl ihr Bürojob mehr als Tarnung fungiert, macht sie Überstunden und vergräbt sich in Bergen von Papieren.“ Kalifa gluckste. Mit einer Kopfbewegung deutete Franky auf Kaku. „Der hier nimmt sich bei jedem Auftrag ein Souvenir mit. Behütet sie wie Schätze und ich weiß, dass er sich immer wieder dafür entschuldigt. Die Schuldgefühle plagen ihn und er setzt sich für bedürftige Menschen ein. Arbeitet an Schiffen und hilft Kollegen oder Fremden in jeglicher Hinsicht.“ Kaku strich sich betroffen über den Oberarm. Wann er seine Kaltschnäuzigkeit verlor, konnte er nicht sagen. Frankys Worte entsprachen nun einmal der Wahrheit. Am Ende sah der Mann zu Robin, deren Kiefer hervor trat. „Und du? Du mimst die Unantastbare, die alles im Griff hat. Die Frau, die nichts aus der Ruhe bringen kann. Doch innerlich? Bist du wie wir, ein Wrack. Wann hast du das letzte Mal eine Nacht lang durchgeschlafen, ohne von Alpträumen geplagt zu werden?“ Einen Augenblick herrschte ein beklemmendes Schweigen, in dem jeder seinen eigenen Gedanken nachging. Franky schüttelte mit dem Kopf und wandte ihnen den Rücken zu, ging zum Steg und betrachtete sein Spiegelbild, welches sich an der Oberfläche leicht abzeichnete. „Hast du eine Lösung parat?“, fragte Robin und nahm einen tiefen Atemzug. In Anbetracht ihrer Situation brachten seine Worte nicht sehr viel. Veränderungen gab es nie. „Damals hörten sich die Aussichten gut an. Wir haben die Hölle durchgemacht, von klein auf. Ihre Aufmerksamkeit haben wir alle durch unsere speziellen Fähigkeiten auf uns gelenkt. Natürlich nahmen wir das Angebot an, immerhin eine Chance dem Ganzen zu entkommen. Sonst wären mir mit Sicherheit nicht an hier. Ich habe nachgeforscht und mich in das System gehackt. Mehreren ergeht es auf dieselbe Weise oder lasst mich sagen, erging. Aussteigen ist so eine Sache. Viele versuchten auszusteigen. Der Leichensack hat nicht lange auf sich warten lassen“, erklärte Kalifa monoton. Von der Seite aus spähte Robin zur Blonden, dachte einen Moment über ihre Worte nach, ehe sie zu Franky aufschloss. Darüber zu sprechen, brachte wenig. „Nach all unseren Taten haben wir den Tod sogar verdient“, wisperte Kaku gedrückt und sah gedankenverloren hinauf zum Sternenzelt. Wehmut breitete sich aus. „Solange wir keinen Plan haben, wie wir dem Ganzen entkommen, können wir uns keine Fehler erlauben. Nicht solange sich Lucci in unserer Mitte befindet“, sprach die Schwarzhaarige. Franky nickte. Er selbst hatte keinen blassen Schimmer, wie sie der Situation entkommen konnten. „Der Gedanke musste einfach raus, mehr nicht.“ Sie waren Schoßhündchen, die sich untereinander beklagten, die Veränderung blieb bisher aus. Auf Worte folgten keine Taten. „Ich weiß.“ Aufmunternd strich die Schwarzhaarige ihrem Freund über den Rücken. Starr hielt sie den Blick auf das Wasser gerichtet. „Deshalb bin ich kein Fan des Karnevals. Ich beneide diese Menschen. Am Tag laufen sie mit Masken durch die Straßen, die sie abends ablegen, werden wieder sie selbst. Uns ist dieser Punkt verwehrt. Unsere Masken lassen sich nicht abnehmen.“ Schwer seufzend ging sie zurück zu den beiden anderen. Mit einem Hauch von Traurigkeit in den Augen, sah er der Schwarzhaarigen hinterher. Er schloss die Augen und nahm mehrere hastige Atemzüge, ehe Franky ein breites Grinsen aufsetzte. „Scheiß auf das Gelaber. Die Nacht ist jung, gehen wir noch in eine Bar und vergessen wir die Probleme, wenn auch nur für ein paar Stunden.“ „Hört, hört. Unser Moralapostel ist wieder normal“, lachte die Blonde. „Sind es nicht eigentlich mehr die Frauen, die ihre Laune so schnell ändern?“, warf Kaku grinsend ein und erntete einen vernichtenden Blick seitens Kalifa. „Das verbuche ich als sexuelle Belästigung, mein Lieber.“ „Aber natürlich.“ „Ich bin dafür, dass wir bei Bruno vorbeischauen.“ Diesen Vorschlag machte Franky ständig, daher wunderte es niemanden, dass er ausgerechnet jene Bar vorschlug, die ihrem Bekannten gehörte. „Ich habe keine Lust auf Touristen“, rechtfertigte er abermals seine Empfehlung und grinste vor sich hin. Er bekam keine Widerworte. Insgeheim mochten sie alle diesen Ort.   × ×   Der Abend nahm seinen Lauf und nach all den Vorstellungen, fühlte sich Nami mehr und mehr wohl inmitten der verrückten Runde. Jeder zeigte seine individuelle Macke, die ihren Charakter unterstrich und sie dennoch äußerst sympathisch machte. Allmählich verstand die junge Frau, was Vivi an ihnen mochte. Sie passten tatsächlich nicht in ihr alltägliches Umfeld. Dort gab es Regeln, Etiketten, die unbedingt eingehalten werden mussten. Ein Verstoß und die Gesellschaft zerriss sich ihr Maul. Nachdenklich musterte sie die Blauhaarige und erkannte, wie diese förmlich aufblühte. Sanft lächelnd, erhob sich Nami und marschierte Richtung Theke, wo ein gähnender Zorro bereits wartete um eine neue Bestellung entgegen zu nehmen. „Wann hast du Feierabend?“, fragte sie nach und sah ihm die Müdigkeit an. Er gab ein Brummen zu hören. „Gegen zwei Uhr. Nach der Woche wäre mir sofort lieber“, entgegnete er und stützte sich am dunklen Holz ab. „Vivi meinte, du arbeitest lediglich am Wochenende hier?“ Er nickte und fühlte nebenbei ihr Glas auf. Die letzten Male hatte sie stets dasselbe genommen, daher fragte er gar nicht mehr nach. „Das ist nur ein Nebenjob. Unter der Woche bin ich als Handwerker tätig. Irgendwie muss man sich über Wasser halten. Die Lebenserhaltungskosten sind nicht gerade günstig.“ Für ihn waren beide Arbeiten alles andere als prickelnd. Doch hatte er Rechnungen und musste sein Überleben sichern. Solange keine bessere Arbeit in Aussicht war, musste er durch, ob er wollte oder nicht. „Was wäre dein Traumberuf?“, fragte sie nach einem kurzen Schweigen und führte nebenbei den Strohhalm zum Mund. Irritiert verzog er sein Gesicht. „Wie?“ Augenrollend stieß sie die Luft aus und stellte das Glas ab, um sich abstützen zu können, lehnte sich näher zu ihm und nahm Zorro grinsend ins Visier. „Du hast mich verstanden. Ich sehe dir an, dass du an beiden Jobs keinerlei Interesse hast. Daher meine Frage bezüglich deines Traumberufes. Komm schon, irgendetwas musst du im Hinterkopf haben.“ Natürlich hatte er sie bereits beim ersten Mal verstanden, doch was sollte er darauf erwidern? Klar, es gab einen Traum, der momentan jedoch schwer erreichbar schien. Abwartend starrte sie ihn an, ehe er nachgab und schließlich doch das Wort erhob. „Schon gut. Klingt albern, doch würde ich gerne in der Fitnessbranche arbeiten. Ich trainiere selbst hart und vor allem täglich. Dieses Themengebiet interessiert mich seit Jahren sehr“, gestand Zorro und wartete ab. „Und wieso bist du dann noch hier?“ Überrascht musterte er die Frau. Normalerweise war Zorro eine andere Reaktion gewohnt. Besonders der Koch lachte ihn gern aus. Fest fuhr er sich durchs Haar und stieß einen Seufzer aus. „Weil mir die Ausbildung fehlt. Ohne die hast du bei den Centren keine Chance Arbeit zu finden. Als ich frisch in die Stadt gekommen bin, beherrschte ich die Sprache nicht wirklich, hatte aber kaum noch Geld in den Taschen. Ihr lernte Ace kennen und er vermittelte mir meinen jetzigen Erwerb. Seit zwei Jahren arbeitete ich nebenbei hinter dem Tresen und versuche einen Teil zur Seite zu legen. Es gibt einen Workshop über mehrere Wochen, wo ich die Ausbildung verkürzt nachholen könnte. Der kostet aber und ich müsste den Teilzeitjob aufgeben. Daher keine allzu leichte Entscheidung, verstehst du?“ Während der Erzählung spielte Nami mit dem Strohhalm und wusste gegen Ende hin nicht recht, was sie darauf erwidern sollte. Sie kannte das Problem in diesem Sinne nicht. Im Gegenteil. Einfach einer Laune folgen, keinen Gedanken an Konsequenzen verschwenden, so lebte sie in gewisser Weise. Ihre Eltern boxten sie aus jeder Lage. Eine Tatsache, die sie hin und wieder ausnutzte. „Okay, die Angelegenheit scheint ein wenig kompliziert. Dennoch, gib diesen Traum nicht auf. Irgendwie kannst du ihn dir mit Sicherheit erfüllen“, meinte sie aufmunternd und sah, wie er ihr grinsend zuzwinkerte. „Glaub mir, eines Tages werde ich in dieser Branche Fuß fassen. Ich weiß, dass ich es schon auf die Reihe bekomme, irgendwie, irgendwann. Es dauert nur ein wenig. Doch genug von mir. Wie gefällt es dir bisher?“ Nami trank ein wenig und dachte über seine Worte nach. Nebenbei erledigte er die Bestellung eines neuen Gastes, dem Nami keine Aufmerksamkeit schenkte. „Sehr viel habe ich noch nicht zu Gesicht bekommen. Dass das ich bisher jedoch gesehen habe, finde ich klasse. Die Stadt, die Atmosphäre. Und ihr seid mir auch sehr sympathisch. Fühlt euch geehrt. Geschieht nicht oft, dass ich Unbekannte sofort mag. Eine Frage hätte ich allerdings. Wie habt ihr euch getroffen? Oder besser, was hat euch hierher verschlagen?“ Er besah sich seine Freunde, nahm ein Glas zur Hand, welches er nachdenklich abtrocknete, ehe sich ein leicht trauriges Lächeln auf seine Lippen schlich. Wo sollte er anfangen? „Die Verwirrung des Lebens?“ Eine Antwort, die Nami kaum Informationen gab. Erneut erkannte sie sein Zögern, anstatt zu drängen wartete sie ab, tippte mit den Fingerspitzen auf das Holz. „Wir sind Ausreißer, Außenseiter, die ihren Platz im Leben suchen. Nehmen wir Ruffy. Geboren ist er in Brasilien. Aufgewachsen in einem der Kinderheime. Immer wieder lief er davon, versteckte sich in den Slums der Stadt. Genau wie Ace. Sie sind nicht blutsverwandt, lieben sich jedoch wie Brüder und tuen alles füreinander. Ace ist kein Unschuldslamm, er macht krumme Dinger, um sich sein Überleben zu sichern. Durch einen Deal schleuste er Ruffy über die Grenze, fälschte einen Pass und ließ ihn hierher einfliegen. Eigentlich wollte Ace ihm ein besseres Leben bieten, doch anstatt die Schulbank zu drücken, zieht er sein eigenes Ding durch und verdient sich auf der Straße die Kohle, die er braucht.“ Nami spürte, wie sie bei der Erzählung schwer schluckte und betrachtete den Schwarzhaarigen, der ihr viel zu jung vorkam. Seine quirlige Art ließ nichts dergleichen nach außen dringen. Zwar dachte sie sofort daran, dass er jemand war, der einfach in den Tag hinein lebte, doch die Geschichte kam unerwartet. „Kaum zu glauben“, murmelte sie und hörte ein leises, schwaches Lachen. Mit einer Kopfbewegung zeigte er zum Blonden. „Sanji ist es ähnlich ergangen. Auch er lernte seine Eltern nie kennen. Er kommt aus Frankreich, wurde in seiner Kindheit von einer Pflegefamilie zur nächsten gereicht. Als es ihm zu viel wurde, haute er ab, fuhr quer durch Europa und landete schließlich hier, wo er in diversen Restaurants den Abwasch erledigte. Eigentlich galt diese Stadt als Überbrückung. Seine Einstellung änderte sich schlagartig, als der Chefkoch seiner jetzigen Arbeitsstätte sein Talent entdeckte. Er blieb. Dort hat er die Gelegenheit aufzusteigen, sich einen Namen zu machen. Seine Art allerdings, die ist aufgesetzt. Er überspielt sein Innerstes, das ziemlich abgebrannt ist. Er ist ein exzellenter Koch und Freund. Und damit wir beide uns verstehen, versprich mir, dass du den letzten Teil niemals gehört hast, okay?“ Die beiden hatte eine innige Hassliebe, die stets dazu führte, dass sie sich wegen jeder Kleinigkeit in der Wolle hatten. Dennoch schätzte er den Blonden wie den Rest sehr. „Versprochen, ich schweige wie ein Grab“, meinte sie mit einem Lächeln auf den Lippen und besah sich den Koch, der sich gerade eine weitere Zigarette ansteckte und lauthals lachte, während er sich zu Vivi beugte. „In einer Sache kann ich beide verstehen. Zwar habe ich in mancher Hinsicht Glück, also wenn es um meinen Lebensstil geht. Jedoch kann ich nachvollziehen, wie es ist, wenn man seine leiblichen Eltern nie kennengelernt hat. Ich war ein Baby als sie starben, wodurch ich keine Erinnerungen an sie habe. Nicht einmal ihre Namen habe ich herausgefunden.“ „Hatte sie gar nicht erzählt“, murmelte der Barkeeper verblüfft und erntete ein schwaches Nicken. „Ich spreche nie darüber.“ Wieder setzte sie ein fröhliches Lächeln auf und schob den Gedanken sofort zur Seite. Darüber hatte sie sich bereits viel zu oft den Kopf zerbrochen. „Doch zurück zu euch, ich seh schon, du hast noch mehr Geschichten zu bieten. Bonney dürfte demnach auch einiges durchgemacht haben?“ Zorro nickte. Alle hatten sie das. Jedenfalls, wenn man sowohl Vivi als auch Perona außer Acht ließ. Er warf sich das Tuch über die Schulter, verschränkte die Arme vor der Brust und beobachtete Bonney, die gut gelaunt schien. „Viel kann ich dir nicht berichten, sie hält alles unter Verschluss. Lediglich hat sie erzählt, dass sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion abgehauen ist, ohne Geld oder Papiere. Das war vor acht Jahren. Irgendwann hat sie Ruffy in einer der Gassen aufgelesen und, du musst wissen er ist ein äußerst hilfsbereiter Mensch, hat sie eben mitgenommen und seither gehört sie eben zur Truppe. Manchmal frage ich mich, was genau vorgefallen war, denn sie leidet unter einem Verfolgungswahn und hat beinah jede Nacht Alpträume.“ Im Laufe der Zeit hatte er immer wieder versucht das Gespräch mit ihr zu suchen. Anstatt sich ihm anzuvertrauen, blockte sie ab und tat als war alles in Ordnung. Aus ihr wurde Zorro nicht schlau. „Und du?“, fragte sie vorsichtig nach und sah ihm direkt in die Augen. Ohne Zögern erwiderte er den Blickkontakt, auch wenn sich sein Kiefer einen Moment markant abzeichnete. „Ich bin in Japan geboren, meine Mutter jedoch war Europäerin. Nach dem Tod meiner Eltern zog mich ein guter Freund der Familie auf. Er hatte eine Tochter, wir waren die besten Freunde, jedenfalls bis zu jenem Tag an dem der Unfall geschah. Sie starb. Obwohl alle meinten, es wäre nicht meine Schuld gewesen, verlor ich mein Gleichgewicht. Ich wollte fort. Mein Ziehvater ermöglichte mir einen Besuch bei meinen Verwandten, hier auf diesem Kontinent, ich sollte auf andere Gedanken kommen. Kurz bevor ich sie erreichte, habe ich das Geld genommen, bin abgetaucht und du siehst wo ich gelandet bin.“ Schweigen trat ein. Nach all den Informationen brauchte Nami sichtlich die eine oder andere Minute um diese zu verdauen. Die Probleme, die sie aus ihrem eigenen Umfeld kannte, hörten sich nun vielmehr nach einfachen Lappalien an. Nicht wert auch nur einen einzigen Gedanken darüber zu verschweden. „Und ausgerechnet in dieser Stadt läuft ihr euch alle über den Weg“, lachte sie leise und musste sagen, dass das Leben manchmal wirklich interessante Begegnungen und Wendungen mit sich brachte. „Verrückt, oder? Wir vier beziehen sogar eine WG. Du kannst dir mit Sicherheit vorstellen, dass es bei uns äußerst chaotisch zugeht“, scherzte der Barkeeper und ordnete die Gläser ins Regal. „Nach euren Erlebnissen müsste ich eigentlich dankbar für mein eigenes Leben sein und doch bin ich es selten“, kam es ernüchternd. Zorro wurde hellhörig, lächelte ihr jedoch aufmunternd entgegen. „Jeder Mensch führt sein eigenes Leben, Nami. Jeder hat seine eigenen Päckchen zu tragen. Vielleicht sehen deine Probleme in manchen Augen nicht schlimm aus, doch es zählt, wie du es siehst, nicht die anderen.“ Sie gluckste und atmete tief durch. Viele sahen sie als eine starke, gern auch arrogante Person, die nichts und niemand aus dem Gleichgewicht bringen konnte, die stets einen Kommentar parat hatte und ihn äußerste ohne mit der Wimper zu zucken. Innerlich sah es anders aus, dort baute sie vielmehr Blockaden auf, die ihre wahren Gefühle verbargen. Selbst ihrer Schwester gegenüber war sie nach und nach kaltherziger geworden. Niemand durfte die Schwäche in ihren Augen erkennen. Trotz allem berührten sie die Erzählungen, obwohl es sich so gesehen um vier vollkommen Fremde handelte. Unruhig rutschte sie am Barhocker hin und her, leerte den restlichen Inhalt des Glases in einem Zug. „Ich glaube, ich geh mal an die frische Luft.“ Wissend nickte Zorro und stützte sich am Tresen ab, während er ihr ausdruckslos hinterher sah. Allmählich wunderte es ihn nicht mehr, dass Vivi auf diese Weise von Nami schwärmte. Sie gefiel ihm, denn er hatte das Gefühl, dass sie gut in ihre Mitte passen würde. In ihr sah er kein verzogenes Gör sondern eine von ihnen. Eine junge Frau, die selbst eine Last mit sich trug und einfach nach dem Platz im Leben suchte. Was genau dahinter steckte, musste er allerdings erst herausfinden.   × ×   „Bedauerlich, dass ihre Kollegen nicht länger geblieben sind“, sprach ein elegant gekleideter Mann mittleren Alters und erntete dafür einen nicht vielsagenden Blick. Der Schwarzhaarige nippte an seinem Glas, während er seine freie Hand in die Hosentasche gleiten ließ. „Sie haben um unser Erscheinen gebeten, sie waren pünktlich und haben sich korrekt verhalten, da steht es ihnen frei zu gehen“, gab er neutral zurück und besah sich den Saal. Die Veranstaltung widerte ihn an, vielmehr sah er das Ganze als pure Zeitverschwendung. „Ich werde mich selbst zurückziehen. Das Gespräch haben Sie gesucht, von daher.“ Der andere lächelte. Seine Augen erreichte es allerdings nicht, diese waren starr, eiskalt. „Gewiss. Ihre Leistungen sprechen für Sie. Daher möchte ich Ihnen, im Namen aller, ein Angebot unterbreiten. Wir hätten Sie gerne als Art Koordinator, auch, nun ja, nennen wir es Ausbilder. Ihre Hang zur Perfektion gefällt uns.“ Lucci verzog das Gesicht, ließ die Hand, in der er das Glas hielt, sinken. „Ich lehne dankend ab. Für solch einen Dienst bin ich nicht geschaffen. Mein jetziges Aufgabengebiet reicht mir vollkommen.“ „Keine Chance Sie zu überzeugen?“ Ohne Zögern schüttelte er den Kopf. „Nein, ich bin zufrieden. Wenn Sie mich nun entschuldigen.“ Für ihn war das Gespräch beendet, wartete keine Antwort ab sondern begab sich direkt zum Ausgang. Dort streckte man ihm bereits Zylinder und Mantel entgegen. Elegant schlenderte er durch die große Halle und dachte bereits an die Durchführung seines nächsten Auftrages. Perfektion war immerhin sein oberstes Gebot. „Ich kenne niemanden, der dieses Angebot je abgelehnt hat“, sprach ein anderer Mann und sah in jene Richtung, in die der Schwarzhaarige verschwand. „Ihm lechzt es nach Blut. Seine Gelüste müssen gestillt werden. Ich habe von Anfang an gesagt, dass er der Falsche ist. Seien wir froh, dass wir solch einen an vorderster Front haben.“ „Ich bin trotzdem der Ansicht, dass er es gerne maßlos übertreibt, sobald er allein unterwegs ist.“ „Findest du?“ „Sein Ziel war eine Person, am Ende hatten wir acht Tote. Als Begründung gab er an, dass sie sich im direkten Umfeld aufhielten. Lediglich sein Team zeigt ihm Grenzen auf.“ „Er ist eben gerne gründlich.“ „Wenn du mich fragst, zu gründlich. Irgendwann fällt es auf und ein Fehler erfolgt. Sein Muster ist fehlerhaft.“ „Sollte irgendetwas schief gehen, dann muss er sich selbst aus der Misere retten, ab dem Punkt geht er uns nichts mehr an.“   × ×   Ein Frösteln überkam Nami, als ihr die frische Nachtluft entgegen kam. Merklich zeichnete sich ihr Atem in der Luft ab. Unruhig tapste sie auf der Stelle, schlang die Arme um den Körper und doch nahm sie einen tiefen Zug. „Eine Jacke könnte helfen“, hörte sie eine fremde Stimme sagen, nicht unweit von ihr. Hastig schnellte ihr Kopf zur Seite, sah sich um. Ein paar Meter von ihr entfernt, erkannte sie eine Frau, stehend auf einem Stapel Kisten, schwarz gekleidet und den Blick Richtung Himmel gerichtet. Nami sah an sich hinunter, gluckste während sie leicht mit den Schultern zuckte. „Muss ich wohl vergessen haben.“ Wieder richtete sie die Aufmerksamkeit auf die Frau, die keine Anstalt machte, sie anzusehen. Die Schwarzhaarige nickte. In Nami schien sich die Neugierde in den Vordergrund zu schieben. „Und warum steht jemand nachts auf Kisten und starrt vor sich hin?“ Die Frage brannte förmlich auf ihrer Zunge, in manchen Dingen war sie einfach zu neugierig. Der Kälte trotzend strich sie sich druckvoll über die Oberarme. „Um den Mond besser betrachten zu können“, kam als knappe Antwort zurück. Stirnrunzelnd trat die junge Frau näher und versuchte sich selbst eine Meinung zu bilden. Von ihrer Position konnte sie ihn erkennen und fragte sich, ob dieser Perspektivenwechsel einen solchen Unterschied mit sich brachte. Die Unbekannte schwieg. Mit der Zunge schnalzend, stieg Nami nun selbst auf den Kistenstapel und erkannte dabei wie ihr die Unbekannte Platz machte, mit Körper somit seitlich an die Wand lehnte. „Und?“ Nami neigte den Kopf zur Seite, kniff die Augen zusammen. Sie wartete ab, ehe sich ein Lächeln auf ihre Lippen stahl. „Ich muss zugeben, er wirkt anders, wenn auch nur ein wenig.“ Die Fremde gab ein kaum hörbares Lachen von sich. „Alles eine Frage des Blickwinkels.“ Ohne den Blick auf Nami zu richten, wandte sie sich zum Gehen und Nami beobachtete, wie sie leichtfüßig die Abstände nahm, ehe sie am Asphalt auftrat. Gerade als sie sich in Bewegung setzen wollte, war es Nami, die die Stille unterbrach. „Woher wusstest du, dass ich nicht von hier bin?“, fragte die junge Frau skeptisch und erkannte, wie die anderen den Oberkörper in ihre Richtung drehte. „Intuition?“ Nami hob die Augenbrauen. „Dann muss ich ja ganz schön auffallen“, meinte sie plump. Die Schwarzhaarige schmunzelte. „Nein. Ehrlich gesagt, ich habe vorhin mitbekommen, wie du dich mit dem Barkeeper unterhalten hast“, erklärte sie gelassen, lächelte ein weiteres Mal und ging schließlich in Richtung Bar zurück. Nami verharrte einen weiteren Moment an jener Stelle, schüttelte den Kopf. Ihre Worte ließ sie sich durch den Kopf gehen, doch in der Bar selbst, war sie ihr nie aufgefallen. Minuten später schloss Nami zu Vivi und ihren Freunden auf, setzte sich mit einem neuen Drink zu ihnen und spürte wie ihr Körper dankbar über die Wärme war. Suchend sah sie sich im Raum um. Erst als ihr Blick auf dem Tisch in der hintersten Ecke ankam, erkannte sie die Frau von vorhin. Kein Wunder, dass sie diese vorhin nie bemerkt hatte. Nachdenklich musterte sie diese einen Moment, erkannte wie sich ein verführerisches Lächeln auf ihren Lippen ausbreitete. Bevor sie sich darüber einen Gedanken machen konnte, drehte die Schwarzhaarige ihren Kopf, wodurch sich ihre Blicke trafen. Nami war sich darüber im Klaren, dass sie das gemerkt hatte. Doch ein wenig verlegen, erwiderte sie das Lächeln. Warum sie das tat, verstand die junge Frau selbst nicht. Jedoch hielt der Blickkontakt nicht allzu lange. Eine Hand wedelte vor ihrem Gesicht herum. Seufzend spähte sie zur Seite. „Hast du etwas gesagt?“, fragte die Orangehaarige nach. Vivi hob eine Augenbraue, sah ihre Freundin verwirrt an, die sich nun gänzlich abwandte und mit dem Rücken zur Unbekannten saß. „Alles in Ordnung?“ „Ja, ich hab lediglich nachgedacht. Also, was wolltest du sagen?“ Manchmal brauchte es eine Kleinigkeit und Vivi machte sich sofort Gedanken, ob etwas nicht stimmte. Während sie den Worten ihrer Freundin lauschte, hatte Nami all die Zeit über das Gefühl den Blick der Schwarzhaarigen im Nacken zu spüren.     Kapitel 3: Surprise, surprise! ------------------------------ "Surprise, surprise!"​ 11. Februar 2012   Ausgeruht, schlenderte die Schwarzhaarige in das Esszimmer. Am dortigen Tisch stand bereits ihr Laptop, den sie einschaltete. Während sie sich setzte, stellte sie sowohl die Tasse Kaffee wie auch ihr Tablet ab, welches sie bis dahin unter den Arm geklemmt hatte. Ihr morgendliches Ritual war stets dasselbe. Die einzige Routine in ihrem Leben, die sie sich nicht nehmen ließ. Eine ausgiebige Dusche, ein, zwei Tassen Kaffee gepaart mit den aktuellen Nachrichten, wie auch einen Blick auf ihre Termine. Der restliche Tag war meist durcheinander, je nachdem, was bevor stand. Die Stille, die ihr Haus fühlte, tat gut. Gerade einmal das Tippen auf der Tastatur durchbrach sie ein wenig. Genüsslich führte sie die Tasse an ihre Lippen und trank einen größeren Schluck. Entspannt lehnte sich die Schwarzhaarige zurück, schlug die erste Seite der Zeitung auf. Eher desinteressiert überflog sie die Schlagzeilen, vielmehr suchte sie nach bestimmten Ereignissen. Ein Signalton erklang und von der Seite aus spähte sie auf den Bildschirm. Ein trauriges, leises Lachen erfolgte. Das Geld war überwiesen worden. Erschreckend, wie viel ihr die Arbeit einbrachte. Wieder glitten ihre Finger über die Tastatur. Mehrere Datensätze kamen zum Vorschein. Der angekündigte Auftrag nahm allmählich Formen an und sie konnte einen ersten Überblick gewinnen. Wie stets zeigte sie dabei keine Emotionen. Diese waren deplatziert. Fing man einmal damit an, zu viele Gefühle in die Arbeit zu legen, stand man sich selbst im Weg. Starr überflog sie alles, ehe sie ihr Tablet zur Hand nahm und ihren Kalender aufrief. Eine Information hatte ihre Aufmerksamkeit geweckt. Abermals verglich sie die Termine, ehe sie sich erhob und an das Fenster trat. Ihr Blick streifte die Umgebung ab, eine Vorsichtsmaßnahme, wie sie sich selbst einredete. Eigentlich hatte sie nicht vorgehabt, diese Gala zu besuchen. Eher suchte sie seit Tagen eine passende Ausrede. Nun hatte sich das Ganze von selbst erledigt. Angestrengt strich sie sich über die Stirn. Sehr viel Zeit um Vorkehrungen zu treffen gab man ihr in diesem Fall wahrlich nicht.   × ×   Verschlafen öffneten sich die Augen der Orangehaarigen. Ein herzhaftes Gähnen verließ ihre Lippen. Abermals blinzelte sie, versuchte sich an das Sonnenlicht zu gewöhnen. Minuten verstrichen, in denen sie lediglich da lag und Richtung Fenster sah. Schließlich griff sie nach ihrem Mobiltelefon und las die Uhrzeit ab. Die Nachrichten, die aufleuchteten, ignorierte sie vorerst. Desinteressiert fiel das Handy auf die Matratze, während sich ihr Körper in Bewegung setzte. Der Boden unter ihren Fußsohlen fühlte sich einen Moment kühl an. Als sie sich erhob, gab sie die Arme in die Luft, streckte sich ausgiebig. Ein weiteres Gähnen war zu hören. Summend nahm sie das Haarband vom Nachtisch, strich sich durchs Haar und band es zu einem Zopf. Obwohl die erste Nacht lang war, sprühte sie vor guter Laune. Bei ihr, bekannt als Morgenmuffel, eine wahre Seltenheit. Schwungvoll öffnete Nami das Fenster und atmete die frische Luft ein. Mit einem zufriedenen Lächeln wandte sie sich schließlich ab und verließ das Zimmer. Im Flur streifte ihr Blick umher. Leichtfüßig wanderte Nami über das Parkett und trat in die Küche, wo sie Vivi vorfand. „Guten Morgen“, flötete die junge Frau euphorisch und vernahm ein Brummen ihrer Freundin, die sich tiefer in den Stuhl sinken ließ und die Kapuzenjacke enger um ihren Körper schlang. „Morgen, die Kaffeemaschine ist dort drüben“, murmelte Vivi und blätterte lustlos in der Zeitung. Nami konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Im Gegensatz zu ihr, hatte Vivi diese Nacht nicht allzu gut überstanden. Im Grunde eine verdrehte Welt. Normalerweise verlief der Morgen in umgekehrten Bahnen. Nami schüttelte mit dem Kopf, drückte den Knopf und sah dem Kaffee zu, wie dieser in die Tasse floss. „Anscheinend zeigt der Alkohol Wirkung“, bemerkte die Orangehaarige breit grinsend. „Wie lange bist du bereits wach?“ Mit der Tasse lehnte sie sich an die Arbeitsplatte und nahm vorsichtig einen Schluck. Leicht verzog sie den Mund und gab ein wenig Milch hinzu. Eigentlich wollte sie versuchen ihn schwarz zu sich zu nehmen, doch daran gewöhnte sie sich nicht allzu schnell. Vivi schob die Zeitung von sich und studierte ihre Freundin eingehend. „Seit einer Stunde, oder so. Ich konnte nicht mehr schlafen.“ Irgendetwas an dem Getue war faul. Seit sie Nami kannte, hatte sie diese zu solch einer Uhrzeit nie auf diese Weise erlebt. Kein Wunder, dass sich Skepsis breit machte. „Habe ich gestern etwas übersehen?“ Nami lachte leise auf, während ihre Hand über die Kante strich. „Nein. Darf ich keine gute Laune an den Tag legen?“ „Nein. Nicht, wenn du an meiner Stelle sein müsstest“, brachte sie gähnend hervor. Nami zuckte mit den Schultern, genehmigte sich einen weiteren Schluck und konnte deutlich spüren, wie sich in Vivi eine anständige Portion an Neugierde aufstaute. „Hat dein Flirt einen Namen?“ Vivi kannte ihre Freundin zu gut um zu wissen, dass das auf jeden Fall damit zusammenhängen musste. Ein leises Kichern drang an ihre Ohren. Nami stieß sich ab und stellte sich neben Vivi an die Theke. Lächelnd legte sie einen Arm um die andere. „Du denkst zu viel. Ich war den ganzen Abend bei euch. Mich interessiert eher, wie du dein Problem lösen möchtest. Dein Schwarm ist äußerst, nun ja, verwirrt. Steht der tatsächlich auf Frauen?“ Der Themenwechsel schien geglückt, den Vivi verzog angestrengt das Gesicht. „Er ist eben speziell. Außerdem,…“ „Ja?“ Vivi stöhnte entnervt auf und befreite sich aus Namis Griff und glitt vom Hocker. „Ich gehe duschen. Später zeige ich dir die Stadt.“ Kopfschüttelnd blickte Nami einen Augenblick lang hinterher. Ein Flirt? Wohl kaum. Dennoch überraschte es sie nicht, dass Vivi sofort an so etwas dachte. Nachdenklich starrte sie auf die Zeitung, setzte sich indes auf den Hocker, ehe sie durch die Lokalnachrichten blätterte. Im Grunde fiel das Lesen flach und sie betrachtete vielmehr die Bilder, die darin abgebildet waren. Bei einem blieb ihre Aufmerksamkeit allerdings hängen und studierte es eingehend. Die Erinnerungen an die gestrige Begegnung ließ Nami Revue passieren. Ein Name stach ihr ins Auge. „Interessant“, murmelte sie vor sich hin. In Gedanken tippten ihre Fingerspitzen auf das Papier. Obwohl ihre Unterhaltung äußerst begrenzt war, so hatten das Gespräch und der Blickkontakt in der Bar durchaus einen bleibenden Eindruck hinterlassen.   4. November 1998   Nervös beschleunigte sie ihre Schritte. Seit Tagen verfolgte sie das Gefühl beobachtet zu werden. Wieso? Der Winter hatte Moskau unlängst eingeholt, obwohl es erst Anfang November war, spürte sie die Kälte in ihren Gliedmaßen. Um ihre Hände zu schützen, gab sie diese in die Jackentaschen, ihren Kopf hatte sie ein wenig gesenkt. Der Wind sollte so wenig Angriffsfläche haben, wie möglich. Erneut sah sie zurück. Niemand zu sehen. Bildete sie sich all das tatsächlich ein? Sie bog um die Ecke und fand sich auf einer der belebteren Straßen wieder. Erleichterung fühlte sie dennoch nicht. An diesem Morgen war sie spät dran. Der Kurs würde bald anfangen und sie wollte pünktlich erscheinen. Trotz ihres Alters studierte sie seit einem Jahr dort. Ein Glück. Durch ihre Intelligenz hatte sie einen Freifahrtschein erhalten. Anstatt bis zu ihrem 18. Lebensjahr bei ihrem Onkel in St. Petersburg leben zu müssen, konnte sie dadurch in die Hauptstadt flüchten und ihn und seine Frau endlich hinter sich lassen. Geradeaus blickend erkannte sie die Universität und dieses Mal fühlte sie Sicherheit. Wenn sie dort war, verlor sie all ihre Sorgen und konzentrierte sich auf ihr Studium. Im Gehen fiel ihr ein schwarzer Wagen auf, aus dem zwei Männer ausstiegen. Ruckartig blieb sie stehen. Hastig wandte sie sich um und erkannte einen weiteren Mann. Nein, dieses Gefühl hatte sie nicht unberechtigt. Wieder drehte sie sich. „Was wollen Sie?“ Beide tauschten Blicke untereinander aus, ehe einer der beiden das Wort erhob. Er lächelte. „Wir würden gerne mit dir reden.“ Unschlüssig sah sie sich um. Im Grunde sprach nichts gegen eine Szene, immerhin gab es Augenzeugen. Doch wartete sie ab. „Auflauern um ein Gespräch zu führen? Keine vertrauenserweckende Basis.“ „Wir haben unsere Gründe. Ich kann sie dir gerne bei einem Kaffee erläutern.“ Neugierig war sie, keine Frage. Das Angebot jedoch anzunehmen, war eine andere Sache. „Ich bin spät dran, vielleicht ein anderes Mal.“ Ihre Worte klangen nicht so selbstbewusst, wie sie es sich erhofft hatte. „Dann um ein Uhr im Büro des Dekan.“ Überraschung machte sich auf ihrem Gesicht breit. Der Mann lachte. „Sagen wir, er ist ein alter Freund.“ Sie schluckte schwer, nickte und schob sie an den Männern vorbei. Was wollten sie? Ihr Herz hämmerte wild gegen ihren Brustkorb. Nochmal drehte sie sich um, erkannte, dass ihre Blicke sie verfolgten. „Und?“ Der dritte Mann schloss zu den anderen auf und gab seine Kapuze vom Kopf. „Ein unscheinbares Mädchen. Kein wirklicher Freundeskreis, verbringt die Zeit meist mit lernen, lesen. Nicht gerade das Leben eines normalen Teenagers ihres Alters. Ihre Fähigkeiten sprechen allerdings für sich. Ich musste mich anstrengen, dass sie mich nicht direkt erkennt.“   12. Februar 2012   Lachend beobachtete Nami, zusammen mit Vivi, die Straßenkünstler. Allen voran Bonney und Ruffy, die deutlich die Aufmerksamkeit der Besucher magnetisch anzogen. Die Künste des Schwarzhaarigen waren bemerkenswert, seine Bewegungen, wie er seinen Körper kontrollierte. Fasziniert behielt sie ihn weiter im Auge. Nach all den Geschichten, die man ihr erzählt hatte, war sie erpicht darauf zu erfahren, was an ihnen dran war und sie musste sich eingestehen, dass seine Freunde weitaus untertrieben hatten. „Wie einfach es wirkt.“ Vivi nickte. Oft kam sie nachmittags hierher, spielte die stille Beobachterin. Egal, wie oft sie seine Vorführungen schon sah, sie bekam nie genug davon. „Reich wird er davon nicht, doch an Geld hat er keinerlei Interesse. Ihm genügt es, dass er davon überleben und seinem Freiheitstrieb folgen kann.“ Der Schwarzhaarige lebte nach seinen eigenen Regeln, tat wonach es ihm drang. Tief in ihrem Innersten wusste sie, dass er irgendwann von hier verschwand, weiterzog, auf der Suche nach einem neuen Abenteuer. „Er formt das Leben nach seinen Wünschen. Ich würde durchdrehen, wenn ich total planlos dastünde. Einen Tag nach dem anderen so nehme, wie er kommt.“ Nami stützte sich mit den Händen nach hinten hin ab und streckte das Gesicht der Sonne entgegen. „Ich beneide seine Einstellung“, murmelte sie dabei und schloss die Augen. Oftmals stellte sie sich vor, ihre Zelte abzubrechen und ohne Ziel und Plan die Welt zu bereisen. Viel zu oft, doch der Schneid dazu, fehlte ihr. Die Stadt ermöglichte ihr eine Chance, wenigstens einen Teil hinter sich zu lassen, wenn auch für kurze Zeit. Vivi schwieg, spürte jedoch, das hinter ihren Worten mehr lang und wartete ab. „Anfangs habe ich vorgehabt dich grundlos zu besuchen. Also, dich mal wieder zu sehen. Vor ein paar Tagen hat sich mir allerdings eine Möglichkeit eröffnet. Wie du weißt, habe ich in den Ferien oft in einem Planungsbüro gearbeitet. Es macht mir Spaß und anscheinend sind sie mit dem, das ich in dieser Zeit geleistet habe, zufrieden. Sie haben mir ein Angebot unterbreitet. Nach dem Schulabschluss könnte ich für ein Projekt bei ihnen einsteigen. Ich wäre für einige Monate hier.“ Überrascht von dieser Nachricht, drehte sich Vivi ihr gänzlich zu. „Und?“ Die Überraschung entwich, machte ihrer Begeisterung Platz. Einen Spalt breit öffneten sich Namis Augen und von der Seite aus sah sie zu ihrer Freundin. Mit solch einer Reaktion hatte sie bereites gerechnet. „Ich denke, ich nehme das Angebot an. Eine perfekte Gelegenheit für den Tapetenwechsel, den ich nötig habe.“ Euphorisch umarmte Vivi die Orangehaarige, die die Geste erwiderte, jedoch ein wenig die Augen überrollte. „Du könntest die Zeit über bei uns wohnen. Es ist gähnend langweilig alleine in dem großen Haus und mein Vater hätte mit Sicherheit keine Probleme“, sprudelte es aus der jüngeren heraus. Lachend schüttelte Nami den Kopf. „Hey, noch habe ich nichts fixiert. Darüber reden wir, wenn ich tatsächlich zusage.“ Vivi lehnte sich zurück und zwinkerte der anderen zu. „Nein, ich kenne dich. Du bist jemand, der schnell erkennt, ob du etwas möchtest oder nicht. Wenn du also bereits ein paar Tage darüber nachdenkst, bist du dem Vorhaben alles andere als abgeneigt.“ „Vielleicht bin ich jemand geworden, der sich alle Möglichkeiten durch den Kopf gehen lässt.“ Vivi grinste vor sich hin, während ihr Blick über den Platz schweifte. „Nie und nimmer. Manche Dinge ändern sich nie.“ Daher mochte sie die Blauhaarige. Niemand kannte sie besser. Die einzige Person, die stets wusste, was in ihr vor sich ging, die ihre Lügen immer wieder durchbrach, die bei all ihren Entscheidungen hinter ihr stand, sie unterstützte. Ein wehmütiges Lächeln machte sich auf ihren Lippen breit. Lediglich in einem Punkt hatte sie Vivi austricksen können. Nami wusste, dass sie bereits viel früher und vor allem öfter hätte vorbei kommen sollen. Abseits der Heimat fühlte sich alles viel unkomplizierter an. Ihr Handy holte sie aus ihrer Gedankenwelt. Ein Blick auf den aufleuchtenden Namen reichte aus, um ihr ein Brummen zu entlocken. Ohne zu antworten landete es zurück in ihrer Jackentasche. „Warum gehst du nicht ran?“, fragte die Blauhaarige gefühlvoll. Nami haderte mit sich selbst. Kein Thema mit dem sie sich beschäftigen wollte, jedenfalls nicht in der Zeit, die sie hier verbrachte. „Unwichtig“, wich sie aus und schenkte den Straßenkünstlern nochmals ihre Aufmerksamkeit, ehe sie sich erhob. „Gehen wir etwas trinken?“ Vivi runzelte die Stirn, tat es ihrer Freundin allerdings gleich. Sie winkte ihren Freunden zu und folgte Nami, die sich durch die Menschenmasse drängte. „Wer ist sie?“ Natürlich wusste sie darüber Bescheid. Schon früh hatte Vivi das Desinteresse Männern gegenüber erkannt. Eine Tatsache, welche ihrer Freundschaft nie geschadet hatte. Vivi übernahm schließlich die Führung, nahm die andere bei der Hand um sie nicht zu verlieren. Einige Minuten schlängelten sie sich hindurch, ehe sie vor einem Café abseits der Hauptattraktionen des San Marco Viertels zum Stillstand kamen. „Wer sagt, dass eine Frau im Mittelpunkt steht?“ Perplex merkte Vivi, wie ihr die Gesichtszüge entglitten. Nami schob sich an ihrer Freundin vorbei und marschierte schnurstracks auf einen der hinteren Tische zu, wo sie sich schweigend auf einen der Stühle niederließ. Fassungslos stolperte Vivi hinterher. Erneut trat Schweigen ein. Anders als vorhin hatte dieses einen unangenehmen Beigeschmack. Die Schülerin wartete mit ihren Fragen. Erst als der Kellner ihre Bestellungen brachte, warf sie ihre Zurückhaltung über Bord. „Wie meintest du das vorhin? Wer ist der Typ? Ich kann mir nicht vorstellen, dass du plötzlich mit Männern etwas anbandelst.“ Nami verhakte ihre Finger ineinander, strich druckvoll mit dem linken Daumen über die Innenseite der anderen Hand. „Law, der Sohn von guten Freunden meiner Zieheltern. In gewisser Weise ein Genie. Trotz seiner 26 Jahre, ist er in der Chirurgie bereits bekannt. Er passt perfekt in dieses Macho-Gehabe. Er steht auf mich. Eine Tatsache, die den beiden durchaus gefällt. Allein das Getue, wenn der Idiot in der Nähe ist.“ Missbilligend schüttelte sie den Kopf, fuhr sich verzweifelt durchs Haar. Vivi blinzelte mehrmals angestrengt. „Ich dachte, sie haben kein Problem damit, dass-„ „Dass ich lesbisch bin? HA! Suprise, surprise. Kleine Fehlinformation meinerseits. Sie ignorieren diesen Schandfleck gekonnt. Der Penner ist der Grund dafür, warum meine letzte Beziehung den Bach runter ging“, gab sie verachtend von sich, wobei nach und nach jene Wut hochkroch, die sie seit Wochen versuchte zu beherrschen. „Daher ein Tapetenwechsel“, wisperte Vivi, sichtlich bestürzt. Zwar schrieben und sprachen sie regelmäßig miteinander, doch davon hatte Nami bisher kein Sterbenswörtchen erwähnt. Selbst als sie nachgefragt hatte, warum ihre Beziehung zu Brüche ging, hatte die Orangehaarige eine passende Erklärung parat. „Die einzige Lüge, die ich dir je aufdrücken hab können“, flüsterte Nami gepresst. In dem Bereich wollte sie alleine klar kommen, kein Mitleid anderer hören. Unruhig wippte sie mit einem Bein, während sie auf einen undefinierten Punkt starrte. „Er ruft oft an.“ Nami hob eine Augenbraue, war das alles, das ihr Vivi zu sagen hatte? „Ich meine, seit du hier bist, habe ich mehrmals mitbekommen, wie dein Handy klingelte. Ein Blick und du hast es ignoriert, hast den Anrufer weggedrückt oder ausgeschalten. Wenigstens kenn ich nun den Grund.“ Vivi beugte sich vor, streckte dabei ihre Hand aus und wartete ab, ehe Nami diese Geste erwiderte. Sanft drückte sie die Hand der anderen, sah diese mitfühlend an. „Du nimmst das Angebot auf jeden Fall wahr und darüber reden wir später nochmal in Ruhe. Keine Ausflüchte, okay?“ „Von mir aus, aber bitte mit einer ordentlichen Portion Alkohol“, meinte sie schelmisch grinsend und setzte erneut ihr lockeres Pokerface auf.   26. Dezember 2011   Mit einem charmanten Lächeln nahm sie die letzte Stufe der Marmortreppe und betrachtete sich die illustre Runde. Die jährlich stattfindende Prozedur, in der ihr Vater alle möglichen Freunde und Geschäftspartner einlud und auf ein weiteres Jahr voller Gewinne anstieß, war im vollen Gang. Trotzdem blieb ihre Erscheinung nicht unerkannt. Ein Zelebrieren, bei dem sich jeder selbst gerne auf die Schulter klopfen wollte und im Auge der Öffentlichkeit ausgetragen wurde. Ginge es nach ihr, läge sie bei ihrer Freundin, egal was sie auch taten, sie würde einfach die Zweisamkeit genießen. Leider galt es an jenem Abend die perfekte Tochter zu mimen. Sie besah sich die Gesichter und ekelte sich innerlich. Nein, für die Welt war sie nicht geboren. Dennoch vollführte sie ihr Schauspiel auf eine perfekte, elegante Art und Weise. Wie automatisiert begrüßte sie diverse Menschen, führte Smalltalk. Die Fassade stand, die niemand hinterfragte. Lächelnd nahm sie ein Glas Champagner vom Kellner entgegen, wissend, dass das mit Sicherheit nicht das letzte war. „Trink nicht zu viel“, hörte sie neben sich und erkannte ihre Schwester, die sie mahnend ansah. Manchmal wusste diese mit ihrer Fürsorge zu übertreiben. „Keine Sorge. Obwohl mir der Gedanke gefällt, mich vor allen zu übergeben, werde ich dem Drang nicht nachgeben.“ Mit einem Grinsen nippte sie an ihrem Getränk, erntete für ihre Aussage einen missbilligenden Blick. „Du bist ein Genie darin, dir das Leben selbst zu erschweren.“ Nojiko war mit ihrem Latein am Ende. Seit Wochen hatte selbst sie keinen allzu guten Draht zu ihrer Schwester. Mit solch einer Wendung hatte sie bis dato nicht gerechnet. Ihr Verhältnis zueinander schien eingefroren. Ganz anderes als die Jahre zuvor. „Tue ich das? Wirklich? Meiner Meinung nach verläuft es gut, ihr seid diejenigen, die mir Steine in den Weg legen.“ Ein Seufzen erklang. Nojiko wollte an diesem Abend mit Sicherheit kein erneutes Streitgespräch entfachen. „Sie brauchen Zeit.“ Nami lachte auf. Als ob. Wie lange denn noch? In gewisser Hinsicht konnte sie ihre Schwester verstehen, sie stand direkt zwischen den Fronten. Im Gegensatz zu ihr, entsprach Nojiko dem ganzen Szenario. Mit ihr gab es selten Probleme. „Warten wir eben noch ein paar Jährchen ab, wie du wünscht, Schwesterherz“, kam es eisig. Bevor Nojiko etwas erwidern konnte, vernahm Nami eine weitere Stimme, die ihr einen Schauer über den Rücken jagte. „Da sind ja die bezaubernden Ladies“, säuselte der Schwarzhaarige, der charmant an Nojiko heran trat. Plötzlich war für Nami der Gedanke, ihren Mageninhalt zu entleeren verlockender denn je. „Du siehst atemberaubend aus“, entgegnete er der Orangehaarigen, die er elegant mit einem Handkuss begrüßte. „Schade, das Kompliment kann ich leider nicht zurückgeben“, provozierte Nami, spürte daraufhin einen Ellbogenstoß ihrer Schwester, den sie gekonnt ignorierte. Leider blieb er in seiner Rolle des Gentlemans und grinste. „Unsere bezaubernde Eisprinzessin, wie habe ich das vermisst. Wir haben uns heute mit Sicherheit nicht zum letzten Mal gesehen, bis später.“ Angewidert sah sie dem Mann hinterher. „Was macht der hier?!“, zischte sie ihrer Schwester zu, die sich angestrengt den Nasenrücken massierte. „Muss das sein? Er ist ein netter Kerl und du bist in seiner Gegenwart die größte Zicke, die mir je untergekommen ist.“ „Dann nimm du ihn doch.“ Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, ließ sie ihre Schwester alleine stehen. Während sie durch den Saal schlenderte tauschte sie ihr Glas aus. Mit Sicherheit steckten ihre Eltern dahinter. Die letzten Jahre hatte er sich hier nie blicken lassen und plötzlich tauchte er überall auf, wo auch sie sich aufhielt. Ihr Weg führte Nami zur Bar, wo sie eine Bestellung aufnahm, während sie den Champagner in einem Zug zu sich nahm. Wollte sie diesen Abend überstehen, brauchte sie dringend einen stärkeren Drink. Minuten verstrichen, in dem sie der Gesellschaft den Rücken zeigte und die Barkeeper bei ihrer Arbeit beobachtete. „Scotch und für die Dame ein Wasser.“ Belustigend verzog Nami ihr Gesicht, wandte sich zur Seite und trank genussvoll von ihrem Drink. „Danke, Law. Das hier schmeckt mir allerdings besser“, gab sie ihm mit einem falschen Lächeln zurück. Der Schwarzhaarige lachte rau, führte eine Zigarre zum Mund, während seine andere Hand in der Hosentasche verschwand. „Aber, aber, meine Liebe. Sieh mich als zuvorkommend.“ Sein Blick streifte unverfroren über ihren Körper, der eine wahrliche Anziehung auf ihn ausübte. „Hast du kein anderes Opfer?“ Provokant trat er näher, beugte sich dicht zu ihr. „Genügend. Doch sind sie recht langweilig. Du jedoch, du bist eine wahre Herausforderung. Ich mag deine widerspenstige Art, sie macht dich verlockender.“ Unbeeindruckt ging Nami auf Abstand. Darauf konnte er ewig warten. Grinsend drehte sie sich. „Sieh es dir an. Mehr wirst du nie zu Gesicht bekommen“, sprach sie herausfordernd, überdrehte die Augen und widmete sich erneut dem Umfeld. Law abzuschütteln war alles andere als einfach, er konnte nicht aufhören. „Deine Eltern sind jedenfalls begeistert von der Vorstellung.“ Nami schnalzte mit der Zunge, nahm ihren Drink und klopfte ihm auf die Schulter. „Gratuliere. Bild dir darauf nichts ein. Aus zweierlei Gründen mögen sie dich. Erstens passt du perfekt in diesen Zirkus und zum Zweiten, du hast einen Schwanz. Und beides findet in meinem Interessenskreis keinerlei Platz.“ Bevor sie an ihm vorbei gehen konnte, schlag er einen Arm um ihre Taille und drückte sie eng an sich. Während er sein gehässiges Grinsen nicht abstellen konnte, sah sie ihm mit Abscheu in die Augen. „Pass auf, wenn dir dein Image wichtig ist“, zischte die junge Frau, die regungslos verharrte. „Eine Kampfansage?“ Wieder beugte er den Kopf dicht vor sie, festigte den Griff. Trotz ihres Alters bot ihm diese Frau mehr Parole als so manch eine andere. Ein Grund, der sein Vorhaben umso mehr festigte. Auf Frauen, die ihm willenlos um den Hals fielen, hatte er keine Lust mehr. Sie reichten fürs Bett, um seine Vorlieben auf kurze Dauer zu befriedigen, nicht jedoch für mehr. „Ein Versprechen“, hauchte sie ihm bedrohlich gegen die Lippen, löste sich und zog von dannen. Law lehnte sich gegen die Theke, leckte sich über die Lippen und lachte in sich hinein. Kapitel 4: Curiosità. --------------------- Neugierde 7. Jänner 2012   Von Wut innerlich zerrissen, eilte Nami hastig durch die Gänge des Krankenhauses. Eine Schwester hatte ihr mittgeteilt, wo sie den Bastard finden konnte. Immer wieder sah sie sich um, ob sie tatsächlich den richtigen Weg nahm. Auf dem Gang, inmitten einer Gruppe Ärzte fand sie ihn. Kaum stach ihm ihre Gestalt ins Auge, lächelte er sanft. Stets verblüffte es die junge Frau, wie fehlerfrei sein Schauspiel doch war. Er verabschiedete sich von seinen Kollegen und passte sie in der Mitte ab, signalisierte ihr keine Szene zu machen, die sich bereits in ihrer Gedankenwelt zusammenbraute. Bestimmend legte er seinen Arm um sie und schleifte sie somit mit sich in sein Büro, welches im nächsten Gang lag. Eilig drehte er den Kopf von einer Seite zur anderen, suchte die Umgebung nach möglichen Zuhörern ab, die er zu seinem Glück nicht vorfand. Hinter ihr schloss er die Türe, drehte den Schlüssel. Mit ihrem Auftauchen hatte er unlängst gerechnet. „Sag mal, tickst du noch ganz? Was soll der Scheiß, Law?!“, entwich ihr sogleich. Wutentbrannt schubste sie ihn gegen die Wand. Trotz ihrer aufbrausenden Art blieb er bedächtig ruhig, ihrer Meinung nach zu ruhig. „Schlechte Laune?“, entgegnete er belustigend und richtete den Kittel. Ungeniert ging er an Nami vorbei, deren Atmung sich beschleunigt hatte, und flanierte sich in seinen Ledersessel. Gelassen gab er die Beine überkreuzt auf die Tischplatte, wippte. Überheblich wie eh und je. „Spiel nicht den Idioten. Ein Arschloch wie du, ist mir noch nie untergekommen! Macht dir das Spaß? Eine Beziehung zu zerstören?“ „Ihr habt euch getrennt? Wie schade“, heuchelte der Schwarzhaarige. Nami biss den Kiefer aufeinander und trat vor den Schreibtisch. Energisch stützte sie sich mit ihren Armen darauf ab. „Du bringst das wieder in Ordnung!“, fauchte sie lautstark. Belustigend schüttelte er mit dem Kopf. „Warum sollte ich deine Beziehung retten können?“ „Du bist krank“, brachte sie gepresst hervor. Keines ihrer Worte zeigte eine gewünschte Reaktion. Er wirkte vollkommen unbeteiligt. „Zu dumm, dass ich hier derjenige bin, der eine fachmännische Ausbildung hat um solche Unterstellungen zu tätigen.“ Nami atmete tief durch. Ein Kotzbrocken, wie er im Buche stand. Nicht dazu imstande ein normales Gespräch zu führen, zuzugeben, er tat das gerne mit Absicht. „Wenn sie dich so schnell abserviert, dann war eure Liebe wohl lediglich ein Hirngespinst.“ Ihre Augen weiteten sich. Warum hatte sie sich überhaupt die Mühe gemacht hierher zu kommen? Bevor sie vollkommen die Kontrolle verlor, richtete sie sich auf und sah ihn verachtend an. „Du widerst mich an.“ Dann musste sie sich eben eine andere Lösung einfallen lassen. Irgendwie. Trotz der Hindernisse und der Tatsache, dass Law ein solch leichtes Spiel hatte, wollte sie die Beziehung nicht zu schnell aufgeben. Sie musste hier raus, dringend. Seine Getue versetzte Nami zunehmend in Rage. Sie zog an der Türklinke, nichts. Kopfschüttelnd legte sie den Schlüssel um, weiter kam sie nicht. Law blockierte ihr Vorhaben. Streng hielt er ihre Hand, während er sie mit seinem Körpergewicht gegen die Türe drückte. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken, als sie seine Lippen an ihrem Ohr spürte. „Ich habe dich gewarnt. Wenn du auf Spielchen stehst, dann such dir jemanden auf Augenhöhe. Ich bin ein größeres Kaliber, als du womöglich gewohnt bist“, raunte er lachend. Namis Puls schnellte in die Höhe, eine Gänsehaut breitete aus. Seine Hand wanderte unverfroren über ihren Körper. „Ich gewinne immer.“ Nami schloss ihre Augen, nahm mehrere tiefe Atemzüge. Ihre Lippen, geziert von einem schwer deutbaren Lächeln. Zum ersten Mal zeichnete sich Verwirrung auf seinem Gesicht ab. Verführerisch sah ihn von der Seite aus an, drückte sich ihm entgegen. In all seinen Überlegungen hatte er diese Reaktion nicht einberechnet. Somit gab er Nami Freiraum, den sie dafür nützte um sich umzudrehen und mit dem Rücken gegen die Tür zu lehnen. Ihre Hände glitten über seinen Oberkörper, streiften den Kittel über seine Schultern. Sinnlich leckte sie sich über die Lippen, trat auf die Zehenspitzen um auf Augenhöhe zu sein. Law verblieb regungslos. War es am Ende so einfach? Ihre Nasenspitze strich an seinem Hals entlang. „Das möchtest du doch, richtig?“, hauchte sie ihm gegen die Lippen. Merklich spürte Nami die Anspannung seiner Muskeln. Provokant bewegte sie ihre Hüfte gegen seine. Er sah ihr in die Augen, konnte schwer glauben, dass das tatsächlich geschah, trotzdem verspürte er den Wunsch dem Drang nachzugeben. Langsam hob Law seine Hand, die sich in ihrem Haar vergrub. Er gab nach, wollte ihre Lippen spüren. Auf diesen Moment hatte Nami gewartet. Ein schmerzlicher Aufschrei erfolgte. Mit Genuss krallten sich ihre Fingernägel in seine Schulter, während sie ihr Knie zurückzog. „Fuck, du hast sie nicht mehr alle!“, schrie Law ihr entgegen, während er ein paar Schritte nach hinten torkelte. Nami lachte rau auf. „Am Ende bist du genauso simpel gestrickt wie jeder Mann.“ Nami öffnete die Tür, blieb stehen und drehte ihren Oberkörper nochmals in seine Richtung. „Ah ja, ich bin zwar keine Ärztin, empfehle deinem kleinen Freund dennoch eine ordentliche Portion Eis.“ Lachend schlenderte sie den Gang entlang. Vielleicht hatte sie für ihr Problem keine Lösung parat, doch diesen Idioten auflaufen zu lassen, hob ihre Laune auf jeden Fall an.   14. Februar 2012   Elegant trat Nami durch den Saal, betrachtete die Gesellschaft und hielt schwach lächelnd inne. Obwohl es nicht gerade zu einer ihrer Lieblingsbeschäftigungen gehörte, fühlte sie sich an diesem Abend deutlich wohler, als sonst. Kein Wunder, bisher hatte sie kein bekanntes Gesicht erkennen können. Ein immenser Pluspunkt. Hier lag die Aufmerksamkeit auf Vivi und ihrem Vater. Die junge Frau tanzte mit Korsa, einem alten Kindesfreund, den Nami schwer einschätzen konnte. Beiläufig hatte sie Eindrücke sammeln können. Sowohl Korsa als auch Kaya und wie die anderen sonst noch hießen, passten wie angegossen in das übliche Schema. Kein Wunder, dass sich Vivi somit zu jemand wie Zorro oder Ruffy hingezogen fühlte. Ein Unterschied wie Tag und Nacht. „Sind sie nicht hinreißend?“ Nami erspähte aus dem Augenwinkel heraus Vivis Vater, der lächelnd seine Tochter beim Tanzen beobachtete. Nami nippte an ihrem Getränk. „Vom Optischen her, keine Frage. In anderer Hinsicht glaube ich kaum, dass sie harmonieren“, sprach die junge Frau offen, vernahm kurz darauf sein Lachen. „Äußerst bedauerlich. Mir ist durchaus bewusst, dass meine Tochter ihren eigenen Kopf hat. Dennoch wäre ich alles andere als bestürzt, wenn mehr zwischen ihnen wäre. Sie kennen sich von klein auf und er ist durchaus ein Gentleman, jedenfalls dann, wenn er ein aufrichtiges Interesse hegt.“ Korsa war ein junger Mann, der gerne das eine oder andere Abenteuer hatte. In dem Alter wunderte es Kobra nicht. Trotzdem kannte er ihn und wusste, wie er war, wenn jemand sein Herz eroberte. „Liebe und Freundschaft, darin liegt ein großer Unterschied. Wir haben keinerlei Macht darüber, in wen wir uns verlieben. Hört sich nach einem Frauenheld an.“ Kobra seufzte auf, vergrub seine freie Hand in der Hosentasche. „Gewiss. Dennoch ist es naheliegend, dass ich mir einen Mann für sie wünsche, der sie liebt und achtet. Manchmal denke ich beinah, dass diese Werte überaltert sind, trotzdem wünsche ich ihr, jene Liebe zu erfahren, die mir zu Teil geworden ist. Ich möchte sie glücklich sehen, auf dieselbe Weise, wie ich es mit meiner Frau war. Möchten das nicht alle Eltern?“ Ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen, ihr Blick wandte sich von ihrer besten Freundin ab und Nami trat leicht auf der Stelle. „Manche Väter sehen das anders“, murmelte Nami und festigte den Griff um ihr Glas. Eigentlich hoffte sie seit jeher darauf, dass ihr Vater sie verstand, ihr den Rücken stärkte und ihren Lebensstil akzeptierte. Kobra betrachtete die junge Frau und trat näher. „Glaub mir, eines Tages wird er verstehen, dass das keinen Sinn hat. Wir versuchen gerne unseren Kindern eine Richtung aufzudrücken. Irgendwann wird er jedoch einsehen, dass du auf deine eigene Weise glücklich wirst. In der heutigen Zeit ist nichts Unmöglich und eine wahre Norm existiert mit Sicherheit nicht mehr. In der Liebe ist alles möglich und wir sind ihr hilflos ausgeliefert.“ Aufmunternd drückte er ihre Schulter. Immerhin sah er in Korsa zwar einen geeigneten Schwiegersohn, an dessen Seite Vivi sorglos leben konnte, doch hatte er keinen Einfluss darauf. Lediglich Vivi wusste, wen sie als passend ansah. Den richtigen Weg musste sie alleine finden, daher mischte er sich in diese Angelegenheit mit Sicherheit nicht ein. „Haben Sie nie daran gedacht erneut zu heiraten?“, warf sie kleinlaut ein und sah vorsichtig zu ihm. Überrascht runzelte Kobra die Stirn, ehe er verträumt zur Decke hoch starrte. „Ja, ich habe hie und da mit dem Gedanken gespielt. Ich verabredete mich auch. Allerdings hapert es an der Umsetzung. Du musst wissen, ich habe meine Frau früh kennengelernt. Zur damaligen Zeit lachte ich, wenn es darum ging, man fände früh die Liebe des Lebens, oder es gäbe Liebe auf den ersten Blick. Meiner Meinung nach hörte sich das nach Humbug an. Am Ende reichte eine einzige Begegnung aus. Wir hatten unsere Zeit, wenn auch äußerst begrenzt. Zwar wünschte ich, wir hätten mehr gehabt, doch ich habe jeden Augenblick genossen und würde keine Sekunde daran ändern. Ihr Tod war mit Abstand die schlimmste Erfahrung meines Lebens. Anfangs habe ich gedacht, ich würde nie darüber hinweg kommen, bis mir eines Tages klar geworden ist, dass nicht alles verloren war. Immerhin blieb mir Vivi. Obwohl ich versucht habe mich auf eine neue Beziehung einzulassen, habe ich nie eine weitere Frau gefunden, die solche Gefühle in mir ausgelöst hat. Keine konnte ihr das Wasser reichen. Heute kann ich aufrichtig sagen, dass sie die Liebe meines Lebens ist. Da bevorzuge ich lieber alleine zu bleiben.“ Aufmerksam hatte sie seinen Worten gelauscht und lächelte gegen Ende hin sanft. „Ich bezweifle, dass ich solch eine Person finde“, sprach sie leise lachend und leerte ihr Glas. Kobra lächelte aufmunternd. „Ich habe gelernt, dass das der einzige Part im Leben ist, den man nicht durchplanen kann. Er trifft dich vielmehr aus heiterem Himmel. Wichtig ist, dass du im richtigen Moment keinen Rückzieher machst und es zulässt. Wenn du jenen Menschen betrachtest und spürst, das ist er, dann darfst du nie aufgeben, sondern versuchen dem Schicksal zu trotzen. Du ahnst nicht, wie schnell so etwas geht.“ Nami beobachtete die Paare, die sich im Saal befanden und seufzte auf. „Hätten meine Eltern ein Mitspracherecht, dann wäre ich womöglich bereits verlobt. In meinen Augen ist am Horizont allerdings nichts erkennbar.“ „Ein Grund mehr, hierher zu kommen?“ Entgeistert sah sie den älteren Mann an, der wissend lächelte. „Vivi hat mich bereits darüber informiert. Seit dem Tod meiner Frau ist das Haus für uns beide zu groß, zu leer und dennoch können wir uns aufgrund der Erinnerungen nicht davon trennen. Ich arbeite viel, bin oftmals unterwegs und nach all den Jahren seid ihr weiterhin Freundinnen geblieben. Du kannst gerne bei uns wohnen. In dieser Hinsicht brauchst du dir keine Gedanken zu machen und vielleicht tut dir der Abstand zur Familie gut.“ Obwohl Nami bekannt war, dass sich Kobra sehr um seine Tochter sorgte und bei seiner Fürsorge gerne zu viel als zu wenig tat, unterschied er sich sehr von ihrem eigenen Vater. Solche Gespräche waren mit ihm unvorstellbar. „Danke, ich weiß das sehr zu schätzen“, entgegnete sie und fühlte sich bei diesem Gedanken wohler als anfangs gedacht. Ja, diese Reise hatte ihr bisher eine andere Sicht auf die Welt gezeigt. Die Menschen, die sie hier getroffen hatte, waren anders, als jene aus ihrer Heimat. Sogar Vivi und ihr Vater, die den gleichen Lebensstil pflegten, repräsentierten andere Werte. Ein paar Monaten in dieser Stadt dürfte mit Sicherheit kein Fehler sein, vielleicht brachten sie ihr sogar die Zeit, die sie benötigte um endlich den richtigen Weg zu finden.   19. Mai 2009   Aufgelöst trat Nami auf der Stelle. Immer wieder strich sie sich über die Wangen, entfernte die Tränen, während ihr Blick starr auf die Tür vor ihr gerichtet war. Er schien nicht zu Hause zu sein. Seit Minuten stand sie da, versuchte einen klaren Kopf zu bekommen, von den Gedanken abzulassen, zwecklos. Schließlich setzte sie sich auf die Stufe, vergrub das Gesicht in den Handflächen. Immer wieder ertönte ein Schluchzen. Die Situation lief zu sehr aus dem Ruder, zu schnell. Ihr Onkel schien die einzige Person zu sein, zu der sie gehen konnte, wenn alles dunkel aussah. „Zoff?“, hörte sie eine raue Stimme neben sich, spürte eine Hand, die um ihre Schulter gelegt wurde und sie zu sich zog. Nami blieb in ihrer Position, nickte kaum merklich. „Darf ich ein paar Tage bleiben? Bitte Genzo.“ Der Mann lächelte sanft, strich ihr sanft über den Rücken. „Sicher. Solange du möchtest.“Genzo wartete ab, drängte Nami nicht. Erst als sich diese beruhigt hatte, zog er sie mit sich auf die Beine. Schweigend öffnete er die Haustüre, ließ sie zuerst eintreten, ehe er ihr folgte, ihre Tasche an der Garderobe abstellte und durch den Flur in Richtung Küche ging. Nami selbst ging ins Wohnzimmer, ließ sich auf das Ledersofa nieder und wartete bis ihr Onkel zurückkam. „Erzähl mal“, sprach er sanft, hielt ihr eine dampfende Tasse Tee entgegen. Genzo setzte sich ihr gegenüber und wartete ab. Vermutlich gab es keine wirkliche Neuigkeit und es handelte sich einmal mehr um eine Neuauflage. „Und was? Ich hätte mehr zu erzählen, wenn sich unser Streitpunkt ändern würde, allerdings ist das nicht der Fall. Ich erkenne ihn kaum wieder.“ Bis zu diesem Zeitpunkt war ihre Beziehung zu ihrem Vater unerschütterlich. Die Änderung kam abrupt. Ihre Beichte hatte einen mächtigen Stein ins Rollen gebracht. „Und Bellemere?“ „Sie versucht zu vermitteln. Wie auch Nojiko. Doch seinen Grundgedanken teilt sie in gewissem Maße, garantiert. Lediglich wie die Situation behandelt wird, ja, darin unterscheiden sie sich.“ Genzo nickte nachdenklich. Eigentlich hätte er von ihr mehr erwartet. „Wie du weißt, habe ich nie verstanden, was sie genau an ihm findet. Versteh mich nicht falsch, er hat durchaus seine guten Seiten, eigentlich war er stets ein guter Vater, für euch beide. Er liebt dich, wie auch deine Schwester. Nur ist das ein Punkt, der nicht in seine Weltanschauung passt. Er ist vom alten Schlag, sein Vater war schlimmer. Gib ihm Zeit.“ „Und wie viel? Er darf mich anschnauzen und ich soll Ruhe geben und warten? Ich bitte dich, wie soll das gehen? Als ob es nicht genug ist, dass er mich nicht akzeptiert. Nein, er muss mir unter die Nase reiben, dass es ja so kommen musste, da ich nicht sein leibliches Kind bin! Wie soll ich das hinnehmen? Damit umgehen? Derzeit halte ich es kaum aus in seiner Nähe zu sein.“ Genzo ließ den Kopf sinken, sah auf seine Tasse. Oftmals hatte er ihnen gesagt, dass sie wohl irgendwann die Wahrheit herausfinden würde, doch hatte er stets gehofft, dass das nicht innerhalb eines Streites geschah. „Wir finden eine Lösung, versprochen.“ Ein verzweifeltes Lachen drang über ihre Lippen. Ja, er versuchte sie aufzumuntern, ihr Hoffnung zu geben, doch in Anbetracht der Situation glaubte sie nicht daran. Eine passende Lösung war vorerst nicht absehbar.   14. Februar 2012   „Du scheinst mir kein Freund dieser Feste zu sein.“ Die Stimme kam ihr durchaus bekannt vor. Langsam warf die Orangehaarige einen Blick über die Schulter, musterte ihr Gegenüber, ehe sie sich mit einem spitzbübischen Lächeln abwandte und dem Barkeeper dabei zusah, wie er ihren Drink machte. „So durchschaubar?“, fragte sie schließlich glucksend und schüttelte schwach mit dem Kopf. Die Schwarzhaarige trat neben sie und tippte mit den Fingerspitzen auf das Holz, während sie ihre Bestellung aufgab. Einen Augenblick schwiegen beide, ehe es die Archäologin war, die das Wort ergriff. „Nicht direkt. Allerdings wirkst du in meinen Augen gespielt.“ „Ich bin positiv überrascht. Selten, dass mir das jemand anmerkt. Solche Anlässe langweilen mich. Alles ist stets gleich, wie eine elende Endlosschleife. Sag bloß, dir gefällt das?“ Dankend nahm sie ihren Drink entgegen, drehte sich zur Seite um ihre Gesprächspartnerin besser betrachten zu können. Die Ausstrahlung, die von ihr ausging, wirkte an diesem Abend merklich anders. Woran das lag, erahnte Nami nicht. Jedoch konnte sie nicht bestreiten, dass diese umwerfend aussah. „In gewisser Hinsicht sind sie alle Schauspieler. Ich hoffe dein Aufenthalt beschränkt sich nicht bloß darauf?“ Schmunzelnd führte Nami das Glas zu ihren Lippen. Ihr Blick streifte über die Gesellschaft. Die Situation kam ihr bekannt vor, anders als bei dem letzten Mal, entpuppte sich ihr Gegenüber als angenehm. „Und wenn das der Fall ist?“ Die Schwarzhaarige lachte rau. „Eine Schande. Venedig hat weitaus mehr zu bieten, als das hier.“ „Das trifft auf alle Städte zu. Allzu freiwillig ist mein Erscheinen nun auch wieder nicht. Sagen wir, ich habe einer Freundin einen Gefallen getan. Von dem habe ich bereits zu Hause genug.“ „Manchmal gibt es eben kein Entrinnen.“ Ohne die Aufmerksamkeit zu erregen, sah sich die Schwarzhaarige vorsichtig um. Bisher schien alles nach Plan zu verlaufen. Niemand schien sein Ableben mitbekommen zu haben. Noch nicht. Um nicht aufzufallen, blieb sie bei solchen Menschenmassen meist noch vor Ort, zeigte ihre Präsenz. Außerdem, wer würde ausgerechnet an sie denken? „Also bitte, es gibt nichts Schöneres als einen Valentinstag auf diese Weise zu verbringen“, sprach Nami übertrieben fröhlich. „Ich schätze, es gibt dann niemanden an deiner Seite, der dir den Abend ein wenig versüßt.“ Eine Feststellung, keine Frage. Nami hob eine Augenbraue, schnalzte mit der Zunge und nahm einen größeren Schluck. „Wenn es so wäre, würde ich mich kaum an die Bar zurückziehen. Und von dem Tag an sich, halte ich generell nicht sehr viel. Ich bin der Überzeugung, dass man keinen eigenen Tag braucht, um jemanden mit einer Geste zu überraschen. Insbesondere, wenn Offerten und großes Tamtam erwartet wird. Da bevorzuge ich lieber spontane Aktionen.“ Diese Einstellung hatte sie seit jeher. War sie zu diesem Zeitpunkt allerdings in einer Beziehung, machte sie dennoch mit, obwohl es ihr in gewisser Hinsicht tatsächlich zuwider war. „Da ich generell keine Beziehungen eingehe, erspare ich es mir automatisch.“ Aufhorchend lehnte sich Nami an der Theke an und strich mit den Fingerspitzen über den Rand des Glases. „Du sagst also, du bist kein Beziehungsmensch?“, hinterfragte sie neugierig, woraufhin die Schwarzhaarige nickte und von ihrem Drink trank. „Ich glaube eher, dass du bisher nicht den richtigen Menschen getroffen hast, der einen Weg gefunden hat um deine Meinung zu ändern.“ Überrascht drehte ihr die Schwarzhaarige den Kopf entgegen, wodurch Nami ihr in die Augen sehen konnte. Diese Farbe, dachte sich die junge Frau und erhaschte sich bei dem Gedanken, dass diese wunderschön waren, einluden um sich darin zu verlieren. Das Blau, dunkel und doch leuchtend. Wie das Meer an einem seiner tiefsten Punkte. „Findest du?“ Nami blinzelte mehrmals und wandte sich ab, räusperte sich leicht. Die Andere schmunzelte in sich hinein und versuchte neugierig zu erkennen, worauf die Orangehaarige ihre Aufmerksamkeit lenkte. „Ja. Irgendwann findet jeder die eine Person, die alle bisherigen Einstellungen über Bord werfen lässt. Jedenfalls möchte ich die Hoffnung darauf nicht aufgeben.“ Der Blick der Schwarzhaarigen wurde sanft. Die Einstellung wusste ihr in gewissem Maße zu gefallen. Dennoch glaubte Robin nicht daran, ihre Lebenssituation gab ihr keine Chance für etwaige Beziehungen. Nähe konnte sie zunehmend ins Verderben locken. Schweigen kam auf. „Wen haben wir denn da? Nami Catrall, lange nicht gesehen.“ Innerlich stieß die Angesprochene ein tiefes Brummen aus. Ausgerechnet auf diese Frau musste sie treffen. Mit einem aufgesetzten Lächeln und einer gespielten freundlichen Art, begrüßte sie die Schwarzhaarige. „Alvida, schön Sie zu sehen.“ Sie hasste diese Frau. Sie hielt sich für die Schönste auf Erden. Ihr plastischer Chirurg verdiente sichtlich gut an ihr. Robin betrachtete das Szenario schweigend und musste lächeln. Dieses aufgesetzte Getue kannte sie zu gut. Eine Gemeinsamkeit war keineswegs zu übersehen. Kopfschüttelnd leerte sie ihr Glas. „Nett“, kommentierte die Schwarzhaarige, als Nami zurückkehrte und einen angewiderten Gesichtsausdruck zu Tage legte. „Sehr. Unerträglich die Frau. Den Reichtum hat sie ihrem Mann zu verdanken. Sie lässt sich aushalten und jettet durch die Welt und hat gern die eine oder andere Affäre.“ „Lass mich raten, darunter fällt auch ihr Chirurg?“ Nami runzelte die Stirn. „Aufgefallen?“ Die Andere nickte und Nami lachte auf. Schließlich stellte sie das Glas auf den Tresen und sah nochmals quer durch den Saal, ehe sie der Schwarzhaarigen ihre Aufmerksamkeit schenkte. Allmählich sank die Lust länger zu bleiben deutlich. „Ich mag nicht mehr. Lieber möchte ich durch die Stadt spazieren und die Nacht auf mich wirken lassen“, brummte sie entnervt und betrachtete ihre Hände. Vielleicht sollte sie sich einen passenden Ausweg einfallen lassen oder Vivi die Wahrheit erzählen. Im Grunde konnte sich Nami gut vorstellen, dass sie Vivi sogar begleitete. „Dann muss ich mich wohl ebenfalls zurückziehen. Du hast den Abend gerade noch annehmbar gemacht.“ „Nur annehmbar? Na, herzlichen Dank“, gab sie theatralisch zurück, hörte die Schwarzhaarige anschließend glucksen. Wieder spähte sie zur jungen Frau, musterte diese unauffällig und einmal mehr an diesem Abend musste sie sich eingestehen, dass sie leichtes Interesse hegte, mehr über sie in Erfahrung zu bringen. Eine Seltenheit. Mit einem schwer deutbaren Ausdruck beugte sie sich vor. „Ich hole mir meinen Mantel und warte wohl die eine oder andere Minute vor dem Gebäude. Eventuell hat ja eine gewisse junge Frau, deren Name ich endlich kenne, Interesse daran, mir ein wenig länger Gesellschaft zu leisten.“ Ein verschmitztes Lächeln huschte über ihre Lippen, als sie die Irritation der Jüngeren erkannte. Für einen Augenblick trafen sich ihre Blicke. Schließlich war es die Schwarzhaarige, die sich wortlos abwandte und Richtung Empfangshalle schritt. All die Zeit über spürte sie deutlich den Blick der anderen in ihrem Nacken. Nami verharrte, perplex von dem Angebot, an Ort und Stelle. Ihre Gedanken kreisten darum, den Schritt zu wagen. Die Vorstellung empfand sie alles andere als abschreckend. Nachdenklich biss sie sich in die Innenseite ihrer Unterlippe, ehe sie leise gluckste und sich auf die Suche nach Vivi machte. „Wo warst du? Ich dachte, du tauchst gar nicht mehr auf“, entgegnete die Schülerin sogleich und zeigte sich skeptisch. Namis breites Grinsen trug einiges dazu bei. „Hast du ein Problem damit wenn ich schon gehe?“ Langsam runzelte Vivi ihre Stirn, legte den Kopf leicht schief. „Grund?“ Namis Grinsen vergrößerte sich und allmählich konnte Vivi erahnen, worum es hierbei ging. „Wer ist sie?“ „Ich verspreche dir, ich erzähle dir später jedes noch so kleinste Detail, okay? Ich weiß zwar nicht direkt, woran du gerade denkst, aber nein, darauf läuft die Situation mit Sicherheit nicht hinaus. Ich kann das schwer einschätzen, aber es ist durchaus verlockend.“ „Natürlich, ich lerne hier einen Idioten nach dem anderen kennen und du? Hier, mein Schlüssel. Ich gehe dann mit meinem Vater, wie es aussieht, wird er wohl nicht mehr allzu lange bleiben, hoffe ich mal.“ Dankend nahm sie diesen entgegen. Manchmal konnte selbst Vivi die unkomplizierteste Person sein, leider wirklich nur manchmal. „Bis später.“ Sie umarmte ihre beste Freundin und wandte sich bereits um, ehe sie nochmals Vivis Stimme vernahm. „Darauf kannst du wetten, ich werde mit Sicherheit warten.“ Nami trat an die kalte Luft, nahm einen Atemzug, der sie erschaudern ließ. Am Treppenansatz stand die Archäologin, abwartend, den Blick auf den Nachthimmel gerichtet. Leichtfüßig nahm Nami eine Stufe nach der anderen, blieb auf der vorletzten stehen und versuchte zu erahnen, welches Sternenbild die Aufmerksamkeit der anderen erhielt. „Entweder reizt dich das Unbekannte oder du bist lediglich daran interessiert, dem Zirkus dort drin zu entkommen“, warf die Schwarzhaarige ein. Nami grinste und ließ sich auf die letzte Stufe. „Womöglich beides. Nun gut, ohne Basisinformationen lasse ich mich garantiert nicht ein.“ Interessiert senkte die Schwarzhaarige ihren Kopf und betrachtete die jüngere Frau, die lächelnd die Arme um ihren Oberkörper schlang. Sie fröstelte, wie bei ihrer ersten Begegnung. „Ich höre?“, fragte sie neugierig nach, mit Sicherheit nicht auf die folgende Antwort vorbereitet. „Ich kenne deinen Namen, deinen Beruf und dein Alter“, bemerkte Nami deutlich amüsiert und machte ein paar Schritte. Verwundert blieb die Schwarzhaarige regungslos, lauschte den Absätzen der anderen. „Natürlich neben der Information, dass du dem Ganzen genauso entsagst wie mir und du denkst, du seist unfähig um eine ernsthafte Beziehung zu führen.“ Die Hände der Älteren wanderten automatisch in die Manteltaschen und äußerst langsam folgte sie der Orangehaarigen. Nami merkte, wie die Schwarzhaarige sich in Bewegung setzte und lächelte vor sich hin, während sie den Kanal entlang ging und das Wasser beobachtete. „Wenn dem so ist, dann finde ich es nur gerecht, wenn ich wenigstens dieselbe Basis hätte, Nami.“ Einen Augenblick lang, blieb die Orangehaarige stehen und drehte sich um. „Ich schätze, dass musst du selbst herausfinden, Robin.“   Kapitel 5: Sogni d'oro. ----------------------- "Träume süß." 17. Februar 2012   „Denk daran, sobald du ein genaues Datum hast, ist alles vorbereitet. Wir sehen uns zu deinem Geburtstag, versprochen.“ Sanft zog Vivi die Orangehaarige in eine Umarmung, die ein schwaches Lächeln auf ihren Lippen zustande brachte. „Pass auf dich auf und halte mich auf dem Laufenden“, nuschelte Nami, drückte Vivi nochmals an sich, ehe sie von ihr abließ und Richtung Sicherheitskontrolle ging. „Das müsste ich eigentlich dir sagen“, murmelte die Schülerin und blieb mit gemischten Gefühlen zurück. Unruhig wippte die junge Frau mit ihrem rechten Fuß, während ihre Aufmerksamkeit den Lichtern galt, die nach und nach verebbten. Die Stadt verschwand und dennoch starrte sie hinaus in die dunkle Nacht. Zu rasch war die Woche vergangen, doch verließ sie diese mit recht vielen Eindrücken, die ihren Entschluss festigten. Ihre Lippen formten ein schwaches Lächeln. In fünf Monaten kehrte sie nach Venedig zurück. Ein Tapetenwechsel, der zwingend notwendig war und ihr endlich die Chance gab ihren eigenen Weg zu finden. Wie wohl die Reaktion ihrer Familie aussah? Mit Sicherheit unterschiedlich. Nachdenklich lehnte sich Nami zurück und schloss die Augen. Zu schade, dass sie nicht länger bleiben konnte, doch die Freude auf die baldige Rückkehr war umso größer. Die kommende Zeit dürfte einiges für sie bereit halten.   15. Februar 2012   „Das hättest du wirklich nicht tun müssen.“ Nami hielt inne. Obwohl die letzten Stunden in manchen Augen keinerlei Besonderheit aufwiesen, hatte sie diese äußerst genossen. Ihr Blick glitt zu Vivis Haus, ehe sie erneut die Aufmerksamkeit ihrer Begleiterin widmete, die ihr sanft entgegen lächelte. „Mir macht das nicht sehr viel aus. Außerdem, wer weiß, ob du den Weg im Dunkeln gefunden hättest. Hier kann man sich sehr schnell verlaufen. Und von den Gestalten, die hier zum Karneval herumlaufen, fange ich lieber gar nicht erst an.“ Nami schnaufte entrüstet auf. Verlaufen? So etwas war ihr noch nie passiert. Ihren Orientierungssinn brauchte wahrlich niemand in Frage stellen. Zu Anfang hatte sie gegen das Angebot gesprochen, lehnte dankend ab, denn sie war alles andere als unbeholfen. Argumente hin oder her, die Rolle stand ihr nicht. In dieser mochte sich Nami noch nie. Recht schnell jedoch musste sie dann feststellen, dass das kein einfaches Unterfangen war der Schwarzhaarigen etwas aus dem Kopf zu schlagen. „So schlimm, dass ich dich begleitet habe?“ Nami blinzelte und sah fragend zu Robin, die durchaus erahnte, was ungefähr in der jungen Frau vor sich ging. Seufzend steckte sie die Hände in die Manteltasche und schüttelte sacht den Kopf. „Nein. Ich mag es einfach nicht, wenn ich unterschätzt werde und deine Wortwahl gab mir das Gefühl. Denn ehrlich gesagt, du bist selbst eine Frau und musst nun den Weg zurückgehen, allein, in Dunkelheit. Und dein Alter nehme ich als Argument nicht voll“, erklärte Nami ruhig. Unterschätzt wurde sie gern, insbesondere von ihrer Familie. Gut und gerne trauten sie ihr höhere Ziele gar nicht erst zu. Natürlich hatte sie in den Jahren Anlass dazu gegeben, doch das ging vielmehr von ihrer rebellischen Seite und den alltäglichen Konflikten aus. Robin indes hob eine Braue an, wirkte amüsiert. Verräterisch zuckten ihre Mundwinkel. „Was?“ „Nichts. Ich habe dich klar und deutlich verstanden“, winkte die Schwarzhaarige ab und lächelte schließlich spitzbübisch. In den letzten Stunden hatte sie durchaus mitbekommen, wie Nami ihre Meinung vertrat und sich kaum dazwischen reden ließ. Sie schaffte es sogar erneut darauf zurückzukommen, obwohl das Thema längst abgehandelt worden war. Zu ihrer Überraschung hatten sie die Unterhaltungen nicht ermüdet, im Gegenteil sie hatte gern zugehört und ab und an einen Kommentar ihrerseits eingeworfen. Manchmal provokanter, einfach um die Reaktion sehen zu können. Oftmals langweilte sie sich bereits nach ein paar Minuten und suchte rasch nach einer Möglichkeit sich zurückzuziehen. Abgesehen von ihren Freunden, die gleichzeitig ihre Partner darstellten, traf sie selten auf einen Menschen, dem es lohnt Gehör zu schenken. Irgendwie erfrischend. „Mittlerweile habe ich das Gefühl, dass du das alles mit Absicht machst.“ Kopfschüttelnd trat Nami auf der Stelle. Im Gehen waren ihr die Kälte, der Wind kaum aufgefallen. Rigoros musterte sie Robin, die zu ihrer Verwunderung vollkommen unbeeindruckt war. Robin lachte leise auf und deutete zum Haus. „Geh lieber. Nach den Wintern, die ich in Russland erlebt habe, kann nicht jeder abgehärtet sein“, sprach sie sanft lächelnd. Obwohl die Zeit bereits weit fortgeschritten war, verspürte Nami keine Müdigkeit, sie hätte noch Stunden weiter durch die Gassen schlendern und reden können, doch war es vermutlich das Beste. „Danke für dein rettendes Angebot, ansonsten wäre ich vor Langeweile wohl gestorben.“ Robin nickte daraufhin verschmitzt. „Keine Ursache, wir haben uns gegenseitig aus der Bredouille gefreit. Genieß die restlichen Tage, die Stadt hat sehr viel mehr zu bieten und wer weiß, vielleicht laufen wir uns nochmals über den Weg. Sogni d’oro, Nami“, verabschiedete sich Robin, ehe sie sich allmählich in Bewegung setzte. „Du auch.“ Nicht mehr als ein Flüstern. Langsam kramte sie den Schlüssel hervor, überbrückte die letzten Meter zur Haustüre, ehe sie nochmals den Kopf Richtung Robin wandte. „Bei einem dritten Mal erwarte ich mindestens eine Einladung zum Kaffee“, rief sie der Schwarzhaarigen grinsend hinterher und betrat das Haus ohne einen weiteren Blick zu riskieren. Robin lachte leise auf und schüttelte den Kopf. Tief durchatmend lehnte Nami einen Augenblick lang gegen das Holz. Die letzten Stunden hatte sie mehr genossen, als erwartet. Rasch schüttelte sie den Kopf, versuchte Gedanken, die in eine Richtung deuteten, die ihr missfiel, zur Seite zu schieben. Seufzend stieß sie sich ab, streifte den Mantel von ihren Schultern und hing ihn auf, ehe sie sich ihren Schuhen entledigte. Eigentlich waren diese für den langen Sparziergang äußerst unpassend gewesen. Auf Zehenspitzen ging sie den Flur entlang, hoffend niemanden zu wecken, doch den Gedanken konnte sie kaum ausführen, schon öffnete sich die Türe ihres Gästezimmers. Vivi streckte wortlos ihren Kopf durch den Spalt und winkte ihre Freundin hastig zu sich. Das sie eine Weile lang auf sie warten würde, war Nami klar gewesen, doch mittlerweile war es bereits knapp vor drei Uhr morgens. „Warum bist du noch auf?“, wollte sie fragen, als Vivi bereits ihr Handgelenk packte und sie regelrecht in den Raum zerrte. Sichtlich verwirrt sah sie die Schülerin an, die weiterhin das Schweigen vorzog und wie ferngesteuert auf und ab ging. „Okay, muss ich mir Sorgen machen?“ Abwartend öffnete sie ihr Kleid. Wenn Vivi schon am Verrücktwerden war, so konnte sie die Zeit wenigstens dahingehend nutzen um in bequemere Kleidung zu schlüpfen. Vivi warf die Arme in die Luft, starrte ihre Freundin entgeistert an, die sich gerade ein Shirt anzog und den Blick fragend erwiderte. „Da war eine Leiche! Eine echte Leiche!“, entfuhr ihr. Worte, die ihr erneut eine Gänsehaut bescherten. „Gott, du bist echt im passenden Moment gegangen!“. Nami verstand nicht ganz, wie sie das einordnen sollte und wartete lieber auf weitere Informationen. „Da tanzt man und unterhaltet sich und plötzlich bricht die Musik ab und wir werden darauf hingewiesen, das einer der Gäste tot aufgefunden wurde. Tot! Du glaubst gar nicht, was da plötzlich für ein Aufgebot erschien!“ Überrascht, legte Nami ihr Kleid über die Stuhllehne und drehte den Kopf zu Vivi, die weiterhin fassungslos schien. „Wie das? Und wer ist es?“ Solch eine Wendung, an solch einem Abend? Keine Neuigkeiten die man täglich erhielt. Anscheinend hatte sie durchaus etwas verpasst. Wie war das möglich? Schließlich begab sie sich zum Bett und ließ sich nach hinten auf die weiche Matratze fallen. „Capone. Ein Mistkerl, wie er im Buche steht. In letzter Zeit stand er durchwegs wegen Korruptionsvorwürfen im Mittelpunkt. Seine Verbindungen zur Mafia machte ebenfalls die Runde. Die Polizei versucht wohl herauszufinden, ob sein Tod ein Unfall oder gar ein Mord war.“ „Bitte? Ein Mord? Bei solch einem Trubel? Ich bitte dich.“ Nachdenklich drehte sich Nami auf den Bauch, stützte den Kopf mit den Händen ab. Zwar schockierte sie das, allerdings hielt sich ihr Mitgefühl in Grenzen. Von dem Mann hatte selbst sie gehört, trotzdem ein Mord unter solchen Umständen war zu weit hergeholt. „Typisch, kaum verschwinde ich, passieren meist die interessantesten Dinge. Der Abend erhielt also noch einen gewissen Pep“, scherzte Nami und erntete sofort einen missbilligenden Blick seitens Vivi. Entschuldigend setzte sie einen ernsteren Gesichtsausdruck auf. „Tschuldige, kanntest du ihn?“ Nami hatte durchaus ein Talent dafür unnötige Kommentare in den unpassendsten Momenten von sich zu geben. „Das nicht. Dennoch, ich finde das beängstigend. Wie so etwas nur in unmittelbarer Nähe stattfinden konnte,…, niemand hat etwas bemerkt.“ Nami legte die Stirn in Falten, dachte über die Worte nach. Der Gedanke daran, bereitete ihr unweigerlich eine Gänsehaut. „Kann vorkommen, vielleicht ein Herzinfarkt? Oder er war krank, hatte einen Anfall, keine Ahnung, woran Menschen noch so sterben. Sogar Selbstmord ist eine Möglichkeit. Bei all den Anschuldigungen und den Problemen, denen er ausgeliefert war, könnte das sein letzter Ausweg gewesen sein“, dachte die Orangehaarige laut, woraufhin Vivi zu ihr sah. Sie wurde ernster, zog die Brauen zusammen und für einen Augenblick trat ihr Kiefer hervor. „Du hast Mord vergessen“, sprach sie gepresst, woraufhin Nami die Gesichtszüge entglitten. Anhand des Blickes ihrer Freundin, erkannte Nami wie gewichtig der Gedanke für sie war. „Hör auf, du verrennst dich in haltlose Spekulationen!“ „Tue ich das? Ich finde das nicht abwegig. Bei all dem Dreck den er am Laufen hatte, da muss er sehr viele Feinde gemacht haben. Allein die Partner, die er hintergangen haben soll. Komm schon, du spielst Leute untereinander aus, wendest dich an den Konkurrenten, nimmst dir fremdes Geld und pulverst es beim Fenster hinaus. Da kann schnell jemand die Schnauze voll haben und dich aus dem Weg räumen. Das kann in manchen Kreisen sehr schnell passieren.“ Ein kalter Schauer lief Nami über den Rücken. Zugegeben, der Gedanke war passend, doch daran wollte sie lieber nicht denken. Vivi glaubte daran und wenn sich diese eine Theorie in den Kopf gesetzt hatte, war es schwer sie davon abzubringen. Räuspernd strich sich Nami eine Strähne aus dem Gesicht, sah geradeaus gegen die Wand. „Okay, nehmen wir an, du bist auf der richtigen Spur. Wie soll das gehen? Bei all den Menschen? Wer ist so dumm und riskiert dort einen Mord?“ Das Risiko war beträchtlich. Wie sollte man dort ohne Zeugen einen Mord durchführen? Zwar war das Gebäude groß, mit mehreren Stockwerken, dennoch. Die Chance gestört und gesehen zu werden, machte es in Namis Augen kaum möglich. „Jemand, der etwas von seiner Arbeit versteht? Vielleicht kannte er den Täter. Eine ruhige Ecke findet man auf jeder Veranstaltung, man muss nur wissen wie und wo.“ „Du siehst zu viele Filme“, antwortete Nami seufzend und bettete den Kopf auf ihrem Arm, wodurch sie Vivi von der Seite aus ansehen konnte. Brummend verdrehte die Schülerin die Augen. „Klar, weil so etwas in der Realität nie vorkommt, oder?“, gab sie angesäuert von sich. Aufgrund der Position ihres Vaters hatte sie bereits genügend mitbekommen. Selbst von ihren Freunden hörte sie ab und an beunruhigende Geschichten. Ace war ein hervorragendes Beispiel. So nett er auch war, er spielte mit dem Feuer und hatte genügend Kontakte in die Unterwelt der Stadt. Wenn sie den Menschen hinter der Fassade nicht kennen würde, die Beweggründe, dann hätte sie sich unlängst abgewandt und den einen oder anderen Tipp abgegeben. Von daher wusste sie sehr wohl, wovon sie sprach und ihre Gefühle irrten selten. „Was, wenn der Mörder von Anfang an anwesend war und an uns vorbei marschierte?“ „Themawechsel? Bitte?“, flehte Nami gespielt. Nach dem schönen Abend mochte sie darüber keine Gedanken verlieren. Im Allgemeinen interessierte sie sich kaum dafür. Das Böse existierte, Punkt. Mehr brauchte sie nicht zu wissen. „Von mir aus“, gab Vivi schlussendlich nach, immerhin hatte sie ihr sowieso einen Report versprochen und den wollten sie nun einholen. „Dann möchte ich endlich wissen, wen du kennengelernt hast. Wenn ausgerechnet du unter solchen Menschen jemand interessantes findest, dann heißt das etwas.“ Automatisch hellte Namis Gemütszustand auf. Von diesen Verhören war sie zwar nie ein Fan, aber in Anbetracht der Auswahl an Themen zog sie so etwas freiwillig vor. „Was sagt dir eine gewisse Robin Nico?“ Perplex blinzelte Vivi. Hatte sie tatsächlich diesen Namen gesagt? „Das ist ein Scherz?“ Da Nami ruhig blieb und den Kopf schüttelte, stieß Vivi einen Pfiff aus. „Meine Güte, da hast du dir aber ein ordentliches Kaliber ausgesucht“, lachte die Schülerin. Nami verstand die Reaktion ihrer Freundin nicht, aber es hatte den Anschein als ob Robin keine Unbekannte war. Vivi gluckste amüsiert und machte es sich bequem. „Wie soll ich sagen. Auf ihrem Gebiet ist sie sehr berühmt und bei öffentlichen Veranstaltungen ein gern gesehener Gast. Viel kann ich nicht über sie sagen, sie lebt zurückgezogen und ist meist auf das Wesentliche konzentriert. Zwar stets freundlich und gibt sich interessiert, aber im Grunde unnahbar. Über ihr Privatleben dringt kaum eine Information nach draußen. Sagen wir, sie wahrt sehr die Distanz, obwohl viele bereits vergeblich versucht haben ihr näher zu kommen. Die Männerwelt liegt ihr zu Füßen, wodurch manch eine verheiratete Frau gewisse Abneigungen ihr gegenüber empfindet. Du kennst ja die Klatschgemeinde“, erklärte Vivi unverblümt. Umso mehr überraschte es sie, das ausgerechnet Nami die letzten Stunden mit ihr verbracht hatte. „Die armen Männer“, griente Nami belustigt. Die Unterhaltung hatte recht schnell gezeigt, wohin sie ihre Präferenzen trieb. Kein Wunder, dass die Männerwelt schlechte Karten bei ihr hatte. „Wie bist du an sie geraten?“ Vivi kannte genügend Personen die Interesse an der Frau hegten, das Tuscheln wenn diese anwesend war. Als Nami eine Weile schwieg und sich aufsetzte, stieg die Neugierde zunehmend und ihre Freundin war sich dessen durchaus bewusst. Nochmals ließ Nami den Abend Revue passieren und an eine große Zurückhaltung erinnerte sie sich wahrlich nicht. Sie wirkte alles andere als komplett distanziert. Gewiss erhielt sie in diesem kurzen Zeitraum keinen Einblick in das vollständige Leben der Schwarzhaarigen, doch unter zu großer Verschlossenheit verstand Nami anderes. Auf diverse Fragen hatte Nami ihre Antworten erhalten. Merklich registrierte sie Vivis Blick, der sie zu durchbohren schien, wodurch sie schließlich ihr Schweigen brach. „An meinem ersten Abend hier, da waren wir ja in der Bar und ich ging kurz nach draußen. Sie war auch dort.“ Ahnungslos kniff Vivi ihre Augen zusammen und versuchte sich vehement daran zu erinnern. Lachend tippte Nami ihr gegen die Stirn. „Belass es lieber dabei. Selbst ohne Alkohol hättest du vermutlich kaum auf deine Umgebung geachtet, dafür warst du zu sehr auf Ruffy fixiert. Dem das übrigens kaum aufgefallen ist. Ehrlich, such dir einen anderen. Nimm dir Sanji, er ist sichtlich interessiert.“ Entrüstet verzog Vivi ihr Gesicht und verschränkte die Arme vor der Brust. Den Kommentar hätte sich Nami durchaus verkneifen können. „Unser Casanova? Bitte, er ist ein guter Freund, aber mit ihm eine Beziehung? Wie sieht das aus? Er und monogam? Vergiss es.“ „Richtig, da ist ein asexueller Vielfraß wesentlich geeigneter“, feixte Nami weiter. Bis heute verstand sie nicht, was genau Vivi an ihm fand. Okay, er war ein netter Kerl, der wusste, wie er jemanden zum Lachen brachte, aber mehr? Freundschaft ja, aber eine Beziehung? Unvorstellbar. Seine kindliche Art sprach Bände, außerdem zeigte er förmlich ein Desinteresse. „Belassen wir das. Du weichst aus. Also, erzählt weiter.“ Zum Glück hatte kaum jemand eine Ahnung, wie ihre Gefühle standen. Nicht auszudenken, wie der eine oder andere darauf reagierte. Besonders ihre Schulfreunde dürften niemals davon erfahren. Zumal Ruffy ein vollkommen anderes Leben führte. Vorerst hörte sie auf, aber später würde sie das Thema nochmals ansprechen. Denn ihre Bemerkung bezüglich Sanji kam nicht von irgendwo her. „Wie gesagt, ich traf sie vor der Bar, ein kurzer Wortwechsel folgte und dann kam das zweite Aufeinandertreffen. Wir führten sogar eine richtige Unterhaltung, spazierten durch die Stadt und jetzt hat sie mich hierher begleitet“, erklärte sie knappt und lächelte auffällig in sich hinein. Neugierig lehnte Vivi sich vor, als erhoffte sie ein weiteres, entscheidendes Detail und Nami ahnte bereits, worauf das hinaus laufen sollte. „Vivi! Ich hab dir vor dem Gehen schon gesagt, dass das nicht in die Richtung geht!“, brummte sie entnervt, woraufhin Vivi abwehrend die Arme hob. „Hab nichts gesagt“, belächelte sie die Worte der anderen. „Und so gesehen, hast du damit angefangen. Ich wollte lediglich mehr Eindrücke und nicht mit solch einer billigen Erklärung abgespeist werden. Muss ich dir immer alles aus der Nase ziehen? Nach all dem, das ich gehört habe, da möchte ich gern mehr wissen. Ihr seid also zusammen verschwunden, warum auch immer und dann? Worüber habt ihr gesprochen?“ Nami ging stets recht sparsam mit ihren Erzählungen um und benötigte gern einen kleinen Schubs um mit mehr Informationen herauszurücken. „Über meinen Aufenthalt, ihre Arbeit und allem voran über die langweilige Gesellschaft, aus der wir uns retten konnten. Solltest du etwas Spektakuläres erwarten, so muss ich dich enttäuschen.“ Wissend grinste Vivi und tippte nun ihrerseits auf die Stirn ihrer Freundin. „Ich habe bereits, was ich wollte.“ Irritiert legte Nami die Stirn in Falten. Worauf spielte sie an? „Du bist interessiert. Wann seht ihr euch wieder?“ Nami brummte lautstark und vergrub das Gesicht im Kissen. Vivi war unmöglich.   19. April 1995   Eilig werkelte der Teenager an seiner neuesten Kreation. Sein Geschick für handwerkliche Dinge hatte sich früh entwickelt. Die Schule war kein Thema für ihn. Vielmehr arbeitete er in einer Werkstatt um sich durchs Leben schlagen zu können. Da der Job nicht sehr viel einbrachte, sicherten illegale Aufträge seinen Unterhalt. Im Grunde war er ein Technikfreak. Schritte ließen ihn innehalten. Genervt drehte er den Kopf. „Wir haben Mittagspause. Kommt in einer Stunde wieder.“ Obwohl er lediglich einen kurzen Blick auf die möglichen Kunden warf, hatte er sich jegliches Detail eingeprägt. Ein Geschick, welches er benötigte. Die Straße hatte es ihn gelehrt. „Wir möchten uns unterhalten, Franky.“ Langsam legte er den Schraubenzieher zu Boden, den Blick starr nach vorne gerichtet. Dort in seinem Werkzeugkasten bewahrte er seine Waffe auf. Er musste schnell sein, wenn es drauf ankam. „Keinen blassen Schimmer worüber“, gab er monoton zurück, erhob sich vom Boden und nahm ein Handtuch, mit dem er sich die Hände säuberte. Für sein Alter war er gewieft und äußerst kaltschnäuzig, wenn es um sein Leben ging. Der Mann lachte auf, während sein Partner regungslos verharrte. „Ganz ruhig. Deine kleinkriminellen Tätigkeiten sind uns egal. Wir möchten dir ein Angebot unterbreiten, deine Fähigkeiten haben unser Interesse geweckt. Du hast einen interessanten Ruf.“ Vorsichtig schritt er zum Werkzeugkasten, wo auch eine Flasche Cola stand. „Ihr verwechselt mich.“ „Unsere Recherchen sind fehlerlos.“ Der Blonde trat näher, zog seine Waffe hervor und legte sie auf den Tisch. „Keine Spielchen, lediglich ein Gespräch mit offenen Karten, einverstanden?“ Franky leerte die Flasche in einem Zug und sah abwechselnd von der Waffe zum Mann. „Ich höre?“   15. Februar 2012   Summend, eine Zeitung unter den Arm geklemmt und zwei Becher Kaffee in der Hand, nahm der großgewachsene Mann leichtfüßig die letzten Meter. Ohne zu klopfen, öffnete er problemlos die Bürotür und trat breit grinsend ein. Wie gewohnt, fand er die Schwarzhaarige hinter ihrem Schreibtisch vor, die Aufmerksamkeit auf die Akten vor sich. Sie sah hoch konzentriert aus, wenn er durchaus glaubte einen Hauch von Müdigkeit zu erkennen. „Zeit für ein Päuschen“, flötete er gutgelaunt und stellte einen Becher auf die Unterlagen, wodurch sie gezwungen war aufzusehen. Sein Körper plumpste auf den Ledersessel und genüsslich zog er die Zeitung hervor, die er geräuschvoll durchblätterte. Widerstandslos atmete Robin einen tiefen Atemzug aus. Mittlerweile kannte sie Franky gut genug um zu wissen, wie nervtötend er werden konnte, wenn er ihre Aufmerksamkeit haben wollte. Unweigerlich hob sie den Becher an, öffnete den Verschluss und musterte den Inhalt mit Argusaugen, ehe sie vorsichtig den Kaffee probierte. Der Drang den Inhalt in den nächsten Abfluss zu schütten, erwachte. „Verzieh dein Gesicht nicht, der ist gut“, hörte sie ihn daraufhin nüchtern sagen. Seine Angewohnheit stets neue Cafés zu erkunden, machte ihr zu schaffen. Denn am Ende war sie die Leidtragende, die diese Experimente mitmachen musste. „Bleib bitte bei deiner Cola und lass den Kaffee meine Sache sein, okay?“ Ihre Geschmäcker waren mehr als unterschiedlich. An dieses Getränk setzte sie sehr hohe Ansprüche. „Außerdem, mit reichlich Zucker und Milch schmeckt jeder Kaffee, da das Wichtigste ja verloren geht“, fügte sie hinzu und rümpfte ihre Nase, ehe sie das braune Gebräu, den Namen Kaffee mochte sie diesem gar nicht erst zusprechen, zur Seite stellte. Franky warf einen belustigenden Blick über den Zeitungsrand. „Keine Milch, ich glaub die schlägt mir in letzter Zeit auf den Magen.“ Stirnrunzelnd öffnete Robin dem Mund um eine Antwort zu geben, doch behielt sie die Worte lieber für sich. Seine Macken änderten sich so oder so ständig. „Die Ermittlungen werden wohl bald eingestellt. Deine gelegte Fährte spricht eindeutig für ein tragisches Unglück. Unfassbar, wie schnell das passiert“, lenkte er das Gespräch in eine andere Richtung. Robin horchte auf und lehnte den Rücken gegen die Stuhllehne. Die Recherche machte sich bezahlt. „Meine Güte, der Fotograph hat die belämmerten Gesichter der Gäste hervorragend eingefangen. Hast du das mitbekommen?“, fügte er weiter an und hielt ihr die Seiten entgegen. Robin überflog schnell die Fotos und schüttelte den Kopf. „Wie viele wohl tatsächlich seines Todes wegen schockiert waren?“, warf Robin die Frage in den Raum und stützte das Kinn auf ihrer Hand ab. Wenn sie an die Menschen dachte, die dort waren, und daran, wie viel Dreck jeder von ihnen an sich kleben hatte, bezweifelte sie jegliche Trauer. Der Schock saß vielmehr aufgrund dessen, dass das vor Ort vorgefallen war. Sie sahen es als Zeichen. Ihnen musste bewusst geworden sein, dass sie nirgends sicher waren, wenn ihnen jemand nach dem Leben trachtete. „Sie können sich glücklich schätzen. Wäre Lucci dort gewesen, so hätte er die Leiche wohl von der Decke baumeln lassen“, bemerkte Franky durchaus leise und verzog das Gesicht. Robins Mimik verfinsterte sich daraufhin. Vermutlich hatte ihr Partner recht mit seinen Worten. Lucci einzuschätzen erwies sich als äußerst schwer. „Hast du von dem Angebot gehört? Sie wollen ihn anderweitig einsetzen. Ihn in den Hintergrund dirigieren, er lehnt jedoch akribisch ab.“ Überrascht legte Franky die Zeitung zur Seite und lehnte nach vorne. „Sag bloß, sie sehen ihn endlich als Gefahr? Er hat für Aufsehen gesorgt. Beim letzten Auftrag hat er einen Interpol-Agenten getötet, der das Opfer observierte. Sie forschen nach.“ Fest strich er durch seine Haare. Lucci bereitete ihm so manches Kopfzerbrechen. Nachdenklich stand Robin auf und trat ans Fenster, verschränkte die Arme vor der Brust. „Irgendwann müssen wir uns selbst um das Problem kümmern“, flüsterte sie und beobachtete die belebte Straße. Der Gedanke war durchaus verlockend. Schweigen trat ein. Die Idee kam nicht zum ersten Mal auf. Damit hatte er sich längst abgefunden, der Tag kam, das spürte er. „Warum bist du früher gegangen?“ Nochmals lenkte er auf den gestrigen Abend und normalerweise blieb Robin durchaus länger. Die Tatsache weckte durchaus seine Neugierde. „Hab mir die Stadt angesehen“, antwortete sie wahrheitsgetreu und spürte regelrecht den fragenden Blick ihres Partners im Nacken.   Kapitel 6: Alla ventura. ------------------------ Auf gut Glück 15. Februar 2012   „Mit wem hast du dir die Stadt angesehen?“, fragte Franky, die Neugierde stand ihm ins Gesicht geschrieben. Beiläufig, aus dem Augenwinkel heraus, beobachtete er den Kellner, der ihre Teller mitnahm. Seine Begleitung machte keine Anstalt eine Antwort preiszugeben, wartete lediglich auf ihren Espresso, auf den Lippen ein spitzbübisches Lächeln. Sie nutzte seine steigende Ungeduld förmlich aus. Aufmerksam streifte ihr Blick durch das Restaurant, in dem sie bekannt waren, aßen sie dort regelmäßig gemeinsam zu Mittag. Ein ruhiger, kleiner Fleck, fern des Trubels, ein angenehmes südliches Ambiente und die Speisen taten ihr Übriges um sie als treue Kunden zu behalten. Ein Seufzer entfloh der Kehle des Mannes, den die schweigsame Art seiner Freundin hie und da gar in den Wahnsinn trieb. Der Kellner kehrte zurück, in erster Linie wirkte der Mann wie ein Kartellmitglied, ein Mafioso, aber war er eigentlich ein recht netter Geselle, mit dem Robin, wenn sie manchmal bloß auf einen Kaffee vorbeischaute, ins Gespräch kam. Neben den Kaffees stellte er zwei weitere Gläser ab, deren Flüssigkeit violett schimmerte. Ein hauseigener Schnaps. „Süßlich, aber verfehlt garantiert nicht seine Wirkung“, erklärte der Mann grinsend und schritt zum nächsten Tisch, an dem neue Gäste Platz nahmen. „Eine Wirkung, die uns glatt ausschaltet“, lachte Franky. Sofort griff er nach dem Päckchen Zucker, riss dieses auf und rührte anschließend seinen Kaffee, musterte Robin dabei auffällig. „Die Frage ist weiterhin aktuell“, setzte er neuerlich nach und schob sich den Löffel in den Mund. „Dein Interesse ist unbegründet“, wich Robin aus, leerte ihre Tasse in einem Zug. „Außerdem, du hast mir bis heute keine Antwort auf meine Frage gegeben. Warum ist dein Schiff weiterhin in Planung? Du hast die Ressourcen, der Bau kann beginnen“, gab sie nun ihrerseits zu bedenken, lehnte nach hinten und schlug ein Bein über das andere. Mürrisch verzog der Mann sein Gesicht, starrte auf die bräunliche Substanz. „Ich bin ein Perfektionist, müsstest du wissen“, murmelte er verdrossen, spürte die durchdringenden Augen seiner Freundin, die die Wahrheit vermutlich erkannte, aber aus seinem Mund hören wollte. „Der Plan ist perfekt ausgearbeitet“, erwiderte sie prompt, betonte jedes Wort. Jahre werkelte er bereits daran, überarbeitete rigoros jedes noch so kleinste Detail, doch seit geraumer Zeit lagen die Blaupausen unberührt im Schrank, verwahrlost warteten sie auf ihren Einsatz. In der Anfangsphase ihrer Zusammenarbeit, waren sie bloß Partner, die keinen privaten Zugang zueinander fanden. Erst die gemeinsamen Reisen hatten eine freundschaftliche Basis geformt, sie offener werden lassen. Mittlerweile standen sie an einem Punkt, wo ein Leben ohne des jeweiligen anderen beinah unmöglich schien. Rasch erfuhr sie anschließend von seinen Interessen, seinen Träumen und stets schwärmte er von einem Schiff, mit dem er die Meere bereisen und unabhängig sein konnte. Ein unbeschwertes Leben. Nicht nur selbst entworfen, auch in der Endfertigung wollte er Anteil haben. Umso mehr interessierte Robin der Grund, wieso er keine Taten sprechen ließ. „Du drückst dich vor einer Entscheidung, richtig?“, wagte sie eine Vermutung auszusprechen, die sie länger teilte, und sah einen Hauch von Traurigkeit, der sich in sein Gesicht schlich. Unentschlossen zuckten seine Schultern. Sofort besah er jene Tische, die in direkte Umgebung waren. Obwohl kaum jemand in Hörweite saß, beugte Franky den Oberkörper nach vorne, stützte seine Ellbogen am Tisch ab. „Wir müssen wohl nicht darüber sprechen, wie ich an das Geld für mein Vorhaben gekommen bin, oder? Vor ein paar Jahren? Kein Ding, sofort hätte ich angefangen und mich einen Dreck darum geschert.“ Die Bitterkeit, die in seiner Stimme lag, war unüberhörbar. „Ich habe mich verändert. Wie kann ich meinen Traum auf blutverschmiertes Geld aufbauen und inneren Frieden finden?“ Betroffen starrte Franky an seiner Freundin vorbei auf einen wahllos gewählten Punkt, verharrte einen Augenblick in dieser Position, ehe er nach hinten lehnte und ein breites, gutgelauntes Grinsen aufsetzte. Der Schalter war umgelegt. Die aufgekeimten Gefühle spülte er mit dem Schnaps hinunter, unterdrückte sie, wissend seinem Gewissen nicht davon laufen zu können. Sein Gewissen das ihn nachts wach hielt, ihn zermürbte. Durchaus wünschte er manchmal das alte Ego zurück, den Mann, der nur ans Überleben dachte und dem jedes Mittel recht war. Keine Reue, kein Skrupel. Diese Persönlichkeit starb, Teil für Teil, und kehrte nie wieder an die Oberfläche. Platz nahm ein gebrochener Mann, der unsagbaren Schmerz empfand, kaum in den Spiegel sehen konnte und mit Mitteln aller Art zu vergessen versuchte. Robin schwieg, das Thema war beendet, denn sobald ihr Freund diesen Ausdruck an den Tag legte, blieb er und ein weiterer Versuch würde ins Leere gehen und lediglich an den Kräften zerren, die solche Unterhaltungen stets an sich hatten. Jeder lebte auf eigene Weise mit dem Getanen und untertauchen war eine Option, die vorerst niemand in Erwägung zog. Allein um der Gemeinschaft willen. Entweder entschlossen sie zusammen den Schritt zu wagen und gaben sich gegenseitig Rückendeckung oder niemand verschwand und baute ein neues Leben auf. Ein Schwur an dem sie festhielten, denn sie waren sich eine Familie, die einzigen Menschen, die sie auf der Welt hatten, denen sie bedingungslos Vertrauen schenkten. „Ich habe eine junge Frau kennengelernt, wir haben uns nett unterhalten und ich brachte sie anschließend nach Hause“, unterbrach Robin das Schweigen und gab Franky endlich die gewünschte Antwort, die ihn sofort hellhörig werden ließ. Er kicherte förmlich und die Schwarzhaarige bereute ihre Worte. Ein Grund warum sie selten auf solche Themen einging und sie als unwichtige Lappalie abtat. „Details?“, zog er das Wort in die Länge. Demonstrativ stieß Robin einen tiefen Atemzug aus und fuhr durch ihre langen Haare. „Komm, selten erlebe ich eine Robin, die ein Privatleben führt.“ „Ich muss dich enttäuschen. Die Veranstaltung hat uns beide gelangweilt und sie war eine angenehme Gesprächspartnerin. Eine willkommene Abwechslung.“ „Vergiss nicht, ich kenne dich besser als sonst jemand. Grundlos ziehst du mit niemandem durch die Straßen, ganzgleich wie nett die Person wirkt. Irgendetwas an ihr hat dein Interesse geweckt“, feixte er und schlug mit der Faust in seine Handfläche, sah dieses kurze Aufleuchten in ihren Augen, die seine Vermutung bestätigte. „Ich führe durchaus Konversationen mit meinen Mitmenschen“, entgegnete Robin recht sachlich. Beschwichtigend schüttelte sie den Kopf, trank den Schnaps und warf einen Blick auf die Rechnung. Das Essen war beendet und sie musste wieder an die Arbeit, wodurch sie dem Gespräch vorerst entkam. „Belassen wir es dabei. Eine einmalige Unternehmung, zumal sie lediglich auf Urlaub hier ist und recht bald abreist. Darüber hinaus ist sie zehn Jahre jünger, sagt eigentlich alles, oder?“ „Männer haben Frauen die Jahrzehnte jünger sind und eine Fernbeziehung ist sowieso eine ideale Variante.“ Robin unterdrückte ein Lachen, legte das Geld auf den Tisch und stand auf, streifte ihren Mantel über. „Brechen wir auf.“   × ×   Lachend stellten die jungen Damen ihre Einkäufe ab, flanierten sich in die Sessel und gaben die Decken, die über der Lehne hingen, auf den Schoß. Nach einer ausgewogenen Shoppingtour brauchten sie eine Stärkung, allen voran ein wärmendes Getränk. Trotz der strahlenden Sonne kamen kaum frühlingsrufende Temperaturen hervor und doch beharrte Nami draußen Platz zu nehmen und Vivi hatten einen Verdacht, woher die Entscheidung führte. Immer wieder behielt ihre Freundin die Menschenmasse im Auge, suchte sie förmlich ab. Ging es darum so fiel es Vivi nicht schwer die anderen zu durchschauen. Ein paar Minuten, während sie die Bestellung tätigten und auf die georderten Getränke warteten, hielt die Schülerin still und ließ Nami ihrem Treiben nachgehen. Schließlich kramte Vivi ihr Mobiltelefon aus der Tasche, legte es provokant zwischen ihnen nieder. Eine Bewegung, die ihr die Aufmerksamkeit der anderen schenkte. „Sieh nach“, sprach Vivi mit einem verschmitzten Lächeln, das Nami einen fragenden Ausdruck ins Gesicht zauberte. Sofort rollte Vivi mit den Augen. „Stell dich nicht dumm. Ihre Arbeitsadresse ist wahrlich kein Problem. Dann warten wir in der Nähe und oh, welch Zufall, ihr läuft euch über den Weg. Alla ventura, auf gut Glück.“ „Du hast einen Knall“, kommentierte Nami das Vorhaben, nippte vorsichtig an ihrem Tee, dessen Tasse ihre Hände angenehm wärmte. Eine verrücktere Idee war ihrer Freundin wohl nicht eingefallen. Mit einer Kopfbewegung deutete sie auf eine Gruppierung. „Ich betrachte die Kostüme. Real wirken sie schöner als auf Bildern.“ Damit log Nami nicht, denn sie fand den Aufwand, den die Leute in ihre Kostüme steckten, faszinierend, wenn in diesem Moment wohl doch unwichtiger, aber auf den Vorschlag wollte Nami wahrlich nicht näher eingehen. Als Vivi erneut zum Sprechen ansetzte, hob Nami sofort ihre Hand. „Belassen wir es dabei. Dein Vorschlag in allen Ehren, aber ich mach mich gewiss nicht lächerlich. Übermorgen fliege ich nach Hause, ich sehe keinen Sinn. Kann sein, dass ich auf eine zufällige Begegnung hoffe, genauso gut ist es möglich, dass du einer übereiligen Schlussfolgerung verfällst“, versuchte die junge Frau das Thema endgültig ad acta zu legen. Warum auf etwas herumreiten, das sowieso nicht eintraf? Gut, das merkwürdige Verhalten war Nami selbst aufgefallen und sie spürte den kleinen Hoffnungsschimmer, woher dieser jedoch kam, wusste Nami nicht zu benennen. Reizte sie das Unbekannte? Wie ihr Robin bereits an Herz gelegt hatte? Eine andere Erklärung fand Nami nicht, denn nach dem kurzen Aufeinandertreffen, konnte unmöglich mehr dahinter stecken. „Schade, dabei habe ich die Adresse bereits und wir hätten auf dem Rückweg einen Abstecher machen können“, vernahm sie Vivi, die daraufhin mit den Schultern zuckte und sich ihrem Getränk widmete. „Du bist unmöglich“, nuschelte Nami in ihre Tasse. „Kann sein, doch bin ich nicht grundlos so. Wie immer sie das auch geschafft hat, sie hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Die eröffnen sich zwei Optionen. Entweder du suchst aktiv oder du hoffst auf den Zufall und bis der eintritt, genießt du die verbleibende Zeit. Lass einfach den Mittelweg sausen.“ Die Worte trafen ins Schwarze und ein letztes Mal streifte Nami die Umgebung ab ehe sie ein tiefes Brummen ausstieß und ihre Aufmerksamkeit auf Vivi lenkte. „Ich gebe mich geschlagen und höre auf.“ „Und womit, wenn ich fragen darf?“ Ertappt schnellte Namis Kopf nach links, wo ihr der blonde Koch von neulich Abend entgegen lächelte. Hinter ihm erspähte sie Bonney und Ruffy, die den Kostümierten mit großen Augen hinterher sahen. „Unbekannte Frauen anstarren“, entgegnete Nami schief grinsend. Rasch gesellte sich Sanji neben die junge Frau, legte einen Arm über ihre Schulter und sah Richtung Menge. „Welche ist von Interesse? Die in der roten Jacke ist süß.“ Vivi verzog das Gesicht, warf einen Blick zur besagten Frau. Ein Kichern entfloh ihrer Kehle. „Die dunklen Haare passen, leider im falschen Alter. Nami steht derzeit auf ältere Frauen.“ Während Sanji wissend griente, spürte Vivi einen tritt gegen ihr Schienbein, doch bereute sie die Aussage in keiner Weise. „Oho, ich kenne diese Einstellung“, erwiderte Sanji daraufhin und setzte sich endgültig auf den freien Stuhl. Perplex starrte Vivi den Koch an, der seine Zigaretten hervorholte. „Heute frei?“ Genussvoll blies er den Rauch aus, schüttelte sacht den Kopf. „Leider nicht, hab Pause. Ab dem späten Nachmittag kommt der große Ansturm, da dachte ich, ich unternehme einen kleinen Spaziergang. Die Kinder brauchen auch ein wenig Unterhaltung.“ Dabei warf er einen Blick über die Schulter und lachte leisen. Manchmal waren Ruffy und Bonney unmöglich. „Jedes Jahr auf ein Neues verfallen sie dem Karneval. Und ihr?“ Triumphierend hielt Nami ihre Einkäufe in die Höhe. „Ich sehe schon, ihr habt euch verführen lassen. Bekomme ich eine Vorführung?“ Auf die letzte Bemerkung des Blonden hin, verschluckte sich Vivi. Nami hingegen lachte rau. „Wenn du brav bist, spendieren wir dir eine Modenshow und du kannst uns bestätigen, was wir ohnehin schon wissen.“   16. Februar 2012   Entspannt sank Nami tiefer in den Stuhl, nippte an ihrem Cocktail und betrachtete die illustre Truppe, die abermals in schallendes Gelächter ausbrach. Angeführt von Ruffy der genussvoll aß, mit den Armen wild gestikulierte und dabei die neuesten Abenteuer erzählte. Die Heimreise stand bevor, daher hatte Vivi die Runde nochmals versammelt. Wie schnell sie diese Leute in ihre Herz schloss, überraschte Nami, denn gewöhnlich war das nicht. Wehmut kroch hoch, denn in ihrer Heimat erwartete sie der triste Alltag, die Auseinandersetzungen denen sie hier entkam. Umso mehr freute sie sich auf ihre Wiederkehr und die kommenden Monate dürften allesamt darauf aufgebaut werden. Ein Brummen erhielt ihre Aufmerksamkeit. Zorro vergrub das Gesicht in den Handflächen, wirkte entnervt. Kein Wunder, wenn sie an die Frau dachte, die direkt neben ihm saß und ihm kaum eine ruhige Minute gönnte. Nach all den Erzählungen traf Nami endlich auf Perona. Recht schnell hatte sie ein eigenes Bild gemacht und musste feststellen, dass das alles der Wahrheit entsprach. Auffallend, laut und auf einen Menschen gepolt. Kopfschüttelnd stellte sie ihr Glas ab, stupste den Handwerker von der Seite her an, der unweigerlich den Blick auf sie richtete. Grinsend deutete Nami Richtung Theke. Ein Wink, den er sofort verstand und der ihm ein Lächeln auf die Lippen zauberte. „Die Frau macht mich irre“, stöhnte Zorro und griff sich fahrig durchs Haar. An manchen Tagen konnte er ihre Art gelassener aushalten, gar ignorieren, aber heute – immer war sie einige Woche fort gewesen – zeigte sie sich aufdringlicher denn je. Nami spürte einen leichten Schauer, warf einen Blick über die Schulter, der Blick der jungen Frau sprach Bände. „Sei dir versichert, sie wird dich unter die Lupe nehmen“, sprach Zorro entschuldigend und lehnte gegen den Tresen, dessen Holz die besten Tage unlängst überdauert hatte. Niemand war da, vermutlich stand Bruno, der den Dienst selbst übernahm, im Lager. Eine willkommene Wartezeit, die ihn länger vom Tisch fernhielt. Skeptisch hob Nami die Brauen, wandte sich wieder ab. Mit solchen Frauen nahm sie gerne einen kleinen Zwist in Kauf. Ein breites, spitzbübisches Grinsen stahl sich auf ihre Lippen, rasch war ihr Smartphone gezückt, ihr Arm um Zorro gelegt und ihr Kopf lehnte gegen seine Schulter. „Wenn schon, denn schon. Lächeln“, säuselte sie und machte einen Schnappschuss auf dem Zorro es ihr gleich tat und guter Laune in die Kamera grinste. „Mal sehen, ob sie tatsächlich so gut ist, wie ihr sagt.“ Zielstrebig lud Nami das Foto in einem der sozialen Netzwerke hoch, tippte summend eine Text ein und markierte den Mann. „Sind wir nicht ein schönes Paar?“, sprach sie beinah gehässig und griente als das Smartphone zurück in ihre Hosentasche glitt. Zorro schielte zum Tisch, erkannte die finster werdenden Gesichtszüge seines persönlichen Alptraumes. „Hexe“, feixte er und strich mit den Fingerspitzen über das raue Holz. Mittlerweile war Bruno in den Schankbereich zurückgekehrt, stellte eine Kiste ab und nahm die Bestellung auf. Die Zeit nutzte Nami, verschaffte sich einen Überblick. Viele Gäste zählte sie nicht. Diejenigen, die die Bar nach der Arbeit aufsuchten, waren längst aufgebrochen, mussten morgen erneut früh raus. Erst im hintersten Eck stach ihr ein bekanntes Gesicht ins Auge. Musternd kniff sie die Augen zusammen, dachte nochmals nach und kam auf denselben Entschluss. Ein Mann, dessen Haare markant blau hervorstachen, die Frisur die Elvis konkurrierte, lachte und stieß mit einem anderen an. Der andere wirkte dagegen zierlich, hatte blondes Haar und eine markante Nase, die sie an Lysop erinnerte. Ja, beide hatte sie das letzte Mal schon gesehen. „Uh, du hast einen interessanten Geschmack“, raunte Zorro nah an ihrem Ohr, unterdrückte ein Lachen. Brummend wollte sie ihm einen Stoß in die Seite geben, doch wich Zorro problemlos aus und dieses Mal lachte er. „Sag schon, worüber zerbrichst du dir den Kopf?“, fragte er schließlich nach, setzte einen entschuldigen Gesichtsausdruck auf. Unsicher stützte sie die Ellbogen am Tresen ab, hatte keine passende Antwort parat. „Ich habe sie bloß wiedererkannt“, sprach sie recht leise. Sein Blick verriet ihr, dass er ihr das nicht vollkommen abkaufte und ihr Mustern bloß darauf resultierte. „Kennst du die beiden?“ „Klar. Der Bullige ist Franky, ein Stammgast. Sofern er nicht in der Weltgeschichte unterwegs ist, kommt er beinah täglich. Zudem ist er mit dem Chef befreundet. Der neben ihm ist Kaku, ulkiger Typ. Einerseits aufgeschlossen und ein lustiger Geselle, andererseits schlägt er gern einen ernsten Ton an.“ Dabei strich sich Zorro über sein Kinn. Generell war die gesamte Truppe eine verrückte Kombination, die sich aus verschiedenen Charakteren zusammenstellte, die normalerweise kaum zueinanderfand. Irgendwie kam ihm der Vergleich zu seinem Freundeskreis, die selbst einen bunten Haufen bildeten. Manchmal fragte er sich, wie sie sich kennengelernt hatten. Nami hingegen nickte schwach, warf den Kopf in den Nacken und atmete durch, spürte erneut den bohrenden Blick. Zorro konnte sie genau so wenig vormachen wie Vivi. „Letztens, da waren zwei Frauen dabei. Ich schätze, sie kommen öfter hierher?“ Nach dem gestrigen Gespräch mit Vivi hatte Nami aufgehört, sie suchte nicht mehr. Im Grunde schloss sie mit einer weiteren Begegnung ab, denn das war wirklich sehr unwahrscheinlich. Und doch, im Moment konnte sie nicht anderes. Die Faszination war zu groß. Verschmitzt zuckten die Mundwinkel des Handwerkers, er lehnte näher. „Da haben wir schon eher deinen Geschmack, was? Kalifa oder Robin?“ Nach dem Wissen, das er über die junge Frau in Erfahrung gebracht hatte, braucht er nicht näher Fragen, woher ihr Interesse kam. „Letztere“, murmelte Nami daraufhin, betrachtete die Getränke, die mittlerweile gebracht worden waren, hörte ein Aufatmen. „Ein Glück. Kalifa hat eine durchgeknallte Seite. Nett und spendabel, aber durchgeknallt. Siehst du sie eine Sekunde zu lang an, wirft sie dir sexuelle Belästigung vor.“ Angesäuert rollte er mit den Augen. Oft genug musste er das schon hören und mittlerweile musste er feststellen, wie wenig Frauen Zorro kannte, die keine verrückte Ader aufwiesen. Ein Umstand, der kaum von Vorteil war. Nami gluckste daraufhin, wartete jedoch darauf dass er weitersprach. „Und Robin…? Was ich mitbekommen habe, ist sie nie alleine hier, bei Blondi ist das eher der Fall. Ich sehe sie nur am Wochenende und auch nicht jedes.“ Zufrieden war Nami nicht mit der Antwort, aber den Verdacht hatte sie bereits. Sie sollten den Hoffnungsschimmer endgültig aufgeben. Forschend musterte Zorro die junge Frau, neigten Kopf und stützte diesen an der Handfläche ab. „Anscheinend hat sie dir den Kopf verdreht. Oh, oh, pass lieber auf, die ist unantastbar und lässt kaum jemanden in ihre Nähe. Glaub mir, ich hab oft genug gesehen, wie jemand versucht hat, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Alle blitzten sie ab. Aber ich verstehe dich, sie hat eine anziehende Ausstrahlung.“ Grinsend stieß er einen Pfiff aus, die Frau war zwar nicht direkt sein Typ, aber einen Blick riskierte man gern. „Du bist schon die zweite Person, die mir das erzählt und dennoch hat sie mich zu Vivis Haus begleitet.“ Das Grinsen erstarb, machte einem perplexen Ausdruck Platz, die Kinnlade fiel ihm herab. „Und seitdem hofft ein Teil auf ein Wiedersehen. Ich habe keine Ahnung wie ich das einordnen soll.“ Weiterhin überrascht von dem Gehörten, schüttelte Zorro fassungslos mit dem Kopf. Von den Geschichten, die er um diese Frau hörte und von dem, das er selbst hier in der Bar sah, wirkte das wirklich wie ein Wunder. „Bleib länger und find es heraus. Ich brauche sowieso eine Beschützerin, die mir Perona fernhält.“ „Halt die Klappe wegen dem“, murmelte Nami sogleich, erkannte sie immerhin wie Vivi auf sie zuschritt. „Warum braucht ihr solange?“ „Er brauchte dringend eine Auszeit“, entgegnete sie und klopfte dem Handwerker auf die Schulter. Er verstand, stellte nichts in Frage und nahm das Tablett mit den Getränken. „Wenigstens eine, die mir zur Seite steht“, gab er an Vivi gewandt zu verstehen und kehrte an den Tisch zurück.   17. Februar 2012   Die Lolita ist glücklich und das gefällt mir nicht. Ich glaub die heckt was aus… Die Nachricht des Handwerkers zaubert ein Lächeln in Namis Gesicht. Obwohl sie mit allen eine Basis fand, verstand sie sich mit ihm – abgesehen von Vivi natürlich – am besten. Lag womöglich daran, dass sie mit ihm weitaus mehr Gespräche geführt hatte und allen voran an der gemeinsamen Operation, die darauf ausgelegt war, Perona ein wenig zu ärgern. Im Gehen tippte sie eine Antwort und schüttelte den Kopf. Seit dem gemeinsamen Foto und den folgenden Albernheiten, lag sie auf dem Radar der Schülerin. „Miss“, nahmen ihre Ohren wahr. Abrupt blieb Nami stehen, drehte den Körper. Ein Mann, einen Kopf größer, mit längerem, schwarzem Haar und einem auffälligem Bart stand auf Abstand zu ihr. Auf den ersten Blick hin wirkte er höflich und doch, seine Gesichtszüge, trotz des Lächelns auf seinen Lippen, und seine Augen strahlten Kälte aus. Ein Umstand den Nami schwer einzuordnen wusste. Bevor sie eine Antwort gab, warum er sie ansprach, sah sie seine ausgestreckte Hand, in der er ihren Schal hielt. Ihr war gar nicht aufgefallen, dass er verschwunden war. „Sie waren wohl in Gedanken“, meinte er belustigt. Peinlich berührt strich Nami ihren Nacken entlang, nahm anschließend den Schal an sich. Deutlich hatte sie einen italienischen Akzent herausgehört. „Das stimmt allerdings. Danke“, entgegnete sie ihm und lächelte. Erneut erreichte seines nicht die Augen, und Nami fühlte sich ungewohnt eingeschüchtert, die Ausstrahlung erweckte nichts Vertrauenswürdiges. Der Mann nickte, tippte auf seinen Hut. „Miss“, verabschiedete er sich und verschwand Richtung Ausgang. Mit gemischten Gefühlen sah Nami dem Schwarzhaarigen hinterher und der Schauer der ihren Rücken hinab lief, den schüttelte sie ab. Wenigstens hatte er ihr den Schal aufgehoben, ganz ein unfreundlicher Typ konnte er somit nicht sein, ganzgleich welche Ausstrahlung er an den Tag legte. Ihr Blick huschte über den Display des Smartphones. Ihre Schwester wartete bereits.   Kapitel 7: Giorno feriale. -------------------------- Alltag 18. Februar 2012   „Deine Pünktlichkeit ist unfehlbar. Zählst du gar die Sekunden?“, stellte Law nüchtern fest, streifte den Kittel von seinen Schultern und gab der Türe einen Schups mit dem Fuß. Seit ihre geschäftliche Beziehung bestand, wahrte sein Partner die Termine mit sorgfältiger Genauigkeit. Weder eine Minute zu früh, noch eine zu spät. Das Uhrwerk war verblüffend. Der Besucher stand am Fenster, streifte wachsam die Umgebung ab, keine Regung zierte sein Gesicht. „Die Unterlagen?“, fragte er wortkarg, überging die Bemerkung. Smalltalk stand ihm nicht, nicht solange die Arbeit nicht abgeschlossen war. Law grinste, trat an den Schreibtisch und öffnete die Schulblade, ließ sich in seinen Sessel fallen. „Ein kranker Plan, muss ich schon sagen, aber was erwarte ich auch anderes von dir, oder Lucci?“ Selten brachte Law seine Gedanken ein, immerhin gingen ihn die Einzelheiten nichts an, er fungierte lediglich als Lieferant, aber erhaschte er makabre Details, so verkniff er nie einen Kommentar. Desinteressiert über die Meinung des anderen, entnahm Lucci die Akte, blätterte durch die Seiten, suchte nach etwaigen Fehlern, die korrigiert werden mussten, doch fand er nichts. Wie üblich, doch Sicherheit ging vor. Ein Grund, warum er die Geschäftsbeziehung aufrecht erhielt, Law profitierte durch ein stattliches Nebeneinkommen, das ihn ruhig hielt und dafür sorgte, dass dieser sehr präzise arbeitete. Zufrieden nickte der Mann, ließ die Unterlagen in seiner Tasche gleiten. „Der Zeitplan verläuft reibungslos?“ „Habe ich dich jemals enttäuscht?“, war die Gegenfrage, die Lucci still hielt und als Antwort genügte. Der Zufall hatte die Männer vor Jahren zusammengebracht und seither galt Law als bereichernde Quelle. Distanziert, schweigsam und professionell, Eigenschaften die Lucci hoch anrechnete. Stümper lebten in seiner Nähe nicht lange und Law wusste Bescheid. Wieder formten Luccis Lippen ein Lächeln und wie jedes Mal erreichte dies nie seine Augen. Manchmal war Law kurz davor nachzuhaken, zu fragen, was ihm eine Freude bereitete, aber eine Vermutung hielt ihn zurück, denn bei diesem Mann glaubte er an nur eine Antwort und die mochte er lieber gar nicht erst hören. „Wie lange bist du in der Stadt?“ „Morgen gegen Mittag.“ Schwungvoll stand Law auf, kramte seinen Autoschlüssel hervor, schritt schließlich auf den Kleiderständer zu und nahm seinen Mantel. „Genug Zeit für einen Drink. Stoßen wir auf ein weiteres abgeschlossenes Geschäft an.“   × ×   Unruhig tippte Nami auf die Lehne, streifte immer wieder die Umgebung ab. Hier verbrachte sie ungern ihre Zeit, obwohl das Ambiente äußerst angenehmen gehalten war. Ein kleines, aber feines Lokal. Der Grund für ihre Abneigung entstand auch erst vor geraumer Zeit: Law. Er zog den Ort vor, kam öfter mit seinen Kollegen her und seitdem mied Nami normalerweise den Abstecher. Dieses Mal allerdings beharrte ihre Freundin, Rebecca, darauf, die Namis Ablehnung überhaupt nicht nachvollzog. Sie gehörte jenen Frauen an, die Laws Charme sofort verfielen. Nur eine Person in ihrem Freundeskreis schien den Mann zu durchschauen, Lola, aber hatte diese am heutigen Abend keine Zeit und so ergab sich Nami, hoffte auf keine unschöne Überraschung. „Ich dachte mir schon, dass das Angebot eine Überlegung wert ist, aber annehmen…, überraschend“, hörte sie Rebecca, die ihr Weinglas in der Hand schwenkte, betrachtete die rote Flüssigkeit. Oft sprachen sie über diverse Möglichkeiten, Vorhaben und Träume. Rebecca selbst hegte den Wunsch irgendwann in ein anderes Land zu ziehen, doch nicht so plötzlich. Solche Entscheidungen traf sie nie ohne langes Bedenken, denn Schritte dieser Art gehörten mehrmals überdacht. Längere Zeit in einer fremden Stadt, zwar wusste sie von Vivi, aber dennoch fern der Familie und den eigentlichen Freunden, das war für sie derzeit unvorstellbar. „Und deine Familie ist einverstanden?“ Augenblicklich hob Nami den Kopf, sah die anderen einen Moment lang schweigend an, dachte an die geführte Unterhaltung, den gemischten Reaktionen. „Bellemere und Nojiko sind gespaltener Meinung. Liegt jedoch mehr an den Differenzen der letzten Zeit, stehen aber dahingehend hinter meinem Traum. Er überrascht mich hingegen. Hätte mir eine dämpfende Antwort erwartet, stattdessen ist er stolz auf meine Entscheidung, mir meine Zukunft selbst aufbauen zu wollen.“ Nami schnalzte mit der Zunge, seinen Namen hörte man selten aus ihrem Mund. Die Bezeichnung Vater noch seltener. Dafür war die Beziehung zu zerrissen, demoliert. Manchmal wünschte sie sich Genzo hätte sie damals adoptiert, er war mehr eine Vaterfigur als ihr offizieller Ziehvater je könnte. So unfair der Gedanke gegenüber Bellemere auch war. „Sei froh, die Reaktionen hätten anders ausfallen können.“ Wie bei einem gewissen Thema, schoss es Nami durch den Kopf, aber die Worte behielt sie für sich. Oft genug hatte sie darüber schon gesprochen und solange kein Grund bestand, holte sie dieses nicht hervor, weder vor ihren Freunden noch ihrer Familie. Mit ihrer Entscheidung hatte sie eine Basis geschaffen, die vom eigentlichen Problem ablenkte, das die Familie in Lager spaltete, und damit gab sich Nami zufrieden. „Dennoch, mich wundert es nicht, habe ich anschließend ein paar Spione um mich“, gefolgt von einem Lachen, aber lagen Bedenken dahinter, denn möglich war bei ihm alles. Der Ruf sollte gewahrt werden. Rebecca schüttelte den Kopf. „Spinnerin“, griente die junge Frau und stellte das Glas ab, setzte einen ernsteren Ausdruck auf. „Ich hoffe, du vergisst nicht auf deine Freunde, wenn du dort bist.“ Rebecca kannte sie seit ihrer Kindheit, durch die Bekanntschaft der Familien. Im späteren Verlauf besuchten sie dieselben Schulen. „Wie könnte ich. Schließlich brauche ich jemanden, der mich deckt.“ Die Angesprochene rollte mit den Augen, aber die Aussage hatte einen hohen Gehalt an Wahrheit. Sie hielt oft genug dicht und half bei allem. Die gute Laune, die sich in Nami ausgebreitet hatte, verblich rasch, denn ihr Blick streifte den Eingangsbereich. Law war eingetreten. Ihre Miene wurde eisiger während er nicht anders konnte und ein breites Grinsen aufsetzte. Doch staunte sie über seine Begleitung, ausgerechnet der Mann, der ihr gestern den Schal aufgehoben hatte. Rebecca stieß ein lautes Seufzen aus, den Ausdruck kannte sie, diesen schenkte sie nur einer Person. „Ich verstehe dich nicht“, murmelte sie. „Ich weiß, weil du auf ihn abfährst und dich von seinem gespielten Charme einlullen lässt.“ „Welch glücklicher Zufall.“   × ×   „Sag ab“, seufzte Zorro, trocknete nebenbei Gläser ab. Vivi war auf einen kurzen Sprung vorbei gekommen, schlürfte eine geraume Zeit schon lustlos an ihrem Mineralwasser. Heute Abend hatte sie sich mit ihrem anderen Freundeskreis verabredet oder besser gesagt, sie ging der Einladung nach, da sie sich die gesamte Woche über gedrückt hatte, jedenfalls sofern es möglich war. Corsa, Kaya und der Rest der mit von der Partie war, waren an sich keine unguten Menschen, aber die Atmosphäre war spürbar anders. „Lysop holt mich in einer halben Stunde, ich gehe einfach früher und wer weiß, vielleicht wird es unterhaltsam.“ Unwillkürlich glitt ihr Blick durch die Bar. Die sonstige Runde blieb fern, Sanji arbeitete, Ruffy holte Zeit mit seinem Bruder nach, der sich mal wieder in der Stadt blicken ließ, Bonney traf sie vorhin, doch wirkte diese gehetzt und wollte schleunigst nach Hause. Eine Eigenschaft die sie immer wieder an den Tag legte. Niemand kannte den genauen Grund. Über den Teil ihrer Vergangenheit sprach sie nie, aber immer wieder bereitete Vivi eben das Sorgen. Das passte nicht zu ihrem sonstigen Gemüt. „Dann mach ein fröhlicheres Gesicht, ist ja kaum auszuhalten.“ Wochenende und allmählich füllte sich die Bar. Die Üblichen, die Zorro allesamt kannte. Selten tauchten neue Gesichter auf, hie und da Touristen, die sich einen Tipp geben ließen, aber das war es dann schon. Eine Tatsache, die die Arbeit äußerst angenehm gestaltete. Leise brummte Vivi, warf ihm einen mürrischen Blick zu. „Pass du lieber auf. Perona ist unberechenbar, sie ist schneller hier als dir lieb ist.“ Zorro verzog keine Miene, winkte bloß ab und warf das Tuch über die Schulter. Solange er arbeitete, störte ihn ihre Anwesenheit weniger, er hatte zu tun und hinter dem Tresen war er in Sicherheit. Machte sie Unruhe konnte er sie durchaus rausschmeißen, etwas das er gerne tun würde, aber sie war nicht dumm. Während seiner Arbeitszeit tat sie nichts, das ihr Ärger einbrachte. Mit verschränkten Armen lehnte er gegen die Holzplatte, behielt Vivi weiterhin im Auge, solange bis ihm ein bekanntes Lachen zu Ohren kam. Langsam drehte er den Kopf Richtung Eingang und seine Mundwinkel zuckten. Wie gesagt, Wochenende und die üblichen Verdächtigen. „Hab dich schon vermisst“, begrüßte er grinsend. Franky lachte erneut und hielt am Tresen, während seine Freunde weitergingen. „Was machst du dann nächstes Wochenende? Da musst du leider ohne mich auskommen.“ „Urlaub?“, fragte Zorro nach, bereitete die erste Runde vor, wusste er sowieso was sie alle tranken. „Ein kleiner Tapetenwechsel schadet nicht“, fing er an, leider sah die Wahrheit ein wenig anders aus, „würde dir auch gut tun.“ Er wusste über Zorros Arbeitsleben Bescheid und Franky fragte sich durchaus, wie der andere stets frisch und munter aussah. Zorro lachte bloß, gab die vier Gläser auf ein Tablett und stellte es vor dem Mann ab. „Liegt am Alter, ich halt noch einiges aus. An dir nagen die Jährchen halt schon.“ Franky zwinkerte und marschierte schließlich zu seinen Freunden. „Der ist wirklich viel unterwegs. Wenn er ein paar Tage nicht auftaucht, weißt du, er ist wieder fort“, meinte er an Vivi gewandt, die die gesamte Zeit über geschwiegen, den Kopf geneigt und Nico Robin beobachtet hatte. Zorro hob die Braue, folgte ihrem Winkel. „Ich hab Nami gesagt, sie solle erst morgen fliegen“, säuselte er und beide sahen sich an. „Sie hat dir davon erzählt?“ „So in der Art.“ Wieder suchten ihre Augen die Frau. „Wir sollten aufhören. Kann schnell verrückt wirken und ich hab Angst Blondi denkt am Ende ich habe sie angesehen.“ Und doch behielten sie die Richtung bei. „Ich find ’s merkwürdig. Nach all den Erzählungen ist sie eigentlich kein Mensch, der sich ernsthaft mit Fremden auseinandersetzt. Im Gegenteil, sie wirkt freundlich, aber das Gefühl besteht, dass sie die halben Gespräche kaum interessieren.“ „Soll vorkommen. Ich halte nicht viel von Gerüchten, aber ich erlebe ja selbst, wie sie die Leute abspeist. Anscheinend hat Nami etwas an sich?“ Vivi zuckte mit den Schultern, erfahren würden sie es wohl nie. Endgültig wandte sie den Blick ab, sah auf ihre Armbanduhr. „Muss los.“   × ×   Wie vermutet blieb Law, hatte sich provokant mit seinem Begleiter hingesetzt. Ein kurzer Moment, wie er formulierte, doch mittlerweile sah die Sache anders aus. Die Getränke waren geordert, bereits zur Hälfte geleert und so schnell verschwand er wohl nicht. Rebecca zeigte förmlich ihr Interesse, plauderte mit dem Chirurgen, der sich abermals von seiner besten Seite präsentierte. „Sie mögen ihn nicht besonderes“, stellte Lucci fest, sprach mit gesenkter Stimme und war leicht näher gebeugt. Law hatte überrascht gewirkt, als die beiden meinten, sie hätten sich bereits am Flughafen getroffen. Nun wusste sie seinen Namen, er schien entspannter, aber dennoch blieb dieses unangenehme Gefühl in der Luft. „Wir liegen nicht auf derselben Wellenlänge“, erwiderte Nami wahrheitsgetreu, wenngleich in ihrem Kopf eine andere Erklärung herrschte, die sie jedoch zurückhielt. „Egal, Geschmäcker sind verschieden. Sie sind mit Sicherheit kein Arzt und gewiss nicht von hier. Auffrischung einer alten Freundschaft?“ Eine Neugierde blitzte in ihren Augen auf, die Lucci mit einem rauen Lachen kommentierte. Wenn sie schon hier saßen, dann konnte sie sich wenigstens ein Bild über den Unbekannten machen, erahnen woher seine Ausstrahlung kam. „Gott bewahre, wenn ich Menschenleben retten müsste. Ich habe wahrhaft kein Händchen dafür und würde noch jemanden töten. Diesen Beruf überlasse ich lieber unserem Freund. Und ja, ich besuche ihn sofern ich in der Nähe bin. Freundschaften müssen gepflegt werden.“ Erneut das Lächeln. Warum sagten seine Augen anderes? Und als ob das nicht ausreichte, so überkam Nami eine Gänsehaut, als er vom Töten sprach. Der Mann ließ sie mehr Unwohlsein verspüren als Law es jemals konnte und er war in ihren Augen schon ein Widerling durch und durch, aber eben nur das. „Ich bin Schatzjäger, Tote und ihre wertvollen Hinterlassenschaften sind mein Spezialgebiet“, fügte er an, erkannte wie Nami darüber nachdachte, in welche Berufssparte er passte. Sie kniff die Augen zusammen. „Schießen Sie sich für Schätze auch durch die Weltgeschichte? Wie in Spielen und Filmen dargestellt?“ Mit einer Waffe konnte sie sich Lucci erschreckend gut vorstellen. Eine mögliche Erklärung, warum er die Wirkung erzielte. „So überspitzt würde ich meinen Beruf nicht erklären, aber ja, ich bin bewaffnet. In abgelegenen Gebieten, wo jederzeit eine Bedrohung lauert, ist oberste Vorsicht geboten“, gab er zu bedenken, sprach jedoch als war es das Normalste der Welt. Gut, Nami kannte niemanden, der wirklich beruflich mit Waffen hantierte. Eher solche, die zum Vergnügen auf Jagd gingen oder hie und da an einem Schießstand Halt machten. In ihren Augen ein gewaltiger Unterschied. Eine Frage lag ihr auf der Zunge, aber kam diese nicht über ihre Lippen. Vermutlich weil sie keine Antwort brauchte, sie sah ihm an, das er durchaus Menschen erschossen hatte. Also lächelte sie lediglich, nahm das Glas zur Hand und trank einen Schluck. Ein Chirurg und ein Schatzjäger, eine interessante Kombination und mittlerweile glaubte Nami den Grund für ihr Aufeinandertreffen zu kennen. „Genug von mir, darf ich in Erfahrung bringen, woher die Abneigung stammt? Frauen umgarnen ihn normalerweise.“ Deutlich hörte Lucci ein Brummen, das Glas wurde abgestellt und Namis Augen suchten den Chirurgen. „Gott sei Dank sind Geschmäcker verschieden. Er ist ein Mann in dessen Wortschatz „Nein“ keine Bedeutung findet. Von mir aus kann er Frauen haben, so viele er möchte und sich an seinen Beutezügen ergötzen, aber mich darf er getrost aus dem Spiel lassen. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum er einen Narren an mir gefressen hat und er hört wohl erst auf, sobald er sein Ziel erreicht hat. Diesen Gefallen wird er jedoch nie erhalten.“   × ×   „Dieselbe Order?“, fragte Zorro, der nebenbei bereits die ersten Gläser von der Anhöhe nahm, einen Blick über die Schulter warf. Ein charmantes Lächeln folgte, das als Antwort genügte. Wissend unter Beobachtung zu stehen, hantierte er gelassen, ignorierte die wachsamen Augen, so gut es ihm möglich war. Wundern brauchte ihn nichts, denn sogar nachdem Vivi die Bar verlassen hatte, hatte er hie und da hinüber geschaut, die Runde oder besser gesagt, die eine Frau angesehen, über die Erzählungen nachgedacht. So etwas blieb selten unbemerkt. „Möchtest du darüber reden?“ Ertappt hielt Zorro inne. Sie sprach ihn tatsächlich an. Gehofft hatte Zorro anderes. Resignierend ließ er die Schultern hängen. Die Flasche wurde abgestellt, die Gläser auf einem Tablett verteilt und dieses über die Theke geschoben. Robin wirkte amüsiert, hatte das Kinn an der Hand abgestützt. Obwohl der georderte Nachschub bereit vor ihr stand, machte sie keine Anstalt den Tresen zu verlassen. Wie antwortete er? Sollte er überhaupt ein Wort sagen? „Worüber denn?“, entschied er dem unangenehmen Gespräch auszuweichen. Nicht oft stellte er sich dumm, jedenfalls probierte er das. Seine Haltung, sein schiefes Grinsen, überzeugend sah anders aus. „So schlimm, dass ich eure Freundin begleitet habe?“ Lügen zwar zwecklos, sie wusste worauf die Blicke anspielten. Aufgebend, seufzte Zorro, beugte sich vor. „Sage wir, überraschend trifft ’s eher.“ Robin blieb stumm, wartete auf eine Erklärung seitens des Barkeepers. „Komm, du lässt hier jeden abblitzen. Sowohl Frauen als Männer. Wir palavern zwischendurch ein wenig, aber sonst? Du unterhaltest dich nur mit deinen Freunden. Außerdem… du kennst die Leute,…, sie reden.“ Aufmerksam beobachtete er jede Reaktion, die die Archäologin nach außen hin zeigte. Nicht gerade viel, das ihm Aufschluss gab. „Verstehe.“ Die Worte kamen ihr äußerst bekannt vor. Um die Gerüchte der Leute jedoch, da kümmerte sie sich nicht darum. Das war sie gewohnt und mehr oder weniger perlten sie an ihr ab. „Weißt du, ich verschwende meine Zeit ungern für Konversationen, die sich schnell als Langweilig entpuppen. Die Leute, die hier ab und an verkehren und mich ansprechen, die strahlen das förmlich aus, aber, wie du erkannt hast, kann ich anders.“ „Nami ist auch ein interessanter Mensch, habe ich selbst festgestellt.“ „Sie ist abgereist?“, fragte sie sogleich, ohne auf die vorangegangen Bemerkung näher einzugehen. „Gestern, ja.“ Robin nickte bedächtig, nahm schließlich das Tablett und wollte bereits gehen als Zorro nochmals das Wort erhob. „Ab Juli ist sie wieder hier, bleibt ein paar Monate.“ „Hat die Stadt so an sich.“ Einen Augenblick fanden sich ihre Augen. Vollkommen überzeugt davon, dass das bloß ein seichtes Gespräch gegen die Langeweile war, war Zorro nicht und so suchte er nach der passenden Erklärung. Als ob Robin seine Gedanken las, schüttelte sie den Kopf, wandte sich endgültig von ihm ab. „Möchtest du ihre Nummer?“ „Du überspannst den Bogen, mein Lieber.“   × ×   Die beiden Männer blieben alleine zurück. Nachdem Law sich endgültig an Nami gewandt hatte und ihr regelrecht auf die Pelle rückte, hatte diese, zum Leidwesen ihrer Begleitung, den Abend für beendet erklärt. Lucci musterte seinen Partner, der schweigend an seinem Drink nippte und Luftlöcher starrte. „Die Kleine beweist Geschmack“, holte er den Chirurgen aus den Gedanken, der sogleich die Stirn in Falten legte. Die Aussage bezog sich auf vielerlei und Law war sich nicht sicher, auf welche Bedeutung der andere anspielte. „Sie widersteht deinen Spielchen“, klärte Lucci auf, ein spöttisches Grinsen umspielte seine Lippen. Automatisch verhärtete sich Laws Miene, sein Kopf fiel in den Nacken. „Du kennst mich, ich liebe die Herausforderung“, war alles das dem Chirurgen einfiel. Die Wahrheit, aber normalerweise fand er schwierige Aufgaben bloß innerhalb des OPs vor und bei Frauen hatte er leichtes Spiel. Abfuhren kannte er nicht und umso mehr er auf Granit biss umso weniger konnte er nachgeben. „Entweder möchtest du die Abweisung nicht akzeptieren oder aber…“, brach Lucci ab, lachte rau und wartete bis Law ihn ansah, „du hast versagt und die Kontrolle über dein Herz verloren.“   Kapitel 8: L'inizio della fine. ------------------------------- Der Anfang vom Ende 17. Februar 2013   „Dein Weg war umsonst. Sie ist vor einer Weile aufgebrochen.“ Ihr Magen rebellierte, jede Faser des Körpers auf Zerreißprobe angespannt. Vivi erschien als erste Anlaufstelle plausibel, aber hatte diese offensichtlich in einer Sackgasse geendet. Ihr zweiter Gedanke musste herhalten. „Nein, sie meinte lediglich, sie nehme sich eine Auszeit.“ Bingo. Für manche eine Enttäuschung, für sie der entscheidende Hinweis. Suchte Nami Ruhe, gar die Einsamkeit, so existierte innerhalb dieser Stadt lediglich ein Ort, der ihr das Gewünschte bot. „Muss ein heftiger Streit gewesen sein.“ Eine Bemerkung, die Robin innehalten ließ, am Gehen hinderte. Natürlich, Vivi war Namis beste Freundin, ihr brauchte sie nichts vorzumachen, sie kannte die anderen länger, in vielerlei Hinsicht besser. Somit wusste sie, wann es Nami schlecht erging. Dennoch stand Robin dem Ganzen mit gemischten Gefühlen gegenüber. Einerseits empfand sie Erleichterung. Vivi kannte den Grund nicht, aber genau darin lag auf der anderen Seite das Problem. Ganzgleich welche Probleme Nami hatte, sie erzählte Vivi davon. Verschwieg sie den Grund, dann steckte mehr dahinter und das sah Robin als Knackpunkt an. Etwas lag in der Luft. Etwas das alles veränderte. „Sie ist still, sehr still. Das ist beängstigend.“ Beängstigend. Ja, besser hätte Vivi es nicht ausdrücken können. Nami galt als temperamentvoll, impulsiv. Wie schnell sie das herausgefunden hatte. Und doch, ganzgleich wie schnell Nami ihre Wut zum Ausdruck brachte, Robin mochte diese Art. Irgendwie. Ein Gegenpol und manchmal, das musste sie eingestehen, wünschte sie, sie konnte ähnlich agieren. Ihren Gefühlen freien Lauf lassen, aber so war sie nicht. Nun, da Nami anders als gewohnt reagierte, wusste Robin umso mehr, wie ernst die Situation zwischen ihnen war. Doch woher diese radikale Veränderung kam, blieb, offiziell gesehen, offen. Denn bis zum gestrigen Abend verlief die Beziehung reibungslos, ohne gröbere Auseinandersetzungen, jedenfalls seit sie ein Paar waren. Der Anfang war eine Sache für sich, aber seither verlief alles in ruhigen Bahnen. Wie aus einem anderen Leben, das Robin glaubte vergessen zu haben. In Nami hatte sie die einzig stabile Normalität gefunden. Ausgerechnet sie führte eine ernsthafte Beziehung und diese holte sie aus dem tristen Alltag. Der dunklen, tödlichen Realität, die ihr Leben Jahre über bestimmte. Mit Nami hatte sie den entscheidenden Faktor gefunden, für den ein Ausstieg sich lohnte. Wegen dem sie sich gegen das Morden sträubte, mehr als jemals zuvor. Naiv hatte sie angenommen, dass ihr dieses Glück auf längere Distanz hin hold war. Wie oft dachte Robin die Zeit spielte mit ihr und sie brauchte den entscheidenden Schritt bloß planen, umsetzen. Fertig, dieser Bestandteil war abgehakt, die Zukunft konnte kommen und wie auf wundersame Weise hätte sie nie davon erzählen müssen. Gewiss, eine einfache, ja naive Denkweise, aber dennoch ein ersehnter Wunsch. Wie immer, bewies das Leben wie kurzweilig Glück war, jedenfalls ihres. Ihr Doppelleben forderte seinen Tribut ein und den mochte Robin unter keinen Umständen der Welt bezahlen. Der Preis war hoch, viel zu hoch. So sehr sie auf einen anderen Grund hoffte, alles schrie förmlich nach der Wahrheit, die Nami irgendwie zugetragen wurde. Dieser Februartag passte sich ihrem Innersten an. Der raue Wind, dessen Kälte unangenehm spürbar war, keine Sonnenstrahlen sondern dicke Wolken. Lediglich Schnee und Regen würden das Gesamtbild abrunden. Ungewohnt schwer stieg sie aus dem Vaporetto. Allem Anschein nach wollte ihr Körper das Aufeinandertreffen verlangsamen. Robin hatte Angst. Eine Gefühlsregung, die sie kaum kannte. Selbst ihr erster Mord kam ohne sie aus. Vielmehr hatte sie damals einen Adrenalinkick gefühlt, gepaart mit ein wenig Nervosität und, das hatte sie lange nicht eingestehen können, dem Hauch Faszination, erst recht darüber wie einfach sie ein Menschenleben auslöschte. Und ausgerechnet hierbei kam Angst zum Vorschein, die allmählich in Panik überschlug. Robin kannte den Ort in und auswendig. Somit steuerte sie automatisch einen besonderen Punkt an. Dieses Eiland strahlte eine besondere Atmosphäre aus, bescherte ihr, innerhalb dieser Situation, unangenehme Erinnerungen. In allen war sie glücklich, verbrachte gemeinsame Zeit mit Nami. Vor und während der Beziehung. Hier fanden sie ihren Treffpunkt, lernten die andere besser kennen, entflohen zusammen dem hektischen Treiben der Stadt. Fanden sie ausgerechnet auf dieser Insel das Ende? Kaum erkannte sie die Gesuchte, blieb Robin stehen, betrachtete sie lediglich. Nami saß am Rand, ließ die Beine baumeln. Während dieser Jahreszeit kein einladendes Erlebnis. Hörbar schlugen die Wellen gegen den kalten Beton. Wie lange saß sie hier? Ihr musste kalt sein. Robin schluckte. Wieder kam ihr das gestrige Gespräch in den Sinn. Wie jeden Abend, wenn sie verreist war, telefonierten sie miteinander. Allein Namis Stimme reicht aus, schob das Getane, das Gesehene in ihre tiefsten, dunkelsten Abgründe. Ein paar Minuten die Robin alles vergessen ließ. Dieses Mal verlief das Gespräch anders. Von Anfang an hörte sie die Anzeichen. In Namis Stimme lag eine Kälte, Distanz. Sofort wusste Robin, etwas war vorgefallen. Fünf Minuten, in denen sie kaum ein Wort sagte, brachen ihre neue Welt erneut zum Einsturz. Die Schwärze kehrte zurück. Worum es sich handelte, verschwieg Nami. Die Ansprache genügte und das erdrückende Gefühl das die Wahrheit ans Tageslicht gekommen war, erwachte. „Nami“, gewispert, lediglich für die Ohren der anderen bestimmt. Langsam war Robin an sie herangetreten und sichtlich erkannte sie das Zucken des Körpers. Hatte Nami mit ihrem Auftauchen gerechnet? Vermutlich nicht. War auch nicht geplant gewesen. „Was…was ist passiert?“ Wenn ihr Gefühl richtig lag und das tat es immer, dann musste sie die Worte hören. Noch schwieg Nami, hielt lediglich ihre Tasche in die Höhe. Eine Aufforderung der Robin äußerst langsam nachging. Eine Mappe kam zum Vorschein, die sie skeptisch musterte. Das Herz schlug ihr wahrlich bis zum Hals. Nami starrte unterdessen weiter auf das Meer hinaus. Ein Teil hatte auf längeren Abstand gehofft, der andere auf ein rasches Wiedersehen. Zweites verstand sie nicht, aber vielleicht logisch. So erhielt sie die Möglichkeit ihrem Entsetzen, ihrer Wut freien Lauf zu lassen. Denn ganzgleich wie viele Stunden sie erhielt, sie würde nie auf einen Nenner kommen. Ihre Gedanken ratterten unaufhörlich. Eine Sortierung erschien unmöglich. „Der Absender?“ Verzweifelt gluckste Nami. Ihr Ernst? Der erste Gedanke, der Robin dabei in den Sinn kam? Wer der verdammte Absender war? Zweitranging in ihren Augen, aber was sollte sie sich anderes erwarten? „Nehmen wir an, ich gebe dir den Namen“, fing sie an, holte tief Luft, „tötest du ihn? Wie deine unzähligen Opfer?“ Schwer verließen die Worte ihre Lippen, entzog sich das Erfahrene jeglicher Plausibilität. Die Frau die sie liebte, erwies sich als kaltblütige Mörderin. Anfangs glaubte sie an einen kranken Scherz, ihre Gefühle klammerten sich förmlich daran fest. Dem war nicht so. Die Informationen, die Bilder, sie zeigten die blanke Realität. Ein Horrorszenario das sie nie erwartet hatte. Robin schwieg. „Das sagt alles“, murmelte sie, vergrub das Gesicht in ihren Handflächen. Eigentlich dachte sie stets, sie hatte eine gute Menschenkenntnis. Bisher gab es nie einen Grund für Zweifel. Lucci durchschaute sie in kurzer Zeit. Seine Ausstrahlung, die Erzählungen. Für sie war er ein Mörder, er passte in dieses Bild, aber Robin? „Nami, das ist kein Spiel! Gerät das in falsche Hände“, brach Robin ab. Entsetzen stand ihr ins Gesicht geschrieben. Sie hielt Informationen in der Hand, auf die niemand Zugriff hatte. Als ob das nicht ausreichte, enthielt die Mappe Bilder. Allein deshalb musste sie den Verantwortlichen finden. Erfahren, wie diese gemacht wurden. „Ja, habe ich keine andere Wahl, dann muss ich denjenigen aus dem Verkehr ziehen.“ Hierbei ging es nicht nur um ihre Beziehung, auch ihre Freunde brachten die Informationen in eine heikle Situation. Wer zog die Fäden? Robin erpressen war eine andere Sache, aber Nami in die Angelegenheit miteinzubinden, eine vollkommen andere. „Steckt Law dahinter?!“ Ein Gedanke der ihr in den Sinn schoss. War Nam im Spiel, so hatte er einen Grund. Allmählich platzte Nami der Kragen. Durch das lange Sitzen in der Kälte war ihr Körper schwer, steif geworden, aber mit Schwung stand sie auf. Zum ersten Mal sah sie Robin an, versuchte wenigstens etwas in deren Augen zu finden das ihr die Situation erleichterte. Nichts. „Ist dein Interesse bloß darauf fixiert? Wie es mir ergeht, ist egal, Hauptsache niemand kommt hinter dein Geheimnis?“ Noch blieb ihre Stimme in einem angemessenen Rahmen. Wie lange war fraglich. Vermutlich trug jede einzelne Antwort bei. „Sei froh, dass ich sie mitgenommen und nicht zu Hause hab liegen lassen.“ „Ist es nicht, aber ich muss das erfahren.“ „Keine Sorge. Solange ich möchte, bleibt das unter uns.“ Man gab ihr tatsächlich die Möglichkeit selbst eine Entscheidung zu fällen. Immerhin, das gewünschte Ergebnis war erreicht. Was nun geschah, war in gewisser Weise eine Draufgabe. „Er ist der Übeltäter.“ Robin fühlte sich bestätigt, ein schiefes Grinsen stahl sich auf ihre Lippen. Ausdruckslos trat Nami dicht vor die andere. „Stirbt er in nächster Zeit, sorge ich dafür, dass das in die richtigen Hände fällt. Ich lass dich auffliegen und solltest du deswegen bis an dein Lebensende in einer Zelle verrotten“, erwiderte sie sogleich, brauchte keine Bedenkzeit. Die Worte entsprachen der Wahrheit, sie zögerte keine Sekunde. „Du hast mir aufgezeigt, wie krank die Welt doch ist. Wie unscheinbar und nahe das Böse in unserer Mitte ist. Du bist ein Monster und für solche hege ich kein Mitleid.“ Das war er. Der Anfang vom Ende.   Kapitel 9: Calma e gesso! ------------------------- Ruhig Blut! 18. Juli 2012   Flüchtend schlängelte die junge Frau durch die Masse, bog in die nächste, deutlich leerere Seitengasse. Mittag, und die Sonne brannte nieder, doch hatte die Hitze ihren Höchststand nicht erreicht. Die Touristenmasse drang unbeirrt weiter vor, schob sich schleppend durch das Viertel auf der Suche nach der nächsten Attraktion. Das Stimmengewirr war unerträglich, schon vor geraumer Zeit hatte der Rotschopf die Kopfhörer ausgepackt. Sie war gewarnt worden, Vivi sagte, dass das kein einfaches Unterfangen war an solch einem Tag ausgerechnet durchs beliebteste Viertel zu marschieren. Das Angebot sich von Lysop transportieren zu lassen, hatte sie dankend abgelehnt. Trotz der Masse fand sie irgendwann sowieso das gewünschte Ziel, da konnte sie wenigstens ein paar Eindrücke aufschnappen. Der Bass dröhnte förmlich in ihren Ohren, aber lieber das als die unzähligen Stimmen. Vor ein paar Stunden war sie aufgebrochen, hatte ihre kleine, persönliche Entdeckungstour gestartet. Erst San Marco erschwerte ihr Weiterkommen. Eine Route, die sie wissentlich wählte und obwohl sie Plätze mit dem höchsten Besucherandrang mied, war das Unterfangen anstrengend. Lieber suchte sie Schutz in engen, dunkleren Gassen. Ein kleiner Vorteil, denn boten diese Schatten und hie und da vernahm sie eine angenehme Brise. Prüfend warf sie einen Blick auf die Uhr, noch hatte sie Zeit und so blieb sie auf einer kleinen Brücke stehen, lehnte gegen das Steingeländer. Hier fand sie sich alleine, hatte somit bei der Wahl des Weges einen weiteren Glücksgriff ergattert, denn ein Blick entlang des Kanales zeigte das Chaos der Touristen. In gewisser Weise nahm sie Umwege in Kauf, aber bei dem Schauspiel kam sie dennoch rascher voran. Erst recht, als sie sah, wie vier Besucher die Karte zückten, wild miteinander sprachen, gestikulierten. Die Köpfe suchend in alle Richtungen wandten. Natürlich musste das direkt vor Ort geklärt werden, auf einer gut frequentierten Brücke. Kopfschüttelnd stieß sich Nami ab und marschierte die eingeschlagene Route weiter. Im Gegensatz zu Touristen, griff sie auf keine Karte zurück. Tat sie nie. Ging es um solche Kleinigkeiten, so hatte sie ein ausgesprochen gutes Gedächtnis, Raumverständnis. Eine kurze Recherche und irgendwie brannten sich die Wege und das Ziel in ihr ein. Und sollte tatsächlich einmal der Tag kommen, an dem sie sich verlief, so nannte sie das natürlich nicht, denn das tat sie ja nie, nannte sie das Extra. Eine Erkundungstour ohne vorher nachgesehen zu haben, die Nami Schauplätze aufzeigte, die sie auf andere Weise wohl nie passiert hätte. Gassen und Straßen waren nützlich, konnten im späteren Verlauf irgendwann als Abkürzungen dienen. Wie ihr mitgeteilt worden war, bildete sie somit den Gegenpol zu Zorro, der angeblich noch heute manchmal unpünktlich zur Arbeit erschien, weil er sich verlief. Vivi erzählte gerne von seinem schlechten Orientierungssinn, da dieser seine einzig offene Schwachstelle war. Laut ihrer Schilderung hatte sie den Handwerker zum Bahnhof begleitet, gut 300 Meter zuvor musste sie eine andere Richtung einschlagen, und obwohl sie ihm haargenau erklärt hatte, er musste nur noch geradeaus gehen, schwört sie darauf ihn zwei Stunden später getroffen zu haben, als sie bereits den Heimweg einschlug. Solche Aussetzer waren Nami schleierhaft, aber jeder hatte eben andere Schwächen und Stärken. Nun lebte sie seit zehn Tagen offiziell in der Lagunenstadt, problemlos. Dieser Tag bildete den ersten, an dem sie tatsächlich etwas alleine unternehmen konnte. Für eine Woche war ihre Familie mitangereist, hielten sie in der Zeit stets auf Trab. Danach hieß es sich heimisch zu machen und so hatte sie die erste Möglichkeit genützt und sich für einen Erkundungstrip entschieden. Gezielt ohne Begleitung, aber das würde sich am Nachmittag wieder ändern. Während sie gemächlich voran schlenderte, dachte sie unweigerlich an die vergangenen Monaten. Erst nach und nach realisierte Nami ihren Aufenthalt. Kein Urlaub, kein Besuch, sie lebte hier. Lang war der Weg gewesen, stressig, nervenaufreibend und das hatte zunehmend an ihren Kräften gezerrt. Der Schulabschluss war das geringste Problem gewesen. Kaum hatte sie den in der Tasche, schon musste sie die ersten Vorbereitungen für den Umzug treffen. Sogar die Sprache hatte sie ernst genommen und sich intensiv damit auseinandergesetzt, nebenbei die neugewonnenen Freundschaften gepflegt, nie den Kontakt abklingen lassen. Abgesehen von Vivi fand sie in Zorro einen neugewonnen Freund, der ihr auch über die Ferne hin oftmals eine Hilfe war. Seine Freundschaft tat ihr gut, denn er hatte in manchen Belangen eine ganz andere Sichtweise, mit ihm ließen sich die einen oder anderen Themen leichter besprechen. Der Umzug hatte sie förmlich angetrieben und das resultierende Wissen, bald schon auf Abstand von der Familie, dem dortigen Umfeld zu kommen, hatte sie umdenken lassen. Ein wesentlicher Punkt, denn gänzlich in einem Streit wollte sie nicht verschwinden und das hatte sie erreicht. Zwar konnte sie das Verhältnis mit ihrem Ziehvater nie vollkommen kitten, danach strebte sie gar nicht erst, aber es war annehmbar. Seltener ging sie auf Streitereien ein und so verstand sie sich mit allen besser, immerhin standen ihre Mutter und Schwester nicht länger zwischen den Stühlen und mussten als Vermittler agieren. Das Thema Beziehung kam nie auf, kein Wunder, wenn schon, dann pflegte Nami in den vergangenen Monaten die eine oder andere Affäre, mehr nicht. Einzig ein Problem blieb offen und das war Law. Aufgeben gehörte weiterhin nicht in sein Spektrum, und über die Monate hinweg hegte Nami sogar die dumpfe Vermutung, dass da weitaus mehr dahinter steckte als eine einfache Eroberung. Niemand den sie kannte, war so verbissen. Rau lachte sie bei dem Gedanken. Sie sprach weiterhin von Law, einem Aufreißer, der das Abenteuer suchte, dem nichts mehr gefiel und befriedigte als den gesamten Tag im Operationssaal vor offenen Herzen zu verbringen. Womöglich zermürbte sich ihr Gehirn schon so sehr deswegen, dass sie sogar ernsthafte Gefühle seitens des Chirurgen in Erwägung zog. Dennoch, seine Art lud förmlich für Vermutungen ein, erst recht nachdem er bereits ihre neue Nummer ergattert hatte. Nur wenige kannten sie, Familie und die engsten Freunde. Sei’s drum, dachte Nami, wenigstens konnte er ihr nicht mehr ständig über den Weg laufen. Wieder hielt sie inne, direkt an einer Haltestelle für die Vaporettos. Rasch überflog Nami den Plan, sie hatte das Ziel erreicht, früher als erwartet, und noch sieben Minuten übrig. Bevor sie noch länger in diesem Viertel marschierte und sich der Masse auslieferte, nahm sie lieber ein früheres Boot. Ein tiefer Atemzug folgte und entspannt sank sie auf einen Pfeiler. Die Hitze war erdrückend. Während sie in ihre Umhängetasche nach der Wasserflasche griff, ließ sie den Blick ein wenig über die Umgebung streifen. Kaum jemand verweilte, allesamt schritten sie weiter. Hie und da nahm sie Gespräche auf. Warten war angesagt.   × ×   Brummend warf Vivi den Kopf in den Nacken. Im Gegensatz zu ihren Freunden liebte sie diese Jahreszeit, da sie mit den hohen Graden und der Schwüle umzugehen wusste. In diesem Moment jedoch war ihre Laune leicht gereizt, sie wartete. Da Nami eine Tour auf eigene Faust unternahm, und doch ein wenig geheimnisvoll gewirkt hatte, nahm sie ein Treffen mit Ruffy, Bonney und Lysop war, der heute mal einen freien Tag hatte. In den Sommerferien arbeitete dieser durchgehend, hatte selten frei, aber diese Freizeit wusste er oftmals mit Ruffy zu nutzen. Ein wahrlich ulkiger Typ, der manchmal dieselben schwachsinnigen Ideen hatte, wie der Straßenkünstler, aber weitaus ängstlicher war. Für Ruffy schien kein Hindernis zu groß, kein Abenteuer zu gefährlich, Lysop war anders aber er hielt stand, bewies Mut auf seine eigene Weise. Auch er hatte das Herz am richtigen Fleck und das war weiterhin vergeben. Vermutlich würde er wieder Neuigkeiten erhoffen, aber Kaya selbst hatte Vivi schon länger nicht gesehen, unter anderem weil diese gerade auf Urlaub war. Wieder glitt ihr Blick auf die Uhr. Bald ist die halbe Stunde rum und Vivi fragte sich, was der Grund für die Unpünktlichkeit war. Ungeduldig wippte ihr linker Fuß. „'Tschuldige“, vernahm sie schließlich eine nach Luft ringende Stimme. Ein Zucken durchfuhr ihren Körper, leise drehte sie sich um. Lysop stand da, die Arme an den Knien abgestützt und durchatmend. Neben ihm war Ruffy, normal wie eh und je, als hätte er gerade keine Anstrengung hinter sich. Von Bonny allerdings fehlte jede Spur. „Alles in Ordnung?“, fragte sie stutzend, suchte die Umgebung nach der Gestalt ihrer Freundin ab, die Vivi nirgends erblickte. „Wo ist Bonney?“ Lysop richtete sie gemächlich auf, atmete weiterhin durch, jedoch wieder ein wenig gefasster. „Das ist es ja. Wissen wir nicht. Dachten, sie ist bei dir“, erklärte er nervös. Ruffy schwieg noch, doch sah er, zu Vivis Überraschung, nachdenklich aus. „Wie soll ich das denn verstehen?“ Zwar wusste Vivi über Bonneys merkwürdigen Angewohnheiten Bescheid, auch ihren kleinen Verfolgungswahn, aber direkt mitbekommen hatte sie das nie. „Wie waren unterwegs, eine kleine Runde. Haben für die kurze Zeit gar nicht mal schlecht verdient“, meinte Ruffy mit einem anfänglichen Grinsen, das recht schnell erstarb, „und kurz bevor Lysop hinzu stieß, wurde sie merkwürdig. Meinte, sie müsse schnell los. Sie komme hierher, aber du bist alleine.“ Selten hatte er Bonneys Beweggründe hinterfragt, immerhin wusste sie, dass er da war, sobald sie Hilfe benötigte, aber in letzter Zeit verschwand sie öfter, tauchte ein paar Stunden später wieder auf. Der Unterschied dieses Mal jedoch war, dass sie sichtlich Angst hatte und das verstand er nicht. Kaum hatte er den Blick angewandt und nach dem Grund Ausschau gehalten, war seine Freundin bereits in der Menge untergetaucht. „Ruffy… ist tatsächlich jemand hinter ihr her?“, fragte Vivi vorsichtig, leise. Normal war das nicht und von irgendwo musste ihre Angst kommen. „Wer weiß, vielleicht hat sie geklaut und sie wurde erkannt“, kam es Lysop schneller über die Lippen als er nachdachte. Sofort verfinsterte sich Ruffys Miene. Wütend baute er sich vor der Langnase auf. „Bonney ist keine Diebin!“, verteidigte er seine untergetauchte Freundin und jegliche Farbe wich aus Lysops Gesicht. Niemand, egal wie er hieß oder wer er war, durfte schlechtes über seine Freunde sagen. Ging es darum, so hatte Ruffy einen äußerst ausgereiften Beschützerinstinkt im Lauf der Jahre entwickelt. Freunde waren Familie, über die er nichts kommen ließ. „War … nur ein … Gedanke“, stammelte die Langnase und schluckte schwer. „Jungs!“, mischte sich Vivi schließlich ein, drängte sich zwischen sie. „Warten wir ein paar Minuten, vielleicht taucht sie auf und hat eine Erklärung parat.“   × ×   Die Stunden strichen dahin und entspannt betrat Nami den Vorplatz, als Schlusslicht der Gruppe und das Tor hinter ihr schloss sich geräuschvoll. San Lazzaro degli Armeni, eine Klosterinsel, die kaum ein Dutzend Mönche beherbergte. Jeden Tag öffnete die Pforte für eine einzige Führung, die Einblick in das dortige Leben, in eine andere Welt gewährt und die dort enthaltenen Schätze offenbart. Der Grund für ihr Kommen war in erster Linie ein anderer gewesen, doch hatte sie nicht anders können und am Rundgang teilgenommen. Zeit hatte sie gehabt und die Gunst der Stunde genützt, ihr Wissen ein wenig aufgestockt. Interessant war das Gesehene und Gehörte allemal gewesen. Die anderen Besucher schnatterten ausgiebig, suchten eilig die Anlegestelle auf und warteten dort ungeduldig auf das Vaporetto, das sie schleunigst in die Realität Venedigs brachte. Nami hingegen hatte anderes vor. Lächelnd machte sie kehrt, spazierte das Außengelände entlang, betrachtete die Vielzahl an exotischen Pflanzen. Nach und nach entfloh sie den Stimmen und spätestens nachdem das Vaporetto angelegt hatte, dürfte das Eiland neuerlich in gänzliche Stille verfallen. Diese hatte sie bereits vor der Führung ein wenig genossen und es entsprach tatsächlich der Erzählung. Ein Ort, der zum Nachdenken, zur Rast einlud. Schließlich fand sie sich am anderen Ende der Insel, ließ sich auf einer Bank im Schatten nieder und schloss entspannt die Augen. Während die restliche Besucherschar eilig im Vaporetto Platz nahm, stieg eine einzige Person aus, die von manchen registriert und verwundert angesehen wurde. Ihnen war schleierhaft was die Frau hier wollte, immerhin hatte die Führung geendet und abgesehen davon, gab es hier doch nichts zu sehen. Gekonnt ignorierte sie die stummen Blicke und sah sich einen Augenblick lang um. Sofort entlud sich die Spannung, das hektische Treiben der Stadt. In der Vergangenheit war sie oft genug hier gewesen, beruflich, aber sehr gerne für private Zwecke. Nirgends sonst in unmittelbarer Nähe fand sie einen Ort, der ihr die Möglichkeit auf die ersehnte Entspannung bot, die selbst die Schatten ihres Daseins auf Abstand brachten. Ein Lächeln ruhte auf ihren Lippen und bevor sie den angepeilten Platz aufsuchte, trat sie an das Tor, klopfte und wartete. Ein Mönch, der einige Jahre jünger war als der Rest der dort lebenden, öffnete und ein sanftmütiger Ausdruck lag auf seinem Gesicht. Sie war eben keine Unbekannte. Ohne viele Worte miteinander zu sprechen, drückte er ihr zwei Gegenstände in die Hand, um die sie gestern als sie zum Lesen hier war, gebeten hatte. Dankend verlor sie keine Zeit mehr und schritt weiter. Weit musste sie nicht gehen, denn schon bald erblickte sie die gesuchte Person. Bevor sie auf sich aufmerksam machte, hielt sie inne, neigte den Kopf leicht und musterte sie. „Habe ich dir zu viel versprochen?“ Kaum merklich zuckte die Angesprochene. In Gedanken versunken, hatte sie tatsächlich die Umgebung ausgeblendet gehabt. „Deine Schilderung ist im Nachhinein eine Untertreibung gewesen“, gab Nami grinsend zurück, öffnete die Augen und erkannte die Frau, auf die sie hier gewartet hatte. Der Grund, warum sie alleine los gezogen war und Vivi ohne konkrete Antwort abspeiste. Nur einem Menschen hatte sie im Vorfeld davon erzählt, Zorro. Wie erwartet hielt er dicht, gab zwar den ein oder anderen neckenden Kommentar ab, aber machte kein großes Tamtam daraus, wie sie es von Vivi kannte. Robin hatte sich mittlerweile neben sie gesetzt und für ein paar Minuten herrschte ein angenehmes Schweigen. Bei ihrem dritten Wiedersehen, das erst ein paar Tage zurück lag und das sie dieses Mal tatsächlich ihrem Ziehvater verdankte, fanden sie die Gelegenheit für eine Unterhaltung. Bei dieser hatte Nami angedeutet, dass sie wahrlich eine kleine Auszeit benötigte, ein paar Stunden der Einsamkeit. Irgendwie ergab das eine das andere. Ein merkwürdiger Wink des Schicksals. „Dann ist die Familie abgereist und hat dir endlich Freizeit beschert?“, durchbrach Robin das Schweigen, den Blick unverändert auf das Meer gerichtet. „Schon vor drei Tagen, aber Vivi hat mich auf Trab gehalten, wie auch die Umzugskarton. Dachte schon, ich müsste noch länger warten.“ Natürlich meinte Nami die Worte nicht böse, sie mochte durchaus Gesellschaft, aber irgendwann erreichte auch sie den Punkt, an dem es ihr zu viel wurde. Die letzten Stunden, die sie alleine unterwegs war, hatte sie durchaus genossen, obgleich sie bereits an dieses Treffen gedacht hatte. „Hab mir die Führung angesehen und nicht auf die Rosenmarmelade vergessen.“ Lächelnd klopfte sie auf die Umhängetasche. „Einzig enttäuschend ist jedoch die Tatsache, dass du mir noch einen Kaffee schuldest“, fügte sie gespielt eingeschnappt hinzu. In der Heimat hatte Nami noch öfters über diese zwei Begegnungen nachgedacht, aber mit der Zeit war es weniger geworden, zumal sie sich Verbot länger Gedanken zu machen, immerhin fand sie das allmählich selbst lächerlich. Dann, aus heiterem Himmel, kam das dritte Wiedersehen. Ob Robin überrascht schien, wusste sie nicht, denn diese Frau hatte die magische Begabung ihre Gesichtszüge zu kontrollieren, wie niemand anderes. Selbst ein Blick in die Augen gab keinerlei Informationen preis. Einerseits beängstigend, andererseits weckte es in Nami eine gewisse Faszination. „Denkst du, ich halte mich nicht daran?“, entgegnete Robin spitzbübisch, wartete ab und zum ersten Mal, seit sie gemeinsam auf der Bank saßen, drehte sie den Kopf, sah die jüngere Frau direkt an. Verwirrt blinzelte Nami. „Hier existiert kein Café oder meine Aufmerksamkeit spielt mir einen Streich.“ Wissend nickte Robin. Ein wenig ließ sie die andere zappeln, erkannte wie diese darüber nachdachte. Robin hatte nicht vor zurück in die Lagunenstadt zu fahren, dort ein Café aufzusuchen. Da sie direkt aus ihrem Büro kam, hatte sie ihre Arbeitstasche mit all den Unterlagen dabei und eine Kleinigkeit, die sie oftmals, insbesondere in den Wintermonaten bei sich trug. Neugierig lugte Nami zur Seite und staunte nicht schlecht. Robin hielt eine Thermoskanne, stellte zwei Tassen ab, die die ihr der Mönch gab. „Ernsthaft?“, lachte sie nun, nachdem das anfängliche Staunen verebbt war. „Ehrlich gesagt, bin ich von Cafés, wie soll ich sagen, geschädigt. Ein Freund hatte die letzten Monate über die lästige Angewohnheit, alle auszuprobieren. Da trinke ich lieber die, die ich mag und ich dachte, bei dem Trubel der heute herrscht, ist die Klosterinsel die angenehmste Variante.“ Leicht zuckten Robins Schultern. Franky hatte diesen Tick wirklich lange ausgelebt, bis sie eine Einigung fanden. Zwar nickte Nami auf die Erklärung hin, doch vollkommen überzeugt schien sie nicht, der Blick blieb nicht ungesehen. „Ja, ich gebe zu, bei Kaffee bin ich sehr eigen.“ Eigen erschien Robin als die passendste Formulierung, zumal ihr das bereits von ihren Freunden gesagt wurde. Jeder hatte eben seine Macke, sie bildete keine Ausnahme. „Verstehe“, erwiderte Nami knapp, grinste breit.   × ×   „Calma e gesso! Ruhig Blut, Bonney!“ Panisch rannte die Frau durch die engen Gassen, verschwand neuerlich in der Menge. Sie musste nach Hause, der einzige Ort, an dem sie Sicherheit empfand. Ihre Augen hatten sie nicht getrübt, die Männer, sie waren tatsächlich dort gewesen, hatten sie unmittelbar angestarrt. So schnell ihre Beine sie trugen und der Besucherstrom es zuließ, war sie abgetaucht. Für solche Fälle zog sie mehrere Verstecke in Betracht. Ein paar Stunden abwarten und dann erst, dann ging sie nach draußen, suchte den schnellsten, günstigsten Weg in die Wohnung, die sie sich mit ihren Freunden teilte. Immer und immer wieder kam es ihr vor als würde sie beobachtet. Nicht von Zuschauern, die ihre kleine Show ansahen, nein. Sie erkannte sehr gut den feinen Unterschied, das Gefühl, wenn sie anders angesehen wurde. Bisher war sie oftmals zum Entschluss gekommen, dass das bloß Einbildung war. In den letzten Wochen allerdings, da häufte sich das Gefühl und an diesem Tag hatte sie die Gesichter gesehen. Gesichter, die sie aus der Vergangenheit sehr gut kannte, die sie nie wieder sehen erhoffte. Nun wusste sie, sie war hier, in Venedig. Konnte sie bleiben oder glaubte sie, Bonney würde untertauchen, in die nächste Stadt weiterziehen, wie sie es anfangs tat? Ruffy war immerhin der einzige Grund, warum sie die Lagunenstadt seither nie verlassen hatte. In ihm hatte sie einen Freund gefunden, einen Menschen, dem sie vertraute. Und ausgerechnet diesem Menschen musste sie eine Erklärung abgeben, hatte sie doch sein Gesicht gesehen bevor sie verschwand. Den Schwur, den sie sich einst gab, niemanden zu sehr in ihre Probleme einzubinden, den durfte sie nicht brechen. Vielleicht, wie sie ihn kannte, machte sie sich viel zu viele Sorgen. Eine einfache, stumpfsinnige Erklärung und die Sache war gegessen. Vielleicht nahm sie unterwegs eine Pizza mit, das half bekanntlich. Essen und die Probleme waren unwichtig. So tickte Ruffy, so tickte sie. Ein eigentlich beruhigender Gedanke, doch dieses Mal, da wusste sie, würde das alleine nicht ausreichend sein.     Kapitel 10: Piano! ------------------ "Moment mal!" 13. Juli 2012   Brummend stieß Nami einen tiefen Atemzug aus. Was sich Vivi, ihre beste Freundin, bloß hierbei gedacht hatte, vermochte sie nicht zu verstehen. Statt einem entspannten Abend auf dem Sofa, den sie nach all den Strapazen der letzten Tage herbei sehnte, verbrachte sie den Abend in einem großen altehrwürdigen Saal; dem Anlass entsprechend heraus geputzt, verstand sich. Umring von Menschen, die sie nicht kannte und gar nicht erst kennen lernen wollte, die stocksteif den Gepflogenheiten nachgingen. Entnervt rieb sie sich ihren Nasenrücken. Nein, die Intention hinter der Entscheidung ihrer Freundin, war ihr gänzlich unbekannt. Vivi war stur geblieben, hatte eisern geschwiegen, warum sie sich aus dem Nichts heraus nun doch für einen Besuch entschieden hatte. Obwohl sie sich so sehr auf eine Auszeit gefreut hatte, denn ihr Ziehvater hatte nie auf ihre Anwesenheit beharrt. Lag wohl an Kobra, der sofort gemeint hatte, die beiden konnten ruhig zu Hause bleiben, wenn ihnen das zu langweilig wäre. Ein Freifahrtschein. Innerlich hatte Nami begeistert in die Hände geklatscht, aber dann kam Vivi dazwischen und meinte, sie würde sehr gerne mit. Und auch sie durfte die Spendengala unter keinen Umständen verpassen. Nami waren einmal mehr die Gesichtszüge entglitten. Den ganzen Tag lang hatte sie nicht aufgehört und regelrecht gequengelt, wie ein kleines Kind, dem man einen Wunsch verwehrte. Zwar hatte Vivi den einen oder anderen Tobsuchtsanfall über sich ergehen lassen, aber am Ende hatte die Schülerin gesiegt. Um ihrer Nerven willen! Ihr Ziehvater, der die Abneigungen seiner Tochter nur allzu kannte, schien regelrecht begeistert und Nami glaubte gehört zu haben, wie er zu Kobra meinte, Vivi hatte einen positiven Einfluss auf sie. Wenn er sich dabei nicht irrte, aber Nami ließ es gut sein. Wie in der Heimat hatte sie auch in Venedig, jede noch erdenkliche Gelegenheit, die normalerweise direkt zu einem Streitgespräch führte, ausgelassen. Wenige Tage noch, dann sahen sie sich für Monate nicht und sie hatte es Bellemere versprochen, selbst wenn es ihr manchmal unsagbar schwer fiel. Leicht erschrak die junge Frau, als ihr ein Glas vor die Nase gehalten wurde, das sie aus den Gedanken holte. Ein vergnügtes Kichern folgte, sowie ein kleiner, dumpfer Ellbogenstoß in die Seite. „Sei kein Miesepeter!“, flüsterte ihr Vivi, der sie weiterhin die Schuld an dem verdorbenen Abend gab, ins Ohr. Mit einem erneuten Brummen umfasste Nami das Glas und verzog gespielt lächelnd das Gesicht. „Besser? Ernsthaft, Vivi, erzähl mir endlich den Grund, warum wir hierher kommen mussten!“, kam es einen Tick schärfer als vorgehabt. Sogleich verzog die Schülerin ihre Lippen zu einem süßlichen Lächeln. Geduld galt wahrlich nicht als eine der Stärken, die ihre beste Freundin besaß, aber daran war sie, nach all den Jahren, gewöhnt. Aufgrund ihrer Verschwiegenheit und ihrem regelrechten Drängeln verstand sie die gereizte Ader jedoch umso mehr. Dennoch hatte sie damit gerechnet, dass sie Nami ein wenig mehr interessiert zeigte und sich informierte, dem war nicht so. Nun gut, vielleicht durfte Vivi ihre Eigenschaft nicht ständig auf andere übertragen. Nur, weil sie das tat, galt das nicht für jeden. „Heute schenkst du deiner Umgebung keine Aufmerksamkeit, ich sehe schon. Dreh dich um und sage mir, ob dir der Grund ausreicht oder du lieber nach Hause gehst.“ Skeptisch nippte Nami an ihrem Champagner, musterte die andere über den Rand des Glases hinweg. Nein, ihre Aufmerksamkeit gehörte ganz und gar nicht der Schar Unbekannter. Dazu war ihre Laune zu tief im Keller. „Mach!“, forderte Vivi lachend auf und endlich hörte Nami auf sie. Bedacht, die angestaute Wut auf dem Gesicht zu tragen, drehte sich Nami langsam um, ließ ihren Blick durch die Menge wandern. Im ersten Moment wollte sie ihrer Freundin den Kopf abreißen und einen schnippischen Kommentar abgeben, aber dieser blieb ihr im Halse stecken, als sie eine bekannte Gestalt ausmachte, die die Menschenansammlung im Nichts auflösen ließ. Sie hatte nur noch Augen für die Frau, die ihr seit Monaten im Kopf herum spuckte oder besser gesagt, die sie versuchte endlich aus ihren Gedanken zu verbannen. Denn nie, nie hatte sie mit einem Wiedersehen gerechnet und nun stand sie dort, Robin Nico, mitten in einem Gespräch, zurück in ihrer Gedankenwelt. Unwillkürlich schluckte Nami und erhaschte sich selbst dabei, wie ihre Augen von oben nach unten wanderten, immer und immer wieder. Das enganliegende, schulterfreie, schwarze Kleid schaffte es ihren Körper wirklich zur Schau zu stellen. „Moment mal!“, presste sie so leise wie möglich hervor. Erneut das vergnügte Kichern ihrer Freundin. „Du hast mich ihretwegen hierher geschliffen?!“ Schwer, aber doch, löste sie sich vom Anblick der Archäologin und warf ihrer Freundin einen vorwurfsvollen Blick zu, die ihr ein missbilligendes Kopfschütteln schenkte. „Nami, diese Gala findet jährlich statt um Gelder aufzubringen, die dem Museum zu Gute kommen“, bemerkte Vivi und versuchte wahrhaft ein Lachen zu unterdrücken. „Hättest du zugehört, nachgesehen oder dir deine Umgebung betrachtet, dann hättest du das mitbekommen.“ „Ach, und du hättest mir gesagt, du möchtest her kommen damit ich sie sehe?“, hinterfragte Nami recht angesäuert und leerte danach in einem größeren Zug das Glas. „Habe ich nie behauptet“, entgegnete die andere mit den Schultern zuckend. „Du hättest jedoch eine bessere Laune an den Tag gelegt, bestimmt.“ „Ich wäre zu Hause geblieben“, sagte Nami darauf entschlossen. „Ernsthaft, das bringt mir nichts. Ich habe mich lächerlich gemacht. Oft genug musste ich an sie denken. Totaler Irrsinn.“ Vivi nickte und machte einen Schritt auf ihre Freundin zu, wobei kurz an ihr vorbei schielte und mitbekam, das die Archäologin weiterhin an derselben Stelle verharrte. Sanft drückte sie Namis Arm und lächelte. „Was wäre, wenn ich dir sage, sie hat hie und da nach dir gefragt? Süße, du machst keinen Urlaub, ab jetzt lebst du hier.“ „Vivi …“ Erwartungsvolle Augen starrten ihr entgegen. Nami schnaufte. „Suchen wir einen Kellner und drehen eine neue Runde. Momentan ist sie recht angebunden, da möchte ich nicht stören“, versuchte sie sich in einer neutralen Antwort. Mehr konnte sie derzeit nicht sagen, denn obwohl sie hier tatsächlich eine Gelegenheit witterte, durfte sie sich nicht viel zu viel darauf einbilden. Bevor ihre Freundin ansetzen konnte, hatte sie diese bereits am Handgelenk gepackt und zog sie hinter sich her. Und dieses Verschwinden blieb dabei nicht ungesehen. Tatsächlich hatte die Archäologin selbst einen Blick erhaschen können, nachdem sie sich von ihrem Gesprächspartner abgewendet hatte und bereits weitergehen wollte. Durchaus schlich sich ein amüsierendes Lächeln auf ihre Lippen. Der Abend konnte ja doch noch eine interessante Wendung nehmen. „Robin!“ Die Genannte drehte sich um und erkannte den Bürgermeister, Kobra Nefeltari, der ihr lächelnd und in Begleitung eines ihr unbekannten Mannes, entgegen marschierte. Vermutlich eben jener, von dem er zuvor, bei ihrer ersten Unterhaltung, kurz gesprochen hatte. Ein guter Freund, mit dem er Robin bekannt machen wollte und der bereits eine großzügige Spende angekündigt hatte. „Darf ich vorstellen, Vergo Catrall.“ Der Mann war ein Stück größer als sie und wirkte trotz Alter recht athletisch gebaut. Markant war wohl sein Bart, den sie auf diese Weise bisher kaum noch zu Gesicht bekommen hatte. Obwohl er ein charmantes Lächeln auf den Lippen trug und das auf seine gesamte Ausstrahlung umsetzte, beschlich Robin das Gefühl, dass das nicht ganz dem wahren Charakter entsprach. Wahrhaft ein merkwürdiges Gefühl, aber sah Robin ihre Mitmenschen sowieso aus einer vollkommen anderen Sichtweise, aber irrte sie selten. „Freut mich, Signora Nico“, begrüßte er die Archäologin und deutete einen Handkuss an. „Kobra schwärmt förmlich von Ihnen und hat mir nahe gelegt, Sie persönlich kennen zu lernen.“ Der Bürgermeister lachte und klopfte seinem Freund auf die Schulter. „Er ist ein Sammler und wenn er schon auf Besuch ist, dann musste ich ihn dir vorstellen. Immerhin kennt Vergo einige deiner Arbeiten.“ Vergo nickte bekräftigend und behielt das Lächeln bei. Neben der Arbeit brauchte er ein Hobby, einen Zeitvertreib und war er nicht mit sportlichen Aktivitäten beschäftigt, suchte und erwarb er allzu gerne alte Artefakte, Gemälde und Folianten. Und da er auch aktuelle Forschungen verfolgte, war ihm bereits die eine oder andere Publikation der vor ihm stehenden Frau unter die Augen gekommen. „Sammler ist viel gesagt, ich sehe das vielmehr als eine kleine Ablenkung und wir können nie genug über Vergangenes wissen oder es bewahren.“ „Diese Ansicht teile ich nur allzu gern“, entgegnete Robin mit einem freundlichen Lächeln. „Dann habe ich tatsächlich ihre Tochter in Vivis Begleitung erkannt“, lenkte sie auf eine andere Thematik, die ihr seit seiner Vorstellung doch auf der Zunge brannte. In dem Sinne eine Bestätigung. Deutlich erkannte sie den überraschten Ausdruck im Gesicht des Mannes. „Ihr Nachname kam mir bekannt vor, da ich Nami an Karneval kennen gelernt habe und ich da ich geglaubt habe, sie zu erkennen, kann ich wohl eine zufällige Namensgleichheit ausschließen.“ Vergo nickte verwundert. Denn davon hörte er zum ersten Mal und instinktiv hoffte er, sie hatte keinen schlechten Eindruck hinterlassen und sich nicht so aufgeführt, wie er sie aus den letzten Eskapaden kannte. „Sie hat Ihnen hoffentlich keine Probleme bereitet?“ „Vergo, nun hör doch auf.“ Robin schwieg eisern, betrachtete sie Szene, denn ihre Augen konnte erhaschen, was sich hinter den beiden abspielte und Vergo sollte in der Tat auf Kobra hören. „Tut mir leid, ich rede ungern schlecht von meiner Familie, aber meine Jüngste ist derzeit stets für unangenehme Überraschungen gut. Eine rebellische Phase, in der sie sich oftmals nicht zu benehmen weiß und gerne über das Ziel hinaus schießt.“ „Mein werter Vater, der Charmeur.“ Für einen Atemzug lang schloss Vergo die Augen. Natürlich musste das geschehen. Seit Jahren hatten sie beiden Hang dazu, sich im passenden Moment anzutreffen. Als ob die sonstigen Diskussionen, die sie bewusst begannen, nicht ausreichten. Vergo war kein gläubiger Mensch, doch in diesem Moment schickte er ein Stoßgebet hoch. Wenigstens in der Öffentlichkeit sollte sie die gelernten Manieren wahren. Nami hatte tatsächlich eine Runde gewagt und nichtsahnend hatte sie gesehen, wie Robin sich neuen, bekannten Gesprächspartnern zugewandt hatte. Für Vivi ein gefundener Vorwand. Was sie dann jedoch aufgeschnappt hatte, beförderte ihre Laune schlagartig zurück in den Keller. Die Genugtuung, er behalte Recht, wenn er sie so beschrieb, die wollte sie ihm allerdings nicht geben. Nami zwang sich förmlich und machte auf gute Miene zum bösen Spiel. Mit einem herzallerliebsten Lächeln trat sie neben Vergo, legte einen Arm um ihn und drückte ihn kurz an sich. „Hallo, Robin.“ Diese verkniff sich ein Lachen, obwohl sie gerade nicht wusste, ob sie die plötzlich angespannte Situation tatsächlich amüsant sehen durfte. Vivi hatte sie indes zu ihrem Vater gesellt und Robin konnte ihr ansehen, wie sie allem Anschein nach gerade dasselbe dachte. Lächelnd nickte sie einander zu ehe sich Robin an Nami wandte. „Wie ich sehe, hat dich die Stadt nicht los gelassen?“ „Ja, sie lebt ab nun bei uns. Da fällt mir wieder ein, ich habe mich noch gar nicht für deine Hilfe bedankt. Vivi hat in ihrer Abschlussarbeit in Geschichte geglänzt. Sie meinte, du hättest ihr geholfen“, mischte sich Kobra dazwischen. Lieber schweifte er auf ein gänzlich anderes Thema ab und hoffte so, die Atmosphäre zu lockern. „Nicht der Rede wert, Kobra“, winkte Robin ab, „wir kamen durch Zufall ins Gespräch und ich habe ihr lediglich ein, zwei Hinweise gegeben. Den Rest hat sie selbst bravourös gemeistert.“ Die Unterhaltung hatte sich ergeben als sie erneut wieder zur selben Zeit in Brunos Bar waren und sie zusammen an der Theke standen. Vivi hatte sie auffällig von der Seite gemustert und anfänglich war Robin der Verdacht aufgekommen, sie tat das wegen Nami. Denn dieses Getue hatte seitens Zorros lange nicht aufgehört. Der Blick war dennoch göttlich gewesen, als glaubte Vivi, sie würde sie beißen, sollte sie Robin ansprechen. Dann, von einer Sekunde zur nächsten, hatte sie den Mut aufgebracht und die Archäologin um Rat gefragt. „Signora, mich hat Ihre Bekanntschaft gefreut und ich hoffe, ich erhalte noch mal das Vergnügen. Würde mich gerne nochmals wegen einer Forschung unterhalten, aber ich denke, ich habe meine Frau vorerst lange genug warten lassen“, verabschiedete Vergo sich freundlich von der schwarzhaarigen Archäologin, die ihm zusagte, sie konnten jederzeit darauf zurückkommen. „Nami, komm doch ein Weilchen mit. Deine Mutter hat schon gefragt, wo du die ganze Zeit über steckst.“   Kapitel 11: Su con la vita! --------------------------- "Kopf hoch." 13. Juli 2012 „Spuk ’s aus!“, zischte Nami während sie neben den Mann her ging, der sie einst in einem vollkommen anderen Licht betrachtete. Beide hatten sie eine deutlich konträre Meinung für einander gehabt. Von Kindesbein an hatte er Autorität ausgestrahlt, aber dem gegenüber stand eine Fürsorglichkeit, die Bellemere glich. Offen zeigte er seine Liebe und strahlte vor Stolz, wenn er von ihr sprach. Wo waren die Zeiten hin, in denen sie harmonisch miteinander lebten? Wie konnte ein Satz alles verändern? Aus ihrem Vater war ein störrischer Mann geworden, der seine Ansicht nicht verändern wollte, der lieber den Streit und den Schein vorzog, als seine Tochter zu akzeptieren. Denn anders war sie erst geworden, als sie sie förmlich dazu zwang. Rebellisch, eine passende Beschreibung, aber was sollte sie sonst tun? Sich selbst verleugnen, nur um ihn glücklich zu stimmen? Das war sie nicht. Erst recht nicht, seit er ständig versuchte sie mit schrägen Männern zu verkuppeln. Vor Law gab es bereits andere, nun jedoch, da hatte Vergo ein Fressen an ihm gefunden und er hörte nicht auf. Deshalb war Nami froh über den Umzug, denn die letzten Monate hatten die Versuche nicht aufgehört. Er forderte regelrecht sie sollte dem Chirurgen endlich eine Chance geben. „Erde an Vergo, ich warte nicht ewig!“ Erneut keine Antwort, wieder marschierte er unbehelligt weiter. Wollte er gerade die Auseinandersetzungen nachholen, die sich wochenlang aufgebauscht hatten? Denn sie entfernten sich von der Menschenansammlung. Forderte er das heraus, so hatte sie keine Bedenken dabei, es gleich zu tun. Wenngleich sie anderes vorhatte, anderes ihrer Mutter versprochen hatte, aber ging er einen Schritt zu weit, dann vergaß sie wahrlich jegliche Etikette oder sämtliche Versprechen. Denn sie hatte vorhin nichts Falsches getan. „Was sollte das?“, bellte Vergo schließlich als sie in einem leerstehenden Gang angekommen waren und er sich darüber versichert hatte, niemanden in der Nähe zu haben. „Du gibst mir die Schuld? Spinnst du? Wer hat Robin erzählt, wie problematisch ich doch sei? Du kennst die Frau nicht!“ Und darin lag der springende Punkt. Hierbei war es Nami egal, ob es Robin war, jedenfalls bis zum einem gewissen Grad. Sie hasste es im Allgemeinen, wenn er Leuten, die er gar nicht kannte, sofort darüber in Kenntnis setzen musste, wie unerzogen seine Tochter war. Herrgott wie kamen sie überhaupt auf sie? „Guten Abend, ich bin Vergo und meine Tochter ist eine Enttäuschung“, äffte sie ihren Ziehvater nach. „Wie bist du auf den Schwachsinn gekommen? Stellst du dich immer so vor?“ „Halt den Rand, Fräulein! Ich hab dir dutzende Male gesagt, du hast nicht in diesem Ton mit mir zu reden!“, fuhr er sie scharf an. Das Mädchen raubte ihm all seine Nerven. Und wieder fragte er sich, was er bei ihr falsch gemacht hatte. „Was erwartest du? Bei deinen Eskapaden zwingst du mich regelrecht so zu denken!“ „Bei meinen? Und was machst du? Ich habe mir die letzten Monate den Arsch aufgerissen, Bellemere zuliebe! Zur Erinnerung, wir beide haben uns darauf geeinigt, uns ihretwegen im Zaum zu halten. Was soll das jetzt? Möchtest du ernsthaft im Streit auseinander gehen, auf der Zielgerade?“ × × „Liege ich richtig, wenn ich sage die beiden haben ein angespanntes Verhältnis zueinander?“ Robin hatte sich, nachdem Kobra von Mitgliedern seiner Partei in eine Unterhaltung geschoben wurde, Vivi zur Seite genommen. Sie kannte Nami flüchtig und das ging sie bei weitem nichts an, aber da sie Zeuge von diesem merkwürdigen Zusammenprall geworden war, hakte sie dennoch nach. Vivi nippte an ihrem Champagner, den sie sich gerade liebend gerne in einem Zug zuführen wollte. Was konnte sie darauf bloß großartig sagen? „Spricht für sich, findest du nicht?“, murmelte sie in ihr Glas und trank einen kräftigeren Schluck. „Tu mir den Gefallen und glaub ihm nicht. Sie pushen sich gegenseitig.“ „Nun, ich kann dich beruhigen. Ich bilde mir gerne meine eigenen Meinung“, versicherte Robin und lächelte aufmunternd. Zwar kannte sie die Umstände nicht, aber seine Aussage passte irgendwie nicht in ihr bisheriges Bild, das sie sich machen durfte. „Unstimmigkeiten kommen bekanntlich in den besten Familien vor.“ Kopfschüttelnd gluckste Vivi. Eine recht passende Formulierung. Dennoch, den Grund, womit alle Auseinandersetzungen anfingen, den wollte sie bis heute nicht begreifen. Genau so wenig, wie man vor anderen eine solche Aussage schieben konnte. Was in Namis Vater gefahren war, wüsste Vivi gerne. „Der Abstand wird ihnen hoffentlich gut tun und bringt ihre Beziehung wieder in eine neutrale Zone.“ „Passend für Schweizer“, belächelte Robin den Kommentar, woraufhin Vivi die Augen verdrehte. Da hatte sie sich wohl korrekt ausgedrückt. Ein besorgter Ausdruck breitete sich auf dem Gesicht des Teenagers aus und ihre Augen suchten den Raum nach ihrer Freundin ab. Denn die Tatsache, dass Nami mitgehen musste, bereitete ihr ein mulmiges Gefühl. „Du denkst, sie streiten gerade“, stellte die Archäologin nüchtern fest, die die Veränderung deutlich wahrnahm. „Hundert Punkte“, nuschelte sie und seufzte hörbar. Wieder sah sie zu ihrer Gesprächspartnerin und erkannte in deren Augen das Aufblitzen von Neugierde. Etwas das recht schnell verschwand und Betroffenheit Platz machte. „War mein Fehler ihn auf Nami anzusprechen“, erklärte sich Robin und drehte den Kopf den übrigen Gästen zu. „Ich habe euch gesehen und als er sich vorstellte, habe ich nachgefragt. Wer rechnet mit solchen Kommentaren? Andere Eltern fragen, woher man ihre Kinder kennt. Dein Vater schwärmt bei jeder sich ergebenden Gelegenheit von dir. Seine Reaktion jedoch, die erlebe ich zum ersten Mal.“ „Wie ich herausgefunden haben“, begann Vivi nach kurzer Pause vorsichtig, „keppeln die beiden seit Jahren. War schon schlimmer. Nami hat gesagt, sie haben versucht ihrer Mutter wegen, sich zurückzuhalten.“ „Warum? Weil er eine Autorität darstellen möchte und sie tatsächlich rebellisch veranlagt ist?“ „Ihr Outing hat den Stein ins Rollen gebracht. Bis dahin hatten sie einen hervorragenden Draht zueinander. Er toleriert das nicht und seit Monaten versucht er sie krampfhaft mit einem Chirurgen zu verkuppeln, den sie nicht ausstehen kann. Zwingt ihn ihr förmlich auf. Jetzt, durch ihren Umzug, wird dieser Part hoffentlich wegfallen.“ × × Ausdruckslos steuerte Nami den Barbereich an. Sie brauchte Hochprozentiges, mit dem sie den scheußlichen Geschmack des Gespräches hinunter spülen konnte. Nachdem sie beide fertig waren, kehrten sie – störrisch den jeweiligen anderen ignorierend – gemeinsam in den Saal zurück, ehe sie wie auf Kommando die entgegengesetzte Richtung einschlugen. Dachte er mit, erzählte er Bellemere kein Sterbenswörtchen. Damit würde er auch ihren Abend ruinieren und das hatte ihre Mutter nicht verdient. Der Barkeeper reichte ihr den Drink und Nami bemühte sich tatsächlich sein freundliches Lächeln zu erwidern. Jeder musste ihre Laune nicht mitbekommen, obwohl sie mit großer Wahrscheinlichkeit einmal mehr ihr Innerstes nach außen trug. Fest stand, der Abend war für sie gelaufen und nach einem weiteren Glas, würde sie wohl aufbrechen. Nicht nach Hause. Freitagabend, sie könnte die Bar aufsuchen. Bisher hatte sie noch keine große Gelegenheit gefunden, sich mit Zorro zu treffen und er war ein ausgezeichneter Barkeeper. Er fand bestimmt die passende Mischung. „Vivi sucht dich.“ Bitte nicht jetzt, dachte sich Nami und starrte stur auf das halbleere Glas. Statt zu gehen, trat Robin neben sie, bestellte dasselbe, das Nami gerade trank, zwei Mal. Erst da hob sie vorsichtig den Kopf und sah zu ihr, erkannte den verschmitzten Ausdruck. „Der hält nicht lange.“ „Hörte sich eher an, als sollte ich sofort aufbrechen.“ Lange hielt sie dem Anblick nicht stand und in der Tat, kurz darauf stellte sie das leere Glas ab. Unbewusst erinnerte sich Nami an das erste Mal zurück, wo sie so nebeneinander standen. Damals hatte ihr der Abend Langeweile beschert, wie gern sie dasselbe empfinden würde. „Und wieder sehe ich dir an, wie gerne du von hier verschwinden würdest.“ Die Bemerkung hinsichtlich Vivi ließ sie so stehen. Die Minute mehr machte nun keinen Unterschied. „Hier ist untertrieben. Du kennst nicht zufällig einen Rückzugsort? Nicht direkt für heute, da habe ich schon einen Plan zurechtgelegt, aber ich meine für andere Tage. Eine ruhige Lage, ohne den Trubel.“ So schnell wie möglich würde sie dieser Veranstaltung den Rücken kehren und sich aufmachen, doch Nami fiel bei dieser Gelegenheit ein, das sie so etwas brauchte. Ein Hintertürchen, das ihr beim Abschalten half. Dank dem Zwischenfall war ihr bewusst geworden, dass ihr das bisher fehlte und sie in den nächsten Tagen ernsthaft auf die Suche gehen musste. Alleine in ihrem Zimmer, das war noch nie eine Option gewesen, die ihr ausreichte, sie brauchte mehr. „San Lazzaro degli Armeni“, antwortete Robin nach minimaler Bedenkzeit, „ein Eiland, beherbergt gerade ein Kloster. Du kannst dort an einer Führung teilnehmen. Ich sag’s dir die Rosenmarmelade, die du dort kaufen kannst, schmeckt köstlich.“ „Klingt nach Touristen“, unterbrach Nami sofort und wirkte unbeeindruckt, doch schüttelte Robin den Kopf. „Dann unterbrich mich nicht, Liebes. Nach der Führung schließt das Kloster. Sofort eilen sie alles ins nächste Vaporetto und vergessen dabei, wie schön es dort ist. Manchmal hast du den gesamten Außenbereich für dich alleine. Du kannst dort eine gute Weile ungestört sein. Überzeugt?“ Nami zog die Augenbrauen zusammen, aber dachte ernsthaft darüber nach und nun, dank der Ergänzung, hörte sich diese Insel genau danach an, wonach sie gesucht hatte. Sie nickte. „Überzeugt“, antwortete sie und hob das Glas zum Anstoßen. „Tut mir leid, er kann ein komischer Kauz sein.“ „Kopf hoch, habe Schlimmeres erlebt, aber ich muss gestehen, ich habe mich kurzweilig amüsiert. Er sagte mir, du schießt gerne über das Ziel hinaus und er hat genau dasselbe getan.“ Nami lachte leise in sich hinein. Da ähnelten sie sich wohl doch ein klein wenig, aber das machte alles nicht besser. Auch das zweite Glas war mittlerweile ausgetrunken. „Hol Vivi und mach dir noch einen schönen Abend. Dabei muss ich dir wohl keinen Tipp geben“, meinte die Archäologin aufmunternd und legte, wodurch Nami überrascht zur ihr sah, eine Visitenkarten neben das Glas. „Meine Privatnummer steht auf der Rückseite. Immerhin schulde ich dir mit heute einen Kaffee.“ „Ja, den schuldest du mir.“ Ein Lächeln schlich sich auf ihre Lippen und Nami musste eingestehen, dass sich ihre Laune ein bisschen besserte. Nicht nur erinnerte sich Robin an ihre Bemerkung, die sie aus einem Impuls heraus ausgesprochen hatte, nein, sie nahm diese auch ernst. Ein Umstand mit dem Nami nicht gerechnet hatte, nicht nach dieser Aktion, nicht nach der langen Zeit. „Du darfst dich heute nicht rarmachen?“ × × „Sie hat dein Interesse geweckt“, stellte Vivi durchaus verwundert fest. Gedacht hatte sie es sich, bereits im Februar, aber lagen Monate dazwischen und nun, wo sie beieinander standen, verstärkte sich das Gefühl. Vivi erkannte keine einfach Neugierde, die so ein Vorkommnis nach sich zog, denn Robins Blick streifte immer wieder durch die Menge, als hielt sie Ausschau. „Sie ist mir sympathisch“, erwiderte Robin in neutralem Tonfall. „Du und Zorro, ihr interpretiert viel zu viel in mein Handeln.“ Manchmal wurde sie wirklich anders eingeschätzt, als sie eigentlich war. Hinter ihrem Desinteresse lagen nun mal Gründe. Mansch ein schwerwiegender, aber allzu oft ergab es sich im Laufe des Gespräches oder der einfachen Ausstrahlung der jeweiligen Person. Ausgerechnet bei ihr hieß es aus dem Nichts heraus mehr? Weil sie dabei ertappt wurde, wie sie jemand nicht sofort langweilte? „Ihr kennt mich eindeutig nicht.“ „Habe ich nie behauptet. Dennoch, meiner Meinung nach sieht es danach aus.“ Unschuldig zuckten Vivis Schultern. Vielleicht lag sie falsch, alles war möglich, aber dann würde sich Robin wohl anders geben. So wie sie es aus der Erfahrung und dem Gerede her kannte. Sogar Zorro überraschte diese Art und das hieß sehr viel, denn solches Getue ließ den Handwerker normalerweise kalt. „Auf jeden Fall bin ich nicht länger verwundert darüber, warum du die Männer nach der Reihe abblitzen lässt.“ Robin verzog keine Miene. Das Getuschel der Leute hatte sie nie interessiert. Ihr Leben hatte genügend Probleme, da musste sie sich nicht den Kopf um diese Kleinigkeit zerbrechen. Sollten sie reden. Der Großteil der Menschen, denen sie tagtäglich begegnete, hatte genügend Leichen im Keller versteckt. „Vivi, ich achte auf meine Privatsphäre. Ich gehöre eben nicht zu jenen, die ihr Leben offen in die Welt posaunen. Genauso wenig vergeude ich meine Zeit für unnötige Gespräche oder Flirtversuche.“ „Ich brauche keine Rechtfertigung, bei der Klatschpresse lasse ich auch nichts liegen. Wie gesagt, deine Art Nami gegenüber überrascht mich einfach.“ „Und ich lege dir nochmals ans Herz, wie wenig du mich kennst. Nun gut, ich sollte weiter. Muss heute noch der einen oder anderen Verpflichtung nachkommen. Solltest du Nami vor mir finden“, brach Robin kurz ab und räusperte sich, „lass mich bitte wissen, ob es ihr gut geht. Mir selbst war die Situation ein wenig unangenehm.“ Kapitel 12: Franchezza e riservatezza. -------------------------------------- Offenheit vs. Verschlossenheit 18. Juli 2012 „Habt ihr den Groll begraben?“ Robin umfasste die Tasse mit beiden Händen. Mit den Ellbogen abgestützt, saß sie leicht vor gebeugt da und betrachtete das, von den Sonnenstrahlen glitzernde Wasser. Die Frage lag ihr seit jenem Abend auf der Zunge, aber seither hatten sie nicht miteinander gesprochen. Überhaupt hatte ihr Nami gestern erst geschrieben, ob sie nicht Zeit und Lust hätte, mit hierher zu kommen und da sich die Archäologin die Arbeit einteilen konnte, hatte sie nicht lange überlegen müssen. Auf das Eiland kam sie immerhin regelmäßig und eine kurze Pause vom Trubel, den ließ sie sich nie nehmen. Robin merkte, wie sich die andere tiefer zurück lehnte und ein leises Schnauben von sich gab. „Wir haben getan, was wir häufig tun“, begann Nami kleinlaut, „stur ignorieren wir den Vorfall. Er hat angefangen, ich habe die Draufgabe gebracht und wir haben uns im Abseits gestritten. Fertig. Machen wir seit Monaten.“ „Auf Dauer sehe ich darin keine Lösung.“ Nami lachte. Eine Lösung fanden sie wohl nie. Sie hatten sich arrangiert, für mehr schien es zu spät. „Robin, glaub mir, wir machen Fortschritte.“ „Wir darf ich das verstehen?“, hinterfragte die Archäologin und drehte den Kopf skeptisch zur Seite, erkannte das verschmitztes Grinsen der anderen. „Vergo und ich, wir streiten uns seit Jahren. Manchmal überspannt er den Bogen, dann wieder ich. Wir pushen uns gegenseitig, aber ich muss anmerken, ich habe nicht den reißfestesten Geduldsfaden. Es gab Zeiten, da stritten wir täglich. Dann habe ich gesagt, ich möchte für eine Weile hierher ziehen und da haben wir ein stillschweigendes Abkommen getroffen. Für Bellemere, also meine Mutter, nehmen wir uns zurück. Bis auf Ausnahmen funktioniert’s.“ „Wie gesagt, ich sehe darin keine Lösung. Hattet ihr schon immer so ein zerrissenes Verhältnis?“ Vivi hatte ihr zwar ein bisschen erzählt, aber sagte sie ihr lieber nichts davon. Wenn schon, dann wollte sie es von Nami selbst hören. „Nein. Wir werden nie auf einen Nenner finden. Nicht solange er bei seiner Einstellung bleibt oder ich an Männer kein Interesse hege. Eine lesbische Tochter existiert in seiner Weltanschauung nicht.“ Nami trank einen Schluck ehe sie den Kopf in den Nacken gab. „Und manchmal ist meine Schwester keinen Deut besser. Jedenfalls bei einem gewissen Arsch, aber der ist glatt ein eigenes Thema.“ „Deshalb rebellierst du“, stellte Robin fest und grinste leicht. „Sagt Vergo.“ „Komm. Er fragt mich nicht grundlos, ob du mir Probleme bereitet hast.“ „Ich habe dir damals gesagt, ich mag keine steifen Veranstaltungen. Generell ist mir alles zu dick aufgetragen. Die halben Leute sind nicht besser und durch die Streitereien, ist meine Laune dementsprechend. Ich verliere schnell die Lust mich anständig zu verhalten, wenn ich mir Stunden zuvor anhören muss, ich solle ja das artige Mädchen mimen. Und der Arsch, Law, macht meine Situation nicht besser. Er hat einen Narren an mir gefressen und für Vergo ist er der perfekte Schwiegersohn. Lädt ihn zu allem ein.“ Tief atmete Nami durch und wieder war sie froh darüber, sich für Venedig entschieden zu haben. Hier erhielt sie den nötigen Abstand. „Wenn er wenigstens ein Idiot wäre. Leider ist er ein schlaues Kerlchen. Ein kleines Genie. Ist mit seinen jungen Jahren schon ein ziemlich guter Chirurg und er weiß, wie er seine Mitmenschen um den Finger wickelt. Ein Vorzeigesohn. Recht schwer so jemanden los zu werden.“ Robin nickte dann und wann, der Name kam ihr schleierhaft bekannt vor, aber musste das nichts heißen. Ein Vorname, den viele haben konnten. Sie stellte die leere Tasse ab und lehnte sich nun selbst zurück. „So wie du ihn schilderst, versteht er sehr gut, wie er an sein Ziel kommt. Schätze sein Aussehen geht mit seiner Masche konform?“ „Gebe ich ungern zu, aber er sieht nicht schlecht aus. Er weiß zu überzeugen und deshalb werde ich ihn nicht los. Alle fallen auf seinen Charme rein, kennst du ihn allerdings näher, dann siehst du seinen wahren Kern.“ „Und was ist, wenn er sich tatsächlich in dich verliebt hat?“ Kaum hatte Robin ihre Frage ausgesprochen, begann Nami erneut zu lachen und die Archäologin hob skeptisch eine Augenbraue. „So unwahrscheinlich?“ „Du kennst Law nicht. Er verliebt sich nicht, er erobert. Ein Player wie er im Buche steht. Bis du ihn ran lässt, ist er der Charmeur schlecht hin, ab da lässt er jede fallen.“ „Nett“, betitelte Robin das Gesagte. Jedem das seine. Zwar galt sie selbst nicht als eine Frau, die nach mehr suchte, aber sie machte ihren Standpunkt deutlich und hatte noch nie einer anderen falsche Hoffnungen gemacht. „Sagt die, die selbst keine Beziehungen führt“, neckte Nami, obwohl sie dieser Punkt nicht gerade erfreute. Sie sollte auch lieber gar nicht erst anfangen, sich darüber wirkliche Gedanken zu machen. Darüber war sich Nami im Klaren. Denn bisher kannte sie die andere nicht, nicht wirklich. Sich angezogen fühlen war eine Sache, mehr eine vollkommen andere. Dennoch stieß ihr der Gedanke säuerlich auf. Sie musste eindeutig aufhören, sich in einer Schwärmerei zu verlieren. Robin schenkte ihr einen kritischen Blick, den sie scheinheilig erwiderte. „Nami, ich habe noch nie mit einer Frau gespielt“, erwiderte sie bestimmt und für wenige Sekunden nahmen ihre Gesichtszüge einen gemessenen Ausdruck an, ehe sie sich sprunghaft erhellten, „Männer sind ein anderer Fall.“ Ein Grinsen breitete sich auf ihren Lippen aus. Mit denen spielte sie in der Tat gerne. „Okay, dann haben wir den Wechsel ja hinbekommen. Erzähl mir von dir.“ An einem schönen Tag wie diesem, wollte sie nicht große Worte dahingehend verschwenden um über ihre zerrissene Vater-Tochter-Beziehung oder gar Law zu plaudern. Lieber packte sie die Gelegenheit beim Schopf und nutze sie zur Informationsbeschaffung. Robin blieb weitgehend ein äußerst unbeschriebenes Blatt, das sollte sich ändern, sofern die andere sich bereit erklärte. Robin gluckste und überlegte, was sie großartig über sich berichten sollte. Ein Blick in die Augen der anderen reichte und sie erkannte die lodernde Neugierde. Sie räusperte sich. „Ich arbeite und reise viel. Mein Haus hat ein Zimmer, das mehr einer Bibliothek gleicht. Kein Haustier, hätte gerne eines. Ich bin eine Frühaufsteherin, Sport inklusive. Oh, und ich werde gerne zur Mörderin“, erklärte sie trocken. Sie stützte den Kopf an ihrer Hand ab, der Ellenbogen ruhte auf der Banklehne. „Möchtest du tatsächlich diese langweiligen Standardfloskeln hören oder hättest du eine genauere Frage parat?“ Smalltalk mochte Robin nicht so gerne, genauso wenig die übliche Fragerei. Dabei fühlte sie sich stets als füllte sie einen unliebsamen Fragebogen aus. Vermutlich ließ sie so manche oder manchen, je nach dem wer sie gerade mit ihr in ein Gespräch zu stürzen erhoffte, eben deshalb recht schnell abblitzen. Besonders abstoßend empfand sie nach ihrem Lieblings-Was-auch-immer gefragt zu werden. Viel zu oft hatte sie dabei schon entnervt – innerlich verstand sich – aufgestöhnt. „Gehört das nicht zum Kennenlernen dazu?“ „Manches kommt von alleine. Anderes ändert sich. Wer hat immer dasselbe Lieblingsessen oder überhaupt eines?“ „Orangen.“ „Was?“ „Orangen“, wiederholte Nami gelassen, „die Frucht alleine oder in Kombination mit Gerichten aller Art. Schon als Kind habe ich sie geliebt. Da hast du ein schlechtes Beispiel gewählt.“ „Stell eine Frage“, meinte Robin nüchtern und schüttelte sacht den Kopf. Vielleicht war sie eine Ausnahme, aber damit mussten anderen wohl leben. „Wo bist du aufgewachsen?“, fragte Nami nach kurzer Bedenkzeit. „Russland.“ „Ein bisschen genauer?“ Robin seufzte leise. Nein, solche Gespräche lagen ihr nicht, nicht wenn sie erzählen musste. „St. Petersburg. Dort bin ich geboren und aufgewachsen. Später, ich war fünfzehn, zog ich zum Studieren nach Moskau.“ An die damalige Zeit dachte Robin stets mit gemischten Gefühlen. Nach heutiger Sicht jedoch, da wünschte sie sich oft jene Zeit zurück, wo ihre Hauptsorge ihrer Verwandtschaft galt. Unbesorgt hatte sie leben können. Lernen stand im Vordergrund und hatte ihr geholfen, das ungeliebte Umfeld zu verlassen, aber ab da hatte der Wahnsinn ihr Leben regiert. Es hatte sich gut angehört, irgendwie. Leider konnte sie nicht in die Vergangenheit reisen, um ihrem jüngeren Ich zu sagen, sie sollte das Angebot ablehnen und weitermachen, wie bisher. Auch so hätte sie sich durchgeschlagen und in der Arbeit Fuß gefasst. „Also bist du eine Art Genie.“ Nami stieß einen Pfiff aus. Von Law war sie schon etwas gewohnt, aber da war ihm Robin noch einmal ein kleines Stück voraus. Als sie Robins Züge musterte, erkannte sie zwar ein Zucken ihrer Schultern, aber ihre Miene blieb unbeeindruckt. Allem Anschein nach sah die andere nichts Besonderes darin. „Dann lebt deine Familie noch dort?“, fragte sie tiefer gehend. Sie musste hier wahrlich näher fragen, das durchschaute Nami recht schnell. „Jein. Du musst wissen, meinen Vater habe ich nie kennen gelernt und meine Mutter ist gestorben, als ich acht Jahre alt war. Deshalb musste ich sieben Jahre bei meinem Onkel und dessen Familie leben. Keine Ahnung, wie es ihnen ergeht. Nachdem ich St. Petersburg verlassen habe, habe ich den Kontakt abgebrochen. Weder heute noch damals sehe ich sie als Familie, wir sind einzig durch Gene verbunden.“ Nun, da Robin über sie nachdachte, musste sie feststellen, sie hatte tatsächlich keinen Schimmer, wie es ihnen erging. Nie hatte sie einen Blick zurück geworfen und Informationen eingeholt. Diese Menschen bedeuteten ihr im Grund nichts. Warum auch? In keiner Weise hatten sie ihr das Gefühl gegeben aufgehoben zu sein. Vielmehr musste sie sich hämische Kommentare anhören. „Im Gegensatz zu deinem früheren Verhältnis zu Vergo, haben wir uns nie verstanden, schon vor Mutters Tod. Ich wurde der ungewollte Eindringling in ihrer idyllischen Welt. Meine Tante war ein Scheusal, mein Onkel ohne Rückgrat und meine Cousine … dumm wie Stroh“, erweiterte sie rasch ihre Erzählung, denn sie hatte Nami angesehen, wie ihr ein Kommentar auf der Zunge lag. Immerhin war es Robin gewesen, die ihr vor wenigen Minuten noch gesagt hatte, ignorieren war keine angemessene Lösung für Probleme dieser Art. „Moskau kam dann als erlösende Alternative.“ „Korrekt“, bestätigte Robin bitter lächelnd. Niemand mehr, der sie als Last ansah oder ihren Wissensdurst ins Lächerliche zog. Zum ersten Mal, nach dem Tod ihrer Mutter, hatte sich Robin annähernd frei gefühlt. Bis zu ihrer naiven Entscheidung. Und als ob das nicht ausreichte, wurde ihr bewusst, wie weit sie ausgeholt hatte. „Wie ist St. Petersburg?“, murmelte Nami von den Erinnerungen ablenkend, denn sie sah, wie sich etwas im Augenpaar der anderen veränderte. „Einen Besuch wert.“ × × Ausgelaugt sank Bonney gegen die Hausmauer. Das Laufen gepaart mit der stechenden Sonneneinstrahlung hatten ihr zugesetzt. Schweiß bedeckte ihre Haut und das Shirt klebte an ihrem Körper. Umso mehr freute sie sich auf eine kalte, hoffentlich beruhigende Dusche. Stand das Glück auf ihrer Seite, vergaß Ruffy den Vorfall und war, wie ausgemacht, mit Vivi und Lysop unterwegs. Sollte anderes der Fall sein, hatte sie sich eine Erklärung zusammen geschustert. Allzu gut war diese nicht, aber sie setzte auf die naive Ader ihres besten Freundes. Nach ein paar Minuten der Rast und des Durchatmens hatte sie sich in die Wohnung aufgemacht. Wie vorgehabt, hatte sie einen Abstecher in die kleine Pizzeria um die Ecke gemacht, wo sie diese nur noch abholen musste. Ein Anruf genügte und egal, in welcher Verfassung sie dort auftauchte, niemand stellte Fragen, sie gehörte der Stammkundschaft an. „Wo warst du?!“, hörte sie den Straßenkünstler aufgeregt fragen, kaum als sie einen Fuß in ihr Heim steckte. Ein leises Murren war hörbar. Die Tür erhielt einen sachten Tritt und fiel hörbar zu. Schweigend schlüpfte sie aus den Schuhen, erst danach hob sie den Kopf und zu ihrer Überraschung war Ruffy nicht alleine. Bonney hielt ihm zwei Pizzen vor die Nase und grinste leicht während sie Vivi und Lysop gekonnt ignorierte. „Hunger?“ Und es trat ein, was sie sich erhoffte. Ruffys Züge erhellten sich und vorfreudig betrachtete er die Kartons, roch auffällig. „Immer“, säuselte er und streckte bereits die Hand nach der obersten Pizzaschachtel aus, die plötzlich erstarrte. „Moment! Du bist mir weiterhin eine Erklärung schuldig! Uns! Warum bist du verschwunden?“ Vorwurfsvoll sah er seiner Freundin entgegen, die ihm kurzerhand beide Pizzen in die Hände drückte. „Ich habe eine Verabredung vergessen und die Menge hat uns getrennt.“ „Du hättest uns anrufen oder schreiben können“, mischte sich nun Vivi ein, deren Blick voller Sorge war. Bonney mochte den nicht. Das tat die andere ständig. Sich sorgen, wegen jeder noch so kleinen Sache. Gegen Vivi hegte sie keine Abneigung, aber sie hasste diese spezielle Eigenschaft des Bürgermeister-Töchterchens. Als ob sie jemanden auf diese Weise weiterhalf. Was konnte sie schon verstehen? Vivi kam aus anderen Verhältnissen, war gut behütet aufgewachsen. Hatte Bonney einen schlechte Laune, nachdem sie neuerlich das Gefühl bekam, jemand war ihr auf der Lauer, hatte die andere schon öfter versucht mit ihr zu reden, besser gesagt, sie redete ihr gut zu und verstand nie, dass sie das nicht wollte. „Leerer Akku, das Problem ist dir sicher bekannt“, log Bonney unbeeindruckt. „Ich geh dann mal duschen“, fügte sie noch hinzu und entledigte sich im Gehen des durchschwitzen Shirts. Sie ließ ihnen gar keine Chance auf Widerworte, verschwand schnurstracks im Bad und verschloss die Türe, gegen die sie zu Boden sackte. Noch nie hatte sie über ihre Vergangenheit gesprochen. Hatte sie nicht vorgehabt und neben der Prinzessin und dem Lügenbaron verging ihr erst recht die Lust. Dennoch musste sie sich einen Plan zurechtlegen, denn in letzter Zeit häuften sich die Vorfälle. Entweder wurde sie verrückt oder sie hatten sie gefunden. So oder so, im schlimmsten Falle hieß es die Zelte abbrechen. Ihr Inneres rebelliert gegen den Gedanken. Sie mochte die Stadt, das aufgebaute Leben und ihre liebgewonnen Chaoten. „Bonney!“ Zum wiederholten Male klopfte Vivi an die Tür. Prompt öffnete sich diese und Bonney kam aus dem Badezimmer. Gereizt stand sie vor der Schülerin, hatte ein Handtuch um den Körper geschlungen und schwere Tropfen perlten vom nassen Haar ab. „Was?!“, knurrte sie angriffslustig. „Kannst du mich nicht in Ruhe lassen?“ „Was ist vorgefallen? Ruffy macht sich Sorgen, ich auch.“ Instinktiv verdrehte Bonney die Augen. Manche konnten es eben nicht lassen und begriffen nie, wo die Grenzen lagen. Da ihr Vivi den Weg versperrte, schob sie sich an ihr vorbei. Sie wollte nur noch in ihr Zimmer, aber wieder ließ es Vivi nicht dabei, griff nach ihrem Handgelenk, wovon sich Bonney grob befreite. „Hast du ein Helfersyndrom oder ignorierst du meine Worte einfach?“, wurde Bonney indes lauter, woraufhin Ruffy den Kopf aus dem Wohnbereich streckte. „Warum bist du so stur?“, entgegnete die Schülerin nun in derselben Lautstärke. Glaubte die andere tatsächlich, sie konnte verschwinden und ohne Fragen wieder auftauchen? „Du lügst uns an und erwartest … was erwartest du? Sollen wir ständig deine Ausflüchte schlucken?“ „Hör auf, dich in meine Angelegenheit einzumischen, Prinzesschen! Was erwartest du dir? Pluspunkte bei unserer Weichbirne?“ „Prinzesschen? Du nennst mich Prinzessin? Na komm, sei meine Hofnärrin!“ „Kommt wieder runter!“, schrie Ruffy und stellte sich zwischen die beiden, die sich mit jedem Wort gefährlich näher gekommen waren. Unterdessen stieß Lysop, der alleine im Wohnbereich saß, einen tiefen, frustrierten Atemzug aus. Seinen freien Nachmittag, den hatte sich der Teenager definitiv anders, ruhiger und amüsanter vorgestellt. Schließlich hatte er in den Ferien selten einen, da das Familiengeschäft wichtig war. Versteift stand er auf, schlich auf Zehenspitzen Richtung Gang, wo er vorsichtig um die Ecke lugte. Die Streithähne registrierten ihn nicht, waren vollkommen aufeinander fixiert. Lysop wollte sich nicht einmischen und so machte er, was er als die beste Lösung ansah: Er machte sich unbemerkt rar. 7. März 2002 „Bonney … sie ist … verschwunden“, stammelte junger Mann. Sein Herz setzte einen Schlag aus und der Angstschweiß rann ihm kalt über den Rücken hinab. Die Mitteilung der Hiobsbotschaft hatte ihm seine Kurzschlussreaktion eingebracht. Während sein Instinkt ihm zum Stein geraten hatte, wählte er kurzerhand Papier. Seine Kontrahenten lachten erleichtert. Natürlich mussten alle für die Unachtsamkeit geradestehen, aber derjenige, der die Nachricht überbrachte, der galt unter ihnen als eine arme Sau. In jeglicher Hinsicht, denn der erhielt meist die volle Breitseite. „Sakazuki … wir spüren sie natürlich auf … sie kann nicht weit gekommen sein.“ Sein Arbeitgeber wandte sich vom Fenster ab und dem Mann gefror das Blut in den Adern. „Ein vierzehnjähriges Mädchen schleicht sich davon. Einfach so? Wieder?“ Bonney rannte durch die Dunkelheit, so schnell ihre Beine sie trugen. Diese Flucht sollte die letzte werden. Dieses Mal durfte sie keinen Fehler machen, sich nicht erneut aufspüren lassen. Denn nach den Fehlversuchen hatte sie einen neuen, besseren Plan geschmiedet. Wenn der nicht klappte, was dann? Er würde noch mehr unternehmen. Er ließ sie nie gehen. Egal, wie sehr sie gegen in ankämpfte. Ihre Lungenflügel brannten, Schrammen vom Dickicht zierten ihren Körper. Aber musste sie durchhalten, sie durfte nicht stehen bleiben, nicht aufgeben. Jede Sekunde zählte, denn sie konnte sich sicher sein, sehr viel Vorsprung, wie sie sich wünschte, erhielt sie nicht. Die Jagd begann auf ein Neues und dieses Mal würden ihre Jäger ohne Beute zurückkehren. Kapitel 13: Pausa. ------------------ Auszeit 28. Juli 2012 „Eineinhalb Wochen ist Strafe genug. Redet wieder miteinander“, griente Nami und gab der Straßenkünstlerin einen sachte Stoß in die Seite. Seit Tagen lag ihr Vivi deswegen in den Ohren. Schnaubend rümpfte Bonney die Nase. „Ihre Macken müsstest du mittlerweile kennen und sie dürfte eine Lehre daraus gezogen haben.“ Niemand kannte dieses Helfersyndrom besser als Nami. Oft genug hatten sie sich, erst recht während der gemeinsamen Schulzeit, deswegen gezankt. Selten wusste Vivi, wann sie aufhören sollte. Darin bildete Bonney gewiss keine Ausnahme. Zwar hatte Nami gehört, warum der Zwist entstanden war und sie hatte Vivi nahe gelegt aufzuhören die andere zum Reden zu zwingen, aber sie mischte sich nicht ein. Nicht in die eigentliche Problematik. Entweder erzählte Bonney davon oder sie ließ es. „Bitte?“ Denn dadurch würde es aufhören und Vivi würde nicht täglich wieder von vorne anfangen. Die abweisende Art der Straßenkünstlerin machte in diesem Sinne, ungewollt verstand sich, auch ihr Leben schwer. Bonney sah sie aus dem Augenwinkel heraus an, wartete kurz ab und nickte schlussendlich. Vielleicht hatte sie es gegen Ende hin ein wenig übertrieben, aber das Gespräch hatte sie auf die Palme gebracht. Und nachdem Ruffy dazwischen gegangen war, ging der Trubel noch länger weiter. Irgendwann hatte sie sich los gerissen und ihr Zimmer eingesperrt. Selbst als Vivi aus der Wohnung war, war sie dort geblieben und ignorierte seither sämtliche Fragen, die den Vorfall betrafen. „Von mir aus. Unsere Prinzessin braucht schließlich ihren sorgenfreien Schlaf.“ Bonney stand neben der Spur. Die Tage zogen sich ungewöhnlich und ständig suchte sie ihre Umgebung ab. Zehn Jahre später fühlte sie dasselbe wie in jener Nacht, in der sie ihren Rucksack packte und mit dem Nötigsten aus ihrem Käfig entfloh. „Du betitelst sie wohl gerne als Prinzessin.“ „Weil sie eine sein kann.“ Ob gewollt oder ungewollt, aber Vivi zeigte sie immer wieder von dieser Seite, was wohl an ihrem sonstigen Umfeld lag. „Siehst du in mir etwa auch eine?“, hinterfragte Nami den Kommentar mit gerunzelter Stirn. „Habe ich nie gesagt. Du kannst die Attitüde bestimmt nach Lust und Laune raushängen lassen, aber bei ihr ist sie fest verankert. Deshalb fasziniert sie die Strohbirne.“ „Gut getroffen“, seufzte Nami, „und solltest du reden wollen, du weißt, wie du mich erreichst. Oder den Rest.“ Sanft drückte sie die Schulter der anderen und machte sich zu Zorro auf, der herzhaft gähnte. Er sah wirklich müde aus, so hatte sie ihn selten erlebt. Zum Glück änderte sich das bald. „Ich sag’s dir, noch nie habe einen Sonntagabend so herbei gesehnt, wie diesen.“ „Den Urlaub hast du dir verdient.“ Sie setzte sich auf einen Hocker und entsperrte das Smartphone. „Was wirst du machen?“, fragte sie während sie nebenbei auf eine Nachricht antwortete. „Schlafen. Gammeln. Wenigstens für zwei, drei Tage. Das muss sein.“ Das machte er stets so. Zorro schlief dann ziemlich viel und kam im Normalfall zwei Tage nicht aus der Wohnung. Sogar das Trainieren ließ er sein. Sein Körper brauchte die Erholung und ab dann ging es recht schnell wieder bergauf. Daran hatte er sie gewöhnt und es war vielmehr ein Ritual geworden. „Und? Wo ist sie unterwegs?“ „Chile.“ „Wie lange noch?“ „Montag.“ Das Smartphone landete auf dem Tresen und Nami streckte ihm die Zunge heraus, als sie sein spitzbübisches Grinsen erblickte. Das durfte sie sich seit jenem Treffen regelmäßig abholen. „Manchmal könnte neben dir die Welt untergehen und du würdest es verschlafen, aber hierfür interessierst du dich. Aus dir werde ich wohl nie schlau.“ „Warum sollte ich der Welt meine Aufmerksamkeit schenken?“ Unschuldig zuckte er mit den Achseln. „Außerdem herrscht zu Hause gerade Krisenstimmung, da ist deine Liebelei eine angenehme Ablenkung. Ruffy und Bonney keppeln. Die beiden reichen mir und jetzt mischt sich der Giftmischer auch ein. Ich verstehe, dass sie Vivis Einmischung auf die Palme bringt, doch Ruffy?“ Er schüttelte den Kopf. „Eigentlich habe ich nie sehr viel über ihre Vergangenheit nachgedacht und ihre Verschlossenheit akzeptiert. Jeder trägt sein Päckchen, sage ich immer, nur gibt es Grenzen.“ Er suchte den Raum nach ihrer Gestalt ab und fand sie im hintersten Eck. Unweigerlich verhärteten sich seine Gesichtszüge. Den Typen, mit dem sie plauderte, Jesus Barges, den mochte er nicht. Der Muskelprotz brachte ihnen zwar ordentliches Geld ein, wenn er schon vorbei schaute, doch vom Charakter her ein unangenehmer, mühsamer und vor allem ein zwielichtiger Geselle, der genügend Dreck am Stecken hatte. „Was hast du?“, hinterfragte Nami neugierig und warf einen Blick über ihre Schulter, versuchte dem Punkt zu folgen, den er anvisierte. „Wer ist das?“ Auch ihr stach Bonney ins Auge und wie sie auf Tuchfühlung mit einem Mann ging, der ihr vollkommen unbekannt war. Ihrer Meinung nach wirkte er wie ein schmieriges Kerlchen, aber hatte ihre Einschätzung keinen Wert. Wieder drehte sie sich zum Handwerker, der weiterhin hinüber starrte. Etwas an seiner Ausstrahlung hatte sich verändert. Irrte Nami oder störte ihm das Beobachtete? „Um den sollte sie lieber einen hohen Bogen machen.“ Damit schüttelte er den Kopf und griff nach einem Lappen, mit dem er über das Holz wischte. Bonney traf eigene Entscheidungen, aber manchmal missbilligte er ihre Auswahl. „Was?“, knurrte er auf den auf ihn ruhenden Blick hin. „Du magst sie!“, stieß Nami aus. „Red keinen Stuss! Solche wie der regen mich einfach auf. Er ist kein Umgang.“ „Ach, findest du?“ Entnervt warf Zorro den Lappen in die Spüle. Da hatte er sich wieder bravourös in eine unnötige Lage gesteuert. „Hör auf, okay? Ich kenne ihn und im Gegensatz zu dir, weiß ich, womit der sein Geld verdient. An dem klebt das Blut vieler.“ „Ernsthaft? Wenn dem so ist, warum sitzt er nicht hinter Gitter?“, hinterfragte Nami ungläubig. „Die Leute erfinden gerne irgendwelche Geschichten.“ Ihren Augenbrauen hoben sich als sie sein Lächeln erkannte, das ihr Unbehagen bescherte. „Nami, du musst nicht aus deiner kleinen Welt ausbrechen, aber solltest du verstehen, dass die Realität anders tickt. Verbrecher werden nicht ständig von rechtschaffenden Polizisten abgeführt und fort gesperrt. Sie bleiben auf freiem Fuß und leben unter uns.“ 30. Juli 2012 Gähnend öffnete Zorro das Küchenfenster und die schwüle Luft schlug ihm entgegen. Zwölf schlug die Uhr, der Kaffee rann in die Tasse und vom Platz drangen die Stimmen hoch. Ein gewöhnlicher Sommertag stand an. Leicht vorgebeugt beobachtete er ein wenig das Treiben; für ihn blieb der Weg nach draußen erspart. „Ein bisschen früh für dich“, hörte er, wie auch das Öffnen des Kühlschranks. Also war er doch nicht alleine. „Und für dich recht spät“, entgegnete Zorro und streckte sich; ein weiteres Gähnen. Das Fenster wurde geschlossen und er schlurfte zur Tasse. Bonney stand weiterhin vor dem Kühlschrank, unsicher was sie wollte. „Bin seit ‘ner Weile wach“, nuschelte sie und resignierend gab Bonney die Suche auf. Nichts sprach sie an. Dann wohl um die Ecke eine Bestellung aufgeben. Ihr Blick richtete sich zu ihrem Mitbewohner, der lediglich seine Boxershorts trug und äußerst verschlafen dreinschaute während er vorsichtig am dampfenden Kaffee nippte. „Soll ich dir etwas mitbestellen?“ Zeitgleich griff sie bereits nach der Speisekarte und setzte sich auf die Anrichte. Die Speise kannte sie in und auswendig, aber sie hoffte, irgendetwas würde sie anspringen. Leider war dem nicht so, denn sie hatte Lust auf Fisch oder Meeresfrüchte und das auf eine ganz besondere Art und Weise, die sie nur gern vom hauseigenen Koch zubereitet bekam. Mit Sanji unter eine Decke zu leben hatte Vor- und Nachteile. Stets zauberte er ihnen Essen, das schon beim Ansehen das Wasser im Mund zusammen laufen ließ. Andererseits schmeckten Gerichte anderer Köche fader, aber ihrem Meisterkoch ging sie mittlerweile selbst ein Stück aus dem Weg. Derzeit war Zorro die einzige Person in der Wohnung, die sie eher in ihrer Nähe akzeptierte. Aus einem einfachen Grund heraus: Er stellte kaum bis gar keine Fragen. Dieser trat nun näher, stellte sich neben sie und während er trank, huschten seine Augen über das Angebot. „Der Schnitzelklopfer kommt heut nicht so schnell wieder, oder?“, grummelte er bei der Auswahl, die ihm so gar nicht gefiel. Zorro aß schon gerne mal quer durchs Beet, aber umso mehr noch achtete er auf eine gesunde und ausgewogene Ernährung. „Einen Tag über die Stränge schlagen ruiniert kein Sixpack.“ „Hab ich nicht gesagt, ich hätte einfach Lust auf Fleisch.“ „Ich hingegen auf Fisch! Dafür müssten wir einkaufen gehen …“ „Und selber kochen oder auf ihn warten.“ Kritisch sahen sie einander an und wussten, sie hatten denselben Gedanken: Das ergab eine Schweinerei der Sonderklasse. × × »Heut Nachmittag Zeit für einen Kaffee?« »Wenn du mich den Ort bestimmen lässt und Hunger mitbringst, ja.« »Ein Essen, also?« »Muss endlich ein Restaurant ausprobieren. Danach bekommst du deinen Kaffee, versprochen.« »Ist er gut?« »Mein Spitzel lobt ihn.« »Und du bürgst für ihn?« »Jederzeit!« »Einverstanden.« × × „Weiter … weiter … Gott, schalt um!“, stöhnte Zorro zwischen den Bissen. Nach dem das Essen kam, hatte sie sich im Wohnzimmer ausgebreitet und den Fernseher angemacht. Während Bonney auf einem Happen Lasagne kaute hatte sie die Fernbedienung übernommen und zappte gelangweilt durch die Kanäle. „Uh, Teleshopping … siehst du, du trainierst umsonst. Kauf dir das Wundergerät und fünf Minuten am Tag reichen“, lachte die Straßenkünstlerin und sofort hörte sie das Brummen ihres Freundes. „So billig findest du das nirgendswo, also schlag zu“, setzte sie nach und drückte weiter, blieb bei einer Kochsendung hängen. Die Langweile verflog und fasziniert betrachtete sie die Handgriffe der Köchin, lauschte der Erklärung. „Essen ist wirklich deine Domäne. Wenn du jetzt noch kochen könntest“, neckte der Handwerker. Da hatte sie mit Ruffy tatsächlich ihr Gegenstück gefunden. Und doch fragte er sich oftmals, wo sie all die Mahlzeiten hin aß. Missbilligend schüttelte sie den Kopf und hob mahnend den Zeigefinger. „Merke dir, mein Freund. Ich bin dahingehend kein Macher, ich genieße.“ „Dann werde Kritikerin.“ „Dadurch wird Vergnügen ja zur Arbeit. Wo bleibt der Spaß?“ „Essen ist Stärkung. Kann klasse schmecken, Dank unseres Kartoffelschälers, aber komm, Essen ist Essen. Nicht mehr.“ „Ein exzellentes Essen, glaube mir, ist besser als ein Orgasmus.“ Zorro schielte zu seiner Mitbewohnerin, die in solch einem ernsten Ton gesprochen hatte, den er selten bei ihr hörte. „Dann muss der Sex mit Barges hundsmiserabel gewesen sein“, bemerkte er feixend und griff nach der Bierflasche. Im selben Atemzug fragte er sich, wie sie es schafften, ausgerechnet über den Wert von Speisen zu philosophieren. Bonney hatte tatsächlich sehr viel mit der Weichbirne gemeinsam. „Für ‘ne einfache Nacht reicht’s“, erwiderte Bonney sich räuspernd und lächelte anschließend unschuldig. Mehr hatte sie sich von diesem Großmaul auch nicht erwartet und ein weiteres Stelldichein würde sich sowieso nie ergeben. „Solange ihr ein einmaliges Abenteuer hattet“, murmelte Zorro verdrossen. „Können wir uns nicht irgendeinen Film ansehen? Um die Zeit läuft nichts.“ Bonney reagierte jedoch nicht sondern sah in scharf von der Seite aus an. Der Blick brannte förmlich auf seiner Haut und so stieß er einen tiefen Seufzer aus. Streng fuhr seine Handfläche durchs Haar. „Du kennst meine Einstellung zu Barges. Der ist ein Dreckskerl und kommt mir nicht in die Wohnung.“ „Du kennst mich, solche sind eine einmalige Spielerei.“ „Kenne ich dich?“, platzte es sogleich aus Zorro hinaus und seine Züge wurden ernster. Manchmal hatte er nicht das Gefühl und die derzeitige, angespannte Situation brachte mehr Zweifel als ein besseres Verständnis. „Egal, ich mische mich nicht in dein Leben ein.“ Während er nun wieder einen Bissen zu sich nahm, blieben Bonneys Augen starr auf ihn fixiert. Bisher hatte er sie nie auf den Vorfall angesprochen und sollten sie in seiner Nähe diskutieren, verschwand er. „Du haltest dich tatsächlich raus.“ „Warum sollte ich nachfragen? Ernsthaft, Bonney, eure Differenzen haben eben damit angefangen. Weil sie sich in deine Angelegenheit eingemischt haben. Warum soll ich dabei mitmachen? Ich habe keine Lust auf unnötige Diskussionen. Fehlt dir das nötige Vertrauen dann … dann ist es halt so, fertig.“ Kein ermutigender Gedanke, denn nach all den Jahren des Zusammenlebens hatte er mehr erhofft, aber zwang er niemanden. Dafür war er nicht der Typ, war er nie und daran änderte sich selbst in Zukunft nichts. „Mangelndes Vertrauen liegt nicht dahinter“, gestand Bonney den Kopf senkend und stocherte in ihrer Lasagne herum. „Ist halt kompliziert. Niemand kann mir helfen, Zorro. Weihe ich euch ein … ich kenne Ruffy!“ „Was kann so schlimm sein?“ Neugierde entfachte, die er nach außen hin jedoch kaum zum Ausdruck brachte. Verschiedenste Thesen kreisten ihm durch den Kopf. „Hast du jemanden bestohlen?“, sprach er seine erste Vermutung aus. Bonney schüttelte den Kopf. „Schulden gemacht?“ Wieder ein Kopfschütteln. „Jemanden umgebracht?“ „Nein, nichts davon“, beendete sie lieber vorzeitig die Fragerei, bevor sie tatsächlich noch ausartete und noch unrealistischer wurde. Sie und eine Mörderin? Als ob! „Warum solltest du sonst verfolgt werden?“ Zorro runzelte die Stirn. Endeten all seine Ideen in einer Sackgasse, dann musste Bonney den Mund aufmachen. Hie und da hatte er sie für verrückt gehalten, den Verfolgungswahn als Nichtigkeit abgetan. Nun, da sie derzeit wie ausgewechselt war, musste er sich eingestehen, dass es hierbei nicht um eine bloße Einbildung handelte. „Weil er mich nie gehen lassen wird. Nicht wirklich. Wie andere Städte zuvor sollte auch Venedig ein kurzer Aufenthalt werden, eine Verschnaufpause. Euretwegen bin ich geblieben, aber sind sie hier … werde ich gehen.“ Traurig lächelte sie ihren Freund an. Das Thema war beendet und mit diesen wenigen Worten wusste der Handwerker nun mehr als alle anderen. Wieder widmete sich Bonney ihrer Lasagne. Sie war kalt. Kapitel 14: Il tempo sta cambiando. ----------------------------------- Das Wetter schlägt um 4. September 2012 Gähnend schlenderte Zorro den Kanal entlang. Der eingeschlagene Weg sollte ihn nicht nach Hause bringen, obwohl der anstrengende Tag durchaus nach einem Nickerchen, wenn nicht sofort nach ordentlichem Schlaf rief. Das musste warten, denn er brauchte jemanden zum Reden. Eine neutrale Person und nicht seine WG-Kumpanen. Diese schloss er aus gutem Grund aus; denn das Problem das ihm auf dem Herzen lag, beinhaltete immerhin eine seiner Mitbewohner, Bonney. Ein Monat war seit dem ominösen Gespräch vergangen und in den Wochen hatte die Frau kaum noch ein weiteres, erklärendes Wort darüber verloren. Vielmehr tat Bonney als hatte es diese eine Unterhaltung nie gegeben. Verdeutlichten ihm seine Freunde oder gar Kollegen, die ihm hie und da von ihren Problemen berichteten, die Sache war vom Tisch oder sie wollten nicht länger darüber reden, dann tat er das. Ignorierte die Gegebenheiten und verhielt sich ihnen gegenüber wie immer, aber hierbei, wo er lediglich einen kleinen Bissen vor die Füße geworfen bekam, da war es ihm unmöglich sich nicht die Gedanken zu zermartern. Bonney hatte ein mögliches Verschwinden in den Raum geworfen, zur Not ohne Abschied. Seine sonstige Einstellung war verpufft und seither achtete Zorro vermehrt auf Details. Jene die er sonst bravourös übersah. Mittlerweile mimte sie wieder die sorglose Frau, die von einem Tag in den nächsten lebte, die feinen Nuancen jedoch, die stachen dem Handwerker regelrecht ins Auge und das bereitete ihm Kopfzerbrechen, wenngleich so noch vor Ort war. Schließlich stand Bonney stets hinter ihren Worten und so, sollte der Ernstfall eintreten, würde sie verschwinden und vermutlich nie einen Blick zurück riskieren. An der Ecke hielt Zorro inne, fuhr sich brummend durchs Haar als ein neuerliche Windstoß ihm entgegen fegte. Natürlich war er schon mal dort gewesen, zur Vorsicht hatte er sich in schlampiger Manier die Adresse aufgeschrieben, aber Zorro fand sich in einer Zwickmühle. Wo musste er lang? Neben seinen Freunden gab er das nur ungern zu, doch hatte er einen Kollegen tatsächlich nach dem schnellstmöglichen Weg gefragt, doch mittlerweile zweifelte er an dessen Beschreibung. Er war bereits viel zu lange unterwegs. Ein geknurrtes „Verdammt!“ kam über seine Lippen. Drei Abzweigungen und nirgends fand er den für sein Ziel passenden Wegweiser. × × »Du lässt mich warten~« Robin stieß einen tiefen Atemzug aus, linste auf die Uhrzeit und sank tiefer ins Leder. Manchmal war Kalifa äußerst ungeduldig; hatte sie ihr immerhin gesagt, es konnte durchaus spät werden. Dieser Dienstag gehörte zu jenen Tagen, an denen sich Robin gerne bis in die späten Nachtstunden hinein in ihrer Arbeit vergrub, aber ihre beste Freundin hatte anderes vor. Wollte ihr von ihrer Reise berichtet, den aufgegriffenen Neuigkeiten und was es sonst noch gab, worauf die andere nicht warten konnte. Vielleicht machte sie sich besser auf den Weg, brachte das Gespräch hinter sich. Dann blieb ihr noch genügend Zeit. »Gib mir eine halbe Stunde«, schrieb sie zurück ehe sie die wichtigsten Unterlagen in ihrer Tasche verstaute. In den letzten zwei Wochen hatte sie sich ausschließlich darauf konzentriert und Robin hatte ein weiteres Mal gemerkt, wie sehr ihr dieses Leben zusagte, eine anständige Arbeit und die sie auf positive Weise auf Trab hielt. Generell konnte alles sehr viel einfacher ausfallen. »Hoffentlich! Muss auf den aktuellen Stand gebracht werden!« Aktuell? Robin hob stirnrunzelnd eine Augenbraue. Nach den paar Tagen gab es kaum eine Neuigkeit, die sich zu erzählen lohnte. Alles verlief ruhig, beinah zu ruhig und so schrie es förmlich nach einem Umschwung. Vermutlich hoffte Kalifa auf Klatsch und Tratsch; genau woran Robin noch nie wirklich interessiert war und schnell bereitete sich eine dumpfe Vermutung aus, worauf die Blondine hinaus wollte. »Du bist stets bestens informiert.« × × „Law hat nach dir gefragt“, hörte sie Rebeccas herzhaftes Lachen. Murrend rollte Nami ihre Augen über. Eine Information, die sie nicht hören wollte, aber die sie stets unter die Nase gerieben bekam, sobald sie nachfragte ob es in der Heimat irgendwelche Neuigkeiten existierten. Rebecca blieb bis zu diesem Tag ihrer Einstellung treu und sah in Law einen charmanten Chirurgen, dem sie nichts Negatives nachsagen konnte. Dennoch hatte Nami aufgehört in Diskussionen zu verfallen und ließ Rebecca ihre kleine Schwärmerei durchgehen. „Du hast geschafft, dass er dir verfallen ist. Gratuliere“, lachte ihre Freundin weiter und Nami ließ sich rückwärts aufs Bett fallen. Mittlerweile musste sie sich diese Vermutung selbst eingestehen, obgleich Gefühle nicht zu ihm passten. „Zum Glück kann ich ihm hier nicht über den Weg laufen!“, stieß Nami erleichtert aus und schloss kurzweilig die Augenlider. Nachrichten oder Anrufe, die konnte sie sehr gut ignorieren und das tat sie nur allzu gerne. Dennoch machte sie sich Gedanken und fragte sich, warum er nicht verstand und endlich aufhörte. Vermutlich lag es weiterhin daran, dass er Abweisungen nicht gewohnt war. „Wer weiß … er meinte, er habe sich drei Wochen Urlaub genommen. Vielleicht kommt er auf Besuch.“ „Hör auf! Momentan ist mein Leben fast perfekt.“ Und das meinte sie auch. Hier fühlte sie sich wohl. Wie erwartet brachte der Abstand zum alten Leben einen Umschwung und zum ersten Mal schien sie nichts aus der Bahn zu werfen. Keine nervenaufreibenden Streitereien, kein Versteckspiel, nichts. Einfach das Leben genießen. So wie sie es sich immer gehofft und ausgemalt hatte. Niemand und erst recht kein Law durften ihr dazwischen funken. „Was heißt fast?“, hakte Rebecca sogleich nach und in ihrer Stimme schwang Neugierde mit. „Es ist diese Frau, richtig?“ „Erraten“, murmelte Nami und fuhr sie den Nasenrücken entlang. Mittlerweile sahen sie sich recht häufig, Kontakt hatten sie täglich miteinander und Nami konnte die Gefühle, die sich entwickelten, nicht länger verleugnen. Nicht länger empfand sie eine Schwärmerei; weitaus mehr lag hinter den Gefühlen und diese machte ihr zu schaffen, aber noch wusste sie damit umzugehen. Irgendwie, denn sie hatte von Anfang an gewusst, worauf sie sich einließ, wenn sie für Nico Robin mehr empfand als Freundschaft und doch … „Manchmal denke ich, ich sehe mehr in ihren Gesten … den Worten … und dann ist alles wie gehabt“, begann Nami, da sie durchaus das Schweigen der anderen als Aufforderung aufnahm und seufzte, „und ich habe keine Ahnung, was in ihr vor sich geht.“ „Geh in die Offensive und finde es heraus.“ „Und mache mich lächerlich? Nein, ich warte lieber ab.“ „Kann genauso nach hinten los gehen. Sag ihr … du hast eine Verabredung, mal sehen wie sie darauf reagiert.“ „So wie ich Robin einschätze, wünscht sie mir noch einen schönen Abend. Ich darf mich gar nicht beschweren, liefe es überall reibungslos, dann müsste ich mir ernsthafte Gedanken machen. Lassen wir das, wie sieht es bei dir aus?“ Die Archäologin war ein schwieriger Fall und Nami hatte durchaus Bammel dieses Mal die Türe vor der Nase zugeschlagen zu bekommen. Noch konnte sie nicht das volle Risiko nehmen, noch. „Na gut, im Gegensatz zu dir habe ich tatsächlich ein Date“, säuselte Rebecca und verfiel daraufhin in Schwärmerei. × × „Also, erzähl mir von der Kleinen und dir. Mittlerweile müsstet ihr euch ein gutes Stück näher gekommen sein“, säuselte Kalifa grinsend als sie Robin auf die Dachterrasse folgte und eine Weinflasche sowieso zwei Gläser auf dem kleinen Glastisch abstellte. Robin lehnte gegen die Brüstung, ihre Augen schweiften über die Dächer; von dieser Wohnung aus erhielt sie einen atemberaubenden Ausblick, den sie nur allzu gerne für ein paar Minuten genoss, wenn sich ihr die Möglichkeit bot; trotz des störenden Windes, der die Lagunenstadt seit Stunden in Beschlag nahm. „Franky und du, ihr könnt es nicht lassen. Ihr tratscht zu viel miteinander und versteift euch auf dieses Thema“, murmelte die Angesprochene, die hörbar ein sachtes Schnauben von sich gab. „Dachte, du wolltest mir von deinem Ausflug erzählen.“ „Meine Güte, Robin, wie kannst du dir erwarten wir zeigen Desinteresse?“, verteidigte sich die Blondine, zudem hatte sie einen persönlichen Grund hierfür, den sie ihrer besten Freundin durchaus zu verschweigen wusste. Aus einer abendlichen Laune heraus hatten Franky und sie eine kleine Wette gestartet und Kalifa mochte nicht als Verliererin da stehen. „Habe ich nie gesagt, aber was ihr treibt ist unnötiges Gewäsch!“ Kopfschüttelnd blieb ihr Blick schließlich am Horizont hängen. Noch war die Sonne erkennbar, doch schon bald, das konnte Robin erkennen, würde sich die Wolkenfront direkt vor diese schieben. Vermutlich dürften sie an diesem Tag keinen Ausblick auf deren Untergang erhaschen. „Ihr seht euch recht häufig … sagt er jedenfalls. Da steckt mehr dahinter. Ein bisschen Abwechslung, das tut gut.“ „Ja, aber zwischen uns wird nichts weiter vorfallen und daraus besteht euer Klatsch und Tratsch.“ „Bist du dir sicher?“, säuselte Kalifa erneut und reichte der anderen das Weinglas. „Würde ich jemanden finden, mit dem ich es aushalten … ich würde nicht lange darüber nachdenken.“ Noch hatte die Blonde niemanden gefunden, der es wert war, da beließ sie es lieber bei ihrem bisherigen Stil; sie suchte lediglich nach einem Liebhaber für eine Nacht, den sie ab dann nie wieder zu Gesicht bekam. Keine Probleme, keine Verpflichtungen, ihre ideale Lösung. „Ist lange her seit du dich das letzte Mal wirklich für eine Frau interessiert hast. Sagt sehr viel aus.“ „Nami ist …“, suchte Robin nach der passenden Erklärung, die sie nicht sogleich fand und trank einen Schluck. „Verübelt ihr meine Entscheidung, sie nicht näher in mein Leben zu lassen? Ich bitte dich, Kalifa, sie ist jung und genießt das Leben. Wie kann ich sie in meines einbinden? Du weißt, wie schnell ich sie sich am Rande eines Abgrundes findet! Ich kann ihr Leben ruinieren, ist dir das nicht bewusst?“ Deshalb blieb Nico Robin stur und unterband jede weitere Annäherung, obwohl sie nicht leugnete wie sehr ihr die junge Frau ans Herz gewachsen war. Nur musste sie an die Folgen denken, die sich dadurch ergaben und dementsprechend behielt sie einen wahrenden Abstand. Egal wie schwer ihr das an manchen Tagen auch fiel. „Du sprichst davon, aber du unternimmst nichts. Das ist genauso verwerflich!“ Robin schwieg daraufhin, trank erneut. Natürlich entsprach es der Wahrheit; so sehr sie dagegen sprach und darauf pochte Nami nicht zu sehr in ihr Leben zu lassen, verbrachte sie viel Zeit mit dieser oder sie schrieben oder telefonierten. Und das konnte auf Dauer nur in einer Katastrophe enden, denn irgendwann kam dieses eine Gespräch auf, das sie so sehr versuchte zu umgehen. In letzter Zeit häuften sich Momente, die geradezu passend dafür waren, aber stets fand sie eine Möglichkeit um sofort eine andere Richtung einzuschlagen oder fand andere Wege um all das zu unterbinden. Der letzte Monat sagte sehr viel aus und Robin konnte nicht ewig so tun als war sie nur an einer Freundschaft interessiert, Nami war nicht auf den Kopf gefallen. „Robin … dein Handy.“ „Was?“ „Du wirst angerufen“, seufzte Kalifa und erst nun, als sie die andere darauf ansprach, schien Robin das Läuten zu hören und eilte zu ihrer Tasche. Die Blondine nippte an ihrem Glas und lauschte unterschwellig; ein Instinkt, den sie alle beherrschten. Argwöhnisch reckte sie eine Augenbraue in die Höhe; Robin unterhielt sich auf Russisch und obwohl diese mit dem Rücken zu ihr stand, erkannte sie eine aufbauende Anspannung. Irgendetwas war vorgefallen, etwas Ungutes und Kalifa lehnte gegen die Brüstung. Das Gespräch über die Kleine war vergessen, das hier schien wichtiger, vor allem ernster. Keine fünf Minuten später hatte Robin aufgelegt und wirkte schockiert, durcheinander. „Robin!“, drängte Kalifa, „Wer hat dich angerufen?“ „Ich muss nach St. Petersburg“, flüsterte sie, wenn auch mehr zu sich als zu ihrer Freundin und starrte ins Leere. × × Überrascht erblickte Nami den Handwerker, der schief grinsend die Hand hob und ein unschlüssiges „Hi“ murmelte. Mit einem Besuch hatte sie an diesem Abend wahrhaft nicht mehr gerechnet, umso mehr schlugen die Alarmglocken. Zorro war niemand, der ohne Vorwarnung vorbei schaute, nicht ohne einen triftigen Grund. „Hast du einen Moment?“, fragte er um das unangenehme Schweigen zu durchbrechen, das sich für einige Sekunden zwischen sie gelegt hatte. „Klar, komm rein“, entgegnete die junge Frau und trat zur Seite. Eine Einladung, die Zorro sofort annahm. Während er das Schließen der Tür vernahm, lauschte er der restlichen Umgebung, hoffend sie waren durchaus ungestört. Er wollte nur zu ihr, das Gespräch unter vier Augen führen, wenngleich sein unangemeldetes Auftauchen auch anderweitiges versprach. „Bin auf gut Glück hierher …“, bemerkte er räuspernd und kratzte seinen Nacken. Hätte er eine Uhrzeit ausgemacht, so hätte er diese wiederum nicht eingehalten. Wie üblich war er durch das Viertel geirrt und irgendwann da hatte er das gesuchte Haus gefunden. Bei Abmachungen, wo er nie sagen konnte, wann er auftauchte, bekam er schon mal ein schlechtes Gewissen, aber fürchtete er auch Kommentare. Aus einem einfachen Grund heraus, er hasste Bemerkungen dieser Art. Schließlich verlief er sich nicht absichtlich und dieses kleine Manko, nun ja, jeder hatte so etwas. Zorro war eben auch bloß ein Mensch. „Wir hätten uns gerne auch irgendwo treffen können.“ Nami musterte ihn und an seinen Nacken erkannte sie durchaus leichte Schweißperlen. Vermutlich lief er bereits eine Weile umher und noch waren die Temperaturen angenehm, die in den kommenden Stunden jedoch abklangen, der Wetterumschwung war bereits spürbar. Ein Sturm zog auf. Leichtfüßig schob sie sich nun an ihrem Freund vorbei, der merklich ihre Neugierde geweckt hatte. „Eine Erfrischung?“, fragte sie dabei und machte sich Richtung Küche auf. „Gern! Und nein, so passt das schon.“ Die brauchte er allemal. Während er Nami folgte, sah er sich wiederum um, konnte niemanden erkennen. Allem Anschein nach war das Glück auf seiner Seite und beide waren tatsächlich unter sich. „Sind beide auf dem Festland und kommen erst spät zurück“, kommentierte die junge Frau, der das Spähen bei einem Blick über die Schulter ins Auge stach. „Du kannst also frei sprechen“, setzte sie grinsend nach und hielt Zorro ein gekühltes Bier entgegen, das der Handwerker dankend entgegen nahm. Für sich hatte Nami lediglich ein Mineral geschnappt und lotse ihn weiter ins Wohnzimmer, wo sie sich beide auf der Couch nieder ließen. „Du erzählst niemanden von unserer Unterhaltung, versprochen?“ Von einer Sekunde zur nächsten wurde Nami so richtig hellhörig. So hatte sie ihren Freund noch nie erlebt. Umso mehr verstärkte sich ihr Interesse, welches sie halbwegs unterdrückte, nicht auf ihrem Gesicht tragen wollte, denn sie erkannte den Ernst, der hinter seiner Aufmache lag. „Du kannst mir vertrauen“, antwortete sie somit und nickte zur Bekräftigung ihrer Worte. Wollte er ihr Stillschweigen, dann erhielt er dieses. Nami nippte an ihrem Getränk und wartete, signalisiertem ihm, er sollte anfangen. Zorros Hände umfassten die Bierflasche, sein rechter Daumen kratzte am Etikette. War er nervös? Stirnrunzelnd beobachtete sie ihn bei seinem Tun; bemerkte unschwer das Zögern, das Nami noch weniger kannte. Normalerweise sprach er seine Gedanken, wenn er sich mitteilen wollte, unverblümt aus; nie nahm er ein Blatt vor dem Mund und wirkte stets selbstbewusst. Hinter jeder harten Schale steckte meist mehr, aber bei ihm wirkte es befremdend. „Zorro“, sprach sie seinen Name sanft, fast flüsternd aus und er hob den Kopf an, seine Augen suchten ihre, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick. „Bonney“, begann er schlussendlich und kratzte die letzten Reste des Etikettes ab, „sie steckt in Schwierigkeiten, denkt darüber nach aus der Stadt zu flüchten und irgendwo eine Neuanfang zu wagen.“ Er sprach in einem leisen und bedrückten Tonfall, der kaum Zweifel mit sich brachte und Nami schluckte schwer, versuchte diese kurz gehaltene und doch so bedeutende Aussage zu verarbeiten. Woher kamen die plötzlichen Pläne? Nie hatte sie etwaige Anzeichen gesehen, denn Bonney zeigte sich, erst recht nach dem Streit mit Vivi, strahlender Laune. „In welchen?“, murmelte sie und ihr Blick fixierte den Handwerker, der ihr mit einem schwachen Schulterzucken antwortete; dann einen kräftigen Schluck zu sich nahm. „Woher hast du dann die Information?“ „Von ihr höchstpersönlich, aber mehr möchte sie auch mir nicht sagen. Weißt du, vor einem Monat kamen wir darauf zu sprechen. Mir warf sie mehr Krümel vor die Füße, als den anderen, aber das ist nicht ausreichend. Seitdem weiß ich lediglich von einem Mann aus ihrer Vergangenheit und der versucht wohl sie bis heute aufzuspüren. Auch hat sie mir gesagt, sie verschwindet sobald sich ihre Vermutung bestätigt hat. Haben seine Leute sie tatsächlich gefunden, dann muss sie gehen, um ihm nicht in die Hände zu fallen. Ich kenne Bonney, sie steht zu ihrem Wort“, erklärte Zorro recht nüchtern und lehnte sich schließlich zurück, sah seine Gesprächspartnerin an, der die Überraschung ins Gesicht geschrieben stand. Geknickt lächelte er darüber. „Ich mache mir Sorgen. Sie will nicht mehr erzählen und verweigert jede Hilfe.“ „Also keine Macke … keine Einbildung“, sprach Nami mehr zu sich gewandt und schüttelte fassungslos den Kopf. Als man ihr davon berichtete, da hatte sie die Geschichte tatsächlich als Humbug aufgenommen, es belächelt, aber wenn Zorro die Sache nun ernstnahm, dann steckte tatsächlich sehr viel mehr dahinter. „Nein, leider nicht. Hie und da habe ich versucht sie nochmals in ein Gespräch zu verwickeln, habe auf weitere Informationen gehofft, aber sie blockiert. Und obwohl ich versucht habe, so normal wie möglich weiter zu machen, so habe ich festgestellt, ich brauche jemanden mit dem ich darüber reden kann. Ich vertraue dir, Nami und dahingehend bist du meine einzige Option, du läufst nicht schnurstracks auf sie zu und sprichst sie darauf an.“ „Einen Monat sagst du … ist reichlich Zeit, vielleicht hat sich das Problem von alleine erledigt.“ „Wohl kaum, ich kenne sie seit Jahren und mir fallen die Unterschiede in ihrem Verhalten auf. Glaub mir, sie ist vorsichtiger geworden.“ Wieder nahm er einen größeren Schluck. Aus Bonney wurde er einfach nicht schlau. Ohne die nötigen Informationen würde er ihre Beweggründe nie verstehen und natürlich konnte sie tun und lassen was auch immer sie wollte, aber sie waren Mitbewohner, Freunde. Ab einem Punkt, da konnte selbst er nicht tatenlos neben ihr stehen und so tun als war nichts. Seine Freunde waren ihm heilig, obwohl er es selten offen zeigte. War eben nicht seine Art. „Egal wie nahe wir manchen Menschen auch stehen, wir werden wohl nie all ihre Facetten kennen.“ „Oder erst, wenn es bereits zu spät ist“, ergänzte Nami schief grinsend. „Und was ist, wenn du auf eigene Faust mehr in Erfahrung bringst?“ „Soll ich einen Detektiv anheuern oder worauf möchtest du hinaus? Die Wahrscheinlichkeit ist ziemlich hoch und sie lebt unter einem falschen Nachnamen. Zwar kam ihr mal Florenz über die Lippen, aber ob sie von dort stammt? Keine Ahnung. Ihr Leben vor uns ist ein unbeschriebenes Blatt. Sie gewährt uns kaum Einblick.“ „Dir bleiben drei Optionen. Still bleiben und abwarten, sie so lange nerven bis sie einknickt ober eben jemand anheuern, der sie genauer unter die Lupe nimmt. Ersteres fällt wohl flach, sonst hättest du mich nicht eingeweiht.“ Schnaufend warf Zorro den Kopf in den Nacken. Ihm missfiel jede einzelne der aufgezählten Optionen. Lieber hoffte er auf eine Besinnung seitens Bonney. „Ace wäre gerade der perfekte Mann, könnte seine Kontakte spielen lassen und er hält sich bedeckt. Leider ist er schwer erreichbar, selbst für Ruffy. Er ist mehr der Typ, der aus dem Nichts heraus plötzlich vor der Tür steht und ebenso ohne Tamtam wieder verschwindet.“ Nachdenklich betrachtete er das Landschaftsgemälde, das an der Wand ihm gegenüber hing. Bei krummen, suspekten Angelegenheiten fiel ihm der sommersprossige Gauner stets ein. Zorro vertraute ihm und so viel es ihm schwer Leute anzuheuern, die er gar nicht erst kannte, schließlich sickerten Kleinigkeiten recht schnell durch und im Ernstfall brachte das die falschen Personen auf eine Fährte. „Ein echter Privatdetektiv kann helfen…“ „Nein!“, erwiderte Zorro ohne Bedenkzeit und schüttelte vehement den Kopf. „In die habe ich kein Vertrauen. Sind Stümper bei denen du dir nie sicher sein kannst. Ein falscher Zug und andere treten auf die Bildfläche und bieten gar noch mehr an.“ Nein, von solchen hielt er nichts. „Vielleicht …“, setzte er an, kratzte sich am Kinn“, frage ich bei Franky oder Kaku nach.“ „Robins Freunde?!“, stieß Nami perplex aus. Wie konnten diese helfen? „Woher sollten die …?“ „Hab schon von einigen gehört, wie sie ihnen aus der Klemme halfen. Sie haben, warum auch immer, gewisse Kontakte, aber sie sind keine Arschlöcher oder Halunken wie Barges! Und in nächster Nähe.“ Kapitel 15: Ritorno. -------------------- Rückkehr 8. September 2012 Das Display wurde schwarz und frustriert schob Nami das Smartphone zurück in ihre Tasche. Keine neue Nachricht, jedenfalls nicht von der Person, von der sie sich eine erhoffte. Dementsprechend seufzte sie auf; suchte neuerlich Sanji, der sich auf dem Markt heimisch fühlte und von einem Stand zum nächsten eilte. Heute lud er alle zu einem Essen ein und da Nami früher als gewohnt auf den Beinen war, hatte sie gefragt, ob er ein wenig Gesellschaft wollte. Vorerst bewegten sie sich am Fischmarkt fort; diesen hatte Nami nie näher unter die Lupe genommen. Wenn, dann hielt sie lediglich an den Obst- und Gemüsemärkten und nahm sich eine Stärkung mit. „Die Auswahl ist viel zu groß für dich“, lachte sie über Sanjis Eifer, der ihr einen Blick über die Schulter zuwarf; er hatte ein breites Grinsen aufgesetzt. Hier war er in seinem Element und fühlte sich wohl. „Deshalb habe ich genügend Beilagen eingekauft, die zu diversen Fischgerichten passen.“ Das hatte er. Der Fisch war die letzte Besorgung, die sie machten mussten; alles Weitere war bereits in den Einkaufstüten verstaut, die neben ihm am Boden standen. „Langweilst du dich?“, fragte er nach. Sacht schüttelte sie den Kopf. Er konnte sich ruhig seine Zeit nehmen. „Und? Triffst du dich noch mit Viola?“ Eine knappe Stunde später spazierten sie durch die Gassen; Richtung WG. Nami hatte ihm ein paar Einkäufe abgenommen, damit er nicht alles alleine tragen musste. „Nein. Wir beiden haben unseren Spaß gehabt, aber mehr wäre nie daraus geworden“, antwortete der Koch, nachdem er den Rauch ausgeatmet hatte. „Lag es am Alter?“ „Nein. Gefühle, die du für eine Beziehung brauchst, sind auf beiden Seiten einfach nicht vorhanden und das ist okay.“ Von Anfang an hatte er gewusst, worauf es hinaus laufen würde und solange niemand zu Schaden kam, hatte er keinerlei Gewissensbisse. Dafür waren sie zu sehr auf ihre Kosten gekommen. „Liebe kann kompliziert sein, was?“, griente Sanji schief. „Sagtest du nicht gerade, es wären keine Gefühle im Spiel gewesen?“ Hörbar hörte sie ihn ausatmen und so lugte sie fragend hoch. „Was?“ „Ich rede von dir, Nami. Dich bedrückt etwas oder sollte ich besser sagen, du bist einer Frau wegen bedrückt?“ Irgendetwas lag im Busch, das spürte er seit sie sich zum Markt aufgemacht hatten. Nami war anders als üblich und dann ihre Blicke, wenn sie aufs Smartphone sah. „Wie kommst du darauf?“ „Frauen sind mein Spezialgebiet.“ Und daran gab es bei ihm nichts zu rütteln, nur selten traf er nicht ins Schwarze und bei Nami konnte er sich lediglich einen Grund vorstellen, der zu dieser Haltung führte und das war Robin. Schließlich hatte er sehr wohl mitbekommen, dass die beiden vermehrt in Kontakt miteinander standen. „Also? Ich halte dicht, versprochen.“ „Sie ist Donnerstag nach St. Petersburg geflogen“, begann sie nach einer längeren Pause, in der sie damit haderte, ob sie ihm davon erzählte oder lieber alles unter den Teppich kehrte, „und seither herrscht Funkstille.“ Allein dieser Umstand brachte sie durcheinander. Es war anders als bei den anderen Reisen. „Was macht sie dort?“ „Hat sie nicht gesagt.“ Nami starrte wieder geradeaus, las hie und da eines der Schilder. „Für heute wären wir verabredet gewesen. Dann kamen der Anruf und die Absage. Sie müsse dringend verreisen.“ Nachdenklich fuhr sie sich nun durchs Haar und rückte mit ihren Bedenken heraus: „Sanji, ich mache mir Sorgen. Nicht der Funkstille wegen … sie hörte sich nicht gut an. Als ob etwas Schlimmes passiert ist.“ „Lass mich raten, du hast diese Seite an ihr bislang nicht gesehen?“ Sie schüttelte den Kopf. „Hast du mal nachgefragt?“ „Ja, aber als sie auswich-“ „Hast du es dabei belassen.“ „Und mich seither selbst nicht gemeldet.“ „Du erhoffst dir wirklich mehr“, stellte der Koch fest und warf den Stummel in den Abfalleimer. „Entweder wartest du ab oder du schreibst ihr. Oder weißt du wann sie zurückkommt?“ „Eben nicht.“ × × „Deine Mutter braucht noch ein bisschen“, sprach der Mann entschuldigend und hörte das Mädchen traurig ausatmen. Ihre Mutter, Olvia, lebte förmlich für ihre Arbeit und stand Großes an, verlor sie meist jegliches Zeitgefühl; versank förmlich darin. Sehr zum Leidwesen ihrer Tochter. Diese hatte zwar dieselbe Liebe und Leidenschaft geerbt, aber an manchen Tagen – und heute war solch ein Tag – wünschte sie sich anderes. Mehr Zeit mit ihrer Mutter, das konnte selbst ein Außenstehender von ihrem Gesicht ablesen. „Mama reist morgen ab …“, gab Robin kleinlaut zu verstehen, „und ich muss bei Tante und Onkel bleiben, die mich nicht mögen. Ich würde viel lieber mit ihr reisen.“ Oran war nicht das Problem, er hatte nichts gegen seine Nichte, das wusste Clover, es war Roji, ihre Tante. In Schutz nehmen konnte er beide nicht, denn Oran tat nichts gegen das Verhalten seiner Frau. Und wie diese mit Robin umging, hatte er selbst gesehen, als sie Robin einmal vom Museum abgeholt hatte. Sie mochte ihre Nichte nicht und woran das lag, wusste wohl nur Roji selbst. „Du hast bestimmt von der neuen Ausstellung gehört, nicht wahr? Wenn du magst, können wir hinunter gehen, du könntest die Stücke vor allen anderen sehen“, versuchte Clover das Mädchen aufzumuntern, „und bis dahin ist deine Mutter fertig.“ Zwar nickte sie nach kurzer Bedenkzeit, aber das Strahlen, das sie sonst an den Tag legte, fehlte in ihren Augen. „Gehen wir“, legte er nach und nahm sie an der Hand. Gemeinsam schlenderten sie durch das leere Museum und anschließend hinunter in jene Räume, in denen nur Befugte Zutritt hatten. Betrübt blickte sie die Fassade empor. Die Eremitage strahlte eine Mächtigkeit und Erhabenheit aus, die Robin Nico eine Gänsehaut bescherte. Als ob ihr Herz nicht bereits schwer genug trug, machte es einen weiteren Satz, der ein beklemmendes Gefühl auslöste. Viele Kindheitstage hatte sie an diesem Ort verbracht. War durch die Gänge geschlendert, hatte sich in Ruhe die Exponate angesehen und manchmal, musste sie länger auf ihre Mutter warten – und das kam recht oft vor – hatte sie sich in eine Ecke verschanzt und gelesen oder sich von Clover umher führen lassen. Lange Zeit war das Museum ihr zweites Heim gewesen; Olvias Tod hatte besonders dazu beigetragen. Dem sie im Anschluss ihres Umzuges nach Moskau Jahre den Rücken gekehrt hatte. Das schlechte Gewissen saß tief; statt hie und da zurückzublicken, hatte sie sich abgewandt gehabt. Von allen, auch von ihm. Wie oft hatte der Professor sie eingeladen und stets hatte sie die passende Ausrede retour geschickt. Robin wusste, dass das falsch war, aber in Anbetracht ihres Lebens hatte sie geglaubt, er würde sie durchschauen. Mitbekommen an welchem Ufer sie sich fortbewegte. Ein einfältiges Denken. Am Ende hatten sie sich lediglich per Brief- und Mailverkehr ausgetauscht. Clover hatte ihre Arbeit bis zum Schluss hin verfolgt, ihr Gratulationen gesandt oder sogar neue Impulse gegeben. Dreizehn Jahre lag das letzte Treffen zurück, Clover hatte sie in Moskau besucht, und Robin war nie aufgefallen, wie schnell die Zeit vergangen war. Bis dieser eine Anruf kam. Dieses Telefonat, das ihr seinen Tod mitteilte, hatte sich wie ein Tiefschlag angefühlt. Hocha war es gewesen, die nach Olvias Tod ihren Posten eingenommen hatte. Dieses Mal, das hatte Robin gewusst, durfte sie nicht fernbleiben und so war sie schnellstmöglich hierher geflogen. Für einen Grund, den sie sich nie und nimmer gewünscht hatte. Doch was hatte sich Robin erwartet? Dass Clover unsterblich war? Gestern war sie auf der Beerdigung gewesen, zusammen mit all den bekannten Gesichtern aus einer längst vergessenen Zeit. Ein zermürbendes Erlebnis, in doppelter Hinsicht. Einerseits ihrem Mentor und altem Freund, der ihr manchmal das Gefühl eines Großvaters gab, Lebewohl zu sagen und ihn auf seinem letzten Weg begleiten; andererseits die Blicke, die unausgesprochenen Fragen der anderen. Manche missbilligten Robins lange Abwesenheit und hatte es sie durchaus spüren lassen. Umso mehr verblieb sie lieber im Hintergrund und wollte wieder fort; am nächsten Tag nochmals alleine zu seiner Ruhestätte, aber bevor sie verschwinden konnte, hatte sie Hocha zur Seite genommen und um einen Besuch im Museum gebeten. Und nun stand sie davor und spürte das Unbehagen. „Robin?“, wurde sie plötzlich aus den Gedanken gerissen. Äußerst langsam wandte sie sich der Stimme zu und eine Frau verweilte rechts von ihr. Sie war in ihrem Alter, hatte langes, gewelltes und blondes Haar. Es dauerte; sie kam Robin verdächtig bekannt vor und ihr Verstand arbeitete vehement. Suchte nach der passenden Einordnung, bis es ein hörbares Klicken machte. Erschrocken weiteten sich ihre Augen; es war ihre Cousine. „Mein Gott! Du bist es!“, stieß die Frau nun quiekend aus. Schnellen Schrittes trat sie näher und nahm Robin in eine feste Umarmung, die diese, vollkommen überrumpelt von der Geste, unbeholfen erwiderte. „Meine Güte. Fünfzehn, gar sechzehn Jahre?“, fragte sie mehr sich selbst, als sie Robin wieder auf Abstand brachte und sie musterte. „Du siehst gut aus.“ „Mizuira“, hauchte die Archäologin und ermahnte sich zur Besinnung. Natürlich hatte sie nicht mit einem Treffen gerechnet, mit niemandem aus ihrer Familie und sie durfte durchaus überrascht sein, aber Robin wusste, dass es nicht direkt daran lag. Vielmehr an der Offenheit, der Freundlichkeit, die ihre Cousine entgegenbrachte. Als Kinder hatten sie sich nie gemocht, Mizuira machte ihrer Mutter stets Konkurrenz, wenn es darum ging, Robin das Leben schwer zu machen. „Du bist wegen Clover hier, oder? Ich habe von seinem Ableben gehört“, sprach die Blonde weiter, jedoch schlug sie einen ernsteren Tonfall an. Robin nickte. „Dabei habe ich ihn vor drei Wochen noch gesehen, als wir mit den Kindern das Museum besucht haben. Das Alter hat ihn nicht fern gehalten. Ohne ihn dürfte sich hier einiges verändern.“ „Kinder?“ Mizuira lächelte vergnügt, der Ernst war wieder verschwunden und mit einer Kopfbewegung deutete sie Richtung Ufer. Dort tollten zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen. „Nikolai und Ewelina. Lass dich von ihrer Erscheinung nicht beirren, sie sind zwei kleine Biester. Kommen ganz nach ihrer Mutter. Wir wohnen in der Nähe und gehen öfter an der Newa spazieren“, erklärte sie unbehelligt. „Aber sag, Robin, meine Kinder überraschen dich mehr anstatt dem Museumsbesuch?“ „Das wäre meine zweite Frage gewesen“, gestand sie entschuldigend und sacht zuckten ihre Schultern. Ihre Erinnerungen erzählten anderes. Damals hatte sich Mizuira regelrecht gewehrt und war sie mit der Schule dort, hatte Robin stets gehört, wie unhöflich sie sich aufgeführt hatte. Roji hatte gute Arbeit geleistet und ihre Cousine zu einem unmöglichen Gör erzogen. Zum Glück lebte sie in derer Pubertät längst in Moskau. Umso mehr überraschte sie die offenbare Wandlung. „Zeiten ändern sich. Wir werden älter, erwachsener. Irgendwann habe ich eingesehen, dass mich meine Art nicht weiterbringt. Mit dem Kennenlernen meines Mannes führte das eine zum andere. Die damalige Ader kommt zwar heute noch zum Vorschein, aber nicht mehr so schlimm.“ „Verstehe.“ „Weißt du, er ist ein äußerst wissensbegieriger Mensch, liest sich durch Blätter quer jeder Sparte. Seinetwegen habe ich auch deinen Werdegang mitbekommen“, gestand Mizuira und sie blickte zu ihren Kindern hinüber. „Manchmal habe ich an unsere Kindheit gedacht und mir ist der Gedanke gekommen, dich zu kontaktieren. Wir sind Teil einer Familie und unser Auseinandergehen ist nicht richtig gewesen. Nicht so.“ „Du bist erwachsen geworden“, sprach Robin unverblümt und schob ihre Handflächen in Taschen ihres Mantels. Ein Treffen mit ihren Verwandten hatte sie sich stets anders ausgemalt. Eher daran gedacht, dass sie sie anstarrten und stumm weitermarschierten. Schließlich kannte sie nur das Negative und nie hatte sich Robin erträumt, dass sie irgendwann ein normales Gespräch führten oder sich Mizuira zu einer Frau entwickelte, wie jene, die nun vor ihr stand. „Hey! Nicht jeder ist ein Genie, das mit acht schon spricht, als wäre sie eine erwachsene Frau! Manche brauchen eben Zeit“, lachte die Blonde und schüttelte im Anschluss den Kopf. „Wie geht es den beiden?“ Vielmehr eine höfliche Frage. „Sind alt geworden, aber es geht ihnen gut. Und dir? Abgesehen von den Artikeln, habe ich kaum etwas in Erfahrung gebracht. Ist es so geworden, wie du es dir vorgestellt hast? In die Fußstapfen deine Mutter treten und die Welt erobern?“ „Manches ist geworden, wie ich es mir ausgemalt habe. Manches lässt wiederum auf sich warten.“ „Kryptisch wie eh und je.“ Mizuira rollte die Augen über. „Hast du ein paar Minuten? Ich möchte sie dir vorstellen.“ × × „Hunger!“, flöteten Bonney und Ruffy im Chor. Alle hatten sich im geräumigen Wohnzimmer eingefunden während der Koch in der Küche zauberte. „Unmöglich die beiden“, seufzte Nami, aber fand sie es gut, dass sich die Laune innerhalb der Gruppe wieder gebessert hatte. Aber vielleicht lag es lediglich an dem Essen, das Sanji gerade zubereitete. Neben ihr stöhnte Zorro genervt, griff nach einer Flasche Bier und hoffte, dass Sanji bald fertig wurde. Die Warterei an sich war nie das Problem, sondern Bonney und Ruffy, die sich kaum in Zaum hatten. Seit dem Küchenverbot war es noch schlimmer geworden; bis dahin hatten sie dem Koch die Nerven geraubt und im Wohnzimmer herrschte eine ausgelassene Atmosphäre. Seither jedoch, da musste er die beiden aushalten und das zerrte an den Nerven. „Lasst sie“, mischte Vivi mit und kicherte vergnügt. Ihr machte das Gejammer nichts aus; sie empfand es durchaus als Bestätigung der Kochkünste des Blonden. Denn nur, wenn er kochte, waren die beiden so aus dem Häuschen. „Du musst das ja nicht ständig ertragen“, murrte Zorro, „Gott sei Dank muss ich auch bald los.“ Die Bar wartete und er hoffte auf Franky. Nach dem Gespräch mit Nami war er eingeknickt und hatte beschlossen erstmal mit ihm darüber zu reden. Franky war eher ein Mann, dem er Vertrauen schenkte; besonders nach all den Erzählungen anderer und er brauchte jemanden, der ihm half. Aßen sie gemeinsam, herrschte Frieden, aber der konnte schneller kippen als es ihnen lieb war. Zorro beugte sie näher zu Nami. „Soll ich ihn fragen?“, flüsterte er ihr dabei ins Ohr. Nami verzog eine Miene. „Nein.“ „Nur ein Gedanke, er kennt bestimmt die Hintergründe.“ Schön für ihn!, dachte sich Nami und schüttelte vehement den Kopf. Wenn sie sich Sorgen machte, dann war es ihre Sache. Immerhin war ihr die Archäologin keine Rechenschaft schuldig. „Kümmere dich lieber um dein Problem.“ „Was heckt ihr aus?“, hinterfragte Vivi das Flüstern ihrer Freunde. Mittlerweile sprachen sie oft miteinander und waren sie in der Gruppe unterwegs, dann meist abseits. Würde Vivi sie nicht kennen und es besser wissen, so würde sie ihnen eine heimliche Liebelei unterstellen. „Nichts!“, kam die Antwort, wie aus einem Mund. „Ich geh mal nachsehen, wie sich Sanji macht“, wich Nami aus und sprang auf die Beine. Kapitel 16: Accidempoli! ------------------------ Zum Teufel noch mal! 8. September 2012 „Ace hat mich vor ein paar Tagen angerufen“, erzählte Ruffy, sichtlich glücklich. Manchmal hörte er Monate nichts, umso mehr freute er sich über ein Lebenszeichen. „Ist momentan in Brasilien.“ Nebenbei griff er bereits zum dritten Stück Kuchen; obwohl sein Magen bereits rebellierend aufhorchen ließ, konnte er nicht widerstehen. Sanji stieß einen Pfiff aus. Der Mann bereiste wahrlich die Welt. Das letzte Treffen lag bereits drei Monate zurück; er war für ein paar Tage herein geschneit und ohne große Worte wieder verschwunden. Wie er solch ein Dasein aushielt, vermochte der Koch nicht zu sagen. Krumme Geschäfte, zwielichtige Treffen, die Unsicherheit im Nacken; einzig mit der Reiserei könnte sich der Koch anfreunden; Ace sah dadurch viele spannende Orte. „Meinst du, er legt in nächster Zeit einen Abstecher ein?“, bohrte Zorro nach. Wäre auf jeden Fall ein wünschenswerter Zeitpunkt, aber wie erwartet, wurde der kurze Hoffnungsschimmer sogleich von einem Kopfschütteln zunichte gemacht. „Nein, sagte, er bliebe mindestens einen Monat.“ „Erzählt er dir eigentlich von dem, was er macht?“, klinkte sich nun Nami ins Gespräch ein. Bislang konnte sie sich weiterhin kaum einen konkreten Eindruck über Ruffys Bruder schaffen. Denn unter krumme Dinger und den Aussagen, welch ein korrekter Typ er war, konnte sie kein detailliertes Bild machen. Neben ihr saß Vivi und rutschte unruhig hin und her; Nami merkte, wie wenig ihr diese Unterhaltung zusagte. Vermutlich lag es einfach an ihrem Gerechtigkeitssinn. Sie missbilligte Verbrechen jeglicher Art. Keine allzu große Überraschung, schließlich war ihr Vater Politiker und sie hatte sehr wohl einen guten Draht zu polizeilichen Behörden. „Nein“, wiederholte Luffy, „Seiner Meinung nach ist es besser, ich weiß nicht allzu viel und ist er hier, möchte er gar nicht daran denken, sondern genießt lieber die gemeinsame Zeit.“ „Recht hat er“, kicherte Bonney und zwinkerte der Gruppe zu, „oder würdet ihr unserer Weichbirne einen Mord oder einen Raubzug anvertrauen oder gar das Versteck der Drogenvorräte? Im schlimmsten Fall posaunt er es in mitten einer Menschenmassen hinaus.“ „Hey! Tue ich nicht!“, verteidigte sich der Straßenkünstler und plusterte die Wangen auf. „Den Teil überhöre ich lieber“, wisperte Vivi stöhnend; im selben Augenblick legte sich Namis Arm um ihre Schultern und drückte den Körper sacht an sich. „Hast dir einen tollen Schwanger ausgesucht“, kicherte sie und schenkte ihrer besten Freundin ein breites Grinsen. „Als ob ein asexueller Freund, der von Bienen und Blumen noch nie gehört hat, nicht schon hart genug ist.“ „Ha. Ha. Witzig!” Vivi streckte ihr die Zunge heraus. Dass Luffy ein spezieller Fall war, war ihr mehr als bewusst. Leider konnte sie ihre Gefühle nicht lenken und ihnen somit die Richtung vorgeben; sie taten, was auch immer sie gerade wollten. Vielleicht verloschen sie eines Tages, sobald sie einen anderen erblickte, aber bis dieser Moment eintraf, musste sie damit leben. Auch, wenn ihr mittlerweile selbst klar geworden war, wie unwahrscheinlich ein Zusammenkommen mit dem Straßenkünstler war. Wie bemerkte einst Zorro: „Bevor der Gefühle für eine Frau oder einen Mann entwickelt, betreiben wir vorher Geschäfte mit Lebewesen einer anderen Galaxie.“ „Mich würde ernsthaft interessieren, mit welchem Job er sich bei normalen Leuten herausredet, oder sagt er einfach, er hat im Lotto gewonnen und verpulvert das Geld?“ „Kannst du bitte aufhören?“ „So Leute, ich muss los“, wurde Vivi von Zorro gerettet, „Danke, dass du mich nicht vergiftet hast, Kartoffelschäler.“ „Warts ab, Moosbirne, das nächste Mal tue ich es wirklich“, griente der Koch verschmitzt. In der ersten Zeit hatte sich Sanji noch lautstark und manchmal auf trittkräftig für solche Kommentare beschwert; dann hatte er irgendwann aufgehört und eingesehen, dass das nun mal die Art dieses Idioten war. Was jedoch nicht hieß, dass sie sich nicht noch hie und da keppelten. „Bist heut früh dran. Hast noch drei Stunden“, bemerkte Bonney nun nach einem Blick auf die Uhr. Eigentlich war Zorro jemand, der gerne die Minuten ritt und sich anschließend Dank seines schlechten Orientierungssinnes verlief und somit deutlich zu spät erschien. Der Mann sah zu ihr, zuckte unbeeindruckt mit den Schultern. „Muss eben eine Besorgung machen. Nach der Schicht sind die Geschäfte leider geschlossen“, log er sogleich und schlurfte an der Gruppe vorbei, wurde jedoch von Bonneys Einwand zum Stillstehen gebracht: „Wer ist sie?“ „Bitte?“, fragte er verdutzt nach; wovon sprach sie? „Komm, du hast eine Nachricht erhalten und kurz darauf musst du los? Sag schon, wer ist die Auserkorene?“, meinte sie kichernd und deutete zuvor auf das Smartphone, das er in diesem Augenblick in der Hosentasche verschwinden ließ. „Du spinnst; da ist keine Frau.“ „Oh je, wäre mal an der Zeit. Würde deiner Frustration ein Ende bereiten und deine Laune bessern. Ernsthaft, Zorro: Sex schadet nicht“, äußerte sich Sanji auf den Kommentar hin und grinste höhnisch. „Wer ist hier frustriert? Ein freundliches Lächeln und du möchtest jede sofort bespringen. Schlimmer als ein räudiger Köter!“ „Was sagst du da?“, giftete der Koch und baute sich bedrohlich vor seinem WG-Genossen auf. „Du bist ein notgeiler Köter!“, sprach Zorro aus, betonte jedes einzelne Wort. Sanji krempelte die Ärmel seines Hemdes zurück und er glaubte eine Ader an dessen Schläfe hervorstechen zu sehen. „Als ob du eine Chance hast.“ Während Vivi entrüstet die beiden beobachtete, brach Ruffy in schallendes Gelächter aus. Er kannte das Keppeln der beiden mittlerweile zu gut und es amüsierte ihn. Bonney rollte lediglich die Augen über und nahm sich ein Kuchenstück. Auch sie war das Durchdrehen der beiden gewohnt; im Normalfall löste sich der Stunk binnen weniger Minuten auf. Dennoch hatte sie nicht damit gerechnet, dass sich die beiden aufgrund ihrer Worte sofort auf 180 brachten. „Schluss jetzt!“, ging Nami dazwischen, noch bevor die beiden ernsthaft eine Schlägerei starteten. „Du rauchst erstmal eine!“, befahl sie dem Koch regelrecht während sie Zorro am Handgelenk packte und aus dem Raum zog. „Ihr seid unmöglich!“, ließ sie dabei verlauten; kaum aus dem Wohnzimmer, schon riss sich Zorro los und marschierte schnurstracks auf sein Zimmer zu, in das ihm Nami folgte. „Die haben angefangen“, knurrte er, zog sich sein Shirt aus und suchte im Kleiderschrank nach der passenden Kleidung. „Kannst du solche Kommentare nicht ignorieren?“ Nami erhielt keine Antwort, lehnte sich deshalb gegen die Wand; die Arme verschränkte sie dabei vor der Brust und musterte ihren Freund misstrauisch. „Ein Einwand ist berechtigt, Zorro. Du bist tatsächlich schnell aufgesprungen.“ „Nach unserem Gespräch habe ich Bruno gefragt, ob er mir Bescheid gibt, sollte Franky aufkreuzen. Siehe da, Bruno hat Wort gehalten und mir geschrieben. “, klärte er Nami entnervt auf; nebenbei knöpfte er sich das Hemd zu. „Lieber rede ich vor meiner Schicht mit ihm – In Ruhe, verstehst du mich?“ Leider konnte er schwer neben den anderen die Wahrheit sagen, insbesondere, wenn die Person, um die es sich drehte, direkt in ihrer Mitte saß. „Ich halte dich auf dem Laufenden“, nuschelte er Minuten später, als er in seine Schuhe schlüpfte. „Du kommst heute nicht, oder?“ Zorro blickte nochmals zurück; Nami schenkte ihm ein bejahendes Nicken. „Gut, man sieht sich.“ Damit verschwand er aus der Wohnung, äugte auf die Uhr am Handgelenk und war zufrieden. Er lag in der Zeit und würde nicht den falschen Weg nehmen, nicht dieses Mal! „Bist du sauer auf mich?“, drang an seine Ohren als er auf die Straße trat. „Verfolgst du mich?“, kam die Gegenfrage. Das Keppeln an sich war meist schnell vergessen, aber dieses Mal stoß es ihm ordentlich auf. „Was möchtest du?“, brummte Zorro. An ein Warten der Überlebenskünstlerin hatte er nicht gedacht. „Sei nicht angepisst. Einen Streit anzetteln, habe ich nicht vorgehabt“, kam es kleinlaut. Bonney gehörte nicht zu jenen Menschen, die gerne einen Fehler eingestanden; noch weniger zu denen, die sich entschuldigten. Unter den Teppich kehren mochte sie viel lieber, bei ihm jedoch, wollte sie die Wogen rasch glätten. „Ja, ja, schon okay. Bis dann.“ Zwar hatte sich Zorro bereits in Bewegung gesetzt, aber weit kam er dann doch nicht. „Kann ich mitkommen? Bräuchte einen Verdauungsspaziergang.“ „Traust du dich überhaupt alleine zurück?“ „Autsch“, griente sie und überbrückte den Vorsprung, „sag mal, was musst du wirklich so dringend einkaufen?“ Mit Zorro wollte sie es sich nicht verspielen; zwar schien sich der Zwist mit den anderen wieder beruhigt zu haben, aber konnte sich die Ruhe schnell wieder ändern. Hie und da versuchten sie dennoch noch herauszufinden, was denn mit ihr los war. Besonders gerne mit unterschwelligen Kommentaren. Zorro hingegen blieb sich treu; drängte nicht auf Antworten sondern verhielt sich in ihrer Gegenwart wie eh und je. Solch ein Verhältnis durfte nicht kippen. „Kaputtes Ladekabel. Ist mir eingefallen, als ich aufs Display geschaut habe.“ „Haben wir nicht genügend auf Reserve?“ „Will halt mein eigenes haben.“ „Ist dann schnell kaputt geworden, heute Vormittag hat es noch geladen.“ Verschmitzt lächelte Bonney, klopfte Zorro auf die Schulter. „Scusa, aber du bist ein miserabler Lügner!“ Nun gut, wenn er ihr nichts erzählen wollte, musste sie seine Einstellung akzeptieren. Schließlich forderte sie dasselbe. „Viel Spaß beim Einkaufen, ich geh einfach in die andere Richtung.“ Kopfschüttelnd wandte sie sich ab und machte tatsächlich, was sie gesagt hatte. Zorro schnaufte, blickte ihr hinterher. Lügen war nun mal nicht sein Metier, schließlich war er eher für seine offene Art bekannt. Entweder schwieg er oder legte seine Meinung unverblümt auf den Tisch. Ein Mittelweg existierte im Normalfall nicht. Zum Teufel noch mal! Warum machte er das überhaupt? × × „Ist dir ein Geist über den Weg gelaufen?“, äußerte Hocha betreten als ihr die schwarzhaarige Archäologin unter die Augen trat. „Eine recht passende Umschreibung“, gab Robin trocken zu verstehen; zwar hätte sie gewiss eine passable Erklärung geben können, aber hatte die andere unbewusst ins Schwarze getroffen. Das Wiedersehen hatte in der Tat sichtbare Spuren hinterlassen; denn weiterhin vermochte Robin nicht zu begreifen, dass das tatsächlich das Gör war, das einst ihr Leben genauso verachtete, wie sie es von ihrer Mutter vorgelebt bekommen hatte. Bevor Hocha antwortete, schwang die Nebentür ihres Büros auf; ihr Mann Roche, mit dem sie sich die Leitung teilte, kam herein. Das Gespräch lag auch in seinem Interesse und so hatte er Hocha im Vorfeld gebeten, ihm Robins Eintreffen mitzuteilen. „Du hast uns lange warten lassen!“ Ein Strahlen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Wie seine Frau kannte er Robin Nico seit der Geburt; für beide war Olvia nicht nur eine Kollegin gewesen, sondern eine gute Freundin. Umso mehr hatte er den abrupten Kontaktabbruch bedauert. Genügend Fragen schwirrten durch seinen Kopf, aber vorerst lag ein Grund hinter dem gesuchten Gespräch. „Hat Hocha dich bereits aufgeklärt?“, fragte er, erntete einen tadelnden Ausdruck seiner Frau. „Wohl nicht.“ „In den drei Minuten ist nichts Berauschendes vorgefallen. Bitte, klärt mich bitte auf.“ Hocha deutete ihr Platz zu nehmen; das sie selbst tat, aber Robin hielt es auf den Beiden. Clovers Geist schwebte noch umher. Einst war das sein Büro gewesen. Möbel wurden ausgetauscht, aber an den Bücherregalen hatte sich wenig verändert. Manche der Titel, die ihr auf Anhieb ins Auge sprangen, hatte Robin selbst gelesen. Auf die Frage, ob sie einen Kaffee wollte, nickte sie bloß. „Clover hat uns um einen Gefallen gegeben“, rückte Roche mit der Sprache heraus und stellte die Tasse ab. Er tat es Robin gleich, blieb stehen, betrachtete mit ihr die Bücher, „Keine Kinder, keine Geschwister, keine sonstigen Verwandten. Er war der Letzte seiner Linie.“ „Wir reden über sein Vermächtnis“, drückte sie schlicht aus, bevor Roche länger ausschweifte; beide nickten ihr zu. „Natürlich wirst du noch auf offiziellem Wege kontaktiert; ein Testament hat alles geregelt und du bist als Hauptbegünstigte eingetragen, aber …“, und dabei blickte Hocha hilfesuchend zu ihrem Mann. „Clover hat dir gewisse Stücke, Dokumente hinterlassen; solche, die er …“, auch Roche machte eine Pause, als er weitersprach war seine Stimme ein Flüstern, „Er dürfte sie gar nicht haben.“ Robin Nico kämpfte erneut mit ihrer Fassung; sie behielt die Fassade krampfhaft aufrecht, niemand sollte ihre Verblüffung oder gar ihre Bestürzung, die sie hierbei empfand, sehen. Und doch rang ein anderes Gefühl um die Vorherrschaft: Neugierde. Eine bis in die Fingerspitzen registrierbare Neugierde. Was um alles in der Welt hatte ihr Mentor versteckt gehalten? Und warum hatte er ausgerechnet sie, die ihm über ein Jahrzehnt aus dem Weg gegangen war, auserkoren? „Wie darf ich das verstehen?“, fragte Robin nach einem Räuspern. Roche tauschte nochmals einen Blick mit seiner Frau aus ehe er in die Brusttasche seines Jacketts griff; er holte sowohl ein Kuvert als auch einen kleinen Bund, auf dem sich vier Schlüssel befanden, hervor. Zögernd starrte er selbst auf die Objekte, bevor er diese Robin übergab. „Hier, für sein Anwesen. Und der Brief … Ich bin ehrlich, Robin, ich habe keinen blassen Schimmer, was darin geschrieben steht, noch was er dir damit sagen möchte. Er hatte uns lediglich darum gebeten, dir beides auszuhändigen. Persönlich versteht sich.“ Konsterniert studierte Robin das Kuvert; sie kannte diese Umschläge; die raue Oberfläche hatte sie oftmals in Händen gehalten. Was verbarg sich darin? Schließlich griff sie nach der Kaffeetasse, denn den Koffeinschub hatte sie nun bitter nötig. „Wir alle stoßen irgendwann an diesen einen Punkt … wo wir einen Weg einschlagen, einen gefährlichen Weg und alles andere als legal ist“, war es Hocha, die das beklemmende Schweigen löste, „denk bitte nicht schlecht von Clover!“ „Für mich bleibt er auf ewig derselbe.“ Kapitel 17: Un tassello del puzzle. ----------------------------------- Ein Stück des Puzzles 8. September 2012 Ich erinnere mich genau an den Tag, an dem ich Deine Mutter kennen gelernt habe. Eine junge, ehrgeizige Frau voller Ideale und einer ansteckenden Leidenschaft. Nichts erschien unmöglich; kein Hindernis zu hoch. Jede Herausforderung spornte sie an. Dein Vater – er ging viel zu früh, Du hättest ihn geliebt; ein rechtschaffender Mann, der allzu gerne zu nah an den tosenden Flammen wanderte; irgendwann konnte er nicht mehr ohne – kam aus dem Nichts. Bis dato lebte Olvia der Leidenschaft wegen, er jedoch, eroberte ihr Herz in Windeseile. Plötzlich bot das Leben mehr und, das darfst Du mir glauben, sie passten zueinander, wie eine Faust aufs Auge. Ein bemerkenswertes Paar (In den späten Jahren, habe ich mich mehrfach gefragt, ob es ihnen nicht doch gereicht hätte – Sich zu haben, Dich! Das Leben wäre gewiss in anderen Bahnen verlaufen!). Es tut mir Leid, das Du sie nie beisammen gesehen hast. Dass Du nie die Gelegenheit hattest mit Mutter und Vater aufzuwachsen. Stattdessen haustest Du mit dieser Teufelin, dessen Mann nicht den Mut aufbrachte, ihre Boshaftigkeit zu zügeln (Ihre Tochter kommt mittlerweile vermehrt mit ihren Kindern und – nie habe ich daran geglaubt! – scheint einen anderen Weg eingeschlagen zu haben. Ein Wunder? Sie hat sogar nach Dir gefragt. Vielleicht ist die Zeit zur Versöhnung gekommen? Ihr seid eine andere Generation, als Kind wusste sie es nicht besser. Eltern haben einen enormen Einfluss). Du musst wissen, nach Deines Vaters Tod war Deine Mutter am Boden zerstört. Zum ersten Mal habe ich Schmerz in ihren Augen gesehen; sie weinen zu sehen, hat auch mich zutiefst berührt. Dir gegenüber hat sie es nie gewagt, sich trauernd zu geben. Bei seinem Tod bist Du ein Jahr alt gewesen und ich vermute, Du hast gedacht, sie hat sein Ableben überwunden. Hat sie nicht, hat sie nie. Die Arbeit ist ihre Zuflucht geworden, und so vieles mehr. Daher meine folgenden Worte. Wir dienen der Bewahrung, Robin, aber stoßen wir manchmal in eine Dunkelheit vor, in der wir uns entscheiden müssen (Nicht alle, die diese Berufung ausüben, versteht sich, aber manche und wir gehören zu diesen), welchen Weg wir einschlagen. Dringen wir tiefer oder machen wir kehrt. Diese Entscheidung bleibt jedem überlassen. Deine geliebten Eltern wählten erstere Option (Wie ich, aber dazu kommen wir noch). Es ist ein gefährlicher Pfad so nah am Abgrund zu wandeln. Manches gehört vergessen – Sagen sie. Und sie tun alles in ihrer Macht stehende. Ich bin alt und müde, Robin, und wenn Dir diese Zeilen vorgelegt werden, bin ich gegangen. Die Zeit ist reif, dass ich mein Jahrzehnte andauerndes Schweigen breche. Der Tod kam Deinen Eltern nicht als Freund entgegen; sie sind Dir nicht natürlich genommen worden. Ihre Zeit war nicht gekommen, sie wurde ihnen genommen. Bonney biss in ein kaltes Pizzastück. Dabei waren ihre Ellbogen an der Fensterbank abgestützt und der Blick wanderte über die beleuchtete Straße unterhalb des Küchenfensters. Die raue Nachtluft, die ihren Körper erfasste, spürte sie kaum; zu sehr hing sie ihren Gedanken nach. Vorerst gehörte ihr die Wohnung allein; denn im Gegenzug zu Ruffy und Sanji, die sich neuerlich nach draußen aufgemacht hatten, war sie zurück geblieben. Nicht, weil ihr erneut die Angst im Nacken saß, sondern um in Ruhe nach zu denken. Besonders Zorro bereitete ihr – Ja, was eigentlich? Missmutig biss sie erneut ein Stück ab. Seit sie ihm davon erzählt hatte, wenn auch bloß einen kleinen Happen, nahm sie eine Veränderung wahr. Keine Welten zerstörende, aber war diese bedenklich, und vollkommen untypisch. Vielleicht, ja, vielleicht hatten diese wenigen Worte bereits zu viel ausgesagt. Bislang lebten die Freunde miteinander, ohne jemanden seine Vergangenheit heraus kitzeln zu wollen. Die Vergangenheit war unwichtig, es zählte das Hier und Jetzt, in dem sie beieinander und glücklich waren. Die eigenen Päckchen spielten keine Rolle und während sich Ruffy und Sanji mittlerweile beruhigt hatten – Nun gut, vorwiegend Ruffy, denn bei Sanji bemerkte sie gerne noch die sorgenden und fragenden Blicke, verhielt sich Zorro anders. Als ob ihm Bonneys Schweigen störte. Ausgerechnet Zorro! Und irgendwie – Was war bloß in sie gefahren? – gefiel ihr sein Interesse an ihrem Leben. „Cazzo!“, nuschelte Bonney. × × Du warst ihr Stolz, ihr Licht. Dich so früh zu verlassen, lag nie in ihrem Interesse. Eines Abends saßen wir beieinander. Ein ungutes Gefühl verfolgte Olvia seit Wochen. Wir sprachen über Dich, über Deine Zukunft, Deine Absicherung. Uns war bewusst, welchen Weg Du eines Tages einschlagen würdest: In ihre Fußstapfen zu treten. Nie habe ich daran gezweifelt. Deine Wissbegierde, Dein Drang zur Erkundung. In Dir sah ich dieselbe Leidenschaft und auch noch in solch einem jungen Alter. Wo wir bei dem Brechen meines Schweigens sind. Für geraume Zeit stand die Überlegung im Raum, Du sollst bei mir leben. Ich sollte Dich aufnehmen, Dir ein zu Hause bieten. Verzeih, aber ich lehnte ab. Schon damals war ich nicht der Jüngste. Was hätte ich Dir geboten? Ein alter Mann, der viel zu viel im Leben gesehen hatte und selbst seinen Arbeiten nacheiferte; ein alter Mann, der auf demselben Pfad wandelte. Mein gesamtes Leben war darauf aufgebaut (Und als Kind konnte und durfte ich Dich nicht in diesem Haus leben lassen; Du solltest nicht in diesen Strudel gezogen werden). Das Leben bei deinen Verwandten sollte Dir – Obwohl Du anders darüber denkst – ein halbwegs besseres, allen voran sichereres Leben bieten. Es tat weh, wenn ich mit ansehen musste, wie grauenhaft Deine Tante doch war. Und doch, Du hast Deinen Weg gefunden. Leider bin ich mir nicht sicher, ob er mir zu gefallen weiß. Du bist nach Moskau und hast Dich abgewandt. Bis heute ist mir der Grund schleierhaft. Ich stellte mir damals unzählige Fragen. Waren es die Erinnerungen an Deine Mutter, das Leben vor ihrem Ableben? Wolltest du den Neustart wagen? Wenn ich es früher nicht war, dann bin ich nun ehrlich mit Dir, Robin, ich denke folgendes: Ich denke, Du hast Dich an einer Weggabelung befunden. Du hast Dich entschieden. Du hast die Dunkelheit in Dein Leben gelassen. Bloß welche ist mir unbekannt. Solch ein Wechsel, solch ein Abwenden kommt nie von irgendwo her, es wird gewählt. Ich habe geschwiegen, Dich gelassen. Warum? Weil Du nie darüber gesprochen hättest. Ob Du glaubst oder nicht, ich kenne Dich. Ja, ich kenne Deinen Pfad nicht, aber bin mir dessen bewusst, dass er nicht jener ist, auf dem Deine Eltern und ich Jahrzehnte wandelten und bestimmt ist es keiner, den wir uns erhofft haben. Ist er gefährlicher? Ich wage es kaum zu urteilen. Denn ist das eigene Leben bedroht, sind sie alle auf einer Stufe (Inständig hoffe ich, ich irre, aber mein Gefühl – Und Du weißt, es log nie – sagt es mir). Liege ich richtig, dann lass mich eine Frage stellen: Hast Du ein Ventil? Wir alle fanden Frieden darin. Du warst es für Deine Mutter. Die Zeit, die sie mit Dir verbrachte, ließ jegliche Ängste verschwinden – Wenn auch nur für diese ruhigen, aber kostbaren Momente. Hast Du noch keines, dann such Dir eines. Denn ohne ist solch ein Dasein zermürbend. Wir alle brauchen etwas oder besser jemanden, der uns bei Verstand hält. Uns zurück in eine andere Welt, in das Licht zieht. Ohne … sind wir verloren. Ich habe es selbst erfahren (Wie Du siehst, halte ich Dir keine Predigt, Du sollst Dein Leben ändern. Selbst dann, wenn ich wüsste, womit Du Dich umgibst und plagst, könnte ich es nicht. Dafür habe ich keinen Deut besser vorgelebt). „Was möchtest du?“, brummte der Barkeeper; höflicher konnte er mit dieser Frau einfach nicht umgehen. Egal, wie sehr er es versuchte, aber lud sie förmlich dazu ein. „Eine Empfehlung?“, säuselte Perona süßlich. An diesem Abend hatte sie den richtigen Riecher gehabt. Bis auf Sanji, der mal wieder auf einem Aufriss war, war niemand da, und so konnte sie die Zeit ein wenig auskosten, wenngleich ihr sein missgelauntes Gemüt entgegen schlug. „Perona … ich hab alle Hände voll zu tun, also entscheide dich … bitte!“, knurrte er dieses Mal und nahm nebenbei bereits eine andere Bestellung auf. An diesem Abend hatte er weitaus mehr zu tun, als an den vergangenen zusammen. Keine Ahnung, woher auf einmal der plötzliche Andrang kam. Auf der anderen Seite, kam es gerade passend. So vergingen die Stunden recht schnell. Zwei Stunden noch und er konnte nach Hause gehen, und er würde tatsächlich versuchen Nami zu erreichen. Ihr erzählen, was denn Franky gesagt hatte. Mittlerweile tat es gut, jemanden zu haben, mit dem er darüber sprechen konnte. Es machte alles leichter, er musste nichts hinunter schlucken und sich alleine Gedanken drum machen, die ihn manchmal nicht los ließen. Perona musterte ihn einen Augenblick lang kritisch, ehe sie die Karte zückte, zu den Cocktails blätterte und blindlings einen auswählte. „Das Los hat entschieden, den hier“, meinte sie bloß und ihr Zeigefinger verwies auf das gewünschte Getränk. Zorro schnaufte, versuchte so gut es ging, eine erhellende Miene aufzusetzen, nur um sich anschließend zu sich selbst murmelnd aufzuregen. Warum sie es bis heute versuchte und nicht locker ließ, war fern jeglichen Verständnisses. Würde Perona ihre Art verändern, könnten sie auf Dauer sogar miteinander auskommen. Als Freunde verstand sich, denn mehr kam bei ihnen nie zu Stande. „Du bist ganz schön … wie sagt man? Unrund.“ „Unrund“, wiederholte Zorro die Stirn runzelnd. Er lachte, „Eine passende Umschreibung!“ × × Hocha oder Roche oder gar beide, dürften Dir mitgeteilt haben, dass Du die alleinige Erbin meines Hab und Guts bist. Wehe Dir, Du fragst nach dem Grund. Ganz gleich, was geschehen ist, Du warst und bist mir eine Enkelin gewesen. Von Deiner Geburt hinweg habe ich ein Auge auf Dich geworfen, selbst im Erwachsenenalter, obwohl ich Dir nie nahe sein konnte oder durfte. Dementsprechend bist Du der einzige Mensch, dem ich all das anvertraue, das ich über Jahrzehnte angehäuft habe. Und bald wirst Du erkennen, dass nicht nur zählt, dass Du offenkundig siehst. Suche und Du wirst finden und verstehen, warum manches geschehen ist. Du wirst eine Wahrheit in Erfahrung bringen, sofern Du gewillt bist. Was Du anschließend daraus machst, welche Erkenntnis Du Dir mitnimmst, sei voll und ganz Dir überlassen. Sieh Dich um, nimm Dir Zeit, aber das Puzzle löst sich erst nach und nach. Mit diesem Brief habe ich Dir lediglich die ersten Stücke gereicht. Im Schein der Lampe sitzend, lauschte Robin dem Freizeichen. Von all ihren Kontakten hatte sie sich ausgerechnet für sie entschieden. Warum sie das tat, verstand sie nicht – Nun gut, natürlich lag ein triftiger Grund dahinter, aber es war nicht gut, nicht richtig und doch wiederum das, wonach sie sich gerade sehnte. „Sieh an, die Reisende meldet sich“, erklang die süßliche und helle Stimme, die Robin ein wohliges Lächeln entlockte. „Stör ich?“, kam sogleich die Frage; schließlich hatte sie sich die letzten Tage über verkrochen, gewehrt sich zu melden, um sich um ihre eigenen Gedanken und Gefühle zu kümmern. „Iwo, sagen wir, du bescherst mir eine willkommene Verschnaufpause.“ „Wovon?“ „Von einem bizarren Film und einer Warterei, aber davon erzähl ich dir lieber ein anderes Mal. Also, was verschafft mir das Vergnügen? Wie ist dein Aufenthalt?“ Mir geht es schlecht und ich dacht‘ an dich, brannte der Archäologin auf der Zunge, aber verbiss sie sich jenen Drang. So weit war sie nicht, so etwas passte nicht. „Ermüdend. Sag, hast du morgen Abend Zeit für mich? Ich fliege zurück und schließlich musste ich hierfür eine Verabredung absagen.“ „Oh, eine Widergutmachung? Gern, bisher ist nichts in Planung. Aber … ist alles in Ordnung bei dir?“ Ein tiefer Seufzer erklang seitens der Archäologin, die sich müde die Nasenwurzel rieb. „Lass uns morgen reden, ich erzähl dir dann mehr von meiner Reise, einverstanden?“ Eine Pause trat am anderen Ende der Leitung ein, wiederum hörte sie nun eine sachtes Durchatmen, bis sie ein „Einverstanden“ vernahm. „Gute Nacht, Nami.“ Nachdem das Telefonat beendet wurde, starrte Nami noch eine Weile auf das Display. Der Anruf kam aus dem Nichts, umso mehr hatte sie die verräterischen Schmetterlinge in ihrem Bauch gefühlt, als der Name aufleuchtete. Insbesondere nach jener unangenehmen Funkstille. Dennoch brachte sie das Gespräch kein Stück weiter; Nami wurde nicht schlauer aus dem Handeln der älteren Frau. Da diese nun nach einem Treffen gefragt hatte, konnte sie lediglich darauf hoffen, dass sie tatsächlich etwas erfuhr. Leise brummte sie und wollte gerade das Smartphone zur Seite legen, als eine Nachricht eintraf. Sogleich erhaschte sie den Namen des Absenders, darauf hatte sie seit sich Zorro aufgemacht hatte, gewartet. »Heut ist die Hölle los! Dabei verschenken wir nichts! Franky stellt sich zur Verfügung. Ruf dich morgen an oder bist du bis Ende meiner Schicht wach?« Namis Stirn legte sich nachdenklich in Falten; ihr Blick haschte zur Uhrzeit. Kurz nach zehn Uhr, gute vier Stunden also. Natürlich wollte sie Details, besonders darüber, wie Franky voran gehen würde. Und so tippte sie rasch ihre Antwort. »Kann nichts versprechen, aber versuch dein Glück. Bin neugierig~« Ein Räuspern ertönte, und Nami durchfuhr ein Zucken. Vivi stand im Türrahmen, musterte sie durchdringlich. „Kommst du noch oder soll ich den Film alleine beenden?“ Da beide keine Lust darauf hatten, sich draußen zu vergnügen, hatten sie sich für einen Filmabend entschieden. Mittendrin war eben der Anruf der Archäologin gekommen, wofür sie sich lieber in ihr Zimmer zurückgezogen hatte; schließlich mochte sie es selten, wenn ihr jemand zu hörte. Besonders dann nicht, wenn sie selbst keinen blassen Schimmer hatte, was denn nun auf sie zukam. Und so fuhr Nami von ihrem Bett hoch. „Hab mich über die Hälfte durchgekämpft, glaubst du, ich gebe da an der Ziellinie auf?“, feixte der Rotschopf. Kapitel 18: Una cena ... ------------------------ Ein Abendessen ... 1. August 2012 Draußen verblasste gemächlich die Schwüle des Tages. Wind war aufgekommen, der der vom Tage stehenden und stickenden Luft Einhalt gebot. Gar die Temperatur schien Gnade walten zu lassen – Wenn auch nur für die wenigen spürbar. Von der aktuellen Wetterlage bekam Nami noch nichts mit, denn die Klimaanlage verströmte eine angenehm kühle Brise während sie vor einem Bücherregal, das die gesamte südliche Wand in Beschlag nahm stand und neugierig die Titel beäugte. Manche sagte ihr nichts, andere wiederum bescherten ihr eine wage, verschwommene Erinnerung. Irgendwann hatte sie davon gehört – Vermutlich im Schulunterricht. Erst bei jenen Büchertiteln, die Ortsangaben enthielten, blühte sie auf. Solch ein Lesestoff entsprach eher ihrem Interesse und dabei stach ihr ein Buch besonders ins Auge, das sie sogleich aus dem Regal nahm. „Entschuldige die Warterei.“ Robin Nico fühlte sich nicht wohl dabei, aber musste sie der Arbeit neuerlich Vorrang gewähren. Eine Deadline war einzuhalten – Etwas, das ihr im Normalfall nie schwer fiel, aber in den letzten drei Tagen war kaum etwas unter die Kategorie der Normalität gefallen und sie wurde ungemein auf den Beinen gehalten. Von der eigentlichen Arbeit war sie abgehalten worden und das stieß ihr sauer auf. „Tue dir keinen Zwang an.“ Nami hatte sich auf dem Ledersessel, der direkt vor dem Schreibtisch stand, niedergelassen und sogleich das Buch aufgeschlagen. Gespannt stöberte sie darin; überflog Seite für Seite, bis sie an einer Passage angelangt, die ihr neue Informationen zuspielte. Konzentriert las sie Zeile für Zeile, blätterte weiter und fand eine dazu gehörige Abbildung einer alten Karte, die ihre Augen aufleuchten ließ. Woher die Leidenschaft zur Kartographie kam, konnte Nami bis heute nicht benennen. Denn seit ihrer Kindheit an, strahlten Karten eine unüberwindbar scheinende Faszination aus. Das Tippen verstummte für wenige Sekunden; Robin spähte über den Bildschirm hinweg. So vertieft, so eingetaucht in eine andere Welt, sah sie die junge Frau zum ersten Mal und Robin kam nicht drum herum sie dabei zu beobachten und zu lächeln. „Was ist?“, feixte Nami – Natürlich war der Blick der Archäologin nicht ungesehen geblieben, den sie nun über den Buchrand hinweg erwiderte. Ertappt, schüttelte Robin den Kopf. „Gib mir fünfzehn Minuten und das Buch – Du kannst es dir gerne ausborgen.“ 9. September 2012 „Ich kann auf einen Sprung vorbei schauen, sofern du möchtest.“ Vorgestern hatten sie bereits miteinander gesprochen und Kalifa hatte durchaus geahnt, dass der nächste Anruf spätestens an diesem Sonntag folgte; schließlich war ihr Rückkehr bereits bekannt gewesen. Knapp fünf Minuten telefoniert, und schon hatte Kalifa den notwendigen Überblick erhalten oder besser, die aktuelle Lage. Nun war es durchaus klar, dass sich jene komplizierte Lage in die Länge ziehen würde. „Brauchst du für nächste Woche Begleitung? Ich unterstütze dich, das weißt du … und Franky und Kaku. Wir sind da.“ Daran gab es kein Rütteln. Sie waren Freunde, eine kleine – wenn auch bizarre – Familie, die sich tatkräftig unterstützte. In allen Belangen. „Danke – Und nein. Belassen wir es bei dem morgigen Treffen, dort können wir alles Weitere besprechen.“ Um bei der Wahrheit zu bleiben, hatte Robin lediglich die Abmachung erfüllt und sich, wie versprochen, gemeldet. Kalifa hatte seither die Angewohnheit. Jeder musste sich nach einer Reise melden. Egal welcher Natur diese auch war. Obwohl sie nicht länger darüber sprechen wollte, empfand sie dennoch Dankbarkeit; besonders der Blonden gegenüber. Schließlich hatte ihr diese Freitag lange genug zugehört und an momentan war ihr nicht nach einem expliziteren Gespräch zu mute, zumal noch eine Verabredung auf sie wartete. „Sag, hast du noch etwas vor?“, hörte sie das Kichern ihrer Vertrauten und Robin war froh, dass sie lediglich miteinander telefonierten. Denn deutlich, prompt auf Kommando, kam ihr der belustigte Gesichtsausdruck in den Sinn, den Kalifa stets passend zu dieser Stimmlage trug. Säßen sie sich gegenüber, so würde sie die Blonde nie und nimmer aus dem Haus bekommen. „Daran gedacht, dass ich ankommen und die erworbenen Erkenntnisse sacken lassen möchte?“ Niemanden hatte sie hiervon erzählt. Das hatte Zeit. Und das bisherige Gerede, das sie sich unter ihren Freunden ausgebreitet hatte, reichte. „Geht ihr schick Essen? Der Nachtisch lässt längst auf sich warten.“ „Kalifa!“, antwortete sie streng. „Schon gut, schon gut – Viel Spaß!“ Das Säuseln in der Stimme blieb nicht ungehört. Natürlich nahm Kalifa die sofortige Witterung auf. Anderes würde nicht ihrem Charakter entsprechen. Zu Robins Überraschung jedoch, war das Telefonat beendet. Bestimmt lag es daran, dass sie sich morgen zu Mittag trafen und dort würde die blonde Killerin garantiert darauf zurückkommen. Das Smartphone wurde zur Seite gelegt; tief atmend beugte sich die Archäologin vor und vergrub das Gesicht in den Handflächen. All das in Erfahrung gebrachte, musste verdaut werden; Robin spürte das sachte, nicht vordringende Kratzen an der Spitze des Eisberges. Was erwartete sie? Die Nacht hatte sie im Anwesen verbracht, die Räume oberflächlich unter die Lupe genommen. Zwar überwog die Neugierde, aber hatte sich Robin entschieden, das Untersuchen für den nächsten Besuch aufzusparen. Für mehr war ihr keine Zeit geblieben, denn hätte sie bereits ein weiteres Puzzlestück gefunden, dann wäre sie gewiss nicht nach Venedig zurück geflogen. Etwas, das sie sich diese Woche nicht erlauben durfte. Und vielleicht – sofern ihr Gemütszustand es zuließ – würde sie die Einladung ihrer Cousine annehmen. Sie besuchen, ihren Mann kennenlernen und über alte Zeiten zu plaudern. Wenn ihr danach war. Dann froren jene Gedanken ein. Ein Klingeln ließ die Hände sinken und der Blick glitt zur Standuhr. Pünktlich auf die Minute und verräterisch zuckten ihre Mundwinkel. Hiermit brach sie eine alte Gewohnheit. Statt einem Treffen irgendwo in der Lagunenstadt nachzugehen, hatte sie die junge Frau kurzerhand eingeladen, zu sich nach Hause. Ein Vorschlag, der Robin neuerlich aufzeigte, wie sehr ihr Leben auf den Kopf gestellt wurde. 18. August 2012 „Gott“, stöhnte die junge Frau, gefolgt von einem langgezogenen Gähnen. Warum hatte sie diese Idee gehabt, sich früher auf den Weg zu machen, um etwas vom Tag zu haben? In der Nacht hatte sie deutlich weniger Schlaf gefunden, umso schwieriger war sie aus dem Bett gekommen. Es dämmerte und neben ihr hörte sie ein helles, belustigendes Lachen. „Ich habe mir schon gedacht, dass du das bereuen wirst“, kommentierte Robin, nippte nun an ihrem Kaffee. Das frühe Aufstehen hatte sich noch nie als Problem erwiesen, daran war sie gewohnt. Umso mehr hatte es sie überrascht, als Nami den Vorschlag gemacht hatte. „Komm, trink deinen Kaffee. Er kann Wunder bewirken.“ Argwöhnisch blickte Nami hoch, die andere musternd. „Ist das dein Geheimnis? Der Koffeinschub?“ Wie sonst konnte jemand knapp nach sechs Uhr morgens so putzmunter daher kommen? „Nicht nur, aber die Macht der Gewohnheit trägt dazu bei“, antworte Robin amüsiert. Natürlich wusste sie von der recht kurzen Nacht. „Trink und du darfst während der Autofahrt Schlaf nachholen.“ Von Nami kam ein hörbares Schnaufen, ein ungläubiges Kopfschütteln, welches Robin irritierte. „Ich bezweifle, dass wir lange genug unterwegs sind.“ „Du hast dir Padua ausgesucht und eine Stunde ist für eine kurzes Schläfchen ausreichend.“ „Eine Stunde? Tut mir leid, Robin, aber vorher muss ich mich erst von deinen Fahrkünsten überzeugen“, flötete die Jüngere, die nun ihr Schritttempo beschleunigte und vergnügt kicherte. „Pardon? Zweifelst du an ihnen?“ Stirnrunzelnd warf sie Nami einen verblüfften Blick zu, die sich im Gehen kurzerhand umdrehte und keck grinste. Anscheinend kam jemand doch allmählich in die Gänge. „Habe ich nicht gesagt, nicht direkt. Beim Autofahren schlafe ich lediglich dann, wenn jemand am Steuer sitzt, dem ich zu hundert Prozent vertraue. Bislang schaffen das bloß zwei Fahrer, hinzu kommt, ich muss verdammt müde sein.“ „Beschwert hat sich bislang niemand. Weder bei den Dünenausflügen, den kurvigen Gebirgsfahrten noch auf den Autobahnen. Auch nicht mit dem Motorrad oder einem Schnellboot.“ „Angeberin!“ 9. September 2012 „Du hast eine interessante Art, deine Absage wiedergutzumachen“, feixte der Rotschopf. Musternd verfolgte das Augenpaar die Handgriffe der anderen. „Du lädst mich ein, also zu dir, bekochst mich – Nachdem ich Tage nichts von dir gehört habe“, ergänzte Nami ihre Aussage, hatte sie immerhin den irritierenden Blick gesehen, den ihr Robin über die Schulter hinweg zuwarf. „Stört es dich?“ „Nein, und du brauchst wirklich keine Hilfe?“ „Bezweifelst du meine Kochkünste?“ „Habe ich nie behauptet, ich biete dir lediglich Hilfe an.“ Schulterzuckend trank Nami einen Schluck Wein. Denn während Robin das Essen zubereitete, saß sie auf einem der Thekenhocker. Dann und wann wanderte ihr Blick umher. Die Küche war großräumig, modern eingerichtet und ein Gefühl sagte ihr, dass dieser Raum nur selten für seinen eigentlichen Verwendungszweck genutzt wurde. Dann ruhten ihre Augen neuerlich auf der Frau, die sie mit dem Vorschlag überrascht hatte. Es war das erste Mal, das Nami hier war. Und ein Teil in ihr, eine leise Stimme, meinte die Intention zu erkennen: Robin war ausgelaugt. Etwas, das sie an der anderen nie zuvor gesehen hatte. Selbst die sonst rigoros bewahrte Distanz, die Robin an den Tag legte, hatte an Wirkung verloren. Doch blieb das Geheimnisvolle aufrecht, und das wiederum, so musste Nami eingestehen, faszinierte sie. Zog sie auf unerklärliche Weise in den Bann. „Du hast kaum geschlafen, stimmt‘s?“, sprach Nami einen ihrer Gedanken aus. Sie wusste von dem unregelmäßigen Schlafrhythmus, den Robin allzu gerne pflegte, aber bislang hatte dieser nicht das makellose Auftreten beeinträchtigt. „Sehe ich so aus?“, hinterfragte Robin nachdenklich ehe sie dennoch antwortete, „Der Schlaf wollte nicht so recht.“ Wie auch. Erst die Beerdigung, mit den bekannten Gesichtern; dann das Gespräch mit Hocha und Roche; als Abschluss der ominöse Brief, der so viele Fragen aufwarf. Besonders letzte Nacht hatte sie kein Auge zu getan. „Dann sollte ich heute wohl früher zu Bett gehen.“ „Was verstehst du darunter? Zwei Uhr?“ Zögernd schwenkte Nami das Glas. „Das heute … wir hätten es verschieben können.“ Überraschenderweise drehte sich Robin wieder zu ihr, merklich durchatmend. „Nami, ich gebe zu, die vergangenen Tage sind nicht ohne Spuren an mir vorbei gezogen, und ja, ich bin müde. Nur sollst du wissen, dass diese Müdigkeit nicht direkt mit meinem Schlafmangel zusammenhängt und ich versichere dir, ich bin auch nicht am Einschlafen.“ Robin schüttelte den Kopf, das Gesprächsthema mochte sie nicht. „Und ich habe dich deshalb gefragt, da ich nicht nur mit dir reden sondern … dich auch sehen wollte.“ Da eine Antwort seitens der Jüngeren ausblieb, gluckste Robin. „Also, da wir das Thema geklärt haben, welchen Film hast du dir gestern angesehen? Was genau verstehst du unter bizarr?“ Nami horchte auf, vergaß sogleich den letzten Teil. Sie hörte nur die eine Tatsache heraus, die ihren Herzschlag beschleunigte und ihren vorherigen Gedanken revidieren ließ. Die Distanz verblasste. Manchmal hatte die andere es umschrieben, aber nie direkt ausgesprochen. „Was?“, hinterfragte Robin amüsiert. „Du hast mich vermisst“, begann Nami nach einer langgezogenen Pause hin und ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen, „Der Schlagmangel tut dir gut.“ 21. August 2012 »Kennst du einen guten Auftragsmörder? So einen richtig kaltschnäuzigen Killer?« »Pardon?« »Diese coolen, abgebrühten Typen in den Filmen. Die, die sich nachts unbemerkt ins Schlafzimmer ihrer Opfer schleichen und sie im Schlaf erdrosseln … oder die, die irgendwo Gift reinmischen. Oder noch besser … die die daraus ein großes Spektakel machen. So frei nach dem Motto: Ich hab Spaß dran, wer will als nächstes?« »Pass auf deine Wünsche auf, Liebes.« »Du weißt, wie ich das meine … der Arsch kurbelt eben meine Fantasie an …« »Arlong. Was hat er dieses Mal getan?« »Das Übliche. Möchte wissen, was er gegen mich hat. Ich komme mit jedem klar, aber nein, der hasst mich, und dennoch habe ich manchmal das Gefühl, er zieht mich mit seinen Blicke aus … Widerling!« »Könnte der Grund sein. Du bist intelligent, siehst umwerfend aus und ziehst gerne mal Menschen in deinen Bann [Trotz deiner kleinen Wutausbrüche, die dir rasch verziehen werden], aber er hat keine Meter. Kann das Ego eines Mannes ankratzen.« »… sagtest du umwerfend? (Die Wutausbrüche, die es nie gegeben hat, verzeihe ich dir)« »Dann muss ich mich wohl geirrt haben.« 9. September 2012 „Mein Wochenende ist recht dürftig ausgefallen, also … klärst du mich auf?“ Bislang hatte Robin das Thema rund um St. Petersburg partout vermieden. Warum auch immer, schließlich hatte sie Nami versprochen, sie über die Einzelheiten des raschen Aufbruches aufzuklären. Neugierig spähte sie über den Rand des Glases hinweg. Klar lag es auf der Hand das sich Nami Gedanken gemacht hatte. Dennoch, inwieweit die Vorstellungen der Wahrheit entsprachen, konnte ihr lediglich Robin sagen. Diese stocherte abwartend auf dem letzten Bissen herum. Fast unentschlossen, ob sie ihn noch aß oder zurück ließ. „Robin?“ Dann kam ein tiefer Atemzug, ein Schluck Wein. „Ich hab dir von meiner Verwandtschaft erzählt, erinnerst du dich?“ Das Nicken reichte als Antwort. „Das Leben hat seinen eigenen Humor. Fünfzehn Jahre später … und ich treffe auf meine Cousine. Ausgerechnet an dem Ort, der meine Kindheit vorwiegend positiv geprägt hat. Einen Ort, den sie gerne mieden. Einfach so.“ Lag wohl daran, dass du eine Stunde vor dem Eingang standst, hörte sie ihre eigenen Gedanken, während sie eine Pause einlegte, in der sie die Begegnung Review passieren ließ. „Mizuira … sie war ein Satansbraten, gerne mal der verlängerte Arm ihrer Mutter.“ „Und“, begann Nami, die Stirn in Falten gelegt, „die Begegnung ist überraschend anders ausgefallen als du es dir ausgemalt hast?“ Anhand Robins Stimmlage und ihrer Gestik fand sie diese Annahme passend. Denn irgendetwas sagte ihr, sie hatten sich nicht gestritten oder gar gemieden. „Verheiratet, zwei Kinder … ein neuer Mensch. Keine Stichelei – Im Gegenteil. Ein Wiedersehen habe ich nie erwartet, glaub mir, und jeder Gedanke daran ...“ „Du hast dir eine Veränderung nie vorstellen können“, beendete Nami den Gedankengang und lächelte sanft. „Sie hat mich eingeladen. Ihr Mann verfolgt angeblich meine Arbeit – Ich überlege ernsthaft, ob ich mich nächste Woche mit ihr verabrede.“ „Du fliegst zurück?“ Nami verbarg ihre Überraschung nicht. Nach der Einsicht, die ihr Robin bislang gewährt hatte, hatte sie diese Stadt Jahre über partout vermieden. Und plötzlich stand bereits ein neuerlicher Aufenthalt im Raum. „Was er, der eigentliche Grund, Robin.“ „Ein Todesfall – Kaffee?“ Der Bisse blieb ungerührt und Robin erhob sich, um den Tisch abzuräumen. Kapitel 19: ... con conseguenze ------------------------------- … mit Folgen 9. September 2012 „Professor?“ Nami saß am Thekenhocker. Mit ernster Miene musterte sie die andere Frau, die Tassen für den Kaffee zur Hand nahm. Nach dem Robin einen Todesfall erwähnt hatte, hatten sich Namis Gedanken im ersten Moment um ihre Verwandten gedreht. Etwas, das sich schon bald in den Hintergrund schob. Durch die Erkenntnisse, die sie von ihrer Familie erhalten hatte und den Emotionen, die Robin offen aufzeigte, sprach nichts für jene Menschen, von denen sie sich distanziert hatte. Dann hatte sie von der Begegnung mit ihrer Cousine gehört; auf einer Straße und nicht auf einer Beerdigung. Und spätestens seit der Auflösung konnte sie diese Vermutung sowieso getrost vergessen. „Clover leitete die Eremitage. Meine Mutter hat dort gearbeitet und auch nach ihrem Tod habe ich dort sehr viel Zeit verbracht. Fast ein zweites Zuhause. Ich habe ihn recht gut gekannt, oft hat er auf mich aufgepasst, mir neue Stücke vor allen anderen gezeigt“, erklärte Robin – Wehmut lag in ihrer Stimme. Grüblerisch neigte Nami den Kopf. Bislang hatten sich Robins Erzählungen angehört, als hätte es bis auf ihre Mutter niemanden gegeben, der ihr nahe stand und um den es sich lohnte Kontakt zu halten. Sankt Petersburg schien Robin komplett aus ihrem Leben gestrichen zu haben; diese Bild hatte sie der jüngeren Frau stets gegeben. Clover bildete ein neues Puzzlestück, das ihr mehr Einblick gewährte, und doch machte es Nami stutzig. Woher das Gefühl kam, musste sie erst noch herausfinden. „Scheint ein netter Kerl gewesen zu sein. Du bist nach Moskau geflohen, aber existierte doch noch jemand in deiner Heimat …“ „Sie zurück lassen … das war alles, das ich zu diesem Moment wollte. Moskau kam zur rechten Zeit und ich musste den Weg einschlagen, riskieren. Clover alleine reichte nicht um mich dort zu halten.“ „Jedoch brach der Kontakt.“ „Hie und da haben wir miteinander korrespondiert, aber-“ „Du wusstest nichts von seinem gesundheitlichen Zustand“, beendete Nami. Das Kopfschütteln bestätigte ihre Worte. „Hast du ihn denn nie besucht?“ Sichtlich zögerte Robin. Ein Zögern, das das stutzige Gefühl bestärkte. Es fehlte ein wichtiger Teil. „Über Jahre hinweg habt ihr euch nicht gesehen … dabei hat dich sein Ableben eiskalt getroffen.“ „Weißt du, die damalige Zeit … sie war speziell. Der Umzug hatte viel verändert und ich fand die Chance auf einen Neuanfang. Fern jener, die nichts für mich übrig hatten. Leider litt mit der Zeit der Kontakt mit denen, die ich mochte.“ „Neuanfang ist verständlich, aber ich habe das Gefühl, du hast entscheidende Brücken gekappt.“ Vielleicht war es das, das jene Regung auslöste. Das alte Leben komplett hinter sich zu lassen. Schließlich hatte Robin vorhin gesagt, sie hatte den Professor ein Jahrzehnt lang nicht gesehen. Umso mehr wurde sie zum Hinterfragen animiert. „Bereust du deine Abwesenheit? Wenn ich ehrlich bin, verstehe ich diesen Aspekt sowieso nicht. Du reist oft genug in der Weltgeschichte umher, ein Abstecher wäre sich dementsprechend ausgegangen. Oder ein normaler Besuch in der Heimat – Urlaub.“ „Musst du meine Beweggründe denn verstehen?“ „Ich täte es gern. So verkehrt?“ Eine beklemmende Pause trat ein, in der Nami nicht wusste, was sie denn noch sagen oder gar tun sollte. Für sie war die Vorstellung, einen geliebten Menschen, einen der die Kindheit prägte, für solch einen Zeitraum nicht zu sehen, unvorstellbar. „Irgendwann“, begann Robin schlussendlich mit abgewendetem Blick, „habe ich einen Besuch für zu spät befunden. Und ja, ich empfinde diese Reue. Ich hätte früher über meinen Schatten springen können. Vielleicht habe ich die Zeichen der Zeit bewusst verdrängt … Menschen leben nicht ewig.“ Daraufhin führte Robin die andere ins Wohnzimmer, den größten Raum des Erdgeschosses. Reichte Nami den Kaffee. „Jedenfalls hat mich St. Petersburg nicht zum letzten Mal gesehen.“ „Du fliegst zurück?“ Nami stellte die Tasse, nachdem sie daraus getrunken hatte, am Glastisch ab. „Muss mich um ein paar Sachen kümmern.“ „Testament?“ Der erste Gedanke, der Nami durch den Kopf schwirrte, für den eine Rückkehr notwendig war. „Schwer nachvollziehbar, aber seine Entscheidung. Nach all den Jahren … merkwürdig. Andererseits bietet sich so an, mich eventuell mit meiner Cousine zu treffen.“ „Auf ein klärendes Gespräch“, stellte Nami fest. Zwar schien Robin weiterhin zweigeteilter Meinung diesbezüglich, aber Nami hatte erkannt, dass sie eben nicht abgeneigt war, sich dem zu stellen. Herauszufinden, worauf ein Gespräch hinauslief. „Ich habe eine Erleichterung verspürt, als mir die Zeit für eine längere Unterhaltung gefehlt hat. Und doch bin ich neugierig. Schließlich kann ich danach endgültig abschließen.“ „Oder ihr bekommt eine zweite Chance. Hört sich, ehrlich gesagt, nach einem Zeichen an.“ Die Vergangenheit stand unausweichlich zwischen ihnen. Nami konnte nur erahnen, wie schwierig das Verhältnis war, aber irgendwann musste ein Kapitel nun mal einen zufriedenstellenden Abschluss erhalten. Bislang wurde er vielmehr aufgeschoben, gekonnt ignoriert und gut möglich, dass sie nun, als Erwachsene, sogar eine halbwegs akzeptable Beziehung aufbauen konnten. Skeptisch hob Robin eine Augenbraue. „Glaubst du an … Zeichen? Eine Art höhere Macht?“ „Du bist deiner Cousine über den Weg gelaufen und wir sind uns – In dieser Stadt, möchte ich gesagt haben – zweimal einfach so über den Weg gelaufen.“ Nami legte die Stirn in Falten kaum das sie fertig gesprochen hatte. „Was ist?“ Die Skepsis war aus dem Gesicht der anderen gewichen, dafür hatten sich die Züge erhellt. „Deinen Worten nach hast du unsere dritte Begegnung eingefädelt.“ Ein zu unschuldiges Lächeln umspielte die Lippen der Archäologin, das Nami ein Brummen entlockte. „Nein, ich stecke nicht dahinter“, murrte sie und der Blick streifte, wie bei ihrer Ankunft, durch den großen Raum. Anders als zuvor jedoch, war dieser nicht von Neugierde getrieben, dieses Mal suchte Nami lediglich eine kleine Ablenkung darin. Wieder erblickte sie die große Standuhr, die locker ein Jahrhundert auf dem Buckel hatte. Das Nachfragen der Archäologin nahm sie gedämpft wahr. Ohne Vivis Zutun würde sie garantiert nicht neben Robin, noch dazu in ihrem Haus, sitzen. Dennoch, bei den ersten beiden Mal konnte sie so etwas wie glückliche Fügung nicht leugnen. Hieß es nicht, hinter allem steckte eine Bedeutung? „Nami?“, drang es klarer vor. „Diese Gala … Vivi hat mich dorthin geschleppt. Also, wenn jemand unser Wiedersehen eingefädelt hat, dann sie“, gestand die jüngere Frau wahrheitsgemäß. „Vivi.“ Robin lachte. „Dann muss ich mich bei ihr bedanken.“ Süßlich lächelte Robin. Ein Lächeln das Nami den Kopf schütteln ließ. Welch abrupter Themenwechsel. „Richte ich gerne aus. Oder hättest du mir zu getraut, ich hätte dir aufgelauert?“ „Vielleicht.“ Ungläubig schnaufte Nami, aber wurde eine leise Stimme hörbar. Der Gedanke daran, er wäre mit Sicherheit aufgekommen. Ob sie ihn umgesetzt hätte, konnte sie dennoch nicht beantworten. „Du hast mich überrascht“, gestand sie dann und sacht zuckten die Mundwinkel in die Höhe. „Nach jenen Monaten hast du dich noch an meine Worte erinnert.“ Leicht neigte sie den Kopf, blickte Robin von der Seite her an. Nicht selbstverständlich, nicht nach der Zeit, die vergangen war und nicht nach den kurzen gemeinsamen Momenten. „Mein Gedächtnis lässt mich eben nie im Stich. Leider ist diese Merkfähigkeit manchmal lästig.“ „Verstehe.“ Nami griff nach der Kaffeetasse. Ein beklemmendes Gefühl trat empor. Ließ sie die letzten Minuten Review passieren, so musste Nami neuerlich feststellen, wie wenig sie die andere kannte. Umgekehrt war es nicht so. Robin hatte in den Wochen mehr in Erfahrung gebracht, als Nami anfangs lieb war. Vielmehr störte sie der Umstand, dass das nicht auf Gegenseitigkeit beruhte und solche Momente zeigten den Wissensrückstand deutlich auf. Jedoch lag der Unterschied, der zu dem führte, klar auf der Hand. Nami war ein weitaus offenerer Mensch; manchmal trug sie ihre Gefühle zu sehr ablesbar auf dem Gesicht. Zu oft regte sie sich lautstark auf, wenn sie etwas belastete. Robin war anders. Nur warum es ihr so plötzlich sauer aufstieß, vermochte sie nicht zu sagen. „Du fliegst übers Wochenende?“, fragte sie schlussendlich, um das Schweigen zu brechen, obwohl die Frage nicht jene war, die ihr im Kopf herum schwirrte. „Sofern alles funktioniert, wie ich es mir vorstelle, ja. Dürfte in den kommenden Wochen öfter vorkommen. Dazu kommen noch die Arbeit und die dazu gehörigen Reisen. Wird eine recht interessante Zeit.“ Nami wusste, was ihre Worte bedeuteten. Sie würden sich deutlich weniger sehen. „Und dann machst du sofort ein Treffen aus.“ Nami lehnte zurück, schob den Gedanken von sich. „Mizuira“, setzte sie nach, nachdem Robin neuerlich eine Augenbraue gehoben hatte. „Und dann lernst du ihren Mann und die Kinder näher kennen. Vielleicht bekommt ihr einen Neuanfang und er dient als Wegbereiter für ihre Eltern.“ Sie wollte mehr erfahren. „Du meinst, ich sitze anschließend mit Oran in einer Bar oder mit Roji beim Tee? Möchtest du darauf hinaus?“ „So verkehrt? Ist dein Onkel nicht der pflegeleichtere?“ Robin rollte die Augen über. Etwas, das Nami nur wenige Male bei ihr gesehen hatte. „Ohne ihr Zutun kann er, sagen wir, nett sein. Eine seltener Fall, aber ist und bleibt er Tantes Schoßhündchen – Und mein Aufnehmen ist das erste und einzige Mal gewesen, das er seinen Willen durchgesetzt hat.“ „Kennst du den Auslöser?“ „Ihrer Abneigung?“, hinterfragte Robin und blickte sogleich nachdenklich zur Seite. „Mutter und Roji haben sich nie verstanden … Vielleicht das Aufeinanderprallen zweier konträrer Welten?“ Dann zuckten ihre Schultern. „Werde ich wohl nie zur Gänze erfahren. Höchstens einseitig, aber was meine Mutter dachte?“ „Manche mögen sich auf Anhieb, andere empfinden sofort eine Abneigung.“ Jeder machte solch eine Erfahrung. Das beste Beispiel sah Nami in Robin und Law. Vom ersten Anblick an hatte sie Law nicht gemocht, seine schmierige Art hatte sie angewidert. Ein Bild, das sie nach und nach bestärkte. Bei Robin bildete das Gegenstück. „Eine akzeptable Erklärung. Eine Frage, Nami“, brach Robin kurz ab, als musste sie einen Gedanken nochmals abwiegen, „hättest du Interesse mich an einem der Wochenenden zu begleiten?“ 28. Juli 2012 „Wie war der Trip?“ Nami saß auf dem Treppenansatz, der hoch zum Haus führte. Eine warme Nacht, die einlud, noch ein paar Minuten an der frischen Luft zu verweilen. Da sie noch putzmunter war, sie sich in unterschiedlichen Zeitzonen aufhielten und sowieso Nachrichten ausgetauscht hatten, hatte sie der Anruf nicht überrascht. Robin hielt sich in Chile auf, die letzten drei Tage hatte es kaum die Möglichkeit gegeben, sich ordentlich zu unterhalten; schließlich hielt die Arbeit Robin auf Trapp. „Wüste halt. Hab wieder ein wenig Farbe abbekommen. Die Atacama-Wüste hatte Nami selbst schon besucht. Ein Familienurlaub vor ein paar Jahren hatte sie dorthin gebracht und es war eine recht interessante Erfahrung gewesen. Dennoch, mit solch einer Wüste würde sie sich auf Dauer nicht anfreunden. „Davon brauchst du eigentlich keinen Wüstentrip. Hier läuft der Sommer auf Hochtouren.“ Tagsüber war das Wetter momentan zu viel für ihren Geschmack. Umso mehr wunderte sie sich darüber, wie sich die Touristen stundenlang durch die Lagunenstadt schliffen. „Eurer Aufenthaltsort … ist sicher?“, schwang Nami das Thema nun in ein ernsteres Gespräch. „Inwiefern?“ „Soll gerade ungemütlich werden. Laut News-Feed. Oder die Medien pushen zu sehr.“ Eine kurze Pause trat ein, die Nami nicht behagte. „Ah … darauf spielst du an. Sehe gerade die Berichte“, hörte sie Robin dann, gefolgt von einem sachten Lachen, „Keine Sorge, wir sind weit genug entfernt. Unterwegs bekommst du davon recht wenig mit. Äußerst angenehm. „Du machst dir selten Sorgen, was?“ „Sorgen? Die mache ich mir eher bei alten Gräbern. Oft genug stürzen welche ein … da möchte ich lieber nicht in der Nähe sein.“ „Mich würden bereits die Krabbelviecher abschrecken.“ Robin lachte. „Und? Ignorieren sich die beiden noch?“ Robin wusste über die Meinungsverschiedenheit zwischen Bonney und Vivi Bescheid. Nami hatte ihr davon erzählt, als sie sich kurz nach einem Gespräch mit Vivi redeten, wo sich diese erneut über die Haltung der Überlebenskünstlerin mokiert hatte. „Bonney lenkt wohl ein, hab sie nochmal drum gebeten. Schließlich kann Vivi manchmal sehr theatralisch werden und ich bin die Leidtragende. Mit ihrem Ich-muss-allen-helfen-Syndrom schießt sie leider öfter über das Ziel hinaus.“ „Da wundert es mich, dass sie sich noch nicht als Kupplerin engagiert hat.“ Nami schluckte. „Inwiefern?“, hinterfragte nun sie räuspernd, hörte erneut ein helles Lachen. „Ich beobachte gern und unser liebster Barkeeper hat ein Auge auf sie geworfen. Oder was dachtest du?“ „Ist mir aufgefallen, Vivi noch nicht. Ein Glück, denn sonst steht wohl die nächste Meinungsverschiedenheit vor der Tür.“ 9. September 2012 Nami verharrte auf der zweiten Stufe. Die Beine verwehrten den Dienst. Erneut kroch das verhasste und verräterische Gefühl aus seinem Versteck hervor. Jenes, das sie seit Wochen heimsuchte, sobald sie sich verabschiedeten. Und nichts half. Sie fand kein Mittel dagegen und mittlerweile wurde es von Mal zu Mal stärker, dauerte länger an. Sie kannte die Antwort auf die Frage, wann es denn besser wurde oder endete oder einfach eine positive Wendung nahm. Hilfesuchend reckte sie den Kopf gen Himmel, die Arme verschränkte sie und nervös gruben sich ihre Fingerspitzen ins Leder der Jacke. Mittlerweile existierte eine perfekt einstudierte und abgestimmte Choreographie, die jedes Mal kurz vor dem Schluss von vorne begann. Sie hielt das nicht mehr aus, das machte sie wahnsinnig. Sie brauchte Gewissheit und kein ewiges Hin und Her, das ihre Gefühle vom Höhenflug in den Sturzflug schubste. Sie musste wissen woran sie war. „Alles in Ordnung?“ Eine Hand legte sich auf ihre Schulter. Der Kontakt, der sanfte Druck besserten nichts an jener Empfindung. „Ich begleite dich lieber.“ Natürlich kam neuerlich das Begleiten auf. Wie so oft schlug Robin das vor und bislang hatte sie es selten abgelehnt. Schließlich bedeutete es mehr Zeit. Diese Nacht jedoch … nein. Kurzweilig schielte Nami zurück. „Beantworte mir eine Frage … bitte“, hielt sie die andere von ihrem Vorhaben ab, die bereits die Hand zurückgezogen und halb durch die Türe war. Wieder war der Blick nach oben hin gerichtet, blieb an einem der Sternenbilder hängen. Als Kind schon hatte sie sie recht schnell gelernt und in den Jahren danach, wenn sie eine innere Unruhe heimsuchte und ihre Gedanken sortierte, hatte sie umso mehr nach ihnen Ausschau gehalten. Sie hatten eine beruhigende Wirkung. Hart schluckte sie, als die Nachfrage seitens der anderen an ihr Ohr drang. Dann schlossen sich ihre Lider, ein tiefes Durchatmen. Noch hätte sie zurücklenken, das Vorhaben abschütteln können. „Die vergangenen Tage haben mich vermehrt zum Nachdenken angeregt – Zwecklos, ich komme auf keinen Nenner. Manchmal lässt du mehr durchblicken, dann denke ich, wir stehen uns näher. Dann bekomme ich wieder das Gefühl, du bist mir fremd. Du gewährst mir selten vollkommen neue Informationen, und dann“, Nami schnippte, „überflutest du mich regelrecht. Du vermisst mich, du möchtest mich sehen; plötzlich bringst du dich auf eine unüberbrückbar scheinende Distanz.“ Warum alles ausgerechnet an diesem Abend raus musste, wusste Nami nicht. Vermutlich lag es an der weitaus offeneren Art, die Robin die letzten Stunden aufgezeigt hatte. Dann stellte sie sogar einen Trip nach St. Petersburg in den Raum, auf die Nami bislang eine diplomatische Antwort gegeben hatte. „Was ist das hier?“ Die Frage, die sie seit einer Weile mit sich schleppte. Eine Frage, die keine zufriedenstellende Antwort erkennen ließ. Nicht so. Nicht durch sie allein. „Zwischen uns?“ Für Nami war es längst keine Freundschaft mehr. Gut, die Anziehung, die sie empfand, war nie freundschaftlicher Natur gewesen, aber hatte Nami sich darauf eingelassen. Versucht, sich irgendwie damit abzufinden. Nur das Unterdrücken der Gefühle funktionierte auf Dauer nicht. Kapitel 20: O la va o la spacca. -------------------------------- Alles oder nichts 9. September 2012 Träge sank Nami auf die oberste Stufe. Im Hause Nefeltari brannte Licht. Insgeheim hatte sie darauf gehofft, sie würde niemanden vorfinden. Nun hieß es, wen sie denn lieber antraf: Kobra oder Vivi. Die Entscheidung fiel leicht. Ersteren gab sie den Vorzug. Sie kannte ihr beste Freundin allzu gut und wusste, sie würde sie mit Fragen bombardieren. Etwas, das sie an diesem Abend und in dieser Form nicht brauchte und ebenso wenig wollte sie den wehleidigen Blick sehen, den Vivi perfektioniert hatte, sobald sie ihr die Wahrheit erzählte. Schließlich hatte Nami wohl einen Tick zu sehr gepokert, war einen Tick zu früh All-in gegangen. Andererseits, wie lange hätte sie noch warten müssen? Weitere Monate? Das war auch der Grund, warum sie auf das Vaporetto verzichtet hatte. Lieber war sie wahllos durch irgendwelche Gassen gegangen, hatte Umwege in Kauf genommen, nur um ihre Gefühle und Gedanken in Ordnung zu bringen, wenn nicht gar zu ersticken. Gebracht hatte es nichts. Sie fühlte sich genauso schlecht, wie beim Antritt des Heimweges. Noch einmal die Augen schließen, tief durchatmen. Großartig abwarten, dass der Schlaf die Bewohner übermahnte, war keine Lösung. Und Nami hatte kein Interesse daran weitere Luftlöcher zu starren, wo der Herbst sich allmählich blicken und die Nächte kälter werden ließ. Zumal war Sonntag und sie musste früh aufstehen. Aus dem Wohnzimmer hörte sie Stimmen. Der Fernseher war an. Das Gehörte ließ sie einen Hauch an Erleichterung verspüren. Rasch schlüpfte sie aus den Schuhen, hing ihre Jacke auf. Bevor sie sich nach oben verzog, musste sie erst ihren Durst stillen. Dementsprechend hieß es an jenem Raum vorbei zu gehen. Trotz ihrer im Keller liegenden Laune, zeichnete sich ein Schmunzeln auf ihren Lippen ab, als sie Kobra auf dem Sofa sitzend, versunken in seine Arbeit erspähte. Selten sah er einfach so fern, zumeist – wie auch in diesem Moment – diente es vielmehr als nebensächlicher Hintergrund, der die sonst entstehende Stille durchbrach. Er arbeitete manchmal einfach lieber mit Hintergrundgeräuschen als gänzlich alleine mit seinen Gedanken zu sein und kam er nicht weiter, verfolgte er für wenige Minuten die jeweilige Sendung, bis er den gesuchten Anstoß erhielt. Jedenfalls hatte Kobra es ihr mal auf diese Weise erklärt. „In der Küche wartet eine kleine Überraschung auf dich“, erhob er das Wort, noch bevor er aufgehört hatte sich eine Notiz aufzuschreiben. Erst dann hob er den Kopf, sah zu ihr und Nami konnte diesen Blick nur schwer deuten. Beinah glaubte sie etwas wie eine Entschuldigung darin zu erkennen. Nami schluckte, obwohl sie Neugierde empfand, verunsicherte Kobra sie. Schneller ging sie den Flur entlang, der mit der Küche endete und was sie dort erwartete, ließ eine Augenbraue in die Höhe recken. Auf der Arbeitsplatte stand eine Vase, darin ein wunderschön gebundener Strauß Blumen. Was war der Anlass? „Dein Verehrer wollte dich sehen“, beantwortete Kobra ihre unausgesprochene Frage. Er war ihr gefolgt. Kurzweilig blickte Nami an ihm hoch, dann wieder zurück zur Vase. „Ein interessanter, junger Mann. War nicht gerade erfreut, als Vivi ihn abwimmelte – Sie hat mich über ihn aufgeklärt.“ „Er ist in der Stadt“, knurrte Nami verbissen; streng fuhr sie sich durch ihre Mähne. Was um alles in der Welt machte er hier? Und vielleicht hätte sie doch einen Blick auf ihr Smartphone werfen sollen. Bestimmt wartete diesbezüglich eine Nachricht seitens Vivi. Doch das hauste seit Stunden, unberührt und auf lautlos gestellt, in ihrer Tasche. Augenblicklich kam ihr Murphys Gesetz in den Sinn. „Der Abend wird von Minute zu Minute beschissener“, murmelte sie, mehr an sich selbst gerichtet. Näher schritt sie auf die Vase zu, die Blumenauswahl akribisch musternd. Leider musste sie gestehen, hatte Law direkt ins Schwarze getroffen. All ihre Lieblingssorten waren vertreten. Jemand musste ihm einen Tipp gegeben haben, denn Nami hatte Law gewiss nie von ihren Vorlieben erzählt, geschweige eine Andeutung gemacht. „Wann war er hier?“ „Du warst ungefähr eine Stunde fort.“ Wenigstens war das Glück hierbei auf Namis Seite gewesen. Ihn abzuwimmeln, wenn er direkt vor jemanden stand, war kein leichtes Unterfangen. Besonders, wenn er Zeit hatte und sein Gegenüber nicht. „Dein Date ist schlecht verlaufen?“, fragte Kobra plötzlich nach. „Date“, lachte sie und schüttelte den Kopf. „Law, den ich einfach nicht ertrage, läuft mir monatelang hinterher und die, die ich echt mag …“ Vorsichtig streckte Nami die Hand nach einer Blüte aus. Ein Impuls riet ihr, die Vase zu nehmen und gegen die nächstbeste Wand zu schleudern, aber weder sie noch die Blumen konnten etwas dafür. „Das Schlimme ist … ich frage mich gerade, ob – Wäre ich ihm begegnet, wäre mein Abend anders verlaufen.“ Nami hörte das Öffnen des Kühlschranks, das Klirren von Glas, das sie zum Umdrehen zwang. „Wein ist unpassend für heute“, dabei zeichnete sich ein aufmunterndes Lächeln auf seinen Lippen ab, während er Nami das Bier entgegen hielt. „Ruft eher nach Tequila, aber-“ „Dann müsstest du dich morgen Krankschreiben.“ Kobra setzte sich, Nami blieb lieber stehen und lehnte gegen die Anrichte. Noch bevor sie den ersten Schluck trank, zupfte sie bereits am Etikette. „Die Gefühle beruhen nicht auf Gegenseitigkeit?“ „Es ist … nein … sie ist kompliziert.“ Und selbst darin erkannte Nami die eigene Untertreibung. So sehr sie manche Eigenschaften faszinierten, so sehr brachten sie eben jene zur Verzweiflung. „Ich hab’s verbockt. Alles oder nichts lautete die Devise und … ist halt blöd gelaufen.“ Nochmal, wie sie es bereits am Rückweg etliche Male getan hatte, ließ sie den Moment Review passieren. Nami hatte ihr ihre Gefühle ausgeschüttet, zuerst kam das eiserne Schweigen, dann hatte sie gemerkt, wie Robin anfing nach Worten zu suchen, dann die ernüchternde Antwort. Alles in allem deutete nichts auf eine positive Wendung, selbst in Zukunft nicht. Irgendwann war Nami dann gegangen. „Eine Weile abwarten wäre vielleicht besser gewesen, da sie derzeit einiges um die Ohren hat, aber irgendwie … Kennst du das Gefühl, du musst etwas sagen oder tun, weil du dich kennst und weißt, du würdest es sonst noch ewig hinaus zögern?“ Schweigsam nickte Kobra, trank einen Schluck. „Es gibt kein Zurück mehr und jetzt steht Law auf der Matte!“ Rebecca hatte noch erwähnt, er könnte hierher kommen. Dennoch hatte sie es als neckenden Kommentar abgetan und sogar darauf vergessen. Diesen Starrsinn sollte jemand verstehen! „Du bist nicht verpflichtet ihn zu treffen.“ „Kann schlecht solange untertauchen bis er aufgibt und die Heimreise antritt. Ich klär das zur Not lieber persönlich. Irgendwann versteht selbst er! Und sollte das Gegenteil eintreffen, so habe ich wenigstens versucht ihm klar zu machen, dass das alles sinnlos ist.“ „Tust du das nicht seit einer Weile?“ Schnaufend nickte Nami, strich sich eine Strähne hinter das Ohr. „Wenn ich Glück habe, möchte er lediglich ein Treffen. Ich weiß, er kennt hier jemanden. Wenn er deshalb hier Urlaub macht, dann kommt er lediglich an, wenn dieser Freund keine Zeit hat.“ Dabei erinnerte sie sich an den Mann zurück, diesen Schatzjäger. Allein der Gedanke an ihn, löste ein Schaudern aus; warum auch immer. „Während seines Aufenthaltes werde ich mich nicht verstecken.“ Das hatte sie in ihrer Heimat nicht getan, also tat sie das in Venedig erst recht nicht. Außerdem war das unmöglich; kannte er die Adresse des Hauses, so wusste er unter Garantie auch wo sie arbeitete. „Er könnte immer vor der Türe stehen.“ „Richtig und von euch beiden kann ich nicht verlangen, ihn jedes Mal abzuwimmeln.“ Kobra setzte ein leichtes Grinsen auf. „Du kennst meine Tochter. Spätestens nach dem nächsten unangekündigten Besuch macht sie ihm Feuer unter dem Hintern. Zudem bin ich da.“ Eine kurze Pause trat ein, in der er nachdenklich über seinen Bart strich. „Nehmen wir an, du redest mit ihm und er ignoriert dich erneut. Was dann?“ „Mafia anheuern?“, lachte sie, nicht wissend, was zu tun war. „Ausgezeichnet. Ich bekämpfe sie und du engagierst sie.“ Anerkennend prostete Kobra ihr zu. „Mach nur, so komme ich dem einen oder anderen bestimmt auf die Spur“, versuchte er die Anspannung zu lockern. „Als ob ich dir einen Tipp gebe, ich suche mir nur die Besten aus“, gab sie mit einem spitzbübischen Grinsen zurück, das nicht lange anhielt. „Irgendetwas fällt mir garantiert ein.“ Und wenn sie ihm neuerlich einen ordentlichen Tritt versetzte. Dennoch kamen die Worte nicht überzeugend daher. Das wusste sie, aber mehr konnte sie vorerst nicht sagen. „Und hinsichtlich deines anderen Problems“, schwenkte Kobra wieder um, „wart ab. Daran gedacht, dass du sie überrumpelt hast? Oder kam eine offene Zurückweisung?“ Nami schüttelte den Kopf, nippte an ihrer Erfrischung. Dafür, dass sie anfangs in die Küche wollte, um ihren Durst zu stillen, hatte sie mit dem Trinken lange gewartet. „Handelt es sich um jene Frau, die ich vermute“, begann Kobra langsam und erhob sich, „dann warte einfach ein, zwei Tage ab, bevor du dich zu sehr darauf versteifst. Noch ist alles offen. Erst, wenn sie dir sagt, sie möchte nichts von dir, solltest du die Türe schließen.“ „Was?!“, stieß sie verdutzt aus. „An wen denkst du?“ Beim besten Willen konnte sich Nami nicht daran erinnern, jemals einen Namen oder etwas Ähnliches in seiner Gegenwart erwähnt zu haben. Auch Vivi würde ihm ohne ihr Wissen nie eine Information zuspielen. Woher wollte er also wissen, mit wem sie sich traf? Kobra lächelte seelenruhig, blickte auf seine Armbanduhr. „Ist spät geworden. Gute Nacht, Nami.“ Er stand auf, aber bevor er sich auf den Weg in sein Schlafzimmer machte oder Nami gar weitere Fragen stellen ließ, deutete er auf den Blumenstrauß. „Sind zwar von einem Mann, den du nicht magst, aber vielleicht findest du ein Plätzchen. Wäre schade sie in ihrer Blüte in den Müll zu werfen.“ Überrascht stellte Nami fest, das Vivi bereits schlief. Weder hatte sie beim Vorbeigehen etwas gehört, noch hatte sie sich blicken lassen, als Nami aus dem Badezimmer kam und in ihrem Zimmer verschwand. Der Aufschub tat gut, zumal das kurze Gespräch mit Kobra durchaus geholfen hatte (Wobei es sie schon interessierte, welche Vermutung er hegte und woher diese stammte). Noch blieb die Müdigkeit aus und so hatte sie sich ihr Smartphone zur Hand genommen. Wie gedacht, erwarteten sie mehrere Benachrichtigungen. Verpasste Anrufe. Nachrichten. Die Anrufe gehörten Law. Zwei Stück. Dann eine Nachricht. »Schade, dass du ausgegangen bist. Bin eine Woche in der Stadt. Möchte dich sehen.« Schmerzhaft zog sich ihr Magen zusammen. Sie musste tatsächlich eine Woche überstehen. Automatisch wanderte ihr Blick zur Vase, die sie auf den Fenstersims gestellt hatte. Sie stimmte Kobra zu, die Blumen konnten nichts für ihren Überbringer und sie waren wunderschön um weggeworfen zu werden. »Warnung!!! Law ist hier! Hab ihn mit Paps abgewimmelt. Arsch! Hab die Blumen dennoch entgegen genommen. Da kennt wohl jemand deine Lieblinge!« „Von wem auch immer“, murmelte Nami. Law kannte genügend Personen aus ihrem nahen Umfeld, da war es nicht gerade schwer jemanden zu finden, der ihm die Info zusteckte. Dann stach ihr die dritte Nachricht ins Auge, die ihr sogleich eine Ablenkung bescherte: Zorro. »Meld dich, wenn du Zeit hast. Franky hat ein paar Informationen! Der verliert echt keine Zeit« Nami prüfte die Uhrzeit. Nach Mitternacht. »Noch wach?« Ansonsten hatte sie nichts Wichtiges verpasst, denn der Nachrichtenverlauf, auf den ein Teil in ihr doch noch gehofft hatte, der blieb unangetastet. Gerade als sie das Handy zur Seite legen wollte, kam ein Anruf. „Jetzt bin ich wieder wach“, ertönte sogleich nach dem Annehmen eine verschlafene Stimme. Im Hintergrund vernahm sie das schallende Lachen des Straßenkünstlers, Ruffy. Dann vermischte es sich mit Bonneys. „Irgendwann bring ich die beiden um - Schnauze ihr Deppen!“ Eine Tür wurde zu geschlagen. „Du hast sie dir als Mitbewohner auserkoren“, neckte sie, hörte anschließend ein tiefes, genervtes Brummen, „Was hat Franky heraus gefunden?“ Bevor Zorro noch animiert wurde, seinen Fantasien zum Mord seiner Freunde nachzugehen, brachte sie ihn lieber auf das eigentliche Thema. „Der kennt echt die richtigen Leute! Ich weiß nun, vor wem sie davon läuft … weswegen kann er mir noch nicht sagen, seine Quelle sei jedoch dahinter. Ein Anhaltspunkt mit dem ich einerseits etwas anfangen kann, aber …“ „Aber was? Wer ist er?“ Das Zögern missfiel Nami, beschwor ein ungutes Gefühl herauf. „Ein mächtiger Mann … der Name ist mir bekannt. Das ist kein Verfolgungswahn … der sucht echt nach ihr. Und mittlerweile verstehe ich, warum sie schweigt. Dem kannst du nichts entgegen setzen.“ „Wenn er Macht hat, warum bleibt sie so lang unentdeckt? Für mich hört es sich an, als reicht ein Schnippen und er hat Bonney.“ „Meine Worte. Wie gesagt, Franky meint, er findet schon den entscheidenden Punkt. Auf jeden Fall führt die Spur nach Florenz. Ich wusste es! Ist eine Weile her, aber da hatte sie die Stadt erwähnt, war gar nicht auf sie bezogen – Also das Gespräch, aber als wir nachfragten, ob sie sich dort gut auskennt, hat sie so komisch abgewinkt. Überhaupt eine der Ausnahmen, in denen sie etwas über ihre Vergangenheit hat fallen lassen.“ Allmählich fragte sich Nami, ob es denn eine gute Idee war, nachzuhaken. Bei dem, das ihr Zorro erzählte, sah sie schwarz. Was konnten sie überhaupt unternehmen? „Ob es gut ist oder nicht, ich habe jetzt wenigstens die Bestätigung, das etwas richtig faul ist!“ „Und dann? Ernsthaft, Zorro, was machst du mit dem Wissen?“ Eine Pause trat ein. „Ich hab keine Ahnung“, gestand er schlussendlich, „hab gedacht, ich kann ihr irgendwie helfen, aber das ist eine Nummer größer als ich erwartet habe. Schaut aus, als müsste ich mich vorerst mit der Info begnügen.“ „Und? Wirst du mir seinen Namen verraten?“ „Wie war dein Tag?“ Nami lachte auf. „Ernsthaft?“ „Ja, ernsthaft!“ Kurz überlegte sie, ob sie ihn drängte, aber hierfür fehlte es ihr an der notwendigen Energie. Wenn Zorro seinen Namen verschwieg, dann hatte er womöglich seine Gründe und vermutlich würde er sie sowieso einweihen, sobald es der Ernst der Lage verlangte. „Ich höre?“ „Ernüchternd … Law ist aufgetaucht. Spielst du meinen Bodyguard?“, säuselte sie gegen Ende hin. Blieb sie realistisch, so musste sie sich eingestehen, dass ein normales Gespräch nie ausreichte. Law sprang nicht ab, sonst hätte er es unlängst getan. Und würde sie Schützenhilfe benötigen, wäre Zorro der ideale Typ dafür. „Der traut sich her? Mumm hat er. Keine Sorge, ich helfe dir aus der Patsche und wer weiß, ist er ein Psycho wie Perona, dann kann‘s lustig werden!“ „Er verfolgt mich lediglich in der realen Welt. Deine Verehrerin läuft dir sogar online auf Schritt und Tritt nach – Bei ihr habe ich Angst, sie hat sogar Zugriff auf dein Konto.“ „Wundern würde es mich nicht“, seufzte Zorro. „Deshalb gefällt mir das Singleleben, erleichtert den Alltag.“ „Als ob sich Bonney einschüchtern ließe.“ Nami hörte einen trockenen Lacher, gefolgt von einem spitzbübischen „Soll ich dich mit deinem Liebesleben aufziehen?“ Wenn da bloß eines vorhanden wäre, ging es ihr durch den Kopf, aber behielt sie jegliche Anspielung für sich. Für heute reichte es ihr. „Schon gut, ich gebe mich geschlagen.“ „Ein Anruf genügt, und ich stelle mich ihm mal dezent vor.“ „Er ist einen Kopf größer.“ „Hat mich noch nie eingeschüchtert.“ Er lachte angriffslustig. „Stecks Robin. Vielleicht bringt’s euch voran. Die Gute schüchtert alles und jeden ein – Ja, mich eingeschlossen.“ Die Erwähnung ließ Nami tief in ihr Kissen sinken. Sie schwieg einen Tick zu lange, worauf Zorro nachhakte, ob alles in Ordnung war. „Du bist effektiver, glaub mir. Bei einem anderen Mann denkt er sofort an Konkurrenz. Es wurmt ihn bestimmt mehr, als wenn Robin in meiner Nähe ist. Und bei meinem Glück, erkennt er, was Sache ist und bereitet mir unnötige Probleme.“ Eine Weile lang sprachen sie noch über Belangloses, tauschten Klatsch und Tratsch aus, ehe sie auflegten. Bevor Nami jedoch den Versuch wagte, in dieser Nacht Schlaf zu finden, sprang sie über ihren Schatten und schrieb noch eine letzte Nachricht: »18 Uhr, Brunos Bar. Lass uns reden.« Kapitel 21: Memoria. -------------------- Erinnerung 10. September 2012 „Ciao, Robin!“, verdrängte eine glockenhelle Stimme ihren Gedankengang. Ruckartig hob sich ihr Kopf, das Arbeiten endete. Vivi streckte strahlend lächelnd den Kopf durch den Spalt. Das Lächeln, das Vivi so gerne zeigte, das ansteckend sein konnte; wenn halt nicht das eigene Gemüt im Wege stand. Gerne hätte Robin diese Verabredung vertagt, aber ausgemacht war eben ausgemacht. Zudem erkannte Robin auf Anhieb, das Vivi wohl keinen blassen Schimmer über das gestern Geschehene hatte. Denn so freundlich Vivi sein konnte, so offen stand sie hinter ihren Freunden. Einen Beschützerinstinkt, den Robin selten erleben durfte. „Ciao, come va?“ Vivi trat ein; setzte sich auf den Stuhl ihr gegenüber. Normal sprachen sie, teilten die üblichen Floskeln aus, ehe Vivi auf das eigentliche Thema ihres Besuches lenkte. „Dafür, dass du dich anfangs aus der Politik halten wolltest“, säuselte Robin sacht und schaffte es nicht, sich ein Lächeln zu verkneifen. Für die mündliche Abschlussprüfung hatte sich Vivi für die Facharbeit entschieden. Zeit hatte sie für diese das gesamte Schuljahr. „Irgendwie fällt der Apfel doch nicht weit vom Stamm!“, lachte Vivi und musste den Kopf schütteln. Ob sie sich jemals so sehr in diese Richtung begeben würde, wie es ihr Vater tat, war jedoch eine andere Angelegenheit. Sie hatte Zeit, sich alles nochmal durch den Kopf gehen zu lassen, aber für den Abschluss war es ihr willkommen; zumal sie den geschichtlichen Bezug, den sie wollte, mit Robins Hilfe abdecken konnte. Sie half Vivi bei den Ansätzen, wie und wo sie das benötigte Material für eine Ausarbeitung fand, ab dann war der Rest ein Kinderspiel für die Schülerin. „Der liebe Conti hat sich selbst übertroffen – 70 Seiten möchte er! Ein Freund aus der Nebenklasse braucht lediglich 50.“ „Solange es um Qualität und nicht Quantität geht, geht es in Ordnung und bei dir mache ich mir keine Sorgen.“ Vivi würde mit Bestnoten abschließen; sie brauchte manchmal – das hatte ihr auch Kobra erzählt – einfach den notwendigen Denkanstoß. Hatte sie den, bereitete ihr nichts Probleme. „Schätze, ich sehe dich im kommenden Jahr öfter in den Hallen?“ Vivi nickte. „Nur wenige Schüler verschlängt es hierher.“ „Jeder wie er meint“, zuckten zudem ihre Schultern, „Ich finde das Ambiente wesentlich angenehmer, als zu Hause und zum Nachschlagen gibt es hier en Maße.“ „Also, erzähl mal“, begann Robin und beugte sich vor, „für welche Thematik habt ihr euch heute entschieden?“ Doch zum Antworten kam Vivi nicht, das Smartphone klingelte und nach einem gemurmelten „Scusi“ nahm sie den Anruf entgegen. „Hey – Bin gerade bei Robin, wir reden über meine Facharbeit; hab ich dir letzte Woche noch gesagt.“ Vivi lehnte zurück; das Strahlen fiel ab und eine ernste Miene trat hervor. „Wird sich nicht ausgehen, bis ich zu Hause bin … wir haben noch nicht mal angefangen. – Nami, du kennst meine Einstellung! Natürlich bin ich nicht erfreut! – Ja, bis dann.“ Seufzend legte sie auf, schüttelte sich ärgernd den Kopf. Schweigsam und auf eines ihrer Dokumente starrend, hatte Robin das Gespräch verfolgt. Erst als sie den Blick der Schülerin wieder auf sich spürte, wandte sie sich dieser zu. Den Ausdruck, den sie ihr schenkte, konnte sie nur schwer kategorisieren; und doch schien Vivi auf eine Reaktion ihrerseits abzuwarten. Als diese ausblieb, erhob sie das Wort. „Und? Was denkst du über das Treffen? Oder überhaupt von dem Affenzirkus, den er veranstaltet?“ Fragend legte Robin die Stirn in Falten. Worauf ihre Fragen abzielten, wusste sie nicht und somit erwiderte Vivi ihre Geste. „Oh! Du weißt es nicht? – Wundert mich.“ „Hab mein privates telefonino zu Hause vergessen. Kann daher nicht sagen, ob sie sich diesbezüglich gemeldet hat“, manövrierte sich Robin aus der gedehnten Pause; Vivis musternder Blick missfiel ihr. Ein Notlüge, die sie nur ungern aus dem Ärmel zog, aber war Vivi Namis beste Freundin, sie sollte ihr sagen, warum sie seit gestern nicht miteinander in Kontakt standen. Anders als üblich. „Verstehe. Ich hätte gestern auch keine Lust mehr gehabt, von ihm zu erzählen – Die Rede ist von Law. Musst du dir vorstellen. Läutet und steht herausgeputzt mit Blumen vor der Tür. Macht ‘ne Woche Urlaub und hat sich eingebildet Nami freut sich über einen Überraschungsbesuch. Glücklicherweise war sie bereits bei dir, dafür war heut Früh ihre Laune im Keller.“ Missbilligend über den Auftritt des Chirurgen, schnaufte sie verachtend. „Sie treffen sich in einer Stunde bei Bruno. Schätze, sie setzt auf den, sagen wir, Heimvorteil. Fühlt sich wohl sicher in einer Umgebung, die ihr in die Karten spielt – Trotzdem! Ich hätte ihn per Nachricht abgewiesen.“ Aufmerksam hatte Robin der Erläuterung gelauscht; natürlich kannte sie sie. Die Geschichten, die um diesen Mann rankten. Besonders vom Hinterherlaufen, das er hinsichtlich der jüngeren Frau an den Tag legte. Dass er nun in der Stadt war, verdeutlichte sein Interesse. „Glaubt sie, er lenkt ein?“ In Anbetracht seines Starrsinnes wartete er auf ihr Einknicken und ein direktes Treffen war was er wollte und nun bekam. „Ich hab ein schlechtes Gefühl … er ist …“, brach Vivi ab, die passende Beschreibung, die ihre Abscheu ausdrückte, fand selbst sie nicht. Einmal hatte sie ihn länger gesehen, mit ihm gesprochen – Zu Namis diesjährigem Geburtstag. Natürlich hatte er sich einen Abstecher nicht nehmen lassen. Von da an hatte sie Namis Abneigung voll und ganz geteilt, einfach, weil sie die Art, die er für unwiderstehlich hielt, nicht mochte. „Bruno kennt sie mittlerweile. Bei ihm ist sie sicher aufgehoben. Außerdem wirkt er wie jemand, dem sein Image wichtig ist.“ „Du machst dir gar keine Sorgen?“ „Sie mag ihn nicht. Warum sollten wir uns den Kopf zerbrechen? Solange er sich selbstverständlich angemessen verhält.“ Zumal stand sie nicht in der Position ein Urteil zu richtigen. Offiziell wusste sie nichts von seiner Anwesenheit, geschweige vom bevorstehenden Treffen. „Hör auf, Vivi, du machst dir viel zu viele Gedanken. Noch bevor etwas vorgefallen ist“, setzte Robin nach, „Oder ist es dir lieber, sie ignoriert ihn und er steht täglich an der Tür?“ „Bitte nicht!“, stieß die jüngere Frau entsetzt aus; Robin lächelte. „Siehst du, also wart ab. Nami erzählt dir mit Sicherheit alles und sollte er weiter auf seine Einstellung beharren, dann kannst du dir noch immer etwas einfallen lassen.“ Sie lehnte zurück. „Du wolltest mir die Thematik der Facharbeit nennen.“ Als sie zwei Stunden später gemeinsam das Areal verließen und sich verabschiedeten und Robin nicht wusste, dass Vivi den Verdacht auf eine Meinungsverschiedenheit zwischen ihr und Nami hegte, wartete die ältere Frau noch ein, zwei Minuten ehe sie ihr Privathandy aus der Handtasche zog. Sie hatte sich nicht bei Nami gemeldet, dasselbe galt umgekehrt. Aufseufzend ignorierte sie die eingetroffenen Nachrichten, öffnete die Kontaktliste. Nach kurzer Bedenkzeit wählte sie die gewünschte Nummer. 27. Juni 2008 „Du und deine Pfeife“, neckte Robin und sank auf die Rattengarnitur. Es war eine laue Nacht, der Sommer hatte sich eingenistet und doch kündigten sich die Höchsttemperaturen erst an; schon bald würden sie sich tagsüber stöhnend im Inneren der Gebäude aufhalten; gekühlt durch die Anlagen. „Du und dein Kaffee“, säuselte ihr Gegenüber rau. Vier Uhr morgens, der Schlaf blieb aus. Während Robin sich das Tanktop, das sie gerne zum Schlafen trug und ihre Lieblingsshorts angezogen, bevor sie sich ihren Kaffee herunter gelassen hatte, begnügte sich Pola mit einem der Laken, das sie sich um den Körper geschlungen hatte und grad und grad das Nötigste bedeckte. Sacht berührten sich ihre Arme, während sie nebeneinander saßen. Liebesbeziehung konnte man ihr Miteinander nicht nennen, aber auch entsprach ihr Miteinander keiner einfachen Affäre oder einer Freundschaft mit Vorzügen. Vielleicht brauchte es auch keiner Kategorisierung und vielleicht war auch genau das, was ihnen gut tat. „Übermorgen reise ich ab“, wisperte Pola in die Stille hinein, „zum ersten Mal habe ich ein schlechtes Gefühl.“ Genüsslich verfolgte sie den aufsteigenden Rauch. Robin nippte am Kaffee, der noch dampfte; die Worte legte sie sorgsam auf die Waagschale. „Gibt’s“, begann sie nach angemessener Pause, „einen Grund? Oder liegt dir lediglich das Ziel nicht?“ Pola und sie führten dasselbe Leben; eines für die Öffentlichkeit, eines hinter verschlossenen Türen. In Venedig hatten sie sich kennen gelernt. Pola arbeitete in einer Bar, Bruno’s. Der Inhaber, das hatte Robin rasch in Erfahrung gebracht, wusste Bescheid; somit hielten sie sich alle öfter in diesem Ambiente auf. „Nein … ein Gefühl eben“, murmelte Pola gedankenverloren, ihr Kopf legte sich auf Robins Schulter. „Hast du je an ein gewöhnliches Leben gedacht?“ „Manchmal … die Frage ist: Passen wir in solch eine Welt?“ „Nein“, kicherte Pola. „Warum fragst du dann?“ „Mir wird gerne Persönliches erzählt; solche Probleme, die sie mitnehmen … ich kenne sie nicht.“ Besonders jene, die allein kamen und an der Theke eines nach dem anderen hoben, wurde ab einem Punkt äußerst gesprächig. Pola hörte gerne zu. „Am liebsten sind mir die Liebesprobleme. ‚Da ist ein anderer im Spiel!‘ oder ‚Sie liebt mich nicht mehr!‘“, äffte sie nach. „Perfekte Kandidaten fürs Geschäft, aber sich deswegen einen über die Birne zu kippen? Als ob das Problem an dem Abend beseitigt wird.“ „Manchmal zählt es, alles für einen kurzen Zeitraum zu vergessen.“ „Und wie soll das gehen, wenn sie im Suff erst recht drüber reden?“ „Denkst du wir sind alle gleich gestrickt? Lassen die Liebe absichtlich vorbei ziehen?“ „Ich kenne niemanden, der eine echte Beziehung führt. Seien wir ehrlich, wir können untereinander, aber selbst das ist nie ein sicheres Los, was möchten wir mit gewöhnlichen Menschen an unserer Seite? Eine Affäre, eine nette Nacht – Her damit! Will dich jemand näher kennen lernen? Mach schleunigst einen hohen Bogen um besagte Person! Es bringt nur Ärger.“ Pola hob den Kopf, wartete noch kurz ehe sie gänzlich aufstand. Auf den durchdringenden Blick, den ihr Robin schenkte, lächelte sie ertappt. „Ja, ich spreche aus Erfahrung.“ Sie tapste an die Abgrenzung, stützte sich mit den Armen ab und blickte nach oben, erinnerte sich zurück. „Vorneweg gesagt, ich trauere nicht nach! Denn die großen Gefühle, von denen man hört und liest, die waren nicht vorhanden. – Die ersten Wochen waren erfrischend, aber wie üblich, ist das Glück nicht von Dauer. Recht schnell ist es ziemlich kompliziert geworden. Meine Arbeit ist nicht gerade mit Reisen verbunden, finde da eine Ausrede, warum du öfters unterwegs bist. Und sie mitnehmen? Hab ich ein einziges Mal probiert; die Quittung kam prompt. Der Schlussstrich war rascher da, als du bis Drei zählen kannst.“ „Kurz und knapp“, neckte Robin. Für lange oder ausführlichere Geschichten war Pola einfach nicht gemacht. „Hast du sie je wiedergesehen?“ „Drei oder viermal hatte sie sich noch blicken lassen, seither nie mehr.“ Federleicht wandte sie sich um. „Weißt du, was das Anstrengendste daran ist? Dass dein Geheimnis geheim bleibt! – Aber sei ehrlich, du hast dir doch selbst auch schon mal eingebildet, du könntest solch eine Beziehung führen, oder?“ „Eingebildet. Probiert. Gescheitert.“ „Warum haben wir damit angefangen?“, brach Pola in schallendes Gelächter aus. „Du bist auf Liebesprobleme gekommen“, säuselte Robin und nippte anschließend am Kaffee. So war es; das Geflecht, das sie verband. Unbekümmert und ehrlich. Niemand fühlte sich auf den Schlips getreten; sie gaben einander was sie brauchten; kamen von einem auf das andere Thema, die sie sacht abschüttelten. Es war keine große Liebesgeschichte; beide strebten nicht danach, aber was sie hatten, das reichte und gab eine süßliche Ablenkung vom Leben. Pola eingehend musternd, erkannte Robin das Aufflackern. Das Gefühl, von dem sie vorhin sprach, war nicht verschwunden, aber schwieg sie, denn Pola kehrte nicht zurück sondern starrte für sich in die Nacht hinaus, die schon bald brechen würde. Und für die beiden sollten es die letzte, zusammen durchgemachte Nacht gewesen sein. 10. September 2012 Herzhaft gähne Franky. Seine Elvis-Tolle verlor an Halt, wodurch er sich streng durchs Haar fuhr. Vielleicht war es an der Zeit, sich eine neue Frisur zu gönnen. Er blätterte auf die nächste Seite der Tageszeitung; am Morgen hatte er keine Zeit gefunden, und unter Stress mochte er das Lesen nicht. Eine Espressotasse wurde ihm unter die Nase geschoben, er hob den Kopf an. „Geht aufs Haus, damit du mir keine Arbeit machst.“ „Ach komm, Bruno, vor die Tür schmeißen ist ja keine Arbeit“, grinste Franky. Der Barmann verschränkte seine breiten, muskulösen Arme und verzog kaum eine Miene. „Und sei ehrlich, ohne meine Besuche ist dir langweilig.“ Tagsüber war kaum etwas los, erst gegen Feierabend lebte die Bar auf; etwas das daran lag das sich eben kaum ein Tourist hierher verirrte. „Langweilig? Du bist meine beste Kundschaft – Es geht nur ums liebe Geld“, und da erkannte Franky das seltene Grinsen und murmelte zur Antwort: „Denk ich mir.“ „Die Kleine hat einen sonderbaren Männergeschmack“, schwenkte Bruno um. Franky blätterte weiter; brauchte sich nicht umzusehen. Die beiden waren ihm bereits bei seiner Ankunft und dem üblichen Umsehen ins Auge gestochen. „Arrogantes, kleines Bürschchen“, fügte er noch abwertend an. Franky hob die Tasse, trank den Espresso in einem Zug und verzog kurzweilig das Gesicht, schüttelte sich. Zucker hatte gefehlt. „Als ob sie ein Date haben. Da ist kein verliebtes Knistern, vielmehr fliegen die Funken aufgrund ihrer Abneigung. Achte genau auf ihre Ausstrahlung.“ „Das meinte ich nicht, sonst würden sie sich kaum hier treffen. Er ist angetan – Oho!“ „Was?“, fragte der andere in Gedanken, während seine Augen über den Absatz huschten. „Sie wird kratzbürstig.“ Bruno griff nach dem Tablette. „Langeweile ist ein grausames Schwein, da spiele ich glatt einen zuvorkommenden Kellner.“ Franky folgte ihm mit seinem Blick, wagte deshalb sich umzudrehen. Sofort sah er, was Bruno meinte. Auflachend wandte er sich seiner Lektüre zu; ihre Gläser waren leer und Bruno erhoffte etwas Unterhaltung. „Eine Rarität! Wie hast du dich denn hierher verirrt?“ „Sagt der, der sich sogar zur Arbeitsstelle verläuft“, konterte Franky und blickte zur Seite. „Seit wann lässt du dich unter der Woche blicken?“ Zorro zuckte die Schultern; sank auf den Hocker neben ihm. „Einerseits hatte ich einen Auftrag in der Nähe und andererseits“, dabei glitt Zorros Blick über die Schulter, „ist der mir nicht geheuer.“ Deshalb hatte er sich direkte nach seiner Arbeit hierher begeben. In der Mittagspause hatten sie miteinander telefoniert; Nami hatte ihn aufgeklärt und auch, wenn sie für dieses Gespräch keine Bedenken äußerte, hatte er sich für einen Abstecher entschlossen. Perona war eine lästige Angelegenheit; vor ihr musste er sich allerdings nicht in Acht nehmen. Einem Mann, der monatelang eine Abweisung ignorierte und dafür sogar eine Reise in Kauf nahm, misstraute Zorro. Sehr sogar. Manche würden es für altmodisch halten, zumal Nami nicht schutzbedürftig war, aber so etwas entfachte eben diesen Beschützerinstinkt in ihm. Außerdem erhielt er die passende Gelegenheit um sich Law genauer unter die Lupe zu nehmen; sich ihm zur Not provokant aufzuzwingen. Franky schlug die Zeitung zu, faltete sie. „Ich höre?“, spitzte der Schiffsbauer seine Ohren. „Was muss ich wissen?“ Kapitel 22: Bugia o verità. --------------------------- Lüge oder Wahrheit? 10. September 2012 Murmelnd fluchte Nami. Das ausgemachte Treffen zwischen Vivi und Robin hatte sie aufgrund des kleinen Twists vollkommen bei Seite geschoben gehabt; vergessen. Sei’s drum, dachte sie sich. Momentan hatte sie andere Sorgen, da wollte sie sich nicht neuerlich auf jene stürzen, die Robin beinhalteten. Bevor sie sich zu Bruno’s begeben hatte, hatte sie noch einen Abstecher nach Hause gemacht; sich geduscht und umgezogen. Kurzweilig sogar nach Gründen für eine Absage gesucht, aber hatte sie es gelassen; denn zögerte sie das Unausweichliche länger hinaus, gab sie ihm die Chancen unangemeldet aufzulauern. „Nettes Lokal hast du ausgesucht – Liegt sehr gelegen“, triefte es nach Sarkasmus. Nackenhaare schossen unangenehm in die Höhe. Vorsichtig lugte sie zur Gasse ihrer Rechten. Law schlenderte ihr entgegen; herausgeputzt wie eh und je und skeptisch hob er eine Augenbraue, als er die Fassade näher betrachtete. „Aber, und darüber bin ich erfreut, hast du dich gemeldet. Haben dir die Blumen gefallen?“ Dicht vor ihr kam er zum Stillstand, beugte sich vor als wollte er ihr zur Begrüßung einen Kuss auf die Wange hauchen; bevor er den Abstand überbrückte, machte Nami einen Schritt zurück. „Welches Vögelchen hat gezwitschert?“ Irgendjemand hatte den Tipp gegeben. Zeitgleich machte sie kehrt; das Gespräch wollte sie schnellstmöglich hinter sich bringen. Law lachte vergnügt, die abweisende Begrüßung brachte ihn nicht aus der Ruhe; sie wusste, sie musste mehr tun, um seine Fassung aus dem Gleichgewicht zu bekommen. Nichts Neues eben. „Misstraust du meiner Auffassungsgabe?“ Rasch verminderte er den neuerlichen Abstand, folgte ihr ins Innere. „Dir habe ich nie von meinen Lieblingsblumen erzählt. Eine zu erahnen ist nicht schwer, aber sie alle? Ein großer Zufall, wenn du mich fragst“, meinte sie verbissen. Eigentlich durfte es ihr egal sein, woher er von ihnen wusste, aber zu glauben, er hatte die Sorten alleine herausgefunden? Damit brauchte Law gar nicht erst anzufangen. Drinnen begrüßte Nami den Barmann beim Namen, Law hingegen nickte schweigsam. Das Ambiente entsprach nicht jenem, in dem er sich gerne aufhielt; das erkannte die junge Frau auf Anhieb und verkniff sich ein amüsierendes Lächeln. Wo er sich nicht allzu wohl fühlte, würde er sich vielleicht nicht allzu lange aufhalten, dachte sie sich. „Dein neues Stammlokal?“, hinterfragte er die herzhafte Begrüßung; während Nami ihn an einem der hinteren Tische führte. Noch herrschte eine halbwegs ruhige Atmosphäre; im Laufe der nächsten Stunde, wenn der Feierabend Einkehr machte, dürfte sich das ändern. Viele kamen nach der Arbeit auf ein Getränk; manche einfach auf einen raschen Espresso. „Möglich“, antworte Nami nun knapp, nachdem sie sich gesetzt hatte und nach einer kurzen Pause, in der sie einen ernsteren Blick aufsetzte und noch leicht grübelte, sprach sie weiter: „Sag mir, warum du das tust. Was treibt dich in die Stadt? Oder warum stehst du mit Blumen vor der Tür?“ Sie konnte und wollte nicht glauben, dass er all das ihretwegen tat. Für eine kleine Eroberung unternahm niemand wie er eine Städtereise. „Ich pflege nun mal meine Beziehungen. Ist gar keine verkehrte und üble Art, finde ich.“ Leicht kniff Nami die Augen zusammen. Ähnliches hatte sie schon mal gehört, von diesem Mann, dessen Nami sie vergessen hatte. „Ah, der Schatzjäger. Dann ergibt dein plötzlicher Besuch einen Sinn. Zwei Fliegen mit einer Klappe.“ „Habe ich das gesagt? Nein. Er ist Nebensache. Natürlich ergibt sich auch mit ihm das eine oder andere Gespräch, aber in erster Linie bin ich deinetwegen gekommen.“ Law setzte sein allzu bekanntes Lächeln auf. „Seit deinem Umzug haben wir kaum ein Wort gewechselt. Liegt wohl daran, dass du mich dezent ignorierst. Und ein Urlaub bietet nun mal die beste Gelegenheit für einen längeren Besuch. Zudem, Venedig habe ich ewig nicht mehr erkundet.“ Vorsichtig sog sie die Luft ein, bevor sie zu schnell das Temperament von der Leine ließ. „Und hegst du einen Verdacht, warum ich das Treffen vorgeschlagen habe?“ „Natürlich-“ „Tu mir den Gefallen“, unterbrach Nami sein rasches Antworten, „und schlag dir jeglichen Wortlaut aus dem Kopf, der beinhaltet, ich wolle dich sehen und würde liebend gerne eine Nacht mit dir verbringen. Nur dieses eine Mal!“ Für das Geschwafel, das er so oft an den Tag legte, fehlten ihr momentan jegliche Nerven. Denn dann dürfte sie ihre Vorsätze schneller über Bord werfen, als es ihr eigentlich lieb war. Augenblicklich lehnte Law zurück; ein Bein wurde über das andere geschlagen. Bevor er neuerlich zum Sprechen beginnen konnte, kam Bruno zu ihnen, der Laws Bestellung entgegen nahm. Nur seine. „Sag ja, dein neues Stammlokal. Der fragt dich gar nicht.“ „Ich nehme meist dasselbe, ja.“ Law nickte; seine Fingerspitzen trommelten am Holz, dessen Oberfläche bereits einiges mitgemacht haben musste. „Kalt oder warm“, setzte er schließlich an, „wenn ich sage, du möchtest in Erfahrung bringen, warum ich hartnäckig bleibe.“ Sie nickte. „Warm.“ Tatsächlich hatte Law den Nagel auf den Kopf getroffen. „Schon lustig, was? Du haltest mir immer wieder vor, ich sei bloß an einem einmaligen Abenteuer interessiert. Und sobald ich das habe, lasse ich jede Frau fallen. – Nebenbei, es soll Frauen geben, die sich über Blumen freuen.“ „Von der richten Person!“, gestand sie angesäuert. „Dasselbe gilt für unerwartete Besuche.“ Zwar hatte sie das Glück gehabt, ihn nicht anzutreffen, aber dennoch. „Kannst du nachvollziehen, warum es mir schwer fällt, dich zu verstehen?“, setzte sie sogleich nach, ohne ihn antworten zu lassen, „Du ignorierst die Tatsache, dass Männer mich kalt lassen. Wir funktionieren nicht. Kitschig ausgedrückt: Du könntest mir die Sterne vom Himmel holen und ich würde mich dennoch nicht in dich verlieben oder mit dir anbandeln. – Gar als Frau würde ich die Finger von jemanden wie dir lassen!“ Nami verstummte. Bruno brachte die Getränke. Während Nami einen Spritz bekam, trank Law wie so oft einen Scotch. „Du siehst nicht ein, dass deine Art auf manche abstoßend wirkt“, sprach sie weiter als Bruno verschwand, „Hättest du dich anders verhalten, dann hätten wir uns normal unterhalten können. Eine Freundschaft wäre möglich gewesen, aber so? – Du heuchelst nicht einmal eine Freundschaft vor, du bist einzig und alleine auf das aus, das du dir einbildest! Dein Einmischen und deine Aufdringlichkeit haben es gezeigt.“ Den Blick abgewandt, schwenkte Law das Glas. Dachte er tatsächlich nach? Eine längeres Schweigen trat ein, durch das Nami aufseufzte und ihren Spritz trank. Fiel Law überhaupt eine passende Erläuterung ein? Eine, die beiden Seiten zusagte? Nur stand die Frage im Raum, ob er überhaupt verstehen wollte. Nicht zum ersten Mal vertrat Nami ihren Standpunkt. Meist jedoch, besonders in den vergangenen Monaten, war das Temperament mit ihr durchgegangen. Eben, weil er nicht von seinem Vorhaben abließ. Als ob es ihn umso mehr animierte je öfter sie ihn zurückwies. Sein Schweigen drückte, und um dieses zu überbrücken, schweifte ihr Blick umher. Drei Männer hatten sich zwei Tische neben sie gesellt; der venezianische Dialekt war unverkennbar. Dann hörte sie, wie Bruno lautstark begrüßt wurde. Obwohl Nami mit dem Rücken zur Theke stand, erkannte sie die Stimme auf Anhieb: Franky. Bevor das nervenaufreibende Monster aus seiner Höhle kroch, griff sie nach dem Glas, nippte daran und da regte sich Law. Er setzte zum Trinken an. „Ich verstehe deine Zweifel. Du kennst mich vom Getratsche her, aber wusstest du, das ich sehr wohl ernsthafte Beziehungen führen kann?“ Law nahm einen Schluck, stellte das Glas ab; Eiswürfel klirrten. „Nur bin ich wählerisch und aus Zeitvertreib, nur um eine Partnerin an meiner Seite zu haben, gehe ich nun mal keine Beziehung ein. Da belasse ich es lieber bei einmaligen Treffen.“ Unweigerlich beugte sich Law vor, kam ihr somit näher. „Ist es denn so undenkbar, dass ich mehr von dir möchte? Über Monate bemühe ich mich nicht für einen One-Night-Stand. Meine Anwesenheit müsste dir zeigen, dass ich meine Avancen ernst meine – Ich will mit dir zusammen sein, Nami.“ Seine Lippen formten ein spitzbübisches Grinsen. Den Grund dafür erahnte Nami. Ihr waren die Gesichtszüge entglitten; ihre Hand verkrampfte sich um das Glas. War es nun die Verblüffung, solche Worte aus seinem Mund zu hören oder seine mögliche Denkweise, diese Erklärung stimmte sie um? Was es auch war, sie konnte ihm nicht glauben. Nicht glauben, dass er auf eine normale, gesunde Beziehung aus war. Und plötzlich war Nami diejenige, die in Schweigen verfiel. Die Anspannung, die sich nun in ihrem Körper ausbreitete, war mit jener, die sie vor dem Treffen gespürt hatte, nicht vergleichbar. Was hatte sie noch zu Kobra gemeint? Ausgerechnet der, dem sie nichts abgewinnen konnte … Forschend erwiderte Nami den Blickkontakt; in seinen dunklen Augen suchte sie nach der Lüge; dem Beweis, dass das neuerlich zu einer perfide ausgedachten Masche gehörte. Mit einem letzten Zug hatte sie ausgetrunken. „Das Hauptproblem bleibt bestehen, egal was du sagst oder tust.“ Wieder traten sie auf der Stelle. Zum ersten Mal, seit sie sich gegenüber saßen, versuchte Law Körperkontakt herzustellen, in dem er ihre Hand ergriff. Er konnte gar nicht so schnell reagieren, hatte sie ihm diese schon wieder entzogen. „Lass das!“ „Bist du überzeugt davon, alles bleibt sein Leben lang gleich?“, fragte Law, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. „Darf’s noch etwas sein?“, unterbrach Bruno das Gespräch. Law würdigte er mit durchdringender Miene, während er Nami ein aufmunterndes Lächeln schenkte. „Dasselbe“, entgegnete Law ausdruckslos. „Da schau her!“, ignorierte Bruno den jüngeren Mann und blickte zum Eingangsbereich. Neugierig folgte Nami seinem Blick und staunte. Rasch fing sie sich, schüttelte sacht den Kopf. Zorro blieb dabei, obwohl sie ihm ausdrücklich gesagt hatte, sie würde dieses Treffen alleine schaukeln. Vielleicht, dachte sie, war es besser so, denn würde Law nicht einknicken, schüttelte sie ihn nicht so leicht ab. „Kann sich gleich nützlich machen.“ „Zieh ihn nicht auf, Bruno!“, lachte sie; er sah erschöpft genug aus. „Sein Bier geht auf mich.“ „Keine Sorge“, zwinkerte der Barmann, „und für deine zweite Runde?“ „Nervennahrung“, meinte sie mit ihrem süßesten Lächeln. Bruno nickte; natürlich verstand er sie. „Ein weiterer Bekannter?“ Gekonnt ignorierte Law den Seitenhieb. Umso lieber musterte er den Mann, der nun an der Theke saß und mit dem neben ihm sprach. „Ein sehr guter Freund“, wandte sie sich wieder ihrem Gesprächspartner zu. Law schwieg einen Moment lang, nahm den raschen Blick des Mannes auf, der auffallend zu ihnen sah. „Dafür hat er dich gekonnt ignoriert.“ Oder auch nicht. „Deine Sticheleien sind Zeitverschwendung.“ Und auf Kommando lehnte Law zurück; trat abwehrend auf Abstand. Nami runzelte die Stirn, musste erneut einen Blick über ihre Schulter riskieren. Ihre Mundwinkel zuckten in die Höhe. „Buonasera“, begrüßte Zorro frech; er stellte das Tablett mit den neuen Gläsern ab. „Zorro“, stellte er sich dem anderen knapp vor. Provokant umarmte er Nami, küsste ihre Wange. „Zorro, der Degenheld?“ Der Angesprochene hob eine Augenbraue. „Scusi?“, dann an Nami: „Che cosa ha detto?“ Seine Freundin musste sich das Lachen verkneifen. „Ha chiesto se il nome deriva dallo Zorro. Zorro, la combattente spada.”, spielte Nami mit, im selben Atemzug untergrub Law seine Frage, in dem er so tat als hielte er ein Schwert oder einen Degen in der Hand, und formte ein Z-Zeichen in der Luft. Zorros Schultern zuckten in die Höhe. „Non lo so.” Die Frage störte ihn nicht; oft genug hatte man ihn darauf angesprochen. Ob der legendäre Zorro ausschlaggebend für seinen Namen war, hätten nur seine Eltern beantworten können.. „Grazie per la birra. Stai bene?“ „Sì.“ „Parliamo più tardi?“ „Sì.“ „Ciao“, verabschiedete sich Zorro an Law gewandt, nachdem er ihnen die Getränke abgestellt hatte und marschierte zurück zu seinem Gesprächspartner. „Worüber redet ihr denn?“ Natürlich verstand Law, was hatte sie sich auch erwartet? „Wir? Wir reden über alles und wenn mal das Wetter herhalten muss.“ „Ihr seid euch nahe.“ „Ist üblich unter Freunden.“ „Hat er Reparaturen vorgenommen? Oder wie bist du an ihn geraten?“ Die Arbeitskleidung sprach für sich. „Eine Freundin hat uns vorgestellt.“ Damit war das Thema für sie abgehakt und Nami lenkte auf das Hauptproblem zurück. „Law, ob ich dir etwaige Gefühle abkaufe, sei dahin gestellt. Fakt ist, es ändert nichts. Ich weiß, Vergo macht dir Hoffnungen, animiert dich nicht aufzugeben, aber irgendwann musst sogar du einsehen, dass das reine Zeitverschwendung ist – Danke für den Strauß Blumen. Ja, er gefällt mir, aber lass mich bitte mit deinen Fantasien in Ruhe.“ Nami ergriff das gebrachte Getränk, roch an dessen Inhalt. Bruno wusste, wonach solch eine Unterhaltung rief. „Und?”, hakte Franky nach. Zorro saß wieder neben ihm, schob das Tablett über den Holztresen. Den Auftritt hatte er sich nicht nehmen lassen, und selbst wenn er es nicht gewollt hätte, Bruno hatte ihm die Bestellung gereicht und gesagt, er sollte sich nützlich machen. „Sein Blick sprach für ihn“, murrte Zorro und trank aus der Bierflasche. „Fehlt nur noch ein Auftritt.“ „Wessen?“ Zorro drehte sich zur Seite; nahm noch einen Schluck und hatte dabei wohlwissend eine Augenbraue gehoben. „Du wartest vergeblich“, säuselte Franky, als er verstand. „Unter der Woche kommt sie nie. Dafür bräuchte es einen triftigen Grund.“ „Der sitzt hinter uns.“ Franky lachte, sein rechter Daumen zeigte auf die eigene Brust. Zorro stutzte, bis der Groschen fiel. „Du meinst … ein Scherz?“ „Robin sorgt sich und ich mache täglich einen kurzen Halt.“ „Passend, aber-“ „Vermute, die beiden haben einen Disput“, unterbrach Franky. Er konnte ahnen, was Zorro meinte. Warum sie ihn darum bat und nicht selbst einen Fuß in die Bar setzte. Ein äußerst verständlicher Einwand. Das Bier wurde abgestellt; Zorro blickte stirnrunzelnd zu seiner Freundin. Wenn dem so war, dann hatte sie diesen verschwiegen. „Ist ein Gefühl. Und wie gesagt, unter der Woche kommt sie nie.“ „Robin möchte keine Beziehung“, stellte Zorro in den Raum. Sein Daumennagel schob das Etikette nach oben. Ging es um diese Frau, dann vertraute er auf das Gefühl des anderen. Niemand kannte sie länger, besser. Dasselbe war bei seinen Freunden. „Muss ich ihre Einstellung verstehen?“ „Ist schade, aber Robin hat ihre Gründe.“ Mehr sagte Franky nicht. Mehr brauchte er nicht sagen. „Und? Was gedenkst du zu unternehmen? Bonney meine ich.“ Der Themenwechsel behagte Zorro nicht. „Abwarten. Da bin ich machtlos“, murmelte er verdrossen. Bonny gegenüber hielt er still; verheimlichte sein Wissen. Das würde er erst offenbaren, sollte sich der nächste Vorfall ereignen, aber derzeit war alles ruhig. Zu ruhig. Aufmunternd klopfte Franky ihm auf die Schulter. Dann, von einer Sekunde auf die nächste, kam ein ernster Ausdruck zum Vorschein, den Zorro nicht wirklich von dem Mann kannte. „Brauchst du Hilfe. Ob für sie oder dich, zögere nicht, Zorro. Du weißt, wie du mich erreichst.“ Zorro wusste nicht so recht, wie er das Angebot einzuordnen hatte. Und genauso plötzlich erhellte sich Frankys Gesicht wieder, er lachte. „Ich gebe mich ungern geschlagen“, gestand Law das Offensichtliche. Das Eis in seinem Drink schmolz dahin, ohne das er einmal davon getrunken hatte. „Meiner Hartnäckigkeit verdanke ich vieles im Leben.“ „Und was? Ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung, wie dein Leben überhaupt aussieht. Du sollst gut in deinem Job sein, aber mehr? Du lässt nicht zu, sich ein anderes Bild zu machen. Lieber mimst du den unwiderstehlichen Playboy. Entweder verschreckst du alle auf Anhieb oder verführst sie. Wer steckt hinter dem?“ „Erst soll ich dich lassen und jetzt möchtest du mich kennenlernen? Du darfst mir gerne etwas beichten“, zwinkerte er, woraufhin Nami schnaubend die Augen verdrehte. „Siehst du! Da existiert kein Mittelweg!“ „Gefällt dir dein jetziges Leben?“, schwenkte Law vollkommen in eine andere Richtung. „Ich hab gute Freunde gefunden; bis auf ‘nen Arsch passt die Arbeit. Was will ich mehr? Also, ja, es gefällt mir.“ Natürlich musste sie in einem Teil wohl einen Abstrich hinnehmen; alles perfekt ihren Wünschen entsprechend, gehörte sich eben nicht. „Und dein Liebesleben?“ „Aus dem halte ich dich wohlwissend heraus.“ Das Fiasko, das er ausgelöst hatte, reichte. „Ah, du hast jemanden.“ Obwohl das Eis sich gänzlich aufgelöst hatte, und den Scotch für seinen Geschmack zu sehr verwässerte, nippte er daran. Nami verneinte; sie log nicht, denn es entsprach der Wahrheit. Sie hatte niemanden. „Ich verwette mein Hab und Gut, du bist in derselben Lage wie ich es gerade bin. Ungewollt und abgewiesen. Eine Patt-Patt-Situation, was?“ Überraschenderweise hörte Nami etwas wie Mitgefühl heraus. Obwohl sie auf sein Einsehen gehofft hatte, zerbrach sie sich tatsächlich den Kopf darüber, woher die plötzliche Kehrtwende kam. Vor wenigen Minuten noch hatte er sie davon überzeugen wollen, sie waren wie für einander geschaffen. Was war wahr und was nicht? „Erzähl mir von dir“, wagte sie den Schritt, um zu erkennen, was das nun war, „und vielleicht erzähle ich mehr von mir.“ „Bruno!“, winkte er den Barmann zu ihnen, grinste. „Hoffentlich hat er einen guten Wein im Keller.“ „Oha! Er ist guter Laune“, murmelte Bruno, warf sich das Tuch über die Schulter, „und er hat sich meinen Namen gemerkt-“ „Bruno’s Bar. Bruno an der Theke. Bin beeindruckt.“ Franky hielt den Daumen hoch. „- und sie stoßen an. Dachte, sie hasst ihn?“ Auf Kommando schnellten die Köpfe der Thekengäste zur Seite; Münder klappten auf. „Können wir unser näher ran setzen?“, murmelte der Schiffsbauer. „Bruno, ich vertraue dir. Lass ‘nen Kommentar ab und finde heraus, was vor sich geht.“ „Wen beobachten wir?“ „Kaku?!“, echoten Zorro und Franky. Der junge Mann hob grüßend die Hand, sein Blick war in dieselbe Richtung gewandt, in die sie Ausschau gehalten hatten. Brummend stützten beide den Kopf ab; ihre Fingerspitzen trommelten nervös. Bruno brauchte dieses Mal länger um die Bestellung aufzunehmen. Fragend musterte Kaku die beiden von der Seite aus. „Die Kleine kenne ich, wer ist er?“, wollte er wissen, „Warum beobachtet ihr sie?“ „Du lebst in deiner eigenen Welt, was?“, murrte Franky und holte tief Luft. „Merkt dir einfach: Er ist der Feind!“ „Für uns … und warum? Und was heißt, eigene Welt? Bin grad erst gekommen!“ „Weil wir ihn nicht mögen!“, erklärte Zorro schlicht und stahl sich hinter die Theke. Bevor Bruno länger Wurzeln schlug, bediente er sich lieber selbst. „Bier?“, fragte er Kaku, der nickte und meinte, er wolle eines vom Fass. „Frauen überfordern mich“, knirschte Franky mit den Zähnen. „Erst sieht’s aus, als wollen sie jemanden an die Gurgel und dann wird auf Blutsbrüderschaft getrunken?“ „Ihr“, kommentierte Kaku, „überfordert mich!“ Den Dazugestoßenen ignorierend, tauschten sie vielsagende Blicke untereinander aus. Dann ein kräftiges Nicken. Zeitgleich schoben sich ihre Hände in die jeweilige Hosentasche, ihre Handys wurden herausgeholt. „Was habt ihr intus? Da sitzt eine Frau mit einem Mann und sie reden.“ Kapitel 23: Una serata strana. ------------------------------ Eine seltsame Nacht 10. September 2012 „Was?!“, schreckte Vivi hoch. „Er lullt sie ein!“, knurrte Zorro zähneknirschend. „Die haben ‘ne Flasche Wein geordert. Nami lächelt.“ Vivi blickte auf die Uhr, kurz nach acht. „Übertreib nicht, sie reden halt“, beschwichtigte sie ihren Gesprächspartner; spürte jedoch die eigene Skepsis. Laut ihrer besten Freundin sollte das Treffen kurz gehalten werden, höchstens eine Stunde dauern. „Nami lacht! Ich kenne das Lachen!“ Im Hintergrund hörte sie Stimmengewirr. Die Bar dürfte voller sein. „Wir misstrauen ihm!“ „Erstens, was bedeutet ‚wir‘“, hakte sie näher nach; rieb sich angestrengt ihre Nasenwurzel, „und zweitens, was erwartest du von mir?“ Das Umschwenken eröffnete Platz für Spekulationen, aber Sorgen macht sie sich keine. Jedenfalls noch keine großen. Für Vivi hörte es sich an, als hätten sich die beiden geeinigt; auch wenn das eine überraschende Kehrtwendung bedeutete. „Franky, Bruno … streng genommen Kaku. Schreib ihr, du hast ein Frauenproblem. Irgendeines … dürfte nicht schwierig sein aus dem Sortiment das passende auszuwählen.“ Vivi wanderte umher, hielt an der Fensterbank, an die sie sich lehnte. Draußen war es dunkler geworden; ihr Spiegelbild wurde in der Scheibe erkennbar. „Noch dran?“ „Hör mal, ich bin gegen das Treffen gewesen, aber …“ Aber was? Es wirklich sein lassen? Was, wenn er einem Plan folgte? Während eine Seite meinte, es war nichts dahinter, gab es eben noch eine zweite, die die Entwicklung negativ ansah und gehört werden wollte. Schwer atmete sie. „Zorro. Ich vertraue ihr. Für ihr Verhalten existieren Gründe; würde er zu nahe treten, wäre sie längst gegangen.“ Schnell war entschieden, wie sie agierte. Nami war erwachsen und wusste, was sie tat. „Dann komm auf einen Sprung vorbei“, hörte er nicht auf. Natürlich stellte sie sich unweigerlich die Frage, warum er Angst hatte, sie würde einen Fehler begehen. Dann sprach er flüsternd: „Franky versucht sein Glück; telefoniert gerade mit Robin. Kommt sie, kommst du. Einverstanden?“ Fest schlug sie die Handfläche gegen die Stirn. Was heckten diese Idioten aus? Die nächste Frage, die sie sich stellte, war jene, wie viel beide getrunken hatten. „Spinnt ihr? Trinkt lieber weniger und geht nach Hause!“ Ein Fiasko kündigte sich an. Wieder erklang Zorros Stimme, aber sprach er nicht zu ihr. „Wie, sie kommt nicht? Hast ihr erklärt, was los ist?“ Dann ein Brummen. „Akzeptiert den Umstand, Gute Nacht.“ Bevor er rebellierte, legte Vivi auf. Sein Vorwand in allen Ehren, aber hierfür provozierte sie ihre beste Freundin nicht. Später würde sie sowieso in Erfahrung bringen, was sie besprochen hatten und ob Law einlenkte. × × „Dein Freund und sein Kumpel … führen die sich gern so auf?“, wollte Law wissen, während er Wein nachschenkte. Da er sie genauestens beobachten konnte, fiel ihm das Getue auf. Vorhin hatte ihm der Unbekannte, mit der Sterntätowierung mit Handzeichen verdeutlicht, er behielte ihn im Auge. Eine Warnung, die an Law abprallte. Entnervt blickte Nami über ihre rechte Schulter. Das kindische Getue hatte sie bereits mitbekommen. Sie hatte es an Brunos Reaktion bemerkt, als er kam und mit Law über Weine sprach, dann beim Bringen. Beide saßen sie an der Theke (Bruno hatte Zorro aus dem hinteren Bereich gejagt) und stierten sie missbilligend an. Zorro verstand sie. Immerhin hatte sie ihm von ihren Zweifeln erzählt; Zorro kannte die Geschichten. Stutzig machte sie hingegen Franky, der sich auf Zorros Seite geschlagen hatte und bereitwillig mitmachte. Gut möglich, dass er lediglich einen Freund unterstützte. Schließlich gab es zwischen ihnen nicht mehr als ein Grüßen und seichten Smalltalk. „Würde mich interessieren, wen sie angerufen haben“, säuselte Law. „Die Polizei müsste längst da sein oder haben sie Freunde zur Verstärkung angefordert?“ „Telefoniert?“ „Alle beide, gleichzeitig. Der Degenheld hat uns angestarrt.“ Seufzend fuhr sie sich durchs Haar. Was heckten die beiden aus? Denn sie verstand Laws Einwand, es war merkwürdig, wenn beide gleichzeitig telefonierten und sie beobachteten. „Muss sagen, nette Bekanntschaften. Du hast ihnen meine beste Seite nahe gelegt, stimmt’s?“ Nami lächelte unschuldig. Was hatte er erwartet? „Hast du dir eingebrockt. Immerhin … ich bin überrascht, dass du seit einer Weile normal mit mir redest – Gut, deine seichten Andeutungen ignoriere ich. Dennoch. Ich habe mit einer weiteren Katastrophe gerechnet, und dir höchstens eine Stunde zu gesprochen“, blieb sie bei der Wahrheit. Warum sollte sie ihn mit Samthandschuhen anfassen? „Deine bisherigen Taten sprechen leider gegen dich.“ Und hinsichtlich der Anrufe, kam ihr seitens Zorros lediglich Vivi in den Sinn. Vermutlich war sie selbst skeptisch hinsichtlich des längeren Fernbleibens. Noch dazu ohne eine Lebenszeichen gegeben zu haben. Frankys Anruf … den Gedanken schüttelte sie lieber ab. Für Nami existierte, wenn beide ihretwegen den Zirkus veranstalteten, nur eine einzige Person und dabei bekam sie ein flaues Gefühl in der Magengegend. Erstens, weil Robin nicht wusste, das er in der Stadt war und sie sich trafen. Zweitens, eben weil sie nicht gerade in der Situation waren, für die so etwas angemessen war. „Ich bin mir kaum einer Schuld bewusst“, und so gab sich Law auch, „abgesehen von den – deiner Formulierung nach – übertriebenen Avancen? Denn für deine gescheiterte Beziehung sehe ich mich nicht verantwortlich. Viel hat nicht ausgereicht – Und unter uns. Weder habt ihr zueinander gepasst, noch habt ihr euch ergänzt und von dem Mangel an Funken fange ich gar nicht erst an. Das war ein Happen für zwischendurch, keine weltbewegende Liebesbeziehung. Du hast ihr kein bisschen nachgetrauert, nicht als wäre eine Welt zusammengebrochen.“ Law nippte am Wein, erinnerte sich an jene Wochen zurück. „Offengestanden hat dich die Leichtigkeit, mit der ihr auseinander seid, mehr wütend gemacht. Besonders auf mich. Und von ihr fange ich gar nicht erst an. So oder so, lange hätte diese Beziehung“, und dabei setzte er Beziehung unter Anführungszeichen, „nicht gehalten. Dem musst sogar du zustimmen.“ Schweigend hatte Nami zugehört; hatte einen Impuls unterdrückt, ihn zu unterbrechen. Dass er überhaupt nicht einsah, was er alles veranstaltete und wie sehr er ihre Nerven beanspruchte, hatte Nami nicht erwartet; aber, und nur ungern gestand sich Nami das ein, stimmte seine Annahme hinsichtlich ihrer letzten Freundin. Rückwirkend hatte sie sich nochmals den Kopf zerbrochen, und es entsprach der Wahrheit; am Ende waren sie äußerst leicht auseinander gegangen (Auch, wenn damals Laws Einmischen den Grundstein legte). Rascher als erwartet hatte Nami nach vorne geblickt. Ihm zuzustimmen würde sie jedoch nicht; sein Ego war groß genug. „Was hat eine Beziehung für einen Sinn, wenn dein Einwirken ausreicht?“, meinte sie lediglich, „Ist längst abgehakt.“ „Die Ausrede würde ich auch nehmen“, grinste er, „und? Wirklich niemand am Horizont?“, versuchte er bereits zum dritten Mal etwas in Erfahrung zu bringen. „Oder muss ich nur den Eingangsbereich beobachten und raten?“ „Da kommt niemand, sofern die Anrufe überhaupt uns galten.“ „Ah, du sprichst von ‚uns‘. Wir sind einen Schritt weiter.“ Auf den strafenden Blick hin, hob er beschwichtigend die Hände. „Ist schwer aus seiner Haut zu kommen.“ „Vivi tut sich das nicht an; sie kennt mich und weiß, dass ich das nicht mag oder besser gesagt, sie weiß, mir reichen die zwei Vollidioten.“ „Und deine Spekulation für Anruf Nummer zwei?“ „Keine Ahnung“, antwortete Nami leise, ihr Blick ruhte auf der roten Flüssigkeit. „Ah, ah, da ist jemand.“ „Können wir das Thema wechseln? Das Glas hast du noch, dann mache ich mich auf den Weg.“ Law lugte zur Weinflasche, dann wieder grinsend zurück. „Tu dir keinen Zwang an, aber für mich ist Schluss.“ Zumal Nami nicht erneut so spät nach Hause wollte. Nach der kurzen Nacht spürte sie die Müdigkeit. „… dann sag ich-“ „Na ihr“, unterband Nami eine Ausführung des Schiffsbauers, der abrupt den Mund zu klappte. Nami stand zwischen ihnen, hatte ihre Arme um die jeweiligen Schultern gelegt. „Danke für eure Fürsorge, aber ich hoffe, ihr habt mir – abgesehen von der Bar – keine Peinlichkeiten eingebrockt.“ „Du gehst? Allein?“, hinterfragte Zorro und suchte nach dem Mann, der ein paar Schritte neben ihnen bei Bruno die Rechnung beglich. „Nein, ich geh mit ihm ins Hotel“, erwiderte Nami angesäuert und gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf. „Natürlich gehe ich nach Hause. Ich will nicht wissen, welche Fantasien euch heimgesucht haben!“ „Wir haben uns lediglich als Aufpasser bewiesen. Bei solchen Schnöseln weiß man nie und Zorro hat mir ein paar Vorfälle gesteckt“, kommentierte nun Franky. „Von welchen Peinlichkeiten sprichst du überhaupt?“ „Eure Starren – Ihr habt nicht zufällig Vivi angerufen?“ „Und Robin“, fügte Franky grinsend an. „Wollten nicht kommen. Versteh einer die Frauen“, seufzte Franky. Der Griff um beide festigte sich. Vivi störte sie nicht; bei Robins Erwähnung hingegen, musste sie sich wahrlich zusammennehmen um den beiden nicht die Köpfe abzureißen. „Danke – Trinkt aus, und geht“, meinte sie knapp, der leicht gereizte Unterton war alles, das sie zuließ. Sie umarmte beide, gab Zorro noch Bescheid, er dürfte sich am nächsten Tag gerne bei ihr melden, sollte er Fragen haben (Oder sie würde es tun und ihm diesen Blödsinn vorhalten). „Seht ihr, Männer und Frauen unterhalten sich eben“, mischte Kaku aus dem Hintergrund mit. „Und keine Sorge, ich bringe die beiden schon sicher zurück.“ „Uns geht’s gut, das bisschen hat noch nie geschadet!“ „Danke, Kaku. Ciao.“ „Buona serata, i signori!“, verabschiedete sich nun Law bei den Männern und schüttelte belustigt den Kopf. Würden Blicke töten, wäre er bereits tausende Tode gestorben. Ein Glück, das ihn solche Reaktionen kalt ließen. × × Tief durchatmend stieg Nami aus dem Vaporetto. Ein kühler Windstoß schlug ihr entgegen. Der Abend hatte sich anders entwickelt, als erwartet. Die Verabschiedung lief ohne Komplikationen ab, zwar hatte Law sie begleiten wollen, aber nach einem einmaligen Verneinen hatte er es gelassen. Seine Läuterung kaufte sie ihm nicht ab. Dafür war der Sprung zu rasch erfolgt. Wahrscheinlich änderte er lediglich seinen Schlachtplan. Und doch hoffte Nami, dem wäre so. Ab dem Wein hin hatten sie sich tatsächlich normal unterhalten. Er hatte von sich erzählt. Unter anderem von seiner Familie, das ihm der Arztberuf in den Genen lag und es dementsprechend keine Überraschung war, das er in die Fußstapfen folgte. Von deren Tod – Ein tragisches Unglück, bei dem Eltern und seine Schwester verstarben, er überlebte gerade so. Seither lebte er bei Corazon. Die Geschichte kannte Nami gar nicht. Für sie war er schon immer Corazons Sohn gewesen und der wiederum ein alter Freund ihres Ziehvaters. Alleine durchquerte sie die kurze Gasse, fand sich auf dem großen piazza wieder, an dessen Ende sie nach links musste und somit gleich zu Hause war. Inmitten des Platzes, der nachts so gut wie keine Passanten aufwies, blieb sie stehen und blickte nach oben. Es war keine sternenklare Nacht; Wolken zogen umher, mal schoben sie sich vor dem Mond, dann leuchtete er wieder. Ihrem Gespür nach dürfte der nächste Tag regnerisch werden. Eine Nachricht traf ein; neugierig auf dessen Absender, fischte sie das Handy aus ihrer Tasche. »War ein aufschlussreiches und angenehmes Gespräch. Möchte den Abend gerne wiederholen, sofern du nichts dagegen hast. Samstagabend geht mein Rückflug.« Namis Augenbraue wanderte in die Höhe. Eine Antwort schrieb sie nicht. Ein wirklich abrupter Wechsel. »Kannst du mir erklären, warum Zorro mich anruft? Was habt ihr aufgeführt?«, wartete eine Nachricht ihrer besten Freundin, die sie in der Bar wohl überhört hatte. Zurückschreiben brauchte sie nicht, sie würde sowieso später noch ein Wörtchen mit ihr reden. Besonders um herauszufinden, womit Zorro sein Getue begründete. Da blieb sie lieber an einem anderen Nachrichtenfenster hängen. Und Robin, hatte Franky gesagt. Nami hatte bereits die ersten Wörter getippt, ehe sie einen Moment lang inne hielt und darüber nachdachte. Genauso schnell waren sie wieder gelöscht. Am Ende war Franky Robins Freund und was er tat, konnte ihr egal sein. Sollte er sich für den Anruf rechtfertigen. Warum hatte er sich überhaupt bei ihr gemeldet? – Ein Gedanke, der sich nach und nach aufdrängte und den sie so langsam, aber sicher realisierte. „Scheiße“, fluchte sie. Wie kamen die beiden auf diese unsinnige Idee? Sie mochte sich lieber nicht ausmalen, was sich die andere dabei dachte. Einer Lappalie wegen angerufen zu werden, ihretwegen! Auch unter normalen Umständen hätte sie den Anruf missbilligt. Ein lächerlicher Akt. Zorro überraschte sie schon, aber Franky? Der war locker fünfzehn Jahre älter und verhielt sich genauso kindisch wie ihr bester Freund. Frustriert schob sie das telefonino zurück in die Tasche. Und als Nami sich umdrehte und die letzten Meter nach Hause nehmen wollte, fuhr sie erschrocken zusammen. Sie war nicht mehr alleine. Kapitel 24: Più facile a dirsi che a farsi. ------------------------------------------- Leichter gesagt als getan 9. September 2012 Die Tür fiel ins Schloss; rücklings sank sie an dieser zu Boden. Das linke Bein angewinkelt, schlossen sich die Augenlider. Einfach so, ohne eine Spur an Gegenwehr hatte sie Nami ziehen lassen. Für ihren Verstand war dies die einzig richtige Entscheidung gewesen. Das Herz hingegen … lautstark rebellierte es in der Brust. Ein Narr, das war sie. Vorzeichen hatte es genügend gegeben, aber hatte Robin ignorant gemeint, sie könnte ewig weitermachen; ewig hoffen, dass Nami nie den einen Stein ins Rollen brachte. Nun war das Unausweichliche geschehen; eine Linie wurde überschritten und der Weg zurück versperrt. Entweder kam der Bruch oder Robin wagte all ihre Regeln über Bord zu werfen. Oder ihre allerletzte Regel, denn manche hatte sie unlängst gebrochen, weit genug ausgelotet. Der tägliche Kontakt, die Einblicke in ihr Leben und in die Vergangenheit, die Einladung in ihr Haus und dann sogar nach St. Petersburg, aber nichts schien so dafür zu sprechen, wie diese Kleinigkeiten, einfache und doch kräftige Gesten, die auf mehr hindeuteten. Wenn Robin mit einem Problem zu kämpfen hatte, das ihr Leben erschwerte, dann war es jenes, dass sie die Nähe zu Nami genoss, sich nach ihr sehnte und sie suchte. Für sich hatte Robin die unsichtbare Grenze lange vorher überschritten. Zu Beginn nicht beabsichtigt, aber nach und nach bei vollem Wissen, welche Konsequenzen warteten. Ohne das dunkle Geheimnis … Langsam stieß sie den Atem aus. In einem anderen Leben hätte sie nie so lange gewartet, sie mahnend zurückgehalten. Gab sie ihren Gefühle nach, dann hätte sie Nami schon vor Wochen um eine Verabredung gebeten. Das zweite Mal ließ sie eine außenstehende Frau so nah, wenn nicht sogar näher, aber anders als damals, wehrte sie sich vehement. Es war nicht nur den negativen Erfahrungen geschuldet, nein, sie spürte, dass das was sie empfand weitaus tiefergehende Gefühle waren und die Angst, vor dem das passieren konnte, hielt Robin eng umschlungen. Irgendwann wurde jemand verletzt. Wenn nicht sie, dann Nami und das durfte nicht geschehen. Noch würde es sich in Grenzen halten; eine Abfuhr tat weh, aber zum Vergleich zu dem das eintrat, wenn sich ihre Leben mehr und mehr ineinander verflochten … jene Zukunft wollte sich Robin gar nicht erst ausmalen. Lieber erneut die Einschränkung hinnehmen. Hinnehmen, dass sie sich nicht aussuchen durfte, wen sie liebte, mit wem sie ihr Leben teilte. Und doch lag die Frage in der Luft, ob Robin dem standhielt. 10. September 2012 Normalerweise löste Robin ihre Probleme alleine. Hilfe suchte sie kaum bis gar keine, aber hierbei saß sie fest, brauchte dringender denn je Rat. So kam das gemeinsame Mittagessen genau recht. Während der Nacht hatte Robin kaum ein Auge zu getan. All die Szenarien hatten sie wach gehalten. Jene, in denen sie die Verbindung kappte, sich gänzlich von Nami löste, in denen sie ihre eigenen Empfindungen unter den Teppich kehrte. Aber, und das hatte schließlich zur puren Verzweiflung geführt, auch jene, in denen sie sich für Liebe entschied. Alles in allem existierten zu viele Variable, die allesamt in eine Katastrophe mündeten. Das Spiel konnte rasch auffliegen, dann länger anhalten. Robin war bereits in etliche Lügen verstrickt. Und was erzählte sie, sollte sie eines Tages verletzt zurückkehren? Irgendwann dann, spät nachts, hatte sie aufgegeben. Statt auf Schlaf zu hoffen, war sie aufgestanden und hatte sich bis zum Morgen hin in ihrem Arbeitszimmer verkrochen. Wenigstens hatte sie so ein bisschen Ablenkung gefunden. „Puzzleteile …“, murmelte Kalifa dann, nach einer längeren Pause hin, und Robin hob ihren Kopf. Vorerst wollte ihre Freundin alles von ihrem Aufenthalt in St. Petersburg erfahren. Kalifa kannte bereits ein paar Einzelheiten, aber noch nicht alles über jene kryptischen Andeutungen der Historiker, dem ominösen Brief, der für sich allein genügend neue Fragen und Spekulationen aufwarf. „Jetzt weiß ich, von wem du das Rätselhafte hast!“ Kalifa tippte sich ans Kinn; nickte dann. „Welche Erkenntnis hast du erworben?“, hakte Robin schwach lächelnd nach. Die Geste kannte sie. „Auf jeden Fall ist der Hund in seinem Anwesen begraben. Ich komm mit. Wir legen jeden Stein um. Mal sehen, ob ich den Plan finde, aber bezweifle ich, dass dort alles eingezeichnet wurde. Gewitzt … den Brief durchschaust nicht mal du. Eine wage Andeutung ohne Beweise. Graben wir tief genug, finden wir des Rätsels Lösung.“ „Ich hab mich wenig darum gekümmert. Mutters Tod. Heimlich habe ich ihren letzten Forschungen die Schuld an allem gegeben.“ Olvia hatte sich krampfhaft verbissen; hatte bis spät in die Nacht gearbeitet. Füreinander blieb kaum Zeit und wenn sie sie hatten, war sie kostbar gewesen. Nie zuvor hatte sich ihre Mutter so sehr auf etwas versteift gehabt. Dann starb sie. „Hast du nie einen Verdacht geschöpft?“ „Damals? Nein, Clover hat sich nichts anmerken lassen und was meine Mutter betrifft … ich hab mir einfach mehr Zeit mit ihr gewünscht. Und wenn, was hätte ich als achtjähriges Kind tun sollen? Mir Augen und Ohren wachsen lassen? Ihnen hinterher spionieren?“, lachte sie höhnisch. „Ha. Ha. Lustig, so meinte ich das nicht”, rollte Kalifa die Augen über, stockte und setzte mit einem amüsierten Grinsen nach: „Wäre aber hilfreich. So Körperteile wachsen lassen. Hier zuhören, da nachsehen, dort ‘ne Hand, da ein Bein! – Gib es zu, das gefiele selbst dir.“ Sacht schüttelte Robin den Kopf. „Ich muss dem auf den Grund gehen. Bei Clover und bei mir.“ Genügend lag unangetastet im Elternhaus. Wollte sie nachforschen, musste alles durchforstet werden. Von ihr und vor Ort. „Was ich wohl über Klein-Robin erfahren werden?“, kicherte Kalifa vergnügt, den missbilligenden Blick ignorierend. „Also, haken wir das Thema vorerst ab“, wurde sie ernster und unterstrich den Wechsel mit einer Handbewegung, „und lenken es auf deine anderen Sorgen. Erzähl, was gestern vorgefallen ist – ist die Katze aus dem Sack?“ Was war angenehmer? Der mögliche Mordfall ihrer Mutter oder die Zwickmühle? Beides gleichermaßen anstrengend, aber bei den Problemen, die ihr Herz betrafen, brauchte sie Rat. Knapp und nüchtern erzählte Robin somit was ihr Kummer bereitete. „Ich hab auf mehr Zeit gehofft. Ich kann nur noch den Kontakt abbrechen … hätte es von Anfang an bei einem Gespräch belassen sollen.“ „Bist du dir sicher?“, entgegnete Kalifa überraschend einfühlsam. Sie rief den Kellner herbei, orderte noch zwei Kaffees. Auf den fragendenden Blick hin, erklärte sich die Blonde: „Ich kenne dich und die letzten Monate über habe ich dich beobachtet. Natürlich gebe ich gern Kommentare ab, aber hierbei hat es seinen Grund gehabt. Sprechen wir es offen aus, du bist verknallt in die Kleine. Du meidest lediglich den letzten, entscheidenden Schritt, aber ansonsten? Deine Gefühle haben längst die Oberhand. Robin, du hast sie zu dir eingeladen!“ Der Kellner servierte den Kaffee. „Was hast du dir erwartet? Sie würde das Spielchen ewig mitmachen? Freunde bis in alle Verdammnis? Ich habe euch in der Bar miteinander umgehen sehen!“ Kalifa schüttelte den Kopf, gab den Kaffee Zucker bei und rührte um. „Auch unter Freunden kann ein Verdacht aufkommen.“ Robins Tasse blieb unangetastet. „Ihre Hoffnungen sind verständlich und ich verstehe deine Sorgen – sie ist nicht Pola.“ „Pola und ich, dass-„ „Vielleicht habt ihr nicht diese großen Gefühle füreinander gehegt“, unterbrach Kalifa, „aber als belanglose Affäre konnte eure Beziehung auch nicht bezeichnet werden! Mit ihr ist alles … einfach gewesen. Keine Angst, keine Erklärungen oder Ausflüchte. Du bist gegangen, hast deine Arbeit erledigt, bist nach Hause gekommen und wenn euch danach war, habt ihr darüber gesprochen!“ Vorsichtig nippte Kalifa an ihrem Heißgetränk. „Sie ist nicht Pola“, wiederholte sie bestimmt und lehnte zurück. Für die Blonde existierten zwei Möglichkeiten: „Entweder lässt du die Kleine ziehen oder du beißt in den sauren Apfel.“ „Sauren Apfel“, wiederholte Robin spöttisch, erntete dafür einen strafenden Blick. „Ist doch wahr!“, lachte Kalifa höhnisch. „Vergiss die Kleine. Sie ist jung und findet schon bald eine andere Frau. Hier laufen genügend herum, wer weiß ob sie in ein paar Monaten nicht sogar abreist. Nebenbei kannst du dein Leben weiterleben. Perfekt! Niemand kommt zu Schaden!“ Die richtige Option. „Oder, du gibst euch eine Chance. Vielleicht dauert es nicht lang und ihr merkt, ihr seid nicht füreinander geschaffen – Wäre wünschenswert! Oder … oder ihr seid kompatibel und der große Knall trifft euch aus heiterem Himmel. Durch dich, durch sie oder durch Fremdeinwirkung. Hast du daran gedacht, wie vorsichtig du sein müsstest? In deinem eigenen Haus? Und denk an sie. Ein falscher Schritt-“ „Kalifa!“, ermahnte Robin. „Du erzählst mir nichts Neues. Ich bin alles durchgegangen, etliche Male!“ Nein, eine neue Erkenntnis erwarb sie nicht. Egal, wie sie es drehte und wendete. „Die Konsequenzen sind mir bewusst!“ „Kopf und Herz werden hierbei nie einen gemeinsamen Nenner finden. Nicht solange du in zwei Welten wandelst. Eines ist gewiss, diese Freundschaft könnt ihr in die Tonne treten.“ Die leere Tasse schob sie von sich, überprüfte die Uhrzeit. Sie musste bald los. „Geh nach Hause und schlaf dich aus. Ausgeruhter fällt dir die Entscheidung leichter.“ „Leichter gesagt als getan. Schlafen entwickelt sich zur Herausforderung, außerdem habe ich noch einen Termin.“ Ausgerechnet mit Namis bester Freundin. Zögernd blickte sie zur Blonden. „Ehrliche Antwort. Was würdest du tun?“ „Mich fragen, ob sie all das wert ist.“ × × „Hast du dein Handy weggeworfen?“, kritisierte Franky murrend. Robin stöhnte frustriert. Weggeworfen nicht, aber war sie eingenickt und ihr Nacken war nicht dankbar. „Was willst du?“, fragte sie dementsprechend abwesend, massierte sich mit der freien Hand den schmerzenden Nackenpartie. „Komm in die Bar, hopp, hopp.“ Und das war das Stichwort. Die Müdigkeit verschwand, die Hand sank und Robin erinnerte sich daran, dass sie diejenige gewesen war, die Franky um einen Gefallen gebeten hatte. „Nicht super, was hier abgeht. Die freunden sich an.“ „Anfreunden?“ „Anders kann ich’s nicht erklären. Nami ist von ‚Ich bring dich um!‘ umgestiegen auf ‚Lass uns Freunde werden‘. Bestellen grad eine Flasche Wein. Ich sag mal, deine Befürchtung ist unbegründet. Sie ist eher die, die Mist bauen kann.“ „Sie reden … gut. Vielleicht hat er seine vergeblichen Bemühungen eingesehen und sie unterhalten sich einfach.“ Darin sah sie gerade nicht das große Problem, das Franky herauf beschwor. Sie sank zurück, die Muskeln wurden träge. „Sie sieht ihn gar als Trostpreis“, sprach er nun gedämpft. „Du weist sie ab, aber er ist gerade verfügbar. Gab’s alles schon.“ „Und deine Worte beruhen auf was?“ „Warum hast du mich sonst angesetzt?“, lachte er; natürlich war er nicht auf den Kopf gefallen und Robin hatte ihm keinen konkreten Grund genannt, nur um ein wachsames Auge gebeten. „Zorro und Bruno sind auf meiner Seite. Komm, das wird lustig.“ „Hör auf. Ich komme nicht. Sie ist ein mündiger Bürger und kann tun und lassen, was immer sie möchte.“ „Sogar Zorro ist beunruhigt. Der telefoniert gerade mit Vivi.“ „Was treibt ihr für Späße?“ „Keine Späße, purer Ernst!“, rechtfertigte der Mann und Robin fluchte innerlich, warum sie ihn angerufen hatte. Er balancierte gerne auf einem schmalen Grat zwischen Ernsthaftigkeit und Albernheit, das war ihr nicht neu, aber warum geschah dies meist in den unpassendsten Situationen, das er sich für seine alberne Ader entschied? „Soll ich ihn ausschalten?“, der Ton, in dem er sprach, stellte ihre Nackenhaare auf. Dann verfiel Franky in schallendes Lachen. „Brunos Blick ist göttlich!“ „Danke für Berichterstattung, ich bleibe zu Hause.“ Damit legte Robin auf; zählt rückwärts hinunter. Sie liebte ihn wie einen Bruder, aber manchmal … manchmal würde sie ihm gerne das Genick brechen. Robin starrte auf das Display. Ein normales Gespräch. Law hatte es geschafft, Nami in der Bar zu halten. Ein rascher Wandel, aber Robin deutete es in eine positive Entwicklung. Er könnte es eingesehen haben. Vielleicht wollte Nami das Kriegsbeil endgültig begraben, hatte sie doch selbst gesagt, es zerrte an den Nerven. Und doch spürte sie etwas Ungutes, wie so oft bei ihm. Woher es kam, wusste sie nicht. Vielleicht war es endlich an der Zeit dem Gefühl nachzugehen. Kurzerhand wählte sie Kalifa. „Möchtest du mich über deine Entscheidung informieren?“, säuselte die Blonde sogleich. „Tust du mir einen Gefallen?“ „Oh – Warte!“ Robin runzelte die Stirn, hörte, das Kalifa sich fortbewegte. Dann ein kurzes Rascheln. „Was möchtest du über ihre Familie hören? Sind nette Sachen dabei. Oder mein liebstes Thema … ihre Schulakten. War ein bisschen ungezogen, die Gute!“, kicherte sie. „Was? Nein! Nami spielt keine Rolle. Keine direkte.“ Also hatte sie doch nachgeforscht. Kalifa war eine äußerst neugierige Frau und in diesen Belangen begabter als sie alle zusammen. Wollte sie Informationen, dann bekam sie sie. Ein enttäuschtes Seufzen drang durch. „Trafalgar Law. Er ist ein Chirurg.“ „Eine Sekunde …“, wieder Hintergrundgeräusche, dieses Mal ein Tippen, „… du musst wissen, ich hab bislang das Übliche raus gesucht. Du musst nur fragen. Und bei dem Namen … irgendetwas höre ich läuten. Ein Freund von ihr?“ „Laut Nami ein Quälgeist, ist angeblich ihretwegen in der Stadt.“ „Oh, siehst du ihn als Konkurrent?“ „Nein, er stört mich … und nicht ihretwegen. Bei der ersten Erwähnung schon, aber da hing es nur mit dem Namen zusammen. Ich dachte, es liegt seiner Seltenheit, aber mittlerweile … da ist irgendetwas.“ „Ausgerechnet heute, wo er in der Stadt ist?“ Eine berechtigte Frage. Steckte der Anruf dahinter? Löste er das beklemmende Gefühl aus, weil sie sich doch Sorgen machte? Nein, nur daran lag es nicht, denn warum fühlte sie, als müsste sie den Namen irgendwo einsortieren, in eine Sparte, die nichts mit Nami zu tun hatte? „Scheiße“, wurde Robin aus ihren Gedanken geholt. „Law Water Trafalgar. Water … was sich seine Eltern dabei dachten? Die sind übrigens, zusammen mit seiner Schwester verstorben. Mit zehn Jahren ist die Vormundschaft an Corazon … ¡Manda cojones! “, die Stimme erlosch. „Was hast du entdeckt?“ „Ruf dich zurück.“ Bevor Robin einwenden konnte, war die Verbindung abgebrochen. Wild schlug das Herz gegen ihre Brust; angespannt umklammerte sie das telefonio. Eines wusste Robin: Kalifas Reaktion bedeutete nichts Gutes. Eine halbe Stunde später stand Robin am offenen Fenster; frische und kühle Nachtluft war notwendig gewesen, die sie tief einatmete. Das Warten mochte sie nicht, brachte eine ungewöhnliche Nervosität ans Tageslicht. Was war geschehen? Los mit ihr? So kannte sie sich nicht. Eigentlich verkörperte sie Ruhe, Gelassenheit, selbst in aussichtlos scheinenden Situationen, in denen ihr Leben in Gefahr war. Ihr Leben. War das der Grund? Weil sie sich nicht um sich selbst oder ihre Freunde sorgte (Jeder von ihnen konnte sich immerhin zur Wehr setzen)? Stellte er eine Gefahr dar, dann … sie schluckte. Die Gefühle für Nami hatten etwas verändert. Immer mehr spürte sie eine Rastlosigkeit, die sie um den Verstand brachte. Entscheidungen und Taten wurden hinterfragt. Gedanken, die sie zuvor für wenige Minuten melancholisch werden ließen, aber die sie rasch ad acta legen konnte. Was interessierte sie Trafalgar? Einen Chirurgen, dem sie nie begegnet war. Bat Franky ein Auge auf ihn zu werfen. Bat um Nachforschungen. Selbst, wenn an ihm etwas faul war, was kümmerte es Robin? Weder waren ihre Freunde in Schwierigkeiten noch sie selbst. War das die Antwort? Das Telefon läutete. „Don Quichotte-“ „Joker. Zusammenhang?“ „Der Name, also Trafalgar. Mein Gedächtnis hat geschwächelt! Corazon ist Jokers Bruder, hat vor Jahren den Nachnamen geändert. Kurz bevor er Law zu sich nahm. Nette Geschichte. Hat sich von Joker abgekoppelt, nachdem sein Ausspionieren aufgeflogen ist.“ „Er hat seinen Bruder ausspioniert und lebt noch?“ „Patt-Patt-Situation? Wäre nicht das erste Mal. Vielleicht finde ich noch mehr, den passenden Kontakt hätte ich schon im Kopf“, erklärte sie schlicht, räusperte sich. „Nun zu deinem Gefühl. Das ist berechtigt, ehrlich, Robin. Ich hab Mitleid mit der Kleinen. Du stehst auf sie … er steht auf sie-.“ „Sprich’s aus!“ „Lucci.” Ein Name und Robin gefror das Blut in den Andern. „Unserem Sorgenkind spioniere ich gerne nach – bringt mich um, sollte der je erfahren, was ich über ihn weiß! Jedenfalls Law ähnelt dir, zwar nicht so früh, aber früh aus der Schule. Vor vier Jahren Assistenzarzt. Rate mal, wen er behandelt hat? Seitdem gibt es Zufälle … was wir unter Zufälle verstehen. Und plötzlich hat’s Klick gemacht - geh ungefähr zwei Jahre zurück, die nette Tea-Party.“ Daran musste Robin nicht erinnert werden; das damalige Ereignis würde sie nie vergessen. Das perfekte Chaos, ein Massaker, ausgelöst von Luccis Drang nach Blut. Aber spielte nur ein Detail eine Rolle. Ein Name war damals gefallen. Nebenbei, bislang unbedeutend. „Ich hatte-“ „Wer denkt noch dran? Zumal er im Nachhinein unwichtig geworden ist.“ Eine Hiobsbotschaft. Rob Luccis Bekanntschaft war gleichzusetzen mit dem Tod. Er benutzte Menschen solange sie einen Nutzen erwiesen. War dieser erfüllt, zögerte Lucci nicht. Zeugen bedeuteten Risiken; Loyalität war kein Garant und manchmal mussten dem Opfer nahe stehende Personen dasselbe Schicksal teilen. Lucci war für seine Säuberungen bekannt. „Er spielt mit dem Feuer. Treib alles zusammen, das du findest. Lucci. Law. Einfach alles!“ Schlagartig nahm sie das Gefühl ernst. Keine falsche Einschätzung, einer etwaigen Eifersucht oder lächerlichen Abneigung seines Charakters wegen. Er stellte eine greifbar gewordene Gefahr dar. Kapitel 25: Discordante. ------------------------ Widersprüchlich 10. September 2012 „Warum bist du … sag bitte nicht, du bist seinetwegen … Franky ist so ein Idiot! Ich kann nichts dafür!“ Nami schlug sich gegen die Stirn; die andere Hand in die Hüfte gestemmt, wurde ein tiefer Seufzer hörbar. In wenigen Metern Entfernung stand Robin, der sie noch schreiben wollte, sie solle den Anruf ihres Freundes ignorieren und es täte ihr Leid (Auch wenn das eigentlich sein Problem war). „Ich verstehe nicht, was die für einen Wind darum machen! Was hat er dir überhaupt als Grund genannt?“ Das hatte sie nicht gefragt oder besser gesagt, sie hatte es bewusst ausgelassen, um nach Hause zu kommen. Vivi erzählte ihr so oder so, was Zorro gesagt hatte. Vorsichtig blickte sie zur anderen, die ihre Hände in der Manteltasche, die Schultern gestraft hatte. Aus dem Ausdruck, den sie ihr entgegen brachte, konnte Nami kaum bis gar nichts heraus lesen. „Franky liebt Übertreibungen und für sein Alter kommt recht schnell eine kindliche Ader durch“, erklärte Robin gelassen. Eine für ihn passende Aktion, sobald Alkohol im Spiel war (Ob er anderes intus hatte, konnte Robin nicht ausschließen). „Nicht für Zorro“, brummte Nami. Denn dieser ließ sich nur schwer in Albernheiten verstricken. Meist war Zorro eher derjenige, der so etwas unterband oder entnervt daneben verweilte oder seinem Desinteresse Gehör verschaffte. „Franky ist ansteckend.“ Wie er das machte, hatte Robin noch nicht herausgefunden; bei ihr stieß er zwar auf Granit, aber bei anderen hatte sie seine Überzeugungskraft oft genug miterlebt. Nun hatte es eben Zorro getroffen, was an sich eine kleine Überraschung war, aber angesichts der Abneigung gegen Namis Begleitung erschien seine Aktion passend. Franky brauchte lediglich das Feuer zu schüren. Robin setzte sich in Bewegung, nur um sich auf einer der Bänke niederzulassen, die verstreut standen. Tagsüber dienten sie zum Verschnaufen. Ein paar ruhige Minuten, in denen man die Sonne genoss und abschaltete. Nichts von dem verspürte Robin in einer kühleren Herbstnacht. „Die Frage hat sich nicht in Luft aufgelöst“, bemerkte Nami den Blick abwendend. Wiederholt wich sie ihr aus oder überhörte das Gefragte. Was hatte sie bewogen hierher zu kommen? „Du hast dich mit Law amüsiert?“ „Etwa deswegen? Weil ich ihm nicht an die Gurgel gegangen bin?“ Natürlich musste Law der Auslöser für sein, war ihr von Anfang an klar gewesen, aber warum um alles in der Welt, machten sie so einen Hehl daraus? Zorro würde sie definitiv die Leviten lesen! Ein normales Gespräch sollte eigentlich vielmehr eine beruhigende Wirkung erzielen. Als sie den Blick der anderen deutlich wahrnahm, stieß Nami hörbar ihren Atem aus. „Nach Anfangsschwierigkeiten haben wir uns normal unterhalten. Er hat mich auch nicht vom Gehen abgehalten.“ Das Misstrauen ihm gegenüber blieb, aber es war eine willkommene Abwechslung zu ihren sonstigen Begegnungen gewesen und für Minuten hatte sie Robin vergessen gehabt. „Law ist meine Angelegenheit und ich habe sie vorerst unter Kontrolle. Du bist umsonst hier.“ An einen Zufall glaubte Nami nicht, zumal sie keine Ahnung hatte, was Robin sonst in diese Gegend trieb. Musternd wandte sich Nami der anderen zu; sie regte sich nicht, machten nicht den Anschein, als wollte sie bald antworten. Das Schweigen löste zweierlei aus. Zuerst eine leichte Nervosität, die von einer anderen Regung in den Schatten gestellt wurde. Wut. „Ihr seht euch wieder?“ Nami entglitten die Gesichtszüge. „Vielleicht!“, kam eben jene Wut hörbar durch. „Er hat dich um den Finger gewickelt“, kommentierte Robin vergnügt, schnalzte mit der Zunge und blickte zu Boden. Aufgebracht raufte sich Nami das Haar. Wer sollte aus dieser Frau schlau werden? Ihre Arme verschränkten sich, ihr Blick wanderte zum Beginn der Gasse, die nach Hause führte. Besser sie ging einfach, so wie gestern, bevor sie sich ewig über Robin echauffierte und Wurzeln schlug, aber rebellierte ihr Körper, insbesondere das Herz. Diese Momente waren es, in denen sie Gefühle verabscheute; in denen sie sich wünschte, ihr Verstand wäre stark genug dagegen zu halten. „Eine recht merkwürdige Entwicklung, findest du nicht? Letztens hast du ihn noch verabscheut, sein Getue missbilligt und heute zeigt er sich geläutert und ihr habt einen netten Abend miteinander.“ „Und findest du nicht, ich bin diejenige, die sich darüber den Kopf zerbrechen sollte?“ Robin überspannte einen Bogen, ob sie es ahnte oder nicht. „Denkst du, ich nehme seinen Wandel gedankenlos hin und mach sofort auf Freunde? Kommt dir eventuell der Gedanke, dass ich herausfinden will, ob es nicht bloß ein weiterer Schachzug ist?“ Als ob sie sofort auf Law herein fiel. Nami hatte sich eben auf ein längeres Gespräch eingelassen, hatte etwas Neues von ihm erfahren, aber hieß es noch lange nicht, dass sie ihm ihr Vertrauen schenkte. „Misch dich nicht in mein Leben ein!“, wurde ihre Stimme lauter. „Ich hab schon genügend, die das tun, da brauche ich dich nicht.“ Und da spürte sie den Kloß, der ihr die Kehle zuschnürte. Sie wollte die andere ja in ihrem Leben; sie wollte, dass sie daran teilnahm, aber … nicht so. Warum tauchte sie Law wegen auf, aber nicht ihretwegen? Zu ihrem Leidwesen trat erneutes Schweigen ein; der Kopf wurde angehoben, aber ihre Lippen blieben regungslos. Und da schoss Nami ein Gedanke durch den Kopf, der sie erschauderte, der sie nur ihrer Rage wegen packte. „Law mag ein Arschloch sein, aber unterscheidet ihr euch. Sagt er die Wahrheit, dann ist er dir einen Schritt voraus. Der, der seit Jahre nur eine Nacht sucht, wäre bereit eine Beziehung einzugehen; springt über seinen Schatten und, selbst wenn er nur heuchelt, er zeigt Interesse!“, sprach sie diesen Gedanken bitter aus; er schockierte sie. „Siehst du, was du schaffst? Etwas Positives zu Law zu sagen, gehört eigentlich auf eine Liste derer Dinge, die ich nie von mir geben würde!“ Das hatte ihr dieser Abend plötzlich schmerzhaft bewusst werden lassen. Während er seit Monaten versuchte ihr näher zu kommen, jegliche Register zog, war Robin diejenige, die sie wegstieß sobald alles nach einer ernsteren Angelegenheit schrie. Nami wünschte sich nichts von der Aufdringlichkeit, die Law verkörperte, aber etwas hatte sie sich von der anderen sehr wohl erwartet. Nämlich zu zeigen, dass sie sich all das nicht bloß eingebildet hatte. Dann blickte sie hoch; der Mond war vollkommen hinter einer Wolkenschicht verschwunden. Sie sollte endlich gehen. „Ich mach mir Sorgen“, durchbrach Robin schlussendlich ihr eisernes Schweigen. „Er löst ein ungutes Gefühl aus.“ Dank dieser Verbindung war er gefährlich. Nami musste sich von ihm genauso fernhalten, wie von ihr. Ihretwillen, aber wie sollte Nami verstehen, wenn die Wahrheit verschwiegen wurde? Nachdem das Gespräch zu Ende war, hatte es Robin nicht länger im Haus ausgehalten. Sie musste raus, ihre Beine vertreten. Rasch fiel die Bar flach, zumal Franky auch geschrieben hatte. Einfach so war sie durch die Gassen und bevor sie wusste, war sie in direkter Nähe zu den Nefeltaris stehen geblieben. Nicht lange, sie hatte sich zum Rückweg gezwungen, aber als sie Nami erkannt hatte, hatte sie nicht anders gekonnt. „Wow. Dafür suchst du mich auf? Nett von dir.“ Als ob eine Warnung notwendig war; im Gegensatz zur anderen kannte Nami diesen Mann und wusste, worauf sie achten musste. „Wie du siehst bin ich heil angekommen. Danke, deine Arbeit ist getan“, fügte sie gereizt an, schließlich ignorierte Robin alles andere. 9. September 2012 „Was ist das hier?“, fragte die jüngere Frau und Robin hielt an. „Zwischen uns?“ Ihr Atem stockte. Zwischen Tür und Angel stehend, wusste sie nicht was sie tun sollte; holte sie das Kleidungsstück oder verharrte sie? Die Entscheidung wurde ihr vorerst abgenommen. „Manchmal rede ich mir ein, wir seien einfach Freundinnen, dann … dann lache ich mich aus. Das ist keine normale Freundschaft. Ich bezweifle, dass ich mir das einbilde und …“, verfiel Nami in Schweigen; Robin nutzte die Pause, schloss ihre Augenlider. Mehr brauchte sie nicht zu hören. Natürlich existierte etwas, das unlängst ausgesprochen gehörte. Es war da. „Ich will keine Freundschaft, Robin, und von Tag zu Tag wird’s schwieriger meine Gefühle zu leugnen. Ich will mehr – Sicher, du hast deinen Standpunkt deutlich ausgedrückt, aber … wie soll ich nicht daran denken, mir Hoffnungen machen?“ Robin schlug Wurzeln; die Jacke war vergessen. Der Paukenschlag, der sie aus dieser diesem Tagtraum holte, hatte sich vermehrt angekündigt. Längst hatte Robin gewusst, sie musste sich anders verhalten, sie musste auf Distanz gehen. Stattdessen hatte sie jede Gelegenheit genutzt Nami in ihrer Nähe zu wissen. Auch Robin sehnte sich nach mehr, den nächsten Schritt, aber war Nami keine Frau, die nach sporadischen Verabredungen suchte, nach einfachen, vergnüglichen Nächten, zwischen denen sie so taten, als wären sie Freunde. Wenn, dann wollte sie mehr, eine feste Beziehung mit allem das dazu gehörte. Etwas, das Robin ihr nicht geben konnte. Würde Nami die Wahrheit kennen, so wusste Robin, würde sie umdenken, sie nicht länger in ihre Nähe lassen und obwohl das zugegebenermaßen richtig wäre, fürchtete sich Robin davor. Beklemmend sah Robin gen Boden. Wie oft hatte sie schon darüber nachgedacht, beide Seiten abgewogen. Von Anfang an war ihr Verhältnis auf eine große Lüge aufgebaut, die Robin nie aufdecken durfte. Ein Damoklesschwert stand über ihnen, nur hatte Nami keine Ahnung davon. Gab sie ihren Gefühlen nach, verletzte sie die anderen nicht nur, sie brachte sie in Gefahr. „Also“, hörte sie erneut, nachdem keine Antwort gekommen war, „was ist das zwischen uns? Wo soll es hinführen? – Oder darf ich dein Schweigen als Antwort deuten?“ Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Das Gespräch war ihrem Leichtsinn geschuldet; hätte sie sich zusammengenommen und manches nicht gesagt, hätte sie Nami keinen Anstoß gegeben. Halt suchend, lehnte Robin gegen den Türrahmen, verschränkte die Arme. Nami hatte sich umgedreht, taxierte sie unruhig, wodurch sich eine beklemmende Stille über sie legte. Blickkontakt war alles, ehe Robin sich vom angespannten Anblick der anderen gänzlich löste. „Ich …“, räusperte sie sich, hoffte, irgendeine Einigung ihrer gegeneinander ankämpfenden Parteien zu erzielen. Herz gegen Verstand; ein immerwährender Twist. „Und wenn ich unsere Freundschaft vorziehe?“ „Was habe ich mir auch anderes erwartet.“ 10. September 2012 „Warte“, hielt Robin den Rotschopf vom Gehen ab. Sie selbst stand auf, wahrte dennoch die Distanz. „Glaub nicht, ich empfinde nichts für dich. Das tue ich, mehr als du ahnst.“ Fragend blickte Nami über ihre Schulter zurück. „Denkst du, ich stehe grundlos in Kontakt mit dir? Wären diese Gefühle nicht im Spiel … ich würde mich auf meinen Reisen nicht melden oder dir sagen, ich will dich sehen oder ich hätte dich vermisst.“ Bei ihren Freunden war Robin anders. War sie unterwegs, standen sie nicht täglich in Kontakt. Wenn, dann beließen sie es bei Nachrichten. Hielten sich knapp auf dem aktuellen Stand. Anrufe waren selten, hatten Gründe. Nami rief sie an, weil sie reden und ihre Stimme hören wollte. „Aber?“, fragte Nami bitter nach, als eine kurze Pause eintrat. Es lag in der Luft. „Meine Einstellung bleibt unverändert. Ich bin nicht geschaffen für eine gesunde Beziehung. Die Arbeit kommt immer an erster Stelle. Meine Freunde sind Familie und ich verbringe gerne Zeit mit ihnen, aber ich genieße das Alleinsein – Nenn es Freiheit.“ Ungezwungen konnte sie tun und lassen, wonach ihr war. „Egal wie viel ich dir bereits anvertraut habe, in erster Linie bin ich verschlossen und schweige über etliches.“ Und genau jenes, das sie verschwieg, machte es so schwer, jemanden näher zu lassen. „Jede Medaille hat zwei Seiten, Nami, und du kennst bislang hauptsächlich meine positive. Für die andere kann ich nichts garantieren. Sie wird dich irgendwann, irgendwie verletzen, obwohl es nicht meine Absicht ist.“ Alles hatte seinen Preis und die Jahre hatten dafür gesorgt, dass sie sich nie vollkommen öffnen würde. Selbst vor ihren Freunden verbarg sie manches. „Ich hab dir mal gesagt, ich spiele nicht mit Frauen, schon gar nicht mit jenen, die mir etwas bedeuten. Deshalb habe ich mehrere Gelegenheiten, in denen wir uns hätten näher kommen können, unterbunden und insgeheim gehofft, dieser Moment zögert sich immer wieder hinaus. Sagen wir, ich habe mir gewünscht, du würdest nie mehr empfinden als Freundschaft – Für die Art Beziehung, wie du sie dir erhoffst, bin ich nicht die Richtige.“ „Und deshalb bleibst du lieber von Haus aus allein? Unterdrückst alles?“ Der schnippische Tonfall kam durch. „Robin, ich habe nicht erwartet, wir wären von heute auf morgen ein Paar. Eine Antwort auf meine Frage sehr wohl. Macht es einen Sinn abzuwarten oder muss ich dich abschreiben.“ Ein kleiner Hinweis war alles gewesen, den sie sich erhofft hatte; der vorerst gereicht hätte. „Und noch bevor etwas geschehen ist, denkst du ans Scheitern! Deine Einstellung in allen Ehren, woher sie auch immer kommen mag, aber wie kannst du ohne das Risiko einzugehen, bereits überzeugt sein, es würde nie und nimmer funktionieren?“ Nami konnte und wollte diese Ansicht nicht teilen. Nicht, wenn Robin sagte, da war mehr. „Würdest du mir sagen, du siehst in mir lediglich eine gute Freundin – Okay, akzeptiert! Ich kann Gefühle nicht erzwingen, aber so? Wovor hast du Angst? Was ist dein verdammtes Problem?“ Tief holte sie Luft, wartete einen Augenblick ab, ehe sie Robin entschlossen fixierte. „Geh mit mir aus. Ein richtiges Date. Bleiben deine Bedenken danach bestehen, dann bitte, aber weise mich nicht ab, nur weil dein Verstand an irgendetwas festhält, das vielleicht nicht eintreten wird!“ Aufgeben konnte sie nicht, nicht hierbei. Denn blieb sich Robin treu, dann musste sie die Konsequenzen ziehen und nach allem, das in diesen Monaten war, sträubte sie sich gegen diese. Kapitel 26: Law Water Trafalgar. -------------------------------- Law Water Trafalgar 1. März 2008 „Das Krankenhaus befindet sich in entgegengesetzter Richtung.“ Es dämmerte langsam. Law mochte das Laufen in den frühen Stunden, noch bevor die Sonne den Horizont einnahm. Als er am Rückweg die üblichen Gassen durchquerte, war ihm eine Gestalt aufgefallen. Ein hochgewachsener Mann, das schwarze Haar streng nach hinten gebunden und einem Bart, den er so nie zuvor gesehen hatten. Aber war nicht sein Aussehen ausschlaggebend gewesen, sondern seine krümme Haltung. Beim Näherkommen dann die rötliche Färbung seiner Kleidung. Blut. Wortlos schritt der Unbekannte voran. Ignorierte den gutgemeinten Ratschlag. Laws Gespür sagte ihm schließlich, seine Verletzung ruhte von einem krummen Ding oder einer Auseinandersetzung, die nicht an die große Glocke gehängt werden durfte. Vielleicht, so dachte er, hätte er kehrt machen sollen. Etwas an diesem Mann erweckte ein unbehagliches Gefühl, welches er kaum in Worte fassen konnte. War er in Illegales verwickelt, könnte ihm jedes weitere Wort in Gefahr bringen. Allerdings, wenn er ihn so musterte, bezweifelte Law das er derjenige war, dem etwas zustieß. Neugierde kroch empor. „Ich bin Arzt, ich kann Ihnen helfen.“ Der Mann blieb schließlich stehen, schwankte auf der Stelle. Was ihm auch zugestoßen war, spielte ihm ordentlich mit und Law bezweifelte, dass der Mann noch lange bei Bewusstsein blieb. Die Geschichte hinter der Verletzung ließ seine Neugierde auflodern. Was trieb ihn zu dieser Stunde in diese Gegend? Auf jeden Fall hatte das Erlebnis einen teuren Anzug ruiniert, der Besseres verdient hatte. „Kugel steckt fest“, presste der Unbekannte hervor, kippte gegen die Steinmauer. Noch hielt er sich auf den Beinen. Ab dem Kommentar verstand Law, warum der Mann das Krankenhaus verweigerte. Schusswunden wurden gemeldet. „Bleiben Sie hier.“ Warum er half, führte er auf seinen Beruf zurück. „Sie mögen Risiken“, stellte der Mann fest. Während der Behandlung hatte Law ihn taxiert; kein einziges Zucken oder schmerzhaftes Stöhnen. Regungslos ließ er ihn arbeiten. Law nähte als die Worte an sein Ohr drangen. Bei seiner Rückkehr hatte er in den Lauf einer Pistole gestarrt, abgewartet, bis diese zu Boden gesunken war. „Schusswunde auf offener Straße … einen Bewaffneten.“ Ein nichtssagendes Lachen, dann eine bis in die Knochen vordringende Kälte. „Ich könnte Sie auf der Stelle erschießen.“ „Mehr kann ich unter diesen Umständen nicht tun. Behalten Sie die Wunde im Auge und ich rate zur Nachuntersuchung, nicht nur der Nähte wegen“, überging er den Kommentar, packte zusammen. Der Mann, dessen Namen er nicht in Erfahrung gebracht hatte, starrte ihn nieder. Gewiss dachte er daran, ihn augenblicklich zu töten, aber das Zögern erschien Law als die halbe Miete und er hielt dem Blick stand. Drei Tage später fragte ein Patient ausdrücklich nach Trafalgar Law. Der Mann stellte sich als Rob Lucci vor und meinte, sein Arzt hatte ihm dringlich eine Kontrolle nahegelegt. 14. September 2012 Pünktlich zum Sonnenaufgang kehrte Trafalgar Law von seinem morgendlichen Lauf zurück. Urlaub galt nicht aus Ausrede, zumal das lange Schlafen nicht funktionierte. Tief atmete er durch, blickte gedankenversunken gen Horizont, dessen Farbenspiel Entspannung auslöste. Der Aufenthalt neigte sich seinem Ende entgegen, aber noch hatte er nicht alle Erledigungen geschafft. Ein Antiquitätenkauf war für den Vormittag angesetzt. Bislang hatte er lediglich Fotografien gesehen, aber bevor er seltene Stücke nicht in der Hand gehalten und ihre Echtheit überprüft hatte, bestätigte er keinen Kauf. Nicht bei solchen Summen. Als er später im Speisesaal frühstückte, legte er gelangweilt die Tageszeitung auf den Tisch. Aufregendes geschah hier kaum, denn wirklich spannende Neuigkeiten hatte er in dieser Woche nicht aufgeschnappt, aber was erwartet er von dieser Stadt? Dann zog er das Handy aus der Innentasche des Sakkos. In den Jahren hatte sich Law angewöhnt, erst nach dem Frühstück einen Blick darauf zu werfen. Abends, sofern er keine Anliegen zu besprechen hatte oder dringliche Anrufe durchkamen, ignorierte er das Gerät. Law wollte einfach Ruhe. Dann, beim Durchsehen der Nachrichten, musste er lächeln. Ein ehrliches und glückliches Lächeln, kein gespieltes oder gar überhebliches. Er liebte sie. Law gestand sich Gefühle ein; etwas, das bislang bloß eine Frau geschafft hatte und das lag ein paar Jahre zurück. Nun las er die Nachricht. Nami hatte geantwortet. Selten war dies der Fall und meist hatte er einen schnippischen Kommentar geerntet oder wüste Beschimpfungen. Am Montag noch hatte er seiner Linie treu bleiben wollen; eine Änderung seiner Vorgehensweise war ausgeschlossen, doch irgendwie war er abgedriftet und ausgerechnet dann, hatte er eine Chance bekommen. Zwar mit Abfuhr, aber sie hatten miteinander gesprochen und so schien ihm das egal. Klipp und klar hatte sie Law gesagt, wo sie standen. Aufgeben lag weder in seinem Interesse noch in seiner Natur. Erst recht nicht, nachdem sie ihm den Kopf verdreht hatte. Die Gefühle ließen es nicht zu und so durfte er nicht kampflos aufgeben, er wollte sich keine Niederlage eingestehen. »Wenn du brav bist, können wir uns morgen Abend in der Bar treffen. Bin dort mit Freunden.«, sagte die Nachricht. Definitiv ein Schritt nach vorne. Der Ruf, den er hatte, war ihm bekannt. Nicht jeder mochte seine Art, aber nur so kam er durch das Leben. Nur so, konnte sich Law auf das Wesentliche konzentrieren. Er hatte Gründe und all das, das ihm wiederfahren war, überspielte er mit seinen Charakterzügen. Sich auf eine andere Weise zu zeigen, fiel ihm schwer. Er hatte einen Weg gewählt und bislang hatte ihm niemand die Möglichkeit gegeben, sich fallen zu lassen. 2. Dezember 1995 Fröhlich lachte der neunjährige Law. Obwohl er meist ein stiller, ernster und lernbegieriger Junge war, konnte er den Albernheiten seines Onkels nicht immer widerstehen. Irgendwann kam der eine Punkt, an dem Law nicht mehr anders konnte. Egal wie stumpfsinnig das Späßchen auch war. Das Haus der Familie Trafalgar lag abseits am Rande eines Waldes. Seine Eltern betonten die Ruhe war ausschlaggebend gewesen, wenngleich sich die Praxis nicht in direkter Nähe befand. Da die beiden nicht nur praktizierten sondern sich auch Forschungen widmeten, mochten sie diese Abgeschiedenheit wohl umso mehr. Was sie taten, konnte er nur schwer sagen, sie sprachen selten darüber und wenn, dann musste Law lauschen. Schon in diesem Alter wusste er, er würde eines Tages in ihre Fußstapfen treten. Als die beiden vom Skiausflug zurückkehrten, war es schon dunkel. Auf den Tag hatten er und seine Schwester, Lamy, sich schon länger gefreut. Corazon, sein Onkel, reiste viel, aber war er hier, dann unternahm er vieles mit den beiden. Leider war Lamy krank geworden, hatte sich eine ordentliche Erkältung eingefangen und so hatte sie zu Hause bleiben müssen. Und wie seine Eltern, beide Ärzte, nun mal waren, hatte selbst das breite und strahlende Lächeln seiner Schwester nicht geholfen; auch nicht der Hundeblick, der ihren Vater stets ins Wanken brachte. „Ich bring die Skier in die Garage, und komme nach“, meinte Corazon, der bereits am Dachträger hantierte. Law nickte wortlos, öffnete den Kofferraum und holte einen Teddybär heraus. Vielleicht konnte das kleine Mitbringsel seine Schwester ein wenig aufmuntern. Hoffnungsvoll schulterte er seine Skischuhe, ergriff seine Jacke und machte sie auf den Weg ins Haus. Die Türe war nicht abgeschlossen. Etwas, das er nur vom Tage gewohnt war. „Mama? Wir sind zurück!“, rief er noch während er aus den Schuhen schlüpfte, die anderen zu Boden stellte und die Jacke an den Haken hing. Den Teddybär behielt er in der Hand. Im unteren Stockwerk herrschte eine ungewohnte Stille, kein Licht brannte. Sieben Uhr, um diese Zeit befand sich stets noch jemand hier unten. Besonders, wenn er nach Hause kam, wartete seine Mutter bereits strahlend auf ihn. „Papa?“ Law drückte den Lichtschalter. Keine Antwort. Neugierig wanderte er die Treppe hoch. Vielleicht hatte sich Lamys Zustand verschlechtert und beide leisteten seiner jüngeren Schwester Gesellschaft. Schließlich mochte sie das Alleinsein nicht, wenn sie krank war. Oben angekommen bewegte sich Law leise fort, ging nach rechts, wo er sogleich an Lamys Zimmertür, die einen Spalt breit offen stand, stehen blieb. Von drinnen war kein Lichtschein erkennbar. Unbehaglich schluckte der Junge. Woher die Unruhe kam, verstand er nicht. Vielleicht hatte Corazon ihm vergessen zu sagen, dass seine Eltern noch kurz wohin gefahren waren. Nur würden sie Lamy nie alleine lassen. Mit laut pumpendem Herzen öffnete er die Türe ein Stück mehr. „Lamy?“, fragte in sanftem und leisem Tonfall. „Schläfst du?“ Law schaltete das Licht an. Als er seine Schwester erblickte, fiel der Teddybär zu Boden und ein ohrenbetäubender Schrei hallte durch das sonst in Stille getauchte Haus. 14. September 2012 Nie würde er jenen Tag vergessen. Wie glücklich er an dem Tag war, welche Freude er seiner Schwester bereiten wollte; vor allem der Anblick, der sich ihm bot, das Blut, die leeren Augen. Bis zu seinem Tod würden ihn diese Bilder verfolgen. Ihm wurde die Familie genommen und dafür würde Law sich eines Tages rächen. Die Mittagssonne genoss Trafalgar Law direkt am Markusplatz, in einem der Cafés, obwohl sein Hotel in unmittelbarer Nähe lag. Beim Begleichen der Rechnung war ihm neuerlich das Familienfoto ins Auge gestochen, das seit Jahren in seiner Geldtasche hauste. Mittlerweile wies es beträchtliche Gebrauchsspuren auf, aber von all den Erinnerungsstücken mochte er dieses am liebsten. Das letzte gemeinsame Foto. Zu sehen waren er, Lamy und seine Eltern. Alle lachten sie in die Kamera. Geschossen wurde es an Laws neuntem Geburtstag, zwei Monate vor der Ermordung. Der Verlust hatte seinen Charakter geprägt. Das volle Ausmaß erfuhr Law erst Jahre später, als er älter war und Corazon ihm die Wahrheit nicht länger verweigern konnte; schließlich hatte Law eigene Nachforschungen angestrebt. Corazon hatte im Allgemeinen sehr viel unter den Teppich gekehrt. Für die Öffentlichkeit hieß es, die Familie hatte einen Unfall, für den die schneebedeckte Fahrbahn die Schuld erhielt. Das erste Mal das Law mitbekommen hatte, welch eine Macht sein Onkel besaß, dass dieser kein einfacher Mann war, auch kein Blutsverwandter. Ihm selbst hatte Corazon zu verstehen gegeben, dass er niemanden die Wahrheit sagen durfte. Einst meinte er, er wollte ihn schützen. Die Blicke, die ihm die Menschen zu warfen, hatten Law ausgereicht. Wie hätten diese erst bei der wahren Geschichte ausgesehen? Heute kannte Law den Übeltäter. Den Mann, der den Tod seiner Eltern befohlen hatte. Irgendwann, dachte er täglich, würde ihm der Gegenschlag gelingen. Für einen kurzen Moment schlossen sich seine Augenlider, tief atmete Law durch. Angespannt versuchte er jene Gedanken zurück zu schieben. Er legte die Geldtasche neben sein Handy. Das gewollte Geschäft drohte zu platzen - lieber daran denken. Den Preis hielt er für überzogen, nur brauchte er jemanden, der ihm zur Seite stand. Jemand, der ihm sagte, sein Gefühl betrog ihn nicht und der den Preis senken konnte. Sogleich griff er nach seinem Smartphone, ihm war ein Name, eine Person eingefallen, die ihm diesen Dienst erweisen konnte. 5. Jänner 2009 „Rob!“ Verblüfft blickte Law den Mann an, der diesen Abend unangemeldet vor seiner Türe stand. Ihn hatte er eine Weile nicht gesehen. Seit der Begegnung in jener dunklen Gasse, war Rob Lucci zweimal im Krankenhaus gewesen, hatte immer nach Trafalgar gefragt. Dann war er untergetaucht und Law hatte diesen Mann eigentlich abgehakt. „Dürfte ich?“, fragte Lucci, woraufhin der Eigentümer zur Seite trat. Ihm gehörte das Penthaus. Fragend bildeten sich Falten auf seiner Stirn; er blickte zum Aufzug. Nein, dachte Law, er musste über die Treppe gekommen sein. Hatte ihm ein andere Bewohner Eintritt verschafft? „Interessanter Geschmack, muss ich sagen – ich bin ja weniger der Fan dieses modernen Stils, aber jedem das Seine, oder? Und der Ausblick“, vergnügt stieß Lucci einen Pfiff aus, „da rentiert sich der Preis.“ Langsam folgte er dem Besucher, der unbehelligt durch die Räume wanderte, ehe er die Dachterrasse auserkor um innezuhalten. „Revidieren Sie die getroffene Entscheidung?“ Aber warum sollte er das tun? Nach all den Monaten konnte Rob genauso gut alles vergessen haben, zumal Law niemanden – selbst Corazon nicht – von der Begegnung erzählt hatte. „Und mir die Arbeit antun, deinen Mord zu vertuschen? Die Kameras sind mir sehr wohl ins Auge gestochen.“ Belustigt schüttelte Lucci den Kopf. „Was dann? Ich erkenne keine Verletzung.“ Lucci machte sich auf der Sitzgarnitur bequem, spürbar gab er das Tempo der Konversation vor und Law blieb gelassen. „Ich möchte Ihnen ein Tauschgeschäft unterbreiten.“ Ungerührt musterte Law sein Gegenüber. Den Ernst las er vom Gesicht des anderen ab; die Frage war lediglich, um welche Art von Geschäft er sprach. Schließlich war Law derjenige, der sich die Zeit ließ. Wortlos verschwand er ins Wohnzimmer, in Gedanken bei den Möglichkeiten, die Lucci im Sinn hatte. Bei einem Mann, wie ihm, bei dem, das Law bislang gesehen hatte, konnten seine Wünsche durchaus in den illegalen Bereich reichen. Neugierde kam auf. Mit zwei Gläsern und einer Flasche Scotch kehrte er zurück, stellte diese auf dem Glastisch ab und setzte sich. „Legale Geschäfte schließlich ich aus. Warum sollte ich mich in Gefahr bringen?“ „Ein kleines Nebeneinkommen.“ Law lachte auf, schenkte beiden ein. Geld alleine reichte ihm nie und nimmer. „Denke, ich muss nicht sagen, dass es mir Geld mangelt, oder?“ Seine Eltern hatten ihm eine beträchtliche Summe hinterlassen, zudem hatte ihn Corazon damals offiziell adoptiert. „Damit allein, ködert mich niemand.“ „Was schwebt dir vor“, duzte Lucci, schwenkte das Glas in seiner Hand, während er den Körper vorbeugte. „Law?“ „Eingeschlagen wird natürlich erst, nachdem du mir mehr erzählt hast“, machte Law es gleich, „aber sollte ich zustimmen, dann möchte ich dann und wann Informationen. Informationen über einen Mann und seine kleine Mafia.“ Wenn er schon Hals und Kragen riskieren sollte, dann für einen Zweck, der ihm einen Schritt weiterhalf um endlich das zu bekommen, das er sich seit seinem neunten Lebensjahr wünschte. Lucci schien zu verstehen, griente amüsiert. Kapitel 27: Com’è piccolo il monde. ----------------------------------- Die Welt ist klein 15. September 2012 „Schlag den Vorschlag bitte nicht leichtfertig aus … nimm dir Zeit und denk darüber nach. Bitte!“ Nachdenken. Die restliche Woche schon, kämpfte sie mit den Gedanken an ein mögliches Date. Aus dem ersten Impuls heraus, hatte sie verneint; klar und deutlich gesagt, sie sollten diesen Schritt nicht wagen. Dann, dann hatte sie schließlich nickend zugestimmt, versprochen, sie würde sich die Idee durch den Kopf gehen lassen. Seither war der Kontakt vollkommen zum Erliegen gekommen. Nami blieb eisern und Robin hatte sich geschworen, erst offensiv zu werden, sobald sie eine Entscheidung getroffen hatte und wusste, was als nächstes geschah. Wann es geschah. Sie drehte sich im Kreis, aber, in Belangen in denen alles, wirklich alles auf dem Spiel stand, durfte ihr niemand ihr starrsinniges Beharren, alles genauestens abzuwiegen, verübeln. Und sie lernte aus Fehlern. Einmal verbrannt, wollte sie dem Feuer fernbleiben, obwohl es sie liebkosend einlud, ihr Tag für Tag näher kam und mittlerweile glaubte sie, die prickelnde Flammen auf ihrer Haut zu spüren. Erschöpft atmete sie aus. Widerwillig schritt sie durch die Türe. Vielleicht hätte sie doch lieber abgesagt. „Unzertrennlich geworden, was?“ Während sie die Tasche am Tresen ablegte und aus ihrer Jacke schlüpfte, durchstreifte ihr Blick den allzu bekannten Raum, der nur wenige Gäste enthielt. Für die Uhrzeit passend, und normalerweise kam sie selbst erst später hierher. Auf dem Barhocker ließ sie sich nieder und taxierte die beiden Männer, die guter Laune waren. Noch immer wunderte sich Robin über diese rasch entwickelte Freundschaft. Binnen kürzester Zeit sprachen sie mehr denn je, lachten und witzelten, obwohl sie sich ein paar Jahre kannten und vorher lediglich den einen oder anderen Smalltalk geführt hatten. Verrückt. „Ehrliche Antwort?“, begann Franky sich geräuschvoll räuspernd und tätschelte förmlich ihren Rücken, „Dein Liebesleben verbindet Menschen.“ Ob sie diese Worte hören wollte oder nicht, aber diese Thematik hatte einen weiteren Anstoß gegeben (In erster Linie war natürlich Zorros Problem ausschlaggebend gewesen; von dem wusste Robin nichts). Eine Augenbraue wurde in die Höhe gereckt. „Franky!“, tadelte Zorro und neigte provokant grinsend den Kopf. „Er meint euer Liebesleben. Glaub mir, euer ewiges Hin und Her bietet genügend Raum für Spekulationen. Da kommen wir kaum um ein Gespräch drum herum.“ Ausdruckslos blickte sie dem Barmann entgegen. „Einst habe ich dich für den Erwachsenen gehalten, Zorro. Du enttäuscht mich. Ausgerechnet von diesem Witzbold lässt du dich einlullen.“ Von der einst rauen Schale und dem Desinteresse fehlte jegliche Spur. Ungläubig musste Robin den Kopf schütteln; auf welche Basis diese merkwürdige Freundschaft aufbaute! Unter anderen Begebenheiten hätte sie kaum Bedenken geäußert, schließlich kannten sie sich lange und irgendwann kam ein Gespräch auf, wodurch auch immer; aber so? Amüsiert lachte Zorro. „Du übertreibst. Also, was darf’s sein?“ „Einen Kaffee und ein Glas Rotwein – abgesehen von Pizza, hättest du eine Essensempfehlung für mich?“ Zum Essen war sie kaum gekommen und wenn sie schon hier war, konnte sie dies nachholen, nur eben keine Pizza. „Da ich noch ein Hühnchen mit dir zu rupfen habe, würde ich dir allzu gerne eine Pizza servieren.“ „Bitte?“ Die Anspielung verstand Robin in der Tat nicht. Der letzte Besuch lag zurück und ein Twist kam ihr nicht in den Sinn. Schließlich hatten sie nicht sehr viel miteinander gesprochen. Was also, war ihr entfallen? „Montag?“, half er der Frau auf die Sprünge, die ihn nun missbilligend ansah. „Ach, komm. Ich habe auf dich gewettet. Bei Vivi hatte ich schon das Gefühl, aber du willst was von ihr!“ „Pass auf, mein Lieber, dass ich dir nicht die Federn rupfe!“, erwiderte sie streng, „Ihr beide müsst definitiv aufhören, euch in Sachen hinein zu steigern, die euch nicht betreffen.“ Von ihrem besten Freund war Robin viel gewohnt; er konnte eine Einmischung nur selten lassen, aber Zorro? Ausgerechnet der, der liebend gerne den Gefühlsklotz gab, fiel aus der Spur und zwar beträchtlich. „Überrasch mich einfach mit irgendetwas, das keine Pizza ist.“ „Unser Einmischen ist notwendiger denn je, Schwester“, grummelte Franky. „Recht hat er! Der Schleimbolzen ist noch in der Stadt!“ Montag hatte Nami ihn in der Ruhe gelassen, aber den Tag drauf … eine Standpauke hatte er sich anhören dürfen. Zorro mochte den Typen nicht und zeigte dies eben auf seine eigene Art; die Tirade hatte er wortlos über sich ergehen lassen. „Bevor du antwortest, warte ab“, fügte er noch rasch hinzu und stellte die Kaffeetasse ab, schwarz und ohne Zucker, zusammen mit einem Glas Wasser. Zuerst das Heißgetränk, später dann der Wein. Die Angewohnheit kannte Zorro. „Klärst du mich auf?“, hinterfragte Robin an Franky gewandt, der unschuldig die Schultern hochzog. „Wir sollen uns raushalten, vergessen?“, meinte er trotzig und griff nach der Bierflasche. „Ich schweige, wie ein Grab.“ „Ab jetzt verlange ich einen Euro für jedes Mal, dass du das sagst und dich anschließend nicht daran haltest!“, murmelte Robin, „Unvorstellbar … du bist tatsächlich älter.“ „Alter ist lediglich eine Zahl“, witzelte er wiederum. Dann kam eine ernste Miene zum Vorschein. „Und? Hast du dich entschieden?“ „Wäre es möglich dieses Thema für ein paar Stunden zu ignorieren? Die Woche war anstrengend.“ Nicht allein wegen Nami; die Tage hatten sie geschlaucht und wenn sie sich schon mit ihm traf, dann konnte er wenigstens für eine Weile andere Themen in den Vordergrund schieben. Seichtere. Den Abend wollte sie eigentlich zu Hause verbringen, ausruhen, Kraft tanken, aber irgendwann hatte Franky angerufen, nicht locker gelassen. Als er zum fünften Mal genörgelt hatte, dass sie die gesamte Woche keine Zeit miteinander verbracht hatten, hatte sie nachgegeben; schließlich kannte sie Franky, wie niemand anderes; die Art, wie er versucht hatte sie zu überreden, hieß er würde sie den gesamten Abend über anrufen, solange nerven, wenn nicht sogar vor ihrer Tür stehen, bis sie einknickte. Da sagte sie lieber zu. „Okay, okay“, winkte er ab, aber Robin gefiel der schelmische Blick nicht. Aufgeschoben hieß eben nicht aufgehoben. Eine gute Stunde später saß Robin bei ihrem zweiten Glas Wein und sie genoss das Beisammensein. Sie hatte ihren Hunger gestillt und ihr Liebesleben war bislang nicht thematisiert worden. Im Gegenteil, sie sprachen tatsächlich über alles Mögliche, das ihren Verstand nicht zwingend zum Nachdenken anregte. Jegliche Anspannung, die sie empfunden hatte, war nach und nach abgefallen. Die Pause, nach der sie sich insgeheim gesehnt hatte, trat ein und ließ sie Abstand nehmen. Abstand von ihren grauen, tristen Gedanken rund um ihre Gefühlswelt, vom Geheimnis das Clover ihr hinterlassen hatte, von allem. Einfach dazusitzen, mit ihrem besten Freund zu trinken und zu reden, war alles gewesen, das sie gebraucht hatte. Aber, und so funktionierte ihr Leben, waren solche Momente begrenzt. Wie begrenzt, wurde ihr neuerlich vor Augen geführt. „Ciao!“, hörte sie diese verlockende Stimme, nah bei ihr. Ein angenehmer Schauer, ein schnell klopfendes Herz. Langsam, den eigenen Körper ermahnend, wandte sie sich zu ihrer Rechten. Nach außen hielt die Fassade, das wusste Robin, aber innen, innen bröckelte sie; die Gefühle rumorten, erzwangen ihre Aufmerksamkeit. Die junge Frau, die ihr Herz ungewollt erobert und ihr Leben auf den Kopf gestellt hatte, war neben sie getreten; über die Theke hinweg begrüßte sie Zorro; Küsse auf die Wangen, eine kurze Berührung der Arme. „Robin.“ Knapp, distanziert an sie gewandt. Hatte sie anderes erwartet? Nein. Weh tat es allemal. Zu ihrer Linken registrierte Robin eine Bewegung. Franky hatte sich vom Barhocker erhoben und trat zur jüngeren Frau. „Wehe dir, du ignorierst mich“, spielte dieser den Beleidigten, „nach allem, das ich für dich getan habe!“ Entrüstet verzog er seine Miene. Den Kopf schüttelnd lachte Nami, begrüßte ihn neckend. „Zähl auf, mein Lieber, was hast du meinetwegen auf dich genommen?“ „Dir den Rücken gestärkt, natürlich! Und den Jungen im Auge behalten!“ „Ah, schon klar. Für deine Späßchen ist’s eine nette Ausrede, nicht wahr?“ „Wo ist denn deine Begleitung?“, fragte Zorro dazwischen, eine Neugierde mischte mit. „Vivi telefoniert. Der Rest? Du kennst sie, Pünktlichkeit liegt ihnen nicht, zumal Sanji noch arbeitet.“ „Du weißt, wen ich meine.“ Ein entnervtes Augenrollen folgte. „Ist unterwegs“, gab Nami recht knapp zurück. Seine Abneigung in allen Ehren, empfand sie diese doch selbst, aber versuchte sie eine weitere Schlacht zu vermeiden, wenn der Krieg schon noch brodelte. Um keine weiteren Probleme herauf zu beschwören, hatte sie Law gesagt, sie wäre an dem Abend in der Bar und er durfte ruhig zu ihnen stoßen. So musste sie die Zeit nicht mit ihm alleine verbringen und er würde zufrieden sein, bevor er die Stadt hinter sich ließ. Und vielleicht, nur vielleicht, würde er sich verraten und sie könnte endgültig den Grund nennen um die Verbindung zu kappen. „Machst du mir schon einen Spriz?“ Zorro wartete einen Augenblick, musterte sie skeptisch, ehe er sich nickend umdrehte und ein Glas von dem Regal holte. „Wehe ihm! Macht er einen Unfug schmeiße ich ihn höchstpersönlich vor die Tür!“, brummte Franky. „Er hat’s dir erzählt“, stellte Nami angesäuert fest. Also dauerte die Verbrüderung weiter an. Zusammen ergaben sie eine äußerst anstrengende Kombination, fähig für vielerlei Überraschungen und das mochte Nami nicht; zusammen wurden sie unberechenbar. „Gut möglich“, meinte Franky grinsend und schwang sich erneut auf den Barhocker; aus dem Augenwinkel heraus beobachtete er nun die zwei Frauen. Etwas lag in der Luft und seiner Meinung nach gehörte dies ein für alle Mal aus der Welt geschafft. Deshalb sein regelrechtes Verlangen um Robins Vorbeikommen. Zorro hatte ihm geschrieben und somit war das Vorhaben geschmiedet worden. So hofften sie, dass das vielleicht den notwendigen Anstoß geben würde, wenn beide im selben Raum waren. Das Robin endgültig eine Entscheidung traf und inständig, obwohl es eigentlich ein bescheuerter Gedanken war so zu denken, hofften sie, dieser Law würde jene Masche abziehen, von der sie gehört hatten; sie hofften, er würde Mist bauen. „Dachte, du fliegst rüber.“ Nami blickte zur anderen. Sonntag hatte Robin noch davon gesprochen. Geredet, als wollte sie dieses Thema schleunigst abhaken. „Meiner Begleitung ist leider etwas dazwischen gekommen … nächste Woche hole ich den Trip wohl nach.“ Ansonsten hätte sie dieses Wochenende tatsächlich in der fernen, beinah fremden Heimat verbracht, aber alleine hatte ihr – obwohl es so wichtig erschien – der Antrieb gefehlt. Alleine hätte sie keine Ablenkung erhalten. Vermutlich hätte sie halbherzlich Nachforschungen betrieben, sich eher ihren gegenwärtig auf das Leben einflussreicheren Problemen gewidmet. „Verstehe.“ Inzwischen hatte Zorro die Erfrischung gebracht und durch den Raum blickend, trank sie einen Schluck. Alles war verändert, spielte ihr übel mit. Erst die abrupte Abreise nach Russland, dann der Abend an dem sie ihre Gefühle gestand, das Gespräch am piazza und schlussendlich der zum Erliegen gekommene Kontakt. Vergangenes Wochenende war bereits schwierig gewesen, aber die letzten Tage? Nie hatte sie gedacht, dass sie sich so rasch an Robin gewöhnen würde. Es war fast selbstverständlich geworden miteinander zu reden, sich zu sehen; so sehr, dass es schwer gefallen war, standhaft zu bleiben. Nun trafen sie sich, Robin saß neben ihr, nahe genug um sie zu berühren und Nami wusste nicht was sie tun oder sagen sollte, obwohl ihr vieles auf der Zunge lag. Warum musste es überhaupt solch eine Wendung nehmen? Andererseits … Nami kannte die Antwort. „Hey Leute!“ Vivi kam herein geschneit, holte Nami aus ihren zermürbenden Gedanken, dicht gefolgt von dem großgewachsenen schwarzhaarigen Mann, der ihr sein strahlendes Lächeln schenkte, Law Trafalgar. Vivi erblickte die Archäologin; ein Blickkontakt, der zweierlei auslöste. Mittlerweile wusste sie über das verzwickte Verhältnis Bescheid. Während sie sagte, sie hielt sich raus und sie würde Robin wie eh und je gegenübertreten, ertappte sie den eigenen, unbeholfenen Blick, den sie beiden schenkte. Denn Vivi verstand nicht, woher das Zögern kam, warum es so kompliziert sein musste. Und doch, sah sie in der Anwesenheit der älteren Frau etwas Zufriedenstellendes. „Guten Abend“, säuselte Law. Während er Nami herzlich begrüßte, hörte man Zorro abschätzig schnauben. „Ah, der gute Degenheld und … Franky, richtig?“ Zorro hatte er kaum beachtet, dann blickte er rasch zu Nami, die nickte, dann zum Schiffsbauer, der einen Schluck trank und seicht die Hand zum Gruß hob. Schließlich blieb sein Blick an der schwarzhaarigen Frau haften; sofort kehrte das Lächeln zurück, eines der charmantesten zu dem er fähig war. „Signora Nico, Sie anzutreffen. Es ist mir eine Freude, Law Trafalgar.“ Die Angesprochene hob fragend ihre Augenbrauen an, streckte ihm die Hand entgegen, auf dessen Rücken er einen Kuss hauchte. „Kennen wir uns?“ „Nein, keineswegs, obwohl ich es mir erhofft habe. Ich habe heute Vormittag Ihrem Büro einen Besuch abgestattet, leider sagte man mir, Sie seien auswärts und kämen nicht vor Montag zurück. Wissen Sie, ich besuche gerne Auktionen, ersteigere das eine oder andere Objekt. Namis Vater hat mir mal erzählt, er habe Sie getroffen – Vergo ist natürlich bewanderter und ein noch begnadeter Sammler.“ „Verstehe und was hat Sie zu mir geführt?“ „Zwei Raritäten. Ihr Erwerb beschäftigt mich seit geraumer Zeit. Einer der Gründe, warum ich in der Stadt bin. Interesse hin oder her, ich bin ein Laie und da ist mir Vergos Erwähnung eingefallen. Ich würde Ihre Meinung sehr zu schätzen wissen, sofern Sie mir ein paar Minuten erübrigen.“ Verständnisvoll nickte Robin. Ihre Gedanken kreisten um jene Informationen, die Kalifa ihr mitgeteilt hatte. Davon ließ sie sich nichts anmerken, behandelte ihn höflich, wie jeden anderen. Die Frage kam auf, ob er Rob Lucci nur anderweitig kannte, nicht wusste, womit er nebenbei handelte, aber dann … dann schob sie den Gedanken so schnell beiseite, wie er ihr gekommen war. Niemand würde ihn diesbezüglich zu Rate ziehen, wollte man auf Nummer sicher gehen. Allzu gern zog er Käufer über den Tisch. „Wie lange bleiben Sie?“ „Morgen geht der Rückflug.“ „Entweder ist dein Freund ein Halunke oder eine Niete“, warf Nami vergnügt ein. „Ersteres, aber erwähn das bloß nicht in seiner Gegenwart.“ Dann drehte er sich zurück zu Robin, lächelte verschmitzt. „Er weiß Schätze zu ergattern, aber seine Preise? Wucher!“, lachte der Mann. „Signor Rob Lucci, nehme ich an?“ Seine Erwähnung stieß bei dem Mann auf einen überraschten Ausdruck, hinter sich vernahm Robin eine ruckartige Bewegung ihres Freundes. Nami legte den Kopf schief, Robin glaubte den Blick zu deuten, als ob es sie nicht überraschen sollte, dass Robin ihn kannte. „Ah, Sie kennen ihn?“ „Im Grunde ist die Stadt recht klein und sein Ruf eilt ihm voraus. Bislang konnte ich seine Preise drücken.“ Die Überraschung legte sich. „Darf ich Ihr Geheimnis erfahren?“ Dabei beugte Law sich näher. „Wissen Sie, Signora, er ist indirekt an besagtem Kauf beteiligt.“ „Dann stehe ich Ihnen gerne für eine Beurteilung zur Verfügung.“ „Sehr schön! Was möchten Sie trinken? Ich lade ein!“ Zufrieden lächelte Law, bestellte sich einen Scotch, für Robin verlangte er den besten Rotwein, den die Bar im Sortiment hatte. „Nami, du hast mir gar nichts von eurer Bekanntschaft gesagt, auch Vergo nichts.“ „Ich wusste lediglich vom Kauf, nichts von deinen Bedenken und, warum hätte ich dir unsere flüchtige Bekanntschaft unter die Nase reiben sollen?“ „Wohl wahr. Eure zwei Freunde?“ Dabei deutete er vergnügte auf Zorro und Franky, die ihm nichtssagende Blicke entgegen brachten. „Ziemlich neugierig, was?“, kommentierte Vivi nun spitz. „Robin hilft mir hie und da bei schulischen Arbeiten. Und ja, die Stadt ist klein und man läuft sich hier öfter über den Weg. Da kommt schon mal ein Gespräch zustande.“ Sie umfasste den Strohhalm ihres Cocktails. Wenn Nami schon so tat, als kannte sie Robin kaum, dann spielte sie mit. „Und ja, besonders die beiden tragen dazu bei, dass wir uns hier schon mal unterhalten.“ „Das Ambiente wird mir nach und nach sympathischer. Und Sie und er …“, wandte sich Law neuerlich der schwarzhaarigen Frau zu, beließ den Satz unvollendet. Worauf dieser abzielte, musste nicht ausgesprochen werden, denn sogleich bewegte sich der andere Mann, stand auf. Er schnaubte, der muskulöse Arm legte sich um die Taille der Frau, die auf die Berührung hin den Kopf anhob und ihn liebevoll betrachtete. „Ah, Tesoro. Erst dein Wissen, schon dein Liebesleben. Soll ich den Flegel fernhalten?“ Den Eifersüchtigen spielend, hielt Franky sie an sich gedrückt, den Kopf zu ihr hinab gebeugt. Sanft fühlte er ihre Fingerspitzen an seiner Wange, eine sachte Berührung. „Es ist die Neugierde, die aus ihm sprich. Sei nicht so.“ „Keine falschen Worte, mein Lieber, Franky ist ein sehr eifersüchtiger Mann“, trällerte Vivi vergnügt und klopfte Law, der irritiert auf sie schaute, fester auf den Rücken. „Oh seht, Ruffy und Bonney kommen. Nehmen wir uns einen der Tische“, lenkte sie ab und winkte ihren Freunden zu. Nami schüttelte über die Darbietung wortlos ihren Kopf und nahm Vivis Vorschlag nur allzu gerne an. Dieses Getue missfiel Nami, obwohl ihr bewusst war, wie beide zueinander standen. Es löste eine kaum in Worte fassende Gefühlsregung aus, die auf den Magen schlug, wenn sie diese kleinen Gesten sah, die Robin bei ihrem besten Freund so spielend leicht fielen. „Kommen Sie noch einen Sprung vorbei, dem Geschäftlichen wegen“, verabschiedete sich Robin für den Moment und als sie allesamt ans andere Ende des Raumes verschwunden waren, stieß sie einen tiefen Seufzer aus. Franky gab ein Lachen von sich, das mehr einem albernen Kichern glich. Belustigt von dem Spielchen ließ er mit streichender Bewegung ab von ihr. „Signora Nico“, äffte er nach, „Mich duzt der Arsch, aber zu dir ist der höflich?“ „Stronzo!“, murrte Zorro, der näher trat und missbilligend die Arme verschränkte. „Warum tust du ihm den Gefallen?“ „Er ist mir nicht sympathisch, aber dem einen verhunze ich liebend gerne das Geschäft“, erklärte Robin ihren Standpunkt achselzuckend, zumal Zorro mit Lucci nichts anzufangen wussten. Noch nie hatte dieser einen Fuß in die Bar gesetzt. „Muss ein netter Zeitgenosse sein, wenn du dem Arschkriecher zur Seite stehst.“ Kopfschüttelnd wandte Zorro sich ab, überprüfte die Uhrzeit. Bruno musste bald aufkreuzen. An den Wochenenden war schließlich weitaus mehr los und ein weiteres Paar Hände hilfreich. „Sag mal“, sprach Franky mit gedämpfter Stimme; zwar saß er wieder, aber aufgrund der Brisanz war er deutlich näher als zuvor, „meine Ohren funktionieren einwandfrei. Der kennt ihn?“ Besorgt über die Erwähnung jenes Namens, warf er einen Blick über die Schulter. „Ich hab ein ungutes Gefühl.“ Robin ließ den Kopf sinken, starrte auf die tiefrote Flüssigkeit während eine Fingerspitze nachdenklich den Rand des Glases entlang strich. Bislang hatte sie dieses Wissen verschwiegen. Bei all der Ablenkung, die sie momentan auf Trapp hielt, war ihr nie der Gedanke gekommen, sich bei Franky diesbezüglich zu melden. Vielleicht hatte sie es einfach nicht für notwendig befunden. „Sie kennen sich … anderweitig.“ Umschrieb sie und wusste, es reichte aus und Franky verstand. Sie hörte das tiefe Luftholen. „Kalifa hat nachgeforscht.“ „Ein Arzt … praktisch.“ Eine veränderte Stimmlage. Robin brauchte nicht aufzublicken, konnte sich den passenden Gesichtsausdruck in Erinnerung rufen. „Was gedenkst du zu unternehmen?“ „Nichts, ist nicht mein Problem“, kam die zu prompte Antwort. Dann durchfuhr ein Ruck ihren Körper; sanft umfasste Franky ihr Kinn, zwang sie bestimmend den Kopf zu drehen, ihn anzusehen. Der plötzliche, nicht aus einer Spielerei heraus, geforderte Kontakt hatte sie eiskalt erwischt. Suchend hielt sie seinem einehmenden, forschenden Blick stand, sie schluckte schwer, denn instinktiv wusste Robin, was dieser bedeutete. Einmal mehr musste sie feststellen, dass Franky der einzige Mensch war, der sie kannte, der sie von Grund auf verstand und in diesem Fall eben durchschaute. „Kommt noch ein Kuss oder starrt ihr um die Wette?“, brummte die Stimme des Barkeepers, der sie argwöhnisch im Auge behielt. „Ihr verhält euch komisch.“ Franky ließ los, drehte sich Zorro entgegen, den er entnervt um Whiskey bat. Durchatmend raufte sich Robin das Haar, ignorierte den Kommentar. Vor wenigen Minuten noch, da wollte sie ihren besten Freund Maßregeln, ihm offen sagen, wie sehr sie seine Einmischung störte. Die Lust darauf war vergangen, stattdessen brach eine andere Gefühlswelle über ihr hinweg. Kapitel 28: Che cosa hai detto? ------------------------------- »Was hast du gesagt?« 15. September 2012 „Dieser Kerl ist – sagen wir, er ist sonderbar“, gestand Trafalgar Law seiner Gesprächspartnerin, während er das Kraftpaket studierte. Montag hatte er diesen als albernen Saufkumpanen des Degenhelden abgetan, ihn für einen Narren gehalten, der dem Alter nicht gerecht wurde. Schlagartig empfand Law, dass er sich geirrt hatte; irgendetwas an dessen Ausstrahlung hatte ihm die neue Einschätzung aufs Auge gedrückt. Ein schneller, durchbohrender Blick, der Law nicht geheuer war. Vielleicht, so dachte er, bildete er sich das ein, geschult von der Tatsache, dass dieser Mann bei solch einer Frau landete. „An ihrer Seite habe ich mir einen anderen Partner erwartet. Sieh in dir an“, schweifte er ab, ohne näher auf seine vorigen Worte einzugehen, die Nami mit einem fragenden Ausdruck aufblicken ließen. Im ersten Augenblick hatte Law einen Scherz darin gesehen, einen Versuch um jeden möglichen Flirtversuch im Keim zu ersticken. Franky unterstrich die gegenseitige Abneigung, aber nun, wo er die beiden erspähte, wie sie sich in die Augen blickten und seine Hand an ihrem Kinn ruhte, schob sich der Gedanke, dass das ein abgekartetes Spiel war um ihn zu ärgern, plötzlich nach hinten. „Ich hab ihn oft genug gesehen, Law“, meinte Nami vergnügt, warf schließlich ihrerseits einen amüsanten Blick zur Theke, aber hielt dieser nicht lange. Das merkwürdige Verhalten fiel auf und sogleich regte sich ein dumpfes Gefühl. Law war fort, warum also gingen sie auf Tuchfühlung? „Was denkst du über Franky?“, fragte sie nach einem raschen Räuspern, welches ihre Kehle klärte. „Er gleicht einem Zirkusaffen, der sich in Spelunken herumtreibt und sie – ihre Meinung möchte ich aus gutem Grund einholen, Nami. Was findet eine solche Frau an dem?“ Egal, wie sehr er die Vorstellung auch drehte und wendete, der Mann passte nicht an die Seite dieser Frau. „Steht vielleicht auf Muskelpakete?“, lachte Nami sacht. Wieder blieben ihre Augen an der Gestalt der Schwarzhaarigen haften, die ihr mittlerweile den Rücken zugewandt, und somit jede Einsicht auf ihre Gesichtszüge unterbunden hatte. Melancholisch taxierte sie Franky. „Weißt du, er ist anders als er auf den ersten Blick hin wirkt. Ein schlaues Kerlchen. Ist im Schiffsbau tätig, mit Leib und Seele dabei und verdammt gut darin. Bruno und er kennen sich seit Jahren, daher kommt er regelmäßig vorbei und zudem genießt er den Umstand, dass sich kaum Touristen hierher verirren. Lass dich von seinem Auftreten lieber nicht täuschen.“ „Sind aber nicht lange zusammen, kann das sein? Vergo hat anderes erzählt.“ „Wolltest du dein Glück versuchen?“, stichelte Nami, spähte aus dem Augenwinkel heraus hoch zu Law. „Eifersüchtig?“, grinste er schief, nippte an seinem Drink. „Dachte, ich sei uninteressant für dich.“ „Bist du, aber auch für sie.“ Damit hakte sie das Thema kurzerhand ab. „Also, Lucci zieht dich über den Tisch?“ Das überraschte Nami, denn Law schien jemand zu sein, der haargenau wusste, was er wollte und zu welchem Preis. Ihn abzuzocken war gewiss ein schwierigeres Unterfangen und wollte der Jäger den Bestpreis erzielen, dann ignorierte dieser gar eine Freundschaft. Etwas, das Nami nur bedingt verstand. „Er ist ein kaltschnäuziger Geschäftsmann, dem du ab und an auf die Füße treten musst. Merkt er, dir fehlt das richtige Wissen oder die nötigen Beweise, hast du verloren.“ Und dieses Angebot stank zum Himmel. Zu Laws Leidwesen jedoch, wollte er die Artefakte, aber zu einem anständigen Preis. Rob Lucci hin oder her, ganzgleich auf welch dünnem Eis er wandelte. „Ich mag ihn nicht.“ „Stell dich hinten an“, lachte Law belustigt. Selten hörte er ein positives Wort über Lucci und obwohl sie sich verstanden, würde er ihm, ohne die eine Verbindung, mittlerweile eher aus dem Weg gehen. Damals, als er ihn in der Gasse gefunden hatte, hatten ihn die Neugierde und Berufung gehalten, entschieden er musste ihm helfen. Nun, Jahre später, kannte er den Mann weitaus besser, und die gemeinsamen Geschäfte hatten in der Tat zu einer sonderbaren Freundschaft geführt. Wenngleich sich diese sekündlich im Nichts auflösen konnte. Law war bewusst, welches Risiko er einging, aber vermittelte Lucci ihm auch immer wieder Antiquitäten und abgesehen von den nervenaufreibenden Verhandlungen, die wenig Spielraum zuließen, wusch ansonsten eine Hand die andere. „Bis vor wenigen Tagen mochtest du auch mich nicht.“ „Wer sagt, dass ich dich plötzlich mag?“, gab Nami achselzuckend zurück. „Noch misstraue ich deiner übereilten Läuterung. Langsam hob der Mann eine Augenbraue. „Mein Wohlwollen kommt nie über Nacht, mein Lieber, denk daran.“ „Schon gut“, seufzte er und leerte das Glas, „aber musst du gestehen, wir haben uns momentan arrangiert – du ignorierst sogar die wenigen Kommentare, die dann und wann fallen. Ganz so schlimm dürfte meine Anwesenheit nicht sein.“ „Weil du normal mit mir redest und mich nicht als dein nächstes Betthäschen behandelst. Darum.“ Eine willkommene Abwechslung. Blieb er am Boden der Tatsachen, so musste Nami gestehen, dass er gar kein so übler Zeitgenosse war. Umso weniger verstand sie, warum er all die Zeit über den Arsch mimte. „Was möchtest du?“, deutete sie auf das leere Glas in seiner Hand. Law blickte sie mit unergründlicher Miene an. Dass Nami schlecht von ihm dachte, war nicht neu und bislang hatte er dies nie als Hindernis angesehen. Er wollte sie nicht als nächstes Betthäschen, wie sie es denn betitelte und eigentlich hatte er geglaubt, dass Nami irgendwann von alleine herausfand das er nicht grundlos solch ein Tamtam veranstaltete. Wurde er abgewiesen, was recht selten der Fall war, hörte er auf, unternahm keine weiteren Anstrengungen. Nami bildete die seltene Ausnahme. „Als Betthäschen habe ich dich nie gesehen“, sprach er ernstgemeint und seufzte leise auf. „Ich hole die Getränke. Das Übliche?“ Nami vereinte sogleich und verschwand zur Theke. Aus ihr wurde er manchmal nicht schlau. Entweder hatte sie seine Aussage als unglaubwürdig eingestuft, oder sie überspielte tatsächlich eine etwaige Überraschung. Von ihrem Gesicht hatte er weder das eine noch das andere ablesen können. Dann zog Law die Augenbrauen zusammen, blickte zur Seite. Vivi starrte ihm grimmig entgegen. Nami biss auf ihre Lippe. Nach allem, das vorgefallen war, war es verdammt schwer seinen Worte Glauben zu schenken, obwohl sich allmählich die Aufrichtigkeit seines Wollens heraus kristallisierte. Schließlich, das ließ sie wahrlich nicht außer Acht, gehörte Law nicht der Sorte an, die einer Frau grundlos über Monate hinweg hinterher liefen. Und doch, Law blieb Law, ein Mann, dem sie kein allzu großes Vertrauen schenken durfte, der stets einen Plan in der Hinterhand hielt. Was er auch vorhatte, sie hegte keinerlei Interesse, weder an einer Nacht noch an einer Beziehung, aber, so dachte sie, sagte er die Wahrheit, dann teilten sie dasselbe Los. Denn momentan traten sie auf derselben Stelle, kämpfen gegen dasselbe Problem. Mittlerweile hatte sich das Lokal gefüllt, und Nami schlängelte sich durch die Tischreihen. Das viele Stimmengewirr störte weniger, immerhin gehörte ihre Aufmerksamkeit Franky, dessen Anblick ihr ein breites Grinsen verschaffte. Was er auch getan hatte, er hatte sich seinen Respekt verschafft. Ungläubig, wie schnell so etwas stattfand, schüttelte Nami den Kopf. Hinter Franky blieb sie stehen, der gerade einen Schluck nahm. Im richtigen Augenblick klopfte sie ihm fest auf den Rücken und den Ruck, der seinen Körper erfasste, den spürte sie, nahm ihn lachend hin. „Leute erschrecken ist unhöflich!“, brummte der muskulöse Mann, nach einem kurzen Hustenanfall, gefolgt von einem bösen Blick, den Nami nicht ernst nahm. „Was willst du? Ich trau dir nicht!“ „Weißt du, Franky, ich bin zur Erkenntnis gekommen, dass ich dir den einen oder anderen Blödsinn verzeihe“, erwiderte sie sogleich. „Wie du das gemacht hast, ist mir schleierhaft, aber er hinterfragt den Eindruck, den er von dir gemacht hat.“ Franky hob eine Braue an, drehte sich vollkommen zur Seite. Suchend blickte er umher, bis ihm Laws Gestalt ins Auge stach, der sich eifrig mit der jungen Nefeltari unterhielt. „Weil er unser Getue abkauft und erkennt, was für einen guten Fang ich gemacht habe?“ „Eher, wie ein Idiot bei ihr landet.“ Beim ersten Aufeinandertreffen hatte sie Franky genauso schwer einschätzen können. Franky hielt sie für einen aufgeweckten Kerl, der sich für keinen Blödsinn der Welt zu schade war. Und anhand der albernen Ader brauchte sich niemand über eine derartige Einschätzung wundern, schließlich wusste sie selbst erst durch Robin, dass er anders konnte. „Pah!“, stieß Franky gekränkt aus. „Dein Körperbau, dein Getue. Unverständlich, wie er bloß solch einen Eindruck erhält“, kommentierte Robin schelmisch. „Daher schockierte ihn dein Männergeschmack“, feixte Nami hingegen und lächelte seicht zur anderen. Höhnisch lachte Franky. „Schockierte? Was hat seine Einstellung geändert?“, hinterfragte sie gelassen. Dieser Mann durfte denken, was immer er wollte, aber war er derjenige, der ihren Rat benötigte. „Hab ihn darüber aufgeklärt, was Franky so macht – Zorro!“ Der Angesprochene warf den Kopf zur Seite und Nami gab ihre Bestellung auf. Mittlerweile hatte er tatsächlich alle Hände voll zu tun, auch Bruno war eingetrudelt. „Ich verstehe etwas nicht. Was hast du gesagt oder getan, dass du ihn ein bisschen … sagen wir, eingeschüchtert hast?“ Franky fuhr sich durch das Haar, wartete einen Moment ab, ehe er ein Grinsen aufsetzte. „Ist also doch nicht so der große Macker. Bin halt größer und muskulöser. Als ob der Meter hat, wenn ich los lege. Aber sag mal“, dabei glitt seine Hand um Namis Taille, „dich stört Robins Alter nicht, ich hab nur ein paar mehr am Buckel. Na, wie wär’s? Würde ihm bestimmt einen weiteren Dämpfer verpassen. Oder ihr kommt endlich in die Gänge.“ „Was findest du an ihm?“, seufzte Nami hörbar. Solche Kommentare konnte sich Franky getrost sparen. Grober schlug sie seine Hand von sich. „Ihr beide dürft machen, was immer ihr wollt, aber haltet mich raus“, gab sie dem Mann zu verstehen. Unter anderen Umständen hätte sie sich durchaus auf ein Späßchen eingelassen, derzeit befand sie sich allerdings in jener Lage, in der es ihr nicht gut tat. „Als ob dein Freund besser ist“, entgegnete Robin und deutete mit dem Kopf hinter den Thekenbereich. „Wie dem auch sei, hilf ihm bitte. Er soll Lucci ordentlich im Preis drücken.“ „Du kennst den? Persönlich?“, war es Franky, dem die Fragen rasch über die Lippen kamen. Verdattert blickte er zu seiner Freundin, die einen unergründlichen Ausdruck aufsetzte. Was sich jedoch in ihr abspielen mochte, glaubte er zu wissen. „Ach, ist eine Weile her. Law hat ihn mal dabei gehabt und wir haben kurz geplaudert. Der Kerl ist mir nicht geheuer. Er lächelt, aber seine Augen lassen einem das Blut gefrieren!“ Allein der Gedanke ließ einen unangenehmen Schauer über ihren Körper huschen. Nie zuvor war Nami einem solchen Menschen begegnet. „Deshalb würde ich liebend gerne sehen, wie Law ihm den Gewinn versaut.“ „Bevor ich überhaupt ein Urteil fällen kann, muss ich sie sehen, in den Händen halten.“ Alles andere war verwerflich und nur aus einem Gespräch heraus gab sie sowieso keine konkreten Urteile ab. Was Law ergattern wollte, interessierte sie nicht sonderlich. Vielmehr verarbeitete sie das Gesagte, dass Nami den Schatzjäger kannte oder besser gesagt, er kannte sie. In Verbindung mit Law und so hoffte Robin inständig, dass Lucci nichts von seinen Gefühlen wusste. Ja, ihre Welt war klein, der Kreis zog sich enger und enger. „Wenn ich dir einen Rat geben darf“, begann Franky mit ernster Miene, „halt dich fern von dem. Er kann äußerst ungut werden. Dein Misstrauen ist berechtigt, Nami. Der hat’s faustdick hinter den Ohren.“ „Ruhig Blut, ich beabsichtige nicht mich anzufreunden. Zumal mir das damalige Gespräch ausreicht und wir uns seither nicht gesehen haben. Was hoffentlich so bleibt, obwohl Law angedeutet hat, er bringt einen Freund mit. Abgesehen von ihm und mir kennt er niemanden in der Stadt.“ Achselzuckend griff Nami nach ihren Getränken. „Ich schick ihn dir rüber.“ „Du hast vorhin nur auf dich geachtet, oder?“, meinte Robin an Franky gewandt, kurz nachdem Nami wieder verschwunden war. Ihre Reaktion hatte klar und deutlich gezeigt, dass sie Lucci sehr wohl kannte. Für Robin war’s eher verwunderlich, dass Lucci sich so privat mit Law abgab. Ein Gedanke, der wiederum dazu führte, dass sie eigentlich keine Ahnung hatten, was der Mann in seiner Freizeit tat. Neben der gelegentlichen Zusammenarbeit unternahmen sie nichts miteinander, die Wege trennten sich sofort. Hie und da tauchte er zwar in ihrem Büro auf, sofern er tatsächlich interessante Artefakte aufzuweisen hatte, aber sonst? Er sprach nie über sein Privatleben; Lucci zeigte seine Funde, wollte Preise aushandeln, nicht mehr. Somit blieb er weiter ein unbeschriebenes Blatt. „Ich kann mir den nicht … ernsthaft! Kannst du in dir als Freund, als Kumpel vorstellen? Eins trinken gehen und plaudern? Der?!“ Außerdem hatte Lucci noch nie einen Fuß in Bruno’s gesetzt. Franky bezweifelte, dass sich das änderte. Ausgelassen stieß Franky an. Als Law bei ihnen aufgetaucht war und Robin in ein Gespräch verwickelt hatte, hatte er die Gunst genutzt und sich zu seinen Kumpanen von der Werft gesellt, Louie und Tilestone, die nur wenige Minuten zuvor aufgetaucht waren; sogar Kiwi und Mozz waren da. Schwestern, die sich ab und an blicken ließen und mit denen er schon mal die eine oder andere Nacht verbracht hatte. Eine willkommene Ablenkung und die Gelegenheit sich ein wenig gehen zu lassen. Schließlich war Robin vorerst beschäftigt und der Abend noch jung, zudem erhielt er von dort einen besseren Überblick. Also ganz abschalten, würde er mit Sicherheit nicht. „Zum Glück hat Pauly andere Pläne“, lachte Tilestone, dessen Blick zu einer Gruppe Frauen gewandert war. „Bei der Bekleidung hätte er sofort einen Herzinfarkt bekommen!“ Pauly gehörte der Truppe an, aber ging es um das Kleiden von Frauen, dann hatte er seiner Meinung nach ein Rad ab. Sobald ihm etwas zu kurz oder zu freizügig erschien, drehte er durch. Etwas, das Frauen dann gerne mal abschreckte. „Mit wem unterhält sich Robin?“, fragte Louie indessen vergnügt. Er kannte sie sehr wohl, wenngleich sie selten in ein Gespräch verwickelt waren. Wenn, dann sah er sie nur in Frankys Gegenwart, zusammen mit Kaku und Kalifa. Letztere war ihm nicht so geheuer. Ein falscher Blick und er durfte sich eine Standpauke bezüglich sexueller Belästigung anhören. „Ach, geht um die Arbeit. Er will was kaufen, sie soll ihm sagen, ob der Preis angemessen ist“, gab Franky achselzuckend zurück. „Her je, mit solchem Plunder kann ich nichts anfangen.“ „Pass auf, Louie, neben ihr so ein Wort-“ „Würde ich mich nie trauen!“, warf er sogleich ein und strich sich ein widerspenstiges Haarbüschel glatt. „Bin nicht auf den Kopf gefallen!“ „Geht es um Ware in der Stadt?“, wollte Tilestone wissen, dessen Neugierde kaum zu übersehen war. Als Franky gelangweilt nachfragte, warum das so wichtig war, erklärte er sich. „Du kennst Michael und Heuchael? Die haben erst vor knapp eine Woche nachts am Hafen bei den Frachtschiffen herum gelungert. Haben diesen Antiquitätenhändler mit ‘nem Typen, der laut ihrer Aussage ‘ne Taube auf der Schulter hatte – Wie bescheuert ist das denn! – dort mit einem Schiffsmann sprechen sehen. Sollen ‘ne Ladung übernommen haben.“ „Du meinst diese Hosenscheißer, die meinen sie seien Gangster?“ Franky hob eine Augenbraue. Von denen hatte er gehört, meist weil sich Bewohner aufregten, dass sie mal wieder am Markt geklaut hatten oder in Gassen auflauerten und versuchten Angst und Schrecken zu verbreiten. Freche Bälger, die bei drei das Weite suchten. „Glaubst du ihnen?“ Gleichzeitig musste er eingestehen, dass das zum Vorgehen eines gewissen Mannes passte. Auch der Teil mit der Taube. „Wenn du ihnen hie und da was gibst, dann erfährst du einiges. Lungern schließlich in der gesamten Stadt herum, hören schon mal genauer hin. Manches, das sie erzählen, ist gar nicht so verkehrt!“ „Falls da etwas Illegales am Laufen ist, wird Robin das schon erkennen.“ Unternehmen würde sie vermutlich nichts, nicht ohne Beweise. Außerdem hatte sie mach ein Stück ihrer Sammlung ebenfalls am Schwarzmarkt erworben. „Langes, schwarzes und gelocktes Haar mit komischen Bart?“, mischte Tilestone mit, erntete dafür einen überraschten Blick beider Männer. „Richtig!“, stieß Louie aus und klopfte auf die Tischplatte. „Dann ist das der Typ. Ein Kumpel musste nach dem letzten Hochwasser Reparaturen im Erdgeschoss machen. Der hat mir erzählt, dass da ständig eine Taube herum geflogen ist. Die hat sogar eine kleine Krawatte getragen! Und der Besitzer ist ihm so komisch vorgekommen. Hat schnell alles fertig gemacht und gehofft, dass es keine Beschwerde gibt! Aber frag mich nicht nach dem Namen.“ „Kennst du ihn denn?“, fragten sie im Chor an Franky gewandt, der gerade einen Schluck trinken wollte, ihm das Bedürfnis jedoch abhandenkam. Der Teufel höchstpersönlich trat ein, blickte sich abschätzend um und marschierte elegant auf seine Freundin und ihrem Gesprächspartner zu. „Scheiße“, entfuhr Franky geschockt. Gerede hin oder her, Lucci tauchte nicht irgendwo auf, wo er seiner Meinung nach nicht hin gehörte und dieser Ort war so einer. Hatte er selbst gesagt. Louie fuhr streng das Kinn entlang. Tilestone warf seinen Arm über die Stuhllehne, taxierend neigte sich der Kopf zur Seite. „Das muss der Kerl sein!“ „Der hat was!“, flötete Kiwi unterdessen, die sich zwar mit Mozz unterhalten, aber mit einem Ohr gelauscht hatte, und nun neugierig den Blicken folgte. Mozz kicherte vergnügt, sprach davon, so einen nicht von der Bettkante zu stoßen. Das Gelaber ignorierte Franky. Sollten sie denken, was immer sie wollten. Für ihn zählte lediglich Luccis Auftauchen und die Tatsache, dass sich der Mann anfangs mit beiden unterhielt und er selbst in zu großer Entfernung saß, um auch nur ein einziges Wort zu verstehen. Dann, keine fünf Minuten später war Law derjenige, der sich entfernte. Lucci stand mit dem Rücken zu ihm, lehnte gegen den Tresen, sodass sein Blick auf Robin vollkommen verdeckt war. „Sie ist sehr hilfsbereit. Begleitet mich sogar zum Händler.“ Ihr Vorschlag freute Law, schließlich wurde eine Summe gefordert, die er ohne Prüfung nicht einfach so aus der Hand gab, schon gar nicht für eine mögliche Fälschung. „Nur würde mich interessieren, worüber sie miteinander reden. Gehen ziemlich unterkühlt miteinander um und Lucci hat um ein Gespräch unter vier Augen gebeten.“ „Vielleicht möchte er ihr die angebotene Hilfe aus dem Kopf schlagen?“ Zwar wollte Nami ihre Worte neckend zum Ausdruck bringen, aber war ihr das misslungen. Ihr gefiel nicht, was sie beobachtete. Allen voran an der Körperspannung. „Bezweifle ich, dass er sofort Rückschlüsse zieht oder besser gesagt, noch heute auf eine Konfrontation abzielt. Außerdem lässt er handeln, sobald er weiß, er verliert einen guten Käufer. War bei deinem Vater nicht anders.“ Nami blinzelte. „Vergo macht Geschäfte mit ihm?“ „Anfang des Jahres, ja.“ Law nippte an seinem Drink. „Hat ihn ordentlich in die Knie gezwungen. Vergo kennt sich am Schwarzmarkt aus.“ Bislang, so musste sie eingestehen, hatte sie sich nie für seine Sammlung interessiert, aber, und davon war Nami fest überzeugt, bekam ihre Mutter nichts mit von alledem. Das passte nicht zu ihrer Einstellung. Plötzlich zuckte sie überrascht zusammen, als sie den Mann nah bei sich spürte, seinen Atem an ihrem Ohr vernahm. „Sie ist diejenige, die dich abweist, nicht wahr?“ Stur starrte Nami geradeaus. Das Herz pochte verräterisch. „Was hast du gesagt?“, nuschelte sie beklommen. Woher kam seine Vermutung? An diesem Abend hatten sie kaum ein Wort miteinander gewechselt. „Was hast du gesagt?“, wiederholte Nami dumpf. „Komm, ich habe deine Blicke gesehen. Du bist an ihr interessiert und da ich weiß, dass dich jemand ablehnt, habe ich eins und eins zusammengezählt.“ Noch immer befand er sie äußerst nah und die Nähe löste ein unangenehmes Frösteln aus, das auch seinen Worten geschuldet war. „Dieses Mal beweist du einen besseren Geschmack, als bei der Kleinen. Schwarzes Haar, wir sind ungefähr gleich groß, unsere Karrieren haben recht früh begonnen“, wisperte er vergnügt in ihr Ohr, lachte leise, „also liegt’s nur an meinem Spielgefährten?“ Das war zu viel des Guten. Ihr Ellbogen stieß ihn unsanft auf Abstand. „Nicht gleich so schroff“, seufzte er, „war nur ein kleines Späßchen. Jedoch habe ich ins Schwarze getroffen.“ „Und wenn schon … was interessiert’s dich?“, gab Nami gereizt zurück. „Ehrlich gesagt, ich finde diesen Aspekt bemerkenswert.“ Er leerte sein Glas und taxierte die schwarzhaarige Frau, die weiterhin mit seinem Freund sprach, wobei er das Gefühl erhielt, dass sich die Unterhaltung langsam dem Ende entgegen neigte. „Du lässt mich ihretwegen abblitzen. Auf der anderen Seite wurdest du abgewiesen aufgrund …“, unterbrach Law und sein Blick wanderte zum Mann, den er weiterhin nicht mochte, „wegen diesem Franky? Also, ihr wollt mir jedenfalls alle weismachen sie seien ein Paar.“ „Und weiter?“ „Ich beobachte gern. Wenn ihr nur flüchtige Bekanntschaften seid … wie wurdest du zurückgewiesen und allen voran … warum beobachtet sie dich genauso sehr?“ Nami schwieg. Einzig und allein seine letzte Bemerkung schien sich in ihr festgesetzt zu haben. Bislang hatte sie nicht das Gefühl gehabt, als würde ihr Robin Beachtung schenken. Und überhaupt, was verstand Law darunter? „Angst, ich verwende die Info gegen dich?“ „Bei dir kann ich mir nie sicher sein“, entgegnete sie wahrheitsgetreu und schenkte ihm ein trauriges Lächeln. Das Vertrauen fehlte eben an allen Ecken und Enden. Ein paar Tage änderten nichts an dem Umstand, dass er sich seit Monaten negativ in ihr Leben einmischte. „Mir reicht’s schon, wenn du zu Hause kein Sterbenswörtchen erzählst.“ Nach dem Fiasko auf der Gala brauchte Vergo nicht wissen, dass sie sich ausgerechnet in jene Frau verliebt hatte, der Vergo noch eine Warnung mitgegeben hatte. Sein Schweigen würde beweisen, dass er seine bisherige Art über Bord warf und versuchte eine neutrale Beziehung aufzubauen. Ein Schauermärchen und der Stunk mit Vergo ging in die nächste Runde. „Erzählst du mir dafür die ganze Geschichte?“ „Behalte ich sie für mich, redest du dann?“ Nami seufzte erschöpft. Konnte er denn nicht ohne Bedingungen das Thema ruhen lassen? So tun, als hätte er nichts bemerkt? „Der Wissendurst ist angeboren!“, verteidigte sich Law. „Mein Schweigen verknüpft mit einer Bitte?“ „Spuck’s aus“, und Nami machte sich bereits auf das Schlimmste gefasst. „Lass mich dir zeigen, dass ich nicht das größte Arschloch bin, das du denkst zu kennen.“ Perplex blinzelte sie, blickte an ihm hoch, suchte förmlich nach der Lüge. „Und ab welchem Punkt entscheidest du dich gegen das Schweigen?“ „Ich hab die Tage nachgedacht, Nami. Unser Gespräch hat mir gezeigt, dass es Spaß macht sich mit dir zu unterhalten, also ohne das sonstige Keppeln. Wenngleich deine aufbrausende und herausfordernde Art einfach unwiderstehlich ist“, witzelte er gegen Ende hin erneut. „Ich will das Kriegsbeil endgültig begraben.“ Kapitel 29: Ho fame. -------------------- »Ich hab Hunger.« 15. September 2012 „Was für eine illustre Runde!“ Süffisant bleckte Lucci seine Zähne. „Ihr. Nefeltari-Sprössling. Catrall. Alle beisammen in diesem heruntergekommenen Ambiente.“ „Was treibt dich dann hierher?“ „Freundschaften müssen gepflegt werden.“ Um das Lokal machte Lucci einen Bogen, schließlich wusste er, wer hier liebend gerne verkehrte und abseits von gemeinsamen Aufträgen, mied er sie. In erster Linie Franky, den er einfach nicht mochte, der ihm nur allzu gerne seine Nerven strapazierte. „Da holt er ausgerechnet dich ins Boot. Kluges Kerlchen.“ Rob lehnte sich vor. „Willst du mir wirklich das Geschäft vermiesen?“ „Langsam solltest du dich daran gewöhnt haben“, blieb Robin unbeeindruckt. Folgenloses Keppeln, mehr nicht. Lucci kannte seinen Spielraum und sehr wohl wusste er, wann Zeit war aufzuhören. „Schätze, er hat dich zusammengeflickt?“ „Jeder braucht einen Arzt des Vertrauens. Lieber suche ich ihn auf, statt einen x-beliebigen Stümper.“ „Lieber einen ums Eck, als ins nächste Land zu fliegen.“ „Denkst du, mein Leben begrenzt sich auf Venedig? Bitte.“ Mittlerweile diente Venedig als Zweitsitz. Die Stadt machte träge und so reiste er öfter umher. Nur dann, wenn er Ausruhen wollte, blieb er länger. „Law hat wahrhaft sein Herz verloren“, bemerkte Lucci, als ihm der Seitenblick seiner Kollegin aufgefallen war. „Ich mag sie, bietet ihm Parole.“ Amüsiert lachte Rob. „Seine Avancen habe ich beiläufig mitbekommen. Du kennst Catrall?“ „Oh, ein kurzes Vergnügen. Den Vater kenne ich eher, hat mir ein nettes Sümmchen eingebracht.“ „Sag, Lucci, was liegt dir auf der Zunge? Bezweifle, dass du zum Plaudern gekommen bist. Unterhaltungen wie diese sind untypisch für dich. Wir reden sonst auch nur über das Geschäft.“ Tief atmete sie ein, die frische Luft übte eine beruhigende Wirkung aus. Im Rücken lag die kahle und kühle Steinmauer, die unlängst den Spuren der Zeit verfallen war, und einen angenehmen Schauer auslöste. Ein Verschnaufen, das suchte sie hier draußen. Robs Nähe tat nie gut. Vor zwei Monaten noch schien alles in Ordnung. Das Leben verlief in gewohnten Bahnen, der Alltag hatte sie fest im Griff. Plötzlich rang sie nicht nur mit ihren Gefühlen sondern dem Wissen, auf Lucci aufpassen zu müssen. Auf ihn und dessen Beziehung zu Trafalgar, welche unmittelbare Gefahr auf Nami ausübte. Wie schnell sich manches änderte, wurde ihr neuerlich klar. Gefühle machten schwach. Allen voran, wenn ein Mann wie Rob Lucci umher schwirrte und seine Anwesenheit demonstrierte. Robs Besessenheit von Perfektion, dem Gefallen am Morden. Dieser genüssliche Ausdruck während er sein lebloses Opfer betrachtete. Ein Scheusal, das alles im Repertroir hatte. Ihr erster Mord hatte etwas ausgelöst, eine Kettenreaktion, die sie auf immer veränderte. Erst nach und nach hatte sie vollständig gelernt sich abzuschotten. Bis auf Phasen, in denen sie Albträume heimsuchten, konnte sie ihr Gewissen beruhigen. Abgestumpft konnte man sagen. Er jedoch … von Mord zu Mord lebte Rob auf. Von Mal zu Mal erlebte sie ihn gieriger. Als ob ein Leben ohne schon lange unmöglich war. Er galt als tickende Zeitbombe, aber, und das war ein Vorteil, respektierte er Robin auf eigene Weise. Vermutlich, weil sie beide auf demselben Niveau agierten, nur tötete sie subtiler. Etwas, das sie nicht von Trafalgar Law sagen konnte. Obwohl Informationen fehlten, spürte sie sofort, dass er kein Mörder war, dass er zwar taktisch vorging, aber gegen Rob chancenlos war. Eine kleine Änderung und Rob ließ ihn fallen, wie ein ungewolltes Spielzeug. Doch anstatt ihn liegen zu lassen, würde er Trafalgar auf den Zahn fühlen, ihn in die Enge drängen und ausbluten lassen, solange, bis das Werk getan und der Durst gestillt war. Seufzend raufte sie sich das Haar. Eigentlich sollte sie sich nicht verantwortlich fühlen, sich gefühlsmäßig abschotten … diesen Punkt hatte sie unlängst passiert und ein Zurück war nicht länger möglich. Und vor Tagen noch hatte sie lediglich die Bedenken gehabt, ob sie neuerlich so töricht sein sollte und einer möglichen Beziehung nachgab, die nicht besser werden würde, als ihre letzte, die sie mit einer Außerstehenden geführt hatte. 2003 Aufgewühlt erwachte sie aus einem Albtraum. Nassgeschwitzt klebte das Oberteil an ihrem Körper, während sich der Brustkorb hektisch hob und senkte. Die Albträume häuften sich. Nacht für Nacht schlichen Erinnerungen in ihre Traumwelt ein. Furchtbare Taten, leblose Hüllen, das blanke Entsetzen. Nächte, die sie mittlerweile gewohnt war, die ihr die ersten zwei, drei Minuten panikgleich das Atmen erschwerten. In unregelmäßigen Abständen durchforstete sie die tiefen Abgründe und dann, dann verschwanden sie erneut. Es war nicht so, als ob das schlechte Gewissen plagte – in den Jahren hatte sie durchaus gelernt damit zu leben, aber plötzlich war es, als ob sie direkt zurückversetzt wurde. Alles wurde neuerlich real und das machte ihr zu schaffen. Manchmal wiederholten sich jene Szenarien vollständig, manchmal verschwamm die Fantasie mit den erlebten Elementen. Jedes noch so kleinste Detail, mit all den Empfindungen und eben das raubte ihr kurz nach dem Erwachen sämtliche Kontrolle. Einatmen. Ausatmen. „Alles in Ordnung. Ich hab dich“, hörte sie sanft, der warme Atem prickelte auf ihrer Haut, förderte die bereits bestehende Gänsehaut. Arme wurden um ihren Rumpf gelegt, drückten sie näher an den Körper hinter sich. Hauchzarte Küsse auf dem Schulterblatt. Der erste Impuls, sich von ihrer Freundin zu lösen, der ausgehenden Hitze zu entkommen, verstummte. Das Beruhigen des wild pochenden Herzes genoss Vorrang, schließlich erhob die andere erneut das Wort: „Sprich dir von der Seele, was dich belastet.“ Ein schwerfälliges Seufzen folgte. „Albträume gehören zum Leben, Laki“, wisperte sie in die Dunkelheit. Müde sank der Kopf zurück ins Kissen, tief durchatmend schlossen sich ihre Lider. In Momenten, wie diesen, hasste sie Berührungen, eng umschlugen zu werden. Es waren Momente der Schwäche, Momente, in denen sie die Kontrolle ihrer Maskerade verlor, aber … aber so sehr sie das hasste, so sehr sehnte sie sich danach. „Sie kommen und gehen.“ „Wirst du mich je einweihen?“ Nein, nie. Nie würde sie ihr Geheimnis lüften. Laki wusste über ihre Familie Bescheid. Einmal hatte sie bereits gesagt, sie hatte darüber geträumt, was mit ihrer Mutter geschah. Dann manch andere Geschichten, gespickt mit Unwahrheiten. Ehrlichkeit siegte nicht, nicht in ihrer Welt. „Hab‘ dir schon erzählt, worüber ich träume. Hört bald auf, versprochen.“ Stille. × × „Kannst du mir erklären, was geschehen ist?“ Aufgebracht stellte Laki sich ihrer Freundin entgegen, die vor offener Tür stand – Eineinhalb Wochen zu spät, aus einem Grund, den sie nicht wirklich herausgefunden hatte. „Wegen der Gehirnerschütterung habe ich dir ja geschrieben, und …“, brach Robin ab, blickte entschuldigend und unschlüssig an der anderen vorbei. Die Kopfschmerzen waren noch nicht gänzlich verblasst, aber ihretwegen kam’s nicht zur verspäteten Heimreise. Diverse Blutergüsse, Schrammen und zwei Streifschüsse, die zum Glück nicht allzu tief waren, hatten Robin dazu veranlasst, länger als vorgehabt fortzubleiben. „Tut mir leid, Laki, sie haben mich im Krankenhaus behalten, hinzu kam der Papierkram. Früher ist es mir nicht möglich gewesen.“ „Darum geht‘s nicht! Wie ist das überhaupt geschehen?! Du hast lediglich von einem Unfall geschrieben. Kannst du dir vorstellen, welche Sorgen ich mir gemacht habe?“ „Ein Sandsturm hat uns früher als erwartet erwischt und das Auto hat sich überschlagen. Alles halb so schlimm, okay?“ Robin hasste das Lügen und in den letzten Wochen häuften sie sich. Die Verspätung war lediglich der letzte Tropfen. „Ich wäre zu dir geflogen“, wisperte Laki während sie den Ärger schluckte und ihre Freundin in die Arme schloss. Am Ende siegte die Erleichterung darüber dass sie nun wieder wohlbehalten zu Hause war. × × »Mir ist etwas dazwischen gekommen, müssen das Kino leider verschieben … Tut mir leid! Ich mach’s wieder gut, versprochen!« »Ist es denn so dringend?« »Würde ich sonst die Zeit mit dir opfern?« »Fang nicht so an. Für deine Arbeit opferst du alles und jeden.« »Ich liebe dich, Laki, vergiss das nicht.« »Wenn du das sagst ...« „Eine Absage?“, fragte Viper, dem die Veränderung seiner Freundin aufgefallen war. Bis vor wenigen Minuten noch hatten sie miteinander gelacht, nun ruhte ihr Blick starr auf dem Display des Mobiltelefons. Er mochte Lakis Freundin, aber manchmal würde er seiner besten Freundin lieber zum Schlussstrich raten. „Begleitest du mich? Ich möchte den Film unbedingt sehen.“ Wenn Robin schon die Zeit fehlte, so musste sie deshalb nicht auf einen entspannten Abend verzichten. „Kill Bill ist rausgekommen. Interesse?“ „Möchtest du darüber reden?“ „Viper …“ Der Mann schnaufte. 16. September 2012 „Ich hab ein Déjà-vu“, kicherte Nami unverblümt und blickte nach oben. „Sogar der Mond spielt mit.“ Absicht lag keine dahinter, sie hatte einfach frische Luft gebraucht, und hatte ihre Kumpanen kurzweilig stehen lassen. „Dezent. Fühlt sich an, als ob eine Ewigkeit vergangen ist“, gestand die Schwarzhaarige, die weiterhin an der Steinmauer lehnte. „Geht er dir auf die Nerven?“ „Nein, hat sich mit seinem Kumpel in ein Gespräch vertieft und als Bonney und Ruffy mit ihrem Wettessen angefangen haben, bin ich getürmt – Ich vertrag den Alkohol, bei manchen wirkt er leider recht schnell und sie kommen auf idiotische Ideen.“ Nami schlang die Jacke enger um ihren Körper, der Herbst stand tatsächlich vor der Tür. „Du und Lucci, ihr mögt euch wirklich nicht“, lenkte sie um und runzelte die Stirn. „Zwischen euch entsteht ein unangenehmes Brodeln, obwohl ihr auf den ersten Blick hin höflich miteinander redet.“ Sie hatte es mitbekommen und auch Law hatte es erwähnt. „Wir teilen unterschiedliche Ansichten, das ist alles.“ „Lucci schätze ich ein, als macht er den Job lediglich um Geld zu scheffeln und um einen Nervenkitzel zu stillen – Er hat von ein, zwei Abenteuern erzählt“, fügte sie am Ende an, nachdem ihr der fragende Blick seitens der Archäologin aufgefallen war. „Du hingegen … du bist anders, lebst förmlich auf. Deine Leidenschaft ist spürbar, manchmal sogar ansteckend und das Geld spielt keine Rolle.“ „Möglich.“ Spannungen existierten und sofern die Situation nicht anderes verlangte, verschwanden sie nicht. „Er hat eben seinen Standpunkt und ich habe meinen.“ „Wie seid ihr aneinander geraten?“, fragte Nami neugierig. „Schwarzmarkt.“ Robin stieß sich von der Wand ab, lächelte verschmitzt. Tatsächlich wusste sie zur damaligen Zeit nichts von seinem Zweitleben. „Eine Weile vor meinem Umzug nach Venedig. Ich habe private Nachforschungen betrieben, das betreffende Grab ist ein paar Monate zuvor von Dieben geleert worden. Er steckte dahinter.“ „Eigentlich müsste er hinter Gitter landen, oder?“ „Bitte, tu dir keinen Zwang an.“ Sacht schüttelte Robin den Kopf. „In manchen Belangen habe ich mir angewöhnt, gewisse Details zu ignorieren. Sofern er nicht direkt in Museen einbricht …“ Dieses Geschäft florierte, dagegen anzukämpfen war schwierig und sie selbst bezog manch eine Errungenschaft auf illegale Weise. „Dann strapaziere wenigstens seine Nerven“, lachte Nami leise. Wirklich dagegen sprechen konnte sie nicht, schließlich wusste sie mittlerweile, dass auch ihr Vater die Hintertür verwendete. „Dürfte recht unterhaltsam werden. Begleitest du Law?“ „Nein, ist seine Angelegenheit. Sobald ich heute nach Hause gehe, trennen sich unsere Wege.“ Deshalb hatte sie ihm diesen Abend angeboten. So konnte Nami zwei Fliegen schlagen, wenngleich sie Robin und Lucci liebend gerne beim Keppeln sehen würde. Wobei das Keppeln garantiert subtiler ausfiel und lediglich anhand der Stimmlagen und Blicke ersichtlich werden würde. „Morgen Vormittag sehe ich mich eher herum gammeln.“ Nach der Woche sehnte sie sich einfach nach einem ruhigen, fast schon langweiligen Tag. „Ich hab nachgedacht“, lag es nun an Robin abzuschweifen. „Wann tust du das nicht?“ Das dazugehörige Lachen blieb Nami im Hals stecken, denn der ernste Tonfall ließ erahnen, worüber. Ein unangenehmes Prickeln überkam sie. „Hätte nie für möglich gehalten, das wir an diese Gabelung kommen – was eine unscheinbare Begegnung ausmacht.“ Kopfschüttelnd machte sie ein paar Schritte. „Du bereitest mir mehr Kopfzerbrechen als ich es mir wünsche. “ Dann hörten sie lautes Gegröle, jemand hatte die Tür geöffnet. „Nami?“ Trafalgar Law schritt aus der Bar, er musste gar nicht suchen, fand Nami prompt und zu seiner Überraschung in Begleitung der Archäologin. Kurzweilig trat ein wissendes Lächeln auf seine Lippen, das rasch dem Ernst der Lage wich. „Drinnen gibt’s ein dezentes Problem. Du solltest mitkommen“, erklärte er auf die fragende Miene hin. „Was darf ich darunter verstehen?“ Angesäuert verschränkte sie die Arme. Da kamen sie endlich zu dem Punkt, an dem sie anfingen, über sich zu sprechen und schon wurde das Gespräch unterbrochen. „Deine Freunde haben sich gehen lassen. Sehr gehen lassen.“ „Ernsthaft? So schlimm kann’s unmöglich sein!“ „Vivi ist hinüber, die beiden Vielfräße sind eingeschlafen und der Casanova – sagen wir, er fängt sich bald Trachtprügel ein.“ Nami öffnete ihren Mund, aber ein Laut wollte nicht über ihre Lippen kommen. Was um Himmelswillen hatten sie in kürzester Zeit angestellt, um sich in diesen Zustand zu manövrieren? „Aus einem Wettessen ist mehr geworden?“, übernahm Robin das Nachforschen. „Oh, das war schnell entschieden – der Bengel hat gewonnen. Hut ab, frisst wie ein Scheunendrescher. Muss einen recht guten Magen haben, der Kleine.“ So etwas hatte Law noch nie hautnah miterlebt und appetitanregend war solch ein Anblick definitiv nicht. „In gefühlten fünf Minuten saufen die sich zu Tode?“, brachte Nami nun ungläubig hervor. „Vivi kennt ihre Grenze!“ Allein der Punkt ergab keinen Sinn. Vivi hatte noch nie zu viel getrunken. Klar, den einen oder anderen Kater hatte sie, aber sie kam immer auf eigenem Wege nach Hause. „Verliebte gehen darüber hinaus, vor allem, wenn der Angebetete darauf besteht?“ Deutlich vernahmen sie das Brummen der jungen Frau, die mürrisch ins Gebäude stampfte. „Ich hab euch gestört“, stellte der Mann fest und vergrub die Hände in den Hosentaschen. Gekonnt tat sie seinen Kommentar mit einem Lächeln ab, ehe sie ihn stehen ließ und Nami ins Innere folgte. Das Bild, das sich ihr bot, zeigte, was Law beschrieben hatte und sie fand Nami, die Sanji bereits am Kragen packte und den liebestollen Koch nicht vor von einer Frau fortschliff, sondern auch von einem wilden Ehemann. „Was habt ihr ihnen gegeben?“, erkundigte sie sich am Tresen, wo Zorro sich frustriert durchs Haar fuhr. „Frag Bruno!“ „Bonney wollte das Stärkste, das ich habe! Die sind jung, die halten das aus“, lachte der Inhaber und klopfte Zorro auf die Schulter. „Mach Schluss, ist sowieso bald Sperrstunde.“ Genervt blickte der jüngere hoch. „Soll ich die etwa alleine nach Hause schleppen?! Guck dir mal den Hampelmann an! Den Kartoffelschäler schmeiße ich grad noch so vor die Tür!“ Er knurrte. Seine Laune war im Keller und so fischte er das Handy aus seiner Tasche. „Hoffentlich hat Lysop Zeit.“ Franky schritt auf sie zu, grinste schief, als er den fuchsteufelswilden Ausdruck des Barkeepers erblickte. „Brauchst wohl Hilfe.“ Während Zorro mit dem Lügenbaron telefonierte, blickte Franky spitzbübisch zu seiner Freundin. „Ihr seid vom Pech verfolgt.“ „Vivi ist vollkommen von der Rolle!“ Nami, die sich liebreizend um Sanji gekümmert hatte, der sich den Kopf haltend auf einem Stuhl krümmte, lehnte sich ungeduldig an den Tresen. „Hat er Lysop erreicht?“ „Scheint so. Lustiger Abend, was?“ Franky hatte seinen Spaß, auch wenn ihm der Blick, den er nun erhielt, sagte, er sollte augenblicklich den Mund halten und jeden weiteren Kommentar schlucken. „Toller Ausklang! Und Luccis gehässige Ader ist sehr hilfreich!“ Während Law wenigstens angeboten hatte ihr mit Vivi zu helfen, stand dieser belustigend zur Seite (Dafür schien er zum ersten Mal ehrliche Emotionen zu zeigen). „Warte, ich ruf einen Bekannten an“, meldete sich Robin zu Wort, „ihr wohnt in entgegengesetzter Richtung, so kommen alle schneller nach Hause. Wenn du möchtest, dann begleite ich dich.“ „Danke, ich mach das schon. Vivi ist kein Problem. Zorro tut mir schon eher leid.“ Franky deutete mit dem Daumen auf seine Brust. Nickend atmete Nami durch. Aus dem Augenwinkel heraus blickte sie zur Schwarzhaarigen, die nun ebenfalls am Telefon war. Hätten diese Hitzköpfe bloß ein paar Minuten länger durchgehalten … 2004 »Wie geht die Arbeit voran?« Laki trat unruhig auf der Stelle. Das merkwürdige Gefühl der vorangegangen Tage brach wellengleich über sie hinweg. Mittlerweile wusste sie nicht mehr, was sie glauben konnte und was nicht. Obgleich sie die Liebe der anderen noch heute spürte, empfand sie ebenfalls eine Veränderung, die seit Jahresbeginn unübersehbar wurde. Mehr denn je beschlich Laki die dumpfe Vermutung, dass ihre Freundin etwas vor ihr verbarg. Etwas Großes. »Schleppend. Die Nacht muss herhalten.« »Doma wird seine Freude haben.« »Muss mir mal wieder ein Dankeschön überlegen, versorgt mich stets mit Koffein.« »Dann halt ich dich nicht länger ab, bis morgen.« »Tust du nie!« Müde zuckten Lakis Mundwinkel. Der Blick wanderte die Fassade empor und im Schein des Lichtes, das von den Laternen kam, fielen Schneeflocken. Das Gebäude war dunkel. Ein weiterer Beweis, denn der Nachtwächter, Doma, hatte ihr längst mitgeteilt, dass sich dort niemand mehr von den Mitarbeitern aufhielt und dass Robin bereits vor Stunden gegangen war. × × „Weißt du eigentlich, was mich wütend macht?“ Gereizt stand Laki am Fenster, die Hände verschränkt, während sie seitlich gegen die Scheibe lehnte. „Vermutlich würden manche meinen, du hättest eine andere. Schön wär’s.“ Robin, die das Wichtigste gepackt hatte, blieb stehen. Der Schlussstrich stand seit Wochen im Raum und sie war es nun gewesen, die ihn endlich gezogen hatte. Nach fast zwei Jahren. „Ich habe nie gesagt, ich sei einfach.“ „Einfach und lügen sind zwei Paar Schuhe.“ Ihre Blicke trafen sich. „Ich hab gehofft irgendwann hinter dein Geheimnis zu kommen, hab mich oftmals arrangiert. Und dann bist du diejenige, die alles hinschmeißt.“ „Bist du glücklich?“, fragte Robin ausdruckslos und prompt erkannte sie die Veränderung der anderen, die sichtlich nach Worten rang. „Siehst du. Laki, ich kann dir nicht mehr geben und warum solltest du dich ständig arrangieren.“ Im Grunde hatte die Beziehung sogar länger gehalten, als je erwartet, aber derzeit wurde das Lügengebilde von Tag zu Tag komplizierter. Robin hatte alle Hände voll zu tun und hatte sie gesehen, wie sehr Laki all das bedrückte. „Vor drei Wochen … du sagtest, du müsstest die Nacht durchmachen. Ich war dort, du nicht. Wo warst du da?“ „Nicht bei einer anderen Frau.“ Als ob sie die Zeit hatte sich zusätzlich in irgendeine Affäre zu stürzen. Es reichte, wenn sie so schon zwischen zwei Welten pendeln musste. „Vielleicht habe ich für Geld einen Menschen verschwinden lassen.“ Verachtend schnaufte Laki. „Dein makabrer Humor macht die Lage nicht besser!“ Ein bittersüßes Lächeln trat auf Robins Lippen hervor. 16. September 2012 „Wie kann ich mich erkenntlich zeigen?“ Zehn Minuten vom Antiquitätenladen entfernt, machten die beiden an einem Café Halt. Trafalgar zu Folge war ein Kaffee das Mindeste, das er ihr anbieten durfte. Binnen kürzester Zeit hatte sie die Makel erkannt, den Preis gedrückt. Selbst ein Rob Lucci war machtlos gewesen, schließlich wollte dieser nicht gänzlich vom Kauf zurücktreten. Er hatte Trafalgar die Stücke schließlich umworben. „Nimm’s als freundliche Geste“, winkte sie ab, denn was wollte er ihr geben? Geld brauchte sie keines und das, was ihr im Kopf umher schwebte, das konnte sie so oder so nicht aussprechen. „Also, du reist noch heute ab?“ Irgendwann dann, zwischen den Verhandlungen, hatte sich das Duzen ergeben. Law nickte eifrig während er seinen Kaffee umrührte. „Ich muss nur noch ins Hotel und mein Gepäck holen.“ Seine Errungenschaft würde nachkommen, darüber brauchte er sich nun keine Sorgen mehr machen. „Dennoch ist es mir nicht recht, dass ich lediglich ein Dankeschön und ein Getränk für deine Hilfe habe.“ Für ihn erschien das Desinteresse an einer Gegenleistung äußerst ungewöhnlich; er kannte es nicht anders. Eine Hand wusch schließlich die andere. „Luccis angesäuerter Ausdruck reicht vollkommen. Vermutlich wusste er gestern bereits, dass er einen Verlust machen würde.“ „Verlust? Soweit ich weiß, hat er nicht unbedingt Geld ausgegeben.“ „Zufällig gefunden – so nennt er seine Raubzüge. Und, für ihn ist jeder Cent, den er von seiner Vorstellung abgeben muss, ein bedeutsamer Verlust.“ „Darf ich dir eine Frage stellen, bevor wir getrennte Wege gehen?“ Robin nippte an ihrem Heißgetränk, taxierte ihn abwartend, ehe sie ein kaum merkliches Nicken signalisierte. „Franky und du, ihr seid kein Paar, richtig?“ „Worauf beruht dein Gedanke?“ Natürlich funktionierten solche Spielchen nur für den ersten Moment, schließlich hielt sich Franky zwischendurch abseits auf und auch der Abschied fiel freundschaftlich aus. „Ihretwegen.“ Ein einziges Wort, das aufzeigte, dass sie verstehen musste, worauf er anspielte. „Hab ihr entlocken können, dass du sie hast abblitzen lassen.“ Andächtig beobachtete er Robin, wartete auf jede noch so kleinste Reaktion, die ihm half, aber blieb sie aus. Vollkommen unbeeindruckt blickte sie ihm entgegen. „Bisschen persönlich, nicht?“ „Ist mir lieber als seichter Smalltalk.“ „Eigentlich schätze ich dich als jemanden ein, der solche Angelegenheit mit Desinteresse abtut.“ „Du liegst richtig, aber meine eigenen Gefühle spielen mir übel mit und sie veranlassen mich dazu, aus meiner sonstigen Haut zu schlüpfen. Glaub mir, mir wär’s lieber, ich würde mich nicht dafür interessieren.“ Dann stützte er das Kinn an seinem Handrücken ab. „Ich möchte dich oder sagen wir, euch verstehen.“ „Uns ist wohl nicht die korrekte Bezeichnung.“ „Sie hat dich beobachtet und, versuch mich nicht auszutricksen, du auch sie. Nicht so auffällig, aber habe ich es mitbekommen.“ „Meinetwegen erteilt sie dir keine Abfuhr, wenn du darauf anspielst.“ Law lächelte verwegen. „Ist mir bewusst. Ich frage mich lediglich, warum ihr euch nicht näher kommt. Ich hab mir gedacht, es liegt an dir, du hättest keine Gefühle. Du hast aber welche – Ich beobachte gern und ich bin weiterhin überzeugt, dass ich euch gestern gestört habe. Bei was auch immer.“ Abwartend, ob er eine Antwort erhielt, trank er einen Schluck. Egal, wie sehr er sich bemühte, aus der Frau wurde er nicht schlau. „Im Grunde möchte ich herausfinden, wer der Mensch ist, der Nami den Kopf verdreht hat.“ „Erwartest du dadurch herauszufinden, wie du sie doch noch eroberst? Hör lieber auf.“ Jeder musste sich irgendwann eingestehen, dass alle Avancen umsonst waren und nach vorne blicken. Mittlerweile jedoch, verstand sie Nami. Seine Gefühle schienen echt, sonst würde er das Thema nicht anschneiden. „Ein gutgemeinter Rat, Law. Lass los.“ „Wie du es tust?“ Robin lächelte. Federleicht erhob sie sich. „Dein Timing war in der Tat miserabel – ich wünsche dir eine angenehme Heimreise.“ Langsam schlurfte Nami den Gang zur Haustüre entlang. Bislang hatte sie den Vormittag im Bett verbracht, wahllos durch das Programm gestöbert und überlebt, ob sie nicht lieber einen Film in Erwägung zog. Dann kam aus heiterem Himmel eine SMS, ob sie ihren gestrigen Worten entsprechend zu Hause war und ein paar Minuten erübrigen konnte. Dem Spiegel warf sie einen nichtssagenden Blick zu. Obwohl ihr bewusst war, wen sie erwartete, hatte sie keine Minute überlegt, ihre bequeme Jogginghose und das einfach T-Shirt auszutauschen. Stattdessen schlüpfte sie in ihre Sneakers und eine Jacke. „Hey“, grüßte Robin als sie die Türe öffnete, und Nami spürte den kühlen Wind. Das Wetter entwickelte sich genau ihrer Vorstellung nach und lag sie richtig, was in beinah allen Fälle zutraf, dürfte bald Regen einsetzen. Lächelnd trat sie ins Freie, nur um sich am Geländer anlehnen zu können. „Hab gehört, du hast dich als hilfreich erwiesen.“ Law hatte ihr geschrieben, ihr kurz und bündig erzählt, was denn vorgefallen war. „Ein Kinderspiel. Und? Ist Vivi auf den Beinen?“ Nami warf einen Blick hoch zum ersten Stock. Die Balken blieben ungeöffnet. „Vor einer Stunde ist sie kurz durch die Gegend getorkelt. Sag ja, sie verträgt wenig.“ Dementsprechend litt sie unter dem Alkohol und Nami war überzeugt davon, dass sie die andere nicht so schnell sehen würde. „Also, was genau führt dich zu mir?“ Für Nami existierte nur ein Grund, und der war das gestrige Gespräch fortzuführen. „Die Frage, ob du mit mir ausgehst.“ Perplex über die Direktheit blinzelte Nami, sodass sie kein Wort herausbrachte. „Lieber mit dem Wesentlichen beginnen. Wer weiß, wer sonst auftaucht“, witzelte sie. Obwohl die Vorzeichen dagegen standen und ihr Verstand vehement auf Standhaftigkeit beharrte, hatte sie in jenem Moment, in dem sie das Gespräch auf diese eine Thematik gelenkt hatte, unlängst gespürt, dass die Gefühle den Sieg davon trugen. Alles auf eine Karte, was am Ende geschah, das konnte sie so oder so nicht lenken. „Was sagst du?“, fragte sie nach, als sie bis auf ein schweigendes Mustern keine Reaktion wahrnahm. Dann erhellten sich Namis Züge, ein Grinsen breitete sich aus. „Ich hab Hunger.“ „Hunger?“ Fragend hob sich eine Augenbraue. „Kobra ist übers Wochenende unterwegs. Mein Lieblingszombie ist ausgeknockt, bald setzt Regen ein, was zu einem Tag auf dem Sofa mit Filmen einlädt und auf Kochen hab ich keine Lust“, erklärte sie zügig. „Also, in der Nähe befindet sich ein nettes Restaurant, bei dem ich gerne etwas mitnehme. Die Wartezeit lässt sich rasch überbrücken und der Kaffee ist nicht schlecht.“ Dabei stieß sie sich ab und blickte auffordernd hoch. „Oder hast du für heute anderweitige Pläne?“ Kapitel 30: Intermezzo. ----------------------- »Intermezzo« 16. September 2012 „Um bei der Wahrheit zu bleiben, habe ich mir strengeren Gegenwind erwartet“, gestand Robin. Ihr Blick ruhte auf dem Inhalt ihrer Tasse. Nach einer Woche wie dieser, ihrer ausweichenden und vielleicht gar abweisenden Art Nami gegenüber, hatte Robin bereits mit der kalten Schulter gerechnet oder eben einem Ausbruch des impulsiven Temperamentes. Stattdessen saßen sie nebeneinander an der Theke und warteten auf das Essen. „Hab halt Hunger“, entgegnete Nami ihre Schultern zuckend. Als sie ein leises Lachen von sich gab, blickte Robin fragend zur Seite. „Oder sagen wir, mir hat für heute gereicht, dass du mit dem Wesentlichen herausgerückt bist.“ Ein Lächeln zierte Namis Lippen während sie ihren Kaffee umrührte. „Ich hab’s ernstgemeint. Das Zeitnehmen. Ich will herausfinden wohin uns diese Reise führt – Und hättest du mich abgewiesen …“ Sie ließ den Löffel los und Nami drehte ihr den Kopf entgegen. „Ich hab nicht länger still sein können, Robin. Diese Gefühle machen mich wahnsinnig. Besonders, wenn ich keinen blassen Schimmer habe, ob es auch nur den Hauch einer Chance gibt. Dass du dich auf ein Date einlässt, ist alles, worum ich dich gebeten habe. Also, warum sollte ich dann streiken?“ Natürlich hatte Nami allen Grund gehabt, sich distanzierter zu verhalten. Robin gar zappeln zu lassen, aber warum? Um noch mehr Zeit verstreichen zu lassen in der sie unlängst hätten einen Schritt weiter kommen können? Zumal hatte ihr die Woche gereicht. „Irgendeine Vorliebe?“, fragte Nami nach, bevor Robin überhaupt eine Antwort geben konnte. „Von Romantik bis Horror ist alles vorhanden. Nur bitte keine Dokumentation!“ „Such’s dir aus, ich arrangiere mich mit allem.“ Während des kurzen Rückwegs erzählte Robin genauer vom Handel, wie Luccis Geschäftspartner bereits eingeknickt war, als er Robin zu Gesicht bekam. Das minutenlange Diskutieren, warum der Preis angemessen und warum eben genau das nicht der Fall war. Für diese Zeit vergaß Robin sogar die dunkle Wolke, die über Lucci schwebte und welch eine Gefahr er ausstrahlte oder wie leichtsinnig Law seinen Freundeskreis auswählte. Es zählte nur, dass sie Rob Lucci ordentlich den Tag vermiest hatte. „ … jedenfalls hat dein Freund sich ein nettes Sümmchen gespart.“ „Law verwundert mich. Er passt nicht direkt in das Schema eines Antiquitätensammlers“, kommentierte Nami den Kopf schüttelnd. Vergo fiel schon eher in diese Schublade. „Definitiv nicht für illegale Stücke!“ Aber den Gedanken hatte sie bei ihrem Ziehvater bislang auch ausgeblendet gehabt. „Warum er sich darauf festgebissen hat, hab ich selbst nicht in Erfahrung gebracht.“ Die Gründe jedoch, die brauchte sie nicht zu wissen. Dasselbe kannte Robin bei sich. Wollte sie etwas haben, dann ließ sie nicht locker. „Soll einer verstehen, wenigstens muss ich mich nicht länger mit seiner Anwesenheit herum schlagen.“ Obwohl sie versucht hatte das Kriegsbeil tatsächlich zu begraben und sich durchaus normal mit Law unterhalten hatte, hatte Nami die gesamte Woche über gemerkt, wie ihr seine Anwesenheit zusetzte. Das Vertrauen war eben nicht gegeben. Nun, wo er fort war, obwohl er über ihre Gefühle Bescheid wusste, fühlte sie sich besser, einfach erleichtert. „Hast du mich gestern so oft beobachtet?“ Nami verlangsamte ihre Schritte. „Was ist?“, fragte Robin sogleich, blieb stehen und ein wissendes Lächeln zeichnete sich ab. „Er hat dich darauf angesprochen“, stellte Nami entsetzt fest. Zog er sie auf, dann konnte er das tun, aber Robin darauf ansprechen? Das ging in ihren Augen eine Spur zu weit. Wut kroch hoch, die sie nur allzu gerne an ihm auslassen wollte, doch so schnell sie entfachte, so schnell verpuffte diese als ihre eine Strähne hinter das Ohr gestrichen wurde. „Ich hab seine Aufmerksamkeit unterschätzt. Gib mir Bescheid, sollte er dir deswegen Schwierigkeiten bereiten.“ „Ach, haltest du ihm eine Standpauke?“, witzelte Nami und schüttelte den Kopf. „Er ist eben unberechenbar, aber habe ich ihn erst auf den Gedanken gebracht.“ Sie seufzte und blickte an Robin vorbei. „Hab zu wenig aufgepasst. Weder Montag noch gestern – Was hat er dir gesagt?“ „Er hat seine Neugierde aufblitzen lassen. Aber in einer Sache hat er rechtgehabt. Gestern hat er gestört.“ „Darf ich fragen, warum ausgerechnet Vivi solche Filme bevorzugt?“ Robin seufzte, hatte den Kopf an der Hand abgestützt. Nachdem sie mit Bravour eine Action-Romanze hinter sich gebracht hatte, wählte sie den zweiten Film aus, der nach Namis Angaben aus dem Repertoire der jüngeren Freundin stammte. „Der Horror bleibt bislang dürftig auf der Strecke.“ Nami rollte die Augen über. „Das hab ich gesehen“, gluckste Robin. „Weil ich dir gesagt habe, dass du dich langweilen wirst!“, verteidigte Nami ihre Geste. „Gibt’s in der Richtung überhaupt einen Film, der dir ein mulmiges Gefühl beschert?“ Sie blickte zur anderen, die sichtlich nachdachte. „Nein.“ Nami stieß einen tiefen Atemzug aus. Natürlich nicht. „Dafür macht’s Spaß zu sehen, wie du dich hie und da erschreckst“, neckte sie. „Hast du dir eingebildet.“ Robin hob eine Augenbraue. „Nochmal, du hast ihn ausgewählt. Lebe damit!“ „Tue ich, habe ich mich denn beschwert? Ich würde ihn lediglich nicht Vivi zuordnen.“ „Wie der Vater so die Tochter – Sei froh, dass ich dir nicht Die Mumie angetan habe. Kobra steht auf diese Filme.“ Nami wusste sehr wohl, wie Robin zu diesen stand. Sie mochte sie nicht. „Tu dir keinen Zwang an.“ Auch wenn sie diese Filme verabscheute, so würde sie ihn ansehen, ihretwegen. 12. Oktober 2012 „Nicht schlecht“, brachte Nami staunend hervor, als sie sich umsah. Alles schrie förmlich nach Geschichte. „Werde ich eine Mumie finden?“, scherzte sie und schritt auf eine Ritterrüstung zu. Robins Blick folgte der anderen. „Mir wurde gesagt, dass mein Vater Interesse am Mittelalter hegte, wenngleich seine Forschung einen anderen Schwerpunkt aufwies. Vermutlich privates Interesse.“ Im Haus befanden sich mehrere Rüstungen. „Aber nein, eine Mumie bleibt dir erspart.“ In Zukunft würde sie öfter hierher reisen, deshalb hatte sie das Haus auf Vordermann gebracht, war drei Tage vor Nami angereist. Und bevor sie ein Hotel bezog, lebte sie lieber in all den Erinnerungen. Erinnerungen, die sie womöglich aufleben lassen musste, um das Rätsel zu lösen. „Roji störte das Anwesen. Oft musste ich mir eine Standpauke anhören. Als ob ich in mein eigenes Heim einbrach.“ Hätte ihre Tante die notwendige Macht besessen, so hätte sie einen Käufer gesucht. Zu ihrem Pech und Robins Glück hatte Olvia ihr Vermächtnis geregelt hinterlassen. Wehmütig dachte sie an jene Zeit zurück. „Versteh einer deine Tante.“ Nami zog eine verachtende Miene. Jeder musste wissen, welche Emotionen Robin mit diesem Haus verband. „Und du hast lange Zeit gemieden hierher zu kommen.“ „Weil Wunden eben nicht immer heilen – Komm, ich führ dich herum.“ Fünf Tage hatten sie und obwohl der Großteil noch unerforscht war, hatte sie Nami mitgenommen. Etwas, das ihr neuerlich aufzeigte, welch wichtigen Teil sie in ihrem Leben einnahm. Nami wusste bereits mehr als alle anderen, die vor ihr waren. Vielleicht machte sie einen Fehler, aber zum ersten Mal seit langem, fühlte sich etwas Falsches zu richtig an. „Mal sehen, was ich in deinem Zimmer finde.“ Die Neugierde kochte allmählich über. Feixend spähte sie über die Schulter hinweg. „Wenig. Persönliches ist mitgekommen.“ Alles, das persönlich genug war. Vieles blieb aber zurück. 13. Oktober 2012 Gemächlich spazierten sie die Newa entlang. Neben dem obligatorischen Erkunden wollte Nami die Tage nützen um mehr über ihre Freundin zu erfahren. Über ihre Vergangenheit, ihre Kindheit, das Leben in dieser Stadt. Obwohl Robin in manchen Belangen noch äußerst schweigsam agierte, ließ sie mehr zu als bis vor kurzem angenommen, und so kamen sie an der Eremitage nicht herum. Und dann, aus heiterem Himmel, stellte sie Nami eine Frage, die sie so nicht erwartet hatte. „Bist du dir sicher?“ Fragend schielte Nami hoch. Dieses Mal hatte Robin definitiv mehr Zeit als bei ihrem letzten Besuch. Umso sicherer war sie gewesen, dass diese nun die Konfrontation mit ihrer Cousine suchen würde, aber das Vorhaben überraschte. Bei all dem Gesprächsstoff, der zwischen den beiden herrschte, glaubte Nami zu wissen, dass sie lediglich über einen Bruchteil Bescheid wusste. Erzählungen reichten und zeigten, wie sehr Robin damals unter dem Einfluss von Tante und Cousine litt. Sollte sie dabei tatsächlich stören? „Ich zwinge dich nicht, Nami. Wenn du möchtest, kannst du gerne bleiben oder einen Bummel in der Stadt unternehmen. Um deine Orientierung mache ich mir keine Sorgen.“ „Aber du möchtest, dass ich dich begleite, richtig?“ „Mir wäre wohler, ja. Zudem treffen wir uns nicht für ein Gespräch unter vier Augen. Ihr Mann ist anwesend, bestimmt auch die Kinder.“ Leicht flatterte Namis Herzschlag. „Okay“, war alles, das Nami sagte. Erzählungen waren eine Sache, aber das Robin sie tatsächlich miteinband, eine andere, an die sich Nami wohl erst gewöhnen musste. Natürlich, vor ihrer Beziehung hatten sie oftmals Themen wie diese angeschnitten, aber bei einer Frau, die Gedanken lieber für sich behielt, war manches eben nicht selbstverständlich. „Was ist?“, hinterfrage Robin als Nami innehielt und starr das fließende Wasser betrachtete. Stirnrunzelnd behielt sie ihre Freundin im Auge, die nur langsam den Blick abwendete, die Hände in die Jackentasche steckte und kopfschüttelnd weiter marschierte. „Nami?“ „Bloß ein Gedanke.“ „Und welcher?“ Nami lachte. „Erzähl ich dir – irgendwann!“ 14. Oktober 2012 „Besser als erwartet, oder?“, fragte Nami bei der Rückkehr. Bislang hatte Robin kein Wort zu dem gesagt, das Gespräch lieber auf andere Themen gelenkt. „Ihr Mann ist nett.“ Mit ihm hatte sie sich vorwiegend unterhalten und Nami hatte gemerkt, dass er sich insbesondere für Robins Arbeit interessierte. Da wunderte sie sich nicht, warum Mizuira über Robins Werdegang bestens informiert war. Robin schritt seufzend Richtung Küche. „Komm, was ist es?“, folgte Nami ihrer Freundin, die schnurstracks ihren Lieblingswein öffnete. „Oran lässt mich grüßen, er würde sich gerne treffen, aber …“, brach Robin ab, schenkte zwei Gläser ein und ihr Blick blieb an ihrem Glas haften. Erneut stieß sie einen Seufzer aus, stützte sich dabei an der Arbeitsplatte ab. Nami verstand. Roji hatte ihren Einfluss nicht verloren und nicht jeder änderte sich über die Jahre. Langsam trat Nami neben ihre Freundin, schlang einen Arm um ihre Taille. „Bei allem, das vorgefallen ist, hast du nie daran gedacht, irgendwann mit deiner Cousine am Tisch zu sitzen und normal zu reden. Trotz ihrer Mutter.“ Für Nami war dies schon mehr als Robin wohl je erwartet hatte. „Wer weiß, vielleicht springt er eines Tages über den Schatten und ignoriert ihre Einwände.“ „Irgendwie merkwürdig. Jahre habe ich keinen Gedanken an sie verschwendet und plötzlich – Oran wird ewig nach ihrer Pfeife tanzen.“ „Dann lass ihn.“ „Ah, und Mizuira hat vorgeschlagen, den nächsten Urlaub in Venedig zu verbringen.“ Verblüfft schüttelte Robin den Kopf. Erneut überraschte sie ihre Cousine. „Was soll ich davon halten? Ich bin dann wohl selbst auf Urlaub.“ Nami lachte. „Komm schon, so schlimm wäre das gar nicht.“ Skeptisch blickte Robin zur Seite. Noch immer wusste sie nicht so recht, was sie von dieser Wandlung hielt. Aber, so dachte sie, sollte sie sich nicht allzu sehr den Kopf zerbrechen. Das Gespräch war vorüber, sie hatten sich in gewissem Maße ausgesprochen und ein paar Tage blieben sie noch. Die Skepsis wich, ein sanfter Ausdruck kam zum Vorschein und sie beugte sich näher. „Danke. Ohne dich hätte ich den Abend wohl nicht über die Bühne gebracht.“ „Hättest du ihr etwa auf unschöne Weise die Leviten gelesen?“ Robin schüttelte kaum merklich den Kopf. „Nein, ich wäre ferngeblieben.“ 27. Oktober 2012 Robin starrte in die Dunkelheit während sie einzig und allein dem ruhigen Atem ihrer Freundin lauschte. Dabei ignorierte sie weitgehend ihren allmählich taubwerdenden Arm. „Uns läuft nichts davon. Warum hast du nicht gleich gesagt, dass es dir schlecht geht?“, fragte sie besorgt. Nami saß einem Häufchen Elend gleich auf dem Treppenansatz; das Gesicht verborgen in ihren Handflächen, während immer wieder ein schmerzhaftes Brummen hörbar wurde. Schon als sie Nami zu Gesicht bekam, hatte sie zum ersten Mal nachgefragt, ob alles in Ordnung war. Die Blässe sprach Bände, aber Nami hatte ihren Sturkopf durchgesetzt, gemeint, sie hätte bloß leichte Kopfschmerzen vom anstrengenden Tag. „Hab gedacht, dass es nicht schlimmer wird … außerdem haben wir uns die Woche sowieso kaum gesehen“, brachte sie nach ein paar Minuten kleinlaut hervor. Robin, die vor ihr kniete, stieß einen tiefen Atemzug aus. „Lass uns gehen. Langsam.“ Vorsichtig half sie Nami auf die Beine. Aus einfachen Kopfschmerzen war dann wohl ein ordentlicher Migräneschub geworden. Bedacht keine ruckartige Bewegung zu machen, und Namis Schlaf zu stören, drehte sich Robin so vorsichtig wie möglich auf die Seite. Der eingeschlafene Arm rebellierte. „Danke“, murmelte Nami, als ihr der kalte Lappen auf die Stirn gelegt wurde. Das Licht wurde ausgemacht und Robin legte sich zu ihr. „Geh lieber. Ich wälz mich eh herum und du kannst sowieso nicht schlafen.“ „Als ob mich das stört“, gluckste die ältere. Zudem kannte sie Nami, sie schwang zwar ihre Reden, aber innerlich hoffte sie so oder so auf ihren Verbleib. Wie erwartet rutschte Nami näher, legte den Kopf auf ihre Schulter. Wortlos lächelte Robin in sich hinein, während sie den Arm anhob und sacht durch das wellige Haar strich. „Den Abend habe ich mir anders vorgestellt.“ „Ich liebe dich auch.“ Kaum spürbar streiften ihre Lippen die Schläfe ihrer Freundin, die tief und fest schlief und nichts von alledem mitbekam. Normalerweise war sie nie diejenige gewesen, die groß auf Körperkontakt aus war. Selbst beim Schlafen hatte sie lieber ihren Freiraum gehabt. Bei Pola war es normal gewesen, es beruhte damals auf Gegenseitigkeit. Hie und da hatten sie die Nähe gesucht und so schnell die Sehnsucht danach gekommen war, so schnell war sie erneut verpufft. Mit Laki hatte sie sich manchmal arrangiert, ihretwegen. Andere Male waren Annäherungen bewusst von Robin ausgegangen, einfach, weil sie die Wärme der anderen brauchte. Dazwischen hatte es nie jemanden gegeben, dem sie abgesehen vom Sex nahe sein wollte. Hier erschien alles anders. Herumwälzen. Robin hatte nicht erwartet, dass das so oft der Fall sein würde. Bis Nami eine Position gefunden hatte, in der sie länger als fünf Minuten verweilte, war locker eine Stunde vergangen, und Zweifel über die Wirkung des Schmerzmittels kamen auf. Dann, als Robin die Hoffnung bereits aufgegeben hatte – Ihre Geduld sprach für sie – blieb Nami tatsächlich auf einer Stelle liegen, bewegte ihren Kopf keinen Millimeter. Für eine Sekunde hatte Robin sogar den Gedanken gehabt, sie war eingeschlafen. „Danke“, murmelte Nami und Robin glaubte ein sachtes Lachen gehört zu haben. Was sie meinte, verstand die Schwarzhaarige nicht und als ob ihr Gedanke gehört wurde, erklärte sich ihre Freundin. „Du bist geblieben.“ Zur Antwort setzte sie einen Kuss in Namis Nacken. Erneut herrschte eine, für Robin, durchaus angenehme Stille, und obwohl der Schlaf bei ihr ausblieb, machte es ihr nichts aus hier zu sein. Und gerade als sie dachte, Nami war endlich eingeschlafen, hörte sie nochmals die kaum vernehmbare Stimme: „Ich liebe dich.“ 8. November 2012 „… und dann reiß ich ihm den Arsch auf! Wie kann man nur so ein arrogantes, selbstgefälliges Arschloch sein! Und-“ Die Schimpftirade hörte und hörte nicht auf. Vor zehn Minuten noch, saß Robin ungerührt da und nippte ungerührt an ihrer Tasse Kaffee. Vor zehn Minuten. Mittlerweile hatte sie zwei Anläufe unternommen, um dem Redefluss Einhalt zu gebieten – Pure Zeitverschwendung. Einmal festgebissen, hörte Nami nur langsam auf. Das Räuspern ignorierend, seufzte sie auf, gefolgt von einem verschmitzten Grienen. „Ich liebe dich.“ Stille. Mitten im Satz, der vielmehr eine unwillkürliche Anreihung von Flüchen war, verstummte die jüngere. Als ob ein Blitz ihren Körper durchfahren hatte, drehte sie sich – zum ersten Mal während des Redeflusses – um; starrte mit noch geöffnetem Mund und verdatterte Miene ihre Freundin an. Diese griente ihrerseits unschuldig, als hätte sie geschwiegen. „Sag das nochmal“, brachte Nami fast tonlos hervor. Robin hingegen nippte an ihrer Tasse, erwiderte den Blickkontakt über den Rand hinweg. Jede Bewegung brannte sich in ihr Gedächtnis ein. Wenn sie wusste, dass das der Garant war, um ihre Freundin zum Schweigen zu bringen, dann hätte sie die Worte durchaus früher ausgesprochen. „Wovon sprichst du?“, neckte sie und stand nun auf. „Ich hab’s genau gehört!“, protestierte Nami. „Ah ja? Ist mir neu, dass du in diesem Zustand einen Laut vernimmst.“ Ein leises Kichern folgte. „Bis gleich, das Telefonat dürfte nicht allzu lange dauern.“ „Ernsthaft? Du lässt mich so stehen?“ 22. November 2012 »Soll ich einbrechen?« »Muss ich dich dann aus der Zelle holen?« »Sofern du mich anzeigst? Komm, ich frier mich zu Tode!« Nami tapste unruhig von einem Bein auf das andere. Der kalte Wind ließ sie frösteln. Bald schon dürfte der erste Schneefall über sie herein brechen, es roch förmlich danach. Auf ihre letzte Nachricht hatte sie noch keine Antwort erhalten, aber ging plötzlich das Licht im Flur an. „Ist bloß eine Erkältung. Du musstest nicht extra hierher kommen“, begrüßte Robin als sie die Türe öffnete. Nami ignorierte den Einwand, und obwohl sie höhere Absätze trug, musste sie sich abermals auf Zehenspitzen strecken, um ihre Stirn an die der anderen zu lehnen. „Nennt sich Fieber“, gluckste sie, wich zurück ehe sie sich einfach an der anderen vorbei schob. „Redet die, die in der Kälte herum gelaufen ist. Da kommt dir alles wärmer vor.“ Die Tür fiel ins Schloss als sich Nami bereits aus ihrer Winterjacke schälte. „Komm, ins Bett mit dir.“ Leise vernahm sie die Stimme ihrer Freundin, die sie darauf hinwies, dass sie lediglich aufgestanden war, um Nami vor der Erfrierung zu bewahren; wobei der Sarkasmus förmlich triefte. „Hast du etwas gegessen?“ „Nein, hab auch keinen Appetit.“ Im Schlafzimmer angekommen, stieß Nami ein tiefes Brummen aus. „Hab gelesen“, kommentierte Robin knapp als ihr ein missbilligender Ausdruck zugeworfen wurde. Auf dem Bett lagen aufgeschlagene Bücher verstreut, ein Notizblock und ihr Notebook. „Gearbeitet würde ich meinen“, murmelte Nami. Ohne eine Widerrede zuzulassen, schlug sie die Bücher zu, sie wusste, dass ihre Freundin penibel die Seitenzahl im Kopf hatte. Als Robin zwei Minuten später, ohne ihrem Treiben nachgehen zu können, im Bett lag, und Nami dabei beobachtete, wie sie ihre Sachen einfach aus dem Schlafzimmer trug, fragte sie sich, warum sie nicht den Mund gehalten hatte. Nicht, dass sie die Anwesenheit der anderen störte, aber sie hatte lediglich eine Erkältung. „Du hättest nicht absagen müssen“, sprach sie den Gedanken kurz darauf aus, und stutzig blieb Nami stehen. „Ich brauche nur eine Portion Schlaf, das ist alles.“ „Ah ja? Von welchem Schlaf sprichst du?“ Nami ließ sich am Bettrand nieder. „Außerdem lasse ich nichts Großes sausen.“ Solche Abende konnten jederzeit nachgeholt werden. Es hatte gedauert, bis Nami den Grund herausgefunden hatte, warum Robin absagte. Warum sie sich zierte, verstand sie nicht. „Weißt du, Kaffee ist nicht sonderlich fördernd.“ „Er wärmt.“ Der tadelnde Ausdruck hielt nicht lange an, als ob Nami im selben Atemzug realisierte, dass es unmöglich war Robin in dieser Hinsicht zu belehren. „Ich mach dir Tee. Bleib liegen und wehe, du holst dir in der Zwischenzeit eines der Bücher!“ 29. November 2012 „Was gibt’s?“, fragte er gähnend. Es war noch nicht sehr spät, aber in den Monaten, in denen die Sonne recht früh verschwand, spürte er die Müdigkeit umso mehr. Früher als üblich und so hatte er bereits eine Weile dösend im Bett gelegen, als der Anruf kam. Das schwere Atmen drang zu ihm durch und aus einem unerfindlichen Grund schwappte sogleich ein besorgniserregendes Gefühl über, wodurch er sich kerzengerade aufsetzte. „Bonney?“, fragte er gedämpft. „Sie sind hier … ich kann sie nicht abschütteln!“ Kapitel 31: Troppo tardi. ------------------------- Zu spät. 29. November 2012 „Lass die Polizei aus dem Spiel!“, wurde ihm geraten. Er, Lorenor Zorro, bat nie das Gesetz um Hilfe. Zu gut kannte er die Gegebenheiten. Probleme dieser Art brauchten Vertraute, keine käuflichen und nichtsnutzigen Stümper. Er rannte. Rannte ums Leben, aber nicht um das seine. Weiter. Immer weiter. Getrieben von einer befremdlichen Furcht. Kalte Nachtluft. Vermischt mit der Hitze seines Körpers. „Scheiße!“, fluchte der Mann, ruckartig blieb er stehen. Keuchend blickte Zorro umher. Zu viele Abzweigungen und dieses Mal spielte die Zeit gegen ihn. Verlief er sich, dann … er schluckte. Sorgfältig las er die Schilder, dachte an sein Ziel. Wenn er bloß mehr auf Antworten gepocht hätte! Jene Haltung kostete ihm im Ernstfall alles. Bonney hatte eisern geschwiegen, er hatte – nach Frankys Nachforschungen hin – zu wenig unternommen. Dabei wollte sie lediglich einen kleinen Spaziergang machen. Ihren üblichen Abendspaziergang bevor sie zu Bett ging. Er hingegen hatte bereits gedöst, aber ein knapper Anruf hatte ausgereicht und die Müdigkeit war verschwunden. Hastig war er aus dem Bett gesprungen, hatte das Katana gepackt, das einst seiner besten Freundin gehörte, und war kopflos aus der Wohnung gehastet. Erst nach und nach war Zorro klar geworden, dass das eine Nummer zu groß war. Für ihn allein. Am Ende wählte er eine Abzweigung, er durfte nicht zu spät kommen. 16. September 2012 „Danke!“ Zorro schnaufte, musterte dabei seine Freunde, die schnarchend auf dem Sofa lagen. Frankys Hilfe hatte seine Nerven geschont; zudem hatte er sich nicht den Kopf zerbrechen müssen, wie er denn alle drei gleichzeitig nach Hause brachte (Obwohl der Gedanke aufgekommen war den Koch sich selbst zu überlassen). „Kein Ding. Wir hören uns“, verabschiedete sich Franky und trat grinsend aus der Wohnung. Zorro rollte die Augen über. Denn während er Ruffy und Sanji auf dem Sofa ließ, hatte er Bonney bereits hochgehoben. Sie hatte dieselbe Gabe wie Ruffy. Einmal eingeschlafen, bekam man sie kaum wach. Bei Sanji spielte der Alkoholpegel mit und in dieser Nacht hatte er eindeutig seine Grenze überschritten. Mit dem Fuß stieß er seufzend die Zimmertüre auf. Selten musste er sie nach Hause bringen, aber dieses Mal hatte sich alle drei selbst übertroffen, und nur weil er eine Weile nicht darauf geachtet hatte, was sie trieben. Gegen Spaß und Trinken hatte er nichts, schließlich mochte er selbst jene Abende, in denen er sich gehen ließ, aber der Ausgang missfiel ihm. Schließlich wusste er sich so weit zu beherrschen, dass er auf niemanden angewiesen war. Mit Vorsicht ließ er Bonney nieder, zog die Schuhe aus und deckte sie schließlich zu. Doch anstatt – was er sollte! – sofort zu gehen, blieb Zorro und Minuten verstrichen, in denen er lediglich beobachtete. Er mochte sie wirklich. Sehr sogar und diese Gefühle hatte er nie gewollt. Umso länger unterband er sie, so gut es eben ging. Lange genug hasste er den Anblick, wenn Bonney mit einem anderen Mann verschwand. Er hasste die Kommentare über ihre Nächte. Aber, und das war ihm bewusst, durfte er nichts sagen; schließlich war Zorro derjenige, der nie einen Schritt wagte. Einfach so tat als waren sie Freunde – Weil er keine Liebe brauchte. Ein letzter Blick und Zorro schlich hinaus. 29. November 2012 Bonney stolperte. Ein schneller Griff zur alten Kommode rechts von ihr hielt sie vom Stürzen ab. Ihr Körper war nass geschwitzt und schwer rang sie nach Luft. Für ein kurzes Verschnaufen fehlte die Zeit, sie waren nicht abgeschüttelt. Warum? Bonney biss in ihre Lippe. Jahre war sie entkommen, und doch beschlich sie plötzlich das Gefühl, dass das bloßes Wunschdenken war. Vermutlich hatte er stets gewusst, wo sie sich aufhielt und einfach abgewartet. Warum jetzt? Die Truppe hatte ihr aufgelauert. Männer in Anzügen, einen kannte sie besonders gut. Dieses Narbengesicht. Doberman. Ein Glück, denn sonst hätte sich wohl nie die Chance zur Flucht ergeben, sie wären ihnen direkt in die Arme gelaufen. Dann, aus einem Reflex heraus, hatte sie Zorro angerufen. Der Anruf konnte ihn ins Verderben stürzten, schließlich kannte sie Zorro, aber vielleicht – hoffte sie es nicht sogar? – würde er sie nicht finden. Sich besten Falles verlaufen. Wenn sie Erfolg hatten und Bonney in ihre Hände fiel, dann hatte sie weniges eines noch können: Seine Stimme hören. Bonney schluckte. Während sie bereits den zweiten Stock betrat, hörte sie dass die Tür aufgebrochen wurde. Noch einen Stock höher. Von dort konnte sie das nächste Haus erreichen. 11. November 2012 Zorro legte keinen Wert auf seinen Geburtstag. Seine Freunde schon. Alle waren zum Essen gekommen. Natürlich hatte Sanji gekocht und egal wie sehr sie miteinander stritten, für Zorro stand fest, dass Sanjis Gerichte die Besten waren, die er je verspeisen durfte. Interessanterweise schmeckte es an Geburts- und Feiertagen noch besser. Vielleicht war’s bloß Einbildung. Während Zorro ein Bier aus dem Kühlschrank holte, hörte er das laute Stimmgewirr seiner Freunde, natürlich stach Ruffys lautes Organ markant hervor. Zorro zählte sich nicht zu den Sensiblen, lieber mimte er den Gefühlsklotz, dem so manches egal war. Und doch konnte Zorro nicht bestreiten, wie sehr ihm seine Freunde am Herz lagen. Für kein Geld der Welt würde er sie hergeben. „Schwächelst du an deinem eigenen Geburtstag?“ Bonney betrat die Küche, blieb neben ihm stehen, lachte süßlich. „Dürfte noch lustig werden. Ruffy und Lysop haben bereits einen sitzen.“ „Als ob die beiden je viel vertragen haben“, griente Zorro. Bonney zuckte die Achseln. „Danke. Fürs Geschenk.“ „Gern geschehen – Hey, heute musst du mich gar nicht nach Hause tragen“, lachte Bonney vergnügt. „Glaub mir, dich trage ich gerne.“ Als sie ihm einen fragenden Ausdruck zu warf, räusperte sich Zorro. „Na ja, bei der Auswahl … beim Giftmischer muss ich mich regelrecht überwinden, weil der Gedanke zu verlockend ist, ihn in irgendeiner Gasse zurückzulassen. Und Ruffy? Der kann selbst im Suff plötzlich um sich schlagen.“ „Schon klar. Da bin ich tatsächlich das geringere Übel.“ Bonney hatte eine Weinfalsche geöffnet, die sie eigentlich für nebenan holen wollte, aber die paar Minuten konnten sie ohne sie auskommen. So setzte sie sich auf die Arbeitsplatte, direkt neben Zorro, der dagegen lehnte. „Ich mag das Beisammensein“, begann Bonney und lauschte, „alle sind da, das Lachen.“ Leicht neigte sie den Kopf, ein sanftes Lächeln. „Ich wünsche mir, dass sich das nie ändert.“ Irgendwie, und Zorro spürte woher das Gefühl kam, zogen die Worte seinen Magen unsanft zusammen. So sehr er versuchte den Unnahbaren zu geben, kaltschnäuzig alles beiseite zu schieben, bereitete es ihm ein Unbehagen. Tief drinnen erwachte etwas, das vehement an die Oberfläche kämpfte. „Wir haben noch genügend Geburtstage und Feiern vor uns“, antwortete er schlussendlich äußerst gelassen, obwohl sein Inneres brodelte. „Wer weiß“, nuschelte Bonney indes, und bevor Zorro nachfragen konnte, schlang sie die Arme um seine Schultern, drückte ihn an sich. Unbeholfen von der plötzlichen Umarmung, eine Geste, die Bonney selten, zu selten zeigte, legte sich sein freier Arm um ihren Körper. „Was hast du getrunken?“, fragte er räuspernd. „Sei nicht so versteift, ist nur eine Umarmung“, lachte Bonney und er spürte deutlich den Atem an seinem Hals. „Buon compleanno, Zorro.“ 29. November 2012 Zorro grinste etwas. Das Ziel lag vor ihm, er durfte nur nicht zu spät sein. Fest umgriff er das Katana, das seinen Schutz darstellte. Von Schusswaffen hielt Zorro wenig und bislang hatten seine Fäuste gereicht, aber dieses Mal musste er eben improvisieren. Umzugehen vermochte er sehr wohl, hatte er die Kunst in seiner Heimat gelernt. Plötzlich wurde er gerammt, spürte den stämmigen Körper, der seinen zu Boden drückte. Ein wildentbrannter Schrei erstickte, der Instinkt sich zu wehren blieb aus, als er die markante Stimme hörte. Flüsternd, aber unverkennbar. „War das dein Plan?“, giftete Franky, hievte sich zurück auf die Beine. Zorro schwieg noch, tat’s ihm gleich, aber für Franky zu langsam und so zog er ihn in jene Seitengasse, in der er abgewartet hatte. Mittlerweile kannte er Zorro, wusste wie er tickte. „Ein Zahnstocher soll dir den Weg freimachen? Lachhaft!“ „Zahnstocher?!“, knurrte der jüngere Mann. Es brodelte in ihm, er wollte keine Sekunde vergeuden! „Ich kann mich wehren!“ „Gegen wen? Donnerst du unvorbereitet rein, erschießen sie dich, noch bevor du die Klinge zückst!“ Können war eine Sache, aber hatten sie es hier nicht mit einer kleinen Bande Ganoven zu tun, die sich einfach so einschüchtern ließen. Franky lugte zur Häuserreihe. „Zwei warten. Sechs sind rein. Keine Ahnung, ob das alle sind – Wo steckt Bonney?“ „Wo sind deine versprochenen Leute!“ Zorros Wut suchte den Weg an die Oberfläche, aber noch zwang er allein seine Stimme leise zu bleiben. „Uns läuft die Zeit davon. Die nehmen sie mit! Bonney braucht uns! “ Franky packte den anderen an seinem Kragen und wuchtete ihn gegen die Steinmauer. „Ich verstehe, dass das eine vollkommen neue Situation für dich ist. Wirklich. Nur unvorbereitet eine Party zu sprengen, hilft nie. Du willst den Helden spielen? Dann hör zum Jammern auf und vertrau mir. Zwei sind noch immer dort und warten. Was bedeutet, dass sie deine Freundin nicht finden. Wir haben Zeit!“ Franky wusste von den Gefühlen, hatte seinen Beschützerinstinkt mitbekommen. So gut er sein Vorhaben auch meinte, hier musste auf seine Weise vorgegangen werden. „Spitz die Ohren, Bürschchen. Ich hab dir Hilfe angeboten, bei der Beschaffung der Informationen und nun hierbei.“ Franky holte tief Luft. „Du wirst etwas sehen, das dir nicht gefallen wird, aber ich lege dir jetzt schon nahe, dass du alles, was kommt für dich behaltest. Ich halte mein Wort, dafür möchte ich deines.“ Er forderte förmlich das Stillschweigen. So sehr er Zorro mochte, so sehr musste ein Geheimnis halbwegs gewahrt bleiben. Und hielt Zorro nicht dicht, so musste Franky die Konsequenz, die Notbremse ziehen. „Dass du Leute kennst, die die umlegen?“, grinste Zorro verwegen. „Warum sollte ich dich sonst angerufen haben!“ „Kannst du den Mund halten oder nicht?“, presste Franky nochmals hervor. „Bleibt sie unbeschadet, dann ist mir alles gleich! Und jetzt lass mich los!“ Franky wartete einen Augenblick lang ab, ehe er den Griff löste und stattdessen sein Handy aus der Jackentasche fischte. „Wo bist du? – Bieg rechts ab, bis zum Ende.“ Ein knappes Gespräch, ohne das Zorro aufgeschnappt hatte, mit wem er sprach. Eigentlich sollte es ihm egal sein, es zählte einzig und allein Bonneys Sicherheit und das Rumstehen und Warten beruhigten nicht. „Plauderst du, ist dein Leben in Gefahr. Vergiss das nie“, mahnte Franky und blickte die Gasse entlang. Nicht lange und Zorro starrte in dieselbe Richtung, nicht wissend, auf wen denn nun gewartet wurde. Obwohl nur zwei, drei Minuten vergangen waren, hatten sie sich angefühlt wie eine kleine Ewigkeit. Schließlich wurde eine Silhouette sichtbar, die nach und nach mehr preisgab. „Die Party kann beginnen.“ Zorro erstarrte. „Du?!“ „Kalifa forscht nach. Kaku wartet auf Anweisungen. Wo genau steckt Bonney?“ Zorro traute seinem Auge nicht. Franky, der sich schon so seltsam verhielt, das hatte er noch gut aufgenommen, aber das? Vor ihm, bewaffnet mit einer Pistole, stand ausgerechnet Robin Nico. „Was soll das …“, brachte er schwer hervor, taxierte die Frau, die nicht vor ihm stehen dürfte. Dazu die Erwähnung der beiden anderen. „Kann mich jemand aufklären?“ „Später“, vertagte Robin, „frag sie, wo sie sich befindet. Wir müssen haargenau wissen, in welche Richtung sie sich fortbewegt.“ × × Bonney hörte Schüsse. Definitiv fielen diese nicht in dem Haus, in dem sie sich mittlerweile befand. Wen hatte Zorro aufgetrieben? Schließlich besaß er keine Schusswaffe. War auch er gefolgt? Geschah ihm etwas, dann würde sie sich das nie verzeihen. Schon jetzt, obwohl sie anscheinend Hilfe erhielt, könnte sie sich ohrfeigen. Ihre Freunde sollten nie ihre Probleme ausbaden. Nie etwas davon erfahren. Stattdessen hatte sie Zorro mehrmals ihre Position mitgeteilt. Bonney rollte sich am Boden ab, als sie das andere Dach erreichte. Schwer atmend blickte sie zurück. Noch fand sie keinen Verfolger vor. Vermutlich würden sich diese nun mit den Eindringlingen beschäftigen. Eines musste sie feststellen. Sakazuki nahm die Sache ernst. Sehr ernst. Warum setzte er ihretwegen so viel Mann an? Jahre später. Zwei, drei hätte sie längst abwimmeln können. Sie schwang sich auf den Balkon unter ihr. So viel Zeit war mittlerweile vergangen, aber das Flüchten hatte sie nicht verlernt, doch merkte sie, dass ihr Körper entweder außer Form oder es eben nicht länger gewohnt war. Wohl beides. Sie fühlte sich ungewohnt matt. Es vibrierte. »Bleib da sind unterwegs« Bonney trat ins Innere, verschnaufte während sie abermals die Nachricht las. Sich hier verstecken? Zwar kamen die Schüsse immer näher, aber wer hatte die Oberhand? Bleiben und warten war mit einem großen Risiko verbunden. Sie bewegte sich sowieso schon zu langsam fort, um ja keinen großen Lärm zu veranstalten. Zu ihrem Bedauern konnte sie den Kanal vergessen. Zu gering war seine Tiefe, der Sprung brachte sie genauso gut um. »Erdgeschoss«, tippte sie. Nach draußen blieb die einzige Chance und bis dahin hoffte sie, dass wer auch immer ihr half, alle aus dem Weg räumte. 19. November 2012 „Wohin gehst du?“ Skeptisch hob Bonney eine Augenbraue. Zufällig waren sie sich über den Weg gelaufen. Bonney kam vom Shoppen, er von der Arbeit. „Nach Hause?“ „Du gehst in die falsche Richtung“, bemerkte Bonney neckend „mich wundert’s, dass du es überhaupt auf diese Welt geschafft hast.“ So ein miserabler Orientierungssinn war Bonney nie zuvor untergekommen. Manchmal fragte sie sich, wie Zorro überhaupt an sein Ziel gelangte. „Verarscht du mich?!“, giftete er zurück. Verlaufen hatte sich Zorro bestimmt nicht. Nach Hause kannte er den Weg. „Ich leb hier definitiv länger – Da lang!“ „Bitte. Viel Spaß in San Marco.“ Das saß. Zorro blieb auf der Stelle stehen. „In letzter Zeit fällst du in alte Muster zurück. So schlimm ist deine Orientierung länger nicht gewesen.“ „Bin müde“, brummte er und überraschenderweise schloss er auf, statt seinen Starrsinn durchzusetzen. Dafür blickte er mürrisch drein, schob seine Hände in die Hosentaschen und schien darauf zu warten, dass sie den Weg vorgab. Kopfschüttelnd marschierte Bonney los und eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander. Der Winter war nah, und der Touristenstrom flaute ab. Nie gänzlich, aber brachten manche Monate ein bisschen Ruhe vom Trubel. Diese Zeit genoss sie besonders. Dann lugte sie verstohlen zur Seite. Das Schweigen zwischen ihnen störte sie selten und auch verstand sie seine Launen. An diesem Tag missfiel es ihr. Irgendetwas war im Busch. Schon gestern war ihr Zorros Übellaunigkeit aufgefallen. „Was ist?“ Natürlich fiel ihm der Blick auf. Natürlich war er genervt davon. „Sollte ich dich fragen.“ „Hab gesagt, ich bin müde.“ Überzeugend war seine Ausrede nicht, denn Bonney kannte den Mann sehr wohl. Jeder kannte seine mürrische Ader, aber dieses Mal war etwas anders und Bonney wollte den Grund wissen. Insbesondere nach den letzten Wochen, in denen sie sich besser denn je verstanden. „Geh schon vor. Hab was vergessen.“ Perplex blickte sie Zorro hinterher, der sogleich abdrehte und in einer Nebengasse verschwand. 29. November 2012 „BONNEY!“, schrie Zorro aus tiefster Seele. Halb hängte er aus dem Fenster. Das Boot, in das sie Bonney gezerrt hatten, entfernte sich aus seinem Sichtfeld. Knurrend schlug seine Faust gegen die Wand. „Komm runter!“ Beschwichtigend hob Franky seine Hände als ihn der finstere Blick fixierte. „Nichts ist verloren.“ „Runter kommen? Die Wichser haben sie!“ Was wollte Franky schönreden? Diese Männer hatten gesiegt. Er war außer sich vor Wut. Wut auf das Versagen der anderen, aber ein Teil war vor allem wütend auf sich selbst. War es das, was die Liebe aus einem machte? Emotional angreifbar, unfähig rational zu bleiben? Fluchte raufte er sich das Haar. „Wart ab. Wir erfahren in Kürze ihren Aufenthaltsort.“ Robin Nico betrat das Zimmer, die Pistole blieb gezückt. Mitfühlend betrachtete sie Zorro, der in einer vollkommen neuen, unbekannten Situation steckte. Nicht nur, dass er organisierten Männern gegenüber stand, er musste schmerzhaft mitansehen, wie die Frau, die er liebte, fortgeschliffen wurde. Dann härteten sich ihre Gesichtszüge, fielen in das altbekannte Muster zurück. Das Bevorstehende erforderte Konzentration. „Sakazuki holt sie persönlich ab“, sprach sie an Franky gewandt, der sogleich frustriert stöhnte. „Das ist eine Katastrophe!“, fluchte er. „Wir könnten eine Flutwelle auslösen.“ Die Tode der Handlanger wurden einfach vertuscht. Niemand würde je dahinter kommen. Sakazuki blieb ein anderes Kaliber. Ihn konnten sie nie und nimmer aus dem Weg räumen, ohne Aufsehen zu erregen. Ein Motorboot näherte sich. „Ich weiß nicht, wer ihr seid oder besser gesagt … was?“, begann Zorro gepresst, blickte erneut aus dem Fenster, „Das ist mir grad scheißegal. Allein finde ich sie nie rechtzeitig.“ Aufgeben und sie vergessen, das konnte er nicht. Dann atmete er tief durch, blickte Robin entgegen. „Was ist, wenn es Nami wäre?“ Robins Mundwinkel zuckten kaum merklich. „Wir haben nicht davon gesprochen, dass wir nach Hause gehen“, erklärte sie, „wir müssen lediglich unsere Herangehensweise abwiegen. Seine Anwesenheit macht alles komplizierter. Mir wäre lieber gewesen, wir hätten sie hier noch abgefangen.“ Robin wusste, was dieser Abend bedeutete. „Ihr wollt sie wirklich retten“, stellte Zorro verblüfft fest. „Wir sind Freunde. Dein Bild hat sich zwar geändert und du wirst uns wohl meiden, aber versprochen ist versprochen“, entgegnete Franky, der das Gefühl verspürte, das Zorro den Mund halten würden. „Als du mich aufgesucht hast, um Bonneys Vergangenheit zu durchforsten, da habe ich schnell gemerkt, dass das eine Nummer zu groß ist. Für dich. Du liebst sie, tust du schon länger. Und bei deinem Charakter ist mir ebenso klar geworden, dass du dich blindlings in Gefahr begeben würdest. Warum sonst habe ich im selben Atemzug meine Hilfe angeboten?“ Er grinste breit. „Kalifa ist dran und Kaku wartet mit dem Boot. Wir holen sie zurück. Versprochen.“ Franky hob die Hand sacht zum Gruß, er wollte sich noch um die Leichen kümmern, bevor sie sich auf den Weg machten. „Geh nach Hause. Lenk dich ab“, schlug Robin vor. „Wir erledigen unseren Teil und du hoffentlich deinen.“ Schweigen. Franky war eben jemand, der half, sobald er jemanden mochte. Und sie stand Franky zur Seite. „Um dich wär’s schade.“ „Nami hat keinen blassen Schimmer, oder?“, hielt er Robin auf, die gerade ihrem Freund folgen wollte. Ein Seufzen drang zu ihm durch, dann folgte ein Blick über die Schulter. Für einen kurzen Augenblick verloren ihre Züge an Härte. Wehmut spiegelte sich wider. „Vielleicht verstehst du jetzt mein Zögern. Sie darf’s nie erfahren, Zorro.“ „Hab ich mir gedacht – Ich schätze, ihr macht das ohne mich?“ „Wir sind geübter.“ Als er hinter Robin aus dem Haus trat, erblickte er Kaku. Obwohl sein Name gefallen war, verlieh der Moment den notwendigen realen Touch. Sobald er Kalifa zu Gesicht bekam, würde er wohl dasselbe fühlen. Und doch war es so surreal diesen drei Menschen gegenüberzustehen. Bewaffnet, konzentriert auf eine Befreiungsaktion. Fuck! - Er hatte Robin und Franky beim Töten beobachtet. Als ob eine neue Realität erschaffen wurde. „Zorro“, grüßte Kaku und lächelte schief. Die Fassade war eingebrochen. „Kalifa hat mir die Route durchgegeben. Zieht uns aus der Stadt raus, das Festland ruft“, wandte er sich an seine Mitstreiter, „und Munition hab ich mitgebracht. Wird kein Kinderspiel.“ „Weder Bonney rauszuholen noch dabei ungesehen zu werden. Hört sich an als müssten wir das volle Risiko eingehen und uns ein Beispiel an ihm nehmen.“ Kaku und Robin wussten sofort, wen Franky meinte. „Säuberung“, wisperte Kaku und schob seine Kappe tiefer. „Sie ist gerissen. Niemand ist zu sehen“, schweifte Robin ab. „Die Schüsse muss jemand gehört haben. Das Gesetzt ist käuflich, aber Anrainer?“ „Hier lebt kaum jemand und die, die es tun … halten sich lieber aus allem raus“, bemerkte Zorro. Deshalb hatte Bonney den Rückzugsort ausgewählt. Natürlich halfen Menschenmengen um unterzutauchen, aber – und das hatte er gelernt – versuchte Bonney niemand unnötig in Gefahr zu bringen. Aber ihn hatte sie angerufen – Warum? „Eines noch.“ Neben all den anderen Gedanken, existierte eine weitere Frage, die ihn plötzlich einem Schlag gleich traf. „Gelingt euch die Rettung … was dann? Sie haben herausgefunden, wo sie sich aufhält. Wussten sie länger Bescheid? Kommt sie zurück … was dann?“ Oder wollten sie alle auslöschen, die davon wussten? „Wir rufen dich an.“ Kaum legte das Boot ab, rutschte Zorro entlang des Pfahles zu Boden. Er spürte die Kälte und Nässe des Holzstegs, die kalte Nachtluft, den rauen Windstoß, aber ignorierte er all die äußerlichen Einflüsse. Zum zweiten Mal im Leben fand er sich hilflos, zum Zusehen verdammt vor. Und wieder war eine Frau der Auslöser. Kapitel 32: L'amicizia. ----------------------- Freundschaft 29. November 2012 „Dich habe ich nicht erwartet“, stellte Kobra verblüfft fest, als er spät abends zurückkehrte und Nami in der Küche vorfand. „Streit oder einfach eine Absage?“ Mittlerweile wusste er offiziell Bescheid, wodurch sich sein anfänglicher Verdacht bestätigt hatte. „Absage“, nuschelte Nami in ihr Weinglas. „Und du hast einiges um die Ohren?“ Absagen gehörten zu dieser Beziehung, Nami hatte immer gewusst, worauf sie sich einließ. Manchmal nahm sie alles locker, manchmal – wie heute – störte es sie. „Immer. Umso mehr freue ich mich auf die Weihnachtszeit, da hab selbst ich ein ruhigeres Leben. Sei froh, dass du dann zu Hause bist und mich nicht so oft sehen musst“, lachte er und gesellte sich mit einem Glas zu ihr. „Habt ihr darüber gesprochen, dass dich das stört?“ Er kannte Nico Robin ein wenig, hörte anderen zu, wenn sie von ihr sprachen. Arbeit stand an oberster Stelle. „Nicht direkt. Meist habe ich keinen blassen Schimmer, was sie aufhält. Vielleicht bin ich heute nicht begeistert davon, weil ich weiß, dass Robin dann die Nacht durchmacht und sie noch nicht auskuriert ist.“ Robin war stur, das hatte sie während dem Kranksein einmal mehr festgestellt. „Angewohnheiten ändern ist schwer.“ „Hab ich nie behauptet. Mir wäre einfach lieber, sie würde besser auf sich Acht geben.“ Und sich nicht unzählige Nächte um die Ohren schlagen. Ein Wunder, dass sie das aushielt. Manchmal stand Robin nachts auf, arbeitete weiter, legte sich erst früh morgens zurück ins Bett, wenn überhaupt. „Robin ist eine Frau, die mit sich reden lässt – Wann bringst du sie mal mit?“, schwenkte er plötzlich um und lachte als Nami ihn verwirrt ansah. „Meine Tochter bringt niemanden mit. Weder Mann noch Frau. Da kann ich wenigstens deiner Freundin auf den Zahn fühlen.“ Vivis Freunde hatte Kobra nie wirklich kennengelernt. Wenn dann beiläufig, nie übernachteten sie hier oder kamen vorbei, wenn er anwesend war. Als ob er ihnen zu sehr auf die Pelle rückte. „Dürfte sich in nächster Zeit kaum ändern. Vivi schlägt reihenweise Verabredungen aus.“ Etwas, das Nami einerseits verstand, andererseits wiederum hinterfragte sie das Hoffen der anderen. Weiterhin perlten jegliche Andeutungen und Annäherungen ab. Ruffy zeigte deutlich sein Desinteresse, für ihn waren sie alle Freunde. „Aber sie ist verliebt?“ Neugierde flackerte in seinen Augen und Nami unterband ein Lachen. Kobra interessierte sich sehr für das Leben seiner Tochter. Da verstand Nami sehr wohl, warum Vivi keine Freunde mitbrachte. Er würde sie garantiert durchleuchten lassen. Und er fragte ernsthaft, ob sie Robin einlud? Ihre Robin, die Verhöre hasste? „Frag sie selbst.“ „Habe ich. Komm, du musst nur nicken.“ „Und dann fragst du nach seinem Namen oder was er macht oder wie er so ist. Vergiss das lieber. Ich mische mich nicht in eure Beziehung ein!“ „Ich bin ihr Vater!“ „Und ich ihre Freundin. Patt-Patt.“ Nami hütete sich davor. „Sei einfach froh, dass sie sich nicht auf diese Idioten einlässt, die ihr ständig hinterher laufen.“ „Welche?“ Er stieß einen tiefen Seufzer aus. „Igaram wäre hilfreich.“ „Der existiert?“ Entsetzt stellte sie das Glas ab, musterte Kobra eindringlich. „Igaram, der Leibwächter existiert?“ Da sie ihn noch nie zu Gesicht bekommen hatte und Vivi sehr über den Beschützerdrang ihres Vaters scherzte, hatte sie tatsächlich angenommen, dass das ein Scherz war. Er nickte, hob eine Augenbraue. „Natürlich! Irgendwer musste auf meine kleine Prinzessin aufpassen. Ist er dir im Internat nie aufgefallen?“ Igaram gehörte mittlerweile zur Familie und für Kobra ein wahrer Freund. In Erinnerungen schwelgend, lehnte er gegen die Anrichte. „Vivi ist alt genug und seine Frau musste oftmals zurückstecken. Machen gerade eine Weltreise – Das wollte ich mit meiner Frau auch immer. Sind leider nie dazu gekommen, die Karriere, Vivi, ihre Krankheit. – Jedenfalls, er hätte mir längst erzählt, wer das Herz meiner Tochter gestohlen hat.“ Langsam wandte sich Nami ab. Vivi hatte wirklich nicht übertrieben. „Hat Vergo sich nie Sorgen gemacht?“ „Doch, doch.“ Aber ohne Leibwache und als das Verhältnis noch in Ordnung war. „Apropos, Vergo, wissen sie von Robin?“ Stockend schluckte Nami. Bislang behielt sie ihre Beziehung geheim und obwohl Nojiko etliche Male nachgefragt hatte. Ihre Schwester hatte ein Gespür dafür. Dennoch wich sie aus. Aus gutem Grund. „Heb mir den Knall für Weihnachten auf.“ „Er mag Robin.“ Wissend nickte Nami vor sich hin, griff nach einer Orange. „Deshalb heb ich mir den Knall eben auf“, wiederholte sie grinsend. Auf seinen Blick freute sich Nami zwar, aber aussprechen würde sie das erst, wenn er sich nicht zusammenriss. „Darüber nachgedacht, dass er deine bisherigen Freundinnen einfach nicht mochte?“ „Schön wär’s.“ Missmutig schälte sie die Frucht. „Ihr unterscheidet euch, das ist nicht schlimm. Er ändert sich nie und ich hab’s akzeptiert.“ Stirnrunzelnd nahm Kobra einen Schluck. Er glaubte kein Wort. 30. November 2012 Innerlich fluchte Bonney. Gefesselt und geknebelt lag sie da während sie vom kalten Fahrtwind zitterte. Die Männer brachten sie aus der Stadt, sie fuhren zum Festland. Wütend stierte sie hoch. Ausgerechnet er, Doberman, hatte die Gunst genutzt und sie überrumpelt. Auf Flucht gehörte Leichtsinn nicht zu ihrem Reportrar, eher blieb sie auf der durchdachten, sicheren Seite, aber reichte ein Fehler – Ein verdammter Fehler! – und all die Jahre waren umsonst gewesen. „Lang ist’s her“, griente Doberman von oben herab. „Die Stümper, denen du damals entkommen bist – Soll ich dir verraten was aus ihnen geworden ist?“ Bonney blickte starr empor, die Wut verpuffte. Rasch realisierte sie, was er meinte. „Seither leistet sich niemand mehr grobe Schnitzer. Ist ihnen eine Lehre gewesen.“ Doberman straffte seinen Mantelkragen, sein Blick veränderte sich, wurde fragender. „Eines habe ich nie verstanden – Deinen Aufenthaltsort haben wir vor fast zwei Jahren herausgefunden. Immer verdeckt aufgelauert. Report gegeben.“ Er pausierte, gab Bonney genauso die Zeit das Gesagte zu überdenken. Niemand traute sich die falschen Fragen zu stellen und sein Boss erklärte nie seine Gedankengänge. Das Schlucken fiel schwer. Bonney hatte soeben bestätigt bekommen, das die Paranoia echt war. Alles umsonst, der Weg führte zurück in die missratene Hölle, dabei hatte sie nie Schaden angerichtet. Bonney wollte lediglich vergessen. „Wird ein nettes Wiedersehen.“ Doberman lachte rau, lehnte zurück und schwieg ab dann. Bald erreichten sie das Festland. Bald lieferte er Bonney ab und bald durfte er endlich Wichtigerem nachgehen. × × „Ist dir nicht früher eingefallen, was? Eine knappe Andeutung und wir wären besser vorbereitet.“ Nach der Nummer durfte sich Franky den einen oder anderen Vorwurf anhören. Spontane Aktionen, wie diese, sprachen eindeutig gegen Robins Vorgehensweise. Sorgfältig verstaute sie ihren Mantel. Neben der Munition hatte Kaku ihnen noch passende Kleidung mitgebracht. Zum Glück, schließlich war Frankys Anruf aus dem Nichts gekommen, Zeit zum Umziehen hatte sie keine gehabt. Schließlich lehnte Robin tief Luft holend zurück und ließ den Fahrtwind wirken. „Klär uns auf.“ Franky brummte laut, deutete auf Kaku. „Der hat geholfen! Ist also nicht allein meine Schuld! Außerdem habe ich lediglich Informationen weitergereicht. Wer konnte wissen, dass das so dermaßen entgleist?“ „Weil du mich darum gebeten hast“, verteidigte sich der andere sogleich, „und mein Part hat mit der Nachforschung aufgehört.“ Seither hatte Franky das Thema nie wieder erwähnt und Kaku hatte ehrlich gesagt darauf vergessen. Für ihn kam die nächtliche Aktion genauso überraschend. Unruhig umklammerte Kaku das Steuerrad. „Wir können uns noch immer zurückziehen. Nicht falsch verstehen, aber wir riskieren Kopf und Kragen.“ Von Haus aus war er hilfsbereit und selten schlug er eine Bitte ab. Vor ihnen lag allerdings ein gefährliches Kaliber und sie näherten sich unvorbereitet, aus dem Stehgreif improvisiert. Das hatte es lange nicht gegeben. „Ist klar“, seufzte Franky und rauf sich das Haar. „Vor ein paar Wochen ist Zorro zu mir gekommen, ob ich etwas über Bonney in Erfahrung bringen kann. Er machte Sorgen. Unsere Nachforschungen haben ergeben, dass diese mehr als berechtigt sind“, erklärte er Robin, deren Informationsgehalt wirklich bei null stand. „Bonney flüchtet in doppelter Hinsicht.“ Hilfesuchend blickte er zu Kaku, der stur geradeaus schaute und das Boot auf Kurs hielt. „Danke!“, zischte er seinem Partner zu. „Einer von euch erzählt mir jetzt lieber, was los ist!“, forderte Robin. Immerhin setzte sie hierbei das eigene Leben aufs Spiel und ihre Freunde hielten definitiv ein wichtiges Detail zurück. „Kennst du ihren Nachnamen?“ „Romolo.“ Eine lange Pause trat ein. „Komm in die Gänge!“ „Charlotte“, presste Franky schließlich hervor und die erwartete Reaktion setzte ein. Geschockt suchten ihre Augen die seinen, suchten die stumme Bestätigung, sich nicht verhört zu haben. Er grinste schief. „Bonney Charlotte. Romolo dient zur Ablenkung. Glaub mir, ich hatte den gleichen Blick drauf.“ Sichtlich verdaute Robin den einen Namen, den sie alle kannten. Der für sich allein genügte. Die Charlotte-Familie war weltweit bekannt, nicht im positiven Sinne. „Linlins Tochter“, sprach sie das Übel aus. „Bezweifle eine der berühmten Zwangsehen. Sakazuki teilt seine Macht nicht. Sie hat sich von ihrer Familie abgekoppelt?“ Niemand schaffte das. Noch fand Robin keinen passenden Zusammenhang, aber schloss sie Heirat aus. Linlin Charlotte oder als Big Mom bekannt, strebte nach Machtausweitung. So verheiratete sie all ihre Kinder mit denen, die ihren Einflussbereich stärkten. Sakazuki passte nicht in dieses Schema. Er hatte eigene Wertvorstellungen, er teilte wirklich nicht. „Was noch?“ „Die genaue Verbindung ist uns unbekannt. Wir landeten ständig in einer Sackgasse.“ Vermutlich wussten lediglich die wichtigsten Personen Bescheid, eben jene, die nicht bestechlich waren und Informationen in der Familie behielten. Wo sie hin gehörten. „Aber?“ Allmählich verlor selbst Robin ihre Geduld. „Katakuri … er ist einer ihrer Söhne, das weißt du sicher …“ Wieder starrte er Kaku nieder, der schließlich hörbar Luft ausstieß und antwortete: „Er hat sich auf den Weg gemacht.“ „Bonney ist Linlins Tochter. Wird allerdings in erster Linie von Sakazuki verfolgt, zu dem sie gerade gebracht wird. Und ein Sohn, der Sohn schlechthin ist hierher unterwegs?“ Robin ließ das sacken. Durchatmend schloss sie die Augen, ließ den Kopf zurücksinken. „Robin-“ Drohend hob sie eine Hand und Franky schwieg. Damit änderte sich zusammen mit dem Zeitfenster noch der Grad der Gefährlichkeit. „Wir sind unvorbereitet und stehen unter enormen Zeitdruck.“ Fassungslos blickte sie zu Boden. „Deshalb meinte Kaku, wir können noch umkehren.“ „Ja“, seufzte der Genannte. Zum ersten Mal seit langem spürte er neben dem Nervenkitzel eine ungewohnte Furcht. Ein Fehler brachte sie zum Fall. „Ihr könnt abspringen, ich mache euch keinen Vorwurf.“ „Was ist deine Motivation?“, hinterfragte Robin. Sie stutzte. Eine kurze Freundschaft allein reichte ihr nicht, um seine Entschlossenheit zu verstehen. „Bonney.“ Sichtlich zögerte Franky, blickte verkrampft zur Seite. „Habt ihr?“, stieß Kaku entsetzt aus, riss beinah das Steuer herum. „Was bist du für ein Freund. Erst sprichst du Zorro Mut zu und dann bist du hinter ihr her?“ „Nein! Du verstehst mich falsch!“, verteidigte sich der andere. „Wir sind so etwas wie Freunde, okay?“ Nie würde er eine miese Tour abziehen und Zorro falsche Hoffnungen machen. Frustriert raufte er sich das Haar. „Ihr habt miteinander geschlafen“, bemerkte Robin schnalzend. „Deine Reaktion spricht Bände.“ Franky stöhnte. Das Detail hätte er definitiv nicht erwähnt, aber es stimmte. „Du nervst!“, brummte er Robin zu. Ihre Schlüsse zog sie schnell und sie war ein Mensch, bei dem Franky nie versuchte zu lügen. „Okay, ja. Ist allerdings über ein Jahr her. Eine Nacht. Gott, als hättet ihr nie zum Spaß Sex gehabt!“ Es blieb bei dem einen Mal, der einen Nacht, schließlich waren sie reif genug. Damals hatten sie einfach das gefunden, das sie dringend brauchten: Drogen und Sex. Weder reden noch denken. Vergessen und amüsieren. „Ich warne euch – Zorro erfährt kein Sterbenswort! Der ist schon angepisst, weil Bonney erneut mit Barges abgehauen ist.“ Versagten sie, bekam er nie die Chance seine Gefühle auszudrücken. „Im Gegensatz zu euch sind wir Stammgäste. Irgendwann kommt man ins Gespräch und ich habe mitbekommen, dass ihr Leben alles andere als perfekt ist. Hab mich allerdings nie näher damit beschäftigt, eben weil sie nie näher darauf eingegangen ist. Wer ahnt denn diese Scheiße?“ Sakazuki reichte aus um ihre Probleme zu verdeutlichen. Um diesen Mann wurde gerne ein hoher Bogen gemacht. Und als ob das nicht genug war, kam ihre eigentliche Familiengeschichte dazu. „Ich mag sie. Hat das Herz am richtigen Fleck. Für sie gehe ich das Risiko ein. Ob ihr mir helft, ist eure Entscheidung. Fakt ist, ich helfe in erster Linie ihr und nicht Zorro, der mir auch ans Herz gewachsen ist.“ „Was Sex ins Rollen bringt“, neckte Robin, aber verstand sie. Für Freunde machte Franky alles. „Der Sex kam danach“, brummt er. „Franky, ich hab lediglich darauf hingewiesen, weil wir unvorbereitet sind und im Ernstfall zwei einflussreiche Familien im Nacken haben.“ Kaku hatte lediglich aufzeigen wollen, was ihnen bevor stand. Ob sie dafür bereit waren. Natürlich folgte er, schließlich kämpften sie im selben Team und sie taten es dieses Mal nicht des Geldes wegen. „Du wirst mich damit aufziehen, oder Robin? – Sind wir schon da?“ × × Irgendwie hatte Zorro sich aufgerafft, wanderte unschlüssig von Gasse zu Gasse. Nach Hause war keine Option, wenngleich seine miserable Laune niemand in Frage stellte. Schließlich wies er diese seit Tagen auf, wollte sichtlich in Ruhe gelassen werden und seine Freunde akzeptierten die Laune. Die Bar konnte Zorro ebenso vergessen, allein und unter der Woche tauchte er nie auf. Es fiel auf. Und Bonney? Sie liebte Freiräume, das zu tun, was ihr gerade in den Sinn kam. Eine fortgebliebene Nacht blieb unbemerkt, bereitete keine Sorgen. Was war allerdings, wenn Franky versagte und sie nicht für Tage verschwand sondern für immer? Ihnen die Wahrheit stecken? Bonney wurde von einem einflussreichen Mann, vor dem sie seit Jahren flüchtet, verschleppt? Zu Beginn würde Ruffy lachen, seine Worte als Blödsinn ansehen, bis Bonney länger nicht nach Hause käme. Dann drang der Beschützer in ihm durch – sinnlos. Sanji reagierte anders, würde ihm sofort die Schuld geben. Was er nie sagen durfte, war die gesamte Wahrheit. Zorro wusste, dass das eine ernstgemeinte Warnung war. Sprach er, setzte Franky seine Worte um. Nie hatte er so wenige Zweifel empfunden. Dennoch verstand er nicht vollkommen. Franky und Robin waren was? Attentäter? Getarnte Agenten? Oder gehörte der Umgang mit Waffe einfach zu ihrem Leben? Jeder konnte Waffen tragen. Robin lebte gefährlich, er hatte Geschichten gehört. Und Franky war dann eben ein waschechter Amerikaner! Die ballerten gerne durch die Gegend. Kaku? Kalifa? Zorro blieb stehen, blickte zum Himmel hoch. „Wem mach ich was vor“, stöhnte er. Sein Kopf schmerzte. Lieber auf Bonneys Rettung hoffen und warten. Danach konnte er noch immer nachforschen, herausfinden was diese Gruppe verbarg. Nami! Zorro fluchte und fischte nebenbei das Smartphone aus der Hosentasche. Vorhin hatte er eine Nachricht mitbekommen, allerdings hatte Bonney Vorrang gehabt. »Robin ist irgendetwas dazwischen gekommen … muss wichtig sein. Hab ich erwähnt, dass ich das hasse? Und wegen deinem kleinen Problem: Hol sie dir endlich! Komm schon … du probierst nichts und kannst nicht durchdrehen, nur weil sie mit einem anderen abhaut. Rede mit ihr.« Perfekt! Als ob die Nacht nicht beschissen genug war! »Fall sich der richtige Zeitpunkt ergibt. Okay?« »Der kommt nie. Muss ich dich an Robin und mich erinnern?« Nami hatte keinen blassen Schimmer, mit wem sie zusammen war. Der Kiefer stach hervor. Kam es hart auf hart, zog er Namis Wohl vor. Immer. × × Die Nacht schritt fort, Müdigkeit blieb aus. Das Umschalten hatten sie alle verinnerlicht. In Chioggia oder auch Klein-Venedig, stieß Kalifa zum Trupp, die sie rasch mit Neuigkeiten versorgte. Ihr Netzwerk war unfassbar ausgedehnt. Ohne Kalifa würden sie oftmals im Dunkeln wandeln. Der Wagen blieb stehen. Mittlerweile befanden sie sich in Ferrara, wo Sakazuki ein Anwesen besaß. „Näher wäre irrsinnig“, erklärte die Blondine gelassen, „und die Meter schaffen wir oder hat jemand Probleme?“ „Frag uns das nachher“, witzelte Kaku, seine Miene blieb jedoch ungewohnt angespannt. Kamen sie ohne Verletzungen davon, hatte sie unnatürliches Glück. Gleichzeitig stiegen sie aus. Fünf Minuten. Jeder in den eigenen Gedanken, der eigenen Routine nachgehend. Jeder kannte seine Aufgabe. Kurzfristig hatten sie einen Plan zusammengeschustert, ein äußerst fragwürdiger. Sieg und Niederlage standen nah beieinander. „Ein Fehler und wir sind im Arsch“, nuschelte Kalifa, schulterte das Scharfschützengewehr. „Gott sei Dank habe ich nächste Woche Urlaub! Versaut mir den ja nicht.“ „Würde ich nie wagen.“ „Und deine Wut ertragen? So lebensmüde bin ich nicht!“, lachte Kaku und zog noch seine Mütze zurecht. Franky beobachtete seine Freunde, die sich schon zum Gehen umdrehte. Keine Freunde. Familie. Er liebte sie und er durfte sie nicht verlieren. „Eines muss ich noch los werden“, begann Franky und wartete bis er der Aufmerksamkeit seiner Freunde sich sicher war, „ihr seid das geilste Team, das ich mir wünschen kann.“ Er schluchzte theatralisch. „Verbuche ich als sexuelle Bel-“ „Ruiniere nicht meinen Moment!“ Kapitel 33: Barlume di speranza. -------------------------------- Hoffnungsschimmer 30. November 2012 6:00 Summend linste die blonde Attentäterin durch das Zielfernrohr. Innerhalb des Trupps existierte eine klare Aufgabenverteilung und ihren Part mochte Kalifa. Warten, auskundschaften, etwaige Vorarbeit leisten oder im Notfall Rückendeckung geben. Darin lag ihre Spezialität und im Laufe der Zeit führte sie ihre Aufträge auf ähnliche Weise aus – präzise aus der Distanz heraus, wenngleich sie hie und da, der Abwechslung wegen, liebend gern auf Nahkampf umstieg. Das Summen half ihr wiederum die nötige Konzentration aufrecht zu halten, besonders an Tagen wie diesem, wo sie über vierundzwanzig Stunden wach war. Durchbrach die störende Stille – Funksprüche erfolgten kaum, bislang verlief alles nach Plan. Bislang. „Stopp!“, befahl Kalifa. „Bleibt in Deckung!“ Während sie auf Abstand zum Geschehen zurückblieb und die notwendige Übersicht wahrte, näherten sich ihre Freunde nach und nach dem Ziel. „Was ist?“, fragte Robin flüsternd. Kalifa wartete noch mit ihrer Antwort. Gebannt starrte sie zum Haupteingang, wo plötzlich reges Treiben herrschte. Zwei Wagen fuhren vor und während sie sich fragte, was sie vorhatten und ob eine Planänderung her musste, stockte ihr Atem. „Klär uns auf!“, knurrte Franky, dem das Stillstehen offenbar missfiel. „Bitte!“, fügte Kaku schnaufend hinzu, wohl wissend, dass sie manchmal sehr auf Höflichkeiten Wert legte. „Wartet!“ Natürlich verstand Kalifa die Ungeduld ihrer Freunde, zumal ihnen der Überblick, den sie hatte, fehlte. Und was geschah, verstand Kalifa keinesfalls. Sakazuki kam heraus und stieg eilig in den vorderen Wagen ein. Von Bonney fehlte jegliche Spur. Als sie losfuhren, beobachtete Kalifa alles haargenau, fuhr sich allerdings fragend durchs Haar. Das Blatt wendete sich somit. Ohne seine Anwesenheit konnten sie anders agieren, und doch irritierte Sakazukis Abgang. „Er ist weg“, murmelte sie. „Wer?“, meldete sich Franky sogleich. „Was ist mit Bonney?“, hörte sie Robin. „Sie habe ich nicht gesehen. Ist einfach gefahren und hat sechs Männer mitgenommen. Ihr könnt den Laden stürmen.“ Statt erleichtert aufzuatmen, spürte Kalifa ein ungutes Gefühl in der Magengrube. Dem traute sie nicht. „Warum lässt er sie hierher bringen und haut dann gleich ab?“, hinterfragte Kaku. „Ist heut wohl unser Glückstag!“ „Wir passen besser auf. Ich trau dem Ganzen nicht“, sprach Robin Kalifas Gedanken aus. Vermutlich wartete eine böse Überraschung auf sie. „Los jetzt! 4:49 Bonney wartete in seinem Arbeitszimmer, das erwartungsgemäß prunkvoll eingerichtet war, aber alt, wie aus einer anderen Epoche. Der Stuhl, auf den Doberman sie geschubst hatte, war äußerst unbequem, so rutschte sie immer wieder unruhig hin und her. Das Aufstehen ließ sie lieber, Sakazuki konnte jede Sekunde auftauchen und er hatte es nie gemocht, wenn jemand in seinem Arbeitszimmer neugierig umher wanderte, es gar suchend durchstöberte. Ferrara, das hatte Bonney mitbekommen. Die Stadt kannte sie gerade vom Namen, vom Haus hatte sie nichts gewusst. Im Grunde genommen war Sakazuki stets sehr nahe gewesen, wohnte er denn hier. Für eine Flucht hatte sie somit schlechte Voraussetzungen – überhaupt verlor sie allmählich jegliche Hoffnung, sich nochmals aus der Schlinge zu ziehen. Brummend vergrub Bonney das Gesicht in ihren Handflächen. Mittlerweile setzte eine bleierne Müdigkeit ein, die Stunden hatten an ihren Kräften gezerrt. Hinzu kam der ständige Gefühlswandel. Einerseits empfand sie große Furcht, die binnen Sekunden in unsagbare Wut umschlug. Trat sie ihm gegenüber, was würde sich durchsetzen? Bonney durfte sich nicht einschüchtern lassen. So half sie ihm. Lieber Parole geben, ihm keine unnötige Angriffsfläche bieten. Als sich die Tür dann öffnete, erstarrte Bonney und einmal mehr verriet der Körper den Geist. Kaum hörte Bonney den ersten Schritt, schon lief es ihr kalt den Rücken hinab. „Ist lange her.“ Langsam ließ Bonney ihre Hände sinken, blickte allerdings zu Boden und war bedacht, ihren Körper unter Kontrolle zu halten – keine Angriffsfläche ermöglichen. Vor ihr blieb Sakazuki stehen. „Zehn Jahre. Hab gehört, du hast dich ausgetobt – sieh mich an!“ „Fottiti!“, Ungestüm packte er Bonney an der Kehle und zog sie vom Stuhl hoch. „Dieselbe überhebliche Göre und dich haben sie entkommen lassen!“ Schief grinsend blickte sie Sakazuki entgegen, vom dem sie ihrerseits behaupten konnte, dass er dasselbe jähzornige Arschloch war, das sie in Erinnerung hatte. „Das wird dir noch vergehen, spätestens beim Wiedersehen mit deinem Bruder.“ „Was?“, stieß Bonney atemlos hervor. Ruckartig zog er seine Hand zurück und Bonney versuchte auf den Beinen zu bleiben. „Was redest du da?“ „Katakuri.“ „Was hat sich geändert?“, war alles, das Bonney in den Sinn kam. Diese Information änderte schlagartig alles und wild schlug ihr Herz. Ihre Familie mischte mit. Woher der Sinneswandel? Der Schock saß somit tief. „Hast du dich je gefragt, warum ich dich in Ruhe lasse?“, begann Sakazuki süffisant, „Du bist diesen Stümpern entkommen, aber ich habe nie aufgehört dich zu suchen. Hat sich ausgezahlt – leider warst du nutzlos! Bis jetzt. Mama braucht dich.“ Überfordert hob Bonney den Kopf. „Als ob sie sich für mich interessiert! Hätte sie mich gewollt, wäre ich längst geholt worden! Ich bin unwichtig!“ Charlotte Linlin stand weit oben in der Hierarchie, hatte Spitzel und Agenten weltweit verstreut. Wollte sie jemanden finden, gelang ihr das problemlos. Eine Frau wie sie benötigte keinen Mittelsmann. „Eine Dekade ist lang und manchmal sind Kompromisse unumgänglich. Als ihre Tochter weißt du, dass sich jedes Kind einer Rolle fügen muss. Am Ende bist du eben keine Ausnahme.“ „Für Verräter hat die Hexe nie etwas übrig gehabt. Ist sie so verzweifelt?“ Sakazuki pokerte gern, aber gehaltlose Einschüchterungen widersprachen seiner Art. Ein Funken Wahrheit steckte stets dahinter. Brauchte Big Mom sie wirklich, dann für eine ungewollte, lästige Aufgabe, für die sie kein anderes Kind opferte. „Was bringt dir der Deal?“ Taxierend lehnte er sich gegen den Schreibtisch, griff nach der Zigarrenschachtel. Vor zehn Jahren war Bonney abgehauen und sie wusste, sie hatte ihm damals ein Geschäft versaut. Was konnte ihm nun, wo er sie eine Dekade später festhielt, eine Zusammenarbeit mit dieser Tyrannin Lukratives einbringen? „Eine Hand wäscht die andere. Das ist Politik.“ „Antworte mir!“, forderte Bonney wutentbrannt. Sakazuki war eine Sache, ihre Familie eine andere und wenn sie sich entscheiden müsste, blieb sie lieber ein Leben lang in seiner Gefangenschaft. Die Zigarre war mittlerweile angezündet, genüsslich blies er Rauch aus und wartete. Pure Absicht um ihre Nerven zu strapazieren. „Ich bin ein Arsch, aber würde ich deinem Bruder nie den Spaß verderben.“ 6:27 Unruhig tigerte Bonney durchs Zimmer, in das Doberman sie gleich nach dem Gespräch gebracht hatte. Ihn bot all das größten Grund zur Freude und seine Gehässigkeit hatte er vollends ausgekostet. Ihrerseits war ein schnippischer Kommentar im Hals stecken geblieben. Zu sehr machte Bonney die Familie zu schaffen. Nun steckte sie also fest – würde sie nicht um ihre Zukunft bangen, so hätte sie sich längst aufs Bett geworfen, das leider einen recht bequemen Eindruck machte und sie förmlich einlud. Müde war sie, in jeglicher Hinsicht. So legte sie sich nie einen passenden Plan zurecht. Nicht schlafen. Lieber die Beine vertreten, nach Lücken suchen. Das Licht hatte Bonney ausgemacht, hoffend etwas im Schein des Mondes zu erhaschen. Fehlanzeige. Sie befand sich im zweiten Stock, was unter ihrem Fenster wartete, wusste Bonney nicht. Und die Fenster ließen sich nicht wirklich öffnen und jeder Lärm würde Doberman, der vor der Tür Wache schob, aufmerksam machen. Plötzlich hörte sie Doberman erzürnt brüllen. Ein Schuss. Ein dumpfer Schlag gegen die Tür. Ihr Instinkt riet zur Flucht oder sich auf, was auch immer dort draußen los war, vorzubereiten. Der Körper allerdings blieb stehen und drückte sich lediglich gegen die Wand neben dem Fenster. Wenig Zeit verstrich, nichts geschah und dieses Warten empfand Bonney als nervenzerreißende Ewigkeit. Dann betraten zwei Gestalten das Zimmer, das Licht wurde eingeschaltet. Blinzelnd erblickte sie die Zwei und hätte sie sich nicht längst gegen die Wand gelehnt, so wäre sie vermutlich vor Schreck zurückgefallen. „Unmöglich!“ 6:24 Auf leisen Sohlen bewegte Kaku sich fort. Um keine Spuren zu hinterlassen, hatten sie sich für eine fast todsichere Lösung entschieden. Häuser wie diese wurden meist mit Gas geheizt. Bei fahrlässiger Instandhaltung, kamen Unfälle häufiger vor. Ein kleines Leck reichte – natürlich half er nach. Der Brand würde Zeit verschaffen, sogar einen Sakazuki, wenn auch für kurze Zeit, auf die falsche Fährte locken. Nicht ihre bevorzugte Vorgehensweise, aber in der Not wurden Prinzipien gerne über Bord geworfen und in diesem Fall mussten sie so viel Zeit rausschlagen, wie möglich. Problemlos hatte er das Erdgeschoss passiert, den Weg in den Keller gefunden, nachdem ihm ein Mann netterweise einen Tipp gegeben hatte. Sakazukis Aufbruch erleichterte ihre Arbeit, die Männer wirkten deutlich unaufmerksamer. Da hatte sich das Nähern als bislang anstrengendster Part herausgestellt. Was der Boss alles ausmachte. Leise nahm Kaku die Steintreppe, hielt an der letzten Stufe allerdings abrupt inne. Der ausgemachte Lichtschein hielt ihn nicht direkt ab, aber die zwei Beine, die er spärlich erkannte. Jemand lag dort am Boden und das sah nicht nach einem unerlaubten Schläfchen aus. Schneller pumpte das Herz. Das war definitiv einer von Sakazukis Handlangern. »Hast du jemanden reingehen gesehen?«, tippte Kaku rasch, wagte es nicht einen Ton von sich zu geben. »Dritte?« »Ja.« »Ich hätte euch informiert! Wer?« Also ein Unbekannter. Sofort zückte er seine Pistole, lugte vorsichtig um die Ecke. Eine einzelne Lampe brannte, ließ ihn einen hellerleuchteten Raum am Ende des Ganges erkennen. »Klär sie auf. Wir sind nicht allein.« Kalifa musste den anderen Bescheid geben, sie darauf vorbereiten. Genauso wie Kaku herausfinden musste, wer denselben Plan im Schilde führte und warum eine dritte Partei anwesend war. Erst verschwand Sakazuki und dann brachen noch andere ein? Entweder ein verdammter Zufall oder eben doch ein abgekartetes Spiel. Und Kaku konnte sich nicht entscheiden, was ihm lieber war. 6:39 „Deine Leibgarde ist miserabel. Wer stellt bloß solche Versager ein?“, trällerte einer der Männer. Seine Stimme war nicht dieselbe, auch die Art passte nicht. „Grenzt an Zeitverschwendung.“ Der andere blickte abfällig auf Doberman. Sein rotes Haar verdeckte ein Auge, aber auch er wies dieselben Züge auf. Bonney schluckte schwer. Entweder spielte ihr ihre Müdigkeit einen grausamen Scherz oder sie sah nicht nur doppelt sondern dreifach. Besonders der zweite, der mit den grünen Haaren, sah identisch aus. Ungläubig schüttelte Bonney den Kopf, atmete immer wieder durch. „Hast nie Brüder gesehen?“, lachte der Rothaarige während er zu ihr schritt. „Familienunternehmen, verstehst du sicher.“ Grob packte er ihren Arm. „Ein bisschen Spaß habe ich mir erhofft. Für die Aktion hätte sie jeden anheuern können“, gab der andere missmutig zu verstehen. Bonney schwieg, obwohl ihr dieser eine Gedanken auf der Zunge lag, darauf pochte ausgesprochen zu werden, aber wollte sie die Antwort hören? Besser, sie konzentrierte sich darauf, warum die beiden Doberman, um den es ihr einfach nicht leid tat, getötet hatten und sie nun mitnehmen wollten. „Sprache verschlagen? Andere hinterfragen.“ „Big Mom, oder?“, hauchte sie atemlos. Würde Sinn ergeben. Somit hatte Sakazuki die Drecksarbeit erledigt und Bonney brauchte nur abgeholt zu werden, ohne die Abmachung einzuhalten. „Mein Bruder hat ihn zum Flughafen gelockt. Ihr holt mich ab, tobt euch aus und sorgt dafür, dass Big Mom die Tat nicht nachgewiesen werden kann. Richtig?“ „Schlauer als du aussiehst.“ Der Griff schmerzte und ohne Vorwarnung schliff er Bonney förmlich mit sich. Natürlich hatte ihre Mutter ein Aß im Ärmel. Vermutlich fand sie so noch eine Ausrede, um Sakazuki zu beschuldigen, ihre Zeit vergeudet zu haben oder bezichtigte ihn als Lügner und forderte adäquaten Ersatz. Somit hatte Bonney keine Chance mehr. Die bittere Erkenntnis traf sie härter als erwartet. Schließlich hatte Bonney an einem kleinen Hoffnungsschimmer festgehalten. Ihm war sie bereits entkommen, das hätte ihr ein zweites Mal gelingen können, aber Linlin Charlotte? „Damen behandelt man höflicher“, ertönte eine weitere, wohlbekannte Stimme und ihr Herz hüpfte aufgeregt. Der Rothaarige hatte sie bereits aus dem Zimmer gezerrt und so hob Bonney den Kopf, blickte den Gang hinunter. Mit gezückter Pistole und ausdrucksloser Miene erkannte sie Franky. Erst die beiden, die diese unnatürliche Ähnlichkeit aufwiesen und dann ihr Saufkumpane. Bonney verstand noch weniger. „Franky!“, stieß sie aus, unwissend, was sie sonst sagen sollte. Obwohl ihr schleierhaft war, warum ausgerechnet er in diesem Haus war, breitete sich eine unfassbare Erleichterung aus. Nie zuvor hatte sie solche Glücksgefühle empfunden, ausgelöst von seiner Anwesenheit. „Wer stört?“, fragte der Rothaarige abwertend, blickte langsam über seine rechte Schulter und Bonney hinweg. „Sanji!“ Ihr Verstand log also nicht. Da schob sich der grünhaarige Mann an ihr vorbei, taxierte ihren Freund. „Trotz Nüchternheit sehe ich doppelt. Wer seid ihr?“ Die Verwirrung stand Franky ins Gesicht geschrieben. Vermutlich suchte er selbst nach einer Erklärung. „Du kennst die Mistgeburt?“ „Er lebt noch“, stellte der Rothaarige fest, übte einen deutlich kräftigeren Druck auf Bonneys Arm aus, die schmerzhaft das Gesicht verzog. „Wo finden wir ihn?“ „Antworte!“, knurrte der Grünhaarige. „Die Kleine gegen Informationen. Deal?“ „Abgelehnt.“ Bonney blickte hoch, der Rothaarige machte keinen Spaß. Was auch immer das Problem mit Sanji war, Franky musste begreifen, dass er in der Unterzahl war und die beiden wirkten entschlossen den Auftrag auszuführen. „Mein Vorschlag wäre, du siehst zu, wie du gegen uns ankommst. Ein fairer, waffenloser Kampf. Du gegen uns.“ „Zwei gegen zwei ist weitaus fairer.“ „Verarscht ihr mich?! Kommen Kalifa und Kaku auch noch?!“, stieß Bonney plötzlich sich gegen den Griff wehrend aus als Robin zu ihnen aufschloss. „Oh, wenn du wüsstest“, grinste Franky einen Augenblick lang. „Wen haben wir denn da“, trällerte der Grünhaarige belustigt. „Anscheinend bekomme ich doch noch meinen Spaß.“ 6:50 „Unser Nichtsnutz lebt“, stellte der Mann verblüfft fest. Zwar humpelte er im Heizungsraum umher, aber behielt er Kaku jede Sekunde in den Augen. Kaku hatte nicht lange gefackelt, sich angeschlichen und geschossen, bevor der Mann sich hatte umdrehen können. Hätte ihn der Anblick nicht schockiert innehalten lassen, wäre Kaku längst weiter gegangen. Der Typ sah dem Koch, der oft mit Bonney in der Bar war, verdammt ähnlich. „Unser Bruder“, bestätigte der Mann, „ist nicht zu übersehen, oder?“ „Unser?“ „Vierlinge. Sanji war immer der Schwächling. Dann meinte Vater eines Tages er sei verstorben.“ Er blieb stehen. „Hat uns nie gestört. Immerhin waren wir den Fehlschlag los. Hat nie in unsere Familie gepasst.“ Unverständlich schüttelte Kaku den Kopf. „Sanji hat den Namen unserer Familie beschmutzt.“ „Das ist krank.“ „Warum? Schwäche gehört ausgemerzt.“ Sichtlich versuchte der Mann das Gewicht auf sein verletztes Bein zu verlagern. „Wo ist er?“ „Möchtest ihm einen Besuch abstatten?“ Der andere lachte. „Du erschießt mich eh. Bin halt neugierig – Schickt euch jemand?“, lenkte er auf Kaku. Natürlich gingen sie gegenseitig davon aus, dass sie nicht alleine agierten. Dafür war der Ort zu gefährlich. Kaku zuckte mit den Schultern. „Niemand. Bei dir hab ich das Gefühl, du erfüllst einen Auftrag.“ Der andere nickte bloß und Kaku wollte unbedingt wissen, wer sich noch etwas erhoffte. „Dein Bruder lebt in Venedig und ist ein begnadeter Koch geworden.“ „Verstehe. Den Blödsinn mochte er schon immer.“ Der Mann holte tief Luft und richtete sich nun zur Gänze auf. Kaku zog seine Augenbrauen zusammen als er das provokante Grinsen vernahm. „Danke, mehr brauchte ich nicht.“ 8:30 „Verdammt! Das war eine kranke Scheiße – ihr habt mir den Arsch gerettet!“, kommentierte Bonney aufgekratzt. Da saß sie. Putzmunter auf der Rückbank des SUVs, zwischen Franky und Robin, und das Grinsen kam ihr gerade einfach nicht abhanden. Sie stieß ein jauchzendes Lachen aus, das all den Kummer, der sie in den vergangen Jahren regelrecht erdrückt hatte, verstummen ließ. Natürlich lebte Sakazuki noch. Natürlich konnte ihre Familie einen weiteren Anlauf wagen, aber nicht heute. „Ich habe keine Ahnung, wie ich euch das jemals zurückzahlen kann. Ihr-“ „Gern geschehen. Okay?“, unterbracht Franky. „Halt an!“, forderte Robin plötzlich. Seit sie losgefahren waren, hatte diese kein Wort gesagt. Fragend blickte Bonney zur Seite. „Kalifa, halt den Wagen an. Bitte!“, presste Robin gereizt hervor, als Kalifa der Aufforderung nicht nachkam. Erst dann hielt sie am Straßenrand, warf ihrerseits einen irritierten Blick über die Schulter. Bevor jemand wirklich nachhaken konnte, hatte Robin bereits den Sicherheitsgurt gelöst und sprang aus dem Wagen. „Nicht gut“, bemerkte Kaku und folgte ihr sogleich. Franky wollte es ihm schon gleichtun, als Kalifa ihm riet im Wagen zu bleiben während sie sich um Robin kümmerten. „Ist meine Schuld – Franky, versteh mich nicht falsch, ich-“ Ihre Hand wurde umfasst, sanft gedrückt. Bonney verstand weiterhin nicht, was sie dort gesehen hatte. Mit allem hätte sie gerechnet, aber nicht mit dem. Nie wäre ihr in den Sinn gekommen, dass sich die vier Freunde auf diese Weise die Hände schmutzig machten. Und verdammt, die verstanden das Handwerk! „Was seid ihr? Arbeitet ihr für die Regierung oder arbeitet ihr auf eigene Faust hin?“, fragte sie schlussendlich ernst und geradeaus, blickte dabei hoch. Überraschenderweise wich Franky nicht aus, allerdings schien er unglücklich zu sein. „Für den, der uns anheuert“, gestand er nach kurzer Überlegung. „Eigentlich sollte niemand jemals erfahren, was wir nebenbei tun. Du und Zorro seid die einzigen, die Bescheid wissen. Verstehst du, Bonney? Wir müssen unsere Maskerade aufrecht halten.“ Nickend sah sie auf ihre Hände. Natürlich brauchte er nicht näher darauf eingehen. Bonney kannte das Scheusal der Welt und welche Konsequenzen auf ein falsches Wort folgten. „Zorro hat’s übrigens erst heut Nacht erfahren. Wäre liebend gern selbst mitgekommen – er liebt dich wirklich.“ „Ich weiß“, wisperte Bonney. Schließlich fühlte sie nicht anders und darin sah sie über weite Strecke das Problem. Daher mochte sie einfache Nächte, ungebundene Affären. Nach Lust und Laune zog sie weiter. Waren echte Gefühle im Spiel und ließ sie jemanden zu nah – Bonney hätte das nie übers Herz gebracht und doch wurde Zorro mithinein gezogen. Und nun war es sowieso zu spät. „Wie geht’s weiter? Im Grunde können mich beide aufsuchen“, lenkte sie lieber ab. Auch dieser Punkt musste geklärt werden. „Du tauchst unter, verschwindest für eine Weile, bis halbwegs Gras über die Sache gewachsen ist. Wir behalten alles im Auge und, du kannst uns vertrauen. Ich habe die richtigen Männer für solche Notfälle. Umsonst haben wir uns nicht den Arsch aufgerissen.“ Zum ersten Mal vernahm sie sein Lachen. „Darf ich mich verabschieden? Persönlich, nicht am Telefon.“ Wenn Bonney schon verschwand, dann wollte sie ihn sehen. So schmerzhaft es auch sein würde. Zorro hatte es verdient. „Ich will ihn nur sehen. Bitte“, flehte sie fast schon. „Okay.“ 7:20 Der grünhaarige Mann wehrte sich vehement, zerrte an ihren Armen während er sie mehrmals kraftvoll gegen die Wand stieß. Robin keuchte schmerzend auf. Beim fünften Mal winkelte sie den Fuß an, bremste den Versuch und stemmte sich ihrerseits mit ganzer Kraft ab, wodurch der andere ins Schwanken kam. Mehr brauchte sie nicht, um mit letzter Reserve den nötigen Druck aufzubringen. Das erhoffte Knacken – welch wundervolle Melodie! – und abrupt endete der Widerstand. Der Körper erschlaffte und mit ihm fiel Robin zu Boden, wo sie die Arme zurückzog und sich nach Luft ringend auf den Rücken rollte. In den Armen spürte sie ein schmerzhaftes Ziehen, ihre Rippen rebellierten lautstark und Schwindel überkam sie, gefolgt von leichter Übelkeit. Der Mann hatte Robin alles abverlangt. Zeit blieb keine. Franky hatte noch mit seinem Gegner zu tu und so drehte sie sich schwerfällig auf die Seite, erblickte ihren Freund, der sich einen heftigen Schlagabtausch lieferte. Vinsmoke. Gehört hatte sie den Namen, zusammen mit ein paar Gerüchten, aber mehr nicht und bislang hatte sie sich auch nie für sie interessiert. Immerhin waren sie sich nie in die Quere gekommen. Mit zusammen gekniffenen Augen suchte Robin den Boden ab und es dauerte, aber fand sie das Gesuchte unter dem Regal ihr gegenüber. Ein schmerzliches Stöhnen unterdrückend, schliff sie sich die wenigen Meter, ergriff das erlösende Metall. Die Männer schenkten sich nichts und Robin musste abwarten, auf den richtigen Zeitpunkt, ohne Gefahr zu laufen, ihren eigenen Kameraden zu schaden. Franky blockte, trat ihn kraftvoll in die Bauchhöhle, wodurch sie der passende Abstand ergab und den Augenblick nutzte Robin. Drei Schüsse. Kniescheibe und Schulter. Kein Laut drang über die Lippen des Rothaarigen, auch nicht als Franky ihm mit voller Wucht gegen das angeschossene Knie nachtrat, das Bein wegsackte und Frankys Pranke den Schopf packte ehe er den Schädel gegen die Wand wuchtete. „Dreckskerl!“, spie ihr Partner aufgebracht. Hastig und laut atmete er, stapfte auf und ab. „Die spritzen sich doch was!“ „Lebt deiner noch?“ Mittlerweile saß Robin an die Wand gelehnt da, beobachtete Franky, der sich über den anderen gebeugt hatte. Die Antwort erübrigte sich als dieser röchelnd lachte. „Warum ist Charlotte hinter Bonney her?!“, knurrte Franky, drückte seine Knie in das des Mannes, verlagerte sein Gewicht darauf. Robin hievte sich daraufhin auf die Beine, atmete gegen den Schmerz und das gerade Gehen verlangte Konzentration. Ihr Körper war am Limit, aber noch musste sie ankämpfen. Noch befanden sie sich auf feindlichem Gebiet. „Fleht mich an und ich sag’s euch.“ Kalt blickte sie auf sein blutüberströmtes Gesicht, das Grinsen kam ihm nicht abhanden. Ohne Vorwarnung zückte Robin ihre Waffe, drückte ab und die Kugel durchquerte seine linke Kniescheibe. Weder zuckte er noch drang ein Laut über seine aufgeplatzten Lippen. „Hast du erwartet ich krümme mich vor Schmerz und bettle? Du bist erbärmlich.“ „Was treibt ihr solange!“ Kaku kam um die Ecke gerannt, sah zwar besser aus als sie beide, aber hatte auch er sich einen Kampf geliefert. Blut tröpfelte vom Kinn, das rechte Auge war geschwollen und atmete er schwer. „Kalifa holt den Wagen. Wir müssen abhauen!“ „Schlechte Verbindung“, kommentierte Franky gelassen, den Blick nicht von dem Feind abwendend. „Robin, hol Bonney. Vielleicht spricht er doch noch.“ „Bezweifle ich“, entgegnete die Frau, übergab Franky allerdings die Pistole. Sollte er sein Glück versuchen. Solange der Rothaarige das Haus nicht lebendig verließ, war ihr momentan alles gleich. Irgendwie war die Situation vollkommen aus dem Ruder gelaufen und für Robin fingen die Probleme erst an. Kapitel 34: Situazione d'eccezione. ----------------------------------- Ausnahmesituation 30. November 2012 „Meint ihr, sie küssen sich?“, kicherte Franky und warf einen verstohlenen Blick aus dem Seitenfenster. „Oder lassen sie den Moment vorbei ziehen?“ Am Nachmittag, mit Umweg und Zwischenstopp, hatten sie den Busbahnhof erreicht und zur Überraschung hatte Zorro bereits ungeduldig gewartet – jedenfalls laut Bonney. Für den Rest wirkte er wie eh und je: grimmig. Wahrscheinlich kristallisierte sich hierbei heraus, wie sehr sich die beiden kannten und wie einfach es für Bonney war, seine Körperhaltung einzuordnen. Erst als Zorro Bonney erspähte, hatte auch Franky einen offensichtlicheren Unterschied ausgemacht. Hatte zum ersten Mal eine Erleichterung wahrgenommen. Um ihnen die nötige Zeit und allem voran Zweisamkeit zu gönnen, warteten die vier Freunde im Wagen, aber in Franky wuchs eine Neugierde heran, die unbedingt gestillt werden musste. „Küsst du sie sonst?“, neckte Kaku schelmisch. Franky verdrehte demonstrativ seine Augen. Warum mussten unnötige Informationen immer im Gedächtnis hängen bleiben? „Wird mir ewig nachhängen, was? Aber, und das ist der springende Punkt, wären Gefühle im Spiel zögerte ich keine Sekunde. Sofort und ohne Bedenken.“ Leider tickte Zorro anders. Vermutlich brauchte es Bonney für den Schritt. Was Franky wiederum gar nicht verstand. Sie liebten sich und mussten Abschiednehmen. Niemand konnte voraussagen, wann oder ob Bonney überhaupt jemals zurückkehrte. Eine solche Chance würde sich Franky nie und nimmer entgehen lassen. „Ich würd’s lassen“, bemerkte Kalifa gelangweilt. „Die sehen sich vielleicht nie wieder und dann ein küssender Abschied? Um was? Dem hinterher zu trauern, das hätte sein können? Einfach erklären und Tschüss sagen.“ „Gott, bist du kaltherzig!“, brummte Franky. „Liebe ist dir wirklich fremd.“ In ihm schlug eben das Herz eines waschechten Romantikers. Dafür hatte er sich bereits öfter den einen oder anderen Spruch anhören dürfen, aber stand er dazu, sah nichts Verwerfliches darin. „Ach, halt den Mund und setz deine rosarote Brille ab!“, spottete die blonde Frau während Kaku sichtlich ein Grinsen verkniff. „Was würdest du tun?“, fragte Franky nun an Robin gewandt, die weiterhin das Schweigen vorzog. Der Bengel hatte ihr ordentlich zu gesetzt und Franky machte sich Sorgen. Für ihn stand außer Frage, dass Robin dringend ins Bett musste. „Hey“, versuchte er nochmals, beugte sich zu ihr und legte die Hand an ihre Schulter. Dann, als ob sie aus einem Traum aufwachte, öffneten sich ihre Augen, der Kopf wurde leicht zur Seite geneigt. Angestrengt und fragend blickte sie hoch. „Was-“ Robin wandte den Blick ab, lehnte den Kopf an die Fensterscheibe. „Was sage ich ihr? Das Wochenende ist verplant“, wisperte sie verzweifelt. Franky biss die Zähne zusammen, natürlich verstand er die Misere. Während sie einfach nach Hause gingen und sich ausruhten, wartete jemand auf Robin. „Ich hab sie erst versetzt … ich glaub, ich hab’s verbockt.“ Er hörte den Schmerz und rutsche automatisch näher, schlang den Arm um ihre Schultern. Als er Robin an sich drückte, fehlte jegliche Gegenwehr. Den Kopf an seinem Hals gebettet, hielt Franky sie fest. Ihr Körper bebte und im Wageninneren brach beklemmendes Schweigen aus. × × Gähnend griff Ruffy nach seinem Handy und tippte ein frustriertes: »Sag was!!!!« Alleinsein verabscheute er zutiefst. Und der Tag setzte ihm zu. Niemand hatte Zeit. Zähneknirschend starrte Ruffy zur Decke hoch. Allein machte alles keinen wirklichen Spaß. Unter der Woche vertrieben er und Bonney sich die Zeit. Entweder waren sie unterwegs oder einfach zu Hause, aber von ihr hörte er nichts. Seit Stunden schrieb er ihr, hatte mehrmals angerufen – die ausbleibende Antwort war für ihn unverständlich! Hatte Bonney etwas vor, dann gab sie ihm Bescheid und normalerweise reagierte sie binnen wenigen Minuten. Irgendwie fand er ihre Reaktionslosigkeit merkwürdig. Bonney war weder beim Frühstück gewesen, noch über dem restlichen Tag aufgetaucht. Selbst bei Dates gab sie Ruffy immer Bescheid. Gab es etwa Probleme? Ruffy kniff nachdenklich die Augen zusammen, ehe er in schallendes Gelächter ausbrach. Wie albern, Bonney kam mit allen Schwierigkeiten klar und so schob er den Gedanken beiseite. Wieder streckte er seine Glieder aus, sein Magen knurrte bedrohlich. × × Seufzend raufte Zorro sein Haar. Was zur Hölle machte er hier? Statt Zuhause saß er auf einem äußerst teuer wirkenden Sofa, auf dem er lieber nichts von dem Bier, das ihm sein Gastgeber in die Hand gedrückt hatte, verschüttete. Während die anderen auf den Etagen verteilten waren, war Zorro alleine und kämpfte somit gegen die befremdliche Stille, die das Wohnzimmer in Beschlag nahm. Sich zurücklehnend, schweifte sein Blick umher. Schwach zuckten seine Mundwinkel, als er die verschiedenen Modellschiffe betrachtete und warum auch immer, gefiel ihm sogar eine kleine Karavelle. Dabei musste zurechtgelegt werden, was er denn seinen Freunden sagte. Besonders Ruffy und Sanji würden bald Verdacht schöpfen, sich Sorgen machen. Oder er tat, was er so gut konnte: Nichts. Aber nein, er betrachtete neugierig eine Karavelle. Unschlüssig nippte er an dem Bier. Neben Sake mochte er Bier am liebsten, aber irgendwie schmeckte es nicht, irgendwie merkwürdig. War das der Situation geschuldet? Immerhin steckte ihm der Abschied noch in den Knochen. „Halbwegs verdaut?“, lachte Kaku auf seine leichte Art. Zorro neigte den Kopf. Der andere hatte sich ein Handtuch um den Hals geworfen, das Haar war noch feucht. Ausgerechnet dieser ruhige, ulkige Typ … Zorro würde auf jeden Fall noch eine Weile brauchen, um sich daran zu gewöhnen. „Wird ein ziemliches Farbenspiel abgeben“, grinste Zorro schief. Träge ließ Kaku sich in einen der Sessel fallen, stützte den Kopf an seiner rechten Hand ab. „Hat mich schon schlimmer getroffen.“ Trotz der Lage verlor er nicht seine Leichtigkeit und Zorro überraschte das sehr wohl. Schließlich hatte sich das Geheimnis gelüftet. Oder lag es eben genau daran? Kein Versteckspiel mehr. „Und? Kommst du zurecht? Unsere Identitäten. Bonney. Ist sicher schwierig.“ „Geht schon“, gab Zorro abwinkend zu verstehen. Vorerst blieb das sein Problem und bislang hatte er alles überstanden. Es brauchte manchmal einfach ein wenig Zeit. „Bei dir? Wirst du nie gefragt, woher du die Verletzungen hast?“ Häufte sich ein solches Auftreten, musst doch jemand hinterfragen. „Eine Ausrede habe ich immer parat“, griente Kaku sicher, „und wir sind Profis. Solche Zwischenfälle kommen recht selten vor. Sind auf unvorhergesehenen Widerstand getroffen.“ Dabei änderte er schlagartig seine Haltung. Zorro zog grimmig seine Brauen zusammen. Offensichtlich lag dem anderen etwas auf der Zunge, suchte vielleicht nach der passenden Formulierung. Grund genug um ein mulmiges Gefühl wachzurütteln. „Der Koch“, begann Kaku zögernd und betonte das kommende Wort auf beunruhigende Weise, „kennst du ihn?“ Hatte Zorro mit einer Erklärung der Geschehnisse gerechnet, verwirrte Kaku ihn mit einer Frage, mit der er nichts anstellen konnte. Was interessierte ihn der Kartoffelschäler? „Ihr seid befreundet, schon klar, aber hat er dir von seiner Vergangenheit erzählt?“ „Wovon sprichst du?“ Zorro verstand immer weniger und Kaku schien ihn zu durschauen, lächelte entschuldigend. „Hätte mich gewundert – Entschuldige.“ „Sanji ist durch Pflegefamilien gereicht worden. Haute irgendwann ab und erst durch Jeff fand er seinen Platz“, fasste Zorro knapp zusammen. „Wir reden kaum über unsere Vorgeschichte. Müsstest du wissen.“ Vergangenheit war uninteressant. Was zählte war die Gegenwart. Das hatte er ausgerechnet von Ruffy gelernt. Kaku schloss seine Augen und legte den Kopf zurück – Stille. Verdattert taxierte Zorro den Mann. Veräppelte er ihn etwa? „Mach de-“ „Stur wie du!“, fauchte der Arzt fuchsteufelswild als er geräuschvoll die Treppe runter stolperte. „Behalte sie ja im Auge und ruf mich an, sobald sich ihr Zustand ändert!“ „Tue ich immer!“, antwortete Franky lachend. Kurz erblickte Zorro die Männer und verlor plötzlich den Drang Kaku zur Rede zu stellen. Vor dem Treffen auf dem Bahnhof hatten sie den Arzt bereits aufgesucht. Er war für einen Krankenhausaufenthalt gegen den Robin vehement blockierte. Und Zorro hatte Robin gesehen. Purer Leichtsinn, und doch verstand er Robin – irgendwie. Ihr Zustand warf Fragen auf. Zusätzliche Frage. Bei dem älteren Mann handelte es sich um Eisbergs, dem Vize-Bürgermeister und Inhaber der Werft, Leibarzt und in Verbindung mit Franky … Zorro bezweifelte, dass die beiden nicht Bescheid wussten. Im Gegenteil. Bestimmt deckten sie die vier, allein schon deshalb, weil Franky und Kaku für Eisberg arbeiteten. „Den Starrsinn haben beide verinnerlicht“, seufzte Kaku missbilligend. „Gibt eine nette Geschichte. Ist schon ein paar Jahre her. Waren damals in Brasilien-“ „Nein!“, unterbrach Zorro sogleich. „Lass stecken. Hab an euren dubiosen Abenteuer kein Interesse.“ Je weniger er wusste desto besser. „Schade. Ist eine spannende Geschichte.“ „Welche?“ Franky schlurfte ins Zimmer. „Kalifa bleibt noch ein bisschen oben.“ Tief sank er neben Zorro aufs Sofa, streckte die Beine aus. „Freu nur ich mich aufs Bett?“ „Robin gehört ins Krankenhaus. Punkt.“ „Ach komm, Kaku. Eine gute Portion Schlaf heilt alles!“ „Und deshalb frag ich mich, wie du so lange überlebt hast!“ Ein grimmiger Blick. Schallendes Lachen. „Was ist dein Plan?“, fragte Franky anschließend Zorro, der bloß still zugehört hatte. „Sagst du die Wahrheit oder spielst du selbst den Überraschten?“ Plan. Hatte er einen Plan? Nein. Während der Nacht hatte er kaum geschlafen, eher auf eine Benachrichtigung gewartet, sich Sorgen gemacht – die Frau machte ihn wirklich schwach! Aber nie hatte er sich den Kopf darüber zerbrochen, was er den anderen sagte. Nie so richtig. „Ich bin direkt. Bevor ich lüge, schweige ich lieber.“ Zorro hasste Lügen. Was er dachte, wurde offen ausgesprochen. Leider musste er hierbei anders agieren. Bonney wollte ihnen die Wahrheit ersparen. „Zur Not sagen ich, sie hat sich gemeldet und braucht eine kleine Auszeit?“ Ob er es mochte oder nicht, manchmal war eine Lüge angebrachter. „Funktioniert das?“, hinterfragte Franky skeptisch. „Hat sie das früher schon gemacht?“ „Nein, aber angedeutet.“ Mehrmals. Jedoch hatte Zorro ihre Paranoia als Unsinn abgetan, wie alle anderen. Immer und immer wieder, bis zu Frankys Recherche. „Natürlich werden sie sich Sorgen machen, aber weiter? Komm, niemand weiß, wo Bonney steckt, sie werden nicht nach ihr suchen.“ Hoffte er. Bei Ruffy war alles möglich, zumal sein Bruder durchaus zu helfen wusste, wenn er ihn denn erreichte. „Ist einen Versuch wert.“ „Dabei ist die Wahrheit Balsam“, kommentierte Kaku seufzend. „Immerhin wüssten sie, warum Bonney untergetaucht, aber halbwegs in Sicherheit ist. Alles andere ist unbefriedigend.“ „Also euer kleines Geheimnis hat keinen positiven Effekt.“ Mitnichten. Vielmehr störte es Zorro. Immerhin musste er eben jenes Geheimnis wahren. Auch um seinetwillen. Vermutlich würde er von sich aus nie darauf zu sprechen kommen. Das Thema totschweigen. Bis irgendwann ein Grund aufkam, der es ihm unmöglich machte. „Sind zwei Paar Schuhe!“, murrte Franky und warf ihm dabei einen genervten Ausdruck zu. „Bonney steckt in Lebensgefahr und muss geschützt werden. Wir … Kaku?“ „Wir bringen andere in Lebensgefahr?“ „Sag ja“, lachte Franky, „zwei Paar Schuhe!“ „Ihr seid bescheuert!“ „Du gewöhnst dich dran“, grinste Franky müde. Sie brauchten sichtlich Schlaf und Zorro sollte allmählich aufbrechen. „Kannst du mir zu Sanji einen kurzen Überblick geben?“ „Frag deinen Freund.“ Erneut wurde das Thema auf seinen Mitbewohner gelenkt und er spürte eine langsam ansteigende Wut. Auffällig tauschten sie für Zorro nichtssagende Blicke aus. Etwas lag im Busch und irgendwer machte lieber schleunigst den Mund auf. „Wehe ihr krümmt Sanji ein Haar.“ Streitereien hin oder her, Sanji war sein Freund und Freunde beschützte er. Egal wie nervig sie manchmal waren, insbesondere dieser nervtötende Koch. Abwehrend hob Kaku seine Hände. „Die Typen, die uns so zugerichtet haben“, antwortete Franky unbeeindruckt, „sind Sanjis Brüder. Okay, sie waren es – die Details erspare ich dir. Vierlinge! Hättest unsere Gesichter sehen müssen.“ Fassungslos entglitten Zorros Gesichtszüge. Die Wut war verflogen. Hatte er richtig gehört? „Sanji stammt aus einer Familie, die für Attentate bekannt ist. Angeheuert von Bonneys eigener Familie haben sie uns das Leben schwer gemacht – wir haben ihnen die Suppe versalzen. Sakazuki hat die Rolle des Mittelmannes übernommen und ist dabei selbst reingelegt worden.“ „Ziemlich kompliziert?“, brachte Zorro kaum hervor. Er verstand nicht. Bonney Familie hatte er nie auf dem Schirm gehabt. Hatte nie von ihnen gehört. „Ich verstehe nicht“, sprach er offen aus. „Du hast in der Tat ein verdammt kompliziertes Umfeld.“ Mitleidig sah Kaku zu ihm. „Bonney. Sanji. Wir. Will lieber nicht wissen, welche Leichen der Rest im Keller versteckt.“ „Ist meine Schuld. Ich hab das Detail absichtlich ausgelassen“, entschuldigte sich Franky und fuhr sich durchs ungemachte Haar. „Vertrau mir. Mit dieser Familie möchtest du nie konfrontiert werden. Wir interessieren uns einfach ein wenig für Sanji, eben weil wir nicht fassen können, dass er aus dieser Familie stammt – und ich sag’s nochmal, Kaku, die haben sich was gespritzt!“ „Eifersüchtig? Das Alter holt uns alle ein.“ „Ach ja? Ich bin robust, aber die?“, gab Franky säuerlich zurück, sichtlich genervt. „Die kannten keinen Schmerz!“ „War eine neue Erfahrung. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht“, bemerkte Kaku nachdenklich. „Als ob gewisse Emotionen fehlten.“ „Sanji hat genug davon.“ In Zorros Augen war er zu gefühlsduselig, besonders Frauen gegenüber. Konnte rasch umschalten. Von guter Laune auf ungestüme Wut und plötzlich wurde er zum liebestollen Verrückten. „Aber ernsthaft – ich kann ich schlecht fragen!“ Zeigte Zorro plötzliches Interesse an Sanjis Vergangenheit … nie und nimmer! Über den Koch hatte er sich nie Gedanken gemacht, geschweige ihn mit Fragen gelöchert! Sanji durchschaute ihn sofort. „Verlangen wir nicht, keine Sorge“, winkte Kaku rasch ab. „Ist lediglich eine unerwartete Wendung und seinen Brüdern nach, hat ihn die Familie so oder so verstoßen. Wir fragen uns lediglich inwieweit er von den Taten informiert ist.“ Zorro kratzte sich das Kinn. Was brachte das Wissen? Laut Franky waren sie tot und nicht mehr imstande sie aufzusuchen. Dann hatte der Koch eben eine kranke Familie. Zorro reichte ihn zu kennen, zu wissen, wie er war. × × „Hast du vom Vorfall in Ferrara gehört?“, fragte Vivi zwischen den Bissen ihren Vater während ihre Augen allerdings auf Nami ruhten. Das erste gemeinsame Abendessen seit einer Weile und Vivi hatte sich irgendwie darauf gefreut. Ein entspanntes Beisammensein. Stattdessen herrschte allerdings eine gedrückte Stimmung. Ihr Vater war früher nach Hause gekommen, aber stimmte ihn irgendetwas nachdenklich. Er aß beunruhigend still, hatte generell wenig gesprochen. Gegenüber saß Nami und stocherte lustlos in ihrem Fisch herum, von dem sie nicht einmal probiert hatte. Bei ihr allerdings konnte Vivi das Problem ausmachen, bei ihrem Vater nicht. „Eine undichte Gasleistung wird vermutet.“ „Vermutlich eine schlechte Instandhaltung.“ Mehr und mehr festigte sich Vivis Gefühl. Etwas war vorgefallen, etwas Größeres. Vielleicht fragte sie lieber nach, worüber sich ihr Vater den Kopf zerbrach. Entweder wich er aus oder sie erhielt einen knappen Überblick. „Entschuldigt mich“, warf Nami ein, „er lässt nicht locker.“ Vivi beobachtete wie Nami missgelaunt aufstand, das Handy zur Hand nahm und mit äußerst grimmiger Begrüßung den Anruf entgegennahm. Kopfschüttelnd wartete Vivi bis Nami aus dem Zimmer war, ehe sie sich gänzlich ihrem Vater zuwandte. „Was ist geschehen?“ Sein merkwürdiges Verhalten musste hinterfragt werden. Schon lange nicht mehr hatte sie ihren Vater so gesehen und das allein beunruhigte Vivi ungemein. „Ferrara ist es nicht!“, versuchte sie zu scherzen und schluckte schwer, als sie eine kleine Reaktion wahrnahm. Hätte sie ihn nicht angesehen, wäre ihr die kurze Veränderung nie aufgefallen. „Vater?“ Kobra führte das Weinglas an seine Lippen. „Mach dir keine Sorgen, Vivi. Ich bin bloß müde. Morgen geht es mir besser, versprochen.“ Er wich aus und Vivi erhielt ihre Bestätigung. Bei normalen Problemen, privat oder auf seine Position bezogen, gab er immer einen kleinen, aber ausreichenden Überblick. In diesem Fall wich er gänzlich aus und so beschäftigte ihn durchaus etwas, sehr sogar. Bevor Vivi ihren Vater auf den Zahn fühlen konnte, hörte sie plötzlich Namis lauter werdende Stimme. Ein Tobsuchtsanfall stand vor der Tür und wer diesen abbekam konnte Vivi noch nicht wirklich heraushören. „Hört sich nach schlechten Neuigkeiten an – übrigens ich habe Nami gefragt, ob sie Robin mal einlädt.“ „Okay?“ „Wäre ideal um einen netten, jungen Mann mitzubringen.“ „Paps, lass gut sein! Du lenkst ab, funktioniert nicht.“ Natürlich war das ein weiterer, kläglicher Versuch herauszufinden, ob sie einen Freund hatte, aber momentan wollte er einfach das Thema wechseln und darauf sprang sie nicht an. „Darf ich mir keine Sorgen machen? Umgekehrt wärst du längst an die Decke gesprungen!“ „Weil ich dein Vater bin! Väter dürfen das“, witzelte er gelöster. „Auch ich darf einfach müde sein.“ Damit schien für ihn alles geklärt und ab da würde Vivi auf Granit beißen. Dann blickte er zur Tür und lächelte leicht. „Alles in Ordnung?“ „Vergo“, gab Nami zähneknirschend zu verstehen und setzte sich wieder. „Fragt bitte nicht.“ Ertappt grinste Vivi. Schlau wurde sie wohl nie aus ihnen. Weder aus ihrem Vater, noch aus Namis Beziehung zu ihrem, die tatsächlich einer Achterbahnfahrt glich. „Und, Nami? Schon mit Robin gesprochen?“ „Was ist dir eigentlich über die Leber gelaufen?“, gab Nami ihrerseits zu verstehen. „Ich bin eine gute Zuhörerin, ihr könnt mir beide von euren Problemen erzählen.“ Beide tauschten einen vielsagenden Blick untereinander aus, lächelten ihr anschließend entschuldigend entgegen und aßen. „Ernsthaft?“ × × „Und Robin?“ Momentan sah Zorro in ihr den wohl kompliziertesten Punkt. Klang hart, aber niemand interessierte sich für den Zustand der beiden Männer. Niemand, der ihnen sehr nahe stand und keinen blassen Schimmer von ihrem Doppelleben hatte. Unweigerlich dachte er an Nami. Tauchte Robin eine Weile, ohne gröbere Gründe, unter oder schlimmer, sah sie die Blessuren – Zorro verstand in welcher Zwickmühle sich Robin befand. „Mit Schmerzen kann sie umgehen, aber-“ „Ihre Beziehung ist in Gefahr.“ Franky nickte ihm zu. „Ihre Verfassung braucht eine verdammt gute Ausrede!“ Und das sagte ausgerechnet er. „Bei der wir ihr behilflich sein müssen!“ Zorro hob den Kopf, erblickte Kalifa, die mit noch nassem Haar das Wohnzimmer betrat und alle Aufmerksamkeit auf sich zog. „Sie schläft endlich. Kann nicht sagen, wann ich sie das letzte Mal so gesehen habe!“ Dabei warf sie Zorro einen leicht grimmigen Blick zu. Sich räuspernd verschränkte Zorro die Arme. „Wenn Robin ein Mann wäre – und halt einfach den Mund, Kalifa! – könnten wir sagen, wir hätten uns geschlägert. Oder geboxt.“ „Oh bitte!“, stöhnte Kalifa genervt. „Selbst als Mann wäre Robin kultivierter!“ „Kommt auf die Situation an! Oder wir waren unterwegs und sind von Idioten angepöbelt worden“, brummte Franky. „Habt ihr eine bessere Idee? Ernsthaft. Ich bin nie in dieser Situation gewesen!“ Hastig gestikulierte er mit Armen und Beinen und Zorro konnte bloß nicken. Für solche Ratschläge war auch er der falsche Mann. „Wir machen’s plump. Wie ich euch gesagt habe, habe ich eine Woche Urlaub und fliege nach Spanien. Ihr wisst, die Heimat besuchen, alte Freunde treffen und sich daran erinnern, warum ich Venedig liebe.“ „Warum fliegst du dann überhaupt hin?“, hinterfragte Kaku verwirrt, was Kalifa einfach unkommentiert abwinkte. „Inwiefern hilft deine Reise?“ Zorro kratzte sich nachdenklich am Nacken. Wenn sie in den Urlaub reiste, dann half Robin das kaum weiter. Immerhin blieb sie zurück und da schoss es ihm. „Oh! Sie soll mit! Aber warum?“ „Du hast mitgedacht. Schön!“, lächelte die Blonde sacht, klatschte vergnügt in die Hände, woraufhin Franky merklich zuckte. „Robin wird mich begleiten. Offiziell. Inoffiziell kann sie bei dir bleiben und sich ausruhen oder, oder sie kommt tatsächlich mit.“ „Weil du Flugangst hast und sie deine Hand halten muss?“ Skeptisch blickte Franky durch die Runde. „Wäre furchtbar!“, kommentierte Kaku belustigt. „Hat sie der Kleinen einen Grund genannt?“, wurde Zorro gefragt, der verneinend den Kopf schüttelte. „Perfekt. Nehmen wir an, ich habe davon erfahren, dass ein Freund oder von mir aus ein erfundenes Familienmitglied gestorben ist. Vollkommen überfordert, habe ich sie regelrecht überfallen. Robin ist meine allerteuerste Freundin, natürlich brauche ich sie in den schweren Stunden an meiner Seite. Eine Kurzschlussreaktion. Ein Last-Minute-Flug und Robin sitzt mit mir in Barcelona fest.“ „Und Robin hat sich breitschlagen lassen und nie daran gedacht, ihrer Freundin Bescheid zu geben? Wirklich?“, brummte Franky vollkommen abgeneigt. „Dann hab ich halt ihr Handy geklaut und mein Gott, zur Not entschuldige ich mich dafür, weil ich Robin nicht die Möglichkeit gegeben habe, es ihr zu erklären.“ „Sollte sie lieber sagen, Kalifa hätte sie entführt. Ist realistischer“, trällerte Franky provokant. „Ich hab wenigstens eine halbwegs brauchbare Idee!“, zischte sie dem Mann entgegen. „Eine bescheuerte!“ „Stimmt. Eine Schlägerei ist wesentlich besser!“ „Auf jeden Fall realistischer! Als ob Robin wortlos in ein Flugzeug steigt!“ „Recht hat er“, kommentierte Zorro zustimmend. „Soweit ich weiß, hat ihr Robin immer abgesagt und Bescheid gegeben, wo sie unterwegs ist.“ Obwohl er gegen den Lebensstil der vier war, ihn ganz und gar nicht teilte, wusste er um ihre Gefühle. In der Bar bekam Zorro sehr viel mit, er besaß eine hervorragende Beobachtungsgabe. Namis Nähe hatte Robin verändert. „Soll das klappen, dann müssen realistische – wirklich realistische – Vorschläge her.“ „Warum tust du das?“, warf Kalifa neugierig ein. „Du hast erfahren, was wir nebenbei machen und die Kleine ist mit dir befreundet. Warum hilfst du?“ Drei Augenpaare ruhten forschend auf ihm, aber Unbehagen fühlte Zorro nicht. Im Grunde eine berechtigte Frage, immerhin galt seine Loyalität in erster Linie anderen, aber gleichzeitig fühlte er sich schuldig. „Ihr habt mir geholfen.“ Seine Schultern zuckten und er blickte wieder zur Karavelle. „Ihr habt euch in Gefahr gebracht. Für Bonney. Ihr alle.“ Weil er keine Chance hatte, hatte er Franky um Hilfe gebeten. Niemand hatte sie gezwungen, sie hätten nichts tun können, sich einfach raushalten. Stattdessen reisten sie hinterher und befreiten Bonney. „Nami ist meine Freundin und im Notfall stehe ich immer hinter ihr. Keine Ahnung was sich Robin dabei denkt. Irgendwann wird Nami hinter das Geheimnis kommen. Und es kotzt mich an, dass ich ungewollt hinein gezogen worden bin und die Klappe halten muss. Nicht direkt euretwegen. Ob ihr mich tötet ist mir gleich. Bonney ist in Sicherheit. Aber“, und dabei deutete er zur Decke hoch, „liebt Nami diese Frau und ich fühle mich schuldig. Ich hab Franky angerufen und ihr seid hinterher. Ich bin euch dankbar, versteht ihr? Und dementsprechend stehe ich in eurer Schuld. Lasst mich auf diese Weise helfen. Ein einziges Mal. Ansonsten möchte ich nichts mit euren Leben am Hut haben!“ „Autounfall“, meinte Kaku plötzlich, ohne auf das vorher Gesagte einzugehen. „Was? Wir stehen ohne Ideen da und sieh dich an, Franky, du siehst scheiße aus.“ „Ignorier ihn“, lächelte Kalifa auf Zorro verdutzten Blick hin. „Mich hat lediglich interessiert, was dich antreibt uns zu helfen. Und keine Sorge, wir haben nicht vor dich näher in unser Leben einzubinden.“ „Gratisgetränke reichen mir. War ja ein Freundschaftsdienst“, witzelte nun Franky und bei dem Stichwort stöhnte Zorro auf. Das gab Probleme. Eigentlich sollte er längst hinter dem Tresen stehen. Als ob Franky verstand, klopfte er ihm aufmunternd auf die Schulter. „Keine Sorge, hab Bruno angerufen. Nach dem Abschied und so, da dachte ich schon, dass das kommt.“ „Bruno ist eingeweiht“, bemerkte Kaku, „somit musst du dir um heute Abend keine Gedanken machen.“ Ungläubig schüttelte Zorro seinen Kopf, der allmählich unangenehm stach. Plötzlich stand er wirklich in einer vollkommen neuen Welt. Einer unbekannten, die erschreckend nahe neben seiner gewandelt war. Dagegen kam ihm Ace, Ruffys Bruder, den sie selten zu Gesicht bekamen, fast schon unschuldig rüber. „Autounfall, richtig?“, nahm er somit Kakus Vorschlag wieder auf, bevor ihm diese Gedanken zu sehr einnahmen. „Stellt sich die Frage, was ihr getrieben habt?“ „Damit ich mir eine Predigt anhören kann, dass ich Robin fast umgebracht habe? Soll lieber Kalifa den Buhmann spielen!“ „Du bist ein toller Freund! Der Vorschlag ist jedenfalls besser als deiner“, giftete Kalifa. „Gröbere Autounfälle werden gerne publik gemacht“, gab Franky zu verstehen, „und zudem sehen wir eher nach einer Schlägerei aus – was ja passiert ist – und nicht nach einem Kuss mit dem Laternenpfahl!“ Missmutig stieß er laut seinen Atem aus. „Und warum zum Teufel waren wir überhaupt außerhalb der Stadt unterwegs?! Wir brauchen eine lückenlose Geschichte und kein Märchen!“ „Schon, aber habt ihr die Schlagzeilen übersehen? Alle sprechen über den Brand in Ferrara! Euer Unfall ist halt untergegangen.“ „Und zu den Gesichtsverletzungen – Airbag! Der Dreck kann dich im schlimmsten Fall mehr verletzen als der Unfall selbst!“, erklärte Kaku grinsend. „Ein Grund wäre hilfreich. Immerhin hat Robin kurzfristig abgesagt. Nami kann ich anschließend anrufen. Oder habt ihr ihre Nummer?“ Ob das funktionierte, bezweifelte Zorro, aber hielten sie, und hierbei handelte es sich wahrhaft um die einzige Ausnahme, zusammen, dann würde Nami weniger Fragen stellen. Für Bonneys Rettung war er Robin einfach etwas schuldig. „Okay“, stieß Franky seufzend aus. „Abgesehen von der Wahrheit, gibt es weitere Vorschläge? Ansonsten konzentrieren wir uns wohl oder übel auf einen Autounfall … super.“ × × „Hey. Hoffentlich habt euch die Bäuche nicht mit Blödsinn vollgestopft!“, rief Sanji, der sich vollgepackt durch die Tür schlängelte. Irgendwie schlüpfte er aus seinen Schuhen und steuerte schnurstracks auf die Küche zu. „Hallo?“ Im Wohnzimmer hatte er durchaus den Lichtschein erkannt, also musste jemand zu Hause sein. Als Sanji den Schalter in der Küche betätigte, blieb er jedoch ruckartig stehen und konnte gerade noch die Einkäufe halten. Geschockt klappte sein Mund auf. Sein Reich glich einem Schlachtfeld. „Sanji!“, wurde er brüllend von einem Tobsuchtsanfall abgelenkt und zusätzlich fast zu Boden gerissen, als ihm der Übeltäter aus dem Nichts heraus auf den Rücken sprang. „Da bist du endlich. Ich bin am Verhungern!“, jammerte Ruffy übertrieben. Der Klammergriff festigte sich, der Kopf wurde nach vorne gestreckt. „Ist da Fleisch drin? Ich brauche Fleisch!“ „Runter!“, knurrte der Koch wütend, schüttelte den anderen grob ab. Erbost stellte er die Tüten auf der Arbeitsfläche ab. „Erklär mir lieber diese Sauerei!“ Dabei warf Sanji einen vielsagenden Blick über seine rechte Schulter – er duldete keine billige Ausrede. „Ich hab Hunger bekommen und sonst macht mir ja Bonney eine Kleinigkeit“, gestand Ruffy, das wusste Sanji, wahrheitsgetreu. Deshalb hatte er eigentlich Kochverbot, eben weil er nur eine Sauerei zurückließ und die Lebensmittel dementsprechend auch gern vergeudete. „Warum bist du nicht um die Ecke und hast dir Essen geholt?“ „Weil ich zu schwach war. Ich hab nichts Ordentliches gegessen!“ Sanji musste mehrmals tief durchatmen. Manchmal glaubte er vielmehr, er kümmerte sich um ein Kind, als um einen erwachsenen Mann. „Hast du Bonney gesehen?“ „Ich komme gerade von der Arbeit – was ist los?“ „Sie reagiert weder auf Anrufe noch Nachrichten.“ „Vielleicht ist sie einfach beschäftigt. Mach mir eher Sorgen um den Grünschädel. War heut schon um fünf außer Haus.“ „Den ganzen Tag? Hab sie gestern beim Essen das letzte Mal gesehen!“ Skeptisch hielt Sanji mit dem Ausräumen inne. Zorro hatte er ebenfalls seit dem Essen nicht mehr gesehen. Wenn er darüber nachdachte, dann … Sanji lachte. Nie im Leben. Als ob ein gemeinsamer Grund dahinter lag und sich Bonney auf ihn einließ. „Mach dir keinen Kopf. Bonney hat bestimmt eine Verabredung und hat auf alles andere vergessen.“ Und der Spinatschädel musste wohl einfach früher raus. Darauf hoffte Sanji. Kapitel 35: L'addio. -------------------- Abschied 1. Dezember 2012 Zorro war hundemüde als er kurz nach Mitternacht nach Hause kam. Ins Bett, war alles voran er dachte, aber das Gefühl sagte ihm, dass das nicht so funktionierte, wie er es sich wünschte. Immerhin stand ein harter Brocken noch bevor und zu allem Überfluss brannte Licht. Dabei hatte er gerade erst das Telefonat mit Nami hinter sich gebracht (und verdammt, sie war fuchsteufelswild!), ihr eine glatte Lüge aufgetischt und Zorro fühlte sich miserabel. Er deckte gerade einen Pack Mörder. Mörder, die er leider mochte und diese Mörder hatten jene Frau gerettet, die er liebte. Deshalb hielt sich Zorro gerne aus allem raus. Einmischen kostete Nerven. Brummend ließ er den Kopf hängen, massierte die pochenden Schläfen. Statt besser wurde es schlimmer. Einfach ins Bett und später, mit klarem Kopf an die Sache rangehen. „Hey!“ Oder auch nicht. „Bist früh dran.“ Zorro blickte auf, erkannte Sanji, der taxierend im Türrahmen lehnte. Eine nicht angezündete Kippe im Mundwinkel. Zorro schwante Übles. Schweigend starrten sie sich eine Weile an, ehe Zorro einen tiefen Seufzer ausstieß und sich langsam der Winterjacke entledigte. „Wir müssen reden.“ Wow. Den abgedroschenen Satz kannte Zorro lediglich aus dem Fernsehen. Nun benutzte er ihn. Lang hatte er, auch mit den anderen, überlegt, wofür er sich entschied. Bonney wollte die Sorgen in Grenzen halten, also musste Zorro ihre Entscheidung akzeptieren und ins kalte Wasser springen. „Du hast sicher Hunger – Ruffy schläft, also sei ruhig.“ Damit stieß er sich ab. Zorros Mundwinkel zuckten matt. Als ob sie von einem Kind sprachen. Leider führte sich ihr Freund gerne auf, als wäre er noch jünger. Schlief er, so konnte Zorro ein ruhiges Gespräch führen, was ihm momentan wesentlich lieber war. Träge folgte er dem Koch in die Küche, warf dabei einen kurzen Blick auf Ruffys Zimmertür. Ja, ohne den Hitzkopf war es bestimmt besser. „Wo steckt sie?“, fragte Sanji sogleich während er sich an den Herd stellte. Zorro hingegen schritt schnurstracks zum Kühlschrank, er brauchte ein Bier, obgleich es ihm vermutlich wieder nicht so recht schmeckte. Dennoch war Bier ein Balsam. Leicht verzog er das Gesicht, als Zorro der Inhalt des Topfes ins Auge stach. Cremesuppe. Er mochte keine. Jeden Winter dasselbe. Laut Sanji die perfekte Vorspeise um den Körper aufzuwärmen. Und Zorro aß sie immer wieder, entweder aus reiner Höflichkeit oder wie in diesem Fall, um keinen Streit vom Zaun zu brechen (oder weil ihm Sanji schon mal gedroht hatte, er würde ihm nichts mehr kochen). Eher lugte er zum Ofen, das Essen darin interessierte ihn vielmehr und sein Magen knurrte. Verrückt. Tagsüber hatte er kaum einen Bissen zu sich genommen und plötzlich rumorte sein Magen. Entweder hatte er enormen Hunger oder sein Magen rebellierte gegen die kommende Unterhaltung. Vielleicht eine Mischung aus beidem. „Bonney ist … Bonney hat die Stadt verlassen … also für eine Weile“, brachte Zorro irgendwie hervor und während er einen Schluck trank, beobachtete er jede einzelne Reaktion. Erwartungsgemäß hielt Sanji inne, brauchte ein paar Sekunden eher er sich entgeistert umdrehte. „Braucht ein wenig Abstand oder so. Kennst sie ja, hat oft genug davon gesprochen. Nicht?“ Der Versuch es lachend, einfach locker rüberzubringen, scheiterte kläglich. Vermutlich hatte er sich wie ein Irrer angehört. „Ist heute aufgewacht und hat sich gedacht, sie haut ab? Einfach so?“ Wütend griff Sanji in seine Hosentasche, holte das Feuerzeug hervor. Zorro fragte sich, wie lang er sich das Anzünden verkniffen hatte. „Mach das Fenster auf.“ Bonney zu liebe, rauchte Sanji selten in der Wohnung. Wenn, dann eben in der Küche oder auf seinem Zimmer. „Können wir nicht ändern.“ Ohne nachzudenken folgte er. Jetzt, da er nur das dünne Shirt trug und die Anspannung verschwunden war, spürte Zorro die kühle Nachtluft deutlicher. Der Winter stand bevor. „Und dir hat sie Bescheid gegeben? Dir allein?“ Ein berechtigter Einwand. Leider hatte man Bonney das Handy abgenommen. Schreiben oder gar anrufen funktionierte nicht. War Zorro ehrlich, dann war die Ausrede, die sie sich für Robin ausgedacht hatten, wesentlich durchdachter – hätte er den Mund lieber nicht allzu voll genommen. „Anscheinend?“ Bei Nami hatte er besser gelogen, war dem Plan gefolgt. Warum wohnte er mit dem Idioten zusammen? Am Telefon ging ein Gespräch überraschend leicht von den Lippen. „Wir brauchen uns keine Sorgen machen. Sie kommt wieder.“ Der Holzlöffel brach entzwei, als Sanji ihn wütend gegen die Kante schlug. So viel zum Thema leise sein um Ruffy nicht aufzuwecken und das Chaos perfekt zu machen. Vorwürfe waren allerdings unangebracht. „Du bist ein jämmerlicher Lügner!“ „Bonney ist gegangen, find dich damit ab!“ In dem Punkt log Zorro eben nicht und er war derjenige, der sie einfach hatte gehen lassen, ohne andere Option in Erwägung zu ziehen. Hatten andere überhaupt existiert? Vielleicht. Warum sonst fühlte sich das Richtige so falsch an? „Verdammt, nenn einen Grund! Hat sie Probleme? Wir helfen ihr!“ „Wir sind ihr keine Hilfe!“, knurrte Zorro verbissen, frustriert über seine eigenen Worte. „Denkst du, mir gefällt das? Wir sind nutzlos. Momentan ist die Stadt zu gefährlich – ihr geht’s gut, okay? Ist beschissen gelaufen, aber ihr geht’s gut.“ Wo auch immer. Bonney hatte selbst keine Information erhalten und Franky hielt den Zielort auch vor ihm unter Verschluss. Reine Vorsichtsmaßnahme. „Wie oft haben wir ihre verrückte Ader belächtet? Geglaubt, sie hat einen an der Klatsche, wenn sie von ihrem Verfolgungswahn gesprochen hat? Wer sollte ausgerechnet ihr auflauern?“ Immer und immer wieder. Bis ein Satz alles verändert hatte. Und plötzlich vergaß Zorro die Abmachung, sprach sich in Rage. „Wir haben versagt, haben es einfach ignoriert. Jetzt ist alles aus dem Runder gelaufen und sie ist fort, andere passen auf sie auf. Irgendwann hat sich alles beruhigt und Bonney wird zurückkehren!“ Das hatte sie versprochen und darauf vertraute er. Sanji warf den Stummel einfach aus dem Fenster während sein Blick durchdringend auf Zorro ruhte. „Scheiße!“ Ungläubig schüttelte der Blonde den Kopf, zündete die nächste Zigarette an. Immer wieder schüttelte er den Kopf. Woran zum Teufel dachte er? Lachend blies er den Rauch aus. „Du bist verknallt!“ Zorro verkrampfte, der Kiefer stach hervor. Und wenn schon! Was zur Hölle hatten seine Gefühle mit ihrem Abgang zu tun? „Hast du zugehört? Sie ist weg!“ „Und du kennst die Gründe und bist – für deine bescheidenen Verhältnisse – verdammt emotional! Spuck’s aus, auf deine Lügerei habe ich keinen Bock! Du magst verknallt sein und bildest dir wohl mehr darauf ein, aber zu deiner Info: Wir sind ihre Freunde und haben ein Recht auf die Wahrheit!“ Keinen Streit vom Zaun brechen. Wie immer, wenn Zorro sich vornahm ruhig zu bleiben, brachte ihn dieser Idiot auf die Palme. „Tut mir leid, dass sich Bonney bei mir gemeldet hat und nicht bei dir!“, platzte es aus ihm heraus und knallte die Bierflasche auf die Anrichte. „Sei froh, dass du nicht die Wahrheit kennst. Bonney ist in Sicherheit und kehrt sie eines Tages zurück, dann klärt sie euch auf. Finde dich damit ab!“ Unbewusst kroch eine unsagbare Wut hoch. Auf Bonneys langes Schweigen. Auf seine Untätigkeit. Seine Schwäche. Auf Sanji. Auf die Tatsache, dass der Koch aus einer abgefuckten Familie stammte. Nie ein Wort über seine Brüder verloren hatte, die ebenfalls hinter Bonney her waren und die ihre Rettung beinahe verhindert hatten. „Erwartest also wir drehen Däumchen und vergessen sie?“, brüllte Sanji und schritt bedrohlich näher. „Wenn du schon das Maul halten willst, dann lern das auch! Ist nicht mein Problem, dass sie dich hat abblitzen lassen oder dass du was wusstest und zu dumm warst, ihr beizustehen!“ Da riss der Faden und aus einem Reflex heraus, noch bevor er einen Gedanken fasste, schlug Zorro zu und traf den anderen seitlich im Gesicht, wodurch Sanji perplex zurück torkelte und schmerzhaft aufstöhnte. Die Zigarette fiel zu Boden. Viel hatte sich, besonders in den letzten Stunden, aufgestaut und der Koch gab plötzlich das perfekte Ventil ab. Schnell atmete Zorro und bevor er die Zeit bekam die Genugtuung auszukosten, spürte er bereits das Bein des anderen, das seine Rippen in Mitleidenschaft zog. So waren sie. Der eine ließ seine Fäuste sprechen, der andere benutzte ausschließlich seine Beine. Wutverzerrt starrte sie einander nieder, gingen in Position, denn Zorro war klar, dass das anders nicht mehr zu regeln war. Jetzt, wo beide Blut geleckt hatten, wo sich in beiden die Wut angestaut hatte. Unverständlicherweise grinste Sanji, dessen Wange gerötet war. Ein bisschen tiefer oder zur Seite und er hätte eine aufgeplatzte Lippe oder eine gebrochene Nase. „Reden ist dir eindeutig zu hoch, was? Weißt nicht weiter, lässt du deine Muckis spielen. Echt jämmerlich.“ „Was macht dich besser? Trittst sofort zurück. Aber was wundere ich mich. Liegt dir ja im Blut, deine Sippe macht ja vor nichts Halt“, ließ sich Zorro hinreißen, obwohl er diesen Punkt tunlichst totschweigen wollte. Das Grinsen wich, machte einem äußerst betroffenem Ausdruck Platz, als ob Zorro bereits den nächsten Treffer gelandet hätte und er wusste, was er damit herauf beschwor. „Wiederhol das!“, presste Sanji zähneknirschend hervor. „Vergiss es.“ Der Drang, Sanji die Seele aus dem Leib zu prügeln, verschwand plötzlich, wurde Zorro eben bewusst, welche Türe er geöffnet hatte. Beschwichtigend sanken seine Arme und als er zum Herd blickte, grinste Zorro schief. Perfekt. „Der Topf geht über.“ Hastig drehte sich Sanji, fluchte laut. Auf das Essen vergaß Sanji eigentlich nie. „Bonney verschwindet, gibt nur dir Bescheid. Redest von unserem Versagen. Du bist vor fünf Uhr aus dem Haus. Bist früh zurück. Schneidest ein Thema an, von dem du keine Ahnung hast“, zischte der Koch während er die Platten sauber machte. „Du bist eingeweiht, in was auch immer – so viel zum Thema Freundschaft.“ Gekränkt stellte Sanji den Topf, zusammen mit einem Teller, auf den Tisch und Zorro bereitete sich bereits auf die nächste Runde vor. Stattdessen würdigte ihn Sanji keines Blickes und ging. Einfach so und Zorro blieb irritiert zurück. Wann hatte der Blonde je eine Chance ausgelassen, um ihn die Leviten zu lesen? Da wusste Zorro – er hatte Scheiße gebaut. × × Schimpfend stapfte Sanji den Kanal entlang. Frische Luft. Ein paar Minuten an der frischen Luft, die ein oder andere Zigarette. So ging der erste Gefühlsschub meist rasch vorbei und er fasste wieder klarere Gedanken – im Normalfall. Warum hatte er den Dreckskerl nicht einfach windelweich getreten! Sanji kochte vor Wut, selbst das Nikotin verlor seine lindernde Wirkung. Was war los mit seinen Freunden? Sanji vergötterte Frauen, tolerierte fast alles, aber dieses Mal konnte er nicht stumm akzeptieren. Denn war Zorro eingeweiht und hielt ihnen die Wahrheit vor. Zudem schnitt er eine Thematik an, von der der andere nichts wissen durfte. Nie hatte Sanji von seiner eigentlichen Familie erzählt. Lediglich von Pflegefamilien. Die Wahrheit hatte er tief in sich vergraben. Also konnte jemand wie Zorro unmöglich an die notwendigen Informationen kommen, zumal er nie einen Fuß auf französischem Boden hatte. Fröstelnd zog Sanji den Schal enger. Entweder hatte jemand Sanji erkannt oder … allein der Gedanke, an das mögliche Szenario, löste einen beklemmenden Druck in seiner Brust aus, führte zu einem krampfhaften Ziehen des Magens. Plötzlich verblasste seine Wut, denn jene Erkenntnis traf in härter, als ein Schlag es je könnte. Hielt sich seine Familie in der Venedig auf? Wild klopfte sein Herz. „Hey!“ Sanji schreckte hoch. „Gehst du Bonney suchen? Da verschwendest du bloß deine Zeit.“ Ruffy näherte sich und bei genauer Betrachtung erkannte Sanji das schwere Atmen, sein Gesicht zeichnete einen leichten Schweißfilm ab. „Was hast du getrieben?“, fragte Sanji verwirrt. „Konnte nicht schlafen. Hab mir die Beine vertreten.“ „Seit wann schleichst du dich raus?“ Die gesamte Zeit über hatte Sanji das Wohnzimmer nicht verlassen. Die Wohnungstüre hätte er definitiv gehört. „Durchs Fenster. Will euch nicht aufwecken und hält mich fit.“ Automatisch schoss Sanjis Augenbraue in die Höhe. Ruffy und Feingefühl? Passte nicht gerade zusammen. Niemand stören. Derselbe, der morgens wie ein Irrer nach Essen brüllte, stieg also durchs Fenster, um niemanden aufzuwecken? Als ob. „Schon klar.“ Nein, er zweifelte an dessen Erklärung und auf eine Diskussion war Sanji nicht aus. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war Ruffy durch das Fenster, um heimlich nach ihr zu sehen. Immerhin hatten sie darüber gesprochen, dass Sorgen unnötig waren. Nun war Ruffys Gefühl bestätigt worden. „Hör mal – Bonney unternimmt einen Trip. Art Urlaub oder so. Bleibt eine Weile fort.“ Sichtlich entglitten – und solche Sekunden konnte Sanji an einer Hand abzählen – dem anderen sämtliche Gesichtszüge. „Kennst sie ja. Ein Wirbelwind lässt sich nicht halten.“ Verletzt wich Ruffy aus, blickte zu Boden und Sanji schluckte. „Oh. Okay.“ Eine Weile schwiegen beide. Dann holte Ruffy tief Luft, hob den Kopf an und grinste verdächtig zufrieden – er spielte. „Du hast Recht behalten. Ein Glück.“ Er schob die Hände in die Jackentasche, wippte unschlüssig. „Zorro hat heut frei. Komischer Tag. Was soll’s.“ „Ist schon eine Weile zu Hause.“ Bevor Sanji nachfragen konnte, ob er etwas brauchte, rückte Ruffy ihm eine Spur zu aufdringlich auf den Leib. „Was soll das!“ Als er nicht locker ließ, drückte Sanji den anderen unsanft von sich. „Was hast du da gemacht?“, hinterfragte Ruffy und deutete auf seine eigene Wange. „Ach das. Kleine Meinungsverschiedenheit, reg dich nicht auf.“ „Mit wem?“ „Ist unwichtig, okay? Na los, gehen wir rein. Ich mach dir eine Kleinigkeit.“ „Bei Bonney ist alles in Ordnung … also dreh ich noch eine Runde. Nacht!“ Unschlüssig sah Sanji hinterher, sagte aber nichts. Ruffy brauchte wohl Freiraum. × × Zum Glück hatte er den Tag zum Ausschlafen. Sein Kopf dröhnte immer mehr und Zorro hoffte auf ein rasches Einschlafen. Einfach abschalten und später über den nervenreibenden Gedanken brüten. Erneut massierte er die Schläfen. So beschissen hatte sich Zorro lange nicht gefühlt. Zuerst hatte er dem SUV keine Beachtung geschenkt. Dann war Franky ausgestiegen. Ein stummes Nicken. Das Warten war vorbei. Erleichterung kam jedoch erst in jener Sekunde auf – Franky hatte deutliche Blessuren davon getragen – in der er Bonney erkannte und lediglich ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf: Unversehrt. Je länger Zorro sie betrachtete desto bewusster wurde es ihm. Bonney fehlte nichts. Nichts! Und sie war hier. Bei ihm. „Ciao“, murmelte Zorro nach gefühlter Ewigkeit. Plump, doch eine bessere Begrüßung fiel ihm nicht ein, sein Kopf war einfach leergefegt. Einzig und allein vernahm er sein Herz. Verrückt, wann hatte er das letzte Mal ein solches Herzklopfen gefühlt? Verdammt, das war er nicht! Aufgeregt atmete Zorro, obwohl er abgeklärt wirken wollte, so wie man ihn kannte. Sein Herz hörte nicht und wollte sich vehement durchsetzen. „Ciao?“ Gewieft grinste Bonney, schüttelte verspielt den Kopf. „Idiot!“ Ehe Zorro in der Lage war sich zu rühren, stand Bonney bereits dicht vor ihm, schob die Arme in seinen Nacken und presste ihren Körper fest an seinen. Zorro schluckte. Neben dem Widerstand und der angenehmen Wärme, die davon ausging, registrierte er das unangenehme Kitzeln des Haares, aber mehr noch nahm Zorro der süßliche Duft ein, den er so mochte und sein Herz – er hasste das – noch schneller zum Schlagen brachte. Unbewusst atmete er tiefer ein. Und er gab nach. Gab endlich nach und schlang die Arme um Bonney während er das Gesicht in ihrem Haar vergrub. „Es tut mir leid“, schluchzte sie gegen seinen Hals und Zorro spürte das Zittern – sie weinte. Vermutlich suchte ihn die Erinnerung in Zukunft heim. In erster Linie war Bonney für ihre fröhliche und leicht durchgeknallte Art bekannt. Zudem wusste sie stets, was sie wollte und nebenbei hatte sie es faustdick hinter den Ohren. Manchmal war sie traurig, tief in ihre Welt versunken, aber das Weinen … das Weinen war neu. Vollkommen unbekannt und doch verständlich. Immerhin hatte sie eine Rettung ausgeschlossen, sich gar mit ihrem Schicksal abgefunden. Solche Gefühlsausbrüche überforderten Zorro. Unfähig in paar Worte über seine Lippen zu bringen, hatte er sie einfach schweigend gehalten und abgewartet. „Als ob sie dein Untertauchen beruhigt. Ohne Nachricht“, spottete Zorro und demonstrativ verschränkte er die Arme. Natürlich durften ihre Freunde nicht die gesamte Wahrheit erfahren. Nur brauchte es einen hilfreichen Anhaltspunkt, warum Bonney über Nacht einfach verschwand. „Ruffy geht an die Decke! Du kennst ihn.“ „Willst du ihnen etwa alles unter die Nase reiben? Ruffy dreht erst recht durch!“ Ermüdet fuhr sie sich durchs Haar. „Vom Abhauen hab ich oft genug gesprochen. Ob du mitspielst oder den Unwissenden gibst, überlasse ich dir, aber mir wäre wohler, wenn sie rausgehalten werden.“ Er schnaubte. „Tut mir leid.“ „Hab mich irgendwie selbst in die Lage manövriert. Andererseits bist du wohlbehalten rausgekommen.“ Hätte er sich nicht auf seine Weise eingemischt, dann hätte er Bonney verloren. Hätte sich stets gefragt, wo Bonney steckte. Für sich akzeptierte Zorro den Umstand – irgendwann. Leider trat der Fall bei ihren Freunden ein. „Ist kompliziert, aber warum verabschiedest du dich nicht auch von ihnen?“ Wenigstens eine knappe Erklärung. Besser als wortlos abzuhauen. „Weil unser Treffen schon riskant genug ist und wer weiß, ob das überhaupt einen Sinn macht. Du bist eingeweiht und glaub mir, ich bin mehr als glücklich darüber, dass du dich eingemischt hast.“ Während sie jeden Blickkontakt vermied, legte sich ihre Hand ungewohnt und zaghaft auf seine Brust. „Deine Stimme wollte ich hören. Für den Fall der Fälle. Deshalb mein Anruf und dann lässt du mich retten.“ „Sei froh“, grinste er schief, nicht wissend, was er sonst sagen oder tun sollte. „Ich will dich nicht verlassen“, murmelte Bonney, gerade laut genug, damit er sie hörte und lehnte vollends gegen ihn, „und weil ich immer in Angst gelebt habe, habe ich meine Gefühle ignoriert. Ziemlich bescheuert.“ Der Plan schien simpel. Ihre Freunde so gut es ging zu beruhigen. Ihnen einfach eine Auszeit verdeutlichen. Stattdessen hatte Zorro sich unnötig provozieren lassen, hatte dummerweise das Falsche gesagt. Wie immer, wenn er mit dem Koch stritt, trat diese unüberlegte Ader hervor. Bei anderen horchte er kaum hin oder gab einen abfälligen Kommentar ab und fertig. Sogar bei Ruffy funktionierte seine Masche, aber nein, bei Sanji geriet selbst ein banaler Streit rasch außer Kontrolle. Zwar weniger mit Taten, aber brüllten sie sich oft genug an. In dem Fall hatte er einmal mehr ganze Arbeit geleistet und vermutlich wartete die Quittung bereits. Erfuhr Bonney, oder gar Franky, vom Ausrutscher … da durfte sich Zorro eine Standpauke anhören. Bonney. Ob Zorro sich je daran gewöhnen würde? Das leere Zimmer. Zu dritt wohnen. Sie weder sehen noch hören. „Du musst wirklich los.“ Franky stand räuspernd bei ihnen. Die Zeit war gekommen. Natürlich. Das Treffen war waghalsig und verminderte den Vorsprung. Andererseits, suchte der Kerl tatsächlich in Venedig nach ihr? „Okay. Ist wohl besser so.“ Bonney nickte ihm zu, wich aber keinen Zentimeter. Unschlüssig biss sie sich auf die Lippe, hob den Kopf und sah Zorro an. „Halt die Ohren steif!“, lachte sie gequält. Wieder kam ihm vor, als ob das Herz einen Schlag aussetzte und automatisch, ohne nachzudenken, umfassten seine Hände ihr Gesicht. Ein Wimpernschlag eines austauschenden Blickes bis sich ihre Lippen berührten und Bonney sich an seine Jacke klammerte. Für ihn war der Kuss ungewohnt anders. Weder fordernd noch animalisch, wie er es bei seinen Sexabenteuern handhabte. Stattdessen gefühlvoll, geprägt von Sehnsucht und vor allem Traurigkeit. Er schmeckte schließlich Salz, spürte die verräterischen Tränen auf seiner eigenen Haut. Er hasste die Liebe. Zorro schlug das Auge auf. Es klopfte und in dieser Wohnung lebte nur einer, der halbwegs Manieren besaß und Privatsphäre respektierte. Bis zu einem Grad. Beim siebenten Mal fragte sich Zorro bereits, wie lange das Holz noch hielt, denn mittlerweile drosch der Koch förmlich dagegen. Da wollte er wohl sicher gehen, gehört zu werden. „Beweg dein Arsch rein oder hau ab!“, keifte Zorro. Aufstehen würde er nicht. Immerhin suchte der andere das Gespräch, worauf Zorro liebend gern verzichtete. Die Tür knarzte leise und ohne Vorwarnung wurde das Licht angemacht, weswegen Zorro knurrend das Gesicht unter seinem Arm verbarg. „War klar. Du bist wieder der, der seelenruhig pennt“, spottete der Blonde. „In der Zwischenzeit durfte ich Ruffy die Nachricht überbringen. Er hat gar nicht geschlafen. Ist durch die Stadt gejagt, leider ohne Erfolg.“ Reichlich spät um an sein Gewissen zu appellieren. Es plagte Zorro seit Stunden. Was der Vorfall auslöste, war ihm rasch bewusst geworden. Und was das für Ruffy bedeutete, brauchte ihm niemand zu erklären. Jeder trug seine Päckchen und Ruffy zeigte, warum auch immer, manchmal Verlustängste. Freunde kamen zuerst und er suchte ihre Nähe. Er hasste Meinungsverschiedenheiten. Nun war ausgerechnet eine seiner wertvollsten Bezugspersonen einfach abgehauen. Zorro respektierte Ruffy. Mehr als er je bereit wäre öffentlich zuzugeben. Ruffy war der Freund geworden, den er nie haben wollte und anfangs mochte er den Bengel überhaupt nicht. Weder seine übertrieben gutgelaunte Art noch seine Einstellung nie locker zu lassen. Und irgendwann entstand dann doch diese recht merkwürdige Freundschaft. Ihre Charaktere waren zu verschieden während sie in anderen Aspekten fast perfekt harmonierten. Neben Sanji stieß schließlich Bonney hinzu. Erneut hatte Zorro festgestellt, wie rasch Ruffy Freunde machte, Vertrauen fasste. Zorro wiederum wahrte die Distanz, blieb lange skeptisch. Vertrauen und Loyalität mussten sich erarbeitet werden. Bonney hatte sich zu einer weiteren Konstanze entwickelt, für Ruffy besonders wichtig. Natürlich würde dieser darunter leiden. Die Zeit brauchen, um sich daran zu gewöhnen. „Ist schwer, aber er wird klar kommen“, murmelte Zorro – überleben, weil Ruffy sich zu arrangieren wusste, obgleich das Loslassen definitiv zu den Schwächen des jüngeren zählte. Als eine Antwort ausblieb, holte Zorro tief Luft und streckte den Arm aus, wodurch er den Blonden erspähte, der bestimmt nicht wegen Ruffy hier war. Jedenfalls nicht allein deswegen. „Scusi. Vorhin … vergiss meine Worte einfach. Hab Mist verzapft.“ Vermutlich sinnlos, doch einen Versuch war es wert. „Du verheimlichst wichtige Details. Bonney steckt in Schwierigkeiten, in ziemlich großen. Bislang hat sie stundelang Panik geschoben. Abgehauen ist sie nie. Bis jetzt.“ Auffällig sah Sanji sich um. „Also, was erwartet ihr? Brav nicken und weitermachen? Zudem stell ich mir automatisch die Frage, was Bonney angestellt hat.“ „Nichts Illegales, versprochen. Vom Gesetz her ist alles in Ordnung.“ „Klasse“, gab Sanji angesäuert zu verstehen. „Null Vertrauen, was?“ „Schwachsinn.“ Zorro setzte sich auf. „Ist halt eine beschissene Situation und sie hat ihre Entscheidung getroffen. Wir müssen sie respektieren.“ „Du hast dich nie für andere interessiert. Machst was du willst, lebst vor dich her. Hab ich sie angesprochen, hat sie abgeblockt, sogar Ruffy ist nie durchgedrungen und siehe da. Dich lässt sie ran und wir stehen vor einem Haufen Fragen. Ist nicht gerade fair von euch.“ Sanji grinste schief. „Wir arrangieren uns halt, kein Thema, dann solltest du dich allerdings aus meinen Angelegenheiten raushalten und aufhören in meinem Leben herumzuwühlen. Das geht dich einen Scheißdreck an.“ „Freiwillig habe ich mich nicht mit dir beschäftigt und eigentlich interessiert’s mich überhaupt nicht. Leider sitzt das Problem tiefer.“ Verachtend schnaubte der Blonde. Seine Familiengeschichte musste ihn beschäftigen, sonst würde er nie und nimmer so reagieren, sofort daran denken. Immerhin hätte er über jede seiner angeblichen Pflegefamilien reden können, aber Zorro war sich sicher, Sanji hatte sofort verstanden. „Tiefer!“, spottete Sanji. „Hast meine Abstammung herausgefunden und was? Dir darauf eine Meinung gebildet, ohne genauere Hintergründe zu kennen? Gratuliere!“ „Lass gut sein.“ „Soll ich deine Vergangenheit durchleuchten?“ Sanji wurde laut, ließ seiner Wut freien Lauf. „Ich höre nicht auf. Nicht solange es um mein Leben geht. Ja, ich komme aus einer brisanten Familie, und hey, ich bin früh genug abgehauen. Du fängst damit an und ich muss kuschen, weil dir das Thema zu unangenehm ist. Schon mal darüber nachgedacht, dass dich das nichts angeht? Wer hat’s dir überhaupt gesteckt?“ „Deine Brüder sind ein Teilgrund, warum Bonney fort ist“, gab Zorro nach, da er Sanjis Misere durchaus verstand und nachvollzog. Niemand wollte mit dem konfrontiert werden. Vor allem nachdem es über Jahre geheim gehalten wurde. „Bonney sollte von ihnen, sagen wir … entführt werden.“ War definitiv nicht Zorros bester Tag, denn er hielt normalerweise dicht, plauderte nie ungewollt Details aus. Neugierig blickte er zum Blonden, der geschockt stillhielt. „Sanji?“ Dieser reagierte nicht auf ihn sondern taumelte schließlich drei Schritte zurück, bis er an der Wand lehnte und langsam zu Boden glitt. Ab jetzt hatte Zorro keinen blassen Schimmer, was er unternehmen sollte. Für Sanji, der allem Anschein nach eine Abneigung gegenüber seiner Familie empfand, musste sich deren Anwesenheit wie ein Schlag anfühlen. „Wo sind sie?“, fragte der Blonde nach einer Weile benommen. Unbewusst griff er in seine Hosentasche. In seinem Zimmer war Zorro strikt gegen das Rauchen, aber irgendwie konnte und wollte er keinen provozierenden Kommentar ablassen. Und als ob es Sanji bewusst wurde, hob dieser Kopf, hielt eine Zigarette hoch. „Darf ich?“ Zorro nickte. Jeder hatte sein eigenes Mittel. Er hätte sich Alkohol geschnappt. Sanji rauchte. Ruffy kam mit Essen runter. Bonney auch, aber meist explodierte sie kurz und war wieder beruhigter. „Wo sind sie?“, wiederholte Sanji nach dem ersten Zug, wirkte wesentlich klarer (Zorro fragte lieber nicht, wie viel er schon geraucht hatte). „Nicht in Venedig.“ „Sind sie tot?“ Sanji neigte den Kopf, starrte ihn förmlich nieder. „Ist eine berechtigte Frage.“ „Ja. Tut mir … leid?“ Leid tat es Zorro sicher nicht. „Wer hat sich um sie gekümmert?“ „Unwichtig und in dem Fall musst du bitte aufgeben.“ Und das Bitte fiel ihm schwer. Sanji nickte, schien noch zu verdauen. „Bonney ist Jahre nicht nur vor einem Mann sondern auch ihrer eigenen Familie geflohen. Der Grund ist auch mir unbekannt. Letzte Nacht sind sie ihr nach und alles ist ins Rollen gekommen. Deine Brüder sollten sie – im Auftrag der Familie – mitnehmen. Ein Bekannter hat Freunde, und die kümmern sich um solche Zwischenfälle. Die drei sollen ordentliche Schwierigkeiten gemacht haben.“ „Verständlich“, murmelte der Blonde und sprang auf. „Bei der Ausbildung … die können nur Probleme bereiten.“ Das Fenster wurde geöffnet, er schnippte die Zigarette. Zorro beobachtete ihn schweigend, aber verwirrt. „Ich war der Außenseiter, mehr oder weniger der Gute – klingt bescheuert, was?“ Mit dem Rücken lehnte er an die Fensterbank. „Früh begann unsere Ausbildung. Taktik. Kämpfen. Töten. Meine Brüder lebten dafür, verloren sämtliches Mitgefühl. Das Ziel anvisieren und das Notwendige tun. Gefühle waren Schwäche. Vater tolerierte keine Schwäche … Maman – sie war so anders. Die Ausbildung … ich verabscheute sie. Ich versagte, sie baute mich auf. Unterstützte meine Liebe zum Kochen – ich fragte mich immer, was sie an diesem Tyrann fand und ob sie verstand, was er da tat.“ Unwillkürlich verhärteten sich Sanjis Züge. „Sie erlag der Krankheit und ihr Tod veränderte alles. Mein Vater wurde unnachgiebiger. Und während einer Übung, bei der ich auf ganzer Linie versagte, hatten mich meine Brüder halbtot geprügelt. Noch heute höre ich ihr verhöhnendes Lachen.“ „Irgendwann hast du dich also abgekoppelt“, stellte Zorro starr fest. „Versagen war für meinen Vater das Schlimmste. Er wollte mich loswerden, aber das eigene Kind töten? Nein. Vermutlich hatte er sich etliche Male den Kopf darüber zerbrochen, was er mit mir tun sollte. Die Entscheidung nahm ich ihm ab. Bin einfach getürmt. Waren harte Zeiten.“ Das Fenster wurde geschlossen. „Das ist die Eisbergspitze. Verstehst du, warum ich darüber kein Wort verliere und lieber erzähle, ich sei ein Waisenkind?“ Zorro nickte und realisierte, was Franky gemeint hatte. Sein Umfeld wurde in ein vollkommen neues Licht gerückt. Von einem Tag auf den nächsten. „Fehlt noch Ruffy“, scherzte Zorro. „Also bleibst du ohne Leiche im Keller?“ „Tote Freundin und Versagen. Ihr wisst Bescheid.“ Über sein Leben hatte er nie eine Lüge erzählt. Das Erlebnis, das sein Leben veränderte, war seinen Freunden bekannt. „Tu mir einen Gefallen und-“ „Ich halte den Mund. Versprochen. Dafür bleibt Bonneys Problem unter uns.“ „Einverstanden – nur solltest du am Lügen arbeiten.“ „Werde ich nicht. Ist eine Ausnahme.“ Von jetzt an wollte sich Zorro aus allem heraushalten. Wurden die Themen nicht angesprochen, würde er kein Problem damit haben. Und selbst wenn, das Schlimmste hatte er hinter sich gebracht. „Übrigens … ich weiß, du darfst nicht darüber reden, wer meine Brüder aus dem Weg geräumt hat – was ich verstehe, ich komme aus so einer Familie“, begann der andere und Zorro wurde misstrauisch, „aber ich hoffe, sie haben ihre Spuren verwischt? Wirklich verwischt?“ „Warum?“ Irgendwie missfiel Zorro der Ton. „Ich habe noch eine Schwester“, gestand Sanji zögernd. „Sie ist älter und genauso gefährlich. Findet sie eine Spur … wer weiß, was dann kommt.“ „Was?!“ Fassungslos taxierte er den Blonden. Kapitel 36: Fantasticheria. --------------------------- Hirngespinst 3. Dezember 2012 Knapp nach sieben Uhr. Bald schon starteten die Aufräumarbeiten. Das alte Gemäuer war vollkommen ineinander gestürzt und obwohl das Feuer längst gelöscht war, stieg der unliebsame Geruch, eine Mischung aus Rauch und Verbranntem, der sich festgesetzt hatte, in die Nase. Gerne hätte sie diese gerümpft, aber hielt sie dem Verlangen stand. Sakazukis Männer starrten auch so schon recht fragend über ihre Anwesenheit. Hier war sie die Unbekannte, und da die Arbeiter erst kamen, fiel sie umso mehr auf. Als der Rundgang beendet wurde, flatterte das Herz aufgeregt. Einerseits war dies dem Vorfall geschuldet, der sie eben nicht kalt ließ und die Frage aufwarf, wer ihnen in die Quere gekommen war. Andererseits musste sie den Verlust verarbeiten, und der Anblick des Ortes, der ihr die Brüder nahm … manchmal, still und heimlich, hatte sie sich ihren Tod gewünscht, aber so? Aus dem Nichts heraus, einfach so? Querelen hin oder her – am Ende blieb Familie eben Familie. „Und, Reiju?“ Nichtssagend blickte sie auf. Katakuri Charlotte hatte aufgeschlossen und aufgrund seiner Größe, die die zwei Meter überschritt, musste sie den Kopf weit in den Nacken geben, was das längere nach oben Schauen meist unangenehm gestaltete. Kaum jemand beherrschte sein Äußeres, wie er es tat. Niemand wusste, was geschehen musste, um ihn vollkommen aus der Reserve zu locken. Wie immer vermummte ein Schal sein halbes Gesicht und gab kaum Rückschlüsse auf sein Befinden. Würde Reiju den Mann nicht kennen, so würde sie noch eher meinen einen ausgeglichenen Kerl vor sich zu haben, dem war aber nicht – der Schein trog. Er war alles andere als amüsiert. Und natürlich suchte Katakuri nach einer Erklärung, einer verdammt guten sogar, denn – davon war Reiju fest überzeugt – wurmte ihn das Versagen sehr. Wie in ihrer, war auch in seiner Welt das Scheitern ein Novum. Sämtliche Vorhaben und Aufträge wurden mit Perfektion erledigt … bis jetzt. „Drei Szenarien“, sagte Reiju bedacht, während ihr Blick prüfend zur Auffahrt huschte, wo Sakazuki höchstpersönlich einschüchternde Befehle erteilte. „Alte, defekte Leitungen, die zu einem natürlichen Unfall führten. Dritte hatten dieselbe Vorgangsweise. Oder meine Brüder wurden von Anfang an hinters Licht geführt.“ Letzteres auszusprechen, war Reiju schwer gefallen. Immerhin sprach sie mit einem Charlotte, dem Charlotte hinter Linlin, aber hatte er nach ihrer Meinung gefragt, und diese Option gehörte eben dazu, war möglich. Natürlich konnte er ihre Worte anders aufnehmen und dabei an Sakazuki denken. Dem Mann traute Reiju alles zu, um nicht vollkommen einknicken zu müssen. Sie selbst tippte auf das zweite Szenario. Leider stellte es ihre Familie umso schlechter dar. Noch nie hatte ihnen jemand die Tour vermasselt und ihre Brüder hatten so manche Kaliber zu Fall gebracht, ohne je gröbere Verletzungen davon getragen zu haben. Was oder wer es auch war, Reiju würde es herausfinden. Deshalb war sie hier, um sich einen ersten Überblick zu verschaffen, der das weitere Vorgehen beeinflusste. Sofern sie überhaupt einen Hinweis fand, denn ohne dürfte der nächste Misserfolg anstehen. „Vorsicht, Reiju. Zweifelst du an meinen Absichten, stellst du uns alle in Frage. Mama eingeschlossen.“ So sicher, wie es ihr möglich war, lächelte Reiju. „Ich zählte lediglich auf, was ich mir denke. Was möglich ist.“ Niemand musste sie daran erinnern, was ein falsches Wort auslöste. Charlottes Missgunst kostete Leben und da ihre Brüder auf ganzer Linie versagt hatten, standen ihre Karten schlecht genug. „Seien wir ehrlich … jemand ist uns zuvor gekommen, hat den besseren Plan gehabt. Eine gut ausgebildete Gruppe mit demselben Ziel …“ „Meine Schwester?“ „Ihre Leiche ist die einzige, die fehlt.“ Alle waren geborgen worden – ihre Brüder, Sakazukis Männer, gefunden und identifiziert. Wobei neuerlich bewusst wurde, welchen Einfluss sowohl Sakazuki als auch die Charlottes besaßen. Ichiji, Niji und Yonji schienen in herkömmlichen Datenbanken nicht auf. Dementsprechend tappte Sakazuki weiter im Dunklen, was die Identität der Vinsmoke-Brüder anbelangte. Und daran sollte sich nichts ändern. Nicht solange sie hier war. Hingegen blieb Bonney Charlotte verschwunden, obwohl eine kleine Chance noch bestand. Schließlich starteten die eigentlichen Aufräumarbeiten und unter den Trümmern konnte noch die letzte Leiche versteckt liegen, die bislang wohl einfach übersehen wurde. „Sofern ihr Körper nicht gefunden wird, gehe ich davon aus, dass sie von den uns Unbekannten mitgenommen wurde.“ Woher allerdings das unerwartete Interesse kam, verstand Reiju nicht. Nach Jahren wollte die Familie sie zurück und plötzlich tauchte eine weitere Gruppierung auf, die es auf sie absah? Aus heiterem Himmel? „Ja, eine andere Erklärung erschließt sich mir nicht. Sakazuki sagt jedenfalls die Wahrheit. Er weiß, was passieren kann, wenn er uns einfach so hierher kommen lässt.“ „Irgendwelche Anhaltspunkte?“ Schwach neigte Katakuri den Kopf. „Blackbeard“, sprach er nach einer Weile fest überzeugt. „Er treibt seit einer Weile sein Unwesen und wildert auf fremdem Gebiet. Laut Sakazukis Schergen vergnügte sie sich gerne mit Barges, einem seiner engsten Vertrauten. Vielleicht haben sie ihre Herkunft herausgefunden, verwenden sie als Trumpf.“ Passend, aber hegte Reiju Zweifel. Das Gesagte, zusammen mit dem spurlosen Verschwinden, passte nicht in das Gesamtbild, das sich Reiju gemacht hatte. Warum wartete dieser ominöse Blackbeard, wenn er überhaupt ein Interesse an Bonney Charlotte hatte, bis zum letzten Moment? Warum schlug er ausgerechnet in jener Nacht zu, in der sie gefasst wurde, statt Tage oder gar Wochen zuvor, wo sich niemand um sie scherte? Hatte er abgewartet um herauszufinden, wie wichtig sie der Familie war? In erster Linie irritierte Reiju die Stille rund um Charlottes Tochter. Wenn sie bloß einen weiteren Hinweis fanden – auch hinsichtlich ihrer Brüder! Sie wollte ihnen auf die Spur kommen. Erfahren wer ihr die Brüder genommen hatte und welcher Grund hinter all dem steckte. „Gehen wir“, meinte Katakuri plötzlich und fragend schaute Reiju auf. „Bist du sicher?“, fragte Reiju stirnrunzelnd, als sie die nächste Brücke überquerten. Venedig besuchte sie zum ersten Mal, und das unfreiwillig. Immerhin stand diese – für sie – trostlose, jedoch von Schaulustigen überrannte, Stadt auf keiner Liste. Reiju hegte ein reges Desinteresse. Allerdings nahm sie überraschend zur Kenntnis, dass von dem Trubel, der überall angeprangert wurde, nichts zu sehen war. Vielleicht verscheuchte die kalte Jahreszeit, und das Wetter war ungut, selbst hartgesottene Touristenscharen. Reiju war’s recht. So kamen sie schnell voran. „Hey, Katakuri!“, erhob sie neuerlich das Wort, immerhin trottete der Mann schweigsam weiter, ohne je auf eine Frage geantwortet zu haben – wenigstens kannte er sich aus. „Woher deine Ungeduld? Wir sind gleich da.“ Irritiert hob Reiju ihre Augenbraue. Aus Katakuri schlau werden, war eine eigene Kunst. „Barges treibt sich gern in Spelunken herum. Dabei hat er zwei Favoriten“, führte er schlussendlich zur Verwunderung aus, da er wohl den bohrenden Blick spürte. Oder nervte ihn ihre Fragerei einfach und er gab nach? „Mit der Information kennst du mit Sicherheit auch Blackbeards Aufenthaltsort. Warum statten wir ihm keinen Besuch ab?“ Vermutete er jenen Mann, und sah sich Katakuri in der Position des Stärkeren, dann verschwendeten sie unnötig Zeit. Ein Abstecher, ein kurzes Gespräch und fertig. „Bei unserem Glück taucht er nicht auf.“ Katakuri lachte. „Dann fragen wir. Glaub mir, so etwas spricht sich rasch rum und regt zum Nachdenken an!“ Dann hielt er an und Reiju blickte abwertend die Fassade empor, las das Schild: Bruno’s. × × Beunruhigt starrte der Bürgermeister seinen vertrauenswürdigsten Männern entgegen. Der Brand hatte sofort ein flaues Gefühl ausgelöst, das die Ankunft der Charlotte-Brut verschlimmert und in ein nervenaufreibendes Brodeln verwandelt hatte. Natürlich hausten die verschiedensten Gruppierungen in seiner Stadt, aber meist waren ihre Aktivitäten überschaubar, für die Bewohner ungefährlich. Wenn ein Zusammenprall stattfand, dann in abgelegenen Gegenden oder zur Gänze außerhalb. Aber womit hatte er es hierbei zu tun? „Habt ihr keinerlei Anhaltspunkte?“ Chaka und Peruh blickten erst einander an, dann den Bürgermeister, der auf positive Antwort hoffte. Immerhin stand die Sicherheit der Stadt auf dem Spiel, wenn ein solches Kaliber auftauchte. Die Charlotte-Familie führte gerne Machtkriege. „Nein. Katakuri reiste Freitag an, blieb das gesamte Wochenende über in Ferrara. Erst seit heute Mittag ist er, zusammen mit einer uns unbekannten Frau, in Venedig“, erklärte Chaka. „Laut den Kameras ist sie gestern Abend gelandet, aber einen Namen haben wir noch nicht. Am Ende ist sie wohl eine seiner Schwestern. Allerdings scheint der Name Charlotte auf keiner Liste auf." „Was mich alles andere als beruhigt.“ Chaka verzog griesgrämig das Gesicht. „Irgendetwas ist im Busch“, gab Peruh zu bedenken, „Was, wenn der Brand gar kein Unfall war?“ Kobra hatte selbst daran gedacht, schließlich kannte er den Eigentümer gut genug, um zu wissen, in welchen Kreisen er verkehrte. Zudem kam die Charlotte-Familie hinzu, was seinem Gemüt keine Linderung bescherte. Bisher waren sie von ihnen verschont geblieben. Den Umstand wollte Kobra beibehalten. „Haltet die Augen offen. Vielleicht haben wir Glück und die Sache bereinigt sich von alleine.“ „Und handelt es sich um die Ruhe vor dem Sturm?“, fragte Peruh. Kobra lehnte zurück. Ja, was dann? × × Brummend legte Franky seine Hand an die Rippen. Als ob das kaltnasse Wetter nicht ausreichend war, um seine Laune zu trüben, so rebellierten seine Rippen im Dauertakt, bei jedem Schritt, dafür wurden die Schmerzen im Schulterbereich überschattet. Gründe, warum er das Wochenende keinen Schritt vor die Tür gesetzt hatte. Zwei Tage zwischen high sein und schlafen. So geschunden war sein Körper lange nicht mehr gewesen, und das Nachbeben war wohl seinem Alter geschuldet. Natürlich fühlte Franky sich alles andere als alt, aber sein Körper zeigte rascher Grenzen auf, erforderte eine längere Regeneration. Auch wenn Verletzungen dieser Art nie von einem Tag auf den nächsten heilten, die Müdigkeit mochte nicht vergehen. Vor ein paar Jahren noch hatte eine ordentliche Portion Schlaf ausgereicht und er war topfit, da klopfte die Vierzig klopfte gehörig an. Wenigstens hatte er nicht arbeiten müssen. Eisberg als Verbündeten zu haben, war alles, das er brauchte. Ihm musste kein Bär aufgebunden werden, er hielt sich bedeckt und Pläne zeichnete Franky lieber daheim, ungestört. Darauf würde er sich die kommende Woche konzentrieren. Kaku war da anders, brauchte den Alltag umso mehr. Bei den Kollegen würde er garantiert einen Unfall andeuten und Scherze machen. Kaku gehörte zu denen, bei denen nie ein schlechter Gedanke aufkam. Dem alles abgekauft wurde, eben weil er einer der nettesten und hilfsbereitesten Menschen war. Seine Maske saß. Normalerweise dauerte der Fußmarsch zum gewünschten Ziel keine zwanzig Minuten, war ohne Boot und gröbere Umwege erreichbar. An diesem Nachmittag jedoch, da zog sich der Weg sehr. Franky ertappte sich sogar bei dem Gedanken einfach umzudrehen und sich im Bett zu verkriechen, aber musste ein mögliches Problem abgeklärt werden. Eines, das er zwei Tage vor sich her geschoben hatte, und so erschien es als passend, es noch heute hinter sich zu bringen. Persönlich, nicht am Telefon. Vielleicht schmiedeten sie sogar einen Plan – für den Fall der Fälle. Als er dann endlich da war, knurrte Franky leise, als die Rippen neuerlich zwickten. Wenigstens kamen direkte Konfrontationen nur noch selten vor. Vor zehn Jahren noch hatte er anders gedacht und agiert, sich liebend gern in eine Schlägerei geworfen, sich durchgekämpft. Manchmal aus Spaß, manchmal um Zeit einzusparen – eine Zeit, die weit hinter ihm lag, der er das durchdachte Vorgehen vorzog. Holprig nahm er die vier Stufen ehe er ungeniert die Tür aufschloss und eintrat. Jeder hatte einen Schlüssel der anderen, sollte eines Tages die Situation aufkommen, das Beweise vernichten werden mussten. Wenn er auf Besuch kam und Robin ihn erwartete, und sie wirklich alleine war, nahm er selbstverständlich immer den Ersatzschlüssel. Heute hoffte er darauf, dass sie so im Bett liegen blieb und Robin nicht extra seinetwegen aufstehen musste – reines Wunschdenken, er kannte seine Freundin und er bezweifelte, dass sie sich an die verordnete Bettruhe hielt. Gestern Abend hatte sie kurz miteinander geschrieben, laut ihren Worten hatte sich der Zustand ein wenig gebessert. Was Robin auch immer darunter verstand. Als sie Samstag nach Hause ging, da hatte sie noch ziemlich angeschlagen ausgesehen. Irgendwer, und dabei verdächtiger er komischerweise einen gewissen Barkeeper, hatte Nami die Adresse seines Hauses gezwitschert. Und wie erwartet, hatte er sich eine Standpauke anhören dürfen. Auf den ersten Blick hin war der Plan wohl aufgegangen, Nami hatte allem Anschein nach die Ausrede geschluckt. War wünschenswert, aber vielleicht war sie auch einfach besorgt gewesen. Robin hatte es einfach am Schlimmsten erwischt. Da Nami noch arbeitete und anscheinend erst am späteren Abend vorbei kam, hatten sie für eine längere Unterhaltung noch genügend Zeit, denn Nami wollte er lieber aus dem Weg gehen. Das vorlaute Gör, wie er Nami liebevoll in Gedanken genannt hatte, hatte es faustdick hinter den Ohren und hatte das geschafft, woran etliche Schlägertypen scheiterten – Franky Angst einzujagen (und das beeindruckte ihn!). Schon am Samstagvormittag, obwohl er mit dem Ausschlafen gerechnet hatte, hatte Zorro angerufen (natürlich ohne ein Wort über einen etwaigen Besuch zu verlieren) und ihm von dem möglichen Problem berichtet. Einer Information, der er noch neutral gegenübergestanden war – Schmerzmittel waren eine Wohltat. Außerdem hatte Kalifa nichts von einem Spielverderber erzählt und die Frau hatte fast alles im Blick gehabt. Wenn Franky also etwas aus der Ruhe gebracht hatte, dann Zorros Plappern. Geheimnisse wahren stand an oberster Stelle. Vorfälle jeglicher Art gehörten feinsten unter den Teppich gekehrt. Beweise vernichtet. Stillschweigen. Mehrmals hatte Zorro jedoch beteuert, dass das der einzige seiner Ausrutscher war und Sanji Wort hielt. Daran glaubte Franky sogar, nachdem Zorro vom Gespräch erzählt und allen voran, was Sanji alles mitgemacht hatte. Zudem, das musste er eingestehen, spielte ihnen das Wissen in die Karten. Einfach Augen offen halten, sich bedeckt verhalten und abwarten. Daran waren sie alle gewöhnt. „Robin?“, rief Franky schließlich als er den Flur entlang ging. Bei der Antwort, sie befände sich im Arbeitszimmer, musste er unweigerlich den Kopf schütteln. Sein Verdacht bestätigte sich, kaum blieb sie unbeobachtet, schon ignorierte sie ärztliche Anweisungen. Die Moralpredigt würde er allerdings auslassen. Robin hörte selten genug auf ihn und wenn sie meinte, ihr Körper ist halbwegs fit, dann hatte er sowieso keine Chance. Da musste er sie schon gewaltsam ins Bett befördern. „Was treibst du?“ Robin saß an ihrem Schreibtisch, hob leicht den Kopf, um ihn über den Bildschirm hinweg anzusehen. „Oh, nettes Farbenspiel“, kicherte er und deutete auf seine linke Wange, um auch deutlich zu machen, worauf er anspielte. Robin ignorierte seine Worte, was hatte er sich auch erwartet? „Mich informieren. Kalifa hat mir alles über die Vinsmoke-Familie herausgesucht, was sie hat finden können.“ Fit und ausgeruht sah anders aus. Zwar erkannte er eine Besserung, aber war die Müdigkeit offensichtlich. Wahrscheinlich spielten ihr eventuelle Schmerzen mit. Robin hasste Arzneien. „Tüchtig, sitzt du schon den ganzen Tag dran?“, versuchte er mehr über ihr Befinden herauszufinden. Mit einer Recherche hatte er allerdings gerechnet. Robin wollte stets bestmöglich informiert sein. Anhand dieser resultierte das weitere Vorgehen. Ungern überließ sie etwas dem Zufall, deshalb war ihre Quote bemerkenswert. „Ehrlich gesagt, nein“, meinte sie lediglich, aber er glaubte etwas von Schlaf noch aufgeschnappt zu haben. Als ob es schlimm war, wenn sie es aussprach und sich eingestand kein Übermensch zu sein. Jeder hatte eine Grenze und Robin wurde von dem Typen ordentlich in die Mangel genommen. Als er neben sie getreten war, lehnte sich Franky an die Tischkante, erspähte die geöffnete Datei. Wieder einmal bewies auch Kalifa ihre bemerkenswerten Fertigkeiten. Manchmal fragte sich Franky, woher sie ihre Informationen nahm. Irgendwie fand Kalifa alles, selbst von Personen, die eigentlich in keiner Datenbank der Welt auftauchen wollten. Neben den beiden fühlte er sich manchmal schlecht, obwohl er selbst jeden Auftrag abschloss. „Das Alter nagt an dir“, scherzte Robin und lehnte zurück. Ihr blieb nichts verborgen und so grinste er breit. „Sechs Jahre vergehen verdammt schnell, Robin, auch du wirst nicht jünger.“ Den Kommentar nahm er mit Humor, sie sprach bloß aus, was er sich dachte. Leider. „Erzähl, ist mit Nami alles in Ordnung?“ Beim Gehen hatte sie sich noch bei ihm bedankt, seither war das Thema kein einziges Mal aufgekommen. Franky würde lügen, würde es ihn nicht brennend interessieren. Schätzen war alles, das er konnte und das mochte er nicht. Da Robin schweigend zu ihm aufsah und der Ausdruck keine Information ergab, wurde seine Neugierde noch mehr angestachelt. Wenn er sich schon den Kopf über einen Ausweg zerbrochen hatte, dann sollte es nicht umsonst gewesen sein! „Spann mich nicht auf die Folter“, jammerte er fast schon. Ein leichtes Schulterzucken, ein weiteres Abwarten. Entweder tat Robin das mit Absicht oder sie hatte keinen blassen Schimmer, was sie ihm sagen sollte. „Kann ich schwer sagen“, antwortete Robin schlussendlich und das Gesagte bereitete ihm Sorgen. Ihre Antwort konnte mehrfach ausgelegt werden, aber, dachte er an all die Jahre zurück, trafen Robins Einschätzung zu neunundneunzig Prozent ins Schwarze. Fast beängstigend. Sichtlich nachdenkend schlossen sich ihre Augen. „Einerseits wirkt Nami als hätte sie euch den Unfall abgekauft, als hätte sie dich als Sündenbock akzeptiert.“ Unbeholfen grinste Franky. Rasch hatte er, obwohl er zu Beginn strikt dagegen gewesen war, um nicht vollkommen in Ungunst zu verfallen, den Part des Schuldigen übernommen. Da er genauso mitgenommen ausgesehen und sich Kaku rechtzeitig aus dem Staub gemacht hatte, war er sowieso die einzig richtige Wahl gewesen. Kaum jemand schaffte es Franky einzuschüchtern. Im Gegenteil, bei seinen Mitmenschen löste seine Statur das Gefühl aus. Nami hatte das geschafft, hatte ihm tatsächlich Angst eingeflößt. Ihre Rage durfte keineswegs unterschätzt werden, das hatte er Samstag gelernt, sie war vollkommen gegen ihn gerichtet gewesen und zwischendurch hatte er sogar mit mindestens einer Ohrfeige gerechnet! „Aber? Macht sie Andeutungen?“ „Ich bin unsicher. Ist mehr ein Gefühl.“ Hörbar atmete Robin aus. „Vielleicht irre ich mich. Bislang bin ich unversehrt zurückgekommen, habe nie Grund zum Zweifel gegeben … glaube ich zumindest.“ Zustimmend nickte er. Bislang existierten keinerlei Hinweise auf ein Doppelleben, zumal Robin nie log, was den Ort anbelangte. Bei ausreichender Vorbereitung kombinierte sie sogar ihre archäologische Tätigkeit. Niemand achtete genauer auf ihre Taten. „Denkst du an Laki?“ Robin schwieg, also dachte sie an die Beziehung zurück. „Sind ein paar Jährchen vergangen. Du hast dich verändert, wir haben uns verändert. Heute überdenken wir unser Handeln weitaus kritischer. Wir springen nicht sofort sondern planen mehr denn je. Freitag war ein Ausrutscher, das hast du selbst gesagt.“ „Ein nächstes Mal darf’s nicht geben, Franky. Wir haben unvorbereitet agiert, aus der Not heraus. Nochmal kommt das nicht vor.“ „Sagst du so leicht“, murmelte er verbissen. Ja, sie hatten Erfahrung gesammelt, waren reifer denn je, was ihre Aufträge betraf. Hinzu kam, und das durfte niemand vergessen, das Quäntchen Glück, das ihnen hold war. Manchmal fanden sie sich, trotz der wochenlangen und peniblen Vorbereitungen, in unvorhergesehenen Situationen. Vielleicht mussten die Vinsmoke als Weckruf angesehen werden. Auch ihr Glück war begrenzt. Spontanität hin oder her. „Franky … ich habe Zweifel. Irgendwann summieren sich selbst Kleinigkeiten. Was dann?“ Vorsichtig legte er seinen Arm auf ihre Schulter, drückte sanft. Die Gefühle waren echt, das hatte er in dem kurzen Moment im Wagen mehr denn je gespürt. Darin sah er das größte Problem. Ohne Gefühle wäre alles längst geklärt oder wenigstens würde sich Robin nicht so den Kopf darüber zerbrechen. „Das ist der Weg, den du gewählt hast. Tut mir leid.“ Mit der Entscheidung war sie ins kalte Wasser gesprungen und hatte sich darauf eingelassen, obwohl Robin der wahrscheinliche Ausgang bekannt war. Für Nami hatte sie die Risiken in Kauf genommen und Franky mochte Nami. Nicht nur vom Charakter her, auch wegen Robin, der die Beziehung gut tat. Mittlerweile war Robin nicht nur ausgeglichener geworden, sie war einfach … glücklich. Da tat es ihm weh, sie so zu sehen. „Du kennst die Antwort, Robin. Entweder lässt du sie gehen oder du genießt die Zeit, bis sie die Wahrheit erfährt und wir wissen beide, wie das enden wird.“ Streichend ließ er von ihr ab und trat ans Fenster. Gerne würde er eine andere Lösung bieten, Robin aufmunternd mitteilen, dass alles gut werden würde. Dem war nicht so. Auf sie wartete kein Happy End. „Ich liebe sie.“ Und er liebte Robin. Auf andere Weise, als Vertraute, als Freundin, als Schwester. Verrückt, denn anfangs hatte er sie verabscheut. Franky hatte nicht gewusst, was er mit einer solchen Partnerin machen sollte. Zu konträr waren ihre Charaktere. Er, der gefühlvolle, gutgelaunte, aber aufbrausende Witzbold und sie das eiskalte und rational denkende Genie – eine furchtbare Kombination. Dann, ohne es zu merken, hatte er Gefallen an ihrer ausgeklügelten Herangehensweise gefunden, an ihrem schwarzen Humor, bis er sie mehr und mehr kennengelernt und herausgefunden hatte, wie Nico Robin wirklich tickte. Ein Leben ohne sie konnte und wollte sich Franky nicht vorstellen. Sie war der wichtigste Mensch in seinem Leben, und allein aus diesem Grund, merkte er immer wieder, wie sehr ihre Probleme, ihre Sorgen auch ihn beschäftigten. „Ich weiß.“ Traurig blickte er auf den Kanal, das Wasser schlug Wellen, als ein Boot vorbeifuhr. Stille. Selbst das Vinsmoke-Problem war vorerst vergessen. × × „Übertreib mal nicht!“, stöhnte Nami gequält. Bevor sie zu Robin aufbrach, hatte Vivi sie zu einem Stadtbummel überredet. Immerhin war die Weihnachtszeit angebrochen und aufgrund der Jahreszeit war sowieso weniger los. Einzig das Wetter wusste nicht zu begeistern. Während sie mit Heißgetränken gegen die Kälte ankämpften, hatte Vivi angefangen, über die letzten Tage zu sinnieren. Bonney hatte es ihr besonders angetan. Auch sie war überrascht gewesen, immerhin hatte sie die andere vor ein paar Tagen erst gesehen und von einem Trip hatte sie kein Wort verloren. Eher schien das Gegenteil der Fall. Und doch … Vivi übertrieb maßlos. „Ach komm, Ruffy mag für dich ein Holzkopf sein – sein Instinkt ist hingegen einwandfrei! Ich vertraue ihm.“ „Vielleicht nimmt sie tatsächlich eine Auszeit? Soll vorkommen.“ „Ohne Vorwarnung?“, plusterte sich Vivi auf. „Nami, du hast ihre Panikattacken nie mitbekommen.“ „Oh, plötzlich redest du von Panikattacken? Vor kurzem hast du sie noch als paranoid abgestempelt.“ Ihre beste Freundin musste eindeutig aufhören. Tauchte Bonney nicht bald auf, würde sie sogar eine Vermisstenanzeige in Erwägung ziehen, so sehr steigerte sie sich in die Angelegenheit hinein. „Nimm lieber die rosarote Brille ab. Ruffy ist eher sauer, weil sie ohne ihn los gezogen ist.“ „Bitte, dann mach du den Anfang.“ Bevor sich Nami zu einem zynischen Kommentar hinreißen ließ, führte sie lieber die Tasse an ihre Lippen, einzig das Augenrollen konnte sie nicht verhindern. Ja, sie war verliebt und ja, hie und da übertrieb sie vielleicht, aber verglich Vivi gerade das Verliebtsein mit Hirngespinsten. Triumphierend grinste Vivi ihr entgegen, als las sie ihre Gedanken, aber blieb Nami stur, dafür begann sie keine Diskussion. Zumal sie jederzeit mit Ruffy kontern würde und das führte, wie die Vergangenheit bereits bewiesen hatte, ins Nichts. Dafür fehlte es diese Tage an Kraft. „Sei ehrlich“, startete Vivi deutlich einen weiteren Versuch, „Freitag war alles eigenartig. Der Brand in Ferrara – Vater ist seither kaum ansprechbar – dann haut Bonney ab. Zufällig hat Zorro an dem Tag frei, niemand wusste davon. Und deine Freundin ist diejenige, die alles getoppt hat. Alles an einem Tag!“ Fester als gewollt, stellte Nami die Tasse ab. „Was willst du mir sagen? Siehst du etwa einen Zusammenhang?“ Bonney bot die beste Voraussetzung, ja verdammt, aber Robin und Kobra, sogar Zorro … das war lächerlich! Kobra hatte kein einziges Mal gesagt, dass das mit Ferrara zusammenhing – natürlich sprach er momentan recht wenig und war länger im Büro, als er einst angedeutet hatte, dennoch. Er war der Bürgermeister und musste seiner Tochter nicht alles erzählen. Und Robin … Robin war eine andere Sache. „Die Villa gehörte einem zwielichtigen Typen. Vielleicht kennt Bonney ihn?“ „Ah ja, und sie hat ihm die Bude abgefackelt, oder worauf möchtest du hinaus?“ Müde von Vivis Fantasien, strich sich Nami eine Strähne hinters Ohr. Bonneys plötzliche Entscheidung zu verschwinden, führte natürlich zu wilden Spekulationen, aber irgendwann musste es einfach akzeptiert werden. Bonney war alt genug. Was es auch war, sie hatte entschieden. „Bisschen viel für einen Tag, findest du nicht?“ Obwohl Vivi maßlos übertrieben hatte, blieb das Gespräch unangenehm hängen. An dem Tag war alles zusammengekommen, das einzeln gesehen, nie und nimmer solche Wellen geschlagen hätte. Schließlich mischte das eigene Gedächtnis mit, das eine ungute Erinnerung wachrief und Nami damit begann das Verschwinden selbst zu hinterfragen (Vivi steckte eindeutig an und das kostete Nerven) – Zorros Nachforschungen, das einen Grund für diese ständige Panikschieberei sein konnte. Aber, und deshalb hatte sie das Thema wohl vergessen, hatte Zorro seither nie wieder ein Wort darüber verloren. Erst im Gehen waren die Gespräche Stück für Stück zurückgekehrt, als sie Vivis ernannte Spinnerei immer und immer wieder durchgegangen war. Hatte der Mann, dessen Name Zorro verschwiegen hatte, etwa zugeschlagen und geschafft, was er erreichen wollte? Der Gedanke löste ein mulmiges Gefühl aus. Vielleicht, so dachte sie, sollte Zorro darauf ansprechen. Wenn etwas Schlimmes vorgefallen war, dann musste sie ebenso eingestehen, welch gutes Gespür Vivi aufwies. Wenigstens in dieser Sache. Bei Kobra spielten bestimmt mehrere Faktoren übel mit und Robins Unfall … „Vielleicht frage ich bei Franky oder Kaku nach. Hab schon von einigen gehört, wie sie ihnen aus der Klemme halfen. Sie haben, warum auch immer, gewisse Kontakte.“ Prompt hielt Nami an. „Franky meint, er findet schon den entscheidenden Punkt. Der kennt echt die richtigen Leute!“ Franky. Vehement schüttelte Nami den Kopf, schob die Vermutung, die aus dem Nichts heraus in ihren Gedanken spukte, sofort wieder beiseite. Ihr Verstand spielte dumme Streiche, eben weil Vivi nicht aufhören wollte und sie eben ansteckend war, wenn sie ihren Fantasien erlag! Franky hatte halt Kontakte und er war Zorros Wunsch nachgegangen. Das hieß noch lange nicht, dass das eingetroffen war oder dass der Autounfall oder Kobras schlechte Laune damit zusammenhing. Oder was sich Vivi sonst noch einbildete. Nami braucht eindeutig Schlaf. Die letzten Tage waren einfach nicht ihre gewesen und manches war unglücklich zusammen gekommen. Punkt. × × „Und was willst du jetzt unternehmen?“ Reiju blieb skeptisch. In der Bar hatte er rumgefragt, aber niemand hatte eine Antwort parat gehabt. Wie erwartet hatte sich der Besuch als reine Zeitverschwendung herausgestellt und Reiju hasste das. Zeit war kostbar und in den Stunden, die sie dort einfach herum gesessen hatten, hätten sie Blackbeard höchstpersönlich aufsuchen können. Katakuri hatte keine Anstalten gemacht in Venedig zu bleiben, so saßen sie mittlerweile wieder im Wagen, der sie zurück nach Ferrara brachte. Missgelaunt blickte sie zu ihm auf. Er saß gelassen, unbeeindruckt da und starrte in die dunkle Nach hinaus. Der Mann wusste sehr wohl, wie er seinem Gegenüber die Geduld nahm. „Wir warten auf seinen Schachzug.“ Fassungslos presste sie die Lippen zu einem schmalen Strich. Abwarten und Tee trinken, eine Taktik, die ihr nicht schmeckte. „Deine Brüder haben versagt, also lebe mit meiner Herangehensweise. Ich habe das Sagen und Alleingänge habe ich noch nie geduldet.“ Kapitel 37: Sete di sangue. --------------------------- Blutdurst 30. Jänner 2013 Blut. „Lass uns gehen, Lucci“, ermahnte die Frau. Sie mochte kein Blut, tötete schnell, präzise, wenn möglich ohne das kostbare Lebenselixier zu vergießen. Er aber liebte es, schon immer. Ohne Wissen, woher das Gefühl rührte, aber strahlte es seit jeher eine Faszination aus, die nie aufhörte. Auf unerklärliche Weise war dieser Durst erwacht und ihn zu stillen, war notwendig. Zwischen jenen Minuten in denen er irgendwo eindrang, zu seinem Opfer voran schritt und anschließend verschwand, geschah etwas. Eine Veränderung, die er selbst miterlebte und die auch seine Partner erkannten. Es war, als ob ein anderer übernahm, ihn führte. Die einzige Zeit in der diese Persönlichkeit daran dachte, sich ins Licht zu rücken. Hatte er ein zeitliches Limit, dann spürte er eine nervöse, aber auch fuchsteufelswilde Ader, die mehr und nicht aufhören wollte. Eine seltsame Weise seines Blutdurstes – eine andere, gefährlichere. Niemand durfte ihm dabei in die Quere kommen. Ein simpler Mord reichte nicht aus, er brauchte mehr. Später, wenn Rob verschwand und das Opfer zurückließ, verschwand auch diese Seite in ihm wieder. Ein ewiges hin und her, dem er nicht entkam. „Von mir aus“, gab der Mann weniger erfreut zurück, „aber entspann dich. In letzter Zeit wirkst du unruhig, nicht bei der Sache.“ „Du irrst dich.“ Kalt warf sie einen Blick zurück, bevor sie das Zimmer endgültig verließ. Er irrte nicht. Etwas an ihr hatte sich verändert, zum Schlechten. Das missfiel ihm, denn es führte unweigerlich zu Problemen. Ihre Schritte verebbten, sie musste an der Treppe sein. Er seufzte. Dieses Mal zwang er sich abzulassen, seiner Partnerin zu folgen. Sie waren noch nicht fertig. Rasch hatte er aufgeschlossen, und sie verschwanden auf demselben Weg, ohne Hinweise auf ihre Anwesenheit zu hinterlassen, auf dem sie gekommen waren. Dabei behielt er auch seine Partnerin stets im Auge. Erneut seufzte er. „Manchmal bist du rätselhafter, als es sonst der Fall ist. Ist dir das bewusst, Nico Robin?“ Vollkommen schlau war er nie aus ihr geworden. In ihr schlummerten zwei Seiten, zwei vollkommen konträre. Wie sie beide ausreichend zufriedenstellte, mit ihnen lebte, das vermochte er nicht zu sagen. Machte sie ihre Arbeit, lag ihm nichts daran, sich unnötige Gedanken zu machen, aber dachte er an ihre subtile Veränderung. Was, wenn sie miteinander rangen? Wer würde gewinnen? Warum tat sich Nico Robin das überhaupt an? „Wie du weißt, war das der leichte Part, der große Brocken liegt erst vor uns. Solltest du abgelenkt sein, dann wäre das der Moment, um dich zurückzuziehen“, setzte er an, als er dicht vor ihr zum Stehen kam. „Emotionen sind eine Fehlerquelle und seit geraumer Zeit wirst du von ihnen geleitet. Was geschehen ist, kann nicht rückgängig gemacht werden. Lass los oder du wirst untergehen.“ „Seit wann erteilst du Ratschläge?“, belächelte Robin seine Worte, die aus seinem Mund ungewöhnlich waren. Natürlich. „Was zwischen der Arbeit ist, ist meine Sache, findest du nicht?“ Obwohl die Nacht dunkel war, setzte Rob sein typisches, süffisantes Grinsen auf, während er an ihr vorbei marschierte. „Obwohl ich deine helle Seite verabscheue, schätze ich das Dunkle in dir. Um deine Fähigkeiten täte es mir leid.“ Robin rührte sich nicht. Er hatte einen wunden Punkt getroffen. Blieb sie auf diesem Weg, dann musste sie bald eine Entscheidung treffen, das war ihm klar. Fähigkeiten hin oder her, irgendwann standen sich beide Seiten im Weg, und gewinnen konnte nur eine. Die Frage war allerdings, ob sie dazu bereit war, alles aufzugeben. Was sie auch wählte, auf jede Entscheidung folgten Gefahr und Verlust. „Wurzeln kannst du später schlagen, wir haben einen Zeitplan“, wies er auf den zweiten Teil des Auftrages hin, als er die Autotür öffnete und seine Fingernägel nervös auf dem Lack trommelten. Mai 1991 „Hab ich dich!“, lachte der Mann und packte den Jungen grob am Nacken. Unbeeindruckt wehrte sich dieser, zerrte am Arm des Mannes, dessen Lachen gehässiger wurde. „Lass los und kämpfe!“, spie der Junge, aber alles was er tat, war zwecklos, er entkam dem Griff nicht und das abfällige Lachen, stachelte seine Wut umso mehr. Dabei war er auf einem guten Weg gewesen. Das Geld hätte ihn eine Weile über die Runden gebracht, aber nein, der Mistkerl hatte ihn ertappt und bald eingeholt. „Was willst du? Eine ordentliche Trachtprügel täte dir gut!“ Er machte sich lustig und der Junge hasste das. „Weit bist du nicht gekommen“, stieß der Alte hinzu, dessen Geldbörse Rob Lucci entwendet hatte. „Pures Glück!“ Es musste das ihm fehlende Glück gewesen sein. Rob war in der Gegend aufgewachsen, stiehl täglich und war bislang jedem entkommen. Drei totsichere Routen standen ihm zur Verfügung, also musste ihm heute das nötige Glück gefehlt haben, sonst wäre er längst über alle Berge! „Lass endlich los, du Feigling!“ Anstatt ihn festzuhalten, sollte er lieber kämpfen. „Rotzlöffel, befrei dich lieber mal“, brummte der breite Mann, der bestimmt eine Leibwache darstellte. „Du bist kein zimperliches Kerlchen“, sprach der Alte süffisant und trat näher, musterte Rob Lucci schweigsam, als überlegte er, mit welcher Strafe der Diebstahl geahndet werden sollte. Wild schlug Rob um sich und dann erhob der Alte erneut das Wort: „Also gut, ich mach dir ein Angebot. Nimm ihm das Geld ab und es gehört dir. Bei deiner Klappe ein Kinderspiel, oder?“ „Ihr Ernst?“ Seine Leibwache wusste nicht so recht. Also doch, er unterschätzte Rob, weil er noch ein Kind war. „Soll er sich austoben!“ Dabei nahm ihn der Alte den Geldbeutel ab, holte genug Scheine hervor, die Rob locker einen Monat, wenn nicht gar länger, satt machten und gab sie seinem Lakai. „Große Wort spucken kann jeder.“ Rob wurde grob abgesetzt und er fiel vorn über. Der vom Tage erhitzte Steinboden schmerzte, und Rob hustete mehrmals, als ihm der aufgewirbelte Staub in die Nase stieg. Dem würde er das heimzahlen. Furcht hatte er noch nie empfunden, vor nichts und niemanden. Dann wurde er neuerlich am verschlissenen Shirt gepackt und auf die Beine gezogen. Der Mann lachte wieder, klopfte den Staub ab und schlug ihm dabei fest auf den Rücken, wodurch Rob zwei Schritte brauchte, um das Gleichgewicht zu halten. „Na, na, Kleiner. Bisschen empfindlich, was?“ „Mach dich nicht lustig!“, keifte der abgemagerte Junge. Von dem würde er sich nicht aufhalten lassen. Der Alte überließe ihn das Geld, sollte er Erfolg haben und was der Grobian an Stärke aufwies, das musste er eben mit seinen flinken Füßen wettmachen. Blutverschmiert lag Rob Lucci da und schnappte verzweifelt nach Luft. Der Alte lehnte im Schatten, sein Lakai stand einen Meter abwartend vor ihm. Am Arm zeichnete sich ein Schnitt ab, den verdankte Rob seiner Schnelligkeit und der abgebrochenen Glasflasche, die er gefunden hatte, die aber mittlerweile gänzlich in Scherben lag. Das Blut tröpfelte zu Boden, bildete ein kleines Rinnsal und Rob beobachtete es. Es hatte was, aber was genau es war, wollte nicht einfallen, aber dafür blieb ihm keine Zeit. Weiter. Immer weiter, ermahnte er in Gedanken. Aufgeben gehörte nicht in sein Repertoire. Nur so überlebte er auf der Straße. Vollkommen am Ende, das signalisierte sein Körper, aber Rob Lucci hatte gelernt den Schmerz zu ignorieren, drüber zu stehen, rappelte er sich auf. Es musste bescheuert ausgesehen haben, wie er sich nach und nach, zeitlupengleich auf die Beine hievte, mit den Armen schwang, um das Taumeln in Griff zu bekommen. Sein Körper durfte ihm nicht im Weg stehen. „Weiter geht’s“, brachte er stammelnd hervor und seine Augen waren auf die Brusttasche des Mannes gerichtet. Darin bewahrte er das Geld auf. Das war sein Ziel. Ein Kopfschütteln war die Folge, der Mann wandte sich ab. „Du hast deine Trachtprügel. Jetzt hau ab.“ Rob verstand nicht. Wann hatte er vom Aufgeben gesprochen? „Bist du ein Feigling! Wir sind nicht fertig!“, schrie er aus tiefster Seele. „Ich bin vieles, aber keiner, der Kinder umbringt.“ „Großmaul!“ Rob torkelte los, sah darin seine Chance. Der Mann hatte ihm den Rücken zugewandt und steuerte auf seinen Boss zu. Wenn er sich richtig angestellte, dann konnte er auf seinen Rücken und von da schnell in die Brusttasche greifen. Ja! Das Geld war greifbar. Aber, und die Lektion musste Rob Lucci schmerzhaft erfahren, war das allein kein Schlüssel zum Sieg. Sein Körper war am Ende, unbeweglicher und sein Verstand zu sehr auf das Geld fokussiert. Der Mann brauchte lediglich eine einfache, schwungvolle Drehung, um Lucci im Sprung abzuschütteln und grob auf den Boden zu werfen. 30. Jänner 2013 Das Eindringen verlief reibungslos. So, wie Rob es sich wünschte, aber bei den Vorbereitungen, die er und seine Partnerin gewissenhaft ausführten, brauchte er nie einen Gedanken an Probleme verschwenden. Deshalb schätzte er, etwas das er nie offen aussprechen würde, Nico Robin. Sie war anders als der Rest. Sie arbeitete genau, blieb konzentriert und sah stets das Ziel vor Augen, einzig der Abschluss trieb ihre Präferenzen auseinander. Daher plante sie den gesamten Ablauf, um niemanden unnötig töten zu müssen. In seinen Augen unverständlich, wer sich gegen sie stellte, der hatte kein anderes Ende verdient. Vielleicht, so dachte er, war das dann einfach eine Fügung des Schicksals. Wer seine Wege kreuzte, musste verschwinden, das Schicksal hatte ihr Leben als beendet befunden. Welch simple Erklärung! „Geh und such die Dokumente, ich kümmere mich um den Rest“, flüsterte er seiner Partnerin zu, die ohne Regung um die Ecke bog. Recherche war alles und so hatten sie bald herausgefunden, wo sie danach suchen mussten. Er hingegen, er würde das Schlafzimmer aufsuchen, ihr unwissendes Opfer auf das Kommende vorbereiten. Schleichend schritt Rob Lucci voran. In wenigen Minuten war der Auftrag erledigt, sein Blutdurst gestillt. Letzteres trieb ihn mehr an, als es Geld je könnte. Stimmte die Vorbereitung, dann war alles einfach, fast zu einfach. Die vier Männer im unteren Stockwerk waren seiner nicht würdig gewesen und hatten keinerlei Befriedigung gebracht. Genauso gut hätte er den Auftrag alleine, ohne Unterstützung absolvieren können, aber hatte er nun wenigstens die Chance, sich vollends auf sein Opfer zu konzentrieren, während Nico Robin die für ihn lästigere Aufgabe erledigte. Er war da, und so auch die Vorfreude. Einen Spalt breit stand die Tür offen, ein wahrliches Kinderspiel, wodurch er geräuschlos eintrat. „Ich schätze pünktliches Erscheinen.“ Rob erstarrte. Was los war, wollte er wissen. Das Vorhaben war durchdacht, bis ins kleinste Detail durchgeplant worden. Verschwiegenheit galt als oberstes Gut, wer hatte davon erfahren und wie? Das Licht ging an und er schloss die Augenlider. Die plötzliche Helligkeit schmerzte und sein Augenlicht brauchte, um sich daran zu gewöhnen. Wenige Sekunden, die ihn ablenkten und dem Feind zum Schlag ausholen ließ. Ein Brennen am Hals war alles, das Rob Lucci noch empfand, ehe vollkommene Dunkelheit ihn umhüllte. August 1997 Erschöpft lehnte er an den Jeep. Sein weißes Shirt hatte er auf die Motorhaube gelegt, so durchgeschwitzt, wie es war, klebte es auf der Haut. Etwas, das er gar nicht mochte und vielleicht würde es dort trocknen. Schweiß tröpfelte vom Kinn, rann seinen Rücken hinab. Irgendwie vermisste er Rom. Die dortige Hitze war ihm bekannt, mit ihr konnte er umgehen, aber der Dschungel war anders. Schatten half nicht. Die Luftfeuchtigkeit war furchtbar. Um dem Durst entgegenzukommen, öffnete er hastig den Flaschenverschluss, trank gierig das Wasser. Fünfzehn Jahre war Rob Lucci mittlerweile und zum ersten Mal außerhalb Europas. Das ihn diese Reise ausgerechnet nach Südamerika verschlug, in diesen abgelegenen Dschungel, in dem sein Boss einen großen Schatz vermutete, hatte er nicht auf der Rechnung gehabt. Sein Starrsinn hatte Rob hierher gebracht. Dieser eine Nachmittag, als er sich die Seele aus dem Leib hatte prügeln lassen, nur um ein bisschen Geld zu machen, hatte sein Leben von Grund auf verändert. Hatte einen guten Eindruck hinterlassen. Seit diesem Tag hatte er für den Alten hervorragende Arbeit geleistet, Aufträge sorgfältig abgeschlossen und natürlich trainiert. Irgendwann hatte er das Geld, das als Ansporn dienen sollte, sogar aus der Brusttasche erobert. Rob hatte sich mehr und mehr empfohlen und dann, aus heiterem Himmel, hatte er von diesem Trip erfahren, es wurde ihm mitgeteilt, er durfte mit und nun befand sich Rob tatsächlich in einem Expeditionsteam! Sein Boss war von Antiquitäten besessen. Während der sechs Jahre hatte Rob angefangen, sich mit der Thematik auseinander zu setzen. Er forschte nach. Die Objekte selbst interessierten ihn recht wenig, eher überraschten ihn die Summen, mit denen gehandelt wurden. Damit ließ es sich leben. Wenn sie denn fündig wurden. Mittlerweile glaubte Lucci, er befand sich auf einer Schnitzeljagd, statt einer gezielten Suche. Eine von anderen gefundene Ruine plündern, das würde alles erleichtern, aber den Vorschlag behielt er für sich. Das war nicht seine Art. Lucci blieb abseits, wortkarg und tat, was von ihm erwartet wurde. So lebte er ein halbwegs gutes, sorgenfreies Leben und bekam sehr wohl, was ihm gefiel. Wenngleich ihm diese Reise momentan langweilte. Erst eine kleine Gruppe hatte ihren Weg gekreuzt. Keine Herausforderung, schnell erledigt. Ein bisschen Nervenkitzel schadete nie. Und deshalb würde er anders vorgehen. Sich umhören, die Arbeit machen lassen und auf den richtigen Moment warten um zu zuschlagen, um Geld zu machen. Ja, den kaltschnäuzigen Schatzjäger geben, das würde ihm gefallen, daher nahm er alles auf, beobachtete und lernte. „Hey, Grünschnabel!“ „Ich habe einen Namen!“, brummte Lucci. „Grünschnabel, sagte ich ja“, grinste der andere, dessen Haar langsam weiße Spuren aufwies. Er war derjenige, der ihn damals schmerzhaft darauf aufmerksam gemacht hatte, was er noch alles zu lernen hatte und das er durchdacht handeln musste. Oft hatte er ihn halbtot geprügelt, aber das hatte Lucci umso stärker gemacht. „Was willst du?“ Das Brummen war in ein Knurren übergegangen. „Na, ich soll dich holen. Also, Junge, Abmarsch.“ Rob verblieb stumm, aber folgte gehorsam, sich fragend, was war. Schließlich waren sie zur Pause stehen geblieben und sollten bald weiterreisen. Immer tiefer, bis der ersehnte Hinweis vor ihnen lag. 30. Jänner 2013 Unbekannte Stimmen holten ihn aus der Dunkelheit. Sein Kopf dröhnte, aber war der Schmerz in den Armen bedeutend größer. In den Armen – Rob schlug schlagartig die Augen auf und da realisierte er, was vermutlich geschehen war. Er war überrannt worden. Das Licht hatte ihn wenige Sekunden unkonzentriert gelassen, dann der dumpfe Stich – betäubt, ja, nur so hatte ihn der Unbekannte überlisten können. Blinzelnd warf er den Kopf in den Nacken, seine Arme waren festgebunden, er hing fast gänzlich in der Luft, was auch erklärte, warum ausschließlich seine Zehenspitzen, und da musste er sich bemühen, den kahlen Boden berührten. „Dachte schon, du wachst gar nicht auf“, hörte er gehässig gesprochen und war bereit für den Wahnsinnigen, der es gewagt hatte, ihn auf subtile Weise in die Falle zu locken. Als Rob den Mann erblickte, nahm sein Gedächtnis sofort die Arbeit auf. Die Statur und sein Gesicht – das was eben erkenntlich war, war bis zur Nase hin alles mit einem Schal bedeckt – brachten ein vertrautes Gefühl mit sich. Er war ihm nicht gänzlich unbekannt, aber noch blieb aus, wo er ihn gesehen hatte und in welchem Zusammenhang. Die Aufmache. Der Schal, war es das, das ihm bekannt vor kam? „Ich bring dich um!“, knurrte Rob. Der Mann lachte unverfroren. „Überheblich, du hast nicht gelogen“, sagte er zu jemand, der augenscheinlich hinter ihm verborgen stand. Der Mann kam näher, überragte ihn selbst in diesem Zustand. „Eben jene Eigenschaft bricht dir das Genick. Du hast dir die falsche Familie ausgesucht – ich bin dir gar nicht böse, schließlich hast du deine Arbeit erfüllt und doch, du müsstest die Risiken kennen. Und leider hast du mehrere unserer Brüder auf dem Gewissen.“ „Wer bist du?“, fragte Rob neugierig, wollte er eben wissen, wer Rache suchte. Natürlich kannte er all die Risiken, sie alle wussten haargenau, was auf dem Spiel stand, aber bislang hatte sich Rob nie gefürchtet. Bislang hatte er jeden Zeugen eliminiert. Wer also sollte ihn ausgeliefert und diesem Mistkerl als Fraß vorgeworfen haben? Und da traf ihn die zweite Erkenntnis und sein Blick wanderte, so gut es funktionierte, umher. „Oh, deine Partnerin, richtig? Ja, das ist so eine Sache“, begann er, als Luccis Gedanken durchschaut wurden und er bereits daran glaubte, man hatte Nico Robin getötet, da nur er gewollt war. „Wie sagt man? Blut ist dicker als Wasser. Daher ist ein Verrat innerhalb der Familie wesentlich seltener – bei Geschäftspartnern?“ Rob verzog keine Miene, als er Schritte hörte und den Worten lauschte. „Partner sind käuflich, solange das richtige Angebot vorliegt.“ „Und das Angebot war verlockend.“ Rob hatte sie bereits am Gang erkannt, es brauchte keine Ausführung und so starrte er in die kalten, blauen Augen jener Frau, mit der er unzählige Abenteuer erlebt hatte. „Die Intention verstehe ich, aber alleine bin ich besser bedient. Mach dir einen Urlaub und überlass mir die Historiker. Ich habe Jahre mit Schatzjägern verbracht und bin in dem Gebiet bewandert.“ Zum ersten Mal bekam er einen Partner, in diesem Fall ausgerechnet eine Frau, an seine Seite. Er, der allein besser war! Anstatt zu zustimmen, kicherte sie abwertend und das verschlug Rob die Sprache. „Mach deine Hausaufgaben, damit du besser vorbereitet bist. Wir sehen uns am Flughafen – sei pünktlich.“ Damit erhob sie sich und ließ ihn alleine in der Bar zurück, in der sie sich für eine kurze Unterhaltung getroffen hatten. Rob kannte sie nicht. Seit er für diese Organisation arbeitete, hatte er sich nur auf seine Aufträge konzentriert, hatte sich nie umgehört, eben weil er sich für niemanden interessierte. Warum also eine Partnerin? Krisengebiet hin oder her, ob sie als Paar, das gemeinsam Urlaub machte, weniger auffielen oder nicht, mit einer Gruppe von Buchwürmern kam er alleine zurecht. Und ein Mann konnte alleine genauso in Urlaub fahren! Damals hatte Rob Lucci nicht gewusst, wer Nico Robin war, was sie abseits des Schattendaseins tat und zu welchen brillanten Taten sie fähig war. Heute wusste er alles besser, aber, und obwohl er misstrauisch veranlagt war, hatte er nie … verdammt, was hatte er falsch kalkuliert! Purer Hass erwachte. Hass auf das Teufelsweib, das ihn in diese Lage versetzt hatte. Und doch spürte er zeitgleich eine tiefe Befriedigung. Mit diesem Verrat, mit dem, das in den kommenden Stunden auch immer geschah, ob er dabei sein Leben ließ oder nicht, würde er, Rob Lucci, das Kartenhaus ineinander fallen lassen. „Dafür wirst du bluten, Nico.“ Kapitel 38: Sete di vendetta. ----------------------------- Rachedurst 30. Jänner 2013 Blut. „Lass uns gehen, Lucci“, ermahnte die Frau. Auf die in blutgetränkte Leiche warf sie einen letzten, von Ekel erregten Blick. Mit Rob Lucci als Partner zog sie ungern los, er lechzte zu sehr nach Blut. Nicht sie. Sie tötete schnell, präzise, wenn möglich ohne das kostbare Lebenselixier zu vergießen. Darauf hatte sie sich spezialisiert. Darin war sie gut. „Von mir aus“, gab der Mann weniger erfreut zurück, „aber entspann dich. In letzter Zeit wirkst du unruhig, nicht bei der Sache.“ „Du irrst dich.“ Mit kalten Augen sah sie Rob an, der sich nur mühsam los reißen konnte, ehe sie gedankenverloren das Zimmer verließ. Nein, er irrte nicht. Obwohl ihre abweisende Art im Normalfall auf seinen persönlichen Geschmack zurückgeführt werden konnte, war sie seit Wochen weit entfernt davon, sich vollkommen hinzugeben. Wie in alten Zeiten alle Gedanken fallen zu lassen, um einzig und allein an ihren Job zu denken, an das, was sie tun musste. Emotionslos und rational vorgehen, anschließend das Getane abschütteln und beruhigt nach Hause gehen. Darin lag einst ihre größte Stärke. Etwas hatte sich entscheidend verändert. Vor der Liebe hatte sie das Töten bereits weniger gemocht, die Jahre nagten, aber trotz aller Bedenken, hatte Robin getan, was getan werden musste. Gedanken kamen danach, wenn sie längst zu Hause war und manchmal schon am nächsten Mord tüftelte. Mit Nami an ihrer Seite war alles anders geworden. Seit Nami an ihrer Seite war, fühlte sie einen immer stärker werdenden Widerwillen. Stück für Stück. Das Gewissen gewann an Macht und das mit jeder Lüge, mit jeder Absage und jedem Auftrag, den sie ausführte. Immer mehr, Stück für Stück, seit Ferrara. Diese eine Nacht hatte Robin vor Augen geführt, wie fragil ihre Welt doch war. Hierbei war das Glück auf ihrer Seite gewesen, aber jede Strähne endete irgendwann und mit jedem Mal zog sich der Kreis enger, bis sie den Punkt erlangte, an dem sie eine Entscheidung treffen und sich für eine Seite entscheiden musste. Auch um ihretwillen. Aufhören war schwer, zumal Robin genug wusste. Dieser Weg hatte einen hohen Preis, der genauso gefährlich war wie der, sich Nami zu offenbaren. Wenn nicht sogar einen höheren. Alle um sie herum gerieten unweigerlich in die Schusslinie und ihre Freunde waren in der Lage dagegen anzukämpfen. An der Treppe blieb Nico Robin stehen. Blut benetzte den Boden, diente, ob gewollt oder nicht, als Wegweiser, aber auf den Stufen war es wesentlich schlimmer. Der Mann, den Lucci im Wohnzimmer übermahnt hatte, hatte sich gewehrt und so hatte er ihn dementsprechend zurechtgestutzt, in grob hoch geschliffen. Gestorben war er im Schlafzimmer. Luccis Grausamkeiten kannten keine Grenzen, oder besser, sie kannten keine Grenzen mehr. Blutdurst hatte er seit eh und je verspürt, Rob wusste eindeutig zu übertreiben. Dennoch war seine Herangehensweise vor Jahren noch wesentlich angenehmer zu ertragen gewesen. Je länger er aber tötete desto schlimmer wurde er. Er war zum Monster geworden, das sich selbst im Dienste der Gerechtigkeit sah. Widerworte waren deplatziert und unerwünscht. Schließlich war er derjenige, der die wahren Monster zur Strecke brachte. Eingeschlossen in seiner eigenen Welt, mit eigenen Regeln, die niemand zu brechen hatte und alle seine grausamen Taten rechtfertigten. So tickte Rob Lucci. Auf der anderen Seite gestand sich Robin ein, dass sie ihn manchmal fasziniert beobachtete. Es war die Art und Weise, wie er sich hingab. Als war er von einem unermesslichen Drang erfüllt, den er unbedingt stillen musste. Jeder Schritt schien perfekt einstudiert, nichts wurde dem Zufall überlassen. Erst dann, wenn alles so verlaufen war, wie er es sich erhofft hatte, kehrte der eigentliche Mann zurück. Währenddessen verstrich die Zeit quälend langsam, was empfand erst derjenige, der seine nach Blut und Schmerz lechzende Ader ertragen musste? Robin wollte es gar nicht wissen. Zumal sie selbst, und daran konnte sie eben nicht rütteln, keinen Deut besser war. Sie stand nicht über Lucci, sie unterschied einzig die Vorgehensweise und was machte das, wenn das Ziel stets dasselbe war? Als sie merkte, wie er aufgeschlossen hatte, schritt Robin unbeirrt weiter durch das Haus. Jeder Schritt durchdacht. Obwohl diese Nacht mehr eine Farce war, so war der Tatort real und jemand würde die Leiche finden, die Polizei alarmieren und diese forschte anschließend nach. Keine Spuren hinterlassen war das Wichtigste. Ein Hinweis konnte alles verändern. Erst als sie im Freien waren und das gemietete Fahrzeug nicht mehr weit war, erlaubte sich Robin ein beruhigtes Aufatmen. Für mehr blieb keine Zeit, denn sie vernahm überraschend die Stimme ihres Partners. „Manchmal bist du rätselhafter, als es sonst der Fall ist. Ist dir das bewusst, Nico Robin?“ War sie. Dafür existierte ein berechtigter Grund. Kaum verebbten seine Schritte, schon hielt Robin ebenfalls, aber misstrauisch, an. „Wie du weißt, war das der leichte Part, der große Brocken liegt erst vor uns. Solltest du abgelenkt sein, dann wäre das der Moment, um dich zurückzuziehen“, setzte er an und wartete einen Augenblick, um die wenigen Meter aufzuholen. „Emotionen sind eine Fehlerquelle und seit geraumer Zeit wirst du von ihnen geleitet. Was geschehen ist, kann nicht ruckgängig gemacht werden. Lass los oder du wirst untergehen.“ „Seit wann erteilst du Ratschläge?“, belächelte Robin seine Worte, die aus seinem Mund einfach unpassend waren. Vielleicht ahnte er, was auf ihn wartete? „Was zwischen der Arbeit ist, ist meine Sache, findest du nicht?“ Nein, tat er nicht, sonst hätte er zum Erstschlag ausgeholt, nie und nimmer spielte er. Oder er wollte ihr tatsächlich einfach einen gutgemeinten Ratschlag erteilen – was noch unrealistischer war, er zeigte nie Interesse am Befinden anderer. Lucci ging an ihr vorbei, und obwohl die Nacht dunkel war, erkannte sie dabei sein typisch süffisantes Grinsen, das ihr überraschenderweise eine Gänsehaut bescherte. „Obwohl ich deine helle Seite verabscheue, schätze ich das Dunkle in dir. Um deine Fähigkeiten täte es mir leid.“ Sie hörte keine Drohung heraus, viel mehr die ungeniert ehrliche Wahrheit. In dem Metier kostete ein Fehler, ausgelöst von lästigen Emotionen, rasch alles. Und doch entfachten seine Worte, ausgerechnet er sprach davon, eine ungeheure Wut. Rob Lucci mahnte sie, gab ihr das Gefühl einer blutjungen Anfängerin, die erst eingeführt und zurechtgestutzt werden musste. Andererseits, und das würde Rob bald am eigenen Leib erfahren, waren Emotionen genauso hilfreich. Im Grunde kam es darauf an, welche man durchließ und welche man lieber in den Tiefen verschlossen hielt. Vielleicht hätte Rob Lucci in dieser Nacht eher ihr Vorhaben durchschaut, hätte er sich nicht abgekoppelt und sich nicht einzig und allein in seinem Blutrausch verloren. Statt sie auf das Wesentliche hinzuweisen, hätte er ihre Art lieber näher hinterfragen sollen, statt es so oberflächlich zu belassen. Jedoch half ihr genau jene Ignoranz. „Wurzeln kannst du später schlagen, wir haben einen Zeitplan“, wies er auf das weitere Vorgehen hin, als er die Autotür öffnete und seine Fingernägel nervös auf dem Lack trommelten. Den hatten sie, aber Robin hatte, im Gegensatz zu Lucci, alle Zeit der Welt. 16. Jänner 2013 „Bist du sicher, dass das von Erfolg gekrönt ist?“ Alles andere als überzeugt, blickte sie zu ihrem Freund, der aufgeregt, mit sichtbaren Sorgenfalten, auf und ab marschierte. Ausgerechnet er, der den absurden Vorschlag ausgetüftelt hatte. Die Intention dahinter verstand Robin, immerhin hatte sie einen ähnlichen Gedanken gehabt, aber im Gegensatz zu Franky, hatte sie ihn sofort fallen gelassen. Das Risiko war einfach zu hoch, obwohl die Idee, sofern sie aufging, auf einem Schlag zwei Probleme aus der Welt schaffte. Kein Wunder also, dass er sich darauf stützte. Doch der Weg dahin war schmal und jeder falsche Schritt kostete ihnen im besten Falle einen schnellen Tod. Gegen eine Zusammenarbeit sprach in erster Linie nichts, sie war eher hilfreich, wenn da nicht eben der Punkt wäre, der das Aufdecken ihrer Identitäten verlangte. Sich ihrem Feind offenbaren und darauf zu hoffen, er sprang an und glaubte das Schauspiel, das war gefährlich. Das Vorhaben funktionierte lediglich mit einwandfreier Ausarbeitung und durfte keinerlei Lücken aufweisen, die selbst ein Rob Lucci, der die leidtragende Figur darin spielte, nie und nimmer fand. Scheiterten sie, dann hatten sie sich tatsächlich ihr eigenes Grab geschaufelt. „Uns fällt eine bessere Lösung ein.“ „Und welche? Seien wir ehrlich, Robin, wollen wir uns beide Probleme vom Hals schaffen, ist das der einfachste Weg – sogar Kalifa ist nicht abgeneigt!“ „Franky, das ist ein Himmelfahrtskommando!“ Bislang verlief sich die Spur. Charlotte war seit drei Wochen abgereist, einzig das Vinsmoke-Gör blieb zurück und ihre Recherchen landeten, soweit sie in Erfahrung gebracht hatten, stets in irgendwelchen Sackgassen. „Wir geben uns einer Frau preis, die uns nicht findet, und wofür? Ich weiß, wir brauchen einen Trumpf, um Rob tot zu sehen, ohne uns in die Schusslinie zu bringen, aber ist das Risiko notwendig?“ Franky blieb abrupt stehen. Vermutlich hatte er im Vorfeld bereits gewusst, wie schwierig es werden würde, sie zu überreden. Was ihre Identitäten anbelangte, so hatte Robin bislang alle erdenklichen Schritte unternommen. Sich Zorro zu offenbaren, war bereits ein bedeutender Schritt gewesen, den sie lieber nie unternommen hätte, obwohl es bislang funktionierte. Er ignoriert ihr Geheimnis und sahen sie sich, sprachen sie normal miteinander. Und jetzt wollte Franky das Feld ausweiten? Sich dem Feind zum Fraß vorwerfen? „Irgendwann findet selbst sie einen Hinweis und sei ehrlich, dich kotzt ihre Anwesenheit genauso an – die hat sich festgebissen! Zudem hast du selbst gehört, was über die Charlottes gesagt wird. Die reißen ihn in Stücke, das hat sich der Bastard verdient!“, knurrte Franky und die zerreißende Wut kam wieder zu Tage. Sie fühlte nicht anders. Rob Lucci hatte es zu weit getrieben und musste büßen, aber … „Ist er all das wert? Sollen wir aus Rache alles verlieren?“ Wenn nur ihr Leben auf dem Spiel stünde, wäre ihr eine Entscheidung leichter gefallen. Robin dachte jedoch an andere, die im Ernstfall ungewollt ins Blickfeld rückten. „Denk einfach darüber nach, okay? Dann beginnen wir mit den Details.“ Irgendwann, nach etlichen Gesprächen, war Robin schließlich eingeknickt, wissend, welche Gefahren lauerten. Sie verlor weitaus mehr als ihre Freunde, doch hatten sie schon immer zusammen gearbeitet, ganzgleich was geschah. Das war ihr erneut klar geworden, so sehr sie sich eben gegen das Vorhaben sträubte, ihre Bedürfnisse gehörten zurückgestellt. Für eine solide Beseitigung mussten sie gemeinsam agieren, an einem Strang ziehen. Und deshalb saß sie nun hier, Reiju Vinsmoke gegenüber, direkt in der Lounge des Londra Palace, das sie seit ihrer Ankunft bewohnte. Gerüchte besagten, einer der Charlottes hielt ein paar Anteile daran. Da neben Reiju auch Katakuri hier gewesen war, entsprach das Gerede wohl der Wahrheit. Reiju Vinsmoke zeigte sich interessiert. Ihr Aufenthaltsort war eben ein Kinderspiel gewesen, eine Nachricht zukommen zu lassen, noch einfacher. Überrascht hatte Robin lediglich die rasche Antwort. Keinen Tag später saß sie also hier und hatte knapp erklärt wer sie war und was sie machte, ungefähr angeschnitten, was sie zu diesem Treffen bewogen hatte. Wie erwartet, hatte Reiju Vinsmoke noch nie von ihr gehört, was Robin vorerst beruhigte, aber das würde sie in den nächsten Minuten ändern. Nach äußerst langatmigen und schweigsamen Minuten, erhob Reiju Vinsmoke leise, aber bestimmend das Wort. „Sie sind nicht dumm. Nein, so schätze ich Sie nicht ein.“ Bekräftigend schüttelte sie den Kopf, während ihre Fingerspitzen leicht die Teetasse umspielten. „Was sie antreibt, ist mir schleierhaft – natürlich haben Sie meine Suche mitbekommen. Venedig ist Ihr Revier. Wenn Sie schon Kontakt aufnehmen, dann haben Sie bestimmt einen Hinweis?“ Ein Himmelfahrtskommando, wieder dachte Robin an ihre eigenen Worte zurück. Hier wurde es knifflig, hier entschied sich zum ersten Mal, welchen Ausgang das Gespräch nehmen würde und darauf warteten Franky und Kalifa. Beide waren mitgekommen, aber offiziell suchte Robin ein Gespräch unter vier Augen. Reiju Vinsmoke wusste nichts von ihnen und das war Robins bester Rückhalt. Denn im Notfall kümmerten sie sich um die Frau. Etwas, das sie rigoros vermeiden wollte, damit Charlotte der Stadt fern blieb. Ihr Tod brachte ihm eventuell die notwendige Bestätigung, dass sie zu weit gegangen war und im schlimmsten Falle kam er mit Bluthunden, die weitaus furchteinflößender waren. Immerhin war der große Knall ausgeblieben und die Suche lief bislang eindeutig zu human ab. Katakuri Charlotte hatte gewiss die nötigen Ressourcen, um herauszufinden, wer alles in Venedig verweilte und im Gegensatz zu anderen, verspürte er keine Angst vor Konsequenzen. Das passive Vorgehen passte generell nicht in das gemachte Bild, war Robin umso stutziger machte. „Kann mir vorstellen, dass es kein Zuckerschlecken ist, in den Diensten der Charlottes zu stehen.“ „Das muss sich rasch herum gesprochen haben“, grinste Reiju. „Anstrengend, ja, aber kein Nachteil.“ „Rasch ist untertrieben. Der Charlotte-Clan agiert kaum in Venedig und wenn es vorkommt, dann für einfache Geschäfte.“ Jeder, der ihren Namen kannte, war neugierig geworden, was tatsächlich vorgefallen war, um die Familie aufzuscheuchen. Bruno, der eingeweiht worden war, hatte sich sofort gemeldet und vom Besuch in der Bar erzählt. Es schlug Wellen und Vinsmokes Bleiben beruhigte nicht, sondern warf weitere Fragen auf. „Sie haben drei Brüder in einer Nacht verloren. Muss schwer für Sie sein“, begann Robin vorsichtig, „zumal ihre Mörder unauffindbar sind. Bislang hat Sie jede Spur in eine Sackgasse geführt, nicht wahr?“ Da zeigte sich die erste Veränderung, das Grinsen erstarb, denn diese Information war nicht nach draußen gelangt, darüber war nie gesprochen worden. Man versuchte Blackbeard anderweitig aus der Reserve zu locken. Ferrara war thematisiert worden, nicht aber was sich in Sakazukis Villa abgespielt hatte. „Familie bleibt Familie, die Schuldigen ausfindig machen, ist naheliegend.“ Ein gefährlicher Ton lag in ihrer Stimme, sie verstand wohl, was Robins Wissen zu bedeuten hatte und plötzlich wandelte sich die Atmosphäre, die bislang noch überraschend angenehm gewesen war. „Ihre Brüder haben uns übel mitgespielt. Noch heute spüre ich dann und wann Schmerzen. Leider standen sie zwischen Bonney Charlotte und uns. Sie oder wir, das übliche Spiel, bis eine Partei übrig bleibt“, legte Robin endgültig offen und taxierte Reiju eingehend. „Bonney ist sicher versteckt. Ihr vergeudet Zeit und Geld.“ Erneut verfielen sie in Schweigen, ein beklemmendes. Denn Robin erahnte nicht, was in der anderen vor sich ging, was sie gerade ausheckte oder ob sie die Information schlichtweg verdaute. „Zudem existiert ein vierter Bruder." Schwach zuckten Reijus Mundwinkel. „Sanji, der Ihrem Vater eine Last war und verschwand.“ Automatisch wich sie Robins Blick aus, starrte zum Fenster hinaus. Robin wusste, dass sie hierbei einen wunden Punkt getroffen hatte. Mit allem. „Meine Frage bleibt unbeantwortet – was wollen Sie?“ Robin ließ sich Zeit und folgte ihrem Blick, draußen ging langsam die Sonne unter. Aus dem Fenster schauen hielt sie davon ab, sich nach Franky umzudrehen, der als Gast ein paar Tische weiter saß und vermutlich seine Nase in irgendwelche Zeitungen steckte. Ein Instinkt, um sich das Gefühl der Sicherheit zu geben. Dann atmete sie durch und wandte sich wieder ihrer Gesprächspartnerin zu. „Ihre Hilfe.“ 30. Jänner 2013 Vier Männer warteten im Erdgeschoss, die ihm eher als Aufwärmprozess dienten. Robin hatte er nicht gebraucht, sie war ihm mit Abstand gefolgt. Die Männer selbst waren irgendwelche daher gelaufenen Stümper, die Charlotte für diese Nacht engagiert hatte. Vier Bauern, um den Schein zu wahren. Robin hätte längst reagiert, ihn im vorherigen Haus bereits gestellt, aber hatte Charlotte Katakuri anderweitige Ansichten. Ihm gefiel der Gedanke, Rob im Wissen zu lassen, er hätte die totale Kontrolle und lieber zerstörte er die Vorfreude auf das Kommende. Beide teilten sich eine makabre Einstellung. Statt insgesamt fünf Tote zu umgehen, warf man sie Rob Lucci, zur puren Unterhaltung, zum Fraß vor. Irgendwie würden sich Rob Lucci und Charlotte Katakuri perfekt ergänzen. „Geh und such die Dokumente, ich kümmere mich um den Rest“, wies er sie an und Robin folgte liebend gern. Langsam, ohne einen Blick zurück zu werfen, schritt Robin den Flur entlang, bog in eines der Zimmer ein und wartete. Hier endete seine Glückssträhne, hier fand er seinen Meister und Robin hatte mit mehr Emotionen gerechnet. Weder Genugtuung noch etwas wie Angst. Nichts. In den wenigen Minuten, in denen sie mitbekam, wie sie ihn überrumpelten und Katakuri ein gehässiges Lachen von sich gab, fühlte Robin lediglich eine ungewöhnliche Leere. Dabei hatte der Wunsch auf Rache sie alle angetrieben und noch vor ein paar Stunden hatte sie etwas wie Vorfreude empfunden, sich vorgestellt, wie er vor seinem Peiniger stand. Robin verstand nicht, was los war. Er hatte die Grenze überschritten, er hatte keinen schönen Tod verdient und gleichzeitig erhielten die anderen einen Sündenbock. Und doch schaffte sie es nicht diesen Sieg zu genießen. Um keine Fragen aufzuwerfen, setzte sich Robin wieder in Bewegung, sie hatte lange genug gewartet und schloss auf. Neben Katakuri selbst waren noch drei weitere Männer anwesend, zwei davon packten grob den betäubten Körper und schafften ihn rücksichtslos fort. „Endlich, du hast den lustigen Teil verpasst!“ „Wohin wird er gebracht?“ Ein Ortswechsel war nicht thematisiert worden. Katakuri schnippte seinen Handlanger herbei, deutete auf die Tür, die in ein anderes Zimmer führte. Robin hatte eine wage Vermutung und beim Öffnen wurde sie bestätigt. Ein anliegendes Badezimmer. Was sie allerdings stocken ließ, war das viele Rot, das erkenntlich wurde. „Kleine Änderung, da ich mir ungern Zeitdruck mache“, erklärte Katakuri neutral und schritt neben Robin. „Das passiert mit jenen, die mir das Geschäft versauen oder mich betrügen. Hat sich nie an den Handel gehalten und gedacht, wir vergessen auf ihn. Die Frau verbuche ich als Kollateralschaden. Also, darf ich bitten, wir müssen los.“ Damit bedeutete er ihr zum Gehen und Robin ging wortlos voraus, die Leichen hatte sie von ihrer Position aus nicht gesehen, das wollte sie auch gar nicht. Sieben Leichen, dachte sie verbissen, sieben unnötige Leichen. Die Warnung, die war allerdings angekommen. Ihr Herz pochte wild, wissend, dass die Nacht erst begann. 16. Jänner 2013 „Sanji war immer der Außenseiter, liebte das Kochen, war nett und hilfsbereit – wenn man bedenkt, was Vater wollte, stellte Sanji einfach das schwächste Glied dar.“ Reiju sah dabei unentwegt aus dem Fenster. „Ist sein Essen mittlerweile genießbar? Als Kind war er ein miserabler Koch.“ „Übung macht den Meister. Hab selten so gut gegessen.“ „Welches Restaurant?“ „Wollen Sie ihn überrumpeln?“ „Nein, nein. Ihn sehen würde mir reichen, aber was, hat diese Angelegenheit mit ihm zu tun?“ „Bonney ist eine enge Freundin Ihres Bruders, sie haben dasselbe Appartement bewohnt. Deshalb sind wir ihr hinterher. Bonneys Sicherheit ist ihm ein großes Anliegen.“ Reiju lächelte leicht. „Ich verstehe.“ Das Lächeln wurde verdächtig süß. „Wir haben ein Problem. Ich fälle keine Entscheidungen. Mein Auftrag ist recht simple: Die Schuldigen finden und den Charlottes Bericht erstatten.“ Damit lehnte sie zurück. „Ohne wird er nie und nimmer einlenken. Sie vergeuden Zeit.“ Noch blieb sie, hörte zu. Das allein war kein allzu schlechtes Vorzeichen. Zwar konnte Robin den Ausgang nicht einschätzen, aber noch war ihr Trumpf nicht ausgespielt worden. „Ich kann einen Schuldigen liefern. Ihn selbst ausschalten, ist momentan riskant. Die Charlottes umgehen mein Problem.“ „Katakuri ist ein Monster. Erfährt er die Wahrheit, sind wir alle tot.“ Waren sie so oder so, sollte alles ineinander stürzten. Da musste Katakuri Charlotte vielleicht gar nicht selbst Hand anlegen. Damit rechnete Robin, zu jeder Zeit. „Beweise gibt es en masse. Ihr Zuschlag ist alles, das ich brauche.“ „Der noch aussteht, denn seien wir ehrlich“, und damit wartete Reiju Vinsmoke lange genug, um sich Robins Aufmerksamkeit vollkommen sicher zu sein, “ein solches Risiko zahlt sich nicht aus. Schon gar nicht für meinen missratenen Bruder. Sucht er sich halt eine neue Mitbewohnerin – mein Leben fällt und steht mit dieser Suche. Ein Fehler und er tötet mich.“ „Wärst du bloß mit mir gekommen.“ Robin sah an Reiju vorbei, deren Zügen entglitten, wobei es Robin ähnlich erging. Normalerweise war ein Treffen geplant, aber später, sofern Reiju ihn sehen wollte und sofern sie Hilfe brauchte, um sie auf ihre Seite zu ziehen. Dennoch hatte Sanji erfahren, wo sie sich aufhielt und dass Robin sie aufsuchte. Warum er ohne Vorwarnung auftauchte, verstand Robin nicht, hatte er sich bereit erklärt, ihrem Plan zu folgen. Obwohl Robin von seinem Handeln alles andere als angetan war, blieb sie stumm. Sie hoffte lediglich, dass ihnen das nicht die Ausgangslage ruinierte. Sanji war, nach etlichen Rücksprachen, eingeweiht worden. Franky hatte seinen Vorschlag ernst gemeint. Erfolg kam nur, wenn sie jegliche Register zogen und Sanji war einer der Gründe gewesen, warum Robin über Tage abgeblockt hatte. Sich dem Feind zu offenbaren, war bereits ein folgenschweres Unterfangen, dann ausgerechnet noch Zorros Freund und Mitbewohner. Dem Schürzenjäger, der schon mal eine große Klappe riskierte. Es hatte diesbezüglich sogar ein Gespräch mit Zorro gegeben, der beteuert hatte, Sanji wusste sehr wohl, besser als er je würde, wie diese Welt funktionierte. Zusammen mit den Meinungen der anderen, war sie eben eingeknickt. Dennoch missbilligte sie sein Fehlverhalten. Jeder hatte seinen Part und jeder musste sich daran halten. „Mir hat das Leben gefallen. Allerdings hab ich dich und dein von Fehlern triefendes Verhalten nicht länger ertragen.“, antwortete Reiju gepresst, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Hörbar atmete Sanji aus. „Abwertend werden ist nicht notwendig. Ich kenn dich – das hat sie damals schon gerne getan“, meinte er an Robin gewandt und setzte sich an den Tisch. „Neben Vater und den Brüdern hat sie mitgemacht. Später, als wir alleine-“ „Hör auf!“, zischte Reiju. „Hierfür habe ich dir nicht geholfen!“ Außer sich, sprang Reiju auf und wollte gehen, wurde jedoch von ihrem Bruder am Handgelenk gepackt was ihr Vorhaben blockierte. „Bitte, Reiju, hör uns an.“ 30. Jänner 2013 „Du Miststück!“, knurrte Rob Lucci wütend und riss krampfhaft an der Kette. „Ich halte mein Wort“, unterbrach Katakuri, „fünfzehn Minuten.“ Robin nickte und wartete bis er den Raum verlassen hatte und sie unter vier Augen waren. Erst dann trat sie näher und warf Lucci einen gehässigen Blick zu. „Sag mir, was hast du erwartet?“, spottete sie. „Darf ich erfahren, was einen solchen Verrat rechtfertigt?“ Reiju hatte das Treffen eingefädelt. Katakuri Charlotte war die größte und gefährlichste Hürde. Wurde er überzeugt, stand nichts mehr im Weg. Bis dahin musste jede Antwort sitzen, bis er überzeugt war. Aber die Tatsache, dass sie alleine hierhergekommen war und sich ihm somit schutzlos auslieferte, trug Früchte. Charlotte war nicht abgeneigt. Während sie bei dem Gespräch mit Reiju noch recht gelassen war, fühlte sie bei diesem ein beunruhigendes Gefühl, das sie gänzlich einnahm. Äußerlich wirkte sie sicher, standhaft, wie von ihr erwartet wurde, innerlich war sie das vollkommene Gegenteil. Unruhig, aufpassend. Jede Faser ihres Körpers verstand die Bedeutung – ein falsches Wort oder einfach eine negative Entscheidung seinerseits und sie würde dieses Gebäude nie lebend verlassen. Und doch war es reichlich spät für solche Gedanken. Entschieden, war entschieden. „Mord.“ Fragend hoben sich seine Brauen, als ob er nicht wusste, ob er lachen oder ernst bleiben sollte. Natürlich, sie waren keine Unschuldslämmer, ihm war erklärt worden, womit sie Geld machten, für wen sie meist arbeiteten. „Ich nehme an, ein Charlotte versteht die Bedeutung von Familienbanden. Uns verbindet zwar nicht dasselbe Blut, aber Familie ist Familie – Rob ist zu weit gegangen. Bei der Familie hört der Spaß auf, besonders bei grundlosem Handeln. Er hat längst die Kontrolle verloren, kann nicht länger zwischen Verbündeten und Feinden unterscheiden. Er ist eine Gefahr.“ „Ja, das tue ich“, antwortete Katakuri rau und mit versteinerter Miene, „aber ich verstehe nicht, warum ihr ihn überhaupt frei herumlaufen lässt?“ „Ein Toter wird abgehakt, verliert unser Team einen weiteren Mann und das erneut auf unerklärliche Weise … zwei tote Männer ohne Hinweise werfen Fragen auf und im schlimmsten Fall fallen ihre Tode auf uns zurück. Wir wollen kein weiteres Aufsehen erregen. Wird Rob von den Charlottes getötet, dann passiert nichts. Ausgewählte wissen, dass er eure Leute getötet hat.“ „Kaku“, lachte Lucci, „seinetwegen veranstaltest du den Zirkus? Wegen diesem Waschlappen?!“ Angewidert verzog er das Gesicht. „Hat seine eigene Mission in Gefahr gebracht, wofür? Für ein dämliches Balg!“ „Eines Kindes wegen? Dafür hast du ihn-“ „Nein, sieh’s als Zusatz! Kaku war mein Auftrag und du weißt, ich führe sie alle aus!“ „Was?“, fragte Robin geschockt und sie spürte, wie ihr das Blut gefror. „Wer hat dich beauftragt?“ „Er hat Scheiße gebaut, hat Reue gezeigt und seine naive Nase in falsche Angelegenheiten gesteckt – wer weiß, Robin, vielleicht ist Kalifa die nächste!“ Der Faden riss und Robin überbrückte den Abstand und packte Lucci an der Kehle. Statt überrascht oder gar geschockt, kicherte er gehässig. „Stimmt, Franky trifft’s eher … Gerüchte kursieren … er lässt Leute laufen und versteckt sie“, brachte er gepresst hervor. „Mach!“ Er zeigte keine Gegenwehr, Robin hatte ihn und brauchte nicht viel. Den Druck einfach erhöhen und nicht nachgeben. Er bot es an, lebte ohne irgendwelche Reue, das sah sie in seinen Augen. Für ihn war alles ein Geschäft, Banden untereinander existierten so lange, bis sie nutzlos oder überboten wurden. „Du bist krank!“ Abrupt löste sich ihr Griff. Die Genugtuung gab sie Lucci nicht. „Und was, Robin, was macht dich besser? Das Miststück, das du vögelst? Die naiven Menschen, die meinen dich zu kennen? Sieh her“, keifte er gegen Ende hin, „das machst du aus Rache! Du lieferst mich diesem Irren aus, damit er deine Drecksarbeit erledigt!“ Wieder riss er an der Kette, die keinen Millimeter nachgab. „Was hast du ihm geboten? Als ob ein paar Morde an seinen jämmerlichen Untertanen ausschlaggebend sind.“ „Dir etwas in die Schuhe geschoben, und hättest du keinen Fehler gemacht, dann hätte das heute nie funktioniert“, zischte sie ihm nach einer Weile entgegen. Statt sein Ende zu genießen, kamen neue Sorgen auf. Was hatten sie falsch gemacht? Robin zwang sich zur Ruhe, sie musste aufpassen und all die beklemmenden Gedanken auf später verschieben. Hier war sie noch nicht fertig. Rob Lucci galt als oberste Priorität, alles nach der Reihe. „Der wäre?“ „Du hast Barges aus dem Weg geräumt“, sagte sie gefasster. „Und? Der hat keine Warnung verstanden!“ „Aberdeen“, das Wort reichte und Rob Lucci wurde still, hörte auf sich zu wehren und starrte ihr stattdessen ertappt in die Augen. „Kalifa und ihre Recherchen. Beängstigend, nicht?“ Für jemanden wie ihre Freundin war eine solche Suche zur Routine geworden und fast ein Kinderspiel. Rob selbst hatte ihr gegenüber angedeutet, dass er neuerdings lieber woanders lebte und in Venedig mehr einen Zweitwohnsitz sah. Eine Information, die ihnen vermehrt geholfen hatte, als sie ihr Vorhaben genauer durchdacht und geplant hatten. Alles war darauf getrimmt worden lückenlos zusammenzuhängen, damit Charlotte Katakuri ihren Indizien glauben musste, was bislang eintraf. „Und? Was bringt dir das?“, presste Rob ungeduldig hervor. „Glaubhaftigkeit“, lächelte Robin. „Neben der Gruppe, die seinen Plan durchkreuzt hat, sucht er in erster Linie seine Schwester. Er verdächtigte all die Zeit über Blackbeard, da sie sich gerne mit Barges vergnügte. Den du aus dem Weg geräumt hast, weil er von einem Bekannten provoziert worden ist. Euer Streit gibt nette Bilder her – jedenfalls glaubt er jetzt, du hast mit Barges gemeinsame Sache gemacht, wegen seiner Schwester und er hat sich nicht an die Abmachung gehalten. Welche er sich halt einbildet.“ „Barges war eine einfallslose Ratte. Als ich ihn warnte, wollte er nicht hören. Und wer ist diese ominöse Schwester? Was soll ich mit der am Hut haben?“ „Nehmen wir an Charlotte schickt seine Männer nach Aberdeen. Die durchsuchen dein Haus, in dem neben Schriftverkehr – natürlich ordentlich versteckt – auch Habseligkeiten jener Schwester gefunden werden. Hinweise, die darauf zurückführen, dass sie erst kürzlich vor Ort sein musste? Oder direkt geflüchtet ist, als sie die Männer gesehen hat?“ „Du willst mir eine Beziehung unterstellen. Die suchen sie, ich töte ihren Ex Barges, reise oft zwischen den Städten hin und her und sie finden ihre Sachen, dabei bezahlt die euch.“ „Erkennst du endlich deine missliche Lage?“ „Wenn er so dumm ist, wie ich ihn einschätze, kann ich sagen, was immer ich will, er wird mir nicht glauben ... hinterhältiges Biest!“ 1. Jänner 2013 Um fünf Uhr morgens wurde Robin unschön aus dem Schlaf geholt. Orientierungslos fischte sie nach dem Übeltäter, der unaufhörlich läutete; neben ihr ein tiefes, frustriertes Brummen. „Mach’s aus!“, forderte ihre Freundin, vergrub das Gesicht tiefer im Kissen. Eine Stunden hatten sie geschlafen, höchstens. Rasch stellte Robin das Smartphone auf lautlos, hauchte Nami einen Kuss in den Nacken, gefolgt von einer knappen Entschuldigung. Bevor sie den Anruf entgegennahm – und der aufscheinende Name zusammen mit der Hartnäckigkeit, brachte ihr Blut in Wallung – stand Robin auf und trat aus dem Zimmer. In Dunklen wanderte Robin den Gang entlang, sie kannte jeden Zentimeter, und erst an der Treppe drückte sie den Lichtschalter. „Kaku ist tot!“, schrie die Blonde aufgebracht, nachdem Robin endlich rangegangen war. Die Müdigkeit verschwand, das Herz stockte und Robin spürte, wie ihr Gesicht an Farbe verlor. „Kaku ist tot!“, wiederholte Kalifa, „Der Dreckskerl hat ihn umgebracht!“ Der schrille Ton in ihrer Stimme bescherte Robin einen kalten Schauer. „Beruhige dich. Wie kommst du darauf?“, fragte Robin, das Herz pochte nun wild gegen die Brust. Schweigen entstand an der anderen Seite der Verbindung. Einzig das flache Atmen wurde hörbar. „Kalifa!“, ermahnte die Frau, die sich eine schwarze Strähne zurück strich. „Lies selbst! Er hat uns eine Nachricht geschickt!“ Automatisch beschleunigte Robin ihre Schritte, ihre kleine Bibliothek lag im unteren Stockwerk. Zwecks Nami musste sie genügend verstecken, auch das andere Telefon, das in einem der versteckten Safes lag. „Wann?“, fragte sie währenddessen und tippte die Kombination ein. Wenn das stimmte und kein Fehler dahinter steckte … Robin konnte den Gedanken kaum weiterführen, wollte sie gar nicht daran glauben. „Hast du versucht ihn anzurufen?“ „Vor Mitternacht. Und natürlich habe ich das! Ich kann ihn weder erreichen noch lokalisieren!“ Stunden. Für Lucci ausreichend Zeit. Irgendwann, als niemand leugnen konnte, wie gefährlich Lucci geworden war, hatten sie sich auf einen Code geeinigt. Für den Notfall, sollte er einen von ihnen aus dem Weg räumen. Eine Nachricht, die nur sie verstanden. Als sie diese Nachricht nun las, sackte Robin der Wand entlang zu Boden. Hören war manchmal anders als lesen. „Heute Abend wäre sein Rückflug – die Nachricht ist noch nie abgeschickt worden, ihm kann kein Fehler unterlaufen sein.“ Robin schwieg und versuchte den restlichen Worten zu folgen, was jedoch zwecklos war. Immer mehr driftete sie in ihre eigene Gedankenwelt, während sie im halbdunklen da saß und auf das Parkett starrte. Kapitel 39: Fuga. ----------------- »Flucht.« 19. Februar 2013 Die Nacht wich und erste Sonnenstrahlen deckten das vorbei rauschende Land in orangenes Licht. Hell genug, damit Nami aufwachte und träge die Augen öffnete. Es brauchte einen Moment, bis sie realisierte, wo sie war und allen voran warum. In Windeseile fügten sich die Erinnerungen zusammen, gepaart mit neuen, unangenehmen Eindrücken. Der Nacken schmerzte, die Glieder waren steif vom Sitzen. Sie waren durchgefahren, das sagte ihr die Beschilderung, die an ihr vorbei sauste. Seufzend rieb sich Nami die müden Augen. Wie untypisch, das kam nur selten vor. Anfangs war Nami putzmunter gewesen, fast schon aufgekratzt, und hatte gedankenverloren aus dem Fenster, in die Dunkelheit hinaus gestarrt. Erst dann, als nach und nach die Anspannung abgefallen und das Schweigen zu beruhigend geworden war, hatte die Müdigkeit erst angeklopft, schließlich die Oberhand übernommen. Irgendwann, obwohl ein Teil stets widerstrebt hatte, war Nami wohl eingeschlafen. Kein Tiefschlaf, so viel stand fest, aber war sie ausreichend weggetreten, dass sie nicht mitbekommen hatte, wie sie durch Mailand gefahren waren. Nicht mehr lange und sie durchquerten die Grenzkontrolle. Auswirkungen der vergangenen zwei Tage, eine andere Erklärung fand Nami nicht. Das war sie nicht. Lieber blieb sie wach, redete gerne oder blieb manchmal einfach stumm und beobachtete. Aber nach allem, das geschehen war und des wenigen Schlafes, hatte sie nicht anders gekonnt und dafür, dass sie wohl mindestens zwei Stunden weggetreten war, fühlte sie sich nicht besser. Schwach neigte sie den Kopf, betrachtete still Law. Auch bei ihm zeichneten sich Spuren der Müdigkeit ab, wenngleich er bei weitem besser aussah und durchaus einen konzentrierten Eindruck erweckte. Vielleicht, so dachte Nami, wusste er einfach mit Schlafmangel umzugehen, weil er oft genug über Stunden operierte, in Notfällen auch nachts. Wohl ein kleiner Vorteil. „Was haltest du von einer Pause?“, machte sie auf sich aufmerksam, denn bisher hatte er nicht gezeigt, dass ihm ihr Aufwachen aufgefallen wäre. Kurz anhalten und sich bewegen, das brauchte Nami und ihn täte sie genauso gut. Denn irgendwann brauchte selbst er eine Rast und nun, wo das Ziel immer näher rückte und Venedig weit hinter ihnen lag, erschien ihr der passende Moment. „Hast du Hunger?“ Essen war das Letzte woran Nami dachte, wenngleich sich ihr Magen zustimmend regte. Den Hunger stillen war eine Sache, aber dessen Reizung, ausgelöst durch das Erlebte der letzten zwei Tage, eine vollkommen andere. „Die kommende Raststation kenne ich, das Frühstück ist nicht übel.“ Keine Sekunde lang wendete er den Blick von der Straße ab, und Nami bezweifelte allmählich, dass das an seiner üblichen Fahrweise lag. Je länger sie ihn betrachtete, desto mehr erhielt sie das dumpfe Gefühl, dass seine eigentlichen Gedanken ganz woanders waren. Also tat sie, was wohl das Beste war, und stimmte einfach zu. 16. Februar 2013 Noch hatte Nami Zeit, noch konnte sie eine billige Ausrede erfinden, absagen und zurückfahren, den Samstag auf die Weise verbringen, wie sie ihn seit Tagen geplant hatte. Stattdessen trat sie zurückhaltend ins Freie, sah sich kurzweilig suchend um. Etwas in ihr wehrte sich vehement gegen eine Absage. Eine stetig stärker werdende Kraft, die Nami antrieb und jede Gegenwehr abblockte. Es war das mulmige Gefühl, das schon mal in Angst umschwang, von dem sie sich nährte. Erst hatte Nami nur das flaue Gefühl empfunden. Der Anruf war aus heiterem Himmel gekommen, verstörend, beängstigend und zeitgleich, was wohl in ihrer Natur lag, war die verräterische Neugierde erweckt, die genauso auf das erbetene Treffen pochte – Angst und Neugierde bildeten eine gefährliche Kombination, dessen war sich Nami bewusst, doch war sie beidem verfallen. Noch verstand sie nicht, warum er so stark auf das Treffen drängte. Zudem noch außerhalb Venedigs, mit dem Versprechen dass niemand von seinem Aufenthalt erfuhr. Beide Punkte hatten entscheidend zur Zusage beigetragen, ihre Neugierde gestärkt. Am Ende blieb der Widerstand ungehört, und Nami war verschwiegen nach Mestre gereist, wo Law im nahegelegenen Hotel wartete. „Okay“, atmete Nami streng aus, „du hast Macken, aber das? Ich hoffe, du hast eine verdammt gute Erklärung. “ Sie fiel direkt mit der Tür ins Haus, sobald sie – was durchaus überraschte – in seiner Suite waren. Vor dem Hotel hatte er gewartet und sie schnurstracks, aber wortkarg, nach oben geführt. Im Gehen streifte Nami den Mantel ab, nur kurz schweifte ihr Blick durch das geräumige Zimmer. Ein kleiner Koffer stand leicht geöffnet neben den Schrank, was auf einen kürzeren Aufenthalt deutete. Das Bett war gemacht, dabei hatte er am frühen Nachmittag angerufen, meinte, er fuhr gleich los. Eine Nacht-und-Nebel-Aktion, das hatte er gar nicht sagen müssen, sie hatte es heraus gehört. Vielmehr herrschte auf der kleinen Sitzgarnitur im Eck des Zimmers für Durcheinander. Leere Flaschen, Snacks, ein großer Ordner, eine unordentliche Anordnung loser Zettel. Bei näherer Betrachtung erkannte Nami, wie manche vollgeschrieben waren, andere wiesen viel Durchgestrichenes auf, manche waren zerknüllt verstreut. Das Notebook war an. Law hatte dort definitiv die Nacht verbracht. „Möchtest du was?“, ignorierte Law, doch hörte sie eine unnatürliche Anspannung. Mittlerweile kannte sie ihn lange genug, in mancher gut genug, um zu wissen, wenn er aus der Rolle fiel. Dafür achtete er zu penibel auf sein Auftreten, das so gar nicht passte. Denn zum ersten Mal sah sie Law in einer Jeans mit einem einfachen Shirt, selbst der Bart war nicht perfekt gestutzt, das Haar war noch nass, also musste er erst kurz vorher geduscht haben. Alles in allem kein vertrauenerweckendes Bild. „Minibar gibt was her oder soll ich dir was bestellen?“ „Wie wäre es mit Antworten?“, gab sie angesäuert zurück und warf den Mantel über die Lehne des Stuhles, auf dem sie Platz nahm. „Also Alkohol“, murmelte er nickend. „Law!“ Ihr Ton wurde strenger, fordernder. Schnell schaltete sie um, das flaue Gefühl wich, gab den Weg für eine plötzlich einsetzende Wut frei. Für ihn hatte sie ihren gesamten Tag umgeworfen, obwohl er ihr kaum ein nennenswertes Häppchen vor die Füße geworfen hatte, weil er gewirkt hatte, als wäre etwas Großes, etwas Furchtbares geschehen (wobei Nami bislang keinen Grund fand, warum er ausgerechnet sie aufsuchte). Etwas war vorgefallen, sonst würde er nicht diese Geheimniskrämerei durchziehen, dazu noch darauf beharren, dass niemand wissen durfte, wo er war. Nun jedoch, wo Nami ihn aufgesucht hatte, wollte sie rasch auf den Punkt kommen. Stattdessen ließ er sich Zeit, wie er es immer gerne tat. Was zu ihm passte, er liebte es Gespräche zu lenken. Heute fiel es ihr unsagbar schwer auf die Masche einzusteigen. Nami hatte es satt, wenn sie sich schon die Zeit nahm, so sollte er sich, wenigstens dieses eine Mal, nach ihr richten. „Spuck’s aus oder ich gehe!“ Law lachte. Nicht überheblich oder belustigt, eher verzweifelt. „Das ist das Problem, Nami.“ Entschuldigend lächelte er, nahm zwei Gläser in die eine Hand, während er in der anderen eine Flasche Whiskey hielt. Zwar beharrte Nami weiterhin darauf, dass sie nichts wollte, erst recht keinen Alkohol, nicht um neun Uhr morgens, aber hörte Law nicht. „Seit Tagen zermartere ich mir den Kopf darüber, wie ich es dir sagen soll. Ob ich mich überhaupt einmische. Ehrlich gesagt, in meiner Fantasie geht’s mir recht leicht über die Lippen … dabei hat mich der Anruf bereits große Überwindung gekostet.“ Er verstummte kopfschüttelnd, nahm Nami gegenüber Platz, dabei warf er ihr einen nichtssagenden Blick zu. Dann schraubte er die Flasche auf, schenkte beiden ein, wobei er sein eigenes Glas deutlich mehr befüllte. Nami drängte vorerst nicht, blieb einfach stumm, denn seine Worte lösten genügend Fragezeichen aus. So eine Andeutung konnte sich auf vielerlei beziehen. Sie brauchte mehr, mehr als das, wenigstens einen kleinen Wink, in welche Richtung er einschlug. „Wir haben zwar eine Basis geschaffen, aber seien wir ehrlich, du siehst in mir noch immer das arrogante Arschloch, das hinter dir her ist. Dessen bin ich mir bewusst und manchmal bin ich gerne eines. Und wie du in Kürze feststellen wirst, bin ich alles andere als ein Unschuldslamm.“ „Danke“, murmelte Nami nur, als er auffordernd das Glas hoch hielt. Seufzend, um endlich einen Schritt weiter zu kommen, nahm sie es entgegen, nur um es sofort wieder abzustellen. Als ob ihn das ausreichte, pochte er nicht länger darauf, sondern nahm einfach einen Schluck, einen größeren, ohne das Gesicht zu verziehen. „Du bist anstrengend, und wie du wissen solltest, hasse ich dieses ausweichende Getue. Rätsel sind mir zu wider.“ „Am Ende finde ich diese Lösung passabel. Es ist kein Thema, eher ein sehr delikates, das ich am Telefon lieber vermeide.“ „Was ist? Hast du wen ermordet?“, grinste Nami plötzlich, obwohl sie im selben Moment ein starkes Ziehen spürte, als ob der Gedanke daran gar nicht so abwegig wäre. War er aber, denn warum sollte er sie einweihen, wenn dem so wäre? Trotz des vielen Keppelns und der Aussprache im letzten Jahr, standen sie sich dennoch nicht näher. Gut, hie und da schrieb sie tatsächlich mit ihm, oder sie telefonierten kurz. Nami hatte irgendwann einfach aufgehört ihn nur noch zu ignorieren und sich über ihn aufzuregen und manchmal hatte er tatsächlich eine anständige Seite durchblicken lassen. Warum also, sollte er das entstandene Band plötzlich gefährden? Gefährlich anspannen? Und als sie ihn dann ansah und erkannte, welche Veränderung ihr kleines Späßchen auslöste, gefror ihr das Blut. Augenblicklich verstummte das Lachen. „Law … du machst mir Angst.“ Und da war sie tatsächlich wieder, stärker denn je. Als ob er den Gedanken gehört hatte, schüttelte er plötzlich streng den Kopf. „Dann sag mir endlich was los ist! In welche Scheiße bist du hinein geraten?“ „Lucci ist tot“, offenbarte er plötzlich, nach einem weiteren Schluck. Nami verabscheute den Grabräuber, dem sie in den vergangenen Monaten öfter über den Weg gelaufen war, sehr sogar. Trotzdem schockte die Nachricht und für einen Wimpernschlag lockte der Whiskey. „Ist keine zwei Wochen her.“ „Mein Beileid“, sagte Nami automatisch, „er war dir ein guter Freund.“ War er, so waren die beiden aufgetreten, wenngleich Law ihm, wenn es um Antiquitäten ging, gerne die Stirn bot. War das der Grund für sein Getue? Lucci, das hatte Nami schnell herausgefunden, arbeitete liebend gerne abseits der legalen Wege. Sogar Robin hatte ihr seine Vorgehensweise bestätigt. Kein Unschuldslamm. Auffällig musterte Nami Law. Flog etwa auf, woher er manche seiner Objekte bezog und hatte Angst vor eventuellen Konsequenzen? Schließlich spürte sie das aufkommende Mitgefühl. Einen Freund verlieren, war nie einfach, erst recht nicht auf außernatürliche Weise und bei einem Mann, wie Lucci, da konnte sich Nami keinen natürlichen Tod vorstellen. Außer … „War er krank?“ „Der komische Kauz – Kaku, richtig? – starb vor einer Weile, stimmt das?“ Irritiert blinzelte Nami. Bestimmt hatte Lucci ihm das gesagt, doch kannten sich die beiden gut genug? Unruhig wich sie Laws Blick aus. Darüber sprach sie nicht gern, schon gar nicht mit Law, und wieder, wie die Male zuvor, überkam sie eine unangenehme Gänsehaut. „Ja, bei diesem … Bombenanschlag“, sprach Nami leise aus. Zwar hatten sie sich weder lange noch wirklich gut gekannt, doch war es für sie ein Schock gewesen, einfach weil Kaku diese Art hatte, für die man ihn einfach mögen musste. Das Schicksal hatte übel mitgespielt, er war zur falschen Zeit am falschen Ort. Und da waren Franky, Kalifa … Robin. Schwer schluckend richtete sich Nami auf, trat zum Fenster. Die Auswirkungen waren allgegenwärtig. Robin hatte eine unübersehbare Veränderung durchgemacht, obwohl sie darauf bedacht war, dass Nami nichts merkte. „Sein Tod hat eine klaffende Wunde zurückgelassen. Sprichst du darauf an? Auf das Verarbeiten?“ Wobei – er hatte früh seine Familie verloren – Law wusste mit Verlust umzugehen. Oder war es eher die Tatsache, dass beide so unmittelbar hintereinander starben? Eineinhalb Monate. Nein, nach Laws Worten gerade mal ein Monat. „Woran starb er?“, brachte Nami nur schwer hervor. „Glaubst du an die Geschichte? Dem Anschlag?“, raunte Law gefährlich. „Du hast dir ein spannendes Umfeld geschaffen. Dir wird nie langweilig, stimmst du mir zu?“ Unwillkürlich biss sich Nami auf die Lippe. Worauf wollte er hinaus? Ja, verdammt, in den letzten Monaten war manches vorgefallen, aber was wollte er bezwecken? „Alles nach der Reihe. Ich will, dass du verstehst, obwohl mir Vergessen lieber wäre.“ Laut stieß Law Luft aus. Nami blieb still, abgewandt, was Law als Zeichen auffasste. „Deine Ablehnung Lucci gegenüber, sie hat einen triftigen Grund: Er war kein einfacher Grabräuber. Er hat genügend Leichen verscharrt, keine älter als ein Tag. Sein Nachhelfen versteht sich von alleine. Irgendwann musste er ein solches Ende finden, denn das kann ich dir bestätigen, er starb keines natürlichen Todes, schon gar nicht durch einen Unfall.“ Eine Bestätigung, die Nami nie hören wollte und die ihr eiskalt über den Rücken jagte. Schon immer hatte Lucci eine gefährliche Ausstrahlung an den Tag gelegt, er war alles, nur kein Unschuldslamm und Nami war früh davon ausgegangen, dass das Blut anderer an seinen Händen klebte. Was ihr in diesem Moment eher zu schaffen machte, war die Tatsache, dass Law Bescheid wusste und dennoch mit ihm beisammen war. „Ich hab dir nie von unserer ersten Begegnung erzählt, oder?“ Dabei warf Nami einen fragenden Blick zurück. Law verstand sehr wohl, was sich gerade in ihrem Kopf abspielen musste, er lächelte wissend. „Was-“ „Vor ein paar Jahren“, unterband er sogleich ihre Frage, „joggte ich meine übliche Runde, da fand ich einen verletzten Mann, bei genauerer Betrachtung fiel mir eine Schusswunde auf. Ich werde zwar schon mal als Unmensch abgestempelt, aber am Ende bin ich Arzt. Natürlich behandelte ich ihn, machte allerdings keine Meldung und irgendwie – er hat aus mir seinen Nutzen gezogen.“ Belustigt schüttelte er den Kopf. Was ihn amüsierte, ließ Namis Magen verkrampfen. Nach und nach sollte sie verstehen, stattdessen wurden mehr und mehr Fragen aufgeworfen und allmählich geriet sie sehr wohl in Panik. „Lucci gehörte jener Sorte an, bei der du dich nie in Sicherheit wiegen darfst. Ein falsches Wort, eine Laune oder ein minimaler Fehlschlag – er hätte mich einfach jederzeit getötet, ohne Skrupel. Zum Glück habe ich ihn stets zufriedengestellt und-“ „Willst du mir gerade sagen, du hast für ihn gearbeitet?! Hast was getan, Menschen am Tisch sterben lassen?“ Wusste Law überhaupt, was er ihr gerade unterbreitete? Verflogen war der Gedanke daran, dass Law einfach illegale Stücke abgekauft hatte. Law hatte einem Mörder geholfen. Was um Welten schlimmer war. „Nie! Ich töte nicht, ich habe ihm anderweitig geholfen, aber würde ich keinen Menschen bewusst sterben lassen! Ich bin kein Mörder.“ „Dafür hast du einen gedeckt!“ Nami hatte sich gänzlich umgedreht, suchte mittlerweile Halt. „Ist das Spiel aufgeflogen und sie suchen dich und hoffst auf was? Absolution?“ „Setz dich“, deutete er auf den Stuhl, „noch kratzen wir auf der Oberfläche, also setz dich bitte. Ist besser, glaub mir.“ „Vergiss es.“ Davon wollte sie nichts hören, sie wollte nicht wissen, worin Law involviert war. Ihr Körper zitterte verdächtig. Woran das lag, konnte sie selbst nicht einschätzen. War es die Schock oder einfach das Wissen, dass sie sich mit so einem Menschen in einem Raum befand? Hatte sie plötzlich Angst vor Law, weil sie nicht länger wusste, wozu er wirklich fähig war? Was auch ausschlaggebend war, sie musste raus, fort von ihm. Also tat Nami, was sie für das Beste hielt. Rasch stieß sie sich ab, nahm im Gehen ihre Jacke und war bereits nahe der Tür, als Laws Stimme sie einholte. Es reichte um anzuhalten. „An deiner Stelle würde ich wissen wollen, mit dem ich ins Bett steige!“ 19. Februar 2013 Das schlechte Gewissen drückte belastend in ihrer Brust. Dabei war Nami die eigentliche Entscheidung leicht gefallen, in Windeseile hatte sie das nötigste gepackt, war einfach gegangen, ohne Vivi näher einzuweihen. Lediglich ein Zugeständnis war ihr über die Lippen gekommen, die Trennung von Robin. Daraus hatte sie eine karge Ausrede gesponnen. Eine, die Vivi nie und nimmer akzeptierte, damit musste ihre Freundin allerdings leben. Zu mehr war Nami nicht in der Lage, alles offenlegen war sowieso unmöglich. „Hast du was gesagt?“ Hörbar seufzte Law, wiederholte nickend, was sie augenscheinlich nicht verstanden hatte. Er wollte wissen, wann ihre Familie sie erwartete. „Schätze am Nachmittag, hab ihnen gesagt, wir fahren am Morgen los.“ Nach Hause. Trotz der Differenzen war das ihr erster Gedanke gewesen. Natürlich warf der plötzliche Besuch Fragen auf, die sie bestmöglich versuchte abzudecken. Im besten Fall zog sie die Masche mit der Trennung durch, dass sie eine eigentlich geplante Reise deswegen nicht antrat und einfach Abstand brauchte. „Die Zeit vergeht recht schnell, was dann?“ Was dann? Darauf hatte Nami keine Antwort. Blieb sie oder kehrte sie zurück, lebte ihr Leben einfach weiter? In der derzeitigen Lage, widerstrebte sie allein dem Gedanken, noch einen Fuß in die Lagunenstadt zu setzen. Eher wollte sie vollkommen den Rücken kehren. Aber woher wusste sie schon, wie die Welt nach den kommenden Tagen aussah? Zeitgleich belächelte Nami ihre eigene Denkweise. Wen, abgesehen von Vivi und Kobra, wen hatte sie denn noch, für den sich eine Rückkehr lohnte? Unbewusst hatte sie doch längst eine Entscheidung getroffen. Wie erklärte sie Vivi überhaupt, warum sie niemanden mehr sehen wollte? Ohne die Wahrheit anzuschneiden, ohne zu lügen? Vivi war nicht dumm, zwar bezweifelte Nami stark, dass Vivi je von alleine hinter die Wahrheit kam, aber bei all dem musste selbst sie skeptisch werden, wenn sie nicht sowieso schon dabei war. Ob sie Rat suchte und nachfragte? „Iss was.“ Law schnitt eine leichte Grimasse. Vermutlich wollte er ihr ein aufmunterndes Lächeln schenken oder deutete eher an, sie unterschätzte die Lage und hegte Mitgefühl. Vielleicht eine Mischung aus beidem. „Du hast dein Versprechen nicht vergessen?“ „Nein, ich hab’s ernst gemeint, Nami. Alles.“ Schwach nickte sie zur Antwort. Vor Monaten hätte sie ihn am liebsten in der Hölle gesehen. Plötzlich war Law zum einzigen Menschen geworden, mit dem sie über dieses Thema reden konnte und durfte. „Bist du überzeugt, dass das funktioniert? Nach Hause gehen und abwarten, auf das Beste hoffen und vergessen?“, begann er nach einer Weile gedämpft und beugte sich näher. „Robin weiß, dass ich einen entscheidenden Part gespielt habe, weiß, was du mit den Unterlagen tun kannst.“ Der Gedanke, auf den Law anspielte, war Nami nicht neu. Daran hatte sie bereits mehrere Male gedacht, ein weiterer Grund, warum sie sich für die Flucht entschieden hatte. Es jedoch ausgesprochen zu hören, machte es allerdings weitaus realer. „Wenn Robin nur ein wenig Ähnlichkeit mit Lucci aufweist … sie wird alles tun, um das Geheimnis zu wahren. Ist dir das bewusst?“ Natürlich umschrieb er Robins mögliche Vorgehensweise. An der Raststation war wenig los, aber das Glück sollte nicht herausgefordert werden. Welche Antwort erwartete Law? Es lag auf der Hand, dass Robin schon bald umdachte. Noch hatte sie eher versucht ein Gespräch zu suchen, wollte sich erklären. Die Gefühle Nami gegenüber waren echt, dass spürte sie, aber die Frage war wohl eher, inwieweit diese eine Rolle spielten, sobald Robin eine Seite wählen musste. Wog Robin ihre Möglichkeiten ab, so war der Ausgang offensichtlich. Und doch blieb die Hoffnung, dass Robin in Mord keine Option sah. „Sie haben Zorro und Sanji verschont.“ „Dabei wurde aber auch kein Herz gebrochen.“ Kapitel 40: Vero o falso? ------------------------- Wahr oder falsch? 16. Februar 2013 „Und du erwartest dir einen Dank?“ Wäre sie doch bloß gegangen. Stattdessen hatte sie den Köder geschluckt, war geblieben und hatte ihn angehört. Hatte schweigend zugehört, wie er eine Bombe platzen ließ, deren Auswirkungen nicht einschätzbar waren. Zwar schrien all seine Worte nach einem kranken Scherz, doch Laws Auftreten – Nami kam nicht Drumherum, etwas in ihr sprang an, hinderte sie weiterhin am Gehen. „Warum soll ich dir den Mist abkaufen? Das ist verrückt!“ „Das ist der Schock“, stellte er nüchtern fest, „eine natürliche Reaktion.“ Schock. Mehr fiel ihm nicht ein? Entsprach alles, das er offen gelegt hatte, der Wahrheit … fahrig strich sich Nami durchs Haar. In diesem Fall stellte ein Schock das geringste Übel dar. Immerhin beschuldigte er Robin des Mordes. Allein der Gedanke, dass ihre Freundin für Geld tötete – welche Reaktion erwartete sich Law? Existierte überhaupt eine angemessene? Oder glaubte er allen Ernstes, sie nahm seine Ausführung ohne Zweifel hin? Zeigte sich dankbar und beriet die nächsten Schritte? Und nicht nur Robin, auch ihre Freunde. Franky, Kalifa, Kaku, von ihnen existierten genauso Unterlagen. Dennoch fiel das Interesse ihnen gegenüber überraschend gering aus. Nami schob die drei kinderleicht zur Seite, aber Robin? Ausgerechnet ihre Freundin? Nein, das wollte sie ganz und gar nicht verstehen, schon gar nicht wahrhaben. „Gut, nehmen wir an, du sagst die Wahrheit. Warum tust du mir das an?“, begann Nami schließlich, wohl wissend, er würde sich sowieso nicht auf einen anderen Standpunkt einlassen. „Du überfällst mich aus dem Nichts heraus. Unterbreitest mir das angebliche Doppelleben meiner Freundin. Robin geht dich nichts an. Warum also kümmert dich ihr Tun?“ Lüge oder Wahrheit, was es auch war, es lag nicht an Law es aufzudecken. Im Grunde nahm er sich lediglich das Recht, ihr Glück ins Wanken zu bringen. Während sich Nami bereits auf eine selbstgefällige Antwort gefasst machte, wurden seine Züge ungewöhnlich sanft. „Ob du mir glaubst oder nicht, ich sorge mich um dich.“ „Mit dem Hintergedanken, dass ich mich dir ängstlich um den Hals werfe?“, giftete Nami, woraufhin er verneinend den Kopf schüttelte. „Ich mag bei deiner Ex ein Spiel getrieben haben, doch in diesem Fall? Nami, darüber macht man keine Scherze. Wärst du mir egal, könnte ich die Informationen noch ignorieren und dabei zu sehen. Aber so? Ich will dich schützen!“ „Indem du mir sagst, meine Freundin tötet reihenweise Menschen? Was kommt noch? Stehe ich auf ihrer Liste?“ „Irgendwann, ja. Im Gegensatz zu dir, habe ich mit einem davon zusammen gearbeitet. Ich weiß, wie diese Leute ticken. In ihrer Nähe bist du nie sicher!“ Schwer atmete Nami durch, lag ein ungewohnt beklemmender Druck auf ihrer Brust. Seit Stunden saß sie zurückgezogen auf ihrem Bett, wünschend das Gespräche wäre bloß ein miserabler Traum gewesen. Leider entsprang der vor ihr liegende Ordner keinem Albtraum, jedenfalls nicht im eigentlichen Sinn. Eher der brutalen, niederschmetternden Realität, der ihre kleine, aber liebgewonnene Welt mit einem Schlag bedrohlich ins Wanken brachte. Die darin befindlichen Unterlagen, zusammen mit ihrem Smartphone und Kalenderbuch. Während des Gespräches hatte Nami all seine Versuche abgeblockt, ihm stets widersprochen. Erst am Heimweg hatten sich ihre Gedanken endgültig selbstständig gemacht, ihre Nerven und Gefühle auf die erste Härteprobe getestet, mit dem einfachen Durchforsten von Erinnerungen – Robins Reisen, allen voran die Geschehnisse innerhalb des Zeitraumes. Je nach Ziel informierte sich Nami näher, verfolgte auch während des Aufenthaltes sämtliche Nachrichten. Natürlich ohne Robin in Kenntnis gesetzt zu haben. Der Auslöser lag Monate zurück, der Mord eines aufstrebenden Politikers hatte Unruhen ausgelöst, woraufhin sie das erste Mal in Sorge gewesen war. Und obwohl ihr Wissen nichts änderte und sich Robin nicht abhalten ließ, holte sich Nami einen genauen Überblick ein. Darin fanden Zweifel Nahrung. Umso mehr schmerzten plötzlich die Anrufe, das Nachhaken war Robin wieder in einen Krisenherd gereist. Natürlich blieb die Skepsis aufrecht und Nami hoffte weiterhin auf eine perfide ausgedachte Lüge, einzig und allein auf das Scheitern der Beziehung ausgelegt – ein verlockender, wünschenswerter Gedanke, leider mit einem verdammt plausiblen Haken: Sofern kein Privatdetektiv angeheuert worden war, dürfte Law keinen solch genauen Überblick haben, denn manche Details waren erschreckend. „Was macht dich besser?“ „Nichts“, gestand Law offen. „Ich habe Lucci unterstützt, bei Vertuschungen geholfen. Manchmal aus Angst – bei ihm hattest du nie Zweifel, dir war stets bewusst, er könnte dich jederzeit töten – manchmal aus eigenem Interesse. Er half mir.“ Dabei wich Law zum ersten Mal nach langem ihrem Blick aus. „Niemand anderes bot mir die nötigen Informationen, eine Chance auf Rache. Dass du das nicht verstehst, ist mir klar und ich ziehe, wenn notwendig, auch die Konsequenzen.“ Wehmütig lächelte Law. „Neben den Dokumenten hat er mir auch ein letztes Puzzlestück zukommen lassen. Ich kann dieses Monster stürzen. Wird schwer, immerhin hat er einflussreiche Freunde, aber kommt er, wenn ich alles richtig mache, in Bedrängnis.“ „Verstehst du überhaupt, was du damit anrichtest?“, fragte sie leise, ohne näher auf das Gesagte einzugehen. „Du bist diejenige, die nicht versteht. Ich gebe dir eine Wahl“, sagte er bestimmend, „während ich meinen Weg bewusst gewählt habe, wirst du im Dunklen gelassen. Hast du eine Ahnung was geschieht, wenn Nico versagt oder an die falschen Leute gerät? Oder sich schlichtweg absichern muss?“ „Das schließt dich genauso ein!“, unterbrach Nami eisig. Wo gab er ihr eine Wahl? Law hatte entschieden. „Wie du gesagt hast, ihr ähnelt euch. Wie Robin hast auch du nie aufgehört.“ Das Einzige, was sie nach diesen Informationen, sofern sie ihnen tatsächlich Glauben schenken sollte, endgültig verstand, war Robins langes Zögern. Jedenfalls erschien es Nami als plausibler Grund. Die vielen Andeutungen erhielten eine vollkommen neue Bedeutung. Hinzu kam die Haltung Law gegenüber. Hatte Robin damals, in jener Nacht nach dem Gespräch in Brunos Bar, tatsächlich eine indirekte Warnung ausgesprochen? War sie deshalb so in ihre Einstellung verbissen gewesen? Langsam schloss Nami die Augen, übte leichten Druck auf ihre rechte Schläfe aus. Sie bekam Kopfschmerzen. „Die Liebe ist immer ein großes Risiko“, antwortete er gelassener, zuckte mit den Schultern. „Wenigstens habe ich niemanden getötet, nicht bei purem Bewusstsein, um Geld zu scheffeln.“ „Du bist nicht besser.“ Noch gab Nami nicht nach, noch kämpfte selbst ihr Verstand gegen die Anschuldigungen. Denn wie verdammt, wie hatte sie sich so einem Menschen täuschen können? „Siehe in mir, was immer du möchtest, aber im Gegensatz zu mir hast du noch Familie“, wurde er bissiger, zeigte erstmals offen Wut. „Meine wurde mir auf brutale Weise entrissen und der Mann, der dafür verantwortlich ist, läuft bis heute frei herum.“ „Du hast gesagt, Corazon sei sein Bruder. Wenn er schon machtlos ist, was willst du ausrichten? Oder sollte Lucci ihn für dich töten? Stellst ihn auf ein mächtiges Podest, wo er einfach so aus dem Weg geräumt worden ist.“ „Wärst du an meiner Stelle – sei ehrlich, du würdest nicht vergeben, die Situation nicht akzeptieren.“ „Gut, ich verstehe deinen Wunsch auf Rache, aber solltest du nach all dem nicht eher wissen, wie unmöglich dein Vorhaben ist? Überhaupt, was ändert sein Tod? Bringt er dir deine Familie zurück? Nein. Habe eher das Gefühl du haderst mit deinem Überleben.“ Law wollte antworten, Nami sah es an seiner Reaktion, doch schwieg er. Ergriff stattdessen das Glas Whiskey. Dass Robin alles andere als unkompliziert war, stand außer Frage. Bis heute fand Nami kein Universalrezept, doch hatte sie gelernt auf Zeichen zu achten. Dennoch, oft genug biss sie sich die Zähne aus, sie ging lediglich besser mit allem um. Verschwiegen, kaum durchschaubar hin oder her, ein solches Geheimnis bewahren … allein der Gedanke hinterließ einen kalten Schauer. Wie um alles in der Welt stellte Robin das an? Dabei blieb Namis Blick erneut an dem einen Namen hängen, der den Boden bröckeln ließ. Capone. Absurd. »Die Polizei versucht wohl herauszufinden, ob sein Tod ein Unfall oder gar Mord war – Da kann schnell jemand die Schnauze voll haben und dich aus dem Weg räumen – Vielleicht kannte er den Täter – Man muss nur wissen wie«, hallten Vivis Worte. An jenem Abend hatte sie Robin nicht nur wiedergesehen, sie hatte Nami den Abend gerettet, ihr Venedig ein wenig näher gebracht und anschließend nach Hause begleitet. Nie hatte Nami hinterfragt, warum Robin ohne Begleitung erschienen war. Tat Robin nie, auch heute nicht. Der Öffentlichkeit gewährte Robin keine Einblicke, hielt ihr Privatleben rigoros unter Verschluss. Ein Punkt, der in diesem Fall keine wesentliche Rolle spielte, nicht zu Zweifel führte. Eher beschäftigte Nami eben die Frage, woher Law von dem Abend wusste. Nami hatte ihn, abgesehen ihren Freunden gegenüber, nie erwähnt. Niemand aus der Familie wusste davon, auch Rebecca nicht. Und je länger sie darüber nachdachte desto schlimmer wurde ihre Befürchtung – es wurde realer. Es waren eben Kleinigkeiten, die nach und nach zum Umdenken führten. Genauso wenig verstand Nami, wie ein Mord so einfach von der Hand ging und federleicht abgeschüttelt werden konnte. Niemals hätte Robins Art einen Zweifel oder ein ungutes Gefühl aufkommen lassen. Im Gegenteil, Nami hatte jede Minute ausgekostet. Nun fand sie Capone auf der Liste angeführt, obwohl offiziell von einem Herzinfarkt die Rede war. Wobei Nami die Wahrheit kannte, die wahren Hintergründe hatten die Behörden bewusst verschwiegen, erst Vivi hatte die Umstände seines Todes näher erläutert: Vergiftet. Ein Zufall zu viel. Auch der Rest passte irgendwie zusammen. Waren es eben Robins Reisen oder kurzfristige Absagen, die Daten stimmten überein. Lediglich zwei markante Tage blieben offen. Da war der Autounfall und die Nacht auf den Einunddreißigsten, an dem Robin laut ihren Worten Franky aufs Festland zur Feier eines alten Freundes begleitet hatte. Doch statt, wie versprochen, gegen Mittag zurückzukehren, hatte sich Robin erst zwei Tage darauf wieder gemeldet. Entsprach der Unfall keiner Lüge, mittlerweile fiel ihr schwer zu erkennen, was wahr und falsch war, und Robin hatte gelogen … Vivi hätte erneut ins Schwarze getroffen, erneut die richtigen Riecher bewiesen. »Der Brand in Ferrara. Dann haut Bonney ab. Zufällig hat Zorro frei. Und deine Freundin ist diejenige, die alles getoppt hat – alles an einem Tag!« Zum damaligen Zeitpunkt hatte Nami jeden Gedanken daran abgeschüttelt. Gut, im Anschluss hatte sie den einen oder anderen Gedanken zugelassen, eben weil genügend binnen einem Tag vorgefallen war, doch am Ende hatte sich einzig und allein die Sorge um Robin (und die Wut auf Franky) durchgesetzt. Schließlich hatte Robin keinen Anlass für Zweifel gegeben. Nun waren die Karten neu gemischt. »Vielleicht frage ich bei Franky und Kaku nach – Sie haben gewisse Kontakte.« Zorro hatte von einem Mann gesprochen, dessen Name er ihr nicht sagen wollte, der berüchtigt war. Eine Beschreibung die zu dem merkwürdigen Kerl in Ferrara passte. Die Tatsache, dass Bonney nicht an Paranoia litt. Was, wenn tatsächlich ein Zusammenhang existierte? Was dann? Verzweifelt lachte Nami, vergrub dabei das Gesicht in ihren bebenden Händen. Ja, was dann? „Ein Trick?“ Nami traute dem Ganzen nicht. Niemand gab seinen einzigen Trumpf leichtfertig aus der Hand, schon gar nicht in einem ernsten Fall wie diesem. „Bringst du Kopien in Umlauf sofern ich still halte?“ Law wollte ihr den Ordner überlassen, einfach so. Kein Wunder, dass sie skeptisch war. „Nein“, wandte er sogleich mit gehobener Augenbraue ein. „Was du daraus machst, ist allein deine Entscheidung.“ Ungläubig lehnte Nami zurück, schüttelte immer wieder den Kopf. „Sieh dir die Berichte in Ruhe durch und behalt im Hinterkopf, was in deinem Umfeld geschieht. Sie sind gefährlich.“ „Dein Handeln bringt mich eher in Gefahr!“ Hatte er eine Sekunde darüber nachgedacht, was geschah, wenn alles der Wahrheit entsprach und Robin herausfand, das Nami Bescheid wusste? Law sprach von kaltblütigem Handeln der Gruppe. Statt sie zu beschützen, präsentierte er Nami eher auf dem silbernen Tablett. „Wissen ist Macht, Nami. Du musst es nur richtig einsetzen.“ „Hat sich dein Freund auch gedacht, was?“ Damit beendete sie das Gespräch, sah keinen Grund länger zu bleiben, wo sie allmählich begannen, sich unnötig im Kreis zu drehen. Dennoch, obwohl ihr der Gedanke gekommen war, ihm mit dem Ignorieren eindeutige Signale zu senden, entschied sie sich nach kurzem Hadern den Ordner mitzunehmen. Nami brauchte ihn gar nicht anzusehen, ihr war bewusst, was er anhand dessen dachte. Er fuhr einen Sieg ein, wenn auch nur einen kleinen. „Ich bleibe ein paar Tage“, rief Law noch hinterher, doch warf Nami weder einen Blick zurück, noch gab sie eine Antwort. Für einen Augenblick hörte sie lediglich ihren nervösen Herzschlag und spürte ein beklemmendes Gefühl in ihrer Brust. Das Treffen hatte ihre Tag vollkommen ruiniert, hiernach konnte und wollte sich Nami nicht bei ihren Freunden blicken lassen. Die Verabredung sagte sie definitiv ab, und heute hatte sie sowieso Glück, denn Vivi war selbst unterwegs, das hieß, Nami konnte sich seelenruhig auf ihr Zimmer zurückziehen. Sich ein eigenes Bild machen. Doch unweigerlich stand die Frage im Raum, was geschah, sollte er Recht behalten. Was tat sie dann oder besser gesagt, wie sollte sie überhaupt erst mit all dem zurechtkommen? Hatte Law daran gedacht? Der Boden wies deutliche Rissen auf, wurde instabil und ein schmerzhaftes Gefühl sagte, dass jeder weitere Schritt reichte und zum Nachgeben führte. × × Flucht – so ließ sich der plötzliche Aufbruch erklären. Während Nami einen Teil der Dokumente gerade noch verschwinden lassen konnte, war Vivi bestgelaunt nach Hause gekommen. Das rasche Abblocken und Verschwinden ließen Vivi garantiert aufhorchen. Nami kannte ihre Freundin, doch damit setzte sie sich gegebenenfalls am nächsten Tag auseinander. Auf welche Weise auch immer. Momentan stand Wichtigeres im Vordergrund und nach allem, bei all den unzähligen Möglichkeiten hatten sie ihre Beine ausgerechnet hierher geführt – zu Robin, dabei trat Nami unschlüssig auf der Stelle. Vor einer Weile schon hatte sie einen Schlüssel erhalten, sie hatte freien Zugang zum Haus. Wobei sie bislang nur dort gewesen war, wenn sie erwartet wurde. Einzig zum Geburtstag hatte sie sich früher hierher begeben, alles für die Überraschung vorbereitet. Irgendwie fühlte sie ein leichtes Unbehagen, wenn sie nun hier stand, die Möglichkeit besaß einfach hinein zu gehen, sich frei umzusehen. Und seit Nami angekommen war, spürte sie die Versuchung. Noch widerstand sie dieser, nahm stattdessen, trotz der so schon beißenden Kälte, auf der obersten Stufe Platz. Immerhin verstand sie das Ganze dank der Möglichkeit zum Schnüffeln noch weniger. Denn warum den Schlüssel weiterreichen, wenn dort ein Geheimnis wartete, das niemand lüften durfte? Dieser Schritt sprach eher von Vertrauen, nicht von einer etwaigen Sorge. Oder existierte diese Option in Robins Augen schlichtweg nicht? Wog sich anderweitig in Sicherheit? Wenn es etwas gab, das es zu verstecken galt, hatte Robin höchstwahrscheinlich genügend Optionen, brauchte nichts zu Hause verbergen. Dann wäre ein Suchen reine Zeitverschwendung und Nami brauchte sich nicht mit ihrem Gewissen auseinanderzusetzen. Andererseits machte das Offensichtliche blind. Ausgelaugt lag sie da, starrte ins Leere, während die Gedanken unaufhörlich um dieses eine schmerzhafte, aber insbesondere nervenaufreibende Thema kreisten. Minute um Minute, das seit Stunden, es hörte nicht auf. Denn mittlerweile schob sich ein neues Problem in den Vordergrund: Wie sah der nächste Schritt aus? Was machte sie mit dem Wissen? Ignorieren, darauf pochte vorwiegend ihr Verstand, durfte sie auf keinen Fall. Nicht tun, als wäre alles beim Alten, als hätte sie nie davon gehört. Das Herz hingegen wehrte sich auf eigene Weise. Gefühle verblassten nicht binnen Stunden, egal was sie hörte oder las, sie existierten weiter und in diesem Fall traf sie eine bittere Erkenntnis: Nami war Robin ganz und gar verfallen allein die Vorstellung diese Liebe aufzugeben, schmerzte. Erst ein Anruf ließ sie aus den Gedanken hochschrecken, ihren Herzschlag bedeutend schneller werden. Nami brauchte nicht hinsehen, brauchte nicht den Namen lesen, um zu wissen, wer anrief. Dabei fühlte sich das rasche Schlagen zum ersten Mal nicht nur nach der sonstigen Vorfreude an sondern nach … nach was? Panik? Wut? Enttäuschung? Alles zusammen? Annehmen – Ablehnen – Ignorieren. Für diesen Tag wäre Ignorieren die beste Lösung. Eine Nacht darüber schlafen, die Gedanken sortieren und dann erst ein Gespräch in Erwägung ziehen. In welche Richtung auch immer. In der derzeitigen Verfassung war sie für Robin ein gefundenes Fressen, zeitgleich war Nami nicht in der Lage ihre eigene Reaktion einzuschätzen und dennoch... „Scheiße!“, fluchte sie gepresst. Belügen war zwecklos. Natürlich sehnte sich ein Teil genauso sehr nach Robin. Wenn die körperliche Nähe schon fehlte, wollte sie wenigstens ihre Stimme hören. Ein törichter Wunsch, obgleich die Bestätigung ausblieb. Noch durfte sie der Sehnsucht nachgeben, sich an die Illusion klammern, noch existierte Hoffnung. Warum zitterte also ihr Daumen, als sie kurz davor war, abzuheben? Vielleicht, weil sie nicht wusste, was geschah, sobald sie die Stimme vernahm. Was, wenn sie offen aussprach, was ihr zugetragen worden war? Was, wenn aber das Herz gewann und sie für ein paar Minuten vergaß, sich auf das gewohnte Telefonat einließ? Ein Gefühl der Normalität, das sämtliche Bedenken in den Hintergrund schob. Stille. Robin hatte aufgelegt. Seither waren knapp zwei Stunden vergangen. Robin würde sich noch nichts dabei denken, schließlich hatte Nami schon mal den einen oder anderen Anruf überhört gehabt oder war noch unterwegs gewesen. Erst wenn sie die Nacht verstreichen ließ, kamen Fragen auf. Denn was bei Robin schon mal vorkommen konnte, war für Nami untypisch. Bring’s hinter dich, riet eine leise Stimme. Zurückrufen erschien ohnehin als einzig richtige Option. Ohne drehte sie sich im Kreis und vielleicht, darauf hoffte sie insgeheim, gab ihr das Gespräch den Weg vor. Denn je länger sich Nami gegen die Anschuldigungen wehrte, desto stärker wurde das Gefühl das alles der Wahrheit entsprach. Eine verräterische Wärme breitete sich beim Hören ihrer Stimme aus und für einen Bruchteil verschwand all der Kummer, es war wie immer. Bis sich plötzlich eine andere Regung kampfeslustig dazwischen schob. Eine unbekannte Abneigung, die Nami nicht kannte. Nicht bei Robin. Beide rangen miteinander, beide wollten die Oberhand und Nami schluckte schwer, bevor sie ein Wort hervor brachte. „Ich war beschäftigt.“ Keine Lüge, dennoch schwang ein gefährlicher Unterton mit. Wenn Nami schon nicht wusste, was ihre Freundin genau trieb, so wusste sie in diesem Moment sehr wohl, was sich die andere dachte. Manch einer würde den Unterschied nicht merken, doch tat sie es auf der Stelle. Das merkte Nami am kurzen Zögern, an der Weise wie sie sprach und schließlich offen fragte, was vorgefallen war. Robin kannte und durchschaute sie, als las sie in einem Buch. Seit sie ein Paar waren, hatte es Nami nie gestört. Verstellen war nicht notwendig. Egal ob sie glücklich oder traurig, wütend oder lediglich müde war, Robin erkannte sofort, manchmal auf beängstigende Weise, was los war. „Lass uns reden.“ Kapitel 41: Scontro. -------------------- Konfrontation 17. Februar 2013 Die Klosterinsel – von all den möglichen Anlaufstellen, um Ruhe zu finden … sie wählte ausgerechnet den Ort, der genügend gemeinsame Erinnerungen beherbergte. Ganzgleich, wie oft Nami alleine hier war. Am Ende hatten sie etliche Stunden auf dem Eiland verbracht. Vielleicht war das der Grund und weniger die Tatsache, dass sie hier ungestört war. Erst recht an einem kalten und windigen Tag. Das Vaporetto war ungewohnt leer gewesen. Kaum jemanden trieb es zur Führung. Womit Nami jedoch weniger gerechnet hatte, wenn überhaupt, war Robins plötzliches Auftauchen. Trotz des scheußlichen Wetters hatte sie die Zeit übersehen, ihr Körper strotzte gar der Kälte. Irgendwann, nach den ersten Minuten, hatte sie sich gänzlich im unruhigen Wellengang verloren. Erst Robins Anwesenheit holte sie mit gemischten Gefühlen zurück. Einerseits missfiel es ihr. Irgendwie hatte Nami sehr wohl darauf gehofft, nicht auf Robin zu treffen, wenigstens nicht so schnell, immerhin war die Rückkehr erst für Dienstag angesetzt gewesen. Zu früh also, umso mehr fand Nami darin eine stumme Bestätigung. Robin musste intuitiv wissen, was los war, denn während des Gespräches hatte Nami keine wirkliche Andeutung gemacht, das sie hinter das Geheimnis gekommen war. Das hatte sie sich wahrlich nicht getraut. Warum auch immer, wollte sie das nicht über das Telefon besprechen. Was sie an einen anderen Punkt brachte, ein Teil hatte auf das Wiedersehen gewartet. Nicht direkt zur Klärung. Ungeniert verrieten sie ihre eigenen Gefühle, denen sie nie und nimmer nachgeben durfte. „Was … was ist passiert?“ Erst darauf zeigte Nami eine Reaktion, bislang war sie bloß still gewesen, hatte weiter nach vorne gestarrt. In ihrer Handlung lag kein Zögern, da musste sie durch, ob sie wollte oder nicht. Stumm hielt sie die Tasche in die Höhe, wartete bis Robin sie abnahm. Das Herz schlug bis zum Hals, es war der Moment der Wahrheit. Ab nun existierte kein Zurück. Anders als erwartet, gluckste Nami. Welche Reaktion hatte sie erwartet? Natürlich kam der Absender an oberster Stelle. „Nehmen wir an, ich gebe dir den Namen“, fing sie an, holte tief Luft, „tötest du ihn? Wie deine unzähligen anderen Opfer?“ Schwer verließen die Worte ihre Lippen, entzog sich das Erfahrene jeglicher Plausibilität. Robin schwieg. „Das sagt alles“, murmelte sie, vergrub das Gesicht in ihren Handflächen. „Nami, das ist kein Spiel! Gerät das in falsche Hände – ja, ich habe keine andere Wahl, dann muss ich denjenigen aus dem Verkehr ziehen.“ Und wie erwartet kombinierte Robin rasch. „Steckt Law dahinter?“ Damit platzte Nami der Kragen. Durch das lange Sitzen in der Kälte war ihr Körper schwer, steif geworden, dennoch erhob sie sich mit Schwung. Zum ersten Mal sah sie Robin an, versuchte wenigstens etwas in deren Augen zu finden das ihr die Situation erleichterte. Nichts. Robin nahm ihr den letzten Funken Hoffnung, sie hatte kein einziges Mal widersprochen. „Ist dein Interesse bloß darauf fixiert? Wie es mir ergeht, ist egal. Hauptsache niemand kommt hinter dein Geheimnis?“ Noch blieb ihre Stimme in einem angemessenen Rahmen. Wie lange war fraglich. Vermutlich trug jede einzelne Antwort bei. „Sei froh, dass ich sie mitgenommen und nicht zu Hause hab liegen lassen.“ „Ist es nicht, aber ich muss das erfahren.“ „Keine Sorge. Solange ich möchte, bleibt das unter uns.“ „Er ist der Übeltäter.“ Schief grinste Robin, während Nami ausdruckslos blieb, sich dicht vor sie stellte. „Stirbt Law in nächster Zeit, sorge ich dafür, dass das in die richtigen Hände fällt. Ich lasse dich auffliegen und solltest du deswegen bis an dein Lebensende in einer Zelle verrotten“, erwiderte Nami sogleich, brauchte keine Bedenkzeit. Die Worte entsprachen sehr wohl der Wahrheit, würde sie Law töten, würde Nami alles an die Öffentlichkeit bringen. „Du hast mir aufgezeigt, wie krank die Welt doch ist. Wie unscheinbar und nahe das Böse in unserer Mitte ist. Du bist ein Monster und für solche hege ich kein Mitleid.“ Die Worte gingen nicht spurlos an Robin vorbei, das konnte Nami deutlich erkennen. Die Haltung blieb, aber in ihren Augen, an der veränderten Atmung. Sie hatte Robin getroffen, doch eine wohltuende Genugtuung blieb verwehrt. Dafür spürte sie auf eigene Weise den Schmerz. Sie waren am Ende angekommen. Einem Ende, das sich Nami nie vorgestellt hatte, schon gar nicht vom Grund her. „Dass ich mich ausgerechnet in dir getäuscht habe.“ Sich loszureißen erforderte Kraft, egal wie groß die Wut und Enttäuschung war. Langsam schritt sie an Robin vorbei, blickte wieder aufs unruhige Meer. „Halt dich fern, von mir, von Law und ich tu so als ob ich nie davon gehört habe.“ „Lass uns darüber reden. Bitte!“ Nami schnaufte. Was sollte sie sich anhören? Keine Erklärung der Welt konnte jene Taten erklären, geschweige denn rechtfertigen. Auch nicht das Auftreten der anderen. Sie sah Robin eine unbekannte Verzweiflung an, ja, Robin war angreifbar geworden und für einen kurzen, rasch vorbeifliegenden Moment, empfand Nami, trotz ihrer ablehnenden Worte, etwas wie Mitleid, den Drang ihre Freundin in den Arm zu nehmen. Liebe verschwand nicht, und dieser Frau zu wiederstehen kostete Nami verdammt viel Kraft. Und das hasste sie momentan mehr als alles andere. „Was willst du?“, knurrte sie wütend, schritt bedrohlich zurück zur anderen. „Heuchelst du mir eine billige Erklärung? Verdammt Robin, du hast mich belogen, mich nach Strich und Faden verarscht!“ Und Nami fühlte sich beschmutzt, aber hatte sich das Puzzle endgültig zusammengefügt. Wenn auch auf eine schmerzhafte Weise. „Ich hab dir vertraut, dir alles abgekauft … und dich interessiert einzig und allein, wer mir dein Geheimnis gesteckt hat.“ Die unsagbare Wut über ihre Fehleinschätzung trieb ihr Tränen in die Augen, die sie nicht zu lassen durfte. „Halt dich einfach fern von mir!“ Alles brach ineinander zusammen. Würde Nami diese Frau nicht lieben und nur etwas rational denken, dann wäre sie längst zur Polizei gegangen, hätte die Akte überreicht und Robin aus ihrem Leben gelöscht, versucht sie gänzlich zu vergessen. „Du irrst dich“, sprach Robin sanft. „Deshalb habe ich unsere Beziehung nie gewollt. Hättest du nicht damit angefangen … ich habe mich verliebt und dagegen ankämpfen hat nicht funktioniert. Egal wie oft ich es versucht habe. “ Stur blickte sie an Robin vorbei. Heute verstand Nami besser denn je. Die Einstellung zu Beziehungen, die unterschwellige Warnung an jenem Abend. Doch wer rechnete mit solch einer Wendung? „Ich habe alles in meiner Macht stehende getan, um diese Situation zu vermeiden.“ „Und weiter?“, blaffte Nami gehässig. „Bist du dir dessen bewusst, in welche Lage du mich bringst?“ Konnte sie das Geheimnis verbergen? Sollte sie überhaupt schweigen? Was, wenn ihre Familie davon erfuhr? Oder ihre Freunde? Freunde. Das Stichwort und Nami wurde kreidebleich. Schluckend blickte sie hoch, sah Robin wieder in die Augen. Bislang hatte sie sich oft genug darin verloren. Das durfte sie nicht, nicht mehr. „Deine Freunde … ihr arbeitet zusammen“, brachte sie kaum hervor. Dabei holte Robin tief Luft. „Franky. Kalifa. Kaku. Lucci“, sprach sie leise. „Wir haben Jahre miteinander verbracht. Erst geschäftlich, dann als Freunde. Abgesehen von Lucci. Er hat nie dazu gehört.“ „Habt ihr ihn deshalb getötet? Weil er euch nicht mochte?“ Verneinend schüttelte Robin den Kopf und Nami erhielt das Gefühl, aufgrund der zögerlichen Art, dem Vorbeischauen, dass da etwas war, das Robin so nicht aussprechen wollte. Nicht neben ihr. „Laut Law trägt ihr die Schuld.“ Für einen Moment erkannte Nami Verwirrung, doch fing sich Robin rasch. Es war unübersehbar, ihr Verstand arbeitete gerade auf Hochtouren. Der Blick fiel wieder auf die Mappe, der Griff festigte sich. Gepresst verließen die Worte ihre Lippen, Robin haderte sehr wohl. „Für Kaku … Lucci hat ihn auf dem Gewissen – anscheinend habe ich ihn in dem Fall unterschätzt. Offensichtlich hat er ähnlich gedacht. Eigene Vorkehrungen getroffen.“ Unweigerlich erinnerte sich Nami an die Tage nach Kakus Tod. Es hatte sie alle mitgenommen und in gewissem Maße verändert. An der engen Freundschaft zweifelte Nami keine Sekunde. Dafür war die Trauer zu groß gewesen, wenngleich Robin versucht hatte diese hinunter zu spielen. „Schon länger haben wir aufgepasst, was Lucci angeht. Während wir immer mehr mit diesem Leben hadern … Lucci wurde von Tag zu Tag gefährlicher. Das wurde Kaku zum Verhängnis.“ Robin strich sich seufzend durchs Haar. „Du und Law. Ihr könnt euch beide glücklich schätzen.“ „Was habe ich mit Lucci am Hut?“, fragte Nami lediglich. „Wie du weißt, mag ich Law nicht. Nicht, weil er für Lucci gearbeitet hat. Atteste, Leichen, vermutlich alles für ein stattliches Nebeneinkommen. Ob du nun daran zweifelst oder nicht, Law hegt ernsthafte Gefühle für dich. Das muss Lucci gewusst haben … er tötete genau. Ein kleiner Fehler und er hätte es zuerst auf dich abgesehen.“ „Schieb die Gefahr nicht auf Law ab“, antwortete Nami gehässig. „Gehe ich die Szenarien durch, bist du meine größte Gefahr. Euch verband keine Freundschaft … und wenn Kaku keine Chance hatte – anscheinend muss ich dankbar sein, das er dich nicht als sein erstes Ziel auserkoren hat.“ Mittlerweile ein recht billiger Einwand. Den Worten nach standen Robin und die anderen mit Lucci mehr oder weniger auf Kriegsfuß. Das er Law all seine Informationen anvertraut hatte, mit dem Wissen was diese anrichteten, zeigte deutlich die Spannungen auf. Erst recht, dass er jederzeit mit seinem Tod durch die Gruppe gerechnet hatte. „Er wusste, dass ihr ihm auf die Schliche kommt und hat aus gutem Grund Law ausgewählt.“ „Vielleicht.“ Robin lächelte traurig. „Vielleicht habe ich das Band unterschätzt.“ „Ferrara“, wechselte Nami plötzlich das Thema, wartete gespannt auf eine vielsagende Reaktion. „Du hattest keinen Autounfall, richtig?“ „Woher …?“ Schon während des Telefonats hatte Nami eine Entscheidung getroffen. Für ihr Kommen existierte ein triftiger Grund, zudem wusste niemand von ihrem Besuch. Eine solche Chance ergab sich bestimmt kein zweites Mal. Also hatte Nami alle Bedenken über Bord geworfen, hatte angefangen den Raum systematisch abzusuchen – mit Erfolg. Denn es stand außer Frage, dass das der einzige Ort im gesamten Haus war, an dem Robin je etwas verstecken würde. Allerdings hatte Nami mit Beweisen gerechnet, die die Vorwürfe untermauerten. Stattdessen lehnte Nami sich aufgewühlt zurück. Zorro. Bonney. Sanji. Ferrara. Anhand dessen, das sie hier vor sich hatte, zusammen mit Luccis ungefährem Todestag, wurden die zwei übrig gebliebenen, auffallend merkwürdigen Zeiträume abgedeckt. Wo war sie hinein gerutscht? „Du durchschaust alles, also wirst du schon auf die Antwort kommen.“ Würde Robin, das lag auf der Hand. „Ein ganz schöner Haufen Zufälle für einen Tag, findest du nicht? Und trotz allem habe ich jedes Warnsignal überhört, weil ich dir vertraut habe … und Zorro.“ Als ob Robins wahre Natur nicht ausreichend war. Sein Verrat traf sie auf ähnliche Weise. Zwar blieb das Gesamtbild noch aus, doch er war derjenige, er ihr Bescheid gegeben hatte, der seitdem verschwiegener denn je war. Dabei hätte sie schon damals, bei der ersten Erwähnung von Frankys sogenannten Kontakten, schon eher aufhorchen müssen. Tiefer nachhaken und nicht blindlings vertrauen. Robin selbst blieb still. Keine allzu große Überraschung, das tat sie öfter als es Nami lieb war, wenngleich der Moment falsch gewählt wurde. Schweigen war fehl am Platz. „Was ist? Hast du die Sprache verloren oder denkst du darüber nach, wie du mich aus dem Weg räumst?“ Ein gewagter Scherz, wobei durchaus ein Funken Wahrheit dahinter steckte. Das Vertrauen war fort und somit hatte Nami keine Ahnung mehr, was sie zu erwarten hatte. Was sollte sie von so einem Menschen überhaupt erwarten? Was immer Robin für sie empfand, welchen Schutz hatte Nami schon? „Tue ich nicht.“ „Seien wir ehrlich, ich hab eine dumme Entscheidung getroffen. Wäre wohl besser gewesen, ich hätte so Schluss gemacht. Ich meine, du hast mir offen gesagt, dass du Law töten willst … was spricht da für mich? Dein dunkles Geheimnis ist ernsthaft gefährdet. Ich bin für dich zur Bedrohung geworden“, provozierte Nami gefährlich weiter. Irgendwann musste Robin eine Reaktion zeigen, nicht bloß starr vor ihr stehen und sie stumm anstarren. Verstand diese Frau überhaupt, was gerade geschah? Was in ihr los war? „Weil ich dich liebe“, kam schließlich die beinah banale Antwort, die Nami erst irritiert blinzeln ließ, ihr dann jedoch ein verzweifeltes Lachen kostete. „Liebe … wisst ihr überhaupt, was Liebe ist? Ich will mir gar nicht ausmalen, was sich in euren Köpfen abspielt! Wie schaffst du das überhaupt? Capone? Erinnerst du dich? Wie gefühlskalt musst du bitte sein, dass du einen Menschen tötest und anschließend so tust, als wäre nichts geschehen. Hast du mich an dem Abend als Alibi auserkoren? Für den Fall der Fälle?“ "Hör auf!" Kapitel 42: Tornando alla realtà. --------------------------------- Zurück in die Realität. 17. Februar 2013 Benommen sank Robin auf den Stuhl. Sie war durchgeweicht. Während des Heimmarsches hatte strömender Regen eingesetzt, der Mantel hatte nicht alles abgefangen. Trockene Kleidung oder ein Handtuch für das nasse Haar sah Robin jedoch Nebensächlichkeiten an. Ohne Umschweife war sie in das Arbeitszimmer gegangen, hatte nach der Bestätigung gesucht. Nami hatte Recht behalten. Natürlich hatte Robin herausgefunden, woher sie Bescheid wusste – dank ihrer eigenen Überheblichkeit. Oder eher ihrer falschen Einschätzung? Trotz des Ausrutschers hatte sich Robin in Sicherheit gewogen. An das Wahren des Geheimnisses geglaubt, auch an den Bestand ihrer Beziehung. Gerade deswegen hatte sie Nami mehr vertraut, als sie je erwartet hatte, deshalb auch der Schlüssel. Schließlich hatte sie das Versteck nie erwähnt. Wann war sie so durchschaubar geworden? Instinktiv hatte ihre Freundin ins Schwarze getroffen. Schwer atmend lehnte Robin vor, vergrub das Gesicht in den Händen. Zwar hatte sich Robin das Ende öfter ausgemalt, aber nun, wo es eingetroffen war, übertraf der davon ausgelöste Schmerz all ihre Vorstellungen. Darauf war sie nicht vorbereitet gewesen. „Hör auf!“, gab sie gepresst zurück. Das wollte sie nicht hören. Es tat weh. Von jedem anderen durften sie kommen, sie hätte bloß ein Lächeln dafür übrig, aber von ihr? Ihre Gefühle waren echt, keine Sekunde hatte sie ihre Freundin benutzt, schon gar nicht als ein Alibi angesehen. Und ja, sie hatte Capone getötet, seinetwegen war Robin überhaupt auf dieser Veranstaltung gewesen. Nami zu treffen – ein Zufall. Ein verdammt glücklicher Zufall, für den sie äußerst dankbar gewesen war. Nicht als Alibi, vollkommen ohne böse Absicht, sie hatte sie gesehen und hatte einfach so, aus reiner Neugierde heraus, das Gespräch gesucht. Während des Spazierganges hatte Robin den Auftrag dann gänzlich vergessen gehabt, sich lediglich auf das Gespräch konzentriert. Und sie hatte jede Minute genossen. Glaubte Nami das Ausgesprochene? Sie hätte sie für ihre Zwecke benutzt? Waren sie an dem Punkt angelangt? Hoffnungsvoll suchte sie nach einem Zeichen, das dem nicht so war – zwecklos. Nami zeigte deutlich, wie es um sie stand, aus gutem Grund. Robin verstand, war in der Lage ihre Reaktion nachzuvollziehen. Mit dem erlangten Wissen im Gepäck … leicht zogen sich ihre Brauen zusammen. Umgekehrt würde Robin wohl ähnlich denken. Das Vertrauen war dahin. Das Bild hatte sich gewandelt. „Ich habe dich keine Sekunde lang benutzt. Das habe ich nie. Kaum habe ich dich gesehen … das kurze Gespräch war alles, das ich zu diesem Zeitpunkt wollte. Du hast mein Interesse geweckt und ich habe die Chance genützt.“ „Du weißt, dass ich dir nichts mehr glauben kann.“ Eine ungewohnte Härte und Kälte lagen nicht nur in den Worten, auch in ihren Gesten. Das kannte Robin nicht, nicht von ihr. Damit umzugehen stellte eine neue, unbekannte Herausforderung dar. „Siehst du dein Leben als Last? Ich tue es. Hast du eine Ahnung, welche Überwindung mich das Schweigen kostet? Oder wie sehr mich das Wissen erdrückt? Vivi ahnt den Grund - natürlich nicht den wahren – ihr ist längst bewusst, mit wem meine derzeitige Verfassung zusammenhängt.“ „Sie meint, du bist still und ich stimme ihr zu. Das bist du …“ „Vielleicht hat Law Recht behalten, ihm zufolge leide ich an einem Schock.“ Müde lächelte Nami. „Mittlerweile teile ich seine Meinung irgendwie. Ich meine, wir sagen gerne, jemand hätte Leichen im Keller, aber bei dir? Die Wahrheit und kein dummer Spruch. Und als ob du nicht ausreichst, belügen mich zwei Freunde, um dich zu decken. Bisschen viel, oder?“ „Es tut mir leid.“ „Und was? Deine Lügen? Das Versteckspiel? Denn fang bitte nicht mit deinen Taten an, das kauft dir niemand ab.“ Leicht schüttelte Robin den Kopf. „Alles.“ Angefangen mit ihrem Egoismus, der sie überhaupt erst in diese Lage gebracht hatte. „Ich habe von deiner Rückkehr gewusst, aber kein Treffen herbei gesehnt und ausgerechnet deine Freundin schleppt dich meinetwegen dorthin“, begann sie mit reichlich Wehmut. An dem Abend hatte Robin den ersten, großen Fehler gemacht. „Eines führt zum anderen und ehe du dich versiehst, entwickelst du Gefühle, wirfst all deine Regeln über Bord – das das ich über Beziehungen gesagt habe, ist nicht gelogen. Ihnen bin ich Jahre geschickt ausgewichen. Eine kleine Liaison hie und da, aber niemand durfte mir nahe kommen. Bis du aufgetaucht bist-“ „Lass das“, unterbrach Nami harsch, „darauf springe ich nicht an. Die Masche ändert nichts, nichts an deinen Taten! Du hast etliche Menschen auf dem Gewissen, du und deine tollen Freunde. Und ich? Schon mal daran gedacht, wie oft ich mir deinetwegen Sorgen gemacht habe?!“ Erstmals erkannte Robin Wut und wieder trat Nami näher. „Du reist in unsichere Gebiete und was mache ich? Ich sitze zu Hause und hoffe, dass es dir gut geht. Erst recht, wenn du dich wieder nicht meldest! Oder dein angeblicher Autounfall. Verdammt, Robin! Kannst du dir meine Angst vorstellen, die ich gehabt habe? Plötzlich sagst du ab, bist nicht erreichbar. Irgendwann bekomm ich einen Anruf. Hast du dabei je an mich gedacht? An meine Gefühle? Hast du überhaupt eine Vorstellung, wie es gewesen ist, dich so zu sehen? Und ich Idiot habe Franky zum Teufel verflucht! An ihm meine Wut ausgelassen.“ Grob stieß sie Robin zurück. „Dabei hast du eher bekommen, was du eigentlich verdienst!“ Robin behielt das Gleichgeweicht, auch beim zweiten, dritten und vierten Mal. Jedoch ohne Gegenwehr, sie ließ es stumm geschehen. Robin wusste, dass sie auf ganzer Linie Mist gebaut hatte. Zwar hatte die Beziehung schon immer unter einen schlechten Stern gestanden, doch die Hoffnung war stets da gewesen. Hoffnung auf ein Happy End. All die Warnungen, Robin hatte sie alle in den Wind geschossen, hatte für sich bewusst für das Risiko entschieden. Die Gefühle waren es wert, und diesen Schritt würde Robin nie bereuen. Sie täte es jederzeit aufs Neue, für jede einzelne Minute. Liebe und Zeit – an beides hatte Robin geglaubt. Einerseits das die Liebe stark genug war, für den Fall der Fälle, auf Dauer hielt. Andererseits daran, dass sie Zeit hatte. Zeit sich loszureißen, das alten Leben hinter sich zu lassen, ohne das jemals die Wahrheit ans Licht kam. Zwei naive Annahmen. Sie hatte alles verloren. Dabei spielte die Rachsucht eine tragende Rolle. Hätte sie bloß länger nachgedacht, sämtliche Szenarien genauer abgewogen. Natürlich war Rob Lucci kein dummer Anfänger gewesen. Jeder hatte einen Trumpf im Ärmel, aber das er ausgerechnet Trafalgar auserkoren hatte … ja, diese Möglichkeit hatte Robin gänzlich außer Acht gelassen. So errang er selbst im Tod einen Sieg. Warum jemanden sofort töten, wenn man genauso gut das Leben zerstören konnte? Dennoch, etwas daran störte Robin sehr. War Rob auf den Gegenschlag vorbereitet gewesen, was hatte er sich erhofft? Die sofortige Weiterleitung an Behörden? Ihre Verhaftungen? Ungläubig schüttelte Robin den Kopf. Das war zu wenig. Abgesehen von Nami, war das Aufdecken fast zu wenig. Gewiss, ihre Leben würden sich vermutlich von Grund auf verändern, im weiteren Verlauf mussten sie eventuell zur Gänze untertauchen. Selbst einem überraschenden Auftauchen hätten sie entkommen können. Darin waren sie trainiert. Um ihr Leben zu kämpfen, das gehörte zum Alltag. Was also hatte sich Robin wirklich erhofft? „Robin! Reiß dich gefälligst zusammen!“, ermahnend drangen jene Worte zu ihr durch. Bedächtig hob sie dabei den Kopf. Es war Kalifa, die sie aus ihrer Trance holte, an ihrer Schulter rüttelte. Jedoch ging der Blick rasch an ihr vorbei, wurde auf Franky gerichtet, der hinter ihrer Freundin stand. Anders als sie, zeigte er offen seine Besorgnis, sein Mitgefühl und machte deutlich, dass ihm die Worte fehlten. Kein Grinsen, kein vergeblicher Spruch um Robin aufzuheitern, die Situation aufzulockern. Natürlich, sie hatte ihre Freunde während des Heimwegs informiert und gebeten zu ihr zu kommen. „Klär uns auf!“, drängte Kalifa. „Robin“, forderte Franky wesentlich sanfter auf. Kurz schweifte der Blick zwischen den beiden hin und her. Aufklären. Ein verzweifeltes Lächeln folgte, was sollte sie genau erklären? Sie hatte ihnen Bescheid gegeben, hatte ihnen gesagt, dass Nami die Wahrheit kannte. Was galt es da noch großartig aufzuklären? Für Robin zählte nur dieser Aspekt, aber natürlich reichte das nicht. Nicht für ihre Freunde und so begann Robin zu erzählen. Woher die Information kam, was Nami wusste. „Verdammtes Arschloch!“, knurrte Franky gefährlich. Seit er das Wesentliche gehört hatte, schritt er unaufhörlich auf und ab. Dabei zeigte er offen seine Wut und Robin erhielt durchaus das Gefühl, er wollte sie an irgendetwas auslassen. Doch das würde er sich hier nie und nimmer leisten, schon gar nicht in dem Zimmer. „Ich sag euch, den bring ich mit bloßen Händen um!“ „Franky!“, ermahnte Kalifa, warf ihn einen drohenden Blick zu, ehe sie sich zurück zu Robin drehte. „Verzwickt. Wurde geschickt eingefädelt. Handelt es sich um eine einfache Skepsis, kannst du sie noch totreden, aber mit Beweisen in der Hand? Wir haben ihn doch nicht unvorbereitet auflaufen lassen – Wie ist er hinter Ferrara gekommen? So detailliert? Die Kleine kennt alle Hintergründe, sogar Casanovas Familiengeschichte!“ Fragend horchte Robin auf. Darüber hatte Robin kaum Worte verloren, ihnen lediglich erzählt, dass die Ausrede vom Unfall aufgeflogen war. Da tauschten ihre Freunde einen vielsagenden untereinander Blick aus. „Klärt ihr mich nun auf?“ Hörbar atmete Franky aus. „Sagen wir, die Jungs statteten mir heute einen Besuch ab?“ Während Kalifa daraufhin entschuldigend lächelte, strich sich Franky ertappt den Nacken entlang. „Sie haben was? Warum habt ihr nichts gesagt?“ „Weil du unterwegs sein solltest!“, antwortete Kalifa rasch. „Wir haben uns beraten, uns selbst einen möglichen, nächsten Schritt überlegt. Wir wussten nicht, dass sie bei dir sofort mit der Tür ins Haus fällt. Schließlich sollten beide den Mund halten und dir gegenüber kein Wort verlieren. Und an deine sofortige Rückkehr haben wir überhaupt nicht gedacht.“ „Die Jungs sind besorgt. Nami blockt sie vollkommen ab. Was sie auch tun, sie hört nicht. Allerdings hat sie ihnen gegenüber nur jene Nacht erwähnt. Sie kennen somit nicht das gesamte Ausmaß.“ Robin konnte nur ungläubig den Kopf schütteln. Alles lief gewaltig aus dem Ruder. „Also Robin, hast du eine Erklärung?“, fragte Kalifa für ihre Verhältnisse eine Spur zu sanft. Die hatte sie. Kannte Nami die gesamte Geschichte, existierte nur eine einzige Erklärung und diese stieß Robin, in Anbetracht der Lage, sauer auf. Führte deutlich vor Augen, wie unvorsichtig sie doch gewesen war. Sie war in der Tat durchschaubar geworden. „Ich habe mich näher mit deinen Unterlagen beschäftigt“, sprach sie an Kalifa gewandt, „und selbst die eine oder andere Recherche gemacht. Zur Vorbereitung auf unser Vorhaben, auch um alles besser zu verstehen.“ Ein Glück, dass das alles war, das Nami hatte finden können. Robin bewahrte genügend auf, doch nie alles am selben Ort. „Sie hat den Safe gefunden.“ Dabei warf sie einen flüchtigen Blick zur gegenüberliegenden Wand, ehe sie die Papiere vor ihr zur Hand nahm und sie Kalifa reichte. „Mit den restlichen Unterlagen ziemlich glaubwürdig.“ „Und aufgebrochen?!“, fragte Franky entgeistert. „Sie hat ihn mit dem Code geöffnet, richtig?“, ignorierte Kalifa ihren Freund und sprach dabei das Offensichtliche aus, wobei ein ungewöhnlich wissender Unterton mitspielte, der Robin skeptisch aufhorchen ließ. „Oh, sieh mich nicht so an“, winkte die Blonde mit den Augen rollend ab. „Darf ich dich daran erinnern, dass ich mich ein bisschen mit deiner Freundin beschäftigt habe? Allerdings hast du dich lieber auf den Arzt gestürzt.“ „Ach, ist sie eine von uns?“ „Sei nicht albern, Franky!“, tadelte sie ihn dieses Mal. „Die Kleine ist lediglich gewieft, eine Unruhestifterin, sie ist im Internat extrem aufgefallen. Glaubt mir, eine recht interessante Schulakte, wobei das System miserabel ist. Hat mich keine zwei Minuten gekostet. Wenn ich bedenke, was die Eltern für die Schule löhnen, fliegen-„ „Komm zum Wesentlichen!“, mahnte Robin. Natürlich erinnerte sie sich an Kalifas damalige Bemerkung, aber davon wollte sie nie etwas hören. Als ob ihr Interesse auf alte Schulakten beruhte. „Sie kann Schlösser knacken. Ist auch öfter hinter die Passwörter gekommen. Die hat den Direktor bestimmt zur Weißglut gebracht. Für kindliche Späße versteht sich.“ „So ein braves Kind wünschen wir uns alle“, brummte Franky. „Okay, wir wissen, sie hat einen Schlüssel, kein Einbruch. Wie ist sie an den Code gekommen?“ „Ganz einfach, jemand hat sie viel zu nahe an sich heran gelassen, oder Robin?“ Die Angesprochene grinste schief. Das hatte sie, wenn auch unterbewusst. „Das hängt mit einem weiteren Problem zusammen. Die Unterlagen, die sie mir in die Hände gedrückt hat, sind somit nicht vollständig. Diese Zahlenkombination lässt sich hier drinnen nicht finden.“ Nami hatte ihr die Mappe tatsächlich überlassen. Ein Schritt, den Robin einerseits nur schwer verstand, ihr andererseits Hoffnung machte. Aber dafür war nun der falsche Zeitpunkt und der Blicke ihrer Freunde nach, wollten sie endlich erfahren, womit der Safe geöffnet werden konnte. „Sechsstellig. Mein erster Mord“, gestand Robin leise. Der Safe diente ausschließlich für diesen Abschnitt ihres Lebens. Daher hatte sie für den Code die passende Lösung gefunden, das Datum erinnerte sie nicht nur an den Beginn der Spirale, er sollte im Normalfall von keiner gewöhnlichen Person erraten werden können. „Kann gerade schwer sagen, was mich eher umhaut … das sie das erraten hat oder weitere Informationen zurückhält.“ „Beides ist katastrophal. Für dich. Für uns.“ Kalifa warf seufzend die Papiere auf den Tisch zurück. „Was hat sie noch gefunden?“ „Nichts, abgesehen von meiner Waffe, die ist allerdings offiziell registriert. Auch der Computer enthält keine Datensätze.“ „Ich will dich nicht verlieren“, sprach Robin offen aus, wovor sie sich seit jeher fürchtete. Unter keinen Umständen, doch lag die Entscheidung nicht in ihrer Hand. „Hast du aber.“ Drei kleine Worte. Gewichtig genug, um eine Welt einstürzen zu lassen. „Und lässt du uns in Ruhe, halte ich mein Versprechen.“ „Warum?“ Fragend hob sich eine Braue. „Warum tust du das?“ „Weil ich nicht auf eure Rache scharf bin.“ „Als ob.“ Vorsichtig fasste sie nach der Hand ihrer Freundin. „Meine Welt mag dir fremd sein, doch bist du nicht auf den Kopf gefallen. Wenn dir bewusst ist, wozu ich fähig bin … warum nimmst du weiterhin an, dass ich dich lasse und einfach so gehe.“ „In der Hoffnung die Sache rasch abzuschließen?“, wisperte sie gepresst, wich dabei dem durchdringenden Blick stur aus, ohne dabei die Hand zurückzuziehen. „Wir entscheiden nicht, in wen wir uns verlieben. Die die du kennen gelernt hast, das bin ich. Keine Täuschung.“ Sacht umfasste sie das Kinn ihrer Freundin, zwang sie zum Aufsehen. „Ich suche längst nach einem Weg … reicht das vorerst nicht? Dass wir uns lieben?“ Oft zerbrach sich Robin den Kopf darüber, wie sie ihrem Doppelleben entkam, ohne gröbere Einschnitte, ohne Nami in Gefahr zu bringen. Ein äußerst schweres Unterfangen, zu weit war sie in diese Welt vor gerückt. Zu viel Wissen hatte sich angesammelt. Doch kam sie dem näher. Sie brauchte einfach Zeit. Als schließlich die erste Träne fiel, schluckte Robin schwer. „Nein.“ Erst da löste sich Nami und trat vorsichtig zurück. „Wer sagt, Liebe überwindet alles und findet einen Weg … der hat sich nie in ein Monster verliebt. Wir haben keine Zukunft.“ „Was jetzt?“ Mit verschränkten Armen lehnte Franky, sichtlich unwohl, gegen das Bücherregal. „Was wohl, wir holen uns den Rest und lauern dem Arzt auf“, erwiderte Kalifa säuerlich. „Er und deine Freundin sind eine Gefahr.“ Der raue, entschlossene Tonfall war unüberhörbar. „Robin hat gesagt, was dann passiert.“ „Nehmen wir ihr die Unterlagen, nehmen wir ihr sämtliche Beweise und was will sie uns ohne anhängen? Niemand würde ihr je die Geschichte abkaufen. Und der Arzt? Ups, hat eine Kurve zu schnell genommen. Von der Göre lasse ich mich nicht bedrohen!“ Kalifa war gereizt, jedes Wort unterstrich dies. Verständlich. Robin verstand sie zu gut, schließlich war das Problem weitreichend. Hierbei stand nicht nur das eigene Leben auf dem Spiel, ihre Freunde wurden mit in den Schlamassel gezogen. „Wir warten ab. Keine voreiligen Aktionen!“ „Hörst du dir überhaupt zu, Franky? Habt ihr beide nun gänzlich den Verstand verloren?“ Wütend stieß sich Kalifa vom Schreibtisch ab. „Jeden anderen hätten wir unlängst zur Strecke gebracht. Ohne Zögern, ohne Gewissen. Für uns, um unsere Ärsche aus dem Dreck zu ziehen! Habt ihr vergessen, wer wir sind? Was wir sind? Wollt ihr euch von einem toten Dreckskerl das Leben ruinieren lassen?“ Ihre Stimme war lauter geworden. „Wer hat so schnell reagiert? Ich nicht, mir hat die Idee mit den Charlottes nie gefallen“, warf Robin vorwurfsvoll ein. Wenn sie schon von ihm sprachen, dann musste sich Kalifa an der eigenen Nase fassen. Das Vorhaben stammte von ihr, sie hatte darauf beharrt, Franky auf ihre Seite gezogen. Ein Kinderspiel, bedachte Robin die unsagbare Wut über Kakus herbeigeführtes Ableben. „Oh bitte. Der Ausgang wäre immer derselbe gewesen! Rob hat uns auflaufen lassen, das wurde schon vorher inszeniert. Als ob er sich das zwei Minuten vor seinem Tod aus dem Ärmel geschüttelt hat! Das hast du zu verantworten.“ „Beruhig dich!“, knurrte Franky. „Nein! Wie oft habe ich meine Bedenken geäußert? Wie oft habe ich gesagt, sie solle sich lieber eine lockere Affäre zulegen? Gefühle sind gefährlich. Wir können uns keine dauerhaften Liebschaften leisten! Und? Hat sie gehört? Nein, denn Signora Nico weiß es besser, denkt sie ist besser vorbereitet als damals mit Laki – Jünger oder älter, das ist unwichtig. Fakt ist, dass sie sich von ihren beschissenen Gefühlen hat blenden lassen und ich soll Däumchen drehen und zusehen, wie unser aufgebautes Leben den Bach hinunter geht, weil sie sich nicht im Griff hat?“ Schwer atmete Kalifa und obwohl sie von Robin sprach, starrte sie wutentbrannt Franky an, der den Blick ungerührt erwiderte. Er wartete. Kalifa nahm Fahrt auf, er wusste, da kam noch mehr. Robin selbst nahm die Vorwürfe schweigend hin, entsprachen sie der Wahrheit. Während ihr Freund sich eher darüber gefreut hatte, hatte ihr Kalifa öfter ins Gewissen geredet. Ihr genügend Male verdeutlicht, was dieser Schritt in der Regel kostete. Dennoch hatte sie sich für die Liebe und gegen die Vernunft entschieden. Dafür musste sie sehr wohl gerade stehen. „Darf ich dich an jenen Abend erinnern, Franky?“, setzte Kalifa neuerlich an, schritt auf ihren Freund zu. „Kaku und du, ihr habt euch einen Ruf aufgebaut. Bislang habe ich mich nie darüber aufgeregt, ich hab euch in Ruhe gelassen, aber was hat uns eure Nächstenliebe gebracht? Als Freunde halten wir zusammen, deshalb bin ich nach. Ferrara hätten wir jederzeit vermeiden können. Aber du musstest deinem Kumpel ja helfen. Seiner Liebe wegen – Gott, eure Gefühlsduselei wird uns gerade zum Verhängnis! Und statt der offensichtlichen Lösung zu folgen, kuscht ihr!“ Abrupt verdunkelte sich Frankys Miene. „Hörst du dir überhaupt noch zu?!“, drehte er den Spieß um, packte Kalifa schroff an den Schultern, drängte sie gegen das nächstbeste Regal. Robin war schon aufgestanden und wollte eingreifen, als er weitersprach. „Genau darauf zielt sein Spiel doch ab! Das wir sämtliche Vernunft über Bord werfen und uns endgültig verraten, uns gegenseitig an die Gurgel gehen. Wir ziehen zwar los, aber wir würden unseren Freunden und Liebsten nie ein Haar krümmen. Das sind wir nicht! Wir sind keine gefühlslosen Monster!“ Kapitel 43: Alba. ----------------- Morgendämmerung. 16. September 2012 Der Abspann lief. „Spuck schon aus, was schwirrt dir im Kopf herum?“ Deutlich vernahm Robin den neckischen Tonfall. „Fehlte dir der Realismus?“ Hörbar atmete sie auf, wobei sie den Kopf auf die Lehne sinken ließ, ihn leicht zur Seite neigte und gleich das amüsierte Grinsen erspähte. „Ziehst du mich auf?“ Leise mit taxierender Miene. „Tue ich das?“, stellte Nami feixend eine Gegenfrage. Sie drehte sich ihr gänzlich zu, setzte sich gerade hin, ein Bein über das andere. Robin musste leicht aufschauen. „Komm Robin, du bist gegen Ende hin recht ruhig geworden. Erzähl mir womit du dich abgelenkt hast.“ Unschlüssig sah sie an ihr vorbei. Robin hatte den Film ausgesucht, wohl wissend, dass sie sich nicht für die Handlung interessierte. Meist langweilten Robin Filme. Nur wenige hielten sie bei Laune, aber das war nicht der springende Punkt. „Wer sagt, ich habe mich ausgeklinkt?“ Nami lachte leise. „Mir ist dein Desinteresse aufgefallen, du hast ab einem Punkt keine Beachtung mehr geschenkt. Du siehst hin, doch bist du mit deinen Gedanken woanders. Das sagt mir mein Gefühl. Also? Warst du bei der Arbeit?“ Sacht zuckten ihre Mundwinkel. „Dann hast du dich hin und wieder genauso herausgenommen“, tadelte sie gespielt und sah der anderen in die Augen. „Bist du dir deiner Vermutung sicher? Was die Arbeit angeht?“ „Was sonst?“ Flüsternd. „An den richtigen Stellen hast du mit einem Schrecken gerechnet, ist er eingetroffen, hast du dich dennoch erschreckt … irgendwie unvorbereitet. Dann und wann fieberst du mit den Figuren, nur um sie eine Szene später für ihr Handeln zu verfluchen.“ Robin hatte die Hand ausgestreckt, lächelnd strich sie Nami eine Strähne hinters Ohr. Eine einfache, flüchtige Geste. „Oder vorhin. Du jammerst darüber, dass von Anfang an offensichtlich ist, wer zusammenkommt oder dass dir Kitsch zuwider ist. Dabei siehst du in den Liebesszenen sehr verträumt aus.“ Ertappt wich Nami aus, richtete den Blick zurück auf den Fernseher, das Hauptmenü kehrte zurück. „Stört es dich?“, sprach Robin gedämpfter weiter. „Dass ich lieber dich beobachte als einem schlechten Film zu folgen? – oh, oh, sehe ich da einen dezenten Rotschimmer?“ Eine Antwort blieb aus, mit der Zweisamkeit war Schluss. „Nami?“ „Jemand ist von den Toten auferstanden.“ 17. Februar 2013 Das Smartphone wurde zurück auf das Nachtkästchen gelegt. Die letzten Minuten über, hatte sie den Gedanken abgewogen, einfach anzurufen – eine schnell verworfene Idee, bedachte Robin die bislang unbeantwortet gebliebenen Nachrichten. Frustriert schnaufte sie. Wegen der aus dem Ruder gelaufenen Situation. Wegen ihrem Verhalten, ihrer Gefühle. Dass die Wahrheit aufgedeckt worden war, war natürlich beängstigend. Plötzlich lag vor ihr eine beklemmende Ungewissheit. Allerdings schob sie den Aspekt beiseite. Denn momentan beschäftigte Robin ein anderes, tiefer gehendes Problem: ihre eigene Gefühlswelt. Sie stand Kopf. Dabei war sie diejenige, die stets wusste, wann Aufhören die vernünftigere Option war, wann Gefühle außen vorgelassen werden mussten. Das tat Robin auch hierbei, ihr Verstand riet zum Abdrehen, einfach die Unterlagen sichern und verschwinden. Eine logische Konsequenz, die ihr bei Laki keine Überwindung gekostet hatte, jedenfalls keine große. Nicht in dem Fall. Robin spürte einen wesentlichen Unterschied. Bestand die Möglichkeit auf einen Neubeginn, weit weg von Venedig? Natürlich, es bedurfte keiner komplizierten Vorbereitung. Sie konnte jederzeit verschwinden, wenn Robin denn wollte. Robin wollte nicht, ganzgleich was ihr Verstand riet. Weder das Ende noch das Weite suchen. Können und Wollen – dazwischen tat sich eine Kluft auf. Und je länger Robin in sich horchte, desto lauter wurden ihre Gefühle. Vor ihnen fürchtete sich Robin mehr denn je. Was sie für Nami empfand – das hatte sie zwar vor Monaten verstanden und eingesehen – machte einen Rückzug unmöglich. Das Scheitern akzeptieren war keine Option. Robin liebte sie, auf eine für sie bislang nie da gewesene Weise, für sie hatte Robin nicht grundlos sämtliche Regeln über Bord geworfen. Ausgerechnet sie, wo sie früher gerne über die Liebe gelacht, sich geschworen hatte niemanden nah an sich zu lassen, war ganz und gar verfallen. Umso schmerzte das Aufdecken, Namis deutlichen Worte. Weder sehen noch hören, Robin sollte gänzlich aus ihrem Leben verschwinden. Für immer. Und das schürte wiederum die Angst, dass jeder Versuch sie vom Gegenteil zu überzeugen das Bedürfnis verstärkte und Robin endgültig die Hoffnung nahm. Andererseits, führte ihr Nichtstun nicht zum selben Ergebnis? Vielleicht half eine Nacht darüber schlafen, das Gespräch hatte genügend Wirbel erzeugt. Zum Verrücktwerden! Robin fröstelte, obwohl sie mittlerweile geduscht war, warme Kleidung anhatte und trockene Haare. Dennoch schien sie nicht in der Lage diese in den Knochen steckende Kälte abzuschütteln. Vermutlich lag es daran, dass das nicht, überhaupt nicht, mit dem Wetter einherging. Sie fühlte sich wesentlich anders, durchdringender, aber leider verdammt vertraut an. Ja, der Höhenflug war vorüber und Robin am Boden angekommen. Gern hätte sich Robin fallen gelassen, doch unterdrückte sie das Bedürfnis. Stattdessen warf sie einen fragenden Blick zur offenstehenden Schlafzimmertür. Deutlich hörte sie ein Trampeln. Erst auf der Treppe, dann im Flur und schlagartig wurde sie sich erneut ihrer Gesellschaft bewusst. Da kam Franky auch schon breit grinsend hereingeschneit. „Wusste, du hast ihn noch – Su~per Stolichna~ya!“, grölte er während die Wodkaflasche triumphierend in die Höhe gereckt wurde. „Los, zucken wir zusammen! Oder lieber auf alle, die uns böse gesinnt sind?“ Mit einem leisen Brummen schloss Robin ihre Augen, massierte angestrengt den Nasenrücken. Kalifa war schon vor einer Weile aufgebrochen. Sie sprach von Zeit. Für sich, zum Verdauen, zum Nachdenken. Das Fiasko hinterließ unweigerlich Spuren. Beim Gehen hatte sie ihnen noch das Versprechen abgegeben, keine voreiligen Schritte auf eigene Faust zu unternehmen. Robin vertraute ihr, wusste, dass die Vernunft am Ende den Sieg davontrug. Stattdessen, und das war Robin wesentlich lieber und half ihnen eventuell noch, würde Kalifa sich bald in Recherchen stürzten; beide, Nami und Trafalgar, durchleuchten. Solange bis sie genügend in der Hand hatte, um damit arbeiten zu können und wenn sie hierfür sogar ihre Kontakte einsetzte und Beschattung forderte. Robin ließ sie, wissend, dass keine Worte der Welt sie von dem Vorhaben abhielten. Franky hingegen war bei ihr geblieben. Er hatte gemeint, er wollte sie in dem Zustand nicht allein lassen, doch durschaute Robin ihren Freund. „Darf ich dir mein Geheimnis für ein glückliches Leben verraten?“, trällerte der Mann. Bevor sie verneinen konnte, schwang er sich schon auf das Bett und hielt ihr auffordernd die Flasche unter die Nase. „Sauf dir einen an, kotz alles aus und du fühlst dich neu geboren.“ „Du hast das Weinen vergessen, du weinst gern.“ „Ah, du kennst mich zu gut. Ist mit allen drei Schritten kompatibel“, lachte er. „Komm, wärmt die Seele.“ Robin schob seine Hand von sich. In erster Linie blieb Franky nicht für sie, vielmehr für sich selbst. Egal was er auch sagte, Robin kannte ihren Freund. Er war derjenige, der nicht allein sein wollte, der jemanden an seiner Seite brauchte. „Wo sind die Gläser?“ Mit zusammengekniffenen Augen starrte er Robin nieder. Spätestens da wurde ihr bewusst, dass er längst nicht mehr bei klarem Verstand war. Das tat er immer, wenn ihm alles zu viel wurde. Er floh, nahm sich für ein paar Stunden raus. „Was immer du brauchst, ich hab’s“, kicherte Franky aufgezogen. Verstohlen wanderte sein Blick Robins Körper entlang. „Biete auch Naturalien.“ Eine Spur zu viel. Schnaufend schnippte sie gegen seine Schläfe, woraufhin er theatralisch aufschrie. „Idiot!“ Vor ihr lag definitiv eine zähe Nacht. Schließlich wusste sie nicht, was genau er genommen hatte. Vermutlich nichts das ihn bald einschlafen ließ. Ein herausforderndes Funkeln war in seinen Augen erkennbar, als er die Flasche an seine Lippen führte und einen ordentlichen Schluck trank, ohne mit der Wimper zu zucken. „Wer braucht Gläser, das spart Zeit. Wobei ich mich frage, warum ihr aus diesen kleinen Dingern trinkt. Die sind so schnell leer.“ Auf den Spruch hin rollte sie die Augen über, nahm ihm aber dann doch die Flasche ab. Abwiegend blieb ihr Blick am Etikett hängen. Robin mochte Wodka nicht. Besonders in der Heimat verdarb ihr der Umstand liebend gern die Laune. „Der macht seinen Preis wett“, hörte sie ihren Freund. Schließlich probierte sie das Wässerchen, allerdings fiel das Schlucken schwer, denn abrupt lenkte Franky das Gespräch auf das eigentliche Thema: „Sie hat sich also getrennt? Richtig getrennt?“ „Damals im Auto“, begann Robin nach kurzer Bedenkzeit, „war’s bloß ein ungutes Gefühl, aber jetzt? Ja Franky, es ist aus … sie will mich nie wiedersehen.“ Da nahm sie einen weiteren Schluck, wobei sie angewidert das Gesicht verzog. Mit dem Wodka würde sie sich nie anfreunden, also reichte sie ihm die Flasche. „Ich verstehe sie, Gott, ich verstehe sie zu gut. Wer will uns auch freiwillig bei sich haben?“ Als sie ausgesprochen hatte, warf sie einen irritierten Blick zur Seite. Franky hatte den Arm um ihre Schultern gelegt und bevor sie etwas sagen konnte, zog er sie sanft an sich. Den Kopf an ihren gelehnt, lachte er. „Also ich will dich immer an meiner Seite haben – obwohl ich dich anfangs verflucht habe! Du warst ein zu rational denkendes Arschloch.“ „Gar nicht wahr!“ „Danke, diese sinnlose Konversation hat mich fünf Minuten meines Lebens gekostet“, äffte er nach. „Echt, das macht einen Menschen sehr sympathisch.“ Nach einem vielsagenden Brummen setzte er erneut die Flasche an. Robins Mundwinkel zuckten belustigt, ehe sie tadelnd mit der Zunge schnalzte. „Wir kannten uns zwei Minuten und was kam von dir? Dir sei ein Einhorn erschienen, das dir sein Horn abtreten wollte und darüber hast du noch mit mir zum Diskutieren angefangen!“ Beinah verschluckte sich Franky auf die Antwort hin, er fing sich, sah seine Freundin allerdings entgeistert an. „Davon habe ich letztens erst wieder geträumt … dieses Mal war’s ein echter Traum, denk ich zumindest. Soll mir das etwas sagen?“ „Ja, nimm und trink weniger.“ Mürrisch stöhnte er auf. Die Antwort hörte er nicht gern. „Kalifa hat Unrecht“, kehrte er zum eigentlichen Thema zurück. „Sie mag zwar Recht haben, aber das Richtige zu tun, ist nicht immer der richtige Weg. Gib nicht voreilig auf. Denk daran, Nami hat gerade erst erfahren, was wir nebenbei machen. Die meisten schlagen sich mit Affären ihrer Partner herum – in zweierlei Hinsicht – und dein Fehltritt ist halt … heavy. Du schläfst nicht mit einer anderen, du tötest sie. Ist halt ein spezielleres Hintergehen.“ „Du bist unmöglich“, seufzte Robin und besah sich unbeholfen ihre Hände. „Du warst nicht dabei. Sie wird das nie akzeptieren.“ Dennoch, und das lag garantiert nicht an seinen Worten, Robin akzeptierte das Ende nicht, sie wollte nicht aufgeben, nicht nach dem Gespräch, nicht so. Obwohl alles darauf hindeutete, irgendetwas musste sie tun. Irgendwas. „Was Kalifa angeht … ihre Reaktion ist normal. Unsere Existenzen stehen auf dem Spiel, ausgerechnet durch den Mann, der ihren besten Freund auf dem Gewissen hat. Sie kannte ihn wesentlich länger, stand ihm näher. Wä-“ „Ich weiß“, unterbrach Franky, reichte erneut die Falsche, zwinkerte aufmunternd. Natürlich verstand er. „Wir finden einen Weg.“ 16. September 2012 Bevor Robin aufgebrochen war, hatte sie sich etliche Szenarien ausgemalt. Die, in der sie neben Vivi Nefeltari, noch halb verkatert, auf der Couch saß (ausgerechnet zwischen Nami und ihr) und sich Die Mumie ansehen musste, hatte Robin definitiv nicht bedacht. Während Vivi vorgebeugt war und aß, tauschte sie mit Nami Blicke aus. Diese amüsierte sich gerade, mehr als Robin lieb war. Denn das Problem war nicht der Film an sich, sondern Vivis Redefluss. Sie kommentierte gern. Dabei wollte sie jedoch in erster Linie wissen, ob ihre Arbeit ähnlich verlief – abgesehen vom Erwecken einer Mumie. Der Alkohol zeigte weiter seine Wirkung. „Sei ehrlich Robin, dagegen ist dein Alltag langweilig“, sprach Vivi ausgelassen zwischen den Bissen. „Stell dir vor, du liest aus einem Buch und BAM! Die Welt steht Kopf!“ Kichernd warf sie einen Blick zurück. „Ja, mein Alltag hält da nicht mit.“ Was eine zum Leben erweckte Mumie anging. Der Rest schon. „Evelyn erinnert mich an dich“, sprang Nami auf den Zug auf. „Abschluss in Ägyptologie, der Enthusiasmus und-“ „Und was?“, unterbrach Robin mit gehobener Braue. „Findest du mich tollpatschig?“ In dem Moment lehnte Vivi zurück, dabei schwang sie den Arm um Robins Schultern. Irritiert sah Robin auf ihre Hand. „Wir wissen, dass Robin den gleichen Fehler machen würde. Aus reiner Euphorie“, erklärte sich Vivi prompt, klopfte aufmunternd auf den Rücken, sah dabei jedoch zu Nami. „Deine Liebste käme jedoch ohne Hilfe aus und würde einem Imhotep eigenhändig den Arsch aufreißen.“ „Was über die Stränge schlagen bewirkt.“ Stirnrunzelnd sah Robin abwechselnd zwischen den beiden hin und her. „Wenn du wüsstest …“, seufzte Nami hingegen und schlug sich die Hand vors Gesicht. Vivi ignorierte sie, ließ von Robin ab, nur um nach der Fernbedienung zu greifen. „Dank eures Gequatsches habe ich das Halbe verpasst.“ „Besser sie überlässt das Trinken anderen.“ Robin schlüpfte in ihren Mantel. Dem zweiten Teil, auf den Vivi beharrt hatte, war sie mit Hilfe entkommen. Für heute hatte sie genug. „Sie ist ihm keinen Schritt nähergekommen“, setzte sie flüsternd nach, obwohl die Schülerin längst außer Hörweite war. „Keine Frage, er ist ein hoffnungsloser Fall. Leider verstehe ich sie mittlerweile ein Stück besser. Gefühle entwickeln eigene Regeln.“ Nami folgte ihr nach draußen. Vorhin hatte es ein wenig geregnet, nun hielt das Wetter, war dennoch ungemütlich. Dennoch zog es Robin gerade vor. „Bis heute habe ich auch meine für hoffnungslos gehalten.“ Daraufhin blieb Robin auf der zweiten Stufe stehen, drehte sich mit tadelndem Ausdruck um. „Machst du mir etwa ein schlechtes Gewissen?“ „Bekommst du denn eines?“, witzelte die andere. „Muss dich leider enttäuschen. Ich stehe zu meinem Zögern.“ „Besser spät als nie, was?“ Als Robin das schelmische Grinsen erkannte, hob sie bloß fragend eine Braue. „Dass du dich für den nächsten Schritt entschieden hast, zeigt mir, wie sehr ich dir den Kopf verdreht habe. Was will ich mehr?“ Widersprechen war zwecklos. 18. Februar 2013 Nach einer recht kurzen Nacht schlug Robin träge die Augen auf. Kurz, weil ein verschlafener Blick zum Wecker sagte, dass sich kaum drei Stunden geschlafen hatte. Ihr Körper war schwer und sie spürte ein schmerzhaftes Pochen in den Schläfen. Letzteres wunderte sie nicht, beide hatten sich am Wodka bedient, wenngleich Franky derjenige gewesen war, der das meiste getrunken hatte. Franky. Langsam drehte sie sich auf den Rücken, drehte den Kopf. Er lag noch schlafend neben ihr. Während sie ihn beobachtete, fiel ihr nach und nach ein, worüber sie gesprochen hatten. Die Trennung, etwaige Schritte hinsichtlich Trafalgar und totalen Nonsens. Dieser Teil war von Franky ausgegangen und in den meisten Fällen hätte sie ihn gestoppt, aber dieses Mal hatte es Wirkung gezeigt. Robin für wenige Minuten abgelenkt. Je wacher sie allerdings wurde, desto erschlagener fühlte sie sich, was nicht am Alkohol lag, sondern vielmehr einer bitteren Erkenntnis geschuldet war: An einem normalen Tag läge ihre Freundin neben ihr. Stattdessen durfte sie ihren besten Freund beim halbwegs erträglichen Schnarchen zuhören, auf den Bauch gedreht, den linken Arm vom Bett baumelnd. Viele taten das am Rücken liegend, aber Franky schnarchte in jeder Position, wie auch dieser Morgen neuerlich bestätigte. Hätte sie sich anders verhalten, hätte sie vor ein paar Tagen gewusst, dass das Ende bevorstand? Wäre sie länger im Bett geblieben, hätte sie die Minuten ausgekostet? Andererseits, was brachten die Fragen im Nachhinein? „Du machst dich verrückt“, nuschelte Robin, fuhr sich dabei zerstreut über das Gesicht. Weder halfen sie, noch änderten sie etwas an der Situation. Vorerst musste sich Robin damit abfinden und lieber entscheiden, was der nächste Schritt war. Dabei stand sie vorsichtig auf, wenn schon einer von ihnen Schlaf fand, wollte sie ihn auch lassen. 21. September 2013 „Komm schon!“, jammerte Franky. „Freitagabend. Beisammensein. Trinken. Spaß. Verehrer abwimmeln?“ „Wie gesagt, ich habe heute keine Zeit.“ Das hatte sie ihm längst vermittelt. Mehrere Male, aber ihr Freund hörte ungern Absagen. „Du kommst auch ohne mich aus.“ „Dann nenn mir einen guten Grund.“ Ungeduldig wippte er mit einem Bein. „Vielleicht ist sie auch da?“ „Ist sie nicht.“ Normalerweise ignorierte sie seine Überzeugungsversuche. „Frag Kaku.“ Auf ihre letzte Bemerkung ging er überhaupt nicht ein. „Ihr redet wieder miteinander“, stellte er verblüfft fest. „Sag bloß … die Kleine hat dir den Kopf verdreht!“ Lachend schlug er sich aufs Knie. „Nico Robin springt für eine Frau über ihren Schatten. Du hörst auf deine Gefühle! Erzähl!“ Missbilligend schnaufte sie. In gewisser Weise sagte Franky die Wahrheit, aber so überspitzt ausgedrückt? Er übertrieb. „Wir haben heute eine Verabredung, okay?“ „Wo? Und wann?“ Stirnrunzelnd erhob sich Robin vom Schreibtisch. Als ob sie ihn darauf antwortete. „Komm, gib mir den Ort und die Zeit, ich steh dir mit der Ausrüstung zur Seite. Helfen, wenn du steckst und so was.“ „Veräppelst du mich gerade?“ Verständnislos stellte sie die Bücher zurück ins Regal. Für heute machte sie Schluss, obwohl es erst am frühen Nachmittag war. „Nein“, gab er trocken zurück. „Mach mir eher Sorgen, du könntest die Chance verbocken. Du bist eingerostet – nein, lass den Todesblick. In den letzten Jahren hattest du deine Flirts und unverbindlichen Sex, alles ohne Gefühle.“ „Hilf mir auf die Sprünge“, dabei massierte sie sich die Schläfe, „Warum sind wir befreundet?“ „Weil dein Leben ohne mich uninteressant wäre?“ Er mochte recht haben, aber in manchen Belangen wäre das gewiss kein Nachteil. „Steh auf, ich will gehen“, sagte sie seufzend und nahm noch ihre Tasche. „Tu mir einen Gefallen und verwerfe bitte auf der Stelle sämtliche Gedanken, die meinen Abend betreffen.“ Nur schwerfällig folgte er Robins Aufforderung. Dabei fiel ihr sein Gemurmel auf, allerdings verstand sie kein Wort. „Was hast du gesagt?“ „Schon gut, keine Agentennummer … ich vertrau dir.“ Kopfschüttelnd schritt sie voraus. Manchmal war er fürchterlich und da wunderte sich Franky noch, warum sie ihr Liebensleben mehr oder weniger vor ihrem Freund verschwieg? Kaum hatte er aufgeholt, lachte er schelmisch auf. „Wenn heute was läuft, landet ihr bei dir. Vielleicht ändere ich meine Pläne und mach einen ausgedehnten Spaziergang.“ „Franky!“ 18. Februar 2013 Mit einer Tasse Kaffee in der Hand saß Robin an der Theke. Vor ihr die aufgeschlagene Tageszeitung. Zwar blätterte sie durch die Nachrichten, aber hängen blieb nichts, eher folgte sie schlichtweg ihrem täglichen Morgenritual. Es war über die Jahre eben zur Routine geworden, Kaffee und Zeitung zum Wachwerden. Eigentlich hatte sie heute auf Ablenkung gehofft, aber hatte Robin die Rechnung ohne ihren Verstand gemacht. Sie war putzmunter, er arbeitete bereits und das war gefährlich. Denn ihr mögliches Vorhaben wies eine Schwachstelle auf – zu viele Szenarien, zu viele Möglichkeiten und ihre Gedanken sprangen wild durcheinander. Bislang hatte sie auch keine Antwort auf ihre Nachrichten erhalten. Was unweigerlich die Frage aufwarf, ob sie Nami aufsuchen sollte oder nicht. Wo sollte sie das tun oder wann? War sie auf der Arbeit oder befand sie sich zu Hause? Nami abfangen, wäre eine Leichtigkeit. Bei ihr aufkreuzen … Robin brummte. Nefeltari. Beiden würde sie liebend gern aus dem Weg gehen. Vivi besonders, schließlich ahnte sie das Zerwürfnis und vermutlich hatte ihr Nami bereits eine Lüge aufgetischt, was zur Trennung geführt hatte. Darauf verzichtete Robin gerne, zumal sie mittlerweile wusste, wie Vivi tickte. Vielleicht wartete Robin ab, hielt sich bedeckt und ließ Nami den nötigen Freiraum. Das Geheimnis verdaute sich nicht binnen ein paar Stunden. Frustriert massierte sie sich die Schläfe. Dieses ständige im Kreis drehen, raubte ihr den letzten Nerv. Wozu das alles? Die Ansage war unmissverständlich gewesen. Bedrückt hatte sie dem Telefonat gelauscht. Lysop kam Nami holen, die Zeit drängte. „Treffen wir uns morgen? Wir reden, finden eventuell eine Lösung.“ Vielleicht nicht für sie als Paar, wenn – in dem Fall blieb Robin realistisch – brauchten sie Zeit, aber sie wollte wenigstens noch einmal in Ruhe darüber reden. „Heute. Morgen. Meine Meinung bleibt.“ Sie sah Robin gar nicht mehr an, behielt bloß das Meer im Auge. Vermutlich hielt sie nach Lysops Boot Ausschau. „Dein Geheimnis tut schon weh“, begann sie plötzlich, „aber das mit meinen Freunden? Zorro habe ich blind vertraut und was kommt raus? Er deckt dich seit Monaten. Dich! Er zieht deine dreckige Verlogenheit vor! Oder Sanji … er flirtet mit dir, dabei hast du …“ Unverständlich schüttelte sie den Kopf. „Bist du auch nur im Entferntesten in der Lage mich zu verstehen? Du, Zorro, Sanji, Bonney, Franky! Ihr habt mich alle verarscht!“ Robin ging auf sie zu, streckte vorsichtig ihren Arm aus. Eine einfache Geste, eine Gewohnheit, doch bevor sie ihre Freundin berührte, entzog sie sich, schritt abermals zur Seite. „Fass mich nicht an!“, zischte sie warnend. Robin spürte den Stich, schluckte ihn. „Für Bonney“, kam sie lieber auf das Thema zurück. „Für sie schweigt Zorro. Du weißt, was er für sie empfindet. Daher haben wir geholfen und schützen Bonney bis heute.“ „Bis er einen Fehler macht und dann? Dann lässt ihr sie fallen oder räumt sie eben aus dem Weg. Beide“, gab Nami verachtend zu Bedenken. „Hilf mir“, begann Robin verloren, „was muss ich dir sagen, dass du mir glaubst?“ Sie war in der Tat ratlos. Das Vertrauen war zerstört, daran gab es keinen Zweifel. „Nichts. Niemand von euch kann daran etwas ändern.“ „Guten Morgen, Robinchen.“ Träge zuckten ihre Mundwinkel. Noch gestern hatte sie mit Zorro telefoniert. Während er arbeiten musste, hatte Sanjis montags seinen freien Tag. „Eine kleine Stärkung, ich hoffe der Große hat nichts gegen Sandwiches.“ Eine Stofftasche wurde neben ihr abgestellt. Als sie den Kopf hob, schob sie die Zeitung beiseite. Ein kurzer Blick reichte. Sanji sah nicht besser aus, auch er hatte wohl wenig Schlaf gefunden. „Normalerweise würde ich keiner alleinstehenden Frau raten die Türe aufgeschlossen zu lassen, aber du bist die Ausnahme.“ Kopfschüttelnd winkte sie den Kommentar ab. Als ob in den Minuten jemand auf die Idee kam, sich bereichern zu wollen. Robin hatte ihm geschrieben das die Tür offen war, sie wollte Franky nicht aufwecken. „Danke und nein, er isst, was auf den Teller kommt.“ Grinsend nickte Sanji, dabei fiel ihr auf, dass er keinerlei Anzeichen zeigte den Mantel abzustreifen. Lediglich sein Schal fiel offen über die Schultern. „Sag Robin, was haltest du von einem Spaziergang?“ Natürlich war ihm der fragende Blick aufgefallen. „Jedes Sandwich ist einzeln eingepackt und unterwegs holen wir uns einen Kaffee.“ „Deine Schwester?“, fragte Robin kaum das sie durch die Tür waren. Da sie sich vorwiegend in der Bar trafen, wo alle anderen anwesend waren, hatte sie schon eine Weile nicht über Reiju gesprochen. „Wir haben uns auf Kontakt geeinigt. Ohne den Alten auf meine Fährte zu führen. Für ihn bleibe ich verschwunden oder tot, was immer ihn lieb ist.“ Sanji straffte den Kragen. Der Regen hatte über Nacht aufgehört, die Kälte war wiederum nicht verschwunden und der Wind heulte durch die Gassen. Als er in die Brusttasche griff und die Zigaretten hervorholte, bestätigte sich Robins Vermutung, warum er den Spaziergang vorgeschlagen hatte. In ihrem Haus wurde nicht geraucht. „Reiju ist zurück in Frankreich. Genießt ein paar Tage abseits der Verpflichtungen. Bei dem Chaos hat auch sie Nerven liegen lassen.“ „Sie haben den Köder geschluckt? Keine Komplikationen?“ Skeptisch schielte er hoch, während er den ersten Zug nahm. Robin wich aus, starr stur geradeaus. „Das Problem entpuppt sich gefährlicher als angenommen. Hat dir Nami gesagt woher sie Bescheid weiß?“ „Nein. Darüber zerbreche ich mir seither den Kopf. Ich meine … habt ihr jemanden übersehen? Ihr, Zorro, Bonney und ich. Niemand sonst weiß von jener Nacht. Seien wir ehrlich, das stinkt zum Himmel – also Robin, bringst du mich endlich auf den aktuellen Stand?“ Das tat Robin, er erfuhr das gesamte Ausmaß und das er verstand, wie schwerwiegend es war, sah sie dem Koch an. Kaum hatte er die eine Zigarette fertig geraucht, zündete er sich die nächste an. Auf einem kleinen Piazzo blieben sie schweigend stehen. Robin wartete ab, beobachtete ihn aufmerksam. Das Rauchen diente mehr der Ablenkung als dem Genuss. Vier Züge und die Zigarette war abgebrannt. „Eine intelligente Absicherung. Euch im Tod ruinieren … er ist euch stets einen Schritt voraus gewesen. Bloß hat er mit der Wendung gerechnet?“ Den Stumpf schnippte er auf den Boden. „Oder misstraust auch du dem Mistkerl?“ „Ich bitte dich, als ob Trafalgar den Trumpf vollkommen aus der Hand gibt und Nami die Entscheidung überlässt. Versteh mich nicht falsch, ich tue ihr nichts, aber sie ist keine Garantie. Weder für sich noch für ihn.“ „Klingt logisch. Hat er mit einem aus der Branche zusammengearbeitet, muss er wissen, wie ihr in der Regel vorgeht. Hört sich eher an, als ob er Nami für seine eigenen Zwecke missbraucht.“ Der Gedanke war ihr schon gekommen. Bislang blieb ihr Trafalgar Law ein Rätsel, das sie schleunigst durchschauen musste. Offensichtlich war er verliebt, seine Art schloss jegliche Zweifel aus. Wiederum mischte er sich nicht der Liebe wegen ein. Robin hatte so ein Gefühl und damit lag sie fast immer richtig. „Vertraust du ihr?“ „Sofern ich mich an ihre Worte halte … ja, ich vertraue ihr. Eigentlich. Nicht seinem Charakter.“ Grübelnd zog sie ihre Brauen zusammen. „Wir haben uns. Wir reden miteinander, suchen Wege. Nami? Abgesehen von ihm hat sie niemanden. Er ist manipulativ. Mit wen sonst kann sie offen reden, es sei denn …“ „Sie gibt eure Identitäten preis“, beendete der Koch düster. „Seid ihr gewappnet?“ Robin nickte, setzte sich wieder in Bewegung. „Uns kann jederzeit ein Fehler unterlaufen. Dementsprechend haben wir vorgesorgt.“ Pläne existierten seit jeher. Robin hatte immer mit einem fehlgeschlagenen Auftrag gerechnet, der sie zur Ausführung zwang, nicht mit einer eventuellen Enttarnung seitens der Liebe. „Ich bin ein Narr.“ Robin reckte den Kopf zum grauen Himmel empor. „Lang habe ich dem eigentlichen Problem kaum Beachtung geschenkt. Zwar haben wir uns oft den Kopf darüber zerbrochen, wie wir das Leben hinter uns lassen … normal weitermachen, ohne Abstriche, ohne dass die Wahrheit ans Licht kommt – Liebe überwindet nicht alles. Das hat sie mir gesagt und je mehr darüber nachdenke, desto mehr entspricht es der Wahrheit.“ „Also gibst du Nami auf“, stellte Sanji nüchtern fest. „Nein … aufgeben will ich nicht, aber du hast sie nicht gesehen, nicht gehört. Sie hat mit unserer Welt nichts am Hut. Macht ihre Einstellung verständlicher, oder?“ Träge hob Robin ihre Hände. Genügend Leben wurden mit ihnen ausgelöscht. „Um dem zu entgehen, hast du deiner eigenen Familie den Rücken gekehrt. Warum stehst du auf meiner Seite? Ich … Wir habe deine Brüder auf dem Gewissen.“ Plötzlich spürte sie seine Hand an der Schulter, mit sanfter Bestimmtheit zwang er sie zum Stehenbleiben. „Weil ich weder an ein schwarz-weißes Muster glaube noch, dass du daran ernsthaften Gefallen findest.“ Seine Schultern zuckten. „Nehmen wir meine Geschwister. Wir haben dieselbe Ausbildung erhalten, von frühester Kindheit an. Die drei mochten das alles. Angefangen von Schikanen mir gegenüber, weil ich ihnen überhaupt nicht ähnelte. Reiju war gefangen, ist sie heute noch. Die Angst vor unserem alten Kerl war schon damals groß. Genauso vor meinen Brüdern. Sie machten vor nichts Halt, es hat ihnen Freude bereitet. Entweder spurte Reiju oder sie erhielt die Quittung. Angst ist und bleibt ein entscheidender Faktor. Sie hat sich eingefügt. Was glaubst du, warum sie geholfen hat? Klingt schrecklich, aber am Ende hat sie ihr Ableben erleichtert.“ Robin lauschte schweigend, erinnerte sich unweigerlich an die eigene Kindheit. Bis ihr Onkel die Vormundschaft übernommen hatte, hatte sie noch ein besseres Leben gehabt, aber im Vergleich zu seiner Erziehung … was machte da schon eine nervtötende Cousine oder eine herrische Tante? Sie war ihnen früh genug entkommen. Als er sie bestimmend mit dem Namen ansprach, hob Robin den Kopf. „Ihr hattet damals bestimmt gute Gründe und was für mich zählt? Wäre ich überzeugt davon, dass du die Taten genießt? Ich hätte euch niemals geholfen, hätte den Kontakt mit Reiju gemieden und Nami sofort aus der Schusslinie gezogen. Unterschätze mich nicht, so eine Ausbildung bleibt hängen und ich habe die letzten Jahre nicht nur den Herd gehütet.“ Letzteres sprach Sanji überzeugend, doch mit einem heiteren Grinsen. „Behalte ich im Hinterkopf“, erwiderte sie nur. „Komm, der Markt ist gleich ums Eck. Ich koche und nebenbei brüten wir über deinen nächsten Schritt.“ „Was ist deiner?“, fragte sie neugierig. Sanji hatte sich bereits in Bewegung gesetzt, wodurch er sich umdrehte und rückwärts ging. „Was wohl? Ich steh heut Abend auf der Matte und wenn ich Steine an ihr Fenster werfe, ich lass mich nicht abwimmeln.“ Kapitel 44: Nel buio. --------------------- Im Dunkeln. 18. Februar 2013 Weit nach Mitternacht blieb der Schlaf aus, sie fand keine Ruhe. Im Dunklen saß sie daher auf der letzten Stufe, seitlich an die Wand gelehnt und warf dann und wann einen Blick auf die Uhrzeit, wenn sie das Smartphone nicht gerade nervös in den Händen drehte. Vivi zermarterte sich den Kopf darüber, was gestern vorgefallen war, wodurch ihre Freundin eine solche Kehrtwendung durchmachte. Ein Tag und alles schien verändert. Die Absagen spielten eine Rolle. Sie waren untypisch. Erst eine Verabredung mit Zorro, dann das geplante Essen mit einem Abstecher in der Bar. Abgesagt, ohne nennenswerte Erklärung, bloß um dann doch noch aufzutauchen, sich jedoch allein an der Theke zu betrinken (wenn es denn überhaupt möglich war). Vivi hatte dementsprechend gehandelt, versucht etwas aus ihrer Freundin heraus zu kitzeln. Erfolglos, sie hatte keinen Zugang gefunden und schließlich nach mehreren Anläufen aufgegeben. Die Abweisung war deutlich gewesen. Allerdings blieben die Sorgen, wurden stärker, es lag in ihrer Natur. Einfach zu Bett gehen, seelenruhig schlafen und auf den nächsten Morgen hoffen, nochmals in Ruhe das Gespräch suchen – das funktionierte nicht, das war sie nicht. Und selbst wenn ihre Freundin weiterhin Schweigen vorzog, so wartete Vivi wenigstens auf ihre Heimkehr (ob sie Nami dann ohne Gegenwehr ziehen ließ oder nicht, blieb offen). Auf jeden Fall war etwas weitaus Größeres vorgefallen. Warum sonst verhielt sich Nami so merkwürdig? So ungewöhnlich ruhig? Wo war das Temperament abgeblieben? Das lautstarke Aufregen? Stattdessen blieb sie still, verschlossen. Ein ungewohntes Bild, mit dem Vivi wenig anzufangen wusste. Ihre Freundin zeigte schließlich offen, was in ihr vor sich ging. Gröbere Abweichungen warfen immer Fragen auf. Und so verging noch eine Weile, bis sie schließlich die Türe und dumpfe Geräusche vernahm. Von unten erkannte Vivi einen leichten Lichtschein und für einen Augenblick hielt Vivi unbewusst die Luft an. Gespannt wartend, doch als die Dunkelheit verblasste, brummte sie leise. Zu lange schon hatte sie dort gesessen und musste mehrmals blinzeln, ihre Augen mussten sich erst wieder an die Helligkeit gewöhnen. Ein Knarzen, die Treppe hatte ihre Tücken. „Du bist wach“, stellte Nami verblüfft fest, woraufhin Vivi schwach lächelte. „Was hast du erwartet? Ich sei schlafen gegangen?“, entgegnete sie sanft, hörte bloß ein Schnaufen. Ohne ein weiteres Wort ging Nami an ihr vorbei, zeigte dabei keinerlei Anzeichen, dass sie auf ein Gespräch aus war. „Entweder hat Vergo den Vogel abgeschossen“, begann Vivi schließlich, warf dabei den Kopf zurück, um etwaige Reaktionen aufzunehmen, „oder du hattest einen üblen Streit mit Robin. Einen sehr üblen.“ Es war nicht viel, doch erspähte Vivi einen kurzen Ruck, ein zaghafteres Weitergehen. Robin. Also doch. Zwischen ihnen lag etwas im Busch, doch was? „Gute Nacht.“ „Nami …“ „Lass mich in Ruhe. Bitte!“, war alles, das Vivi zu hören bekam, ehe Nami in ihrem Zimmer verschwand und Vivi seufzend zurückblieb. Nein, für heute gab jeder weitere Versuch keinen Sinn. Ausgelaugt beugte sie sich vor, vergrub das Gesicht in den Handflächen. Mit jedem Tag verstand sie weniger. Dass die Trennung schwer wog, nahm sie ihrer Freundin ab, aber den Rest? Die plötzliche Abschottung, der kurzfristige Aufbruch? Einer Trennung wegen flüchtete Nami aus der Stadt? Irgendetwas, und das spürte sie, lief falsch. Bislang war ihr Nami nie ausgewichen, sie hatte ihr immer alles erzählt, sobald eine Beziehung in die Brüche gegangen war. Warum schwieg sie dieses Mal? Nun gut, Robin war von Haus aus eine Nummer größer, die Gefühle weitaus intensiver. Bloß was war zwischen ihnen vorgefallen? Auf die Frage hin hatte sie stets eisernes Schweigen geerntet. Abgesehen von der Trennung hatte sie nichts erfahren. Keine nennenswerte Andeutung. Einfach nichts und das binnen zwei Tagen. Obwohl sich Robin gar nicht im Land befunden hatte. Grübelnd sah sie sich um. Vivi saß auf der Bettkante ihrer Freundin. Schnüffeln war nicht ihre Art, das würde sie nie tun, dennoch hoffte sie auf einen Anstoß. Einen kleinen, der ihr zu verstehen half. Die Sorge nahm sie mit, auch ihren Vater, der genauso überrascht wurde. Der sich genauso sorgte und seine Gedanken machte, seit er von Aufbruch gehört hatte. „Was ist passiert?“, wisperte sie sanft, als sie sich am Bett niederließ und Nami besorgt betrachtete, die mit dem Rücken zu ihr lag. Wo sie den ganzen Tag über gewesen war, wusste Vivi nicht, umso überraschter war sie dann gewesen, als sie klitschnass nach Hause gekommen war. Unter der Kapuze lugten noch immer nasse Strähnen hervor. Dieses Mal ließ Vivi sie nicht so einfach durchkommen. Und ihre Freundin musste das erahnen, denn nach einer Weile durchbrach sie das Schweigen und Vivi spürte sogleich ein unangenehmes Ziehen. „Wir haben uns getrennt.“ Obwohl der Verdacht naheliegend gewesen war, blinzelte sie ungläubig, suchte nach Worten. Irgendetwas lief verdammt nochmal falsch! Egal wie sie es drehte und wendete, es ergab in ihren Augen einfach keinen Sinn, nicht wenn die beiden zusammen gesehen wurden. Einfach nichts deutete auf ein Zerwürfnis hin, auf einen Grund für eine plötzliche Trennung. „Warum?“, war also alles, das Vivi zustande brachte. „Wir sind gescheitert, hat nicht funktioniert.“ Verständnislos zogen sich Vivis Brauen zusammen. „Was hat sie getan?“ „Ist unwichtig.“ Ein Fehltritt? Hatte Robin eine Affäre? Ungläubig schüttelte sie den Kopf. Nein, ein Seitensprung passte nicht. Wenn sich Robin schon auf eine Beziehung einließ, dann zweifelte Vivi an einem Fehltritt. An einer anderen Frau, einfach weil ihr gerade danach gewesen war. Hinzu kam ein Punkt, der Vivi besonders arg aufstieß. Robin hatte ihre Reise frühzeitig abgebrochen, hatte sich hierher begeben. Das allein machte die Angelegenheit wesentlich verschwommener. Mehr und mehr erhielt Vivi das Gefühl weitaus weniger zu wissen als andere. Verstärkt durch Sanji, der vorhin unerwartet aufgetaucht war und mit Nami reden wollte. Ihr Verschwinden hatte ihn sichtlich geschockt, die Sprache verschlagen und Vivi war alles andere als auf den Kopf gefallen. Er wusste etwas, das man ihr verschwieg. Ihr Gefühl log nie. Die Frage, was ihr vorbehalten wurde, wog schwer. 20. Februar Gestresst kam Sanji zur Tür hereingeschneit. Ausgerechnet heute hatten ihn Patty und Carne unnötig lang aufgehalten. „Und?“, fragte er hoffnungsvoll, als er seinen Mitbewohner ins Auge fasste. Das Handy in den Händen haltend saß dieser sichtlich erschöpft am Sofa. Nichts – ein einfach genuscheltes Wort, mit verdammt bedrückender Tragweite. Ernüchternd sank der Koch gegen den Türrahmen. Wenn Zorro schon scheiterte, was sollte er dann ausrichten? Noch vor Kurzem hatte er große Reden geschwungen, hatte Robin gut zugeredet. Und heute? Heute begriff er mehr denn je den angerichteten Schaden. „Aufgeben, sie in Ruhe lassen … ist wohl unsere einzige Lösung“, knurrte Zorro verstimmt. Er war wütend, aber richtete sie sich nicht gegen ihre Freundin. Das wusste Sanji. Vielmehr gegen sich selbst. „Nami ignoriert mich und Vivi ist keine Hilfe.“ Ungläubig schüttelte er den Kopf. „Ist meine Schuld. Vielleicht … nein! Ich hätte mich sofort auf ihre Seite schlagen müssen. Ihr davon erzählen oder wenigstens Robin zur Wahrheit drängen!“ „Wer weiß, am Ende wäre es ähnlich abgelaufen.“ „Auf jeden Fall wäre uns dieser Mistkerl erspart geblieben! Ich will mir lieber nicht ausmalen, inwieweit er sie ausnutzt, ihr falsche Gedanken einpflanzt!“ Er wurde lauter. „Der hat das perfekt eingefädelt, das Vertrauen in uns alle zerstört. Anders herum hätte sie vielleicht eher erklären lassen, sie wäre nicht einfach abgehaut.“ „Dein schlechtes Gewissen setzt dir ordentlich zu.“ Nachdem Sanji eingeweiht worden war, hatte er des Öfteren mit ihm darüber gesprochen. Was Bonney anging, aber auch sein drückendes Gewissen Nami gegenüber. Zorro spielte liebend gern das gefühlskalte Arschloch, aber war er loyal. Seine Freunde hatten einen hohen Stellenwert, für sie nahm er alles in Kauf. Und in Nami hatte er rasch eine gute Freundin gefunden. Das Geheimnis wahren, hatte ihn zwischendurch aufgefressen, das hatte Sanji mitbekommen. Auch in der Bar, wenn er die beiden beobachtet hatte. Eine Zwickmühle. Einerseits hatte er für das Wohl der Frau, die er liebte, geschwiegen, andererseits hatte er nicht gewollt die Beziehung einer Freundin zu zerstören. Zumal die Liebe, die Nami für Robin empfand, für sie alle sichtbar war. Das Endergebnis wäre stets dasselbe gewesen. Wer weiß, ob sie andersherum wirklich mit ihnen gesprochen hätte. „Nachdem Bonney in Sicherheit gewesen ist, habe ich noch groß die Klappe aufgemacht. Franky verdeutlicht ich würde im Fall der Fälle immer hinter Nami stehen. Dann kam dieser Mistkerl daher …“ „Egal wie du es drehst und wendest, am Ende hat Robin all das eingeleitet. Es wäre so oder so rausgekommen. Genauso gut hättest du nie davon erfahren können.“ Er stieß sich ab, fischte die Zigarettenpackung aus der Hosentasche heraus und verschwand Richtung Küche. Wissend, dass ihm der andere folgte. Die Packung war fast leer, momentan rauchte er mehr denn je. Seine Schicht neigte sich dem Ende entgegen. Bloß noch eine Stunde, aber auf den Feierabend freuen, fiel ihm schwer. Denn seit ihrem Auftauchen behielt er Nami im Auge, die schon geraume Zeit an der Theke saß und trank. Natürlich kannte er ihre Trinkfestigkeit. Was ihm eher auf den Magen schlug, war die Art und Weise, wie sie an der Bar saß und einen Drink nach dem anderen orderte. Allein. Die anderen mehr oder weniger ignorierend. Vor gut einer halben Stunde hatte Vivi resignierend aufgegeben, war am Ende ohne sie aufgebrochen. Irgendetwas lag in der Luft. Davon rührte das dumpfe Gefühl, der wage Verdacht. Nun, da wesentlich weniger los war, gesellte er sich zu ihr. Dabei beugte er sich, auf den Unterarmen abgestützt, vor. Vermutlich wäre Ignorieren die bessere Entscheidung gewesen. „Ärger im Paradies?“, fragte er stattdessen unverblümt. Im selben Moment hoffend, sie würde in eine Schimpftirade über ihren Vater oder ihren Vorgesetzten verfallen. Sie sah nicht auf, schwenkte lediglich das Glas. „Was ist los? Du säufst wie ein Loch, bist den anderen gegenüber abweisend. Was ist passiert? Hat der Alte wieder Mist gebaut?“ „Hat er nicht.“ „Du weißt, du kannst mir alles erzählen.“ Leicht zog er die Brauen zusammen. Nami lachte verbittert. Bevor er allerdings in der Lage war darauf einzugehen, sah er aus dem Augenwinkel heraus den Koch. Es verwunderte Zorro das er heute noch auftauchte. Dementsprechend beschloss er später nachzuhaken. „Was hat dich hierher verirrt?“ „Nicht deine Visage“, grinste er provokant, allerdings änderte sich sein Ausdruck rasch als er sich neben Nami gesellte. „Ah, dich zu sehen, lässt alle Strapazen vergessen“, trällerte er liebestoll. „Deine Nachricht hat mir den Abend versüßt. Gestehst du mir deine Liebe?“ Zorros Augenbraue schwang in die Höhe. „Ehrlich gesagt, will ich mit euch beiden reden.“ „Für die Hilfe bin ich dankbar, doch mein Mitleid für sie hat Grenzen“, verdeutlichte Zorro erneut. „Seit ich die Wahrheit kenne, habe ich mit dem Ausgang gerechnet, versteh mich nicht falsch. So etwas lässt sich eben nicht ewig unter den Teppich kehren. Robin hat gewusst, worauf sie sich einlässt.“ Während Sanji rauchte, hatte sich Zorro ein Bier geholt, mit dem er ratlos auf und ab marschierte. „Haben alle, aber genauso haben wir die Beziehung unterstützt, du hast Robin gelassen.“ Sanjis Sichtweise unterschied sich in gewissem Maße zwar von seinem Freund, aber hätte Zorro anderes gewollt, hätte er jederzeit die Notbremse ziehen können. Hatte er nicht. Also brachten solche Gedanken nichts. „Wir können nur abwarten. Sie kehrt zurück.“ „Sollte sie. In zwei Wochen. Was dann?“ Fragend hob Sanji seine Braue, woraufhin Zorro seufzte. „Franky hat eben seine Kontakte. Bloß habe ich ein ungutes Gefühl. Nami kann genauso gut gar nicht wiederkommen.“ Nickend sah Sanji aus dem Fenster. Darüber hatte er bereits nachgedacht. Momentan fiel ihm merklich schwer Nami einzuschätzen. Denn es wäre passend. Zumal ihr Verschwinden und das Ignorieren eine deutliche Sprache war. Andererseits verstand er den Schritt. Plötzlich stand ihre Welt Kopf. Ihre Liebe entpuppte sich als Mörderin, Freunde waren involviert und halfen durchaus bei der Vertuschung. Sich verraten zu fühlen war verständlich und manchmal half Abstand. „Was ist mit Vivi?“ Diese hatte ihn schockiert. Immerhin hatte Sanji vorgehabt, mit Nami ein halbwegs klärendes Gespräch zu führen. Vermitteln, ihr vielleicht eine andere Sichtweise bieten, sich im besten Fall einfach zu erklären, damit sie eher verstand, was ihn, aber in erster Linie Zorro dazu veranlasst hatte. Oder Robin. Stattdessen hatte er von ihrer Abreise erfahren. „Schweigt, aber glaub mir, sie stehen in Kontakt.“ Zorro trank einen Schluck, sah ihn allerdings ernst an. „Sie stellt Fragen.“ Natürlich stellte Vivi Fragen. Eine andere Reaktion hatte Sanji nicht erwartet. „Wunderst du dich? Nami verändert sich schlagartig. Robin taucht auf und sucht sie. Anschließend macht sie sich komplett rar und wir stehen nacheinander auf der Matte. Da würdest selbst du dir Fragen stellen“, gab er nüchtern zurück. „Vivi darf die Wahrheit nie erfahren.“ Und ein Gefühl sagte Sanji, das Nami ähnlich dachte. Er bezweifelte einfach, dass sie Vivi jemals davon erzählen würde. Sie in die Angelegenheit hineinzog. Nicht als Freundin und schon gar nicht als Tochter des Bürgermeisters. Als der letzte Gast endlich aufgebrochen war, tauschte er einen kurzen Blick mit dem Koch aus, der ihm beim Aufräumen half. Beide hatten dasselbe Gefühl. Die Alarmglocken waren unüberhörbar. Ihre Freundin, die meist für Kleinigkeiten in die Luft ging, zögerte sichtlich. Als ob sie abwog. „Okay“, setzte Zorro an, nahm das nächste Glas zum Abtrocknen zur Hand, „mach den Mund auf.“ Das Warten nervte ihn durchaus, also konnten sie das Gespräch auch währenddessen führen. Er kümmerte sich um den Thekenbereich, Sanji hatten den Rest unter Kontrolle. Er hörte wie sie Luft holte. „Wie lange deckt ihr Robin?“, fragte sie offen heraus, ohne einen anzusehen. „Seit Ferrara oder schon länger?“ Überrumpelt stieß Sanji einen Stuhl um, während Zorros Bewegungen wesentlich langsamer wurden. „Keine weiteren Lügen“, setzte sie nach, als Zorro sich tatsächlich dabei erhaschte zur Ausrede anzusetzen. „Die damalige Nacht … es gab verdammt viele Zufälle, oder? Bonney taucht ab, du bist nicht arbeiten gegangen, Robins Autounfall, der Brand … lange habe ich mir nichts dabei gedacht. Was soll’s, ein Haufen Zufälle. Ist halt dumm gelaufen.“ Ein nichtssagendes Schulterzucken folgte. Was wollte sie hören? „Wer hat dir das gesagt?“ Sanji hatte den Stuhl aufgestellt, kam nun zu ihnen. Im Gegensatz zu Zorro fasste er sich wesentlich schneller. Zeigen keinerlei Anzeichen nach Ausreden zu suchen. „Ist dir bewusst, dass du mit einer Frau flirtest, die deine Brüder auf dem Gewissen hat?“ „Die ich nie gemocht habe, aber ja, dessen bin ich mir bewusst“, erklärte sich der Koch und ließ sich neben ihr auf einem der Hocker nieder. Den geschockten Blick quittierte er mit einem seichten Lächeln, während er aus der Gewohnheit heraus eine Zigarette anzündete. „Macht die Sache nicht besser“, brummte Zorro und stellte das Glas ab, den Lappen warf er sich über die Schulter. „Was ist vorgefallen, Nami? Wer hat dir das gesagt?“ „Es gab nie einen Unfall“, stellte Nami traurig fest, wobei ihr Blick zwischen den beiden hin und her huschte. „Ihr verneint nicht.“ Zorro wich nicht aus, ganzgleich wie unwohl er sich fühlte. Am Ende spürte er gar Erleichterung, wenn sie auch bittersüß nachhallte. Die Wahrheit war ans Tageslicht gekommen, sein Schweigen vorüber. „Nein“, bestätigte er daher, „und was Robin angeht, wissen wir erst seit jener Nacht Bescheid.“ „Und Franky. Und Kalifa. Kaku.“ Er nickte bloß. „Ich kann mir vorstell-“ „Kannst du nicht, Sanji!“, unterbrach sie ihn harsch. Er verstummte, erkannte eine auflodernde Wut in ihren Augen. Die Reaktion passte schon eher. „Denkst du, du weißt, wie ich mich fühle? Herauszufinden, dass meine Freundin Menschen tötet? Oder das Gefühl, dass die eigenen Freunde die Wahrheit kennen und ihr noch bei der Vertuschung helfen? Während du selbst im Dunklen tappst? Hat sie euch auch noch amüsiert? Meine Ahnungslosigkeit?“ „Es hat uns nie Spaß bereitet“, warf Zorro ein. „Glaub mir, dabei zuzusehen hat mir keinesfalls Spaß gemacht. Schon gar nicht das Lügen.“ „Ich habe dir vertraut.“ Die Enttäuschung stand ihr ins Gesicht geschrieben. „Du bist ein ehrlicher, geradliniger Kerl, der zu seinen Worten und Taten steht … warum also zweifeln oder hinterfragen? Geschickt eingefädelt. Schicken wir Zorro vor, ihm traut sie, er lügt nie.“ Zorro verzog keine Miene, starrte lediglich. Um die Schwere wusste er, sie drückte seit Wochen belastend auf seiner Brust. Diesen Moment hatte er sich nie herbeigewünscht. „Sie haben Bonney gerettet.“ Ein Tropfen auf dem heißen Stein, das wusste er. Denn gerade interessierte sie sich nicht dafür. Gerade spielte einzig und allein die Tatsache, dass er Robin geholfen, ihr Wohl vorgezogen hatte, eine tragende Rolle. „Hättest du uns geglaubt?“, stellte Sanji plötzlich in den Raum, wodurch sich Nami fragend zu ihm drehte. „Sei ehrlich, was hättest du getan? Auf uns gehört und Robin ohne stichhaltige Beweise fallen gelassen? Oder frage dich, was du an seiner Stelle getan hättest.“ Sanft sah er sie an, beugte sich leicht vor. „Versetze dich in seine Lage. Stell dir vor, jemand hilft dir Robin vor einem großen Übel zu retten und will als Dank einzig und allein deine Verschwiegenheit. Den Mund halten und sie lebt, ist in Sicherheit. Ein Preis auf Kosten einer Freundin, ich weiß, aber die Liebe hat nun mal ihre eigenen Regeln. Und wärst du in ernsthafter Gefahr gewesen, hätte er sofort reagiert. Sollte dir klar sein.“ Mürrisch verzog Zorro das Gesicht, verschränkte demonstrativ die Arme. Ausgerechnet der Giftmischer sprach über seine Gefühle, half ihm sich zu erklären. Indes blinzelte Nami unglaubwürdig. „Wow, du hast mich umgestimmt. Alles vergeben und vergessen. Liebe entschuldigt sämtliche Fehler.“ Belustigt gluckste sie. „Bei deiner Familiengeschichte überraschen mich deine Worte keineswegs. Ist bei dir total normal.“ „Hör auf, ihm gegenüber gehässig werden, bringt nichts!“ Zorro verstand Nami, voll und ganz, aber die Anspielung ging ihm eine Spur zu weit. „Dutzende Tote, Vertuschungen und plötzlich verbünden sich zwei Streithähne.“ „Ich hasse diese Zwickmühle!“ Zorro öffnete den Kühlschrank und für einen Moment fragte sich Sanji, ob er noch ein Bier oder lieber etwas zum Essen wollte. Immerhin stand er eine Weile einfach da, ehe er doch ein Bier vorzog und die Kühlschranktür mit Schwung schloss. „Natürlich habe ich Bonneys Wohlergehen im Auge. Als ob ich nicht alle Szenarien durchgehe. Mir ist bewusst, was ein Fehltritt bedeutet. Im schlimmsten Fall bin nicht nur ich tot, sondern auch sie. Freundschaft hin oder her.“ Er brummte tief. Für keine Sekunde zog er Frankys Worte ins Lächerliche. Aber am Ende war Bonney eben doch nicht der einzige Grund. Zorro verstand sehr wohl den Ernst der Lage. Was der Umgang mit diesen Leuten bedeutete. „Seit ich in der Bar arbeite, kenne ich die Truppe. Schon vorher habe ich sie beobachtet, mit ihnen gesprochen, Franky gehört zum Inventar. Und Robin …“ „Beide hegen ernsthafte Gefühle. Sie lieben sich und du hast nicht vorgehabt die Beziehung zu zerstören.“ Beide dachten ähnlich. Ihnen ging es gar nicht zu sehr um das Geheimnis selbst. Was man auch immer davon hielt, die Gefühle waren da und sie waren glücklich. „Ich habe ihnen mehr Zeit eingeräumt. Natürlich ist die Beziehung zum Scheitern verurteilt gewesen, aber Robin hat bisher ziemlich versteckt agiert, hat sich nie in die Karten sehen lassen. Ohne Trafalgar … sie hätte es noch lange genug geheim gehalten.“ „Die Beziehung ist vom Tisch, seien wir ehrlich. Nami lenkt nie und nimmer ein, was sogar das beste für sie ist. Was, wenn jemand herausfindet, wie er Robin eiskalt erwischen kann?“ Natürlich bestand die Gefahr. Gerieten solche Informationen an die falschen Leute? Trafalgar legte es wenigstens nur auf den Bruch der zwei aus, nicht auf ein Blutbad. „Sag mal, hast du eigentlich Bedenken? Fragst du dich nicht auch, ob Robin irgendwann doch … du weißt schon, darüber nachdenkt die Reißleine zu ziehen?“, fragte Zorro äußerst leise, fast eine Spur beklemmend. Sanji schnippte den Stummel aus dem Fenster. Eine naheliegende Befürchtung. Allerdings schüttelte er bestimmend den Kopf. „Nein, meine Angst dreht sich um Kalifa.“ 23. Februar 2013 Ungeduldig klopfte Vivi. Vielleicht ein Fehler, aber wollte sie Antworten, erschien ihr der Besuch als unumgänglich. Zudem hatte sie sowieso hergemusst, ein Katzensprung also. Die Stimme hören reichte aus und beim Betreten des Büros begrüßte sie Robin mit einem knappen Ciao. Dem fragenden Blick nach hatte sie überhaupt nicht mit Vivi gerechnet. Verständlich, auch wenn sie etwas für ihre Abschlussarbeit gebraucht hatte, hatte sie sich stets zuvor gemeldet. Gefragt, ob Robin ein paar Minuten erübrigen konnte. Nicht hierbei. Vivi hatte durchaus mit dem Gedanken gespielt, ihn allerdings rasch verworfen. Vermutlich hätte Robin abgeblockt, eine Ausrede gefunden. Während Vivi zum Tisch ging und ihre Tasche auf einem der Stühle fallen ließ, lehnte Robin fast auffordernd zurück. „Was zum Teufel hast du angestellt?!“, begann Vivi fassungslos und warf die Arme in die Luft. „Und wehe du kommst mit einem bescheuerten Seitensprung daher, dann reiß ich dir den Kopf ab. Wenn du Nami für irgendeine daher gelaufene Frau abservierst! Ihr kann kaum die Schuld gegeben werden, wenn sie deinetwegen aus dem Land flüchtet und nach Hause fährt. Dann noch mit dem beschissenen Arschloch!“ Lautstark machte Vivi deutlich, was sie davon hielt, auch wenn es alles andere als richtig war, einfach aufzutauchen, sich auf diese Weise einzumischen. Aber mittlerweile fand sie keinen anderen Weg, die anderen wichen aus und von Nami erhielt sie sowieso keine Antwort. Ungerührt sah Robin zu ihr. „Sie wird schon ihre Gründe haben, warum sie dir nichts sagt.“ Eine Kälte lag in ihrer Stimme, die Vivi unausweichlich einen unangenehmen Schauer über den Rücken jagte. „Und mir wäre neu, dass ich sie zur Flucht gedrängt habe. Ist ihre Entscheidung, findest du nicht?“ „Denkst du, ich sehe zu? Ich nehme hin, was du mit ihr gemacht hast? Du bist der Grund für ihren plötzlichen Wandel“, fand Vivi dennoch den Mut, stemmte sich am Schreibtisch ab. „Was läuft hier?“ „Stell dir vor, Prinzesschen, Paare trennen sich und redet sie nicht mit dir, ist das dein Problem, nicht meines. Die Gründe gehen dich nichts an. Wenn du keinen anderen Grund für deinen Besuch hast, solltest du jetzt besser gehen.“ Eine Weile starrten sie einander an, ehe Vivi angewidert das Gesicht verzog. „Mittlerweile bereue ich es, Nami auf diese Gala geschleppt zu haben. Dann wärst du ihr erspart geblieben.“ Da, für eine Sekunde hatte Vivi geglaubt, etwas gesehen zu haben. Etwas in den Augen der anderen, aber vielleicht reines Wunschdenken. Eine Einbildung. Was hatte sie sich anderes erwartet. Gut, ihr Auftreten war eine Spur zu viel gewesen, eventuell hätte sie es besser lösen können, aber es ging nicht anders. Denn das Gefühl absichtlich im Dunkeln gelassen zu werden, nagte an ihr. Kapitel 45: Passo dopo passo. ----------------------------- Schritt für Schritt. 26. Februar 2012 Erschöpft ließ sich Nami rücklings aufs Bett fallen, eine bleierne Müdigkeit war zum stillen Begleiter geworden. Am Tag fand sie ausreichend Ablenkung; während der gemeinsamen Zeit mit ihrer Familie oder Treffen mit ihren Freunden, doch schlichen sich all die erworbene Eindrücke und Gefühle rasch zurück an die Oberfläche. Rascher als ihr lieb war, sobald sie sich allein befand. Ihr Verstand ruhte nicht, er arbeitete weiter. Und spätestens nachts, wenn sie eben für sich war, eingenommen von der Dunkelheit, wurde sie in manchen Stunden regelrecht überrollt, sodass sich Schlafen als schwierig, gar als unmöglich herausstellte. Zwei Nächte hatte sie keine Sekunde geschlafen, und fand sie für eine Weile Schlaf, fühlte sie sich beim Aufwachen genauso erschlagen. Gähnend rollte sich Nami auf den Bauch, bettete den Kopf auf ihrem linken Arm. Irgendwie verschlimmerte sich der Zustand stetig, je länger sie in der Heimat verweilte. Dass sie Robin rasch vergaß und ins alte Leben zurückfand – nein, die Hoffnung hatte sie rasch begraben. Von Anfang an hatte Nami geahnt, wie schwierig das Unterfangen werden würde. Dann schon eher an eine Besserung. Einen Schritt nach dem anderen, wenn auch langsam. Stattdessen glaubte sie, sie ging rückwärts. Dabei rückte die Abreise nach Venedig näher und näher. Hatte sie sich nicht deshalb für eine Auszeit entschieden? Um den nötigen Abstand zwischen sich und die anderen zu bringen, damit ihr das Verarbeiten leichter fiel? Damit sie ungestört Zeit hatte sich mit allem auseinanderzusetzen? Welch ein kläglicher Versuch. Vom eigentlichen Ziel schien sie Lichtjahre entfernt. Manchmal fragte sie sich, ob es zum Teil daran lag, dass sie niemanden zum Reden hatte. Von ihrem engsten Kreis kannte eben niemand die Wahrheit, sie hatte lediglich Law und sich mit ihm austauschen, erwies sich oftmals als kräftezerrend. Dann, wenn ihre Gefühle sie erdrückten, wenn Nami sich schmerzhaft nach Robin sehnte, wenn ihr Herz sich Gehör erkämpfte. Trafalgar blieb seiner Linie treu, für ihn existierte keine Erklärung, wobei er gerne vergaß mit wem er zusammengearbeitet hatte. Für ihn zählte sein persönlicher Grund, damit rechtfertigte er seine Entscheidungen – sehr wohl hatte er Nami jedoch gesagt, er würde verstehen, wenn sie ihn in Zukunft genauso mied. In dem Fall dachte er um, er würde mit allem aufhören und sich zurückziehen. Ein Gedanke, den Nami vermutlich irgendwann in Erwägung zog, sobald sie ihre Entscheidung für die Zukunft traf. Bis dahin hatte sie das Gefühl ihn zu brauchen. Irgendwie. Wer blieb sonst übrig? Brummend raufte sie ihr Haar. Ausgerechnet der Kerl, den sie bis vor ein paar Monaten am liebsten noch eigenhändig in die Hölle verfrachtet hätte. Welch Ironie. Am Ende brauchte sie ihn aus ihrer Sturheit heraus. Immerhin reichte ein Anruf oder eine kurze, einfache Nachricht. Zorro. Sanji. Bislang blieb Nami standhaft, hatte vom ersten Tag an sämtliche Nachrichten oder Anrufe – Vivi ausgenommen – rigoros abgeblockt. Entweder hatte sie die Anrufe sofort abgewürgt oder läuten lassen. Auf der Box befanden sich mehrere, nicht abgehörte Sprachnachrichten. Die Textnachrichten selbst blieben ungelesen. Für eine Weile war die Idee aufgekommen, sich überhaupt eine neue Nummer zuzulegen. Diese war aber genauso rasch verworfen worden. Hätte eher Fragen aufgeworfen und Vivi brauchte nicht noch weitere Gründe, denn ihre Freundin hatte lange genug versucht herauszufinden, was vorgefallen war. Den Rest hatte sie eben links liegen gelassen und bald brauchte sie einen Plan. Was auch vorgefallen war, sie kannte besonders die Jungs, sie waren Sturköpfe und würden definitiv keine Chance auslassen, um mit ihr irgendwie ins Gespräch zu kommen. Besonders Sanji. Vielleicht, dachte sie, vielleicht half ihr das Lesen der Nachrichten. Ob sie nun mit ihnen sprach oder nicht. Irgendwie musste sie einen Weg finden, der ihr eine Besserung bescherte. Und Robin? Trotz Verachtung für das gewählte Leben, blieb die Sehnsucht und heute war einer dieser Tage, an dem sie besonders stark war. Welch bittersüße Qual. Nami verstand nicht, was jemanden in dieses Versteckspiel trieb. Nach Außen ein fast perfektes Scheinbild, kein Zeichen von Reue oder Zweifel, während im Hintergrund Menschen getötet wurden. Besaß sie ein Gewissen? Vermutlich nicht. Sie durfte sich nicht erklären, flüsterte eine niederträchtige Stimme. Innerlich rang Nami. Der Kampf fand kein Ende. Natürlich hatte sich ihr Verstand klar positioniert, aber das Herz? Es wollte ebenso Gehör, schürte eben jene schmerzhafte Sehnsucht, die ihren Verstand in den Wahnsinn trieb, in der Hoffnung der Widerstand kam nicht nur ins Wanken, sondern ließ ihn endgültig brechen. Verschwieg sie deshalb die Trennung? 24. Dezember 2012 Heiligabend klang langsam aus und die vergangenen Stunden waren überraschend angenehm verlaufen. Generell hatten sich die letzten Tage gänzlich anders entpuppt als vor der Anreise ausgemalt. Wobei dieses Mal eben doch wieder eine Auseinandersetzung voraus gegangen war, die ihre negativen Gedanken durchaus befeuert hatte. Stattdessen hatte sie die gemeinsame Zeit in der Tat genossen. Mittlerweile saß sie mit ihrer Mutter auf der Terrasse, sie rauchend, während Nami eine wärmende Teetasse fest umklammerte. „Bislang bist du recht schweigsam gewesen, also erzähl, feisterst du noch mit deinen Freunden oder“, hinterfragte Bellemere neckend, „wartet eine Frau auf dich?“ Deutlich vernahm Nami den grinsend, taxierenden Blick ihrer Mutter, dem sie gekonnt auswich, in dem sie sich lieber dem noch leicht dampfenden Inhalt ihrer Tasse widmete. Hatte sie sich anderes erwartet? Irgendwann musste jene Frage aufkommen, immerhin wurde die Länge ihres Aufenthalts erst vor einer Weile geändert. Anfangs war ein Aufenthalt bis Neujahr angedacht, nun reiste sie inmitten der Weihnachtstage zurück. Bellemere war nicht auf den Kopf gefallen, auch ihre Schwester fragte bereits nach. „Vielleicht beides?“, nuschelte Nami nach einer Weile. Ausweichen schien zwecklos und war sie ehrlich, dann hasste sie die lästigen Ausflüchte. Seit Wochen hielt sie ihre Beziehung der Familie gegenüber geheim. Im Grunde unnötig, immerhin sprach sie mit Bellemere. Diese Frau durchschaute sie so oder so, dass wusste Nami, bloß schwieg diese oftmals, und wenn nicht, dann kommentierte sie mit Gesten oder warf ihre Kommentare zwischen den Zeilen ein. Wenn Bellemere sie schon darauf ansprach, war die Zeit gekommen endlich mit der Wahrheit herauszurücken. Auch wenn sie berechtigte Gründe gehabt hatte. Vergo. Vergo blieb bis heute der Hauptgrund für ihre Verschwiegenheit. Es war zunehmend belastend geworden, was mit Robin selbst einher ging. Er kannte sie, hielt etwas von ihr und noch immer erinnerte sie sich an diese Gala zurück, auf der er Robin mehr oder weniger gewarnt hatte. Was würde er davon halten? Irgendwie amüsierte Nami der Umstand, andererseits bewies die Vergangenheit, wie rasch sich seine Einstellung änderte. Wie schnell er umschalten konnte und erst recht in alte Muster verfiel. Einen weiteren Streit vom Zaun brechen, war das letzte das Nami wollte. Nicht nachdem die vergangenen Tage aufgezeigt hatten, dass er anders konnte, wenn er wollte. Wenn dieses Thema unter den Teppich gekehrt wurde. Nun, da sie allein mit Bellemere war, veränderte sich die Sachlage und Nami wusste, dass genügend Fragen aufgekommen waren, dabei blieb es nicht nur bei ihrer verfrühten Abreise, dass hatte ihre Schwester bereits aufgezeigt. „Also doch und sie hat dir ordentlich den Kopf verdreht“, lachte Bellemere rau. „Deine Schwester fragt mich seit Wochen, ob ich denn nicht mehr wüsste. Deine Art hat dich verraten. Du bist anders.“ Überrascht warf sie den Kopf zur Seite. „Los, erzähl mir von ihr!“ Skeptisch sah Nami auf, während sie das Smartphone, das bislang in ihrer rechten Hand geruht hatte, automatisch in diese Hosentasche schob. „Wen meinst du?“ „Na, deine Freundin!“ Wissend griente Nojiko. „Vergessen? Ich bin deine Schwester, ich kenne dich – Also? Wer ist sie? Seit wann seid ihr zusammen?“ Nojiko sank auf das Sofa, direkt neben ihre jüngere Schwester und blickte dieser erwartungsvoll entgegen. Frustriert holte Nami Luft. Nojiko war unmöglich und würde sie schweigen, würde sie so rasch nicht ablassen. „Seit ‘ner Weile?“ Lauschend überprüfte Nami, ob sich ihr Ziehvater, der definitiv zu Hause war, sich irgendwo in der Nähe des geräumigen Wohnzimmers aufhielt. „Tu mir den Gefallen“, beugte sie sich näher zur Schwester, „und behalte das für dich. Auf Diskussionen habe ich keine Lust.“ „Ich bitte dich, wann bin ich dir je in den Rücken gefallen?“ Kopfschüttelnd wandte sie sich zur Seite. „Du denkst krampfhaft, dass wir alle ein Problem damit haben. Weder Bellemere noch ich sind deine Feinde.“ „Und wie oft hast du mir Law schmackhaft gemacht?“ Nojikos rechte Braue hob sich tadelnd. „Lange genug habe ich dich darauf hingewiesen, dass du dich in seiner Gegenwart höflicher benimmst. Was auch immer zwischen euch vorgefallen sein mag, dass du eine solche Wut verspürst, du rückst dich sinnlos in ein schlechtes Bild, das hast du nicht nötig!“ Schweigend betrachtete Nami ihre Schwester. In einem Punkt sprach sie die Wahrheit, dessen war sie sich bewusst, sie hatte in der Tat oft genug unnötige Diskussionen ausgelöst, sich unnötig provozieren lassen. Andererseits kannte Nojiko eben nicht die gesamte Geschichte, die Nami ohnehin nicht aufrollen wollte. „Wir haben uns ausgesprochen“, gab sie nach einem tiefen Seufzen bekannt. „Während seines Besuchs in Venedig. Er hat nicht lockergelassen und wir haben eine Basis gefunden – sofern er den Bogen nicht erneut überspannt.“ „Kein Scherz?“ „Nein“, bestätigte Nami nachdrücklich, was Nojiko ein Lächeln entlockte. „Was hat es mit deiner Freundin auf sich?“, ruderte sie zur Ausgangsfrage zurück. „Läuft gut.“ „Merk ich, du grinst ständig bis über beide Ohren. Warum so schweigsam? Ich beiße nicht.“ „Weil ich die Feiertage stressfrei verbringen möchte?“ Ihre Schwester konnte Geheimnisse für sich behalten, doch mittlerweile war sie tatsächlich schweigsamer geworden, was ihr Liebensleben anging. Eben weil es bislang immer zu Unruhe geführt hatte. Unschlüssig verhakte sie ihre Finger ineinander, übte Druck aus. Wann die Beziehung zu ihrer Schwester so gekentert war, konnte Nami gar nicht einordnen. Nach all den Streitereien war‘s vermutlich absehbar gewesen. „Warum schenkst du mir so wenig Vertrauen?“ „Bin ich?“ Irritiert verzog Nami ihr Gesicht. Sacht nickte Bellemere, blies umso langsamer den Rauch aus. „Nami … du bist bis über beide Ohren verliebt. Ist uns sogar aus der Distanz aufgefallen und seitdem du hier bist … umso mehr. Du bist glücklich, wirkst ausgeglichener und lässt kaum Spielraum für Differenzen.“ Schnaubend schüttelte sie den Kopf. „Weil er gerade Ruhe gibt!“ Recht simpel. „Benimmt er sich, benimm ich mich.“ Was Vergo anging, war Nami recht einfach gestrickt. Dasselbe mit der letzten Meinungsverschiedenheit, sie hatte von ihrem verkürzten Aufenthalt erzählt und für Vergo war das neuerlich ein gefundenes Fressen gewesen, ihm missfiel ihre Entscheidung. Mittlerweile sagte er nichts mehr dazu, vielleicht hatte Bellemere ihm ins Gewissen geredet. „Also“, begann Bellemere mit abwinkender Geste, „erzähl mir Einzelheiten. Wer ist deine neueste Liebschaft?“ Neugierde, und darin ähnelte sie ihrer Mutter sehr, blitzte förmlich auf und Nami ahnte, dass das Gespräch erst ein Ende fand, wenn Bellemere zufrieden gestimmt war. „Streitthema hin oder her, du bist nie so zurück-“ „Vergo findet sie sympathisch!“, unterbrach Nami atemlos, woraufhin Bellemere unweigerlich verstummte. Verblüfft tötete sie langsam ihre Zigarette aus. Was sich in ihrem Kopf abspielte? Räuspernd warf Nami einen Blick zum Himmel hoch, sie sah nur vereinzelte Sterne. Ein betretenes Schweigen breitete sich aus, das Nami einen unangenehmen Schauer bescherte. Grund genug um seufzend die Tasse abzustellen, die wohltuende Decke von den Beinen zu nehmen und aufzustehen. Unwillkürlich stellte sie sich jene Frage, die seit einer Weile in ihren Gedanken kreiste: Inwieweit änderte sich Vergos Einstellung? Sicher, ab einem Punkt erfuhr er so oder so von ihrer Beziehung. Sobald sie länger hielt und davon war Nami überzeugt, es war keine kurze Liaison, sie glaubte daran, dass sie noch lange Bestand hatte. Ihre Gefühle hatten sich in eine Richtung entwickelt, die sie bislang nie gehabt hatte. Sie liebte Robin auf eine Weise, die neu für sie war, die keine andere Frau je bei ihr ausgelöst hatte. In dem Fall hatte ihre Mutter vollkommen recht. Robin hatte ihr gänzlich den Kopf verdreht, schon vom ersten Abend an, obwohl sie sich Monate gegen solche Gedanken gewehrt hatte. Vielleicht der passende Moment, um dem Leugnen oder dem Verheimlichen endgültig zu brechen. Irgendwann kam alles ans Licht, war es durch Zufall oder sonst etwas. Die Chance bestand weiterhin, dass er eine Kehrwendung machte, seine Sichtweise über Robin änderte. Genauso reagierte wie auf all ihre Freundinnen. Bloß würde sie nicht klein beigeben. Hatte sie nie, doch in Robins Fall würde sie ihm kaum Spielraum geben. „Sie lebt in Venedig?“, holte Bellemere sie aus den Gedanken. Nickend ging Nami ein paar Schritte. „Sollte ich sie kennen?“ Nami warf einen nichtssagenden Blick über ihre Schulter. Darüber hatte sie bislang nicht nachgedacht. Waren sie sich damals begegnet? Bellemere interessierte sich jedenfalls weniger für Vergos Sammlerstücke. „Vergiss nicht, ich bin nicht er“, fügte sie sanft an, nachdem Nami länger nichts erwiderte. Schluckend wandte sie den Blick nach vorne, beobachtete den Garten, dessen Umrisse sich durch das sachte Licht abzeichneten. Ertappt. Gerne vergaß sie auf das kleine, aber wichtige Detail. Sogleich meldete sich ihr Gewissen. Bellemere stand stets zwischen den Stühlen, vermittelte auf ihre Art, sie stritten sich oft genug ihretwegen. Bellemere war darauf bedacht in endlich zur Vernunft zu bringen. Aus dem Grund einigten er und Nami sich auf einen Deal. Weit bevor Venedig zur Sprache gekommen war. Mit Bellemere hatte sich alles im Laufe der Zeit verändert. Sobald sich die Atmosphäre bedrohlich auflud und Rage überhandnahm, trübte es ihre Wahrnehmung. Ein falsches Wort oder Betonung, eine falsche Geste und Nami hatte oft das Gefühl erhalten, sie stünde allein da. Der Kampf raubte ihr gerne die Sicht auf das Wesentliche, die Wut richtete sich rasch gegen die falsche Person. Dabei hatten sie immer wieder über ihre Freundinnen gesprochen. Fröstelnd schob sie die Hände in die Manteltasche. „Sie ist älter – ein Genie – ist arbeitsbedingt oft auf Reisen – manchmal ein wandelndes Rätsel auf zwei Beinen“, begann sie dann langsam, „Vergo und sein Faible für Antiquitäten. Erinnerst du dich an den steifen Abend in Venedig? Für das Museum?“ Gegen Ende seufzte sie auf, wartete ab, bis sie eine einfache Bestätigung erhielt. „Nun ja, er kennt sie, verfolgt gelegentlich ihre Arbeit und Kobra … er hat die zwei einander vorgestellt.“ „Kennt auch ihr euch von dort?“ Kopfschüttelnd drehte sie sich zu ihrer Mutter. „Nein, nicht direkt. Wir sind während meines ersten Besuchs zweimal zufällig über den Weg gelaufen. Haben uns ein wenig unterhalten, alles nicht spektakulär und ich habe mit keinem Wiedersehen gerechnet, aber …“, brach sie ab, dachte sogleich an die damalige Zeit zurück. Verrückt, nie hätte sie mit dieser Wendung gerechnet, noch weniger mit dem gefundenen Glück, das sich an manchen Tagen wie ein Traum anfühlte. Wie ein Traum, aus dem sie nicht erwachen wollte. „Sie hat dich nicht losgelassen“, entgegnete Bellemere sanft, woraufhin Nami stumm nickte. So etwas war ihr bislang noch nie widerfahren. Neugierde ja, aber noch nie auf diese Weise; in fünf Monaten hatten sie immer wieder an die Unterhaltung zurückgedacht. „Liebe auf den ersten Blick, was?“, verkniff sich Bellemere den neckenden Kommentar doch nicht. „Amüsiere ich dich?“ „Sie macht dich glücklich“, stellte Bellemere ihrerseits fest. „Kein Wunder, dass du so ausgeglichen bist.“ War sie das wirklich? „Aber du kennst Vergo.“ Dabei spähte Nami seufzend zur Glastüre, dort, inmitten des Raumes, saß er zusammen mit Nojiko am Sofa, ebenfalls in ein Gespräch vertieft. Sie lachten. Bellemere folgte der Geste, blieb einen Moment stumm, ehe sie im Aufstehen eine weitere Zigarette anzündete. „Ich habe eure kleine Reiberei mitbekommen.“ Daraufhin wurde Nami hellhörig. „Ihm missfällt die Distanz, daher wurmt ihn deine frühe Ab-“ „Er braucht nur von seinem hohen Ross absteigen!“, unterbrach sie knirschend. War Vergo in Fahrt, bezweifelte Nami sehr wohl seine väterlichen Gefühle. „Schau mich nicht so vorwurfsvoll an … er hat dieses Chaos ins Rollen gebracht.“ Bellemere atmete hörbar durch, und Nami hatte die Befürchtung, sie verlagerten das Gespräch in eine Richtung, die sie nicht heraufbeschwören wollte, in eine die sie leid war. „Du hast selbst gesagt, sie sei Vergo sympathisch … wer weiß, vielleicht braucht es lediglich eine Frau, die ihm passt“, versuchte Bellemere das Ruder herumzureißen. „Er lernt Robin kennen, akzeptiert sie und alles ist vergeben und vergessen?“ „Hast du je gesehen, dass er Nojikos Freunde mochte?“ „Ach komm schon … hat er ihr je eine Frau aufgedrängt, obwohl sie nichts mit ihr anfangen kann?“, konterte Nami säuerlich, das Bellemere ein Lachen entlockte. „Touché, bislang bleibt er bei Männern. Wäre eine Idee fürs nächste Mal.“ Sie zwinkerte. „Du spinnst.“ Grinsend blieb Bellemere neben ihrer Tochter stehen, die sie skeptisch musterte. „Zurück zum eigentlichen Thema, erzählt mir mehr von deiner Archäologin. Wann willst du sie mir vorstellen?“ 26. Februar 2013 Niemand kannte den wahren Grund für ihren plötzlichen Besuch. Von Anfang an hatte Nami ihnen allen eine Lüge aufgedrückt – etwas war dazwischengekommen und anstatt die zwei Wochen in Venedig zu verbringen, hatte sie sich kurzerhand für eine spontane Heimkehr entschieden, ein leichtes Unterfangen, zumal Law zufällig in der Nähe gewesen war. Alles hatte mehr oder minder zusammengepasst. Die Trennung hielt Nami absichtlich zurück. Einerseits schützte sie sich vor etwaigen Fragen, die sie so nicht direkt beantworten konnte. Auf Dauer blieb ihr so oder so nur das Lügen. Das Erfinden einer Affäre oder sie hatten bemerkt, es funktionierte nicht. Irgendetwas. Eigentlich gar nicht schwer und bald kam das Beziehungsende ans Tageslicht. Bellemere schwieg zwar, aber sie wurde täglich misstrauischer. Was vermutlich eher an Namis Gemütszustand lag. Zu ihrem letzten Besuch eine totale Kehrtwendung. Dabei spielte Angst eine wesentliche Rolle. Nicht vor möglichen Konsequenzen im eigentlichen Sinn, immerhin wollte sie die Wahrheit weiterhin verschweigen. Das dadurch entstehende Chaos … nein, das würde sie vorerst mit allen Mitteln verhindern. Eher hatte sie Angst vor ihrer eigenen Reaktion. Noch hielt sie sich über Wasser, ließ eben nicht alles zu. Wenn sie es nun aussprach, würde sie vermutlich offen unter der Last zusammenbrechen. Mag ein großer Fehler sein, aber vorerst sah sie darin ihren größten Schutz. Nun aber dachte sie erneut darüber nach, was in den nächsten Tagen geschah – ihre Rückreise. Venedig ewig den Rücken zu kehren … der Gedanke war ihr durchaus gekommen, es wäre eine Leichtigkeit, ihr Recht. Dennoch haderte Nami mit der Idee. Das Leben dort gefiel ihr, bis zu diesem Punkt fühlte sie sich dort wohler denn je. Umso lauter wurde eben jene Stimme, die ihr vermehrt sagte, dass es an der Zeit war, sich manchem zu stellen. Irgendwann musste sie aufhören wegzulaufen, sie musste sich allem stellen und noch konnte sie das allein, ohne das andere sie aufsuchten, mit ihr reden wollten. Zu lange hatte sie sich gewehrt. Vielleicht schlief sie wenigstens eine Nacht besser. Vielleicht half es ihr. Vielleicht verschlimmerte es ihre Situation. Genügend Möglichkeiten. Irgendwann raffte sie sich doch auf, griff im Schneidersitz nach ihrem Smartphone. Kleine Schritte. Erst die Jungs. Der Verrat schmerzte, war am Ende jedoch weitaus erträglicher. Außerdem musste sie eine Lösung finden. Eine passende Erklärung, allen voran für Vivi. Immerhin würde sie sich Zorro oder Sanji gegenüber, auch Franky, anders verhalten. Reservierter, wenn sie denn überhaupt noch Worte mit ihnen wechselte. Vivi würde nicht nur sofort nachfragen, sie würde sofort hinterfragen. Robin war eine Sache, aber plötzlich mit ihren Freunden anders umgehen, eine vollkommen andere. Eine die zusätzlich ins Gewicht fiel, immerhin stand die Frage offen, was sie mit der Trennung am Hut hatten. Und so zu tun als wäre nichts, als wäre alles in Ordnung ... konnte sie das überhaupt? Wenigstens neben Vivi? Zögernd wendete sie sich schließlich den Nachrichten zu. Mehrmals las sie sich Zorros Wort durch. Er blieb sich treu. Wortkarg, auf das Nötigste beschränkt. Einerseits versuchte er sich zu entschuldigen, sich zu erklären, während er andererseits regelrecht ihr Melden einforderte. Egal auf welchem Weg. Er wollte wissen, ob es ihr den Umständen entsprechend gut ginge, wann sie zurückkehrte. Irgendwie, und das musste sie sich allmählich eingestehen, versuchte sie aus seiner Sicht zu denken. Nami wusste um seine Gefühle, hatte ihn das eine oder andere Mal animiert, ihn gar damit aufgezogen. Es war, wie Sanji gesagt hatte, Liebe folgte eigenen Regeln. Und am Ende hatte er Bonneys Wohlergehen im Auge gehabt. Was ihr allerdings aufstieß war das Handhaben rundherum. Er hatte normal mit Robin geredet, manchmal Witze gerissen. Oder Nami gut zugeredet, wenn kleinere Probleme anstanden. Zusätzlich nahm er Franky in Schutz, verbrachte genügend Zeit mit ihm. Zorro hatte die Freundschaft gepflegt, obwohl er die Wahrheit kannte. Hierbei spielte weniger die Dankbarkeit mit. Sie waren Freunde geworden, wobei das dunkle Geheimnis einfach totgeschwiegen wurde. Waren er und Nami so unterschiedlich gestrickt? Denn das war das große Problem. Nami, ganzgleich wie oft sie manche Gedanken zu ließ, war nicht in der Lage sich ein Leben neben dieser Gruppe vorzustellen. Schon gar nicht innerhalb einer Beziehung. Das Wissen, das Robin nicht für Gräber oder Ausstellungen oder anderweitigen Aufgaben vereiste, sondern um Menschen zu töten – unvorstellbar. Selbst wenn Robin ihrer öffentlich bekannten Arbeit nachging, würde sich Nami nicht automatisch fragen, ob das der Wahrheit entsprach. Und was tat sie in der Zwischenzeit? Normal leben und zeitgleich auf eine unversehrte Rückkehr hoffen? Das Blut anderer war da und bescherte ihr einen kalten Schauer. Andererseits fragte eben jene verräterische Stimme, was sie an seiner Stelle tat. Was, wenn jemand nach Robins Leben getrachtet hätte und ein Pakt als einzige Lösung parat gewesen wäre. Hätte sie diese ausgeschlagen? In derselben Situation … vermutlich wäre sie den Deal eingegangen, aber eben nicht das Kommende getan. Sich eher zurückgezogen. Hättest du? Nami biss sich in die Lippe. Abschütteln. Lieber Sanjis Nachrichten widmen, der deutlich anders vorging. Er versuchte sich ausführlicher zu erklären, ohne dabei auf seine üblichen Liebesbekundungen zu vergessen. Auch entschuldigte er sich, schilderte seine Sicht der Dinge. Warum er nie über seine wahre Vergangenheit gesprochen hatte, seine Familie. Darüber wie er aufgrund des Vorfalles auf Ferrara wieder Kontakt zu seiner Schwester fand, aber sehr wohl auch über Robin. Augenscheinlich bot er seine Hilfe an, er wollte vermitteln. Und er machte ihr deutlich, dass sie diese Liebe nicht zu rasch aufgeben durfte. Glaubte er an seine Worte? Nami nahm sich Zeit, gab ihnen eine Chance … eine Chance wofür? Auf jeden Fall sah sie einen gewaltigen Unterschied darin, ob man solche Menschen aus Dankbarkeit deckte oder mit einem davon zusammen war. Ein verdammt großer Unterschied. Für Sanji weniger, was wohl seinem Hintergrund geschuldet war. Diese Schattenwelt hatte ihn großgezogen, obgleich er sich auch von ihr entfernt hatte, sie gehörte zu ihm. Anders als Nami. Liebe überwand nicht alles. Egal wie schön er sich manches redete oder er darauf pochte, dass Nami das Gespräch mit Robin suchte. „So ‘ne Scheiße!“ Eilig stand sie auf, sie musste raus. 25. Dezember 2012 Verräterisch funkelten Namis Augen. Wenn sie aus Erzählungen eines gelernt hatte, dann das Robin ein ziemlicher Weihnachtsmuffel war. Besonders Franky hatte sie etliche Male davor gewarnt, denn er beschrieb sich als das komplette Gegenteil. Die Dekoration stand seit einem Monat, ebenso der Baum. Er liebte die Weihnachtszeit und lebte sie dementsprechend aus. Nami mochte den Dezember und sie hatte selbst keine Scheu gezeigt, Robin hie und da aufzuziehen. Auch wenn sie vermutete woher die Abneigung stammte. Umso mehr überraschte sie seit ihrer Rückkehr, dass Robin ihr Haus tatsächlich weihnachtlich geschmückt hatte. Ihretwegen, immerhin verbrachten sie die restlichen Feiertage miteinander und für morgen hatte Robin sogar die anderen zum Essen eingeladen. Es war eine Geste, mit der sie überhaupt nicht gerechnet hatte und die ihr warm ums Herz werden ließ. Lächelnd schlenderte sie zurück in die Küche, folgte dem wohltuenden Duft. Orangen. Robin verwöhnte sie nach Strich und Faden. „Möchtest du etwas wiedergutmachen oder warum legst du dich so ins Zeug?“, meinte sie neckend, wobei sie hinter Robin trat und die Arme um die Taille legte. Tief atmete sie durch. Ein leises Lachen folgte. „Hörst du auf meine Absichten zu hinterfragen?“ „Hast du denn welche?“ „Wirst du noch früh genug erfahren.“ Dieses Mal lachte Nami, wobei sie noch nicht abließ. Mittlerweile war zum Glück wieder alles beim Alten, der Unfall fast vergessen. Anders als an den ersten Tagen. Robin hatte sie in gewissem Maße abgeblockt. Das hatte weniger mit ihren Verletzungen zu tun gehabt, vielmehr mit ihrer Gefühlslage, wobei sie nie so recht aussprechen wollte, was es genau war. Dass ihr Freund Mist gebaut hatte oder einfach nur, dass der Unfall geschehen war. Für Nami hingegen zählte lediglich die Tatsache, dass Robin nicht mehr passiert war. Wobei es ihr neuerlich aufgezeigt hatte, welch ein schwieriger Fall ihre Freundin war, wenn es darum ging. Sie war ein fürchterlicher Patient. „Hat Franky geholfen?“, fragte Nami dann nach, auch um von den Gedanken abzulassen. Dabei löste sie sich von Robin, ging zur Seite und schenkte ihnen beiden Wein nach. Das Essen müsste jeden Moment fertig sein. „Stell dir vor, ich habe das ganz allein geschafft. Er weiß noch nichts, wird morgen auch für ihn eine kleine Überraschung. Macht ihn bestimmt eifersüchtig, er ist jahrelang gescheitert.“ „Autsch, böse Robin.“ Auf die Worte hin rollte diese die Augen. „Was?“, lachte Nami, während sie sich auf die Arbeitsplatte hievte. „Wirst du plötzlich ernst?“ Robin würzte noch mal nach, ehe sie die Pfanne schwenkte. „Noch ein, zwei Minuten“, murmelte sie, wobei ihr Blick nun auf Nami fiel. „Kanns kaum erwarten.“ Seit der Geruch der Soße in der Luft lag, rumorte ihr Magen. „Liebe geht eben doch durch den Magen“, witzelte sie. „Dafür hast du Sanji recht schnell abblitzen lassen.“ Nun war es an Nami mit den Augen zu rollen. „Was?“ Kopfschüttelnd winkte Nami ab. „Hab meiner Mutter von uns erzählt“, lenkte sie in eine vollkommen andere Richtung. Dabei wich sie Robins Blick aus, nahm das Weinglas zur Hand und trank einen Schluck. „Oder besser gesagt, sie hat mich ausgefragt.“ Warum sie so plötzlich das Bedürfnis gehabt hatte, damit anzufangen, verstand Nami weniger, aber irgendwie war es ihr in den Sinn gekommen. Das Thema war schon das eine oder andere Mal aufgekommen. „Fertig“, hörte sie Robin, die sich wieder dem Abendessen zugewandt hatte. Fragend hob Nami ihre Augenbraue. „Da du sehr gelassen bist, ist nichts Grobes vorgefallen. Also ist das Gespräch gut verlaufen. Oder muss ich mir Sorgen machen?“ Lächelnd warf Robin einen Blick zur Seite. Nami blinzelte verwundert. „Sie war sehr neugierig.“ Langsam rutschte sie von der Arbeitsplatte. „Nachdem ich ihr von dem Vorfall auf der Gala erzählt habe, hat sie gelacht. Willst du hören, was sie wegen Vergo denkt?“ „Dass er einen mächtigen Schock erleiden wird, weil ich seine Warnung ignoriert habe?“ Ein schelmisches Grinsen kam zum Vorschein, Robin zog sie schon mal gerne mit seinen Worten auf. „Deine Schuld, du wurdest gewarnt und hast dich trotzdem auf mich eingelassen.“ Lachend half sie Robin beim Tragen ins Esszimmer. „Gib’s zu. Seine Warnung war der eigentliche Grund, warum du mich so hingehalten hast.“ Mittlerweile konnte sie sich darüber amüsieren, an jenem Abend jedoch, da hatte sie keinen Grund zum Lachen gehabt. Sie wäre am liebsten laut geworden (was später erfolgte), neben den anderen und sie hatte sich sehr wohl gefragt, ob das nicht nach hinten los ging. „Jetzt ist die Katze aus dem Sack.“ „Sie denkt, du könntest seine Einstellung ein wenig ändern“, wurde Nami ernster als Robin wieder zurückkehrte, nachdem sie nochmals in die Küche gegangen war, um die Weingläser zu holen. Irgendwie gefiel ihr der Gedanke, andererseits kannte sie ihn zu gut. Nach allem hatte Nami längst die Hoffnung aufgegeben, egal welche Frau sie ihm vorsetzte. Robin nahm indes schweigend Platz und genau diese Reaktion brachte eine leichte Verunsicherung mit sich. Sonst hatte sie immer einen Spruch übrig, wenn sie das Thema anschnitten, wie auch zuvor. „Alles in Ordnung?“ Oder sie realisierte erst in diesem Moment, was ihr Nami gesagt hatte. Dass Bellemere nun mehr wusste. Als Robin begann sich angestrengt die Schläfe zu massieren, war die totale Verunsicherung da. Hätte sie besser doch geschwiegen? „Eine Frage“, begann Robin schließlich und Nami vernahm ein tiefes Durchatmen, „was bitte hast du deiner Mutter über mich erzählt? Ist eine recht hohe Messlatte, findest du nicht?“ „Darum geht’s dir?“ Erleichtert stieß sie den Atem aus. „Kann ich was dafür, dass er dich sympathisch findet?“ „Basiert ihre Annahme darauf?“ Schulterzuckend schnitt Nami ein Stück Fleisch ab. „Kann sein?“ Definitiv ein entscheidender Punkt, er hielt etwas von Robin. „Oder daran, dass du ein wandelndes Rätsel auf zwei Beinen sein kannst. Oder daran, dass du gerne in der Weltgeschichte herumreist oder daran, dass du in deine Arbeit ziemlich vernarrt bist.“ Mittlerweile fand sie zurück in ihre Lockerheit, was das Ganze anging. Nachdem sie das Fleisch in die Soße getunkt hatte, aß sie das Stück mit Genuss. „Habe ich dir schon gesagt, dass ich dich liebe?“ Robin taxierte sie. Dieses Mal änderte sich nichts an Namis Gefühlsregung, denn den Blick kannte sie allzu gut. „Ah, deshalb sind alle durchgefallen. Er akzeptiert nur Workaholics.“ Robin rührte das Essen weiterhin nicht an, sondern nahm einen Schluck Wein zu sich, ehe sie spitzbübisch lächelte. „Sei ehrlich, du bist nicht aus dem Schwärmen herausgekommen.“ „Wenn du nicht bald anfängst, wird dein Essen wird kalt.“ 26. Februar 2013 Nach einer längeren Fahrt quer durch die Stadt, hatte sich Nami zu einem Anruf durchgerungen. Bloß ein Mensch war ihr zu dieser Stunde eingefallen, der ihr mit ein bisschen Glück vielleicht aus dem Chaos half. Wenigstens für eine Nacht. Die Gefühle brachen über sie hinweg, zwischenzeitlich verschwamm ihre Sicht. Tränen, die sie oft zurückgehalten hatte, suchten den Weg an die Oberfläche. Irgendwie hatten die Nachrichten, die daraus zugelassenen Gedanken etwas ausgelöst. Nami warf einen Blick in den Spiegel, der im Fahrstuhl war, dabei holte sie tief Luft, wischte sich die Tränen aus den Augen. Nicht gerade ein Auftritt, wie sie ihn sich vorstellte. Als sie ausstieg wurde bereits mit offener Tür auf sie gewartet und Nami ertappte sich beim kläglichen Versuch eines fröhlichen Lächelns. „Hey Lola.“ Kapitel 46: Sfinitezza. ----------------------- Müdigkeit. 26. Februar 2013 Lola. Wenn ihr jemand half die Nacht zu überstehen, dann sie. Lola war einer dieser Menschen, die aufgrund eines bescheuerten Missverständnisses ins Leben stießen und auf wundersame Weise blieben. Bei ihrer ersten Begegnung hatten sich die beiden ordentlich in den Haaren gehabt. Der Kerl, den Lola als ihren Liebsten auserkoren hatte – ein verdammt schmieriger und aufdringlicher Typ – hatte Nami auf dementsprechend niveaulose Art angemacht. Für Lola war Nami das rote Tuch gewesen. Lola hatte im Effekt das Gegenteil geglaubt. Ihr in Rage die Wahrheit aufzutischen, hatte Nami etliche Nerven gekostet. Tage später trafen sie erneut aufeinander, kamen nochmals ins Gespräch deswegen und aus einem stressigen Kennenlernen hatte sich irgendwie eine sonderbare Freundschaft entwickelt. In manchen Belangen waren sie unterschiedlich gestrickt, besonders in der Liebe. Lola verliebte sich rasch und mit einer Leidenschaft, die erschreckend war. Manchmal fragte sich Nami, ob das ihrer Arbeit geschuldet war. Lola betrieb mit Leib und Seele ein Brautmodengeschäft. Ihre Freundschaft hatte definitiv einen anderen Touch. Manchmal standen sie über Wochen nicht in Kontakt miteinander. Dennoch fühlte es sich nie danach an, wenn sie sich dann wieder trafen oder sich unterhielten. Dabei trug Lola das Herz am richtigen Fleck, und in einem Punkt ähnelten sie sich sehr. Beide Gemüter änderten sich rasch, sobald die Situation ein Umdenken erforderte. Für Freunde kam ein Biest zum Vorschein, das man Lola, mit ihrer sonst gutmütigeren Art, auf den ersten Blick hin gar nicht zutraute. Lola unterschied sich von anderen und das mochte Nami. „Was läuft bei dir und deiner Holden schief?“, fragte Lola ohne Umschweife, nachdem sie Nami förmlich auf ihre Couch geschupst und ein Bier in die Hand gedrückt hatte. Irgendwie brauchte es bei Lola selten große Erklärungen, als ob diese im Vorfeld ahnte, was Nami am Herzen lag. Sie ließ sich neben ihr nieder, beobachtete Nami zurückgelehnt mit großer Neugierde. Wenn sie um diese Zeit aus dem Nichts anrief und vorbeikam, hatte der Besuch eine größere Bedeutung und Anhand der Aufmache, brauchte jemand wie Lola bloß eins und eins zusammenzählen. Das letzte Treffen lag erst ein paar Tage zurück. Zusammen mit Rebecca waren sie etwas Trinken gewesen und dabei hatte Nami durchaus versucht, ihre eigene Beziehung und das Thema Liebe unter den Teppich zu kehren. Lieber hatte sie auf Rebecca gelenkt, die momentan glücklicher denn je war oder sogar in eine gänzlich andere Richtung gelenkt. Bei Rebecca hatte sie kein Hinterfragen festgestellt, da waren ihr schon eher Lolas taxierende Blicke aufgefallen. Als ob man ständig über die Liebe reden musste. „Bei deinem letzten Besuch hast du noch bis über beide Ohren gestrahlt und während der Telefonate öfter erzählt, was ihr so macht. Muss ein gewesen sein.“ Nami stützte sich mit den Ellbogen nach vorne gelehnt an den Knien ab, wobei ihr rechter Daumen nervös am Flaschenetikett puhlte. Hierherkommen hatte nicht nur Überwindung gekostet, sie hatte streng überlegt, was sie überhaupt preisgeben sollte oder besser gesagt, welche Ausrede sie nutzte. Ihr Magen rebellierte ungestüm. Ein Zurück existierte nicht wirklich – andererseits … kam sie nicht deshalb zu Lola? Weil wenig Worte ausreichten? „Wir sind getrennt“, warf Nami, ohne aufzusehen, die unwiderrufliche Wahrheit in den Raum. Und die Wahrheit tat weh, ganzgleich welche Gründe dahinter lagen. So sehr sie Robin verteufelte, genauso sehr liebte sie Robin. Solange die Liebe vorhanden war, konnte ihr Verstand Fakten en maß vorlegen, ihr genügend einreden. Sie war der Grund, warum es sie in diesen dunklen Abgrund zog. Umgekehrt fiele ihr manches vermutlich leichter, aber daran denken, brachte sie keinen Schritt voran. Nami liebte Robin einfach, Punkt. Nichts, das ihr Verstand sagte, brachte das Herz zum plötzlichen Umdenken. Daher zweifelte sie stark an einer Veränderung, denn irgendetwas tief in ihr glaubte, dass sie ohne all das vermutlich auf Dauer zusammengeblieben wären. Eine naive Annahme. Immerhin hatten sie bloß ein paar Monate miteinander gehabt und Nami war noch jung, vielleicht wären andere Probleme zu Vorschein gekommen, aber diese Stimme existierte. Eben jene, die das Ende weiterhin nicht wahrhaben wollte, die regelrecht auf eine andere Lösung drängte, die an Loslassen kein Interesse hatte. Und diese musste ungehört bleiben, musste verdrängt werden. Auf Biegen und Brechen. Die Beziehung hatte keine Zukunft. „Sie oder du?“ „Ich.“ Nami merkte eine Regung, warf bloß einen flüchtigen Blick zur Seite, der sie Lolas Nicken erkennen ließ und wie sie ein Bein an sich zog. „Hat sie dich betrogen?“, fragte Lola weiter. Mit den kurzen, aber einfachen Fragen, verschaffte sie sich einen halbwegs brauchbaren Überblick. Schluckend entfernte Nami das gesamte Etikett. „Hat sie.“ Ein nicht gelogenes Wispern. Betrügen existierte in verschiedensten Formen. In dem Fall wünschte sich Nami regelrecht eine andere Frau. Lieber hätte sie Robin mit einer anderen Frau erwischt. Ist definitiv ein erträglicherer Gedanke. Darüber nachzudenken … wie in einem falschen Film. Wer wünscht sich lieber eine Affäre? „Nachdem es ans Tageslicht gekommen ist, habe ich den Schlussstrich gezogen“, setzte Nami mit einem tiefen Schnaufen nach. „Die Heimat sollte mich auf Abstand und andere Gedanken bringen. Irgendwie geht mein Plan dezent nach hinten los.“ „Weil die Liebe dich hindert, aber da ist mehr“, stellte Lola fest. „Was noch?“ „Du bist unverbesserlich.“ Glucksend schüttelte Nami den Kopf. „Freunde kennen seit einer Weile die Wahrheit, sie haben sie vor mir verschwiegen. Robin gedeckt.“ Erschreckend einfach. Bislang hatte sich Nami den Kopf zerbrochen und plötzlich erzählte sie die Geschichte und musste selbst feststellen, wie gewöhnlich sie sich anhörte. Warum nicht? Niemand vermutete etwas über Auftragskiller zu hören. Am Ende erzählte sie bloß von einer betrogenen Frau und ihren unter einer Decke steckenden Freunden. Das ist Irrsinn, wie paranoid einen die Wahrheit machte. Auch mit den Jungs. Vielleicht, so dachte sie, lernte sie wenigstens die Idioten zu verstehen. Irgendwann. Irgendwie. Verrat blieb zwar Verrat, aber wenigstens so, um neben ihnen leben zu können. Zorro hatte seinen Weg aufgrund der Liebe gewählt, Sanji um weiterhin seine Familie im Dunklen zu lassen. Leider hatte er auch gewählt Robin auf seine Weise zu helfen. Beide haben sich damit abgefunden und somit das Treiben unterstützt. Besonders Nami gegenüber. Etwas, das sich eben nicht mit einer einfachen Erklärung aus der Welt schaffen ließ. Gründe hin oder her. Aber auch hierbei meldete sich langsam eine andere Stimme zu Wort. Zum Kotzen. Ein Zungenschnalzen ertönte. „Trink aus. Wir brauchen härtere Geschütze.“ Verdattert hob Nami den Kopf. „Alkohol ist bekanntlich keine Universallösung, aber manche Probleme fordern dementsprechende Maßnahmen.“ Lola klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter, ehe sie sich von der Couch erhob. „Du magst viel vertragen, aber manchmal lockert das Trinken. Wenn ich dich richtig einschätze, hast du dich seither vergraben, hast dich selbst gepeinigt. Deine Probleme möchten raus, deshalb bist du zu mir.“ Leicht zuckten Lolas Schultern. „Hopp, hopp.“ Abermals blinzelte Nami. An ein Besäufnis hatte sie nicht gedacht und fragte sich auch, wie ihr das helfen sollte. Andererseits … zielt ihr Kommen nicht gerade darauf ab? Für eine Nacht abzuschalten, zu vergessen? Einfach die kommenden Stunden zu überstehen, ohne neuerlich von der Flut mitgerissen zu werden? Was aber, wenn der Alkohol am Ende mehr ans Tageslicht brachte, als erhofft? Er konnte genauso das auslösen, das sie nicht haben wollte. Unschlüssig sackte sie tiefer. „Nami, du bist der gefühlsbetonteste Mensch, den ich kenne. Du bist explosiv, sprichst deine Gedanken ohne Denken aus. Gerne wird dir erst im Nachhinein bewusst, was du von dir gegeben und was du eventuell angerichtet hast. Dasselbe gilt für positive Gefühle und Gedanken. Zum ersten Mal versteckst du dich, schluckst sämtliches für längere Zeit hinunter. Das ist verdammt untypisch und tut dir nicht gut.“ Lolas Worte trafen genau ins Schwarze. Es stimmte. Sie fand sich schneller in Rage versetzt, war für viele ein offenes Buch. Wenn Lola allerdings wüsste, warum sie von ihrer Norm abwich, was dann? „Du musst dich nicht volllaufen lassen, keine Sorge, ich finde nur, es braucht heute ein bisschen mehr.“ 19. Februar 2013 Als der Wagen am Straßenrand hielt, ballten sich ihre Hände nervös im Schoß. „Wofür hast du dich entschieden?“, fragte Law leise. Während der Fahrt hatte sie für sich oder mit ihm mehrere Varianten abgewogen. Was ausblieb, war ihre Entscheidung. Welchen Weg schlug sie vorerst ein? Oder entschied sie kurzfristig aus dem Bauchgefühl heraus? Müde rieb sie sich die Augen, bevor sie einen raschen Blick zur Einfahrt wagte. „Behalten wir die Trennung für uns. Ich bleibe bei der Ausrede. Der Urlaub kam dank Robins Arbeit nicht zustande und ich nutze die Zeit, um meine Familie zu besuchen“, dabei wandte sie sich wieder zu ihrem Gesprächspartner, der genauso müde wirkte. „Einverstanden?“ Überzeugt von ihrem Plan schien er nicht, dementsprechend hörte sie sein tiefes Einatmen. „Einverstanden.“ Was den Rest anging, blieben sowieso noch genügend Fragen offen. Daher hatten sie sich schon für die kommenden Tage verabredet. Bislang drängte er sie zu keiner Entscheidung, vermutlich weil er selbst genügend nachdachte und sämtliche Seiten abwog. „Danke.“ Ein schwaches Lächeln, ehe sich ihr Kopf wieder zum Seitenfenster drehte. Im Moment sehnte sich Nami nach Ruhe. Fiel das Wort Trennung würde ihre Familie sie mit Fragen durchlöchern, besonders Bellemere. Immerhin war sie vor zwei Monaten noch glücklich gewesen, hatte gestrahlt und war kaum aus dem Schwärmen herausgekommen. Daher wollte Nami vielmehr ankommen, halbwegs normale Gespräche führen. Die Tage schlauchten sie ungemein. Ihr fehlte schlichtweg die Kraft. „Bedenken?“ Fragend zog sie die Braue hoch. „Zwei Wochen vergehen wie im Flug, du brauchst eine Lösung. Bleibst du oder kehrst du zurück? Und wer weiß, was innerhalb der Tage passiert. Alles ist möglich.“ Nami hatte ihm darauf keine Antwort gegeben. Momentan stand sie ohne Plan da, eben weil die Abreise chaotisch entschieden worden und alles noch recht frisch war. Konnte er sich nicht seinen Teil denken? Vielleicht brachte die Zeit manches von allein mit sich und bevor sie diese Brocken in die Hand nahm, wollte sie ihr Zuhause ein bisschen genießen (auch wenn hier andere Probleme auftreten konnten), sich ablenken lassen. Das ständige Zermartern belastete. Umso mehr schien sie überzeugt von ihrer Rückkehr. Venedig bot keinen Abstand, dafür waren diese Menschen auf ihre Weise zu sehr in ihr Leben eingebunden. Als sie das Haus betrat, vernahm sie sofort gedämpft Musik. Bellemere war definitiv zu Hause. Das machte sie gerne, damit die Stille nicht zu erdrückend war. Langsam glitt die Tasche zu Boden, sie schlüpfte rasch aus Jacke und Schuhen. Bevor sich Nami bemerkbar machte, nahm sie noch einen tiefen Atemzug. Zudem betrachtete sie sich im Spiegel. Ginge besser, aber auch wesentlich schlimmer. „Hallo?“ Keine Reaktion. Suchend ging Nami durch das Erdgeschoss und erst als ihr Blick an der Schiebetür zur Terrasse hängenblieb, die leicht geöffnet war, verstand sie. Ihr Herz klopfte deutlich schneller. Hier schwang Nervosität mit. Schließlich würde sie ihre Mutter sehen und die durchschaute sie oft genug schneller als es ihr lieb war. Diese Frau war unmöglich! Langsam schob sie die Türe weiter auf, spähte suchend nach draußen. Gefunden, Bellemere saß rauchend auf einem der Stühle und sah nachdenklich auf dem Bildschirm ihres Notebooks. Sah nach Arbeit aus, wobei sich Nami fragte, was es sie (abgesehen vom Rauchen) an die frische Luft zog. Die Temperaturen waren nicht gerade einladend. „Hey“, begrüßte sie Bellemere mit einem Lächeln und einem sachten Winken. Diese hob erschreckt den Kopf. „Hey!“, stieß sie aus und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. „Wolltest du nicht erst später kommen?“ Sogleich drückte sie die Zigarette aus. „Du weißt ja, der Verkehr und so, haben uns für eine frühere Abreise entschieden“, gab Nami schulterzuckend zu bedenken. Rasch hatte Bellemere den Abstand überbrückt und schloss ihre Tochter in eine feste Umarmung. „Ich habe dich vermisst, Kleines“, gluckste Bellemere freudig, während Nami spürte, wie sich die nächste Welle langsam aufbäumte. Eine einfache Umarmung war gerade dabei ein verdammt großes Chaos auszulösen und sich diesem nicht hinzugeben, sämtliche Gefühle zu schlucken, entpuppte sich in diesem Moment als ein verdammt schwerer Kraftakt. Dabei wollte sie am liebsten nachgeben und sich in den Armen ihrer Mutter ausweinen. „Ich dich auch“, brachte sie schließlich hervor und löste sich, um ihrem Inneren keine Chance zu geben. „Vergo hat ein Abendessen in deinem Lieblingsrestaurant vorgeschlagen, aber ich dachte, ich koche selbst. Was sagst du?“, fragte Bellemere über ihre Schulter hinweg. Nachdem sie kurz miteinander gesprochen hatten, hatte Nami ihre Tasche aufs alte Zimmer gebracht. Frisch geduscht (und das warme Wasser hatte unsagbar gutgetan) und umgezogen kam sie in die Küche, wo Bellemere trotz allem einen kleinen Snack zubereitet hatte. Hunger hatte sie keinen, schon an der Raststation hatte sie das Essen lediglich hinuntergewürgt. „Nojiko kommt nachher vorbei. Hat extra ein Date sausen lassen.“ Fragend kaute Nami auf einem Orangenstück. Davon hatte sie bislang nichts gehört. Obwohl sich ihre Schwester, wenn sie denn frisch verliebt war, nicht lange bedeckt hielt. Zeitgleich erinnerte sich Nami daran, dass sie in letzter Zeit recht wenig miteinander telefoniert oder geschrieben hatten. „Hast du Infos?“ „Leider nicht. Nojiko hat vor einer Weile beiläufig erwähnt, dass sie jemanden kennengelernt hat. Ich weiß nur, es ist derselbe. Sie macht sich seit ein paar Wochen recht rar“, erklärte Bellemere schlicht. „Kommt vor, nicht wahr?“ Seufzend strich sich Nami eine Strähne zurück. „Zeiten ändern sich recht schnell?“ Nami unterschied sich seither von ihrer Schwester. Reisen und Neues entdecken gehörte zu Nami. Das liebte sie. Daher hatte sie sich einst für das Internat entschieden, nicht ihre Eltern, obwohl das manche angenommen hatten. Ihre Eltern waren es gewöhnt, wenn sie lange nicht zu Hause war oder sich oftmals länger nicht meldete. Nojiko hingegen war diejenige, die die Nähe zur Familie mochte. Trotz ihres Auszugs schneite sie eigentlich oft genug herein, stand auch sonst fast im täglichen Kontakt. Nami selbst hatte ihrer Mutter gegenüber manchmal ein schlechtes Gewissen, weil sie meist für eine Weile abtauchte. Hieß es nicht, keine Nachrichten waren gute Nachrichten? Nach dem Motto lebte sie schon mal. „Für mich werdet ihr immer meine kleinen Mädchen sein, aber mit dem Alter führt ihr genauso euer eigenes Leben. Das gehört dazu. Also schau nicht so.“ Bellemere neigte den Kopf. „Was knickt dich daran?“ Welchen Ausdruck hatte sie gerade? Nami schob sich ein weiteres Stück Orange in den Mund. Im Grunde hatte sie nichts gesagt und lediglich zugehört. Wie kam ihre Mutter nun darauf? „Oder bist du über den ins Wasser gefallenen Urlaub mit Robin enttäuscht? Immerhin musst du nun mit uns Vorlieb nehmen“, neckte Bellemere. „Schließt sich eine Türe, öffnet sich die nächste. So haben wir wieder etwas Zeit miteinander und außerdem bin ich bloß von der Fahrt müde“, redete sie sich raus und legte sogleich einen Themenwechsel nach: „Um zur Ausgangsfrage zurückzukehren. Ich wäre für einen gemütlichen Abend unter uns.“ Zwar behielt Bellemere sie ein Stück länger im Auge als es Nami lieb war, doch schwieg sie. Sehr zum Wohlwollen ihrer Tochter. „Einverstanden, dann koch ich uns etwas Leckeres.“ 27. Februar 2013 Brummend vergrub Nami das Gesicht tiefer im Kissen, während ihre Hand blind nach dem Störenfried suchte. „Zu früh“, murrte Lola, wobei sie ihren Kopf unter dem Polster vergrub. Die Nacht war lang gewesen, der Schlaf war kurz ausgefallen, zudem meldete sich noch Gevatter Alkohol, der am Ende in reichlicher Menge geflossen war. Ein Anruf hatte beide aufgeweckt, wobei Nami ungeniert fluchte. Warum hatte sie das nervige Ding nicht auf lautlos gestellt? Wer rief überhaupt so früh an? Dazu mit einer solchen Ausdauer? Als ihre Hand das gewünschte Objekt ergattert hatte, hob Nami träge den Kopf an, wobei ihr plötzlich der Schrecken im Gesicht stand. Nicht die Uhrzeit, die ihr nach Mittag anzeigte, vielmehr der aufleuchtende Name – Bellemere! „Guten Morgen“, säuselte diese als Nami abhob, „du bist alt genug, ich weiß, ich weiß, aber wärst du so nett Bescheid zu geben, wenn du länger fort bist? Besonders wenn du spät abends wortlos mit dem Auto verschwindest?“ Unterschwellig hörte Nami in der Stimme einen klaren Vorwurf heraus und sie raufte sich sogleich durchs Haar. Verdammt, darauf hatte sie in der Tat vergessen. Das Übernachten war anfangs nicht vorgesehen gewesen und wenn sie auf die Uhrzeit achtete, konnte sie den Anruf ihrer Mutter gar nicht verübeln. „Tut mir leid, bin hängen geblieben“, meinte sie ehrlich und unterdrückte ein aufkommendes Gähnen. „Flüssige Nächte sind was Feines, oder?“ Das Lachen in der Stimme entlockte Nami ein Brummen. „Gib mir noch ein bisschen, mach mich bald auf den Weg.“ Irgendwie fühlte sich Nami in diesem Moment zurückversetzt. Während der Internatszeit hatte sie oftmals Nächte um die Ohren geschlagen, Pläne geschmiedet, wie sie den wachenden Augen unentdeckt entkam. Zu Hause war sie oft erst früh morgens heimgekehrt, hatte manchmal darauf vergessen Bescheid zu geben, manchmal hatte sie bewusst nichts gesagt. Je nachdem, was gerade los war. Mittlerweile sah sie das alles durchaus mit anderen Augen und sie war Bellemere nicht böse, aber dennoch fühlte sich das ganze merkwürdig an. „Kleines, mach dir keinen Stress. Du bist alt genug, aber mache ich mir bei diesen Umständen weiterhin Sorgen. Mutter bleibt Mutter. Wollte lediglich herausfinden, ob du noch lebst oder in einem Graben liegst.“ Das Gesagte entlockte Nami eine wohltuende Wärme und ein sanftes Lächeln, auch wenn momentan manches ausweglos erschien, tat es gerade überraschend gut. „Du weißt, dass du einen Unfall deutlich früher mitbekommen hättest?“ Bellemere lachte auf. „Möglich. Stress dich nicht.“ „Bis später.“ Nachdem Nami aufgelegt hatte, legte sie das Smartphone zur Seite und drückte den Kopf noch mal entspannter ins Kissen. Innerlich fühlte sie sich wesentlich besser als am Vortag. Es war einfach ruhiger. Das Gespräch hatte geholfen, irgendwann hatten sie die Themen in seichtere Gefilde gelenkt, die die Atmosphäre gelockert hatten. „Wie spät haben wir?“, murmelte Lola, die neben ihr lag und kaum Anstalten machte, gänzlich aufwachen zu wollen. „Halb zwei vorbei.“ Lola lachte rau. „Fühlt sich an, als wären wir erst ins Bett.“ „Bedanke dich bei deinen Mischungen.“ Lola hatte bei den Drinks ein eigenes Verhältnis, das sich je nach Gegebenheit anpasste und je länger die Nacht, desto mehr Alkohol. „Als ob sie dich gestört haben.“ Herzhaft gähnte Lola, wobei sie den Arm aus dem Bett hängen ließ. „Noch ein paar Minuten?“ „Noch ein paar Minuten.“ Das Aufraffen hatte seine Zeit beansprucht und Nami befand sich mittlerweile auf dem Rückweg. Den kurzfristigen Besuch bei Lola bereute sie nicht. Umso mehr nagten dafür die vorangegangenen Nächte. Um das Defizit auszugleichen, brauchte ihr Körper deutlich mehr Schlaf. Da zählte das Durchschlafen nicht, denn egal wie viel sie vertrug, in dieser Kombination zeigte sich der Alkohol genauso heimtückisch. Er spielte auf seine Weise mit, um einem komplett erholsamen Schlaf im Weg zu stehen. Vielleicht holte sie kommende Nacht auf, nachdem sie sich nun gelöster fühlte. In dem Fall hatte ihre Intuition wahrhaft ins Schwarze getroffen. Lola half eben auf ihre eigene Weise, bohrte oftmals weniger oder brauchte eine deutlich kürzere Erklärung als manch andere. Auf der anderen Seite hinterfragte sie schon mal mehr, das kam dann auf die Situation an. Allerdings zwang sie nicht zu reden, besser gesagt, sie zwang nicht alles auszusprechen. Sie wartete ab, ohne zu drängen. Genau was Nami brauchte. Hätte ihr ein früherer Besuch manches erspart? Vielleicht. Doch vor dem Lesen der Nachrichten hatte sie keinen konkreten Anstoß gehabt. Sich eher selbst davon überzeugt, alles für sich zu behalten, einfach zu schlucken. Erst das Lesen und die daraus entstandenen Gedanken hatten aufgezeigt, wo sie stand und dass sie in dem Punkt allein nicht weiterkam. Manchmal brauchte es eben Zeit. Besser spät als nie. Nami stellte sich vor, wie das Gespräch mit ihrem restlichen Umfeld ausgesehen hätte. Es wäre in eine vollkommen andere Richtung, sicher in einer nervenaufreibende, gelaufen. Das Unkomplizierte machte den Unterschied aus, es hatten dem Sturm etwas Wind genommen. Jedoch vergaß Nami nicht, wie viel noch ausstand. Mit Glück ging sie die härteren Brocken etwas gelassener an. Nach einer gehörigen Portion Schlaf las sie die Nachrichten vielleicht nochmal oder vielleicht schaffte sie es, sich zu melden oder wenigstens eine konkrete Vorgehensweise zu schmieden. Langsam rannte ihr die Zeit davon. Genügend Fragen waren weiterhin unbeantwortet. Blieb sie oder kehrte sie Venedig den Rücken zu? Und jede Gabelung warf neue Fragen auf. Allein der Verbleib. Wie löste sie das Problem auf? Immerhin existierten genügend Bedenken, die ihr die Gespräche mit Law immer wieder aufzeigten. Das Unvorstellbare traf genauso ein. Dabei fielen ihr Robins Nachrichten ein, sie hatte auch in den letzten Tagen geschrieben. Sollte sie sie ansehen? Ihr Kopf nervte. Ein Gedanke jagte den nächsten. Sich besser fühlen hieß eben nicht, dass die Räder aufhörten. Sie drehten sich weiter. Wussten zu nerven, sobald sie die nächste Gelegenheit fanden. Was stimmte nicht mit ihr? Ihr Kopf könnte ihr ruhig eine längere Verschnaufpause schenken. Mit allem. Brummend betrat sie das Haus. Später. Wenn überhaupt. „Bin wieder da.“ Erst mal ein langes Bad und danach eine Kleinigkeit essen. Hunger meldete sich. „Wieder unter den Lebenden, sehr schön.“ Bellemere trat mit verschränkten Armen aus dem Wohnzimmer. Ihr breites Grinsen ließ Nami die Augen verdrehen. „Sorry für die Sorgen.“ „Solange das Auto unversehrt zurückgekommen ist, ist alles gut“, lachte Bellemere. „Wie geht’s Lola?“ „Ist klar – sie kämpft mit den Nachwirkungen.“ Natürlich hatte Bellemere erraten, bei wem sie die Nacht verbracht hatte. „Soll dich von ihr grüßen.“ Gähnend schlenderte sie die Treppe hinab. Das lange Bad hatte seine Wirkung nicht verfehlt. Nami fühlte sich fast eine Spur zu entspannt. Lieber gleich ins Bett? Oder bloß ein Nickerchen? In der Küche stellte sie sich eine Kleinigkeit zusammen. Einfach damit ihr Magen mit dem Rumoren aufhörte. Zusammen mit einer Kanne Tee ließ sie sich auf der Couch nieder, schaltete den Fernseher ein. Half angeblich. „Noch Pläne für heute?“, hörte sie nach einer Weile und bemerkte aus dem Augenwinkel heraus, wie sich Bellemere neben sie setzte. Ohne den Blick vom Fernseher abzuwenden, schüttelte Nami den Kopf. „Außer das Date mit meinem Bett zählt?“, erwiderte sie und fuhr sich angestrengt durchs Gesicht. „Fühl mich gerädert.“ Bellemere lachte leise. „Schlaf wird dir guttun, davon brauchst du einiges.“ Nun sah Nami jedoch zur Seite, hob dabei fragend eine Braue. Irgendetwas in dem Tonfall sagte ihr, dass Bellemere nicht von der letzten Nacht ausging. Sie wurde hellhörig. „Denkst du, ich habe keine Augen im Kopf?“ Ihre Mimik wurde ernster. Eine Spur zu ernst, die von einem schweren Seufzer unterstrichen wurde. „Wann hast du das letzte Mal ordentlich geschlafen?“ „Vor ein paar Stunden?“, nuschelte Nami, deren Alarmglocken schrillten, in ihre Tasse, ehe sie einen Schluck daraus nahm. Nein hier stimmte etwas nicht. Bellemere verfiel in ein längeres Schweigen. Sollte sie ignorieren oder nachfragen? Oder einfach abwarten. „Willst du mir endlich sagen, was vorgefallen ist?“ „Hab mit die Nacht um die Ohren geschlagen.“ Nami tat als ob sie der Serie folgte, dabei hatte sie keinen blassen Schimmer worum es darin gerade ging. „Was ist passiert? Zwischen dir und Robin.“ Augenblicklich schnellte ihr Puls in die Höhe. Nami fühlte sich ertappt. Da war keine Frage, ob es eventuelle Probleme gab, für sie war es offensichtlich. Auch ihre Stimme ließ keine Zweifel aufkommen. „Was meinst du?“, wich sie aus. Scheiße, woher kam das plötzliche Interesse? Schön und gut, die Müdigkeit konnte sie nicht immer verbergen, aber warum schoss sie sich auf Beziehungsprobleme ein? Fragte auf einmal nach? „Komm schon, fallen dir die Unterschiede etwa nicht auf? Die Tour zieht nicht.“ Bellemere stützte den Kopf ab. „Nach unserer Unterhaltung an Weihnachten und später bei unseren Telefonaten, da hast du oft über sie geredet. Seit du hier bist? Von dir aus kommt kein ein Wort, du wechselst bei der nächstbesten Gelegenheit das Thema. Du ignorierst schon mal Anrufe. Irgendwann stellt man sich da manch eine Frage oder zählt eins und eins zusammen – Ihr ist die Arbeit nicht dazwischengekommen.“ Sprachlos sah sie ihre Mutter an. In dem Moment fehlten ihr einfach die Worte. Eigentlich hatte sich Nami neben ihrer Familie wie sonst gegeben, hatte darauf geachtet sich nicht gehen zu lassen oder ihr Gefühlschaos nicht offen zu zeigen. Wirklich. Auf ihrer Lippe kauend wandte sie sich dem vielsagenden Blick ihrer Mutter ab. „Nami …“ „Okay, vielleicht haben wir Probleme“, murmelte sie gedrückt. „Was soll’s. Muss ich dir einen Roman erzählen? Ist doch meine Sache.“ Was für eine verdammt unangenehme Situation. Leicht rutschte sie tiefer. „Ist nicht der Rede wert.“ „Warum so verschwiegen?“ „Keine Lust?“ „Bist du dir sicher?“ „Ja, ich will mir die Serie ansehen.“ „Vielleicht redest du mir ihr.“ Hatte sie richtig gehört? Was sollte sie? Gereizt zogen sich ihre Brauen zusammen. „Ich soll was?“, sprach sie den Gedanken wütend aus. „Was soll das jetzt?“ Aus dem Nichts heraus sprach sie ihre Mutter darauf an, wusste nichts und nun kam sie mit dem Ratschlag da her? Mit Robin reden? Recht simpel. Da stellte sich die Frage, warum Nami nicht selbst auf die Idee gekommen war. Sie mied zwar die Jungs, aber mit dem eigentlichen Problem ein klärendes Gespräch führen? Kein Ding. Beschwichtigend hob Bellemere ihre Arme. „Immer mit der Ruhe.“ Nami atmete laut aus. „Die Nacht hat Spuren hinterlassen und ich bin hundemüde … heute will ich nicht.“ „Und morgen?“ Entnervt stellte sie die Tasse am Tisch ab. „Möglich, dass ich gar nicht mehr mit ihr rede!“ Bellemere hatte keinen blassen Schimmer was los war. Energisch stand Nami auf. „Was wird das gerade?“ „Wie habe ich das vermisst“, seufzte Bellemere indes. Wunderte es sie? „Wie gesagt, du gibst dich verändert, was Robin angeht. Ganzgleich was du versuchst, ich durchschaue dich. Du bist nicht gerade ein Buch mit sieben Siegel.“ Mit den Augen rollend verschränkte Nami die Arme. Dessen war sie sich bewusst. Umso mehr hatte sie versucht sich normal wie möglich zu geben. Auch mit allen erdrückenden Gedanken und dem daraus resultierenden Schlafmangel. Mehr war eben nicht drin. „Warum habe ich das dumpfe Gefühle, dass hier irgendetwas im Busch liegt?“, sprach sie gepresst. Bellemere lächelte daraufhin entschuldigend und beugte sich leicht vor. „Robin ist in der Stadt.“ Kapitel 47: Sogno a occhi aperti. --------------------------------- Tagtraum 21. September 2012 „Spann mich nicht auf die Folter“, quengelte Nami. Endlich. Das Hin und Her gehörte der Vergangenheit an. Irgendwo wartete ein Tisch auf sie, so viel hatte Nami in Erfahrung gebracht. Bis dahin musste sie sich jedoch in Geduld üben, Robin sprach in Rätseln, über einen Abstecher und Nami folgte planlos. Bis sie am Markusplatz hielten. Allmählich zeigte sich der Touristenrückgang. In den warmen Monaten tummelten sie sich, kaum klopfte der Herbst an, verschwanden sie nach und nach. Ein Umstand, den Nami weniger verstand. In den kühleren Monaten ließ sich die Stadt weitaus angenehmer erkunden. Selbst wenn September meist der regenstärkste Monat war. „Bekomme ich eine Führung?“, fragte sie nach. „Würde zu dir passen. Vivi hat mir schon eine Führung spendiert.“ Gefolgt von einem belustigten Zwinkern. „Wir haben heute Glück, das Wetter spielt mit“, entgegnete Robin und sah zum fast wolkenlosen Himmel empor. Nach den letzten zwei Tagen auf jeden Fall. Leider blieb ihre Frage offen. „Du hast ein paar Sehenswürdigkeiten ausgelassen.“ „Also kein Klosterbesuch.“ Robin lachte. „Nein, heute nicht. Komm.“ Da spürte Nami die warme Hand der anderen, die ihre sanft umschloss und mit sich zog. Es war anders. Die Nähe, die Berührungen. Nun, da sie eine Chance witterte und keine Freundschaft im Vordergrund stand. Von beiden ausgehend. Ein Herzklopfen. Ein Lächeln. Einfach anders. Nami war glücklich. „Wo hast du die Meute versteckt?“ Staunend trat sie aus dem Fahrstuhl in den Schauraum des Markusturms. „Um die Zeit stehst du immer an.“ Während ihres Urlaubs hatte sie mit Vivi die eine oder andere Besichtigungstour gemacht, keine Frage, aber dank des Karnevals und später durch den Sommertourismus hatte sie den Turm und ehrlich gesagt auch den Dom zur Gänze gemieden. Sie hasste warten. Die Menge und den dazugehörigen Lärm. „Bei Schlechtwetter wird er oft gesperrt“, erklärte Robin schulterzuckend. Nami hob ihre Braue. Heute blieb ihnen ein Wolkenbruch erspart. Nach ihrer Aussage wäre der Turm wieder begehbar. „Merke ich, der Sturm draußen ist fürchterlich“, entgegnete sie auffordernd. „Ich sein hat Vorteile.“ „Heißt, du sperrst das nächste Mal den Dom? Den allein genießen, ist sicher eine nette Erfahrung.“ „Wenn du nett bist, bringe ich dich dorthin, wo kein Tourist Zugang hat.“ „Stellst du mich als deine neue Assistentin vor?“ Glucksend schritt Robin an ihr vorbei zu einem der Fenster. „Der Turm ist das höchste Gebäude der Stadt. Du siehst wieder neue Facetten und ich mag die Aussicht ... besonders bei Sonnenuntergang.“ „Schlummert in dir etwa eine Romantikerin?“, zog sie Robin auf und trat neben sie. „Weil ich meine Vorteile ausspiele, lieber die Ruhe genießen und mich nicht mit Touristen herumschlage?“ Seufzend schüttelte Nami den Kopf. Als ob sie eine andere Antwort erwartet hatte. „Alles eine Frage des Blickwinkels“, murmelte Nami und schielte hoch. „Der Mond weicht der Sonne.“ Ja, das taten er und Nami zog das Sonnenlicht vor. Besonders die Farbenpracht. Wären sie damals nicht ins Gespräch gekommen, hätten sie sich eben nie kennengelernt. Eine Zeit, in der sie nicht an mehr dachte. Zwei sich Unbekannte in einer kurzen, netten Begegnung, deren Wege sich danach trennten. Heute sah die Welt anders aus. Robin war keine kurzweile Begegnung mehr und liefen die nächsten Stunden glatt, ließen sie die Freundschaft hinter sich. Glücklich betrachtete sie das Farbenspiel. Sie liebte das Orange des Abends. „Das Warten hat sich gelohnt“, murmelte sie und lehnte sich gegen Robin. Nicht direkt der Turmbesuch, eher auf Robin. Mit ihr allein den Sonnenuntergang genießen, mit Venedig unter ihnen. 27. Februar 2013 Stumm. Ihr Mund stand offen, unfähig einen Laut von sich zu geben. Wozu? Wo sie keine Worte fand. Anders als in Gedanken, denn die standen Kopf. Kein Schock, stattdessen rasten sie wild durcheinander. Aus allen Richtungen, in alle Richtungen. Wo begann sie? Was zog sie vor? Erst als sich ein einziges Wort schreiend herauskristallisierte, wusste sie, was zählte. Warum? Robin war da. Robin hielt sich in der Stadt auf. Warum? Warum kam Robin hierher? Warum jetzt? Warum sprach Bellemere über Robin? Verdammte Scheiße! Hatte sie Bedenken? Wollte sie der Unsicherheit ein Ende bereiten? Schickte sie Nami eine Botschaft? Dass sie jederzeit bereit war? Eine niederträchtige Drohung? Was ritt die Frau? Oder … Nami schnappte nach Luft. Unbewusst hatte sie den Atem angehalten. „Ich habe mich an deine Bitte gehalten, Nami“, durchbrach ihre Mutter die Stille, „und habe deine Beziehung vor Vergo geheim gehalten.“ Behutsam strich sie über Namis Rücken. „Irgendwann zählst du eins und eins zusammen. Dein unerwarteter Besuch. Du tust als gäbe es Robin nicht – Vergo hat sie gestern während der Auktion getroffen und mir von ihr erzählt.“ Natürlich. Von da wehte der Wind. Warum sonst lenkte Bellemere ein Gespräch auf Robin? Wenige Tage vor der Abreise. Verdammt – seit sie ein Paar waren, war Robin nie in die Schweiz gereist. Nie, außer Robin hatte ihr irgendwann irgendetwas vorenthalten. Vielleicht falsche Ziele angegeben, für den Fall der Fälle? Nami wurde paranoid. Das ständige Hinterfragen zerrte. Eher rückte wieder die Angst in den Vordergrund. Sie empfand pure Angst bei den Gedanken. Robin in nächster Nähe. Im gleichen Raum mit Vergo. All das entsprang keinem Zufall. Nami hatte mit Zufällen abgeschlossen. Sie existierten nicht. Jeder Schritt folgte einem Plan. Noch blieb sie stumm, knabberte mittlerweile nachdenklich auf ihrer Lippe, während sich ein kalter Schauer auf ihrem Rücken bildete. Ihr das Herz tiefer sank und der Magen schmerzte. Bewahrheiteten sich Laws Befürchtungen? Zahlte sie nun den Preis ihrer unverfrorenen Art Robin gegenüber? Diese saß am Ende am längeren Hebel. Jemanden verschwinden lassen, gehörte zu ihren Aufgaben, war im Alltag integriert. Rasch, ohne Zeugen, ohne großes Tamtam. Vielleicht sucht Robin ein Gespräch und möchte eine anständige Lösung finden. Ein normales Gespräch, um das Verhältnis zu kippen. Das letzte Mal war Nami zu aufgebracht gewesen, hatte ihr kaum zu gehört. Eine weitere Möglichkeit. Warum suchte sie sie dann nicht selbst auf? Nami schluckte, dachte an all die ignorierten Anrufe und Nachrichten. Wie sollte sie sonst mit ihr Kontakt aufnehmen? Sofern sie nicht auf ihrer Rückkehr wartete oder zweifelte Robin daran? Wieder vernahm sie die Stimme ihrer Mutter, die ihr nebenbei den Arm um die Schulter legte und zu sich zog. „Ihr habt euch getrennt“, sagte sie fest überzeugt. „Offen steht, was zwischen euch vorgefallen ist.“ „Vorbei ist vorbei. Paare trennen sich, wen interessieren da die Gründe“, fand Nami schlussendlich ihre Stimme. Sie spürte die sich aufbäumenden Tränen. „Belassen wir’s dabei, okay?“ Anders als mit Lola konnte und wollte sie nicht näher auf die Umstände eingehen. Nicht mit Bellemere. Denn Nami fühlte deutlich, dass sich ihre Fassade nicht aufrecht halten ließe. Nicht Bellemere gegenüber. Zeitgleich schlich sie Erleichterung ein. Vergo wusste nichts und würde auch nie eingeweiht werden. 21. September 2012 „Und?“, blieb Nami fragend stehen. Ihre Gefühle waren eindeutig, sie sah in der Verabredung keinen Fehler. Im Gegenteil. Sie wollte Robin umso mehr. Derselbe piazzo, dachte sie und lächelte über ihre Schulter hinweg Robin zu. Als ob die Gespräche eine Ewigkeit zurücklagen. Jenes nach dem Abendessen und eben jenes das sie hier führten, nachdem sie vom Treffen mit Law nach Hause wollte. Irgendwie anders, irgendwie ident. Robin hatte sich auf den Versuch eingelassen, aber stand eben noch aus, ob sie darin die richtige Abzweigung sah. Die Chance auf einen gemeinsamen Weg. „Was denkst du nach heute? Geflirtet hast du“, neckte sie herausfordernd. Räuspernd schob Robin ihre Hände in die Manteltaschen und warf einen Blick hoch zum Himmel, zu den vereinzelten Sternen. „Habe ich oder hast du es als solches aufgenommen?“ Demonstrativ rollte Nami ihre Augen über. Manchmal war Robin unmöglich. Als ob sie die Unterschiede nicht ausmachte. Eindeutig hatten die Gespräche den Umgang zwischen ihnen verändert. Nicht nur vom Reden. Bislang hatte Robin sie auch nie an der Hand genommen, ganzgleich was sie ihr auch zeigte. Eine kleine Geste, die bei einer Frau wie Robin größer wirkte. „Letzte Woche“, begann Nami, den Blick weiterhin auf Robin gerichtet, „nach unserem Filmmarathon. Dich einfach so gehen lassen – ich wollte dich küssen. Dich einfach küssen. Oder dich umarmen, wann immer ich will. Würde mir reichen.“ Sacht schüttelte sie den Kopf, drehte sich gänzlich zu Robin, wobei der Abstand blieb. „Der Abend, auf dieser bescheuerten Feier, an dem du mich nach Hause gebracht hast. In all den Monaten bist du mir nicht aus dem Kopf gegangen. Oft habe ich an dich gedacht, aber nie daran geglaubt, dass wir irgendwann an diesem Punkt stehen. Ich dachte, es sei bloß eine Schwärmerei … Robin, du machst mich verrückt. Weißt du, wie schwer du es mir machst, dich nicht auf diese Weise zu sehen, an dich zu denken? Unsere Freundschaft ist zu wenig. Allerdings liegt die Entscheidung bei dir.“ Ein Umstand mit dem sich Nami arrangierte. Beide mussten denselben Weg wählen und nun war Robin am Zug. Was immer am Ende herauskam, Nami würde es akzeptieren. Mit allen Konsequenzen. Eine Antwort ließ warten. Ohne tiefere Einblicke zu gewähren, stand Robin da und betrachtete sie. Verunsicherung breitete sich aus. Wie so oft, sobald Robin die Mauer aufzog. Da reichte nicht, dass sie Robin mittlerweile besser kannte, dann und wann erahnte was sie fühlte, wie ihre Stimmung war. Wenn man gerade sein Herz ausschüttete und nichts erkannte … zum Verzweifeln. „Für Schweigen ein falscher Zeitpunkt.“ „Du malst dir Horrorszenarien aus“, tadelte Robin und setzte ein aufmunterndes Lächeln auf. „Ich habe dir meine Gründe genannt, die du ignorierst und doch bin hier bei dir. Bliebe ich meinem Standpunkt treu … wäre ich nie gekommen, um dich um ein Date zu bitten.“ Leicht nickte Nami. Dessen war sie sich bewusst. Genauso der Abmachung. Robin sollte den Schritt wagen und danach entscheiden. Ob sie eine Zukunft sah oder ob sie ihre Gefühle nicht zu ließ. „Heißt?“, fragte sie erneut nach. Die Frage brannte ihr auf der Zunge. Nami wollte eine Antwort, ein Wort. Irgendetwas. Einfach direkt auf den Punkt gebracht. Als neuerliches Schweigen eintrat, wollte Nami schon gefrustet schnaufen. Der Impuls wurde unterdrückt, indem Robin zu ihr kam, ihr Gesicht umfasste und sie einfach küsste. Wer brauchte schon Worte? 27. Februar 2013 Zögerlich hatte Bellemere zugestimmt. Keine weiteren Fragen wurden gestellt, das Thema fürs erste zur Seite gelegt. Nami kannte ihre Mutter, die vermutlich bei der nächstbesten Gelegenheit nochmals das Gespräch suchen würde. Im Normalfall störte es Nami weniger, sie sprach auch darüber. Gut, meistens verdeutlichte ihre Stimmung sofort, was los war. Hinsichtlich ihrer Gefühlswelt glich sie einem offenen Buch, für jeden lesbar. Bloß die Art und Weise, wie sie sie zeigte, hatte sich in den Tagen verändert. Ihr aufbrausendes Temperament fehlte, war stoischem Schweigen und Zurückhaltung gewichen. Etwas, das Nami nicht kannte. Vielleicht die Ruhe vor dem Sturm. Vielleicht aber die einzige Möglichkeit, um mit dem Problem umzugehen. Rastlos tigerte sie quer durchs Zimmer. Dabei hakte sie das Gespräch mit Bellemere ab. Wichtiger war bloß die Tatsache, dass sich Robin in direkter Nähe befand. Immer wieder wechselten sich dieselbe Fragen ab. Warum sich Robin die Reise antat? Was die genauen Hintergründe waren. Ob sie die endgültige Bereinigung suchte oder, was durchaus der Möglichkeit entsprach, Robin versuchte die Wogen zu glätten. „Zufälle existieren nicht“, nuschelte sie zähneknirschend und blieb beim Fenster stehen. Den Blick dabei fest auf den Garten gerichtet. Nein, Zufälle existierten nicht mehr. Nicht in der Welt, in die sie ungewollt hineingeschlittert war. Und was immer Robin im Schilde führte, gehörte einem Plan an. Robin tat nichts unüberlegt. Wollte sie wissen, was dahintersteckte, musste sie was tun, auch wenn sie damit eben das tat, was Robin erwartete – reagieren. Im schneebedeckten Garten fand sie keine Antworten, schon gar nicht in ihrem Kopf, also nahm sie ihr Telefon zur Hand. Eine Nachricht oder gar Anruf. Darauf wartete Robin. Vermutlich lief’s sogar darauf hinaus, bloß war die Zeit noch nicht gekommen. Erst musste Nami das störrische Ignorieren beenden. Im Laufe der Tage hatten sich genügend Nachrichten angesammelt, die eventuell Aufschluss darüber gaben, was Robin vorhatte. Wobei Nami nicht mit irgendwelchen Drohungen rechnete. Jedoch mit kleinen Hinweisen, kleine Wegweiser. »Bitte rede mit mir.« »Es tut mir leid!« »Schätze, du hast begriffen, warum ich lange gezögert habe? Ohne die Hintergründe … ich hätte weitaus früher gehandelt. Stattdessen habe ich die Zeichen ignoriert, dich auf Abstand gehalten, eben weil mir die aktuelle Situation Angst bereitet hat. Ich habs immer geahnt. Die Wahrheit kommt ans Tageslicht. Ich hoffte auf mehr Zeit.« »Die, die du kennst, das bin ich. Bitte lass mich nicht in der Luft hängen. Ich will dich nicht verlieren.« »Ich weiß von deinem Verschwinden … deinem Schweigen den anderen gegenüber … lass es nicht an ihnen aus. Sie sind die letzten, die du meiden solltest. Du bist verletzt, aber haben ihre Gründe genauso ein Recht. Mach aus mir, was du möchtest, du kannst mich gerne als das Böse darstellen, was auch immer. Bloß denke nicht, dass meine Gefühle eine Lüge sind.« »Rede mit Vivi! Du magst vor mir flüchten, aber mach ihr nicht unnötige Sorgen. Sie war heute bei mir und ist aufgebracht.« »Du wirst ihr die Wahrheit nicht sagen, sag ihr irgendetwas, nur tu ihr das nicht an.« Nami ließ das Smartphone sinken, lehnte vor und ihre Stirn berührte die kühle Glasscheibe. Das Lesen der Nachrichten von den Jungs war ihr weitaus leichter gefallen. Robin war eben Robin. Der Auslöser. Das Hauptproblem. Verstand sie den angerichteten Schaden? Neben Robin wirkten sämtliche Frauen, mit denen sie zuvor etwas gehabt hatte, wie eine belanglose Schwärmerei. Surreal, wie sich manches im Nachhinein änderte, denn derzeit sah sie ausgerechnet in Robin ihren wohl größten Fehler. Einen Fehler, weil sie Robin auf die dumme Idee gebracht hatte, sie wären einen Versuch wert. Einen Fehler, weil sie diese Frau liebte, weil ihr Herz nicht aufhörte für sie zu schlagen und ihr das immer wieder aufs Neue vor Augen führte. Angst. Liebe. Wut. Liebe. Sehnsucht. Diese verdammte Sehnsucht. Wie sollte sie eine Frau hassen, nach der sie sich zeitgleich schmerzhaft sehnte? 14. Oktober 2012 Mit einem skeptischen Blick nahm sie einen Schluck Wein. Robin hatte ihr offenbart, sie wäre dem Treffen mit ihrer Cousine ferngeblieben, wäre Nami nicht gewesen. „Bei eurer Vorgeschichte … allein ist immer schwieriger.“ Mit Rückenstärkung nahmen sich Hürden wesentlich leichter. Robin schüttelte den Kopf, wich ihrem Blick aus, indem sie ins Glas starrte. „Kommt auf den Menschen an. Wen man an seiner Seite hat. Ehrlich gesagt, ich bezweifle, dass ich den Schritt mit jemanden wie Franky oder Kalifa gemacht hätte.“ Das Glas wurde abgestellt und Robin griff nach ihrer Hand. „Danke, dass du stur geblieben bist.“ Sanft zog sie Nami an sich, die wiederum in sich hineinlachte. „Manche Menschen müssen zu ihrem Glück gezwungen werden. Und wer kann mir schon widerstehen?“ „Bessere gerade dein Ego auf, was?“ „Oh, das ist groß genug, aber bitte, mach weiter.“ „Nun verstehe ich Zorro. Du bist eine kleine eigebildete Hexe“, neckte Robin. Bevor Nami zum Konter ausholen konnte, spürte sie schon Robins Lippen auf ihren, die Arme, die sie auf die Anrichte hoben. Vergessen war, was sie sagen wollte oder das eigentliche Gespräch. Was zählte waren die Küsse, die verlangender wurden. Das Prickeln auf ihrer Haut bei jeder Berührung. Ein wild pochendes Herz. Robins Wärme. Ihr Geruch. Fakt war, Nami konnte ihr nicht widerstehen. 28. Februar 2013 Seufzend schob sie den Schal höher. Das Wetter blieb konstant kalt und windig. Sie hasste das. Vielleicht passend, aber sehnte sie sich mittlerweile nach Wärme und Sonne. Hätte sie lieber das Auto genommen. Bekanntlich half jedoch ein Spaziergang an der frischen Luft. In der Tat fühlte sie sich gefasster. Glaubte Nami zumindest. Normalerweise half eine Nacht darüber schlafen, aber hatte sie wirklich geschlafen? Wohl eher gedöst, sobald die Müdigkeit Oberhand nahm. Und doch fühlte sie sich gefasster. Betrachtete den gestrigen Tag mit anderen Augen. Nüchterner? Momentan verfiel sie der Verlockung zum Bau einer Mauer. Einer großen, dicken Mauer hinter der sie sämtliche Gefühle ohne Licht und Luft zum Ersticken brachte. Verlockend, guttuender und genauso naiver Gedanke. Verdrängen und ignorieren. Natürlich konnte Nami Gefühle schlucken, ihre Geheimnisse wahren, wenn nötig. Das war nötiger denn je, warum also nicht den Weg nehmen. Für eine Weile. Einen freien Kopf bekommen, den Druck mindern – heute brauchte sie klare Gedanken. Rationales Denken, keine Gefühlsduselei. Noch am Abend hatte sie angefangen mit Law zu schreiben, dem es nach eigener Aussage gut ging. Über Robins Anwesenheit hatte sie kein Wort verloren, wollte ihn nicht unnötig in Panik versetzen. Ob sie damit richtig lag? Er war in Gefahr, er wurde rasch als Sündenbock erkannt. Abwarten, noch hatte sie selbst keine Ahnung, was Robin nach Zürich trieb. Stand das Glück auf ihrer Seite waren sämtliche Bedenken grundlos. Lächerlich, als ob das Glück mit ihr war. Law erfuhr früh genug davon, lieber auf Nummer sicher. Ausgerechnet Nami versuchte ihn zu beschützen, dabei wäre ohne sein Zutun alles anders gelaufen. Wann und wie hätte Nami die Wahrheit erfahren? Gar nicht oder in Monaten oder gar Jahren aufgrund eines dämlichen Zufalles? Nie hinter das Geheimnis kommen, blieb ihr liebster Gedanke. Ohne Wissen wäre alles den gewohnten Bahnen nachgegangen. Nami trauerte einem Märchen nach. Einem für sie realen, in dem sie mit der Frau ihrer Träume lebte, mit ihren Freunden Spaß hatte. In einem, in dem sie das Leben in vollen Zügen genoss und in der sie die niederträchtige Realität in Filmen mit dem nötigen Abstand betrachtete. Eingepackt in alltägliche, im Vergleich langweiligen Dramen. Ein von Perona genervter Zorro. Arlongs nervige Visage. Vivis unsterblich erscheinenden Gefühle Ruffy gegenüber. Sanjis Frauenprobleme. Oder liebend gern würde sie sich gerade mit Vergo streiten. Nami liebte die kleine Welt. War eine Rückkehr möglich? Bei all den Hintergründen? Brummend bog sie ums Eck, der nächste kalte Windstoß kam auf. Wenigstens war sie am Ziel und rasch betrat sie das Café. Gut gefüllt, aber nicht überfüllt. Vor Venedig kam sie oft hierher, nahm sich meist einen Kaffee für unterwegs mit oder saß schon mal da und beobachtete. Andere Gäste oder die vorbeigehenden Passanten. Ihre Freunde zogen andere Orte vor, der blieb ihr allein vorenthalten. Heute entschied sie für einen Tee, hoffend er half gegen die Kälte. Trotz der Handschuhe froren ihre Hände, wie der restliche Körper. Ihr war ständig kalt. Gutgelaunt wie jedes Mal nahm die Kellnerin ihre Bestellung auf. Während des Aufenthalts kam Nami fast jeden Tag vorbei, die Frau kannte sie mittlerweile. Müsste nach ihrem Umzug angefangen haben, denn Nami hatte sie vorher nie bemerkt. Als sie den Tee brachte, schenkte sie Nami ein wärmendes Lächeln. Sie strahlte eine Leichtigkeit aus. Wahr oder falsch? Verbarg sich hinter der Fassade ein dunkles Geheimnis? Oder war sie eben eine Frohnatur? Eine Frohnatur … Neid spielte mit. Bisschen erbärmlich, findest du nicht?, hörte sie ihre innere Stimme. Erbärmlich. Passend. Zurück zu ihrem alten Gemüt finden. Wäre einfacher. Daher folgte sie der Verlockung und hoffte inständig auf Bau einer undurchdringbaren Mauer. Robin für immer einsperren bis die Zeit ihre Arbeit vollstreckte und sämtliche Erinnerungen und Gefühle fortspülte. „Hey.“ Nami holte Luft. Je schneller desto besser. Von einer Sekunde auf die nächste. „Hallo Robin.“ 1. Dezember 2012 Ungeduldig und fuchsteufelswild trat sie auf der Stelle. Was brauchte er so lang? Irgendjemand durfte ihre Wut ausbaden. Zorro hatte sie vorerst perfekt aus der Schusslinie genommen. Ein Anruf. Ein kurzer Anruf. Leider hatte er all ihre Sorgen bestätigt. Mit einer Absage konnte Nami mittlerweile recht gut leben. Das war sie gewohnt, manchmal blieb Robin kurzfristig länger oder musste vereisen. Sagte Robin jedoch ab und meldete sie gar nicht mehr … an der Sache war etwas faul. Den ganzen Tag schon spielte ihr Kopf sämtliche Horrorszenarien ab. Eine hatte sich bewahrheitet. In der Nacht verdammt! Nun war Nachmittag und Nami hatte sich direkt von der Arbeit hierher begeben. Erst wollte ihr Zorro nicht mal Auskunft geben, ihr die Adresse verschweigen. Was für ein Haufen Idioten! Als die Türe endlich aufging, kam Franky nicht zu Wort. Automatisch schob sie sich an dem Mann vorbei, dem sie absichtlich einen kräftigeren Schubser gab. „Habt ihr sie noch alle? Was baut ihr für ne Scheiße?! Wenn ihr schon ein Besäufnis veranstaltet, schaut selbst wie ihr zurückkommt!“ Vorwürfe, die er sich anhören musste. Wären er und Kaku nicht gewesen … sie könnte ihnen die Hälse umdrehen. Brummend schloss Franky die Türe. „Dir auch einen guten Tag. Danke der Nachfrage, mir geht’s den Umständen entsprechend.“ Erbost blickte sie hoch. Natürlich war sich erleichtert, dass ihnen nicht mehr passiert war. Doch spielte das gerade eine untergeordnete Rolle. Ohne diese Weichbirnen wäre Robin nicht verletzt worden. „Du lebst, du kannst Sprüche reißen. Freut mich, wo ist Robin?“ „Dein Charme ist unwiderstehlich“, murmelte er, zeigte allerdings keinen Widerstand. „Sie ist oben. Zweite Tür links.“ Nickend folgte sie seiner Beschreibung, nachdem sie sich ihrer Jacke und den Schuhen entledigt hatte. Vermutlich würde sie ihm später noch die Leviten lesen. Unfälle geschahen, aber dieser war zu vermeiden gewesen. Unaufhörlich dachte sie daran, wenn sie an die Verletzungen ihrer Freundin dachte. „Hey“, sagte sie leise, mit sanfter Stimme. Draußen herrschte längst Dunkelheit. Eine Lampe bot wenig Licht. Gedimmt, aber ausreichend. Langsam begab sie sich zum Bett und Nami stockte der Atem. Blutergüsse. Wenn die Spuren in Robins Gesicht schon deutlich erkennbar waren, wie sah ihr restlicher Körper aus? Zorro hatte ihr einen raschen Überblick gegeben. Hören und sehen waren zwei verschiedene Dinge. Es tat weh, allein die Vorstellung welche Schmerzen sie litt. An der Bettkante ging sie in die Knie. „Was macht ihr Blödsinn?“, kam kaum hörbar über ihre Lippen, während sie langsam ihre Hand ausstreckte und Robin vorsichtig eine Strähne zurückstrich. Wenige Tage zuvor hatte sie ihre Freundin mit Fieber noch ins Bett zwingen müssen. Robin hatte sich als schlechte Patientin ausgezeichnet. Dieses Mal brauchte Nami bestimmt keine Überzeugungsarbeit leisten. Es dauerte bis Robin träge die Augen öffnete und irritiert die Brauen zusammenzog. „Warum bist du hier? Wer hat’s dir gesagt?“, fragte sie in einem ungewöhnlichen Tonfall. Glaubte Nami etwas wie Unsicherheit und vielleicht sogar Furcht herausgehört zu haben? Bestimmt täuschte sie sich. Gab schließlich keinen Grund. Nami lehnte vor, küsste sie sanft auf die Schläfe. „Dummerchen. Denkst du, ich lasse dich allein? Warum habt ihr euch nicht früher gemeldet?“ Als ob relevant war, wer was sagte. Einzig und allein die Information, die Anwesenheit zählte. „Bisschen Schlaf und ich bin topfit. Versprochen.“ „Du bist unverbesserlich“, lachte Nami. Kopfschüttelnd erhob sie sich, nur um sich ins Bett zu legen. Vorsichtig legte sie den Arm um Robin, küsste ihre Schulter. „Jag mir bitte nie wieder so einen Schrecken ein“, murmelte sie und festigte den Griff, dennoch bedacht keine unnötigen Schmerzen zu bereiten. „Tut mir leid“, kam die leise Antwort. Da spürte sie Robins Hand an ihrem Arm. „Es tut mir wirklich leid.“ Nami hob den Kopf als sie ein Zittern vernahm – weinte Robin? Kannte sie ihre Freundin emotionaler? Gewiss. Allerdings war das Weinen neu. Nie hatte sie sich so gehen lassen. Traurig, niedergeschlagen, aber keine Tränen. Dumpf hüpfte ihr Herz. „Hey, alles in Ordnung, du hast selbst gesagt, ein bisschen Schlaf und alles wird gut“, wisperte sie, verteilte federleichte Küsse, während sie Robin festhielt. „Ich bin da. Ich werde immer da sein.“ „Du weißt, dass ich dich liebe, oder?“ Nami schluckte den Kloß hinunter, verstand nicht, warum sie sich so komisch verhielt. Steckten Schuldgefühle dahinter? Das Absagen ihrer Verabredung? Das fehlende Melden? „Und ich dich, was auch passiert.“ Wie konnte sie diese Frau nicht lieben? Ihr nicht bei allem beistehen? Minuten übe sprach Nami leise auf ihre Freundin ein, bis sie sich irgendwann beruhigte. 28. Februar 2013 Neutral und öffentlich. Ihre Treffpunkte wählte sie bewusst. Hier traf sie nie Bekannte. Hier blieben sie ungestört und doch nicht verborgen. Nami konnte jederzeit gehen und Robin würde kein Aufsehen erregen. Niemals inmitten anderer Menschen. „Danke“, sagte Robin nur als ihr Kaffee gebracht wurde. „Du gefällst ihr“, gab sie beim ersten Schluck zu bedenken. Einen Kommentar, den Nami mit einem spöttischen Lächeln quittierte. „Ist dir nicht aufgefallen, wie sie dich ansieht? Meine Anwesenheit missfällt ihr.“ „Suchst du deine Nachfolgerin oder was bezweckst du?“ „Du redest mit mir und siehst mich mal an.“ Nami hob ihre rechte Braue. Tat sie und nur kurz fand sie das Augenpaar der anderen. Punkt für Robin. An Smalltalk hatte sie kein Interesse und was wollte sie Robin sagen? Wo fing sie an? Etliches hatte sie sich zurechtgelegt. Umso mehr hatte sie auf einen klaren Verstand gehofft, doch was machte der? Verabschiedete sich und hinterließ gerade eine gähnende Leere. Was funktionierte stattdessen? Natürlich ihr Herz. Das in bloßer Gegenwart schneller schlug und ihren Körper anstiftete. Diese dummen Gewohnheiten. Rasch fügten sie sich ein. Ein Kuss zur Begrüßung, Nähe suchen, einfache Berührungen und Blicke. Recht unspektakuläre Gesten, die zur Normalität werden und Irritation auslösten, wenn sie ausblieben. Was hatte sich die Natur bloß bei dem Mist gedacht? „Was meinen Aufenthalt angeht … du hast dir den Kopf darüber zerbrochen, dir sämtliches ausgemalt, oder?“, nahm Robin ihrerseits das Gespräch in die Hand. Sie rückte die Tasse zur Seite und beugte sich vor. „Erinnerst du dich an meine Worte? Ich halte mich an sie. Dir würde ich nie ein Haar krümmen. Ehrlich gesagt, habe ich nicht gedacht, er würde von mir erzählen.“ Tat Vergo auch nicht. „Bellemere“, korrigierte sie. „Vergo hat dich ihr gegenüber erwähnt und sie wiederum zählt eins und eins zusammen.“ Hörbar holte Robin Luft und Namis Blick blieb an ihrem Schlüsselbein haften. Bellemere sah ihn ihr nicht länger die perfekte Kandidatin, die Vergo in die Knie zwang. „Was hast du Vivi gesagt?“ „Nichts. Ich habe sie abgewimmelt.“ Nickend trank Nami den Tee. Somit blieb ihr jede Ausrede offen. Sobald sie nach Venedig zurückkehrte, würde sie das Gespräch suchen. Sich entschuldigen. Für das Schweigen, das überstürzte Abreisen. Vivi hatte nichts Falsches getan. „Du hast mich von Anfang an gewarnt. Du bist prinzipiell gegen Beziehungen, hast dich mir zuliebe verbogen. Das eine führte unweigerlich zum anderen. Die Jungs haben was mitbekommen, aber haben sich für Neutralität entschieden. Mir stieß das sauer auf und brauchte Zeit für mich, fertig. Simpel, oder?“, ratterte sie nüchtern herunter. Nami, die unsterblich verliebt war, brauchte abseits des Trubels Zeit und Ruhe, um das Aus zu verarbeiten. Was Vivi verstehen dürfte, sie wusste um die Gefühle ihrer Freundin. Weitere Fragen würde Nami einfach im Keim ersticken, denn Vivi dachte leider eine Spur zu viel, suchte und forschte. In anderen Themen mochte Nami ihre Art. In dem Fall war sie gefährlich, obwohl kein Grund vorhanden war, warum Vivi jemals auf dieses Geheimnis stoßen sollte. Ermüdet fuhr sie sich durchs Haar. „Wir werden wieder Fremde. Du lebst dein Leben, ich das meine. Alles zurück auf Anfang.“ Zurücksetzen. Wie ein Gerät. Der Unterschied lag einzig in der Umsetzung. Arbeit stand bevor. Dieser Blick. Nami spürte ihn auf sich. Als ob Robin alles bis auf sie ausblendete. Manchmal fühlte sie sich wie eine Beute, die bei allem vom Jäger beobachtet wurde. „Bist du dir sicher? Möchtest du uns wirklich aufgeben?“, hörte sie gedämpft. Ihre Aufmerksamkeit litt, denn zeitgleich hatte Robin nach ihrer Hand gegriffen. Hielt sie fest, während ihr Daumen sanft über den Rücken glitt. Gerade zählten lediglich ihre Hände. Nami kämpfte. Nicht nachgeben. Nichts tun. Der Impuls war da. Eine schlichte Geste. Eine Hand umfasste eine andere. Unzählige Male hatte sie diese gehalten, ob beim Gehen oder wenn sie beieinander lagen, versunken in Gespräche, beim Schauen eines Films, im Bett. Sie mochte Robins Hände. Hatte sie immer schon. Blinzelnd löste sie sich, schloss die Augen zur Gänze. Es war, als ob sie erst in dieser Sekunde, mit diesem einen Atemzug den Geruch der anderen erstmals wahrnahm. Robin überließ nichts dem Zufall. Es roch nach ihrem Lieblingsparfüm. Erinnerung um Erinnerung. Mit Robin schien alles perfekt, aber Perfektion ist ein unerreichbares Konstrukt. Erinnerungen oder doch eher Tagträume? „Nami?“ Ruckartig löste sie die Starre, zog die Hand zurück. An derselben Hand klebte Menschenblut. Dieselbe Hand führte Morde aus. Der Druck in ihrer Brust kehrte zurück. „Warum bist du nicht einfach mit einem billigen Flittchen ins Bett gestiegen?“, warf sie verletzt vor, stand auf und ließ Robin zurück. Luft, sie brauchte Luft zum Atmen. Kapitel 48: Confronto. ---------------------- Konfrontation. 28. Februar 2013 Flüchten. Wenn schon nicht vor ihren Gefühlen, dann vor Robin selbst. Irgendwie. Was hatte sie sich dabei gedacht? Dass das Ersticken auf Kommando funktionierte? Alles hinter eine Mauer treiben, sämtliche Luft rauben und schon überstand sie mühelos das Treffen? Naiv oder eher verzweifelt? Was Nami nicht geahnt hatte, war jedoch ihre Reaktion auf einfache Gesten. Machte Liebe wirklich so blind? Die Antwort kannte sie längst. Ein paar Minuten hatten ausgereicht, damit sich Herz und Körper verschworen und somit zu einem ernsthaften Feind ihres Verstandes wurden. Er war gefährlich ins Wanken gekommen. Dabei hatte er in den letzten Tagen deutlich die Oberhand gehabt. Nami sabotierte sich selbst. Solange bis sich ihre Gefühle änderten. Warum musste Robin im Mittelpunkt stehen und nicht eine lieblose Affäre? Ein glatter Schnitt wäre schnell gemacht. Mit irgendeiner unwichtigen Person käme sie ohne schlechtes Gewissen aus, würde sie diese öffentlich an den Pranger stellen oder eben links liegen lassen. Bloß um ungerührt ihr Leben fortzusetzen. Vermutlich, weil so etwas selten Menschen betraf, die egal waren. Hätte sie bloß von Anfang an ein schlechtes Gefühl gehabt, wie mit anderen. Manche Leute strahlten die Gefahr aus und der Körper signalisierte sie instinktiv. Rob Lucci diente als perfektes Beispiel. Schon am Flughafen hatte er etwas Dunkles ausgestrahlt. Später bestärkte sich ihr Gefühl, je länger die Unterhaltung andauerte. Sein Schatten war stets erdrückend präsent. Robin? Nichts. Stattdessen wurde sie von ihrer geheimnisvollen Art angezogen und war Nami ehrlich mit sich, auch von ihrem Aussehen. Keine Sekunde hatte sie in diese Richtung gedacht, dabei hätte ein kleiner Funke ausgereicht. Ein minimaler Zweifel und das derzeitige Leid wäre ihr erspart geblieben. Eins führte zum anderen und nun saß sie in der Falle. Sie hatte den Stein ins Rollen gebracht, musste Robin auf die Idee bringen, obwohl sie Warnungen erhielt. Das Ergebnis durchlebte sie gerade. Nami hatte das Böse mit offenen Armen empfangen und noch fand sie keine Lösung, wie sie dieses wieder aus ihrem Leben entfernte. Dahingehend wollte Nami standhaft bleiben. In Gedanken war sie sämtliche Optionen durchgegangen, mögliche Kompromisse – ihr Gewissen drehte durch. Mittlerweile fiel ihr das Atmen leichter, auch ihre Schritte verlangsamten sich. Venedig den Rücken kehren, hatte lediglich einen Grund gehabt: Distanz aufbauen. Distanz zu ihren Gefühlen, zu Robin und den anderen. Klare Gedanken fassen und einen Plan zurechtlegen, wie sie in Zukunft agierte. Komplett abbrechen und zurückkehren war ihr in den Sinn gekommen, stellte jedoch keine ernstzunehmende Option dar. Zu sehr mochte sie ihr neues Leben. Venedig hatte sie wie andere in den Bann gezogen, sie wollte dortbleiben. Vielleicht krempelte sie ihr Privatleben um, konzentrierte sich mehr auf andere, suchte neue Orte. Oder, und mit der Idee hatte sie sehr wohl gespielt, lernte sie über dem Ganzen zu stehen. Ein Grund, warum sie sich für das Treffen mit Robin entschied. Sie wollte es eiskalt über die Bühne bringen oder wenigstens ohne große Emotionen. Sehen, dass sie Fortschritt machte und besser mit der Situation umging. Stattdessen hatte sie einen ordentlichen Dämpfer erhalten. Sie war weit von ein bisschen Normalität entfernt – erbärmlich, so fühlte sie sich gerade. Da schreckte sie zusammen. „Mir fehlt dein Temperament“, hörte sie Robins Stimme dicht neben ihr. Wann, fragte sich Nami sogleich. Wann hatte Robin aufgeholt? Nun gut, bedachte sie ihre Verfassung, so hatte sie gerade noch auf den Weg vor sich geachtet, hatte sämtliches Umfeld ausgeblendet. Hatte Nami etwa erwartet, Robin würde sitzen bleiben und entspannt austrinken? Das Gespräch als gescheitert ansehen und wortlos gehen? Eigentlich hatte sie darüber überhaupt nicht nachgedacht. „Erklär mir mal, was ihr alle damit habt!“ Ließ Nami ihrer aufbrausenden Art freien Lauf, jammerten sie. Blieb sie also stumm, passte es ihnen genauso wenig. Was wollte man von ihr? Was war die ideale Reaktion? Ein bisschen stänkern und dann schweigend gehen? „Als ob es einen Unterschied macht!“ Frustriert marschierte Nami weiter, merkte sogleich, dass Robin unbeirrt neben ihr her ging. Fast, als unternahmen sie einen gewöhnlichen Spaziergang. Als ob nichts zwischen ihnen stand und Nami nicht eben erst erneut vor ihr geflüchtet war. Fühlte sie sich dezent provoziert? Durchaus, aber gab sie dem nicht nach, gab Robin keine Chance auf Genugtuung. Eigentlich erkannte sie sich selbst nicht in ihrem Handeln. Normalerweise wäre sie an die Decke gegangen. Bloß fehlte die Kraft, um wirklich aus der Haut zu fahren. „Wir haben uns an deine Gefühlsausbrüche gewöhnt, mit ihnen wissen wir umzugehen“, gestand Robin, das Nami ein bockiges Schnaufen entlockte. Schön, damit musste sie leben. Für Rücksicht hatte Robin den Bogen eindeutig überspannt. „Wird das in Zukunft immer so ablaufen? Wir reden und du läufst davon?“ „Ist eine Idee, leider läufst du mir nach.“ Und leider war sie dem nicht abgeneigt. Ein Teil von ihr freute sich, hoffte, dass Robin eben nicht aufgab. Da wunderte sich Nami nicht, warum sie keinen Schritt vor machte. Aus Reflex wollte sie ihren Schal höher ziehen, stöhnte jedoch entnervt auf, als ihr sein Fehlen auffiel. Der ungeplant rasche Aufbruch. Da hatte sie gerade noch an ihre Jacke gedacht. Bevor sie wirklich kehrt machen konnte, legte ihr Robin den Stoff um die Schultern. „Bisschen zu stürmisch, was meinst du?“ Robins Blick ausweichend, bedankte sie sich nuschelnd, darauf bedacht nicht erneut darüber nachzudenken, wie nah sie ihr war. „Würde ich dich hasse“, murmelte sie seufzend, „würde mir manches leichter fallen.“ Automatisch zog sich Robin zurück und Nami nutzte die Gelegenheit, um ihren Schal zurechtzumachen. „Nein, dafür muss ich dir erst gleichgültig werden“, entgegnete Robin melancholisch. Als Nami den Kopf hob, ging Robin bereits weiter. Ohne auf sie zu warten oder zurückzusehen. Der ideale Augenblick sich endgültig abzuwenden, um nach Hause zu gehen. Robin stehen lassen. Ihren eigenen Fehler ausbessern. Stattdessen tat Nami das genaue Gegenteil. Sie folgte Robin. 4. Dezember 2012 Gegen den Türrahmen lehnend, verschränkte Nami die Arme. Sie misstraute dem Bild, das sich ihr bot. Robin lag auf der Couch, eingewickelt in eine Decke, augenscheinlich vertieft in ein Buch. Das Lesen selbst störte Nami kaum. Eine Frau wie Robin zum Nichtstun zu verdammen – ein Akt der Unmöglichkeit. Was ihr eher aufstieß, war die Tatsache, dass sie ihrer Freundin nicht so recht glaubte, dass sie sich tagsüber schonte. Während Nami in der Arbeit festsaß und keinen Einfluss auf ihr Handeln nahm. Es ging nicht darum sie zu bevormunden, Robin war alt genug, aber wusste sie zu übertreiben, ihre Grenzen unnötig auszuloten. Nach dem Unfall sollte sie rasten, um fit zu werden. „Du bekommst noch Falten“, kommentierte Robin beim Umblättern. Nami erhaschte ihr spitzbübisches Grinsen. „Der Grund für deine?“, konterte Nami gespielt, wobei sie sich abstieß. Erst ein Stirnrunzeln, dann sah sie vom Buch auf, gefolgt von einem tadelten Ausdruck. „Genau die meine ich“, lachte Nami und begab sich kopfschüttelnd in die Küche, um ihren Tee zu holen. „Schätze, ich muss meinen Schlüssel zurückholen“, hörte sie dabei und lachte weiter. Als ob sie ihn brauchte. Wollte sie ins Haus, existierten Möglichkeiten. Eine kleine Anekdote aus der Schulzeit, über die sie Robin gegenüber noch nie ein Wort verloren hatte. Seit Robin zuhause war, verbrachte Nami hier jede Nacht. Bei dem Gedanken Robin alleine zu lassen, war ihr nicht wohl. Zumal sie sich eben als eine äußerst schwierige Patientin herausstellte. Ihr Zustand besserte sich natürlich, die Blessuren blieben sichtbar. Die Gehirnerschütterung und insbesondere die Rippen stellten weiterhin die gröbsten Probleme dar. Da konnte Robin noch so reden, man sah ihr die Schmerzen an. Umso mehr die Sorge, dass sie sich eben nicht an den Rat des Arztes hielt. „Sag mal, stellst du dir eigentlich einen Weckruf?“ „Wofür?“, fragte Robin wiederum, ohne von den Zeilen abzulassen. Im selben Zug winkelte sie die Beine an, wodurch sich Nami setzen konnte. „Um nicht zu vergessen, wann ich aufkreuze?“ Äußerst vorsichtig nahm sie einen Schluck des heißen Tees. „Schließlich wurde dir Bettruhe verordnet und du kennst meine Einstellung. Wäre dumm, wenn ich auf der Matte stehe und du mit anderem beschäftigt bist.“ Robins Miene blieb ungerührt. Jedoch sah Nami die Veränderung ihrer Augen. Ihr Lesetempo verlangsamte sich. „Ich brauchte einen Tapetenwechsel. Soll der Regeneration helfen. Besserer Ausblick, ich bin schneller in der Küche. Der Fernseher.“ Prustend strich Nami über Robins linkes Bein, das mittlerweile auf ihrem Schoß ruhte. „Sofern ich keinen Filmabend vorschlage, ist er reine Zierde.“ Der Tee war ihr noch eine Spur zu heiß, daher stellte sie die Tasse vor sich am Tisch ab. Einen Moment wartete sie noch ab, in dem sie Robin einfach ansah, ehe sie sich rüber beugte und ihr das Buch aus den Händen nahm. Die Seitenzahl fiel ihr ins Auge, als ob sie nicht schon längst gesehen hatte, wie weit sie gekommen war. „Du hast also Stunden gelesen?“ Ein wissendes Lächeln umspielte ihre Lippen, woraufhin Robins Blick fragend wurde. „Das hast du gestern Abend angefangen, dank deiner Tabletten bist du nach 54 Seiten eingeschlafen. Du bist auf 81?“ Kopfschüttelnd las Nami ein paar Sätze. „Abgesehen von der Arbeit liest du nicht quer. Also, was hast du heute wieder gemacht, anstatt dich auszuruhen?“ Ja, ihre Freundin war bestimmt kein kleines Kind mehr, aber manchmal musste sie erinnert werden, was wichtiger war. „Vielleicht habe ich geschlafen?“ „Erst fernsehen, jetzt schlafen? Dein Kopf hat ordentliche Blessuren abbekommen. Wir sollten dringend zum Arzt.“ Vermutlich das Übliche. Gearbeitet, durch Haus geirrt. Nami sorgte sich nicht grundlos. „Dein Kopf braucht genauso Ruhe.“ Sanft strich sie durch Robins Haar, wobei sie versuchte, nicht zu sehr auf ihre Blessuren zu achten. Das Farbenspiel an Schläfe und Wange. „Meine persönliche Krankenschwester habe ich mir etwas liebevoller vorgestellt“, wich Robin gekonnt aus, das Nami ebenso missfiel. Seit dem Unfall sorgte sie sich sehr. Ob ihre Freundin nun schwierig war oder nicht, es hatte auch mit dem emotionalen Ausbruch zu tun. Bis heute verstand sie nicht, warum sich Robin an dem Tag so aufgelöst gezeigt hatte. Als hätte sie den Fehler gemacht, als musste sie ein schlechtes Gewissen Nami gegenüber haben. Unfälle geschahen, was auch immer ausschlaggebend war, sie geschahen einfach und waren nicht abänderbar. Es hätte immer mal passieren können, auch auf ihren Reisen. Etwas bedrückte Robin und darüber schwieg sie eisern. So viel stand fest. Und da Robin kein weiteres Wort darüber verlor, hatte Nami keine Ahnung, ob es sich überhaupt lohnte nachzuhaken. Daher beließ sie es dabei. „Hast du nicht zugehört? Extravagante Wünsche sind in meinem Service nicht inbegriffen.“ 28. Februar 2013 Lange gingen sie schweigend nebeneinander, versunken in der eigenen Gedankenwelt. Dennoch ertappte sich Nami öfters dabei, wie sie musternd zur Seite schielte. Erstmals nahm sie Robin wahr. Kannte man sie nicht, wirkte sie wie immer. Leider kannte Nami die Nuancen, diese feinen Unterschiede. Sie sah Robin den wenigen Schlaf an, merkte das sie all das sehr wohl mitnahm. Das auch sie nicht darüber stand. Verrückt. Vorhin war Nami geflüchtet, nun entschied sie sich für die Nähe, dachte darüber nach, wie es ihr erging. Das Chaos hatte eindeutig das Steuer übernommen. Andererseits erinnerte sie sich daran, was sie sich erhoffte: auf Kurs kommen. Hätte sie kehrt gemacht, wäre sie spätestens zu Hause wieder vollkommen in verworrene Gedanken verfallen. Dieselben Fragen, Ängste, leider auch Sehnsüchte. Robin sollte Klarheit verschaffen, kein weiteres Chaos stiften. Seit der Nacht, in der sie Robins Haus nach Beweisen abgesucht hatte, war sie in diesem Rad gefangen. Robin hatte es auf den Punkt gebracht. Erst die Gleichgültigkeit brachte Erleichterung, brachte sie zurück in die Mitte. Gleichzeitig ein schöner wie auch trauriger Gedanke. Für inneren Frieden zahlte sie einen hohen Preis: Liebe. Doch davon war Nami noch Lichtjahre entfernt. Dessen war sie sich bewusst, wie Robin wusste, was ihre Anwesenheit auslöste. „Unser Treffen hast du vorgeschlagen“, brach Robin das Schweigen, kurz nachdem sie in den Park eingebogen waren, in dem sich kaum ein Mensch verirrte. Nicht an kalten Tagen wie heute. „Ehrlich gesagt, habe ich nicht vorgehabt dich aufzusuchen. Mein Aufenthalt sollte unauffälliger über die Bühne gehen. Wären wir uns zufällig begegnet … wer weiß, eine andere Situation. Ich hab mir gedacht, ich warte bis du zurück bist. Zeit kann helfen, um alles besser zu verstehen. Ewig schweigen und ignorieren weniger … Nami, du weißt, du steckst fest.“ Als ob sie dafür Robin brauchte. Natürlich steckte sie fest. Stur sah sie gerade aus. Was ihr eher sauer aufstieß war die Erwähnung von Zufällen. Wie oft denn noch? „Eine zufällige Begegnung? Hör bitte auf. Mir reicht’s mit denen. Du tauchst hier auf, triffst Vergo. Tust auf mein Melden hin überrascht. Dann dein Parfüm. Als ob du das heute zufällig gewählt hast.“ Noch immer hatte sie den Duft in der Nase, doch anders als vorhin löste es keine Panikreaktion aus. Vorhin war eben alles zusammengekommen. „Bitte. Wenn du dich schon auf ein Gespräch einlässt, muss ich die eine oder andere Karte ausspielen. Du liebst es“, erwiderte Robin mit einem flirtenden Unterton, den Nami versuchte zu ignorieren. Es half ihr nicht weiter, aber Robin wusste das, tat es nicht unbewusst. „Ich bin hier, weil ich gehofft habe, die Distanz ist hilfreich. Ich kann leichter abschließen, dich irgendwie vergessen. Oder herausfinden was ich mit den Jungs mache. Natürlich stecke ich fest! Ich komme nicht jeden Tag hinter solche Geheimnisse. Und du bist leider nicht gerade jemand, der es mir leichter macht. Schon gar nicht mit deiner Anwesenheit.“ Sie sprach es offen aus, wobei sie auf den Boden starrte und einen kleinen Schneeklumpen zertrat. „Gut, dann sag mir, warum du mich treffen wolltest. Vivi hätten wir mit Nachrichten abhaken können“, war alles das Robin erwiderte. Irgendwie recht überflüssig. Robin sollte den eigentlichen Grund kennen. Unschlüssig hob sie den Kopf. Robin sah sie erwartungsvoll an. Verstand sie es etwa nicht oder spielte sie bloß mit ihr? „Robin, dir muss klar sein, warum. Komm, mittlerweile verstehe ich kaum noch, was real ist und was nicht. Was soll ich mir denken, wenn ich weiß, was du nebenbei tust? Ich ignoriere dich bewusst und dann tauchst du in Zürich auf? Ich frage mich, ob du Vergo nicht als Spielball benutzt. Willst du mir signalisieren, du hast jederzeit Mittel und Wege, um …“ Den Satz sprach sie nicht zu Ende, brauchte sie nicht. Robin verstand auch so, was gemeint war. Jemanden wie Vergo töten, sollte für Robin kein Hindernis darstellen. Weder Vergo noch Law noch Nami selbst. Wer Lucci, einen der ihren aus dem Weg räumte oder Sanjis Brüder, die aus dem gleichen Milieu stammten – wer waren sie schon? Ein Fehler führte zur Enttarnung, die wiederum Robins gesamtes Leben auf den Kopf stellte. Mit Vergo bekam sie den idealen Charakter für eine simple Drohung. Was möglich war, würde Nami aus der Reihe tanzen. „Die Seite an dir macht mir Angst. Ich habe genug erfahren, um dein Können einzuschätzen. Sag mir, wie ich das verarbeite kann, ohne mir Szenarien auszumalen. Robin … Gefühle ändern sich. Manchmal schneller als uns lieb ist. Was ist, wenn du irgendwann keinen Sinn mehr in uns siehst, was machst du dann? Oder ich verlassen dich. Durchlaufen wir eine gewöhnliche Trennung, trotz allem, was ich gegen dich in der Hand habe?“ Sie sprachen nicht über Kavaliersdelikte, sondern über gekauften Mord. In dem Punkt empfand Nami bereits Gleichgültigkeit. Wenn sie an die Opfer dachte. Ob gute oder schlechte Menschen – das war ihr gleichgültig. Mord blieb Mord. Momentan haderte ihr Gewissen, durch das bloße Wissen. Robin arrangierte sich, wie auch immer sie das tat, aber Nami? Nervös biss sie sich in ihre Lippe. „Im Café, als du meine Hand gehalten hast … ich konnte nur noch daran denken, wie viele Leben du mit ihnen auslöscht. Wozu ausgerechnet du in der Lage bist!“ Angst und Sehnsucht, beides hatten das Treffen vereinbart. Noch immer stand Robin regungslos da. Die ganze Zeit über hatte sie einfach zugehört, ohne wirkliche Emotionen zu zeigen. Nun jedoch löste sie sich aus der Starre, machte ein paar Schritte, fuhr sich dabei durchs Haar. Ihr Verstand arbeitete. Vielleicht der nächste Fehler. Was es auch war, Nami fand es früh genug heraus. Also entschied sie zu warten. „Okay“, hörte sie nach einer gefühlten Ewigkeit. Robin nickte vor sich hin. „Nochmal. Aus dem Grund habe ich nie den Schritt gewagt, mir hat unsere Freundschaft gereicht. Auch wenn es mir schwergefallen ist. Die Angst, dich in meine Welt zu ziehen – sie war groß und immer da. Dort will ich dich gar nicht, dort gehörst du nicht hin. Dank dir bin ich schwach geworden und glaub mir, ich bereue uns keine Sekunde. Ich würde es jederzeit wieder tun.“ Würde Nami dasselbe wieder tun? Was für eine Frage. Ohne das Wissen würde sie sich für Robin jederzeit aufs Neue die Finger verbrennen. Krampfhaft schüttelte Nami den Gedanken ab. „Deine Ängste sind begründet, aber ich stehe zu meinem Wort. Vertrau mir bitte, wenn ich dir das sage! Ich habe dir gegenüber nie Gründe gegeben, die dagegensprechen. Habe dir jemals etwas getan? Nein, stattdessen stempelst du mich bloß noch als ein Monster ab, das unwillkürlich tötet. Du bist so sehr auf das neu entstandene Bild fokussiert, dass du alles andere vergisst oder stur ignorierst. Dabei weißt du genau, dass ich die Wahrheit sage, wenn du zuhören würdest!“ „Was-“ „Dasselbe Spiel treibst du mit den Jungs“, unterband Robin. „Du vergisst auf ihren eigentlichen Charakter. Stattdessen bist du davon besessen, was du in ihnen oder mir sehen willst. Du fühlst dich hintergangen, verraten? Von mir aus, dein gutes Recht, aber blende nicht all das Gute aus! Bei mir und schon gar nicht bei den beiden! Ist dir jemals in den Sinn gekommen, wie ich reagieren würde, wenn ich dich nicht lieben würde? Oder wie ich dir gegenüber wäre?“ Robin wartete ab, doch dieses Mal schwieg Nami, sah sie nur an. „Ich habe dich in mein Leben gelassen, in private Angelegenheiten über die nur Franky gänzlich Bescheid weiß. Selbst Kalifa kennt nicht die Einzelheiten, die du erfahren hast. Das Abendessen? Mit ihr wäre ich nie aufgetaucht. Verstehst du, was solch ein Schritt für mich bedeutet? Du hast den Schlüssel zu meinem Haus. Ich habe dir eigentlich selbst die Tür zum Schnüffel geöffnet. Oder wie sonst wärst du auf die Kombination des Safes gekommen?“ Robin wurde nicht laut, aber ihre Stimme schwankte, darin lag keine Gelassenheit, kein Späßchen mehr. Eher glich sie einem Gemisch aus Wut, Verzweiflung und Schmerz. Etwas das Nami mehr als vertraut war. „In mir mag ein Monster hausen, nur so kann ich seit Jahren tun, was ich tue. Aber hör auf zu reden, als würde ich dich nicht genug lieben, als wäre ich in der Lage dich zu töten! Das ist nicht fair! Das kannst du mir nicht unterstellen!“ Die Worte verfehlte nicht ihre Wirkung. Ihre Augen zuckten und im selben Zug stieß sie sämtliche Luft aus. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Es tat weh. Der Gedanke schmerzte Robin. In dem Moment konnte ihr Verstand noch so rumoren, Nami sah es ihr an. Was sie sagte, war nicht gelogen und da kroch er wieder empor. Der Impuls das zu tun, was sie nicht sollte: Nachgeben. Eine Weile starrten sie einander an, ehe Robin sich zur Seite drehte, sich angestrengt über die Augen fuhr. Das war kein Spiel, das waren Robins ehrliche Emotionen. Sie litt auf dieselbe Weise. Sie empfand dasselbe. Das laute Herzschlagen dröhnte in den Ohren, als sie nur dastand und Robin beobachtete, jede noch so kleinste Bewegung. Scheiße. Die Seite hatte Nami vehement ausgeblendet. Sich nie erlaubt näher darüber nachzudenken. Sich lieber auf den eigenen Schmerz konzentriert. Es hatte eine Weile gedauert, aber ja, nach und nach hatte Robin sie in ihr Leben, in ihr Innerstes gelassen. Nicht in die dunkelsten Abgründe, aber in alles andere. Natürlich tat man das nicht grundlos. Vier, fünf Schritte. Ein schnell überbrückter Abstand, mehr nicht. Wenn da nicht die andere Stimme noch wäre, die sie stur an Ort und Stelle behielt. Die ihr Verlangen unterdrückte, ihr lieber erneut vor Augen führte, wie es zu all dem gekommen war. Immer und immer wieder. Es drehte sich im Kreis. Sie war es leid. Es zerriss sie Stück für Stück. „Robin, ich-“ Da hob diese schon ihre Hand. „Eine Frage … nehmen wir an, Zorro hätte dir in jener Nacht die Wahrheit erzählt … hättest du ihm geglaubt?“ Ein irritiertes Blinzeln. Was hatte die Frage damit zu tun? Gefasster drehte sich Robin wieder in ihre Richtung. „Worauf willst du hinaus?“ Irgendwie fehlte ihr gerade ein Zusammenhang. „Vermutlich hätte ich nachgeforscht?“, antwortete sie dennoch. Nicht sofort. Zuerst hätte sie ihn ausgelacht und gefragt, was er sich einwarf. Je nach Reaktion hätte sie weitergegraben. Nami vertraute ihm (oder hatte ihm vertraut, je nach dem), zeigte er Besorgnis, blieb er bei solchen Worten ernst … er erfand nichts. Zorro log eigentlich nicht. Lieber schwieg er. Eigentlich. In dem Fall hatte er beides getan. Bei einer Lüge geholfen und im weiteren Verlauf eisern geschwiegen. „Vermutlich“, echote Robin spöttisch, das Namis Augenbraue gefährlich in die Höhe schob. In welche Richtung verschob sie das Gespräch? „Er sammelt Katana. Wusstest du, dass sich Zorro, ohne an Konsequenzen zu denken mit einem davon auf dem Weg gemacht hat, um Bonney zu retten? Obwohl er gewusst hat, dass er gegen mit Schusswaffen bewaffnete Männer ankommen muss? Kein Zögern. Er hätte alles für sie getan, auch getötet. Im schlimmsten Fall wäre er selbst gestorben. Schwert gegen Pistole … so etwas endet selten zu Gunsten der Klinge. Hättest du ihn dafür gehasst? Wenn er so weit gegangen wäre? Für die Liebe?“ „Zwei verschiedene Szenarien …“, gab sie überrumpelt zurück. Dafür erntete sie ein abwertendes Lachen. „Wusstest du, dass Bonney in eine der größten Untergrundfamilien hineingeboren worden ist, die weltweit genug Schaden anrichtet. Wodurch sie seit Jahren vor denen flüchtet, die Bescheid wissen und versuchen ihre Herkunft auszunutzen. Mittlerweile selbst vor der eigenen Familie, die sie für ihre Zwecke benutzen möchte. Für ihr Überleben hat sie schon genügend getan, was nicht gerade richtig ist, doch dient all das ihrem Schutz. Der einzige Grund, warum sie so lange in Venedig gewesen ist, sind ihre Freunde, insbesondere Zorro.“ War Nami ehrlich, so wusste sie nichts von Bonney persönlich. Bonney sprach nie über ihre Vergangenheit. Wäre Zorro nicht aufgetaucht und hätte ihr mehr erzählt … sie wüsste bis heute nichts und das war selbst ihr neu. Nach ihrem Verschwinden hatte Zorro kaum etwas erzählt. „Was willst du erreichen?“ „Oder wusstest du, dass Sanji Teil einer Familie ist, die im Untergrund seit Jahrzehnten angeheuert wird? Für alles Mögliche, nicht nur Morde? Weil er eine andere Entwicklung genommen hat, ist er von seinen Brüdern schikaniert worden. Sein Vater hat versucht ihn einzusperren und auf billige Weise loszuwerden, bloß damit er ihn nicht selbst töten muss. Er ist geflohen, dank seiner Schwester, die heute noch nicht den Mut findet aus dem Käfig auszubrechen. Die schon zu sehr in das Geschehen integriert ist. Die uns wiederum geholfen hat, Lucci als Sündenbock darzustellen, damit wir den Tod von Sanjis Brüdern und Bonneys Verschwinden in einem Abwasch erledigen konnten.“ Nun war Robin diejenige, die den Abstand wieder nach und nach verminderte. Nami wusste nicht, was sie tun sollte. Hörte nur noch zu und versuchte irgendwie zu verstehen, alles in sich aufzunehmen. „Willst du wissen, warum wir Lucci aus dem Weg geräumt haben? Weil er von sich aus Jagd gemacht hat. Er meinte, er habe einen Auftrag erhalten. Falsch, er hat für sich entschieden. Da ihm missfiel, wie sehr sich Kaku aus dem Leben rausgewünscht und er sein Können zum Helfen verwendet hat – wären wir nicht so blind vor Rache gewesen, hätten wir klüger agiert. Dann hätte Trafalgar nie die Informationen erhalten und du wärst nie dahintergekommen. Dein ach so toller Chirurg, für den du bis vor ein paar Monaten nie ein gutes Wort übriggehabt hast, der selbst genug Leichen im Keller versteckt. Mit ihm redest du darüber, mit ihm verschwindet du, während du echte Freunde wie Abfall behandelst.“ „Wer hat mich denn in diese beschissene Lage gebracht?“, entgegnete Nami zähneknirschend. „Wem soll ich mich anvertrauen? Bei wem kann ich alles rauslassen? Die einen haben dich gedeckt, die anderen wissen nichts davon. Und hier habe ich genauso niemanden, der alles erfahren darf.“ Nach und nach hatte sie sich in eine Sackgasse manövriert. „Dann denk endlich nach!“, wurde Robin schärfer, packte sie dabei an den Schultern. „Steig aus deinem irrsinnigen Karussell aus und denk nach. Ich bin diejenige, die dich in diese Lage gebracht hat, nicht sie! Wenn du mich schon aus deinem Leben streichst, lass wenigstens sie nicht gehen! Sie sind für ihre eigenen Beweggründe eingestanden, ohne dir wehtun zu wollen. Zorro hat für Bonney und dich gelogen.“ Robin atmete schneller, war aufgebrachter. „Sie verstehen dich, Nami, und genauso sorgen sie sich um dich.“ „Gelogen … wofür hat er gelogen? Damit ich aus heiterem Himmel aus meiner Blase herausgerissen werde? Erst ist alles gut und plötzlich ist alles anders!“ Sie wollte zurück in ihre heile Welt, in der ihre Freunde ganz normale Kerle waren, mit ihren schrägen Macken, aber auch ihrer liebenswürdigen Seite. In eine Welt, in der ihre Freundin einen Job hatte, der sie quer durch die Welt schickte, wo sie in Gräbern wühlte, Artefakte untersuchte oder Ausstellungen überwachte. „Rede mit ihnen und fang wieder an sie als die zu sehen die sie sind! Am Ende reflektierst du lediglich die Gefühle mir gegenüber auf sie, das haben deine Freunde nicht verdient. Denn im Gegensatz zu deinem Kumpel sind sie nicht daran interessiert, um deine Gunst zu buhlen, nur um dich ins Bett zu zerren!“ Das saß, Nami riss der Faden. Wütend stieß sie Robin von sich. „Hast du sie noch alle? Willst du hier eine kindische Eifersuchtsszene anfangen?!“ Hörte sich Robin überhaupt reden? Als ob es ihm bloß darum ging! Darüber waren sie hinaus. Sicher war Law derjenige, der sich über die anderen ausließ. Der deutlich machte, dass sie alle in dieselbe Schublade gehörten. Etwas das Nami so nicht empfand. Dennoch fühlte sie sich hintergangen und das war ihr recht. Besonders wenn sie an die Wochen seit Dezember dachte, in denen sie allesamt zusammen Witze gerissen hatten. Als ob niemand Bescheid wusste. Alles war normal. Ab einem Punkt konnte sie nicht ignorieren. Gehässig schüttelte Robin den Kopf. Suchte sie allmählich nach einer Eskalation? „Ist dir je die Frage in den Sinn gekommen, warum Trafalgar? Warum er die Unterlagen bekommen hat?“ „Sie waren Freunde? Er brauchte ein Backup solltet ihr ihn eliminieren?“ „Freunde“, lachte Robin. „Glaubt er den Mist auch?“ Das Lachen verebbte abrupt als sie Namis Verwirrung erkannte „Oha, er denkt das wirklich.“ „Was weißt du?“ Wenn Robin so reagierte, dann hatte sie andere Informationen. Irgendetwas wusste sie. „Spuck’s aus!“ Die gewünschte Antwort blieb jedoch verwehrt. „Komm schon, denk über die Frage nach.“ „Dein Ernst?“ Dem war so, denn Robin zeigte keine Anstalten darauf eine Antwort zu geben. Nami gab auf, warf schnaufend die Arme in die Luft. „Was ist denn deine Vermutung, meine scheint dich ja köstlich zu amüsieren.“ Für solche Spielchen fehlten eindeutig die Nerven. Wenn das Gespräch so weiterverlief, brauchte sie eindeutig einen starken Drink. Wieder kam die andere näher, beugte sich vor, wodurch sie auf Augenhöhe waren. „Trafalgar ist verliebt in dich und Rob hat‘s gewusst. Dämmert’s?“ Suchend sah sie Robin in die Augen. Erwartete ein Lachen. Irgendetwas das auf einen Scherz hinwies. Nichts davon fand sie. „Verstehe ich dich richtig. Du gehst davon aus, dass Lucci das hier, zwischen dir und mir, geplant hat? Eines morgens ist er was, aufgestanden, hat sich hingesetzt und sich gefragt, wie er dir nach seinem Tod noch das Leben erschwert? Nur dir oder habe ich bei deinen Freunden etwas verpasst? Was für ein Blödsinn!“ Doch das eigene Lachen blieb ihr im Hals stecken. Eine unbekannte Kälte lag in den Augen, die ihr kalt den Rücken hinab lief. Robin meinte das todernst. „Wie sollte er … komm, du machst Witze.“ Unmöglich. Irgendetwas lief schief. Es brauchte bloß eine unerwartete Komplikation. Als ob jeder tat, was erwartet wurde. Und warum sollte Lucci überhaupt auf die Idee kommen? Wollte man Robin oder die anderen Schwierigkeiten bereiten, hätte es durchaus andere Möglichkeiten gegeben. Weitaus effektivere, die ihr gesamtes Leben in Gefahr brachten. Langsam trat Nami zurück. Lucci glich einem Psychopaten, der zu allem fähig war. Bei dem Gedankengang wurde ihr schlecht. An und für sich waren Zweifel unangebracht. Bis vor einer Weile glaubte sie noch ein halbwegs normales Umfeld zu haben. Nami erhaschte einen Blick auf eine Parkbank. „Rob hat unsere Beziehung mitbekommen. Dank Trafalgar, dank ihm selbst. Sobald Gefühle mitmischen, sind wir Menschen leider sehr berechenbar. Rob war kein Idiot, er kannte seine Mitmenschen, er kannte Trafalgar. Der Kerl war meine erste Vermutung. Er ist dahingehend durchschaubar. Dir die Wahrheit zeigen, zusehen wie du mich verlässt, dich in seine Arme locken … passt leider.“ „Warum tut man das?“ Ein wenig überflüssig, zählte man eins und eins zusammen. Vermutlich musste Nami es hören, nicht denken. Erschlagen ließ sie sich auf der Banklehne nieder, vergrub das Gesicht in den Handflächen. In welche kranke Scheiße war sie da bloß hineingeschlittert? Vielleicht wäre sie doch lieber gegangen. „Sprich’s endlich aus.“ „Was getan werden muss, um mich zu verletzen?“ Robin ließ die Frage länger stehen als ihr lieb war. Anscheinend kam sie nach, sie hörte das Knirschen des Schnees. „Kalifa und Franky töten, ohne selbst involviert zu sein? Kompliziert, mit hohen Risiken verbunden.“ Das Knirschen hörte auf, Robin stand hinter ihr. „Mich direkt töten? Langweilig, selbst ein langsamer Tod. Genauso wenig meine Arbeit zu sabotieren. Mir steht genug offen. Selbst wenn mein Geheimnis gelüftet wird.“ „Natürlich eine äußerst langweilige Option“, murmelte Nami in ihre Hände. Wie konnte sie so gelangweilt über ihren eigenen Tod sprechen oder das Ende ihres normalen Lebens? „Wenn er mich nicht tot aber leiden sehen, mir Schmerz bereiten wollte, brauchte er etwas anderes. Du hast längst verstanden, was es ist.“ Was es war, hatte sie, aber noch immer wollte Nami nicht glauben, dass man sich das ausdachte. Dass das dann auch noch funktionierte. Irgendwann hätte sie so oder so das Geheimnis entdeckt, aber auf ihre Weise. Vielleicht (nicht gerade der passende Gedanke) hätten sie mehr Zeit miteinander gehabt. Nicht nur ein paar Monate. Wie beschrieb man diesen Mistkerl? Krank schien untertrieben. Langsam richtete sich Nami auf, stützte sich nach Halt suchend mit den Händen ab. Mit geschlossenen Augen und einem tiefen Durchatmen, beendete sie Robins Ausführung: „Er wusste, ich würde dich verlassen, sobald ich hinter dein Geheimnis komme.“ Robins Kinn sank auf ihre Schulter, mehr tat sie nicht. „Ja. Er hat gewonnen.“ Kapitel 49: Tempo di affrontare. -------------------------------- Zeit, sich zu stellen. 3. März 2013 Das Erste, das Nami tat, als sie aus dem Flughafengebäude trat, war ein tiefer Atemzug. Gierig inhalierte sie die Meeresluft und es war, als ob sämtliche Last abfiel. In dem Moment wurde ihr erst bewusst, wie sehr sie das Meer an sich vermisst hatte. Unmöglich an einen dauerhaften Abschied zu denken. Da zählten andere Städte nicht, die ähnliches boten, der Unterschied war zu groß. Venedig selbst hatte sie in den Bann gezogen, von dem sie gefühlt nie wieder loskommen würde. Lange durfte sie nicht genießen, denn ein störendes, nie enden wollendes Räuspern zerstörte den Moment. Umso entnervter fiel ihr Brummen aus, sobald sie die Augen öffnete. Bereit, dem Störenfried die Leviten zu lesen, hielt sie Ausschau. Das Vorhaben verpuffte jedoch in derselben Sekunde, in der sie den Ursprung ausmachte. Der Zorn wich, stattdessen blinzelte sie irritiert. Vor ihr stand kein Unbekannter. Unverkennbar waren die schwarzen Locken, die nicht mal von seiner schief sitzenden Chauffeur-Mütze gebändigt wurden. Breit grinsend hielt er ein Schild, beschriftet mit ihrem Namen, hoch. „Signora, Ihr Taxi wartet“, sagte er höflich, aber mit einem herzhaften Lachen unterstrichen. „Lysop!“, stieß sie freudig aus, nachdem der erste Schock verflogen war und begrüßte ihn mit einer stürmischen Umarmung, die sein Gleichgewicht gefährlich ins Wanken brachte. „Ist auch schön dich zu sehen“, lachte er weiter. „Was tust du hier?“, fragte sie sogleich und ließ ab. „Dich abholen, was sonst?“ Was sonst? Vorgestern hatte sie ihm geschrieben, ob er sie vom Busbahnhof holen könnte. Vom Flughafen selbst war nie die Rede gewesen. „Was denn, als ob das einen Unterschied macht.“ „Für dich ist das wesentlich umständlicher“, seufzte sie kopfschüttelnd. „Du siehst gut aus – ausgewechselt!“, winkte er ab, wobei er ihr einfach die Tasche abnahm und sie zu seinem Boot lotste. „Tut mir leid, Vivi hat sich große Sorgen gemacht und erzählt dir geht’s beschissen. Du meldest dich nicht und so“, quasselte er drauf los, sobald er Namis fragenden Ausdruck erkannte. „Sie ist nicht ins Detail gegangen, aber du warst plötzlich weg und niemand wusste so recht, was los ist. Ich rede mich in die Bredouille, oder?“ Nami seufzte. Hatte sie von ihrer Freundin etwa eine andere Reaktion erwartet? Vivi zeigte ihre Gefühle weitaus offener. Mit ihr musste sie schnellstmöglich ein klärendes Gespräch führen. Betreten schaute sie zu Boden. „Ist eine etwas, na ja, komplizierte Geschichte. Mach dir keinen Kopf. Ich habe mich Vivi gegenüber falsch verhalten, sie im Dunklen gelassen. Das kläre ich schon. Aber ja“, meinte sie dann fröhlicher, „mir geht’s besser. Und danke, dass du mich hier holst. Ist eine schöne Überraschung.“ Lysop atmete erleichtert aus. „Deshalb ist Käpt’n Lysop zur Stelle und rettet den Tag.“ Stolz klopfte er sich auf die Brust, ehe beide in Gelächter ausbrachen. „Das Schild behalte ich“, sagte sie während der Fahrt und hielt es hoch. „Wer will nicht so empfangen werden?“ „Das ist Diebstahl“, witzelte Lysop. „Aber gut, bei dir drücke ich ein Auge zu.“ Nami grinste breit und legte es zu ihrer Tasche. Venedig erstreckte sich vor ihr. Gemischte Gefühle kamen auf. Einerseits eine seltsame Erleichterung, andererseits die erwartete Aufregung. Nami hatte sich viel vorgenommen. „Erzähl mir, was gibt’s Neues?“, wich sie ihren Gedanken aus. Noch war die Zeit nicht gekommen, sich ihnen erneut zu stellen, ihnen wieder unnötigen Raum zu geben. Später. Ein Punkt nach dem anderen. Lieber konzentrierte sie sich auf Lysop, mit dem sie gefühlt ewig nicht gesprochen hatte. Mit ihm war es schon immer leichter gewesen. Er war ein lustiger, aber verrückter Kerl, dem sie mit ihren verzwickten Problemen bestimmt nicht zur Last fallen wollte. „Die Stadt steht noch“, gab er düster zurück. „Idiot!“ „Was? In zwei Wochen passiert hier nicht viel.“ „Bei dir?“ Leichte Zweifel regten sich. Dachte sie an all die sich hier tummelnden Charaktere, so waren zwei Wochen ausreichend, um die Stadt auf den Kopf zu stellen. Und wenn sie Lysop so ansah, existierten Neuigkeiten, denn auf ihre Frage hin bildete sich ein verräterischer Rotschimmer. „Sag bloß!“, stieß sie eine Spur zu schrill aus. Verlegen kratzte sich Lysop am Nacken. „Kaya und ich … wir treffen uns.“ Erfreut klatschte Nami die Hände zusammen. Leider spürte sie zeitgleich einen kleinen Stich, wie bei allen Paaren, die sie in letzter Zeit beobachten konnte, aber den ignorierte sie gekonnt. Er wurde erstickt. Freude rückte nach. Lysop war seit einer Ewigkeit in Kaya verliebt und lange lief die Situation auf dasselbe Ergebnis hinaus, wie zwischen Vivi und Ruffy – ins Nichts. Wenn sie endlich einen Schritt gemacht hatten, wie konnte Nami sich nicht freuen? „Seit wann?“ Namis Frage blieb etwas in der Luft hängen, als Lysop in einen Seitenkanal einbog. „Kurz vor deiner Abreise? Hat sich irgendwie ergeben.“ Plötzlich wurde ausgerechnet der sonstige Lügenbaron wortkarg. „Läuft ganz gut. Vielleicht sehen wir uns später noch.“ „Details mein Lieber.“ „Ein Gentleman schweigt“, sprach er räuspernd, dennoch erkannte sie ein verliebtes Strahlen. „Unfassbar, die wichtigste Neuigkeit muss ich dir aus der Nase ziehen!“, stöhnte Nami gefrustet. „Sieht dir gar nicht ähnlich.“ Normalerweise hatte Nami erwartet, er würde Luftsprünge machen und konnte kaum abwarten, ihr die News bis ins kleinste Detail zu erzählen. Viele Male war er gar nicht mehr aus dem Schwärmen herausgekommen oder hatte sie nach Ratschlägen gefragt. Nun zuckte er lediglich mit den Schultern, setzte einen leicht geknickten Blick auf. Das Schweigen hielt an, während er das Boot lenkte und wirkte, als wollte er ihr bewusst, aus einem guten Grund heraus, ausweichen. „Lysop?“ „Na schön, ich weiß ein bisschen mehr … Robin und du … es heißt, ihr habt euch getrennt?“ Also doch. Das Gefühl, das in der Stille aufgekommen war, bewahrheitete sich. „Vivi hat nicht viel erzählt, aber bei manchen Andeutungen zählt man eins und eins zusammen. Auch Zorro und Sanji verhalten sich merkwürdig. Wenn das wahr ist … wirkt komisch, wenn ich nebenbei über Kaya schwärme, findest du nicht?“ Nun warf er ihr von der Seite aus einen entschuldigen Blick zu, bei dem ihr die Worte fehlten. Natürlich. Natürlich hatte alles seine Auswirkungen. Natürlich bekam ihr Umfeld mehr mit, als ihnen lieb war. „Liegt mehr im Busch? Die Stimmung in der Bar ist abartig. Zorro zeigt sich mürrischer denn je, Sanji interessiert sich null für Frauen. Mal ist Vivi bedrückt, mal keppelt sie sich mit Franky. Mit Franky! Wenn er überhaupt mal dort ist. Robin und Kalifa tauchen gar nicht mehr auf. Momentan ist Ruffy die einzig beruhigende Konstante, ausgerechnet er. Irgendwie hört sich alles nach einem gröberen Problem an.“ Harsch zog Nami Luft ein. Unwillkürlich dachte sie an Robins Worte. Verdammt. Das Boot wurde langsamer, sie waren am Ziel und Lysop legte an. Ob er sich überhaupt eine Erklärung erwartete? Nami zog das Schweigen immerhin ziemlich in die Länge. „Grob … das zwischen Robin und mir ist kompliziert, sehr sogar. An den Veränderungen bin ich nicht unschuldig, ich habe mich nur um mich gekümmert. Der Rest wurde komplett ausgeblendet. Es passieren Sachen, bei denen man oft vergisst, wie verstrickt unsere Leben doch sind. Leider leiden andere genauso“, erklärte sie, ohne nähere Informationen. „Bei euch zwei unvorstellbar“, nahm Lysop die kryptische Andeutung hin und lächelte traurig. „Ihr habt immer einen glücklichen Eindruck gemacht, als wüsstet ihr nicht, was Probleme sind.“ Hatten sie. Dessen war sich Nami durchaus bewusst. Zweifel ließen sie gar nicht aufkommen. Die Zeit gehörte nun der Vergangenheit an. „Manchmal endet das Glück schneller als uns lieb ist. Also genieß die Zeit die du hast.“ Nami schulterte ihre Tasche und Lysop half ihr aus dem Boot. Aufmunternd klopfte sie ihm auf den Rücken. „Schau nicht so entsetzt! Kaya und du habt kein Ablaufdatum. Vorher mache ich ihr die Hölle heiß.“ Auf keinen Fall wollte sie ihm Angst einjagen. Bei Lysop kein leichtes Unterfangen. Zwar schwang er gerne große Reden, aber sein Selbstbewusstsein war alles andere als ausgeprägt. „Wehe du malst dir das Schlimmste aus, bevor ihr überhaupt angefangen habt, kapiert?“, sprach sie streng. „Aye, aye!“, antwortete er sichtlich entspannter. „Was jetzt?“ „Jetzt kümmere ich mich um den angerichteten Schaden“, legte sie offen und warf einen Blick zur Seite. Vivi zuerst, dann einer nach dem anderen. „Hier“, sie steckte ihm Geld in die Brusttasche. Lysop wollte schon protestieren, doch schüttelte sie den Kopf. „Denk ans Geschäft, hat dir das dein Vater nicht gelernt?“ Dankend umarmte sie ihn zum Abschied. „Wir sind Freunde, ich nutze dich nicht aus.“ „Nein, du holst es dir nur beim nächsten Gespräch wieder, wenn ich um Ratschläge bitte“, feixte Lysop und streckte ihr grinsend die Zunge heraus. Nami lachen. Vielleicht keine schlechte Idee. Könnte sich als lukratives Nebeneinkommen herausstellen. „Bring mich nicht in Versuchung.“ 2. März 2013 Unschlüssig betrachtete Nami ihr Spiegelbild. Unschlüssig, weil sie nicht wusste, was sie gerade lieber täte: Lauthals schreien oder verträumt starren. „Ich hasse dich“, sprach sie trocken an Lola gewandt. „Taktgefühl ist dir unbekannt.“ Vor der Abreise wollte Nami noch ein wenig Zeit mit ihr verbringen, bevor sie sich länger wieder nicht zu Gesicht bekamen. Eine Entscheidung, die sie nun verteufelte, hätte sie lieber mit ihr telefoniert oder sich irgendwo anders getroffen. Nun stand sie also in Lolas Laden und trug eines ihrer Kleider, anstatt gemeinsam, wie eigentlich ausgemacht war, Mittag zu essen. Dazu noch in einem Traum aus Weiß. Das Kleid sagte ihr leider zu. Ausgerechnet in dem wohl beschissensten Moment, den Lola sich aussuchen konnte. „Ich sage dein Timing ist perfekt. Ist erst vor einer Weile fertiggeworden und ich habe bereits auf den richtigen Moment gewartet, um es angezogen zu sehen.“ Lola war furchtbar. Ganzgleich welche Blicke Nami ihr schenkte, nichts brachte ihre Ruhe ins Wanken. Kopfschüttelnd drehte sich Nami im Kreis. Vielleicht schrie sie doch lieber. „Passt wie angegossen, wie kommt’s?“ „Sind ja deine Maße.“ „Was?“ Perplex hielt Nami inne, sah fragend zu ihr. Lola setzte ein zuckersüßes Lächeln auf. Was dachte sich die andere bloß? „Na hör mal, das Shooting letztes Jahr? Abgesehen von den längeren Haaren hast du dich nicht gerade viel verändert. Ich lasse mich gerne von Freundinnen inspirieren. So sind mir ein paar geglückt.“ Nami brummte säuerlich. Das war nicht, was sie hören wollte. Über eine Hochzeit machte sie sich keine großen Gedanken, weder vor Robin noch mit ihr. Der Sorte Frauen gehörte sie nicht an, aber der Moment störte gewaltig. Gerade war ihr das Herz auf übelste Weise gebrochen worden. Ihr eigener Anblick half garantiert nicht über die Trennung hinwegzukommen. Entweder litt Lolas Gedächtnis oder sie zeigte ihren makabren Humor. „Nami, ich gebe dir einen gutgemeinten Rat. Harte Zeiten erfordern noch härtere Maßnahmen, gepaart mit der nötigen Portion Humor. Je schwärzer desto besser – und ja, ich wollte dich darin sehen.“ „Du bist verrückt.“ „Dachte immer, du magst mich dafür“, gab Lola zwinkernd zurück. „Schau, du bist besser drauf. Würdest du weiterhin Trübsal blasen und das wandelnde Elend geben, hätte ich dir eventuell eine Wahl gelassen.“ Niemals. Lola hätte ihr das jederzeit angetan. Wenigstens stimmte sie in einem Punkt zu, Nami fühlte sich besser. Nicht viel und sie würde weiterhin keine Luftsprünge und Sonstiges tun, aber um eine Spur, die eine klarere Sicht zuließ. Zwar hatte das Gespräch mit Robin neue Fragen aufgeworfen, aber in der Nacht hatte sie deutlich mehr Schlaf gefunden. Als ob ein wenig Last abgefallen war. Seither hatten sich ihre Gedanken sortiert, liefen in geregelten Bahnen – verrückt. Tagelanges Feststecken, gefangen in einem erdrückenden Teufelskreis. Manchmal half das Weglaufen wirklich nicht, so stark das Verlangen auch war. Manchem musste man sich irgendwann stellen, wollte man eine Besserung. Robins Worte hatten dazu geführt, dass Nami nun anderen Gedankengängen Raum bot. Vielleicht fand sie nun den gewünschten Weg. „Ein Traumkleid – willst du doch hören, oder?“, neckte Nami mit herausgestreckter Zunge. „Oh bitte, deine Augen haben dich schon lange verraten.“ „Was unternimmst du wegen deiner Holden?“ „Wir haben uns getroffen und geredet.“ Mittlerweile war Nami wieder umgezogen und konnte sich endlich dem Essen widmen. Lola hielt für einen Moment überrascht ihnen. Auf ihren Gesichtsausdruck hin arbeitete ihr Verstand auf Hochtouren. „Damit rückst du jetzt erst raus?“ Wild fuchtelte sie mit der Gabel. „Du weißt, spannende News an erster Stelle! Du enttäuschst mich, aber beantwortet das deine Veränderung. Nach unserer feurigen Nacht warst du nicht so gut drauf – habt ihr euch köstlich amüsiert? Versöhnungssex wird gern unterschätzt!“ „Lola!“ Von der Neugierde gepackt, schob Lola ihr Essen zur Seite, stützte anschließend das Kinn an ihren Händen ab. Hoffnungsvolle Augen starrten ihr entgegen. „Bitte, lass kein Detail aus.“ Entnervt massierte sich Nami ihre Schläfe. Wieder fragte sie sich, warum sie überhaupt mit Lola befreundet war. Wenn diese wüsste, welche Details sie die gesamte Zeit über schon ausließ. Was konnte sie überhaupt erzählen? „Okay, du wirst keine überraschende Wendung hören.“ Solche Gedanken schlug sich Lola lieber schnell aus dem Kopf. Als ob sie vergaß und mit Robin … wie kam Lola darauf? Am Ende glich ihr Bleiben einem Wunder. Das hatte im Nachhinein geholfen, sich als richtig herausgestellt, obwohl es Nami auf andere Weise neues Kopfzerbrechen bescherte. Lucci – noch immer traute sie dem Gedanken nicht, sein Plan hörte sich surreal an (wenn er der Wahrheit entsprach). Zwar passte das Vorgehen zu ihm, dennoch fand Nami ständig irgendwelche Lücken oder wollte welche finden. Eine andere Reaktion und alles wäre in Luft aufgegangen. Dann erinnerte sie sich stets an Robin Worte, die Gewicht hatten. Gefühle machten Menschen berechenbar. Jeder hatte seinen Part erfüllt. Andererseits wäre Robins Doppelleben auch ohne sein Zutun irgendwann aufgeflogen und Nami hätte die gleiche Reaktion gezeigt. Ein ungeduldiges Räuspern holte Nami zurück. „Irgendwann musste der Tag kommen“, begann Nami seufzend. „Wir haben uns getroffen, zuerst bin ich abgehauen, dann haben wir uns doch noch eine Weile unterhalten. Über das Fiasko zwischen uns, meine Freunde … seither fühle ich mich besser, aber irgendwie wieder nicht. Verstehst du was ich meine? Nicht Fisch, nicht Fleisch … so was halt.“ „Heißt, sie ist dir nachgereist?“, hinterfragte Lola mit gehobener Braue. „Für ein Gespräch?“ „Nein, eher für die Arbeit?“ Nami hatte keine genaue Antwort. Eigentlich hatte sie später gar nicht mehr nachgefragt, warum sie hier war. Für den Augenblick hatte ihr gereicht, dass es nicht einer Drohung wegen geschehen war. Lola prustete. „Arbeit. Ist klar.“ Nachdenklich musterte Nami ihre Freundin. Nami ging die Möglichkeit durch. Nein, nein, nicht für sie. Robin hatte sich nicht von ihr aus gemeldet. Nein, ein Nachreisen ergab keinen Sinn. „Egal, wir kennen deinen Zustand. Wie hat sie sich gegeben?“ „Leidet auf ihre Weise.“ Ein Punkt, den Nami bewusst ignoriert hatte. Erst als sie sich gegenüberstanden hatte sie der Überlegung nachgegeben. Vielleicht war Robin eine gute Schauspielerin, was ihr Doppelleben betraf, doch ihr Anblick … Nami konnte nicht wegschauen, konnte nicht leugnen. Robin litt genauso unter der Trennung. Dabei spürte Nami eine gewisse Genugtuung. Wenigstens ein kleines bisschen durfte sie diese genießen. Immerhin war Robin schuldig. Sie hatte sich auf das Leben eingelassen, hatte keine Änderung herbeigeführt. Weder vor Nami noch während der Beziehung. Warum also Mitleid empfinden? Während Robin vermutlich normal weiter mordete? „Hat sie verdient. Wer nicht mitdenkt, bestraft das Leben.“ Schwach lächelnd, aß Nami weiter, obwohl ihr der Appetit langsam abhanden ging. „Will sie eine zweite Chance?“ „In der Art?“ Jedenfalls deutete Robin kein Aufgeben an. Sie hoffte auf eine Versöhnung, die Nami gerne in Betracht ziehen wollte. Zurück. Einfach zurück und ihre Gefühle ausleben. „Du haderst“, stellte Lola fest. Zu schnell schüttelte Nami den Kopf. Wem machte sie etwas vor? Natürlich haderte sie. Tat sie seit zwei Wochen. Wer konnte ihr das verübeln? Robin loslassen war schwierig und brauchte seine Zeit. Sehr viel Zeit. „Willst du mich belügen oder lieber dich selbst?“ Ruckartig schaute Nami auf. „Versteh mich, ich weiß, dass ich Robin liebe und solange die Gefühle vorhanden sind, werde ich mich fragen, ob eine zweite Chance besteht. Der Unterschied liegt darin, ob ich es tue oder eben standhaft bleibe.“ Und bislang war sie gut darin. Sie stand über ihren Gefühlen, gab nicht nach, obwohl sie der Schritt große Überwindung kostete. Lola richtete sich auf. „Ich wette, du wirst einen Moment haben, in dem du nachgibst und dich erneut auf sie einlässt, eben weil deine Gefühle stärker sind.“ Während Lola sich ihrem Essen widmete, als hätte sie nichts gesagt, saß Nami entgeistert da. Hatte sie das gerade wirklich gesagt? 3. März 2013 Das Herz schlug bis zum Hals. Lysop war längst aufgebrochen, doch weigerte sich Nami das Haus zu betreten. Eine Weile war sie unschlüssig auf und ab marschiert, bis sie auf der obersten Stufe Platz nahm. Vielleicht keine kluge Idee. Die Wärme ließ weiter auf sich warten, der Stein war kalt. Dennoch blieb sie, rieb sich nachdenklich die Handflächen. Eigentlich musste sie einfach die Tür aufschließen und reingehen. Fertig. Warum also das Hinauszögern? Lag wohl an der sie einholenden Realität. Das schlechte Gewissen brach endgültig durch. Lysops Erzählung hatte dem eines draufgesetzt. Ausblenden war keine Option. Natürlich würde sie sich erklären und die Sache mit Vivi bereinigen. Da der Moment aber kurz bevorstand, merkte Nami, dass das kein Kinderspiel war. Zumal sie nicht wusste, wie Vivis Reaktion ausfiel. Freute sie sich über ihre Rückkehr? Oder übersäte sie Nami sofort mit Vorwürfen? Stöhnend vergrub sie das Gesicht in den Händen. Natürlich machte ihr Vivi Vorwürfe, was sonst? Mit ihren großen Kulleraugen und ihrer überemotionalen Art … sie dürfte nicht mal böse werden. Das Problem hatte sich Nami selbst eingehandelt. „Und so entstehen Blasenentzündungen – hat man mir jedenfalls beigebracht“, hörte sie tadelnd. Panisch schreckte Nami auf. „Erschreck mich nicht so!“ Schneller atmend, sah sie zu Kobra hoch, der gelassen gegen den Türrahmen lehnte. Wie lange schon? Nami hatte ihn überhaupt nicht registriert. „Wenn wir schon dabei sind, ist dir bewusst, dass durch so etwas Herzinfarkte entstehen?“ „Was für eine herzerwärmende Begrüßung“, tadelte Kobra. „Bellemere wird stolz sein, wenn sie von deinem liebevollen Charme hört.“ Augenrollend schulterte sie ihre Tasche. Der anfängliche Schock war verschwunden. „Petze!“ Kobra lachte und trat zur Seite. „Bellemere wird sich freuen, dass dein Temperament zurückkehrt.“ Was hatte er gesagt? Bevor sie gänzlich eintrat, blieb sie neben ihn stehen, sah irritiert hoch. „Denkst du etwa wir stehen nicht regelmäßig in Kontakt? Du bist nicht gerade die Bilderbuchtochter, die sich regelmäßig meldet und ich machen mir genauso Gedanken um dich. Als schau nicht so.“ Da schob er sie schon weiter, damit er die Türe schließen konnte. Noch nie hatte Nami darüber nachgedacht. Hörte sich auch merkwürdig an. Beide am Telefon und plauderten über sie. „Dich schockierts wirklich“, sprach er weiter, als Nami nichts tat und ihn lediglich anstarrte. „Mit deinem Einzug bist du endgültig Teil der Familie geworden. Was überrascht dich?“ „Bekomme ich jetzt auch einen Igaram?“, war alles, das Nami dann sagte. Im Grunde dachte sie ähnlich, aber nun, wo er es aussprach, hörte es sich eben ganz anders an. Obwohl sie ihn und Vivi vermisste und froh war, wieder hier zu sein. Nicht, dass sie die Zeit zu Hause nicht genossen hatte, aber er hatte eben recht. Sie waren genauso ein Teil ihrer Familie geworden. Kobra kratzte sich am Kinn, fast als ob er tatsächlich ernsthaft darüber nachdachte. „War ein Scherz. Bloß nicht.“ „Wäre aber besser gewesen. Hätte dir Kummer erspart“, meinte er dann mitfühlend und sein Ausdruck veränderte sich. Ein trauriges Lächeln. „Falscher Zeitpunkt. Willkommen zurück“, lenkte er dann ab und nahm sie in den Arm. „Tut mir leid.“ Etwas anderes fiel ihr gerade nicht ein und es tat ihr leid. Von ihm kamen keine Vorwürfe, er tat, als wäre sie nicht Hals über Kopf verschwunden und, als hätte sie ihn nicht mit einer leicht hysterischen Tochter zurückgelassen. Nami kannte Vivi. „Wein oder härtere Geschütze? Ich habe gekocht.“ Mehr sagte er nicht, außer einem kleinen Schwenk, den Nami mit einem Lächeln quittierte. „Wein hört sich gut an.“ „Perfekt.“ Die Antwort genügte und Kobra machte sich in die Küche auf. Das mochte sie an ihm, auch wenn er in anderen Situationen wieder zu übertreiben wusste. Manchmal ertappte sie sich bei der Frage, warum Vergo ihm nicht ähnlicher war. Rasch schlüpfte Nami aus ihren Sachen. Das erste Hindernis war vorerst erledigt, aber das größere lauerte und ließ nicht lange auf sich warten. Sobald sie gedämpfte Schritte von oben vernahm, erstarb das Lächeln ruckartig. „Rutsch ja nicht aus“, nuschelte Nami in sich hinein. Vivi nahm schnelle Schritte und nur wenige Sekunden später fasste Nami sie ins Auge. „Hey du“, kam eine unschlüssige Begrüßung, deren wohl einziger Sinn darin bestand nicht in unangenehme Stillte zu fallen. Dem wollte Nami entgehen, fühlte sie sich schon unwohl genug, wenn sie Vivi anstarrte, die schweigend auf der letzten Stufe stand. Gerade dachte Nami alles in ihrem Blick zu erkennen, positiv und negativ. Stumm wartete Vivi, ließ sie zappeln oder wusste sie selbst nicht, was sie tun sollte? Als Nami erneut etwas sagen wollte, startete Vivi los und fiel ihr stürmisch um den Hals, das Nami ins Taumeln brachte. „Du erdrückst mich“, brachte Nami atemlos unter dem festen Griff hervor. Eher hatte sie mit einem Tobsuchtsanfall gerechnet. „Na hör mal! Erst spielst du Zombie, dann machst du dich aus dem Staub und zur Krönung tauchst du fast gänzlich unter!“, antwortete Vivi aufgebracht. „Ich habe mir höllische Sorgen gemacht – und dich zigmal verteufelt!“ Da kamen sie dem Kern schon deutlich näher. „Jag mir nie wieder so einen Schrecken ein!“ „Entschuldige. Mir ist alles über den Kopf gewachsen.“ Leider hatte sie dadurch Menschen vergessen an andere zu denken. An jene die nichts dafür konnten. „Ist aber kein Grund mich zu erwürgen.“ Vivi hielt sie auf Abstand, ihre Augen funkelten provokant. „Das überlebst du schon.“ „Wenn ich länger warten muss, lass ich euch verhungern!“, unterbrach Kobra ungeduldig aus dem Esszimmer. Augenrollend warf Vivi den Kopf zurück. „Kommen ja schon.“ Mit einem Seufzen nahm sie Nami erneut ins Visier, nahm schließlich einen strengeren Ausdruck an. „Glaub nicht, dass du aus dem Schneider bist, kapiert?“ „Wir sollten ihn nicht herausfordern“, entgegnete Nami grinsend, schob sie an Vivi vorbei, packte sie jedoch am Handgelenk und zog sie nach. Für den Moment war sie gerettet, aber später würde sie dem Gespräch nicht entkommen. Obwohl ihr danach war, würde sie nicht davonlaufen und hoffentlich nahm ihr Vivi die Erklärung ab. Dank Kobra war das Essen ohne Fragen ausgekommen. Normale Themen, ganz ohne auch nur eine unterschwellige Bemerkung. Frisch geduscht kehrte Nami ins Zimmer zurück und erntete einen vernichtenden Blick seitens ihrer Freundin. Mit verschränkten Armen saß Vivi am Bett – die Schonfrist fand ein Ende. „Platzt du gleich?“, wollte Nami die Spannung lockern, während sie ungerührt in den Hoodie schlüpfte und sich die Kapuze über den Kopf zog. Vivi lachte trocken, winkelte die Beine an. „Bevor du mir endlich sagst, was passiert ist, muss ich etwas gestehen. In meiner Rage habe ich eventuell einen Blödsinn angestellt und-“ „Du meinst der Überfall auf Robin?“, unterbrach Nami seufzend. Schwungvoll ließ sie sich aufs Bett nieder, legte sich auf den Rücken. Nur kurz warf sie einen Blick zur Seite, ehe sie einfach zur Decke starrte. „Sie hat mir geschrieben.“ Hörbar atmete Vivi durch. „Dein Blockieren hat mich sauer gemacht.“ Als ob ihr Nami Vorwürfe machte. Dafür hatte sie sich eine Spur zu weit aus dem Fenster gelehnt. In ihrer Lage hätte Nami vermutlich ähnlich reagiert. „Hat sie dir alles erzählt?“ „Inwieweit?“ Nun schielte Nami fragend zur Seite. Robin hatte bloß erwähnt, sie sollte sich endlich bei Vivi melden. Schief grinsend neigte diese den Kopf. „Ich habe ihr an den Kopf geworfen, dass ich meine Entscheidung bereue. Ich hätte dich nie mitnehmen sollen. Dann wäre sie dir erspart geblieben – zur Verteidigung, die Frau macht mich rasend. Wie sie den Eisklotz mimt und tut, als steht sie über allem!“ Eingeschnappt schnaufte Vivi. „Wer wird da nicht wütend?“ Als die erste Überraschung verflog, brach Nami in lautes Lachen aus. Nein, den Teil hatte Robin ausgelassen. Robins Gefühlslosigkeit und Vivis Überreaktion, das konnte nur schief gehen. „Wurde auch Zeit. Einen Fehler gesteht man sich lieber spät als nie ein. Ich habe mich von Anfang an gegen den Abend ausgesprochen“, feixte Nami im Spaß. Natürlich hatte sie damals lieber anderweitig ihre Zeit verbracht. Natürlich war sie im Nachhinein heilfroh gewesen. Früher oder später wären sie sich so oder so über den Weg gelaufen. Irgendwo in der Stadt oder eben in der Bar. Vivis Einfall hatte ihnen Zeit geschenkt, worüber ein Teil noch immer dankbar war. „Für den Rest übernehme ich keine Verantwortung“, winkte Vivi ab, ehe sie dann einen ernsteren Ton anschlug. „Erzählst du mir endlich, was passiert ist?“ Nun wich Nami ihrem Blick wieder aus. Mit diesen traurigen und mitfühlenden Augen kam nicht zurecht. Nicht nur, weil sie das Schlimmste vertuschen musste. Um ihnen zu entgehen, schloss sie ihre. Das war nicht gut. Zeit. Nami nahm sich Zeit. Suchte nach der passenden Formulierung, obwohl sie das Gespräch bereits etliche Male durchgegangen war. Immer und immer wieder. Nun, wo der Moment gekommen war, stockten ihre Gedanken. Dasselbe Spiel wie mit Robin. Nervös begann sie an ihrem Ärmel zu zupfen. „Robin und ich“, setzte sie an, biss sich leicht in die Unterlippe, ehe sie mit einem tiefen Durchatmen zur Erklärung ausholte: „Rückwirkend ist das Scheitern vorherbestimmt gewesen. Robin hat mich mehrmals gewarnt und ich habe ihre Warnungen in den Wind geschlagen. Meine Hartnäckigkeit hat uns in die Miesere geführt. Robin hat sich für mich verbogen … auf Dauer unmöglich.“ „Sie hat dich also betrogen?“ Ein weitreichendes Wort wie Nami mittlerweile feststellen musste. Zum Glück dachten sie alle an einen Seitensprung. „Der Gedanke ist mir sofort gekommen, aber – ich habe ihr das Fremdgehen sogar an den Kopf geworfen“ Irgendetwas an Vivis Tonfall brachte ein schlechtes Gefühl mit sich. „Scusi, aber Robin und Fremdgehen in einem Satz? Okay, bis du aufgetaucht bist, war Robin ein unbeschriebenes Blatt. Niemand, den ich kannte, hatte dahingehend Einblicke. Ihr Privatleben war halt privat. Dennoch passt ein Ausrutscher nicht ins Bild. Er passt einfach nicht.“ Wenn du bloß wüsstest, dachte sich Nami und schluckte. Deshalb die Angst vor diesem Gespräch. Vivi mochte manchmal naivere Ansichten haben, aber sie war eben nicht auf den Kopf gefallen. Hinterfragte. „Robin hat mich eben gewarnt. Sie sei nicht für Beziehungen geschaffen. Eigentlich findet sie keinen Sinn darin. Arbeit geht vor, sie will nicht eingeschränkt sein. Das Zwischenmenschliche liegt nicht, nicht auf Dauer.“ „Was für eine billige Ausrede!“, entgegnete Vivi energisch. „Die Art dir gegenüber, ihre Blicke. Und plötzlich wachsen ihr die eigenen Gefühle über den Kopf und macht was? Sucht sich das nächstbeste Flittchen? Du glaubst daran?“ Schmerzhaft zog sich Namis Magen zusammen. Als ob man ihr das sagen musste. Natürlich hatte Nami alles hautnah miterlebt? Umso vernichtender waren nun der Ausgang und das Verschweigen der Wahrheit. Rückte sie mit dem Grund heraus, würde sie keine weiteren Erklärungen brauchen. Ein Satz, nein, ein einziges Wort reichte und man verstand ihre Entscheidung. Warum alles von einer zur nächsten Sekunde aus dem Ruder gelaufen war und warum Nami nicht explodierte. „Wir können in niemanden hineinsehen. Nicht zur Gänze.“ „Warum hast du nicht früher mit mir geredet?“, fragte Vivi vorwurfsvoll. „Ich wollte nicht reden, nur verschwinden.“ „Mit dem widerlichen Arschloch!“, presste Vivi zähneknirschend hervor. Den Enkel ihm gegenüber lebte weiter, sie hielt nichts von ihm. Bis vor einer Weile teilte sie ihre Einstellung vollständig. „Hat sich ergeben?“ Eine bessere Antwort fiel ihr nicht ein. „Du weißt, wie sehr ich Robin liebe. Für keine andere habe nur annähernd ähnlich empfunden. Es hat mir den Boden weggezogen und Law ist zufällig in der Nähe gewesen.“ Nun erst öffnete sie wieder die Augen, sah entschuldigend hoch. „Es tut mir aufrichtig leid, dass ich dich so ignoriert und im Dunklen gelassen habe.“ Nachdem Vivi sie einen Moment lang bloß anstarrte, zog ihr schließlich brummend die Kapuze tiefer. „Hey!“ „Lass deinen Hundeblick! Der taugt nichts.“ „Oh bitte, er funktioniert“. Wenigstens ein wenig, um ihre Freundin zu besänftigen. „Sei ehrlich, lange kannst du mir nicht böse sein.“ „Denkst du“, antwortete Vivi kopfschüttelnd. „Irgendwie fehlt mir ein Bindeglied“, gestand sie dann leise und legte sich endgültig hin. Dabei rückte sie das Kissen zurecht. Nami merkte das schneller werdende Herz, den leichten Hauch von Panik. Immer wenn sie dachte, sie wäre auf dem richtigen Weg, musste Vivi wieder den Kurs ändern. „Du verschweigst etwas. Mein Gefühl irrt selten.“ „Vivi-“ „Hör mir zu“, unterbrach sie sogleich. „Robin ist intelligent, charmant, reich und obendrein verdammt heiß. Ob Mann oder Frau, das habe ich dir vor Monaten gesagt … blöd gesagt, stehen genügend für Robin an. Bislang hat sie einfach perfekt gewirkt, darin liegt wohl das Problem. Perfektion ist eine Illusion und jede wird irgendwann zerstört. Hat Robin einen Haken? Liegt auf der Hand, aber der den du andeutest? Andererseits passt das Gesagte zu den etlichen Ablehnungen oder warum sie nie in Begleitung aufgetaucht ist.“ „Aber?“, nuschelte Nami. „Hat sie für dich alles auf den Kopf gestellt. Und so jemand lässt dich für eine billige Nacht fallen? Ich bleibe dabei, mir geht etwas Grundlegendes ab.“ „Sie hat den Versuch gewagt und gescheitert. Daran gedacht?“ „Wenn du meinst.“ „Hör auf zu hinterfragen. Tut dir nicht gut.“ Unter anderen Umständen hätte Nami kein Problem mit ihren Gedankenspielen. Hierbei konnte der Schuss nach hinten los gehen. Manchmal war aufhören die sicherste Option. Da dachte sie gar nicht an Vivi als Tochter des Bürgermeisters, sondern vielmehr an Vivi als ihre beste Freundin, die sie nicht in Schwierigkeiten bringen wollte. Die für manche Angelegenheiten ein zu gutes Herz besaß und sich zu sehr hineinsteigerte. Nami malte sich lieber nicht aus, was geschah, sollte Vivi jemals das volle Ausmaß erfahren – sie musste schweigen, um jeden Preis. „Ist leider angeboren.“ Das hörte sie nicht zum ersten Mal. „Man hinterfragt gewisse Sachen. Robins Auftauchen, ihre Suche nach dir. Oder Sanji. Stand kurz nach deiner Abreise auf der Matte. Oder Zorros Stimmungsschwankungen … bekomme ich da eine genauere Antwort?“ Nami schnalzte mit der Zunge. Während des Gesprächs hatte Nami auf die Jungs vergessen, somit auch auf Lysops Erzählungen. Natürlich dachte man sich seinen Teil. Hätte Nami nicht anders gemacht. „Okay, sagen wir, sie haben etwas mitbekommen und den Mund gehalten. Erst Robin, dann habe ich das mit den Jungs erfahren. Wie gesagt, mir ist die Situation zu viel geworden.“, erwiderte Nami nüchtern. Was dieses Chaos anging, waren sie eindeutig zu sehr ineinander verstrickt. Da blieben Veränderungen nicht ungesehen. „Idioten!“, stieß sie schrill aus, wodurch Nami erschrocken zusammenzuckte. „Wie können sie so dumm sein? Irgendeinen Zusammenhang habe ich befürchtet. Immerhin ist wieder alles zusammengekommen. Wie damals, weißt du noch? Die merkwürdigen Zufälle?“ Falsches Beispiel. Ein verdammt gefährliches Beispiel, das Nami ungut aufstieß. An Vivis Worte erinnerte sie sich noch recht gut. Nami hatte ihre Gedanken als Humbug abgestempelt. Dabei hatte sie auf ihre Weise ins Schwarze getroffen. „Wieder Robin und Zorro. Was für ein Zufall.“ „Vivi.“ Allmählich glaubte Nami sich betraten hauchdünnes Eis. Ihr missfiel die Richtung ganz und gar. „Entschuldige“, gab sie gefrustet zurück. „Soll ich ihnen die Leviten lesen?“ „Um sie kümmere ich mich, okay?“ Momentan brauchte sie keine weitere Auseinandersetzung. Brach Vivi einen Streit vom Zaun – nein, darauf verzichtete Nami liebend gern. Ohne die Hintergründe kam nur ein unnötiger Stunk heraus. Zorro und Sanji waren ihre Angelegenheit, um die sie sich schon bald kümmerte. „Weißt du, ich bin heilfroh, dass du zurück bist, aber irgendwie wirkt alles gleich verworren, wie vor deiner Abreise.“ Und wieder rührte sich das schlechte Gewissen. Ungewollt zog sie Vivi mit in ihr Chaos. Mit jedem Schritt. Bewusst darüber, wie ihre Freundin tickte, aber welche Wahl blieb ihr? Lieber kleine Brocken, statt die volle Wahrheit. „Momentan habe ich nur noch eine Frage“, begann Vivi vorsichtig und wartete bis Nami zu ihr sah. „Willst du Robin abhaken oder siehst du noch eine Chance?“ Bei all den möglichen Fragen kam ausgerechnet jene die Nami keinesfalls in den Sinn gekommen war. Dementsprechend verwirrt hob sie eine Braue. „Du trägst ihren Hoodie.“ Da ging ein Licht auf. „War griffbereit“, murmelte sie und zog die Kapuze tiefer. Unbewusst hatte sie ihn angezogen. Er lag ganz oben und sie trug ihn oft. Irgendwie wurde daraus eine Gewohnheit. Leider war er auch verdammt bequem. Robin besaß kaum solche Kleidungsstücke und den hatte Nami seit einer ungeplanten Übernachtung, er hatte bloß nie zurückgefunden. 2. März 2013 »Sorry. Brauche noch ca 10 Min«, las sie kopfschüttelnd Laws Nachricht. Aufgrund eines Notfalls hatten sie die Verabredung bereits nach hinten verlegt. Allerdings war sie nicht böse. In seinem Job kam das vor. Ihm wurmte die Verspätung eher, schließlich legte Law einen Wert auf Pünktlichkeit. Da ihr Glas fast leer war und er bald aufkreuzte, orderte Nami eine neue Bestellung. Für sie beide. Law trank in der Regel dasselbe und nach dem Arbeitstag, da brauchte er definitiv härteres als ein Glas Wein. Entspannt lehnte sie zurück. Der vollgepackte Tag neigte sich langsam dem Ende entgegen. Gestern war sie für sich geblieben. Absichtlich hatte sie sich zurückgezogen, von allen anderen abgekapselt. Zwischendurch war sie lange spazieren gewesen. Im Grunde hatte sie sich erneut in ihrer Gedankenwelt wiedergefunden, aber mit einer anderen Ausgangslange. Mit einem neuen Blickwinkel, den sie bislang bewusst ignoriert oder verdrängt hatte. Statt sich selbst in den Vordergrund zu rücken, hatte sie lange über Robin, Zorro und Sanji nachgedacht. Wie ihre eigenen Schritte aussahen. Auch hinsichtlich des Wiedersehens mit Vivi. Ein Punkt nach dem anderen. Das nahm sie sich vor. Wenn sie zurückwollte, dann musste sie klärende Gespräche führen. Nach der bestmöglichen Lösung suchen. „Entschuldige meine Verspätung“ Law kam gehetzt hereingeschneit, zeitgleich mit dem Kellner, der die Getränke brachte. Noch immer kannte Nami nicht den Grund für Robins Besuch. Ob Lola Recht hatte? War sie ihretwegen hier? Ihr fehlte die Verbindung, schließlich verlor Law kein Wort über ein mögliches Auflauern oder ähnliches. Amüsiert lächelnd, betrachtete sie Law. Er hatte sich eindeutig beeilt. Normalerweise achtete Law auf sein Auftreten, nicht heute. Die Haare waren leicht zerzaust, ein normales Shirt und Jeans. Vom gestriegelten Haar bis über zum perfekt sitzenden Anzug, so hatte sie Law Trafalgar kennengelernt. So trat er stets auf. „Steht dir“, neckte Nami grinsend. „Witzig. Hab’s nicht mehr nach Hause geschafft“, entgegnete er trocken und setzte sich ihr gegenüber. „Danke, genau was ich brauche“, deutete er auf den Drink vor sich und nahm einen kräftigen Schluck, ehe er hörbar aufatmete und sich zurücklehnte. „Ist alles gut ausgegangen?“, fragte Nami nach einer Weile, in der sie ihn bloß beobachtet hatte. Er schien ausgelaugt, fertig vom Tag. „Vorerst.“ Wenn er von der Arbeit sprach, wirkte er vollkommen ausgetauscht. Nichts von einem überheblichen Getue. Zwar feierte er schwierige Operationen, doch er sah sich nicht als einen Gott in Weiß. Er zeigte Mitgefühl, war einfühlsam. Law lebte förmlich auf. Umso mehr verstand Nami nicht, warum er nicht öfter diese Seite zeigte. Nicht ständig das arrogante Arschloch mimte. Leider untermauerte es Namis Abscheu. Die Abscheu seiner Taten über. Warum er sich auf Lucci eingelassen hatte. Er hatte andere Möglichkeiten. Manchmal, seit sie mit ihm näher in Kontakt stand, fielen ihr die beiden Seiten extrem auf. Manchmal glaubte sie, dass der Mann, der gerade vor ihr saß, seinen wahren Charakter zeigte. Manchmal wiederum wirkte es genau umgekehrt. „Erzähl, hat sich deine Einstellung geändert?“, fragte er neugierig und stierte sie ernst an. Da, wie ein Schalter. Als hätte er Law den Chirurgen abgelegt. Schleichend hatte sich seine Ausstrahlung verändert, er saß gerader, angespannter da. Kopfschüttelnd nippte sie am Wein. „Morgen Nachmittag fliege ich zurück und bleibe. Venedig fühlt sich nach Heimat an, ich vermisse es.“ Ihm missfiel ihr Vorhaben. Dafür brauchte er keine Worte. Für ihn war von Beginn an klargewesen, was zu tun war. „Vivi wird eine harte Nuss und ich will mit den Jungs reden. Einen Mittelweg finden.“ Unweigerlich wich er ihrem Blick aus, rief nach dem Kellner, während er den Rest in einem Zug leerte. „Das Prinzesschen wird sich freuen.“ „Nenn sie nicht so.“ „Warum?“, fragte er mit gehobener Braue. „Ist sie doch. Nichts für ungut. Sie ist nett, aber ein verwöhntes Töchterchen. Bisschen mehr Realität täte ihr gut. Kein Wunder, wenn man so behütet aufwächst.“ Um den ersten Impuls zu unterdrücken, atmete Nami tief durch. Er mochte Vivi genauso wenig, wie alle anderen. Vermutlich, weil die Abneigung auf Gegenseitigkeit beruhte, weil sie ihm genauso wenig um den Hals fiel, wie Nami selbst. „Magst du irgendjemanden aus meinem Umfeld?“ „Bellemere“, gestand er schulterzuckend. „Ich mag deine Mutter, sie ist umwerfend.“ Schnell hob er verteidigend die Hände. „Bitte, denk nicht in die falsche Richtung.“ Nami lachte. Ehrlich gesagt, war ihr der Gedanke sogar gekommen. Bei Law schien alles möglich. „Habe eher an Vergo gedacht“, meinte sie nachdenklich. Er verbrachte mit ihm weitaus mehr Zeit. Daher war Vergo von Laws Flirtversuchen ihr gegenüber begeistert. Für ihn galt Law als perfekter Schwiegersohn. Leider zeigte er für die falsche Tochter Interesse. „Law?“, fragte sie leise, denn er schwieg, starrte merkwürdig zu Boden. Keine Antwort, erst als sie mit der Hand vor seinem Gesicht fuchtelte, sah er auf. Setzte wieder das überhebliche Grinsen auf. „Sorry“, winkte er ab. „So abwegig, dass ich deine Mutter mehr mag? Manches an ihr erinnert mich an meine.“ Nami wollte schon antworten, da fiel er unweigerlich ins Wort. „Was passiert mit deiner Holden? Hat sich deine Einstellung geändert?“ Nami lehnte mit verschränkten Armen zurück. Über das Treffen schwieg sie eisern. Irgendwie wollte sie ihm nichts erzählen. Entweder, weil er involviert war oder weil es ihn nichts anging. Den genauen Grund konnte Nami nicht nennen. Eventuell eine Mischung aus beidem. Immerhin hatte er die Seite gewählt, blieb standhaft, ganzgleich was sie redeten. Nicht nur hinsichtlich Robin. Und gerade war ihr nicht danach sich zu erklären. Erklären was Robins Anwesenheit auslöste, warum sie mit ihr gesprochen hatte. Darüber, dass ihr Herz weiterhin denselben Takt vorgab, dass sie sich am liebsten über alles stellte, um bei Robin sein zu können. Nein, er war der falsche Gesprächspartner und er könnte genauso gut durchdrehen. Er hatte den Stein ins Rollen gebracht, er kannte die Wahrheit. Sein Leben stand auf dem Spiel. Wenn sie schon panisch reagiert hatte, wie sah es in ihm dann aus? Wo er nicht auf Robins Versprechen hoffen durfte. „Solange nichts geschieht, bleibe ich dabei. Nichts dringt an die Öffentlichkeit, ich will keine Aufmerksamkeit – Venedig ist größer als man meint, wir können uns aus dem Weg gehen.“ „Bist du dir sicher?“ „Im Gegensatz zu uns, können sie schneller Schaden anrichten.“ „Die kleine Nami blind vor Liebe – Liebe das größte Übel, das uns ungetan wurde“, sagte er abwertend und lachte frustriert. „Nun gut, dein Wunsch sei mir Befehl. Nichts dringt an die Öffentlichkeit.“ Irgendetwas lief verkehrt. Nami wusste nicht warum, aber ein merkwürdiges Gefühl beschlich sie. „Was ist los?“ Kapitel 50: Mal commune, mezzo gaudio. -------------------------------------- Geteiltes Leid ist halbes Leid. 28. Dezember 2012 Vermehrt schielte Nami hoch. Während Robin in der Früh noch normal gewesen war, war sie nach und nach wortkarger geworden. Seit ein paar Minuten gingen sie schweigend und das machte Nami stutzig. Bis der Groschen fiel – das Essen. „Du bist nervös!“, stelle Nami verblüfft fest und blieb stehen. „Aber warum?“ Nami festigte den Griff, der Robin automatisch zum Stillstand zwang. „Nenn du mir einen Grund“, antwortete Robin sogleich mit zweifelndem Blick. Eine Spur zu rasch. Der Gedanke ergab Sinn. Warum war schleierhaft. „Kobra … er ist dein Problem, oder?“ Natürlich. Schon seit Wochen lag er Nami in den Ohren. Bislang hatten sie keine Zeit gefunden, nun fanden sie kein Entrinnen und Nami hatte ein wenig Überzeugungsarbeit leisten müssen. In der Heimat würden solche Zusammenkünfte im Fiasko enden. Bellemere und Nojiko waren nicht das Problem. Sie waren neugierig, stellten Fragen, aber waren sie nicht ungut. Vergo war derjenige, der nach Lust und Laune Seitenhiebe austeilte, die Stimmung nach und nach ins Kippen brachte. Kurze Treffen reichten. Nervosität ihrer Familie gegenüber hätte Nami sofort verstanden. Kurzweilig dachte sie, dass es an Robins allgemeiner Art lag. Sie machte sich Gedanken, ständig und eindeutig zu viele, auch über eigentlich Unwichtiges. Und Nami hatte Zeit gebraucht, um die Nuancen zu erkennen. Feine Unterschiede, denn Robin wusste, wie sie sich nach außen geben musste, während ihr Inneres anders aussah. „Wir verspäten uns“, wich Robin aus, überspielte neuerlich die Frage. Nami stand dieser Art gespalten gegenüber. Manchmal wurde sie rasend, manchmal musste sie schmunzeln. Robin war eben Robin. Nami ließ endgültig von Robins Hand ab und warf einen prüfenden Blick auf ihre Uhr. Zeit hatten sie. „Werden wir nur, wenn du dich stur stellst“, konterte Nami daher und zeigte keinen Willen weiterzugehen. „Du hilfst Vivi mit ihrer Abschlussarbeit, redest so mit ihr. Mit Kobra verträgst du dich. Also, sag mir, was dein Problem ist. Dich erwartet nicht meine Familie.“ Nicht die härteren Geschütze. Hörbar atmete Robin aus. „Er kompensiert. Ist dir das nicht aufgefallen?“ „Was?“, fragte Nami ihrerseits und hob die Brauen. Okay, er hatte öfter gefragt oder lenkte das Thema auf Robin. Kobra hatte eben eigene Ticks und Vivi machte ihm in dem Fall einen Strich durch die Rechnung. Selbst wenn sie jemanden hätte, würde sie ihn so schnell nicht mit nach Hause nehmen, vermutlich sogar recht lange schweigen. „Rede weiter.“ „Bevor wir ein Paar wurden, war er anders. In den letzten Gesprächen? Er spielt bisschen den väterlichen Beschützer. Du gehörst offiziell in seinen Kreis – stell dir vor, es kann anstrengend sein.“ Da zuckten ihre Schultern. „Momentan ziehe ich Vergo vor.“ „Du machst Witze! Der geht dir an die Substanz!“ Abwinkend grinste Robin. „Oh bitte. Sobald er versteht, fällt er aus allen Wolken. Immerhin vergnüge ich mich im Bett mit seinem Problemkind, vor dem er mich gewarnt hat. Hört sich nach Spaß an. Deine Mutter wäre ein anderes Thema.“ Entgeistert starrte Nami ihre Freundin an. Nicht gelogen, das taten sie und der Sex – falscher Zeitpunkt. Nami atmete durch. „Willst du mir gerade sagen, dass du mehr Respekt vor Kobra hast als vor Vergo?“ Wenn dem so war, dann hatte sie eindeutig einen weiteren Grund gefunden, warum sie diese Frau liebte. Und doch ein seltsamer Gedanke. Kobra mochte Robin, beide kannten sich Jahre. Leider neigte Kobra eben zu übertreiben, aber das wusste er bei seiner Tochter. Seit sie Gefühle für Ruffy hegte, hatte sie keine weiteren Dates gehabt. Wimmelte Verehrer um Verehrer ab. „Irgendwie schräg, findest du nicht?“ „Kannst du laut sagen.“ „Wenigstens ist Igaram abwesend, der Kerl steht nichts nach.“ „Natürlich … den kennst du auch.“ War sie die Einzige, die ihn nie zu Gesicht bekommen hatte? Und das in den drei Jahren, in denen sie dasselbe Internat besucht hatten. „Ist er hier, dann begleitet er Kobra hie und da. Zusammen sind sie in manchen Belangen Kindsköpfe, bloß ist sein Anhängsel ein nerviger Geselle. Ich habe mir mal ausgemalt, ihn in die Luft jagen zu lassen. So ein kleines Boot“, brach Robin ab und deutete mit Handbewegungen eine Explosion an. „Egal, langsam verspäten wir uns.“ „Du bist unmöglich“, seufzte Nami und strich sich den Nasenrücken entlang. „Was denn? Mit dem Thema hast du angefangen.“ Da griff Robin nach ihrer Hand. „Die Einladung fühlt sich fremd an. Unter Freunden ist einfach anders“, fügte sie hinzu, nachdem sie ein paar Schritte gegangen waren. Als kein weiteres Wort fiel, ließ Nami das Gespräch auf sich ruhen. 9. März 2013 Überraschend fit stand Nami wartend an der Kaffeemaschine. Erst kurz nach sieben Uhr. Normalerweise schlief sie an Wochenenden aus. Manchmal dem Ausgehen geschuldet, manchmal den anstrengenden Tagen, aber an und für sich war sie keine Frühaufsteherin. Unter der Woche hatte sich Nami in die Arbeit gestürzt, war weitaus früher schlafen gegangen. Anders als vorher, aber notwendig. Der Schlafmangel musste irgendwie hereingeholt werden. Heute stand auch der nächste Punkt an – Zorro und Sanji. Im Grunde hatte sie sich mehr Zeit genommen. Erst in den Alltag zurückfinden, dann den nächstgrößten Brocken beiseiteschieben. Obwohl sich ein Teil widerstrebte, musste sie durch und am Vormittag bot sich die Chance mit beiden zugleich ins Gespräch zu kommen, bevor Sanji ins Restaurant aufbrach. Eine feste Entscheidung blieb aus. Ob sie beide in Zukunft mied oder mit ihnen einen Mittelweg fand, der das Miteinander erleichterte, stand in den Sternen. Robin hatte sie doch wachgerüttelt – eine Grauzone existierte. „Sieh an, die Welt steht Kopf“, drangen die Worte zusammen mit einem erheiterten Lachen durch. Mit den Augen rollend griff sie nach der mittlerweile gefüllten Tasse. „Samstag und du bist vor meiner Tochter auf den Beinen. Wird im Kalender notiert.“ Nami stellte eine neue Tasse unter. „Würdest du auf deine Trips verzichten, würde dich mein Anblick weniger überraschen“, gab sie im Drehen zurück und streckte die Zunge heraus. Die Uhrzeit mag ungewöhnlich sein, doch Vivi schlief nach einer ausgedehnten Nacht wesentlich länger. Und gestern war sie ausgegangen. „Warum bist du schon auf?“ „Schlafen kann ich später zu genüge“, scherzte er und ging zum Kühlschrank. „Stell dir vor, ich habe ein Privatleben und Pläne.“ „Eine Frau?“ Über die Schulter warf er ihr einen tadelnden Blick zu. „Was denn? Ich passe mich dir an.“ „Frühstück?“ Nami schüttelte den Kopf. Hunger hatte sie keinen. Definitiv ein bisschen zu früh. „Wehe du möchtest etwas von meinem Omelett ab.“ Nami lachte nur, während sie die Schlagzeilen überflog und vorsichtig am Kaffee nippte. Viel brauchte sie sowieso nicht essen, auch wenn sie hungrig werden würde. Sanji hatte bereits erwähnt, er würde einen Brunch vorbereiten. Nicht gerade passend für das zu besprechende Thema, aber auf der anderen Seite diente Essen manchmal als perfekte Ablenkung, sollte das Gespräch ins Stocken kommen. „Hat dein zeitiges Aufstehen mit eventuellen Plänen zu tun?“, fragte Kobra nun, wobei Nami seine Neugierde deutlich heraushörte. „Vielleicht?“, antwortete sie amüsiert. Gab sich genauso wortkarg, wie er selbst, wissend, dass ihn das umso mehr anstachelte. „Triffst du dich mit Robin?“ Er kam direkt auf den Punkt und die Frage ließ Nami aufblicken. Als ob er etwas Belangloses gesagt hätte, schüttete er die Eiermasse in die Pfanne. „Wie gesagt, Bellemere und ich telefonieren und dein Spontantrip … ich habe ein paar Jährchen mehr auf dem Buckel. Liebe ist sonderbar und lässt uns Einstellungen über Bord werfen. Wir tun Dinge, die wir unter anderen Umständen nie tun würden.“ Bellemere. Nami zog die Brauen zusammen. Mit Sicherheit wusste er von Robins Aufenthalt. „Du bist vernarrt in sie – nicht negativ verstehen. Kann mir bloß nicht vorstellen, dass du die Sache einfach abhakst.“ Sofort schluckte sie die aufkommende Wut hinunter. Langsam ging ihr das Gerede der anderen gegen den Strich. Jeder schien dasselbe zu denken. Dass sie Robin verzieh. Dabei kannte niemand die Wahrheit. „Tun wir, aber irgendwann kommt der Punkt, an dem wir die rosarote Brille ablegen und die Realität bevorzugen.“ Wieder nahm sie einen Schluck Kaffee, ehe sie den Blick zurück auf die Zeitung lenkte. Weitaus weniger interessiert, sie diente als ausweichende Beschäftigung. Auf einen seiner Kommentare hatte sie bereits gewartet. Kobra hatte überraschend länger durchgehalten als erwartet, aber unter der Woche waren sie sich auch kaum über den Weg gelaufen. „Bin ich ehrlich, dann habe ich nie an einen Fehltritt geglaubt – der Frau gehört eindeutig der Kopf gewaschen. Dir eine andere vorziehen. Sie wird sehen, welchen Fehler sie gemacht hat. Oder besser, er ist ihr klar geworden. Habt ihr euch in Zürich ausgesprochen?“ „Wer hat dir davon erzählt?“, fragte sie verdattert. Bellemere hatte sie nichts erzählt, mit Absicht, aber genau da dämmerte es Nami. Sie brauchte Bellemere nichts sagen, ihre Mutter dachte sich ihren Teil, zählte zusammen, hatte sie neuerlich durchschaut. „Also doch!“ Die Omelette wurde auf den Teller gegeben. „Bellemere hat erzählt, dass Robin in der Stadt gewesen ist“, bestätigte er die Vermutung. „Okay, wir haben uns unterhalten. Ist deine Neugierde befriedigt?“ Entnervt blätterte Nami um. Bei solchen Problemen hasste sie alle beide, Bellemere eine Spur mehr, weil sie ihr noch weniger vormachen konnte. Umso schwieriger fiel Nami ihr Schweigen, die Wahrheit hintern Berg zu halten. Denn irgendwie wollte sie den Grund hierfür rauslassen, damit endlich Ruhe einkehrte und man aufhörte sich Gedanken zu machen. „Robin hat den Fehler eingesehen, meine Entscheidung steht. Wir gehen getrennte Wege. Thema erledigt.“ Darauf folgte keine Antwort. Hastig warf sie einen Blick zu ihm. Er aß entspannt an die Arbeitsplatte gelehnt, anstatt rüber ins Esszimmer zu gehen. Vermutlich würde er das Thema eben nicht fallen lassen. So recht wollte Nami die Meinung der anderen nicht verstehen. Ihr Interesse sollte irgendwann einfach aufhören, abgesehen von ihrem überhasteten Untertauchen war Robin Namis Problem. Privatsache, ob sie Einblicke gab oder nicht entschied sie. Was die Zukunft brachte, wie sie damit umging, war ihr Kampf und der würde sie noch länger begleiten. Das Risiko, das man mit Gefühlen wählte. Als sie mit der Zeitung durch und ihre Tasse gelehrt war, wollte sie schon los, ehe Kobra erneut das Wort erhob. „Menschen erzählen gerne. Abgesehen von Robin habe ich dich mit keiner anderen gesehen. Ich kann nur vom Gehörten und dem ausgehen das ich selbst erlebe.“ Nami hielt inne, sah ihn fragend an. Vom Gefühl her glich der Moment einem Déjà-vu. „Erinnerst du dich an den Abend, an dem du ihr deine Gefühle gestanden hast? Ich habe dir noch gesagt, du sollst ihr Zeit geben … ich habe länger geahnt, dass du dich in Robin verliebt hast und sie ist wirklich keine Frau, die für impulsive Entscheidungen bekannt ist. Sie kalkuliert, Verstand über Herz. Mit Bedenkzeit ist sie ihrem Herz gefolgt-“ „Worauf willst du hinaus?“, unterbrach Nami ungeduldig. Robin musste ihr niemand erklären. Weder ihre guten noch ihre schlechten Eigenschaften. Wobei es sich gerade anhörte, als wollte er Robin ins bessere Licht rücken. Oder holte er einfach weit aus? Kopfschüttelnd stellte er den Teller ab. „Ich habe dich gesehen, sie und euch zusammen. Das Ende kommt abrupt.“ „Robin hat Mist gebaut, da ist egal ob plötzlich oder schleichend.“ Namis Stimmung kippte. „Wenn man selbst die eine Liebe gelebt hat, glaubt man manchmal sie zu erkennen. Robin, und das weiß ich aus Gesprächen mit ihr, hat nie danach gesucht. Im Gegenteil, sie hat jede Chance im Keim erstickt. Bis du in ihr Leben bist.“ Schwach lächelnd nahm er einen Schluck Kaffee, der mittlerweile schon abgekühlt war. Nami ahnte, worauf er anspielte. Es missfiel ihr. „Soll ihre Entscheidung Fehlverhalten billigen?“ „Nein, aber die Art und Weise wie du dich gibst, zusammen mit ihrem Umdenken – manchmal sehen wir am Ende darüber hinweg, sobald Gefühle stärker wiegen.“ „Warum glaubt ihr alle, dass ich mich umentscheide?“ Wo niemand die Wahrheit kannte. Selbst ein Fremdgehen wäre Grund genug sie zur Hölle zu schicken. Nami verstand nicht, warum das überhaupt noch ein Thema war. Warum sie sich die Gedanken machten. Eigentlich sollten sie Robin verteufeln. „Weil Robin für dich nicht irgendeine Frau ist.“ „Liebe ist kein Garant.“ „Sie lässt uns aber Dummes tun.“ „Dafür haben wir einen Verstand, der uns vor dummen Ideen bewahrt“, sprach Nami mit ernster Miene, die in Wut umschlug, sobald Kobra lauthals zu lachen anfing. „Nami … so funktioniert Liebe nicht.“ 26. Dezember 2012 Bei der gestrigen Anspielung hatte Nami an ein kleines Essen mit Franky gedacht, stattdessen waren alle hier. Robins und ihre Freunde. Zusammen für ein kulinarisches Weihnachtsessen, das sämtliche Geschmäcker abdeckte (Natürlich hatte Sanji sich in der Küche helfend ausgetobt). Stimmengewirr und lautes Gelächter erfüllte den Raum. Und plötzlich war das sonst so großräumige Esszimmer geschrumpft. Nami stand im Durchgang, beobachtete die Meute und fühlte die Wärme ums Herz. Es war besser als jemals erwartet. Alle, die sie hier liebgewonnen hatte, fanden zusammen. Nicht in der Bar, wo sich die Grüppchen schon mal trennten oder man eigenem Interesse hinterherjagte. Nie hatte sie auch daran gedacht, dass sie sich alle verstehen würden. Die verschiedensten Charaktere, das unterschiedliche Alter, aber es funktionierte. Die Gruppe harmonierte auf eigene, vielleicht teils unverständliche Weise. Robins Hand legte sich um ihre Hüfte, gefolgt von einem Wangenkuss. „Franky hat seinen Schock überwunden.“ Hatte er. Immerhin war er derjenige gewesen, der Nami ständig in den Ohren lag, wenn es um Robins nicht vorhandene Begeisterung für Weihnachten ging. Das geschmückte Haus hatte ihn mundtot gemacht. Eine Weile war er ungläubig von Raum zu Raum gewandert. Nach all seinen Fehlschlägen hatten Robin Nami wegen, eine Ausnahme gemacht. „Verständlich“, lachte Nami und lehnte sich an ihre Freundin. „Dafür, dass dir Trubel missfällt, hast du dich mächtig ins Zeug gelegt“, feixte sie und schaute hoch. Tadelnd schnalzte Robin die Zunge. „Ist erträglich.“ Erträglich. Was für ein Blödsinn. Robin amüsierte sich genauso. „Danke.“ „Wofür genau?“ „Den Tag“, murmelte sie. Leicht drehte sie sich zu Robin, legte die Hand in ihren Nacken und zog sie für einen Kuss zu sich. Manchmal konnte Nami ihr Glück nicht fassen, das ihre Entscheidung nach Venedig zu ziehen, mit sich gebracht hatte. Auch wenn sie ihr Zuhause schon mal vermisste, die Familie und zurückgelassene Freunde, so hatte sie sich noch nie glücklicher gefühlt. Hier hatte sie alles das sie zum Leben brauchte. Als lebte sie einen Traum. „Wir wissen Bescheid, also Schluss. Bisschen mehr Rücksicht auf uns Singles!“, grölte Franky im Hintergrund. „Ich opfere mich gerne“, trällerte Sanji und breitete seine Arme aus. Während Vivis Wangen einen leichten Rotschimmer annahmen, quittierte Kalifa seine Worte mit einem Todesblick. „Sexuelle Belästigung, Bürschchen!“ „Na mein Süßer“, gab Kaku flirtend zurück und warf sich Sanji grinsend in die Arme, dem augenblicklich die Züge entglitten. „Zu mir oder zu dir?“ Zorro brach in herzhaftes Lachen aus, neben ihm stand Lysop der Mund offen. „Haben wir noch Nachspeise?“ Nami hörte das tiefe Seufzen ihrer Freundin, der sie spielend in die Seite boxte. „Als ob dir das keinen Spaß macht.“ 9. März 2013 Das Gespräch mit Kobra hallte nach. Sie war wütend. Als ob er einem kleinen Kind das Leben erklärte. Natürlich verflogen Gefühle nicht in Windeseile. Natürlich brauchten sie Zeit. Robin aus ihrem Herzen verbannen, und der Tag würde kommen, war keine Kleinigkeit. Da brauchte sie keinen Vortrag über die Liebe. Am Ende wusste sie haargenau, wie ihr Innerstes aussah. Jeden Tag fühlte sie den Schmerz den Robin hinterlassen hatte. Für den sie die volle Verantwortung trug. Umso mehr sollten sie aufhören ihre Schritte voraussehen zu wollen. Als ob Nami grundlos keine positive Lösung in Erwägung zog. Waren sie alle blind dafür oder hatte ihnen Robin auf andere Weise den Kopf verdreht? Manchmal kam es so rüber. Wenn sie bloß wussten, welche Überwindung das Gespräch gekostet hatte. Und das hatte sie am Ende überstanden. Vielleicht mit Anfangsschwierigkeiten, aber hatte sie nicht nachgegeben. Der erste Schritt in die richtige Richtung. Hier durften Gefühle keine große Rolle spielen. Hier musste der Verstand gewinnen, Und der Punkt wurmte sie gewaltig. Sie alle deuteten seine Niederlage an. Was, wenn sie die Wahrheit kannten? Blieben sie ihren Worten weiterhin treu? Wie gerne würde sie ihnen den wahren Grund unter die Nase reiben. Brummend bog sie um die Ecke. Sollte Nami jemals wieder eine Freundin haben, würde sie die Beziehung auf längere Zeit hin totschweigen. Sehr lange. Als sie nun den Kopf hob und sah wer ihr entgegenkam, blieb sie abrupt stehen. Zorro. Er ging gerade über die kleine Brücke, in der einen Hand eine Einkaufstasche, in der anderen sein Smartphone, das er gleich darauf in die Gesäßtasche schob. Er hielt er an, als er Nami erkannte. Nami mochte Sanji sehr. Sie sprachen viel, verbrachten Zeit miteinander. Mit Zorro war der Umgang dennoch ein anderer. Der Draht bestand seit ihrem ersten Gespräch an. Daher schmerzte seine Beteiligung eine Spur mehr. Bis vorhin hatte sie sich mehrmals ausgemalt, wie das Treffen verlief. Wie sie auf das Wiedersehen reagierte. Nun bekam sie eine Antwort. „Ciao“, begrüßte er versucht lässig, aber fehlte das sonst markante Selbstbewusstsein. Es nagte an ihm. „Der Giftmischer hat noch etwas vergessen“, wollte er ein unnötiges Schweigen verhindern. Er hob den Arm und ließ die Tasche baumeln. „Lass mich raten, Sanji übertreibt wieder?“ Vielleicht wussten sie gerade nicht, wie sie miteinander umgingen, aber alles war besser als zu schweigen – sie waren definitiv unterkühlt. „Hast du dir weniger erwartet?“ Lächelnd schüttelte Nami den Kopf. Ablenkend warf sie einen Blick durch den Raum. Hier hatte sie einige, lustige Stunden verbracht, auch nach Bonneys Abwesenheit. Jedoch war die Veränderung spürbar. Bonney hatte der Wohnung mit ihrer Art Leben eingehaucht. Von der durchgeknallten Ader kam ihr Ruffy am nächsten, er konnte eine Runde mitreißen, aber mit seinem Charme, der sich eben doch unterschied. Für das Gespräch blieben sie unter sich und der abenteuerlustige Bengel, wie sie ihn manchmal nannte, trieb irgendwo sein Unwesen. Zum Glück. Neben ihm könnten sie nicht offen reden, auch wenn er sich kaum dafür interessieren würde. „Für Ruffy ist Bonney noch immer weitergezogen, oder?“, fragte sie auf den Gedanken hin. Zorro nickte zustimmend. „Wir können ihm keine konkreten Informationen geben“, gab Sanji zu bedenken, nachdem er die Getränke brachte und Platz nahm. „Über ihren Aufenthaltsort wissen wir nichts, schon gar nicht über eine Rückkehr.“ Sanji hatte eindeutig übertrieben. Nie und nimmer aßen sie auf, dürfte Ruffy gefallen, wenn er nach Hause kam. Nun da sie beieinander waren, wurde Nami flau im Magen, obwohl sie vorhin trotz dem Anflug von Nervosität, Hunger verspürt hatte. „Na los, greift zu.“ Reflexartig tauschten Nami und Zorro einen vielsagenden Blick aus. Worte waren deplatziert, als ob alles beim Alten war. Zorros Mundwinkel zuckten leicht, ehe er sich abwandte und seinen Teller belegte. Wohl mehr, um keinen Streit vom Zaun zu brechen. „Hört ihr überhaupt von ihr?“ Neugierig war Nami. Bislang hatte sie an das Gesagte geglaubt. Nie hinterfragt, mit dem Wissen im Rücken wurde die Angelegenheit in ein anderes Licht gerückt. Räuspernd schielte Sanji zu Zorro. Dieser aß ungerührt. „Stronzo“, nuschelte Sanji bissig. „Über den eigentlichen Aufenthaltsort haben wir ebenkeine Informationen, aber“, und dabei trat er gegen Zorros Schienbein, „hat unser Romeo sie vor einer Weile gesehen. Eine verdammt riskante Aktion!“ „Was hast du?“, stieß Nami überrumpelt aus. „Wann? Wo?“ Zorro schluckte den Bissen hinunter, wobei er dem Koch einen wütenden Blick zuwarf. „Zum hundertsten Mal, die Idee ist nicht auf meinen Mist gewachsen!“ Da stand er auf und marschierte genervt in die Küche. Bestimmt holte er ein Bier. Bisschen früh, aber das musste er wissen. „Sanji“, begann sie leise, aber mit forderndem Ton, „klär mich auf.“ Bedachte sie die Gründe für ihr Verschwinden, dann war diese Aktion tatsächlich eine gefährliche Idee. Im schlimmsten Falle war alles umsonst. Wer stimmte einem Treffen zu das sämtliche Sicherheitsvorkehrungen über Bord warf? Seufzend bestrich Sanji das noch warme Olivenbrot. „Wir haben uns darauf geeinigt Gras wachsen zu lassen. Bonney aus dem Land bringen und abwarten, wie sich das Problem mit ihrer und meiner Familie entwickelt. Während den ersten Wochen bekamen wir kleine Updates, nichts Besonderes. Bis-“ Hörbar wurde der Kühlschrank geschlossen, das Sanji den Kopf schütteln ließ. „Miesepeter – Bonney lag ihnen in den Ohren, besonders nachdem sie Robin und den anderen anderweitig geholfen hat. Da haben sie ein Treffen kurz über der Staatsgrenze eingefädelt.“ „Wir haben uns gesehen, was ist daran so spannend?“ Zorro schien das Thema unangenehm und zeigte ihnen durchaus seine nicht vorhandene Begeisterung, als er zum Tisch zurückkehrte. Dabei nahm er einen großen Schluck Bier. „Was?“, fragte er auf Sanjis tadelnden Blick. „Andere nehmen Sekt, ich gönne mir ein bisschen Hefe.“ „Existieren wirklich keine Pläne, wann oder ob sie zurückkehrt?“ Dass Zorro ungern über Bonney sprach, war ihr nicht neu. Schon früher, als seine Gefühle offensichtlich waren, war er lieber ausgewichen. In dem Fall ähnelte er Robin. Robin – falscher Zeitpunkt. Nach den Erzählungen her ahnte Nami mittlerweile was ihr Verschwinden in ihm auslöste. Ein Ende ohne Anfang, sofern sich in Zukunft nichts änderte. „Noch nicht“, brummte Zorro verstimmt. „Wenn sie Venedig als Aufenthalt kennen, wird eine sorgenfreie Rückkehr schwer. Es sei denn … die Möglichkeit besteht, wäre aber unpassend.“ Entschuldigend lächelte Sanji und Nami verstand. Die kleine Anspielung war ausreichend. „Dieser Sakazuki steht im Weg?“ So viel wusste sie noch vom eigentlichen Stand. Danach hatte Zorro kein Wort mehr über den Mann oder Bonneys etwaige Vergangenheit verloren. Obwohl sie anfangs darüber gesprochen hatten, hatte er ab dem Punkt die Reißleine gezogen, damit Nami nicht zu sehr involviert wurde und sich ernsthafte Sorgen machte. Damals. Heute. Alles anders. „Der auf alle Fälle. Wichtig ist, dass Bonney lebt und den Umständen entsprechend gut geht. Bloß mit der Liebe-“ „Halt die Klappe!“, unterbrach Zorro. „Wir warten ab und schauen was die Zukunft bringt.“ Mit verschränkten Armen lehnte er zurück. „Reden wir endlich über das eigentliche Thema oder weichen wir länger aus?“ „Gehört doch zusammen“, entgegnete Nami trocken und aß ein Orangenstück. „Wenn ich mich recht entsinne, ist sie der Grund für dein Handeln. Und mit Sanjis Brüdern, die Bonney holen wollten, entsteht die zweite Verbindung. Die dritte ist … die andere Gruppe halt. Was ist dein Problem?“ Eine unnötige Frage, aber eine berechtigte. Bonney war ein Bestandteil des gesamten Ausmaßes. Ihre Geschichte brachte alles ins Rollen, rückte Zorro und Sanji aufs Spielfeld. „Da musst du durch“, bestätigte Sanji und gab zu seinem Sekt einen Schuss Orangensaft. „Wäre Bonney nicht entdeckt worden, wären wir nicht in dieser Lage.“ Nach einem Schluck wurde er ernster. „Meine Vergangenheit sollte ewig ruhen. Nachdem ich mich auf jede Weise von meiner Familie distanziert habe, habe ich kein Wort mehr über sie verloren. Obwohl ich meine Schwester mochte, waren sie für mich gestorben – meine Brüder haben nun tatsächlich das Zeitige gesegnet. Dass du anders darüber denkst, ist mir klar, Nami. Nur solltest du mich nicht mit ihnen in einen Topf werfen. Du hast keine Vorstellung davon, was ich mit diesen Menschen mitgemacht habe.“ Genussvoll biss er vom knusprigen Brot ab. Für ihn schien das Thema eine leichte Kost, denn ihr Magen rebellierte lauter. Nachdenklich beobachtete sie Sanji. Seine entspannte Art überraschte ihn. Auch wenn sein Tonfall sich ernst anhörte, war sein Körper entspannt. Da sprach er die Wahrheit. Ihre Sichtweise unterschied sich, eben wegen der eigenen Erfahrungen. „Zum Glück ist uns deine Schwester wohlgesonnen“, fügte Zorro an. „Sie und Bonneys Familie schlichen eine Weile herum und haben nach Spuren gesucht bis …“ Er wich Namis Blick aus, sah hilfesuchend zu Sanji. „Lucci als Sündenbock auserkoren wurde“, beendete der Koch zwischen den Bissen. „Wisst ihr, dass sich das alles nach einem schlechten Film anhört? Du willst wegschalten, aber irgendwie bleibst du dabei und der Mist brennt sich in dein Hirn ein.“ Vorbeugend massierte sie sich die Schläfen. Dass sie all das wussten, war eine Sache. Dass das alles aber direkt neben ihr abgelaufen war, damit haderte sie. Es war teilweise unverständlich, einfach unwirklich. „Keiner von uns hat vorausgesehen, wie sich unsere Leben verknüpfen. Dadurch entsteht schnell ein Bündnis. Eine Hand wäscht die andere, tut mir leid, Nami. Manches sollte lieber im kleinsten Kreis verweilen.“ In dem Punkt fühlte sie deutlich seine fehlende Reue. Sanji hätte sein Geheimnis mit ins Grab genommen. „Ich will niemanden rechtfertigen. Robin und ihre Freunde haben ihr Leben gewählt und mein Schweigen hat in erster Linie mit meiner Geschichte zu tun gehabt. Sie neu aufrollen … dahingehend muss auch ich verstanden werden.“ „Und mir wurde Hilfe zugesagt. Leider habe ich nicht gewusst auf welche Weise sie kommen würde“, setzte Zorro ein. „Ich bin ihnen bis heute dankbar. Wo Bonney jetzt wäre … das male ich mir lieber nicht aus. Das Leben hat mehr als eine schwarz-weiße Facette. Der Preis war mein Schweigen.“ Nami ließ den Kopf gesenkt, ließ die Worte sacken. Eigentlich sprachen sie aus, womit Robin sie bereits wachgerüttelt hatte. Beide hatten – leider – triftige Beweggründe. Mittlerweile hatte Nami aufgehört einzig ihre Sichtweise zuzulassen. Vermutlich hätte auch sie versucht ihre Vergangenheit totzuschweigen. Wahrscheinlich hätte sie für Robin genauso gut alles getan, um sie vor irgendwelchen Halunken zu retten. Je mehr sie in den letzten Tagen darüber nachgedacht hatte, desto schwieriger war ihr gefallen, sie dafür zu verteufeln. „Was hätten wir dir wegen Robin sagen sollen?“, fragte Sanji leise. „Uns war nur bewusst, dass ihr irgendwann getrennte Wege gehen würdet. Alles kommt ans Tageslicht. Dir Hinweise geben?“ „Zorro und ich haben die kleine Hoffnung gehabt, ihr würdet mehr Zeit haben oder Robin hätte eine Lösung parat, durch die es nie herauskommt.“ Nun blickte Nami auf, sah beide abwechselnd an. Robin nagte an ihr. Würde Robin nicht im Mittelpunkt stehen, hätte sie eventuell anders reagiert. Ihnen Gehör geschenkt, versucht ruhig zu bleiben und sie eher zu verstehen. Robin. Immer wieder Robin. „Rückblickend hat mir der Umgang wehgetan“, erklärte sich Nami. „Obwohl ihr gewusst habt, was sie tun, habt ihr eure Art nicht verändert. Wir haben oft zusammen gefeiert, ihr habt euch immer besser mit Franky verstanden. Geht man nicht ehr auf Abstand?“ Erneut tauschten sie Blicke aus, ehe Sanji zum Sprechen ansetzte. „Klingt merkwürdig, aber ich fand darin eine willkommene Abwechslung. Wenn du Jahre schweigst und dann jemanden findest, mit dem du dich austauschen oder einfach darauf los reden kannst … du musst mich nicht verstehen. Irgendwie hat mir das Reden gutgetan.“ Gegen Ende lächelte er entschuldigend. „Franky ist leider ein netter Kerl und er gibt mir Updates oder fädelt ein Gespräch ein. Zum Teil habe ich das Ausmaß auch gerne ausgeblendet. Das ist das Problem – außerdem hättest du Fragen gestellt.“ Nachdem Nami das Glas in einem Zug geleert hatte, schenkte sie sich Sekt nach. Zwar war sie ruhiger als erwartet, aber das Gespräch fiel ihr dann doch wieder nicht leicht. Wie sie vor ihr saßen, einerseits zeigten sie manchmal reumütige Züge, dann standen sie offen zu ihren Entscheidungen, ohne schlechtes Gewissen. „Du hast uns lange ignoriert, nun bist du offen für unsere Sichtweise“, legte Sanji nach. „Es liegt an dir, ob du uns zum Teufel schickst oder ob wir uns annähern. Letzterem bist du nicht abgeneigt, aber kannst du hinwegsehen?“ „Ich versuch’s?“, antwortete sie mit langgezogener Pause. „Wisst ihr, wie schwer es ist, wenn alles auf einmal einstürzt? Ich erinnere mich an den ersten Abend in der Bar. Da hast du mir“, und ihr Blick ging schwach lächelnd zu Zorro, „einzelne Details von euch gegeben. Aber hat mich das Ausmaß aus der Bahn geworfen. Immerhin habt ihr mir mit Robin immer den Rücken gestärkt, auch später. Da fühlt man sich dezent verarscht. Hinzu diese neue Welt, zu der ich nie gehört habe. Manchmal kommen Gerüchte über solche Menschen auf, irgendwo liest man vereinzelte Berichte, aber-“ „Die Geschichten sind bloß entfernte Geschichten“, beendete Sanji. Ja. Alles war in der Ferne. Das eigene Leben drehte sich in einer vollkommen anderen Bahn. Wenn sie dann unglücklich kollidierten, natürlich brauchte sie Zeit, um sich allein an ihre Gegenwart zu gewöhnen. „Habt ihr weitere Leichen im Keller versteckt?“ „Vielleicht holen wir endlich deine hervor“, neckte Zorro. Während des restlichen Essens hatten sie das Gespräch auf seichtere Themen gelenkt. Einfach zusammensitzen, essen und reden. Ein bisschen Normalität. Etwas, das Nami vermisst hatte. Abgesehen von Vivi waren beide eben ihre größten Bezugspersonen. Zwar mochte sie die anderen genauso, aber mit Zorro und Sanji war es eben wieder eine eigene Geschichte. Nami bereute ihr Weglaufen nicht, aber war sie froh über ihr Einlenken, die Suche nach einem klärenden Gespräch. „Soll ich mir einen antrinken?“, meinte sie stutzend, als Sanji nachschenkte. „Im Gegensatz zu uns musst du nicht arbeiten, außerdem lässt man den Schluck nicht übrig.“ Da schwenkte er grinsend die leere Flasche. „Der schon“, deutete sie auf Zorro, der das nächste Bier öffnete. „Ob betrunken oder nüchtern, findest du da einen Unterschied?“ Da brummte Zorro verstimmt. „Ein Nickerchen und der Alkohol ist draußen.“ „Oder du gibst spendable Mischungen aus“, konterte Nami amüsiert. „Ist möglich. Kannst ja vorbeischauen und es herausfinden.“ Könnte sie, aber wollte sie nicht. Noch nicht. Dafür schien sie nicht bereit, wissend, wer sie dort erwartete. „Franky kommt seltener“, durchschaute Zorro ihren Gedanken. „Robin schon gar nicht.“ Also stimmten Lysops Erzählungen. Dennoch existierte ein Restrisiko. Bei dem war ihr nicht wohl. „Habt ihr geredet?“, fragte Sanji. Den Teil hatten sie bislang übersprungen, nun war der Moment gekommen. Er lehnte zurück und betrachtete sie neugierig. Nami griff nach dem Sektglas. „Haben wir“, murmelte sie vor einem Schluck und wusste nicht so recht, ob sie näher darauf eingehen wollte. Höchstwahrscheinlich blühte dasselbe wie mit anderen Gesprächspartnern. „Sie leidet unter der Trennung“, setzte er nach. „Geschieht ihr recht“, warf Zorro ein das ihm einen überraschten Blick seitens Nami bescherte. „Was? Mein Schweigen ist keine Zustimmung. Wir zwei haben ihr gesagt, dass das nach hinten los geht. Gleiches gilt für ihre Freunde. Selbst Robin hat das Ende vorhergesehen.“ „Das Risiko ist sie aber eingegangen. Manchmal sind Gefühle eben stärker als der Kopf.“ „Woher willst du das wissen? Bei dir arbeitet der Schwanz, der Kopf ist auf Urlaub – Lass das!“ Sanji hatte ihm erneut einen festen Tritt gegen das Schienbein gegeben. „Dann halt du die Klappe!“, giftete Sanji. Nami betrachtete das Szenario kopfschüttelnd. Manches änderte sich nie, aber musste sie nebenbei an das Gesagte denken. Wenn Geheimhaltung oberste Priorität war, verstand Nami durchaus den Zwiespalt, den Franky, Kalifa, auch Kaku empfunden haben mussten. Leider auch den von Robin selbst. Das lange Nichtstun war verständlich geworden. Robins Warnungen, die sie allesamt stur in den Wind geschossen hatte. Natürlich wich Robin Beziehungen aus. Sie brachten Ärger mit sich. Sie funktionierten nicht auf Dauer. Außer die Frau stammte aus derselben Welt. Noch ein Schluck. Nami hatte durchaus noch Befürchtungen (niemand wusste, was bevorstand), doch zum Teil taten ihr ihre Unterstellungen leid. Dass Robin sie liebte, nahm sie seit dem Gespräch bewusster wahr. Wirklich liebte, auf dieselbe Weise wie Nami es tat. Für sie hatte Robin tatsächlich sämtliche Einstellungen über Bord geworfen. Ja, mittlerweile sah sie in Erinnerungen keine Tagträume mehr. Sie waren die Realität. Eine pure, schmerzvolle Realität, die den Abschluss erschwerten. „Habt ihr nie Angst, sie könnten ein Schweigen erzwingen … ihr wisst schon …“ Erst mit ihren Worten wurde das Keppeln unterbrochen. Mit überraschtem Ausdruck sahen sie Nami an. Als ob sie gerade etwas vollkommen Dummes gesagt hätte. „Kalifa kann einschüchternd sein, aber nein. Leben und leben lassen“, fand Sanji zuerst die Sprache. „Na ja, ich habe durchaus mit dem Gedanken gespielt. Anfangs, ich meine, ich habe gesehen, wie die arbeiten. Die sind gut und manchmal geht eine Sicherung durch-“ „Du munterst sie gerade wirklich auf“, unterbrach Sanji angesäuert. „Nicht hilfreich!“ Zorro rollte mit den Augen über, abgesehen davon überging er den Einwand. „Deine Sorge ist berechtigt und Lucci passte perfekt ins Schema. Der hätte sogar seine eigene Mutter abgeschlachtet. Sie jedoch, sie haben irgendwie das Herz am richtigen Fleck. Ich weiß, klingt bescheuert, finde aber keine bessere Erklärung.“ Ein Schulterzucken untermalte die Worte. Hilfesuchend sah sie zu Sanji, der jedoch zustimmend vor sich hin nickte. „Ignoriert ihr deshalb die Umstände?“ „Hat dir Robin je Gründe gegebenen?“, hinterfragte Sanji dann. „Lösche das Doppelleben und sag mir, wann sie das Gegenteil gezeigt hat.“ Ihr fiel kein Beispiel ein. Das war ihr Dilemma. Wie alle hatte auch Robin ihre Ticks, aber da existierte nichts, das zu seiner Frage passte. Aus dem Blickwinkel, nein, unmöglich etwas gegen Robin zu finden. Es wurmte Nami, half ihr wieder keinen Schritt weiter. „Robin und ich haben seither oft geredet“, sprach Sanji weiter, da ihm Nami keine Antwort gab. „Ich kenne mittlerweile auch die Hintergründe. Robin hätte nie hineinrutschen dürfen und das Leben hinter sich lassen, ist kein Honigschlecken.“ „Du beschützt sie“, stellte Nami frustriert fest und es störte sie gewaltig. Müsste er nicht umgekehrt denken? Hatte er nicht die Reißleine gezogen und dieses Leben hinter sich gelassen? Früh genug? „Denkst du über Franky dasselbe?“ „Da redet nicht sein Schwanz“, warf Zorro ein. „Ist selten bei Frauen, aber kann vorkommen.“ „Galant ausgedrückt“, nuschelte Sanji und erhob sich. „Dein Zwiespalt ist berechtigt, Nami, du sollst nur aufhören sie über einen Kamm zu scheren.“ Damit machte sich Sanji in die Küche auf, bestimmt wollte er rauchen. Mit Zorro blieb Nami zurück und wieder nagte dieselbe Aussage, die sie von Robin selbst gehört hatte. „Wirst du deine Entscheidung verteidigen?“ Nami wich seinem starren Blick aus. Als ob sich alle verschworen. Robin hatte sie mit ihrem Charme genauso gefangen. Anders konnte sie sich manche Aussagen nicht erklären. „Ich bin nicht zimperlich und habe genug gesehen und mitbekommen. Robins zweites Standbein finde ich unter aller Sau, keine Frage, aber ich kenne manche Geschichten von Bonney. Sie ist kein Engel. Ihre Notwehr macht den Unterschied aus. Bonney hat mir erneut aufgezeigt, wozu wir für Gefühle bereit sind zu tun.“ Er ließ das Gesagte eine Weile im Raum stehen. „Wechseln wir. Würdest du bei Bonney bleiben?“, fragte sie mit gehobener Braue. Bonney und Robin. Zwei unterschiedliche Paar Schuhe, das hatte er selbst gesagt. Wenn Bonney sich wehren musste, um zu überleben, einem Albtraum zu entkommen, stand das auf einer anderen Stelle als Robins Taten. Vielleicht kannte sie keine Einzelheiten, aber wie ließ man sich absichtlich darauf ein? Und Robin war weder dumm noch naiv. „Vielleicht“, antwortete er überraschend. „Vielleicht ist keine Zustimmung.“ „Genauso ist es keine Verneinung.“ Frustriert schnaufte Nami. Gerade kostete Zorro ihr Nerven. „Bonney war ein plausibler Grund, um mich auf das Spiel einzulassen. Du warst der zweite wichtige Faktor“, gestand er, suchte Augenkontakt, der nur zögernd zustande kam. Ein trauriges Lächeln zeichnete sich ab. „Oft habe ich gesagt, ich stehe hinter dir und ich würde jederzeit deine Seite wählen. Koste es, was es wolle. Stattdessen habe ich zugesehen, aber ich habe es nicht geschafft, dir dein Glück zu zerstören. Du liebst sie aufrichtig und sie dich. Wie hätte ich das tun können?“ Schluckend sah sie ihm in die Augen, sah die Wahrheit dahinter. Eigentlich hatte Zorro sie genauso beschützt, solange wie es ihm möglich gewesen war. Vor dem plötzlichen Aufwachen. Vor der Trennung. Vor ihrem Gefühlschaos. Er hatte es versucht und war gescheitert. „Am Ende haben wir versucht in unserem persönlichen und deinem Interesse zu handeln. Klingt furchtbar, oder?“ „Deine sensible Ader ist furchtbar“, lockerte sie die Stimmung halbherzig, denn erneut kam der Schmerz hoch. Blinzelnd kämpfte sie dagegen an. „Wir stehen hinter dir, wir wollen dir lediglich beim Verarbeiten helfen“, meldete sich Sanji zurück. Mit verschränkten Armen lehnte er an der Wand und Nami vermochte nicht zu sagen, wie lange er schon dort stand. „Ob du dich endgültig abwenden willst oder ob du den Schritt wagst. Wir sind da.“ Fragend sah sie ihn an. „Welchen Schritt?“ „Manchmal müssen wir erst den Schritt ins Dunkle wagen, damit das Licht sich zeigt.“ Kapitel 51: Azione impulsiva. ----------------------------- Kurzschlussreaktion. 9. März 2013 »Manchmal müssen wir erst den Schritt ins Dunkle wagen, damit das Licht sich zeigt.« Ungewollt hallten Sanjis Worte nach, ließen ihren Magen rumoren. Robin wusste um ihre Anziehung, blendete mit ihrem Charme spielend leicht – Nami eingeschlossen. Da überraschte Sanjis Einstellung Nami gegenüber kaum. Dennoch wurmte es Nami. Sie mochte nun die Hintergründe besser verstehen. Jeder lebte mit seinem eigenen Laster, aber durfte man ab einem Punkt nicht selbst wählen? Einen bewussten Schlussstrich ziehen? Ohne sich mit Einwänden oder schwachen Überzeugungsversuchen herumschlagen zu müssen? Einfach akzeptieren. Sanji hatten seinen Standpunkt, Nami den ihren. Für ihn warf sie das voreilig gebildete Urteil über Bord und dachte darüber nach, woher seine Meinung kam. Er entsprang eben jener Welt, für ihn waren Robins Taten nicht unbekannt, obgleich er rechtzeitig abgesprungen war und somit umdenken sollte. Warum also dachte er nicht ähnlich? Nahm ihre Punkte wahr? Was wirklich an ihr nagte, war seine offensichtliche Hilfe. Sanji verteidigte Robin, sprach Nami gut zu. Wenn er schon entkommen war, boten sich Robin nicht dieselben Möglichkeiten an? War ihm je in den Sinn gekommen, dass das bewusst gewählt wurde? Während er ungewollt hinein geboren war? Dementsprechend hätte Robin lange aufhören können, weit vor ihrer Bekanntschaft. Was tat sie stattdessen? Blieb dem Leben treu, über Jahre unbeirrtes Töten. Anderen spielte sie die perfekte Lüge vor. Das unnahbare Genie. Und wo nahm er die Idee her sie würde einknicken und zurückkehren? Oder überhaupt, warum war der nächste Schritt ihrer? Weil sie in Zürich eine Aussprache hatten? Ein Gespräch löste nicht alle Probleme. Genauso gut könnte Robin aus dem Schatten treten. Ob nun eine zweite Chance bestand, oder eben nicht. Warum umdenken? Suchte sie die Nähe und sprach sich für die Beziehung aus, obwohl Robin nichts veränderte. Was dann? Das brave, unwissende Frauchen spielen? Nami fand selbst auf die Frage keine Antwort, was sie täte, würde Robin das Töten aufgeben. Vergangen war vergangen. Die früheren Taten blieben, waren unabänderbar. Für immer würde eine bittere Gewissheit verankert bleiben. Gewöhnte man sich daran? Der Liebe willen? Augenblicklich verzog Nami ihr Gesicht. Verstand Sanji seinen unfairen Schachzug? Zumal sie nicht über langweilige Ticks sprachen? Gefühlt jeder unterschätzte sie – sie waren sich ausnahmslos einig und jeder gab ungefragt seine Meinung ab. Die Zweifel rund um ihr Durchhaltevermögen stießen sauer auf. Man überhörte Nami, obwohl sie ihrer Entscheidung treu blieb. Abgesehen vom Treffen war der Kontakt abgebrochen, obwohl die Überwindung Kraft kostete. Es gab genügend Momente, in denen sie nachgeben wollte, das gestand sie sich sogar ein, aber Nami hielt stand. Selbst wenn die Sehnsucht groß wurde und eine Nachricht sofort geschrieben wäre, stoppte sich Nami. Eine winkende Handbewegung holte sie aus den Gedanken. Sie blinzelte mehrmals, neigte leicht den Kopf. Zorro saß neben ihr, seit wann? „Schöne Träume?“, fragte er verschmitzt, das Lächeln erreichte dennoch nicht seine Augen. Musternd hob sie die Braue. „Erkläre mir bitte mal, warum ihr mir Robin einredet. Jeder meiner – plausiblen – Einwände wird als Nichtigkeit abgestempelt. Für euch existiert bloß ein bescheuertes Happy End, wo keines hingehört“, sprach sie recht verbittert und zog das rechte Bein an. Vor einer Weile schon war Sanji zur Arbeit aufgebrochen. Sie hatte Zorro rasch beim Saubermachen geholfen, erst als alles erledigt war, hatte sie sich nachdenklich auf die Couch fallen lassen. Natürlich hinterließ das vorangegangene Gespräch Spuren. Auch ohne Sanjis nachdrücklichen Worte. Zuerst schwieg Zorro, lehnte lediglich zurück, wobei er die Arme hinter den Kopf verschränkte und ungerührt ins Leere schaute. Es war, als ob jeder die eine, große Liebe verfolgte. Von einer Sekunde zur nächsten. Existierte sie in dem Fall überhaupt, wenn nicht beide aus dem Metier kamen? Starke Gefühle, die alle verziehen, akzeptierten, nur um zusammenzubleiben. Schwachsinn! „Sobald ich glaube, ich habe mich halbwegs gefangen, kommt ihr daher und wollt das Gegenteil einreden. Macht ihr das absichtlich? Mich ins Wanken bringen und ihr helfen?“ Zähneknirschend suchte sie den Augenkontakt. Zorro nahm sich überraschend viel Zeit, betrachtete sie. Ein für Nami undurchschaubarer Blick. Es als wartete er ab. Was er sagte oder ob ihr noch etwas auf der Zunge lag? Er seufzte. „Ich halte wenig von ihrem Nebeneinkommen. Mit Töten Geld scheffeln. Wären sie einfache Kopfgeldjäger stünden wir einer besseren Ausgangslage über. So fallen ihnen genug Menschen zum Opfer, ob gute oder schlechte, ein Auftrag bleibt ein Auftrag. Das müssen ihre Gewissen aushalten“, begann er nüchtern. „Was dich an geht … Gefühle verschwinden nicht in kurzer Zeit, schon gar nicht solche. Du liebst die Frau abgöttisch. Seit dem ersten Tag an hat sie dir den Kopf verdreht. Vielleicht rühren unsere Zweifel daher? Du lässt deinen Unmut raus, gibst ihr aber eine zweite Chance, fern der Geheimniskrämerei. Du weißt, dass wir manchmal all das Schlechte aus den Augen verlieren, sobald Gefühle im Spiel sind. Manchmal übergehen wir nervtötende Eigenschaften – Sanji mag mit Robin reden. Ich unterhalten mich eben mit Franky. Über ihn, Robin, auch über dich.“ Betont setzte er eine Pause, nahm sie wiederum durchdringend ins Visier. Ein Blick, der Nami Unbehagen bereitete und ein kaschierendes, genervtes Brummen entlockte. Dieselbe Leier – Liebe hier, Liebe da. Bei der Erwähnung empfand sie allmählich pure Abscheu. Als ob es die Universalausrede war. Dabei wäre das Leben ohne wesentlich einfacher. Momentan würde es Nami genügend Kummer ersparen. „Bislang stemmst du dich dagegen, dein Verstand hält tapfer durch“, setzte er fort und überging ihre Reaktion, „aber wirst du dauerhaft standhalten oder doch einbrechen? Für sie bist du aus dem Land geflüchtet.“ „Weil ich hier schlecht untertauchen kann!“, unterbrach sie harsch. „Nein, du hast es nicht ertragen. Du bist vor euch beiden geflüchtet!“ „Rede keinen Stuss! Weder bin ich ihr vor meiner Abreise um den Hals gefallen noch in Zürich“, wütete sie erbost. Zorro lehnte sich eindeutig eine Spur zu weit aus dem Fenster! „Warum hast du dann eine sang- und klanglose Abreise hingelegt?“, fragte er provokant. „Abschalten wäre hier möglich gewesen. Du hättest uns alle mit links meiden können.“ „Vivi? Vivi meiden?“ Er schnaufte. „Nimm Vivi nicht als billige Ausrede. Du hast sie im Unklaren gelassen. Ein kleiner Happen und sie hätte verstanden, manchmal schätzt du sie falsch ein. Je mehr du verschweigst oder lügst desto mehr hinterfragt sie. Vivi hätte dir mit einer knappen Erklärung Freiraum gegeben.“ „Als ob … mein Schweigen hat sie schon angespornt.“ „Sag ich ja! Du hast-“ „Nein! Ich habe ihr gesagt, wir seien getrennt und ich möchte nicht reden. Tage später stand sie bei Robin auf der Matte.“ „Weil du verschwunden bist! Erst getrennt, dann fort.“ Ausweichend sah sie zur Seite. „Was erwartest du dir? Wir reden von Vivi. Die sorgt sich schon, wenn sie auf ein Insekt tritt!“ „Bisschen übertrieben?“ „Wenn schon, mit deiner Aktion wundert es mich überhaupt nicht.“ Nami sprach dagegen, aber sie überraschte Vivis Verhalten genauso wenig. Sie kannten sich seit Jahren. „Worauf ich aber hinauswill, du kennst nun Robins Seiten. Jene, die dich liebt und jene, die tödlich ist. Beiden wollen aus dem Schattenleben ausbrechen. Ist leider kein Kinderspiel. Vielmehr eine große und gefährliche Veränderung. Kann gut ausgehen, kann aber mit dem Leben enden.“ „Soll ich mein Mitleid aussprechen? Irgendwann hat Robin dem zugestimmt und sich pudelwohl gefühlt. Wenn sie Jahre später aufwacht und merkt, dass das nichts für sie ist, ist ihr Problem. Uns mögen schon mal die Hände gebunden sein, aber oft genug haben wir die Wahl. Wie Robin ihre traf, treffe ich meine. Oder wie stellst du dir das gemeinsame Leben vor?“ Worin fanden sie den Punkt, der alles rechtfertigte? Einzig allein in ihren Gefühlen? Was war dann mit jenen, die nur noch Abscheu empfanden? Die sich nicht mit dem Doppelleben arrangieren wollten. Nichts rückte das Töten ins richtige Licht. Irgendwann musste das eingesehen werden. „Seien wir ehrlich, sie hat euch mit Bravour um den Finger gewickelt“, nuschelte sie. Während sie das Kinn abstützte, brach Zorro in schallendes Lachen aus. „Musst du reden!“ Und? Nami wusste es besser als jeder andere, sonst wäre das Problem längst vom Tisch. Allerdings hatte sie rechtzeitig die Reißleine gezogen. Früher verstanden, wann man lieber Abstand suchte. Eben eine radikale Notbremse. Vielleicht sogar das Beste, das ihr passiert war. Besser als ein schleichend langsamer Prozess. „Wie lange wirst du damit Erfolg haben? Sie ewig ignorieren, bis du die letzte Empfindung erstickt hast?“ „Unser Gespräch kann kaum als Ignorieren eingestuft werden.“ „Weil sie dir nachgereist ist. Was wäre sonst passiert?“ Hellhörig setzte sie sich gerade, betrachtete ihren Freund aus dem Augenwinkel heraus. Also doch? War Robin ihretwegen dort gewesen? Um das Zerwürfnis zu bereinigen? »Er hat gewonnen.« Robins schmerzvolle Feststellung, die mit solch einer Überzeugung ausgesprochen worden war, das Nami nach Luft schnappen musste. Als ob sie in diesem Moment die hinterlassene Zerstörung deutlicher denn je vernommen hatte. Dabei bot dieser angeblich niederträchtige Plan genug das dagegen sprach, dann wiederum hörte sich alles plausibel an. Bloß wäre er verhinderbar gewesen, hätte sich Robin früher schon gegen dieses Leben entschieden. Im Grunde hatte sie selbst die Grundlage geschaffen. Dafür hielt sich Namis Mitleid in Grenzen, auch wenn sie die Leittragende war. „Robin hat die Hoffnung aufgegeben“, sprach sie gepresst. „Sie lebt, aber bist du an der Reihe. Robin kann sich erklären. Den Weg ebnen, ist deine Aufgabe. Du bist am Zug. Riskierst du eine Beziehung oder lässt du sie hinter dir … ich akzeptiere und unterschützte jede Wahl.“ „Aber?“, schnaufte Nami frustriert. Momentan hörte sie bloß das Gegenteil vom dem das sie sagte. „Irgendetwas an dir gibt Grund zum Zweifeln.“ Nami zog die Brauen zusammen. Und womit? Würde sie Robin hinterherlaufen, würde sie Zweifel verstehen. Dem war nicht so. Sie hielt sich fern. „Vielleicht weil ihr sie teilweise beschützt?“, hinterfragte sie. „Vielleicht? Vielleicht aber auch nicht. Am Ende sind wir nur Menschen. Uns unterlaufen Fehler, ob große oder kleine. Wir handeln oft aus Emotionen heraus. Tun Dinge, die unser Verstand nicht begreift. Er warnt uns und wir lachen ihn aus, manchmal behält er Recht, dann wiederum nicht.“ „Und in mir schreit er unaufhörlich – er hat sehr gute Gründe!“ „Wie oft hast du schon gegen ihn gearbeitet? Aus einem Nervenkitzel heraus? Oder weil du einfach gedacht hast, es könnte lustig werden? Oder du wüsstest es doch besser?“ Skeptisch lehnte Nami zurück. Verglich er nicht gerade Äpfel mit Birnen? „Zum Spaß in das Büro des Rektors einbrechen ist verglichen mit Mord eine Lappalie.“ Zwar führte sie keinen Mord aus, aber mit jemanden Leben der genau das tat? Nami würde mit jeder Reise daran erinnert werden. Vielleicht sogar, wenn Robin in Venedig war und eine Verabredung absagte oder sich verspätete. Worin lag da noch eine Basis? „Was wäre, wenn Robin eine Lösung findet und alles hinter sich lässt?“ Schweigend schüttelte sie den Kopf. Keine direkte Antwort, vielmehr kommentierte sie seine lächerlichen Worte. Was änderte das? Getan war getan und warum sprachen sie noch darüber? „Vermisst du Robin?“, fragte er mit ernster Miene, die Nami mit einem müden Lächeln quittierte – Immer. 28. Februar 2013 „Er hat gewonnen.“ Nami hielt die Luft an. Eine einfache, klare Feststellung und keine Neuigkeit, Nami waren die Worte genauso durch den Kopf gegangen. Dennoch war ihr nie das absichtliche Einfädeln in den Sinn gekommen. Vielmehr ein normales Backup für den Fall der Fälle. Jeder brauchte etwas in der Hinterhand. Besonders in dem Umfeld. Ja, Nami hatte sich damit abgefunden, dass er die große Rache in petto hielt, sollte ihm jemals etwas durch Robins Hände (oder die der anderen) geschehen. Er hatte längst geahnt, was mit ihm geschehen würde. Jeden büßen lassen, ohne dass er etwas tun musste. Ihn zur Rechenschaft ziehen, war nun unmöglich. Es passte in das von Lucci entstandenen Bild. Der Rest? Mit allem ins Schwarze zu treffen? Zu wissen, dass Law die Chance wahrnimmt und Nami einweiht und sich trennt … da dämmerte es ihr. Luft holend krallten sich ihre Fingernägel in das Holz. Es schmerzte auf eine neue Weise. Natürlich nahm Law die Gelegenheit mit Kusshand. Laws Unterstützung hatte einen Preis. Nun stand er ohne da und ihm missfiel Namis Ablehnung weiterhin. Vorsichtig neigte sie den Kopf, blickte direkt in Robins Augen, die seit jeher eine Faszination ausstrahlten, in denen sich Nami etliche Male verloren hatte. Und da spürte sie das altbekannte Kribbeln, die noch immer vorhandene Anziehung – wenn auch nur für einen Wimpernschlag. „Hast du je daran gedacht, dass ich diejenige bin, die die Wahrheit herausfindet?“, fragte sie gedämpft. Vielleicht entpuppten sich Robins Worte als wahr, vielleicht als durchdachte Ausrede. „Uns wurde Zeit gestohlen, aber hast du je an eine gemeinsame Zukunft geglaubt?“ Was änderte das Wissen um Luccis Plan? Außer der verloren Zeit? Jede Enthüllung hätte Nami auf dieselbe Weise getroffen und früher oder später wären sie genauso an den Punkt geraten. Oder hatte Robin ernsthaft an eine ewige Maskerade geglaubt? Nein, darüber musste Nami selbst lachen. Robins Gedanken pausierten selten, kein Schritt ohne Kalkulation. Vermutlich hatte sie von Anfang an sämtliche Szenarien durchgespielt und lediglich auf das beste Ergebnis gehofft. „Wir sollten ihm dankbar sein“, murmelte sie weiter, während ihr Blick an Robins Lippen haften blieb. Robins Atem, ihre Wärme, das Parfüm. Warum war sie ihr gefolgt? Hastig sah Nami auf. Der falsche Zeitpunkt. Dankbarkeit – was wäre in ein paar Monaten gewesen, gar in Jahren? Eine gefestigte Beziehung, ein gemeinsames Leben … wie würde sie da fühlen, wenn es ihr jetzt schon das Herz zerbrach? „Du kennst die Antwort“, entgegnete Robin bloß, lächelte traurig, ehe sie ihren Kopf anhob. Vorbei war der Moment und Nami hatte ihm widerstanden. 9. März 2013 Der Abend verlief anders als geplant. Erst spät war sie von der WG aufgebrochen und für einen Abstecher nach Hause gegangen. Anstatt sich von einem Film berieseln zu lassen, saß sie nun in Bruno’s Bar und nippte gedankenverloren an ihrem Cocktail, während sie halbherzig Vivis Erzählungen lauschte – es wenigstens versuchte. Ihre Anwesenheit verdankte man am Ende Zorro. Er hatte ihr irgendwie den Ruck gegeben. Wenn sie schon darüber sprach, dass sie nach vorne schaute, dann sollte sie den nächsten Schritt tun. Zurück in die Normalität finden. Natürlich wäre jedes Lokal perfekt gewesen, leider mochte sie das Ambiente – eine leider eingebürgerte Gewohnheit. Vielleicht genau richtig. Vivi hatte sich über das Umdenken mehr als gefreut, hatte sie die letzten Tage noch gehörig blockiert. „Als ob das überraschend kommt“, kommentierte Nami nebenbei, damit es sich nicht gänzlich nach einem Monolog anhörte und warf Vivi ein leichtes Lächeln zu. „Natürlich möchte man die Zeit nun anderweitig nützen und mehr miteinander unternehmen.“ Beziehungen änderten genauso Gewohnheiten und gerade zu Beginn wollte man den anderen umso mehr sehen. Mehr unternehmen. Es gehörte dazu. „Ist auch nicht böse gemeint“, winkte Vivi ab. „Ich freu mich für sie, wobei ich Kayas Schweigen nicht verstehe. Gefühlt von einer Sekunde zur nächsten waren sie zusammen.“ Nami stützte den Kopf an ihrer Hand ab. In der anderen hielt sie den Strohhalm und stocherte im Glas herum. „Sie hat bestimmt ihre Gründe gehabt, nicht jeder hängt Gefühle an die große Glocke.“ „Vielleicht ein Zeichen“, sagte Vivi mit einem merkwürdigen Funkeln, das Nami skeptisch werden ließ. „Wofür?“ Vivi kicherte. „Das Zusammenkommen der beiden schien unmöglich, wer weiß, vielleicht-“, unterbrach sie sich kurz, wobei ihr Blick starr zum Eingang gerichtet war. Nami hielt in ihrer Bewegung inne, zog die Brauen zusammen. Ein merkwürdiges Gefühl beschlich sie. Daher warf sie nur langsam einen Blick über die Schulter. Franky. Franky kam hereingeschneit, hielt schnurstracks, ohne groß auf die Umgebung zu achten auf die Theke zu. Allein. Niemand begleitete ihn. Eine Mischung aus Erleichterung und Enttäuschung. Wieder rumorte ihr Innerstes – zum Durchdrehen! Von Vivi wurde ein leises Fluchen hörbar, das Nami schneller aus der Starre holte und ihr sogar ein Lächeln entlockte. Vivi verdeutlichte ihre Abscheu in dem sie die Nase rümpfte. „Möchtest du gehen?“, fragte sie geschwind. Würde Nami zustimmen, wären sie in einer Minute draußen. Verlockend. „Nein, ist egal.“ Egal war ihr seine Anwesenheit definitiv nicht, aber besser als davonlaufen. Wenn sie die Konfrontationen mit den anderen überstand, dann sollte ihr Franky weniger Kopfzerbrechen bereiten. Zumal sie mit ihm eine deutlich schwächere Verbindung hatte. Bei ihm wurmten eben die Verbindung zu Robin, Nami wusste von ihrem starken Band, genauso wie sie davon wusste, was er im Hintergrund sagte und tat. „Oder willst du verschwinden?“, hakte sie dann nach. Nami erinnerte sich an Lysops Worte, den Streit der beiden. Einen Augenblick sah Vivi sie prüfend an, ehe sie kopfschüttelnd das Weinglas hob. „Den schaff ich locker“, entgegnete sie selbstsicher. „Sofern er so dumm ist und dich anspricht.“ Nami blinzelte irritiert. Vivi mied Auseinandersetzungen, vielmehr stand sie für Schlichtung. Angriffe gehörten in Namis Repertoire. „Steht dir“, stellte sie schmunzelnd fest das Vivi zum Lachen brachte. „Flirten wir?“ „Trink langsamer.“ „So ernst?“ Es war nicht nur ein Scherz. Vivi trank recht zügig und vertrug weitaus weniger. „Okay, okay. Um kurz bei der Sache zu bleiben. Ich habe mich mit Franky ein bisschen gekeppelt“, sprach sie weiter und deutete zum Hünen. „Während ich in Unwissenheit dahinvegetiert bin, hat der alles gewusst und nichts gesagt!“ Außerdem lockerte Alkohol Vivis Zunge. Wollte man sie zum Reden bringen, war Trinken ein Universalmittel. Nami kannte ihre Freunde dahingehend nur allzu gut. Seufzend stützte sie den Kopf ab. „Du bist noch sauer auf mich, oder?“ Was für eine Frage. Natürlich war Vivi sauer. Lediglich die Vorwürfe hielten sich überrascht in Grenzen, wofür Nami dankbar war. Noch eine Baustelle brauchte Nami nicht, zumal sie selbst kaum böse sein durfte, wenn doch. Vivi war durchschaubar, sie wusste instinktiv, dass etwas weiterhin verschwiegen wurde. Wie so oft. Manchmal ein Vorteil, manchmal das pure Übel, vor dem man sich in Acht nehmen musste. Hierfür durfte Nami nicht von ihrer Geschichte abweichen, nur so trickste sie Vivi im Laufe der Zeit eher aus, je weniger Nährboden desto besser. Vielleicht hörte sie irgendwann auf. „Hab dir doch gesagt, du wirst nicht auf Dauer ohne den einen oder anderen Kommentar auskommen“, bedachte Vivi mit neckendem Tonfall. „Sag mir lieber endlich, wer dich zum Ausgehen überredet hat. Schließlich hast du mich die Tage über abgewimmelt.“ Korrekt. Nami hatte jeden Versuch im Keim erstickt. Erneut warf sie einen Blick zurück, jedoch Richtung Theke, hinter der Zorro stand und sich gerade mit einem der Gäste unterhielt. „Verstehe. Deshalb bist du heute so schnell verschwunden. Dafür spendiere ich ihm ein ordentliches Trinkgeld.“ „Vivi …“ Eine gute Stunde später kam Nami bestgelaunt an die Bar. „Nachschub!“, rief sie ihrem Freund zu, der sie vielsagend in Augenschein nahm. Nur gemächlich kam er rüber. „Erst muss ich Überzeugungsarbeit leisten, dann bist du in Feierlaune“, kommentierte er kopfschüttelnd, eher sein Blick unverfroren an ihr vorbei glitt. „Was darf’s sein?“ „Vier Tequila, bitte.“ „Dein Frustflirt?“, bemerkte er ernst und stellte die Gläser zurecht. Nami rollte die Augen über, lehnte dabei an den Tresen. Als ob. Seit einer Weile unterhielten sie sich mit zwei Männern. Definitiv nicht Namis Fall, aber ein bisschen Spaß durfte sein. Es hielt sie etwas bei Laune, aber an mehr dachte Nami keine Sekunde lang. Er war kein totaler Langeweiler und für sie war es bloß eine Unterhaltung ohne Hintergedanken. Ob der Kerl dasselbe dachte? Wohl kaum, doch dafür interessierte sie sich nicht. Im Grunde wollte sie Vivi auf andere Gedanken bringen, auf andere als Ruffy und der eine Typ zeigte sich ihr gegenüber von der besten Seite. Am Ende sprang Vivi bestimmt nicht an, aber ein Versuch war es allemal wert. „Wenn dem so wäre?“, stellte Nami die Gegenfrage und grinste breit. „Dann würdest du deine Theatralik ins Lächerliche ziehen“, hörte Nami süffisant neben sich. Theatralik. Blitzartig verdüsterte sich ihr Ausdruck. „Zum Glück ist das nicht dein Problem.“ Bestmöglich ignorierte sie Frankys durchdringenden Blick. Er saß nicht weit von ihr, hatte wohl gelauscht und war nicht drumherum gekommen einen irrelevanten Kommentar abzugeben. „Wenn dir langweilig ist, such dir eine anderweitige Beschäftigung.“ „Bisschen Dampf ablassen, was?“, lachte Franky, als ob nichts wäre. Als ob er sie bloß aus Langeweile heraus ärgerte. „Noch etwas?“, ging Zorro dazwischen, nachdem er Namis Blick erkannte. Für Späße war sie nicht aufgelegt, schon gar nicht für Frankys. „Findest du alles lustig?“, ignorierte Nami und drehte sich zu Franky. „Dein kindisches Davonlaufen, dein schwarz-weiß Denken oder dein billiges Vergnügen mit dem Kerl da? Was genau, Nami?“ „Mir ist klar auf wessen Seite du stehst, aber hast du mal über den Tellerrand geschaut? Das Menschen existieren, die euren Lebensstil abstoßend finden?“ Dann sprach sie eben mit einem unbekannten Kerl. Als ob sie sich rechtfertigen musste. Das tat sie niemanden gegenüber. Schon gar nicht gegenüber Franky! Dabei flirtete sie gar nicht. Eine einfache Unterhaltung. Warum mischte sich Franky ein? Hatte er mal darüber nachgedacht, dass es für Vivi vielleicht eine willkommene Ablenkung wäre, anstatt ständig auf Ruffy zu hoffen? Dass Vivi der Hauptgrund war, warum sie überhaupt die Zeit mit dem Kerl vertrieb? Bestimmt nicht. „Du hast es nicht mal versucht oder wenigstens ein einziges Mal an Robin gedacht.“ Wut blitzte auf und Nami trat näher. „Was weißt du schon? Du siehst mich und bildest dir ein, du wüsstest alles.“ „Soll ich dir einen Spiegel vorhalten?“, fragte Franky verachtend. „Du wirfst alle aus deinem Leben, tust als ob du alles besser wüsstest, dabei kennst du kaum die Hintergründe. Du siehst was du sehen willst.“ Langsam platzte ihr der Kragen. Was bildete er sich ein? Warum wollte niemand verstehen, dass ihr aktuell sämtliche Hintergründe egal waren. Dass das Handeln mehr zählte und zum Teil aussagte. Und über ihre Gefühle hatte er sowieso keinen Plan. Wie sie weiterhin litt, auch wenn sie es weniger zeigte. „Robin-“ „Robin hat ihre Entscheidung lange vor mir getroffen und sich mit mir für die Lüge entschieden“, unterbrach sie harsch. „Ihr lebt alle in eurer Welt, ohne Nachsicht auf andere. Ihr beharrt auf eure Sicht der Dinge. Am Ende seid ihr ein egoistisches Pack, das flennt, weil nicht alles nach Wunsch verläuft.“ Franky starrte sie einen Augenblick lang mit derselben Wut an, ehe er aufstand und sie vor ihr aufbaute. „Tequila? Geht aufs Haus“, mischte Zorro sich wieder ein und stellte das Tablett ab. Statt der vier standen acht Gläser darauf. Franky stellte er einen doppelten Whiskey hin. „Ist der falsche Ort, entweder ihr geht raus oder ihr lasst gut sein.“ 28. Februar 2013 Irgendwann hatten sie den Weg fortgesetzt und durchquerte planlos den Park. Was war das Ziel? Außer dem Abschied? Dem endgültigen Ende? Das Ende lag doch vor ihnen, nicht wahr? Wollte sie doch seither. Auch nach dem Gespräch verstummte ihre innere Stimme nicht gänzlich. Lebte stattdessen weiter, wenn sie für den Moment wesentlich leiser war. Lag vielleicht an der Müdigkeit. Nami war müde. Vom Schlafmangel. Vom Denken. Vom Davonlaufen, ihrem Schweigen und zeitlich dem Gespräch selbst. Der brutalen Erkenntnis, dass sie wohl oder übel unwissend einem inszenierten Stück gefolgt war. Aber auch von Robin selbst. Robin. Der sie einerseits nachtrauerte, die sie andererseits zum Teufel wünschte. Nami war einfach von allem müde und erschlagen. Es war, als ob die Strapazen zum ersten Mal spürbar wurden. Alle auf einem Schlag. „Weglaufen ist der falsche Weg“, begann Robin dann und holte sie aus den Gedanken. „Du vergräbst dich in Gedanken, bis du sie irgendwann nach und nach regelrecht zerdenkst. Entkommst du dem Strudel? Nein, du gerätst tiefer und tiefer. Zermürbend, findest du nicht?“ Laut stieß Nami Luft aus. Ungelogen. Was anderes tat sie nicht. Erst mit Lola hatte sie angefangen ein paar Brocken auszusprechen, Gefühle rauszulassen. Dann mit Robin. Die Unterhaltungen mit Law brachten kaum Linderung, zu sehr pochte er auf sein Urteil. Er verstand nicht, warum sich Nami nicht einfach löste. Es ging eben nicht. Nicht wie er es sich dachte. „Verübelst du mir meine Flucht?“ Neugierig blickte Nami auf. „Wie hättest du an meiner Stelle reagiert? Dein Geheimnis. Zorro und Sanji waren involviert, zu deinem Vorteil. Vivi darf die Wahrheit nie erfahren und sie hätte gebohrt … wer möchte da nicht untertauchen? Wer hofft nicht auf Ablenkung?“ Nami war ruhiger geworden, war gerade nicht auf eine weitere Diskussion aus. Die Müdigkeit erleichterte das Reden. „Mir ist die Situation, in die ich dich gebracht habe, bewusst und es tut mir leid“, sprach Robin aufrichtig. „Vermutlich hätte ich dasselbe getan. Abgetaucht und fertig … aber ich kenne diese nie enden wollenden Gedankengänge.“ Robin schob die Hände in die Manteltaschen. „Und du kämpfst mit einer speziellen Problematik – Law ist die falsche Ansprechstation, vertrau mir. Umso mehr solltest du mit den Jungs reden.“ „Weil sie dir huldig sind?“ Robin biss sichtbar den Kiefer aufeinander. „Nami …“ „Entschuldige, aber mich wurmt ihr Part“, brummte sie und sah wieder geradeaus. „Ich habe euch allen blind vertraut. Wer fühlt sich nicht hintergangen?“ Die Enttäuschung saß tief. Von allen Seiten. Dennoch verstand sie Robins Bedenken Law gegenüber. Sie verstanden sich wesentlich besser und sie sprach mit ihm über die aktuelle Situation. Bis zu einem gewissen Punkt. Direkt über ihre Gefühlslage war unmöglich. Eben weil Law seine Sicht der Dinge vertrat. Wobei sie ihn ebenso wenig als Unschuldslamm ansah. Er hatte einen Mörder unterstützt und gedeckt. Normalerweise sollte Law ebenfalls aus ihrem Leben verschwinden, aber momentan versuchte sie mit ihm auszukommen. Gerade brauchte sie jemanden zum Reden, der die Wahrheit kannte. Oder eher jemanden auf ihrer Seite. Insgeheim stellte sich Nami die Frage, ob sie das nicht auch deshalb tat, um Robin unbewusst zu schützen. Er könnte ihr Leben sofort ruinieren und er würde die Gelegenheit nutzen. Was er so oder so konnte, aber nicht tat. Ob er wirklich nur für Nami abwartete? Oder brütete er über seinen eigenen Plan? Immerhin wurde auch ihm ein Strich durch die Rechnung gemacht. Gerade fand sie keine zufriedenstellende Antwort und war sie ehrlich, so hatte sie seit seiner Enthüllung gar nicht groß darüber nachgedacht. Robin mochte ihren eigenen Interessen folgen, leider entsprachen ihre Anschuldigungen Law gegenüber genauso einer Wahrheit. „Worüber zerbrichst du dir gerade den Kopf?“, fragte Robin, ohne auf ihre vorherigen Worte einzugehen. „Ich würde gerne die Zeit zurückdrehen … alles auf Anfang. Lieber wieder rätseln, ob zwischen uns mehr als Freundschaft ist. Keine dunklen Geheimnisse …“ Kein Schmerz. Kein Hinterfragen. Nami wünschte sich die Wochen der Unsicherheit zurück. Sollte sie das Risiko wagen oder schweigen und auf Robins Schritt hoffen. Ihre Freunde waren Freunde. Das Kriegsbeil mit Law schien begraben. Alles andere war zum Selbstläufer geworden und lief fast perfekt ab. So nahe man eben an eine Perfektion heran kam. „Du hast selbst gesagt, das Ende wäre dasselbe.“ Nami hielt an, wobei sie einen tiefen Atemzug nahm und kurzweilig die Augen schloss. „Stimmt, habe ich.“ Warum also die Zeit zurückdrehen? 9. März 2013 Franky trank nicht, er soff ungezügelt. Als gäbe es kein Limit. Seit ihrer kurzen Diskussion schon, orderte er Whiskey um Whiskey. Er war nicht ihr Problem, dennoch behielt sie Franky im Auge. Dann und wann wanderte ihr Blick automatisch in dessen Richtung. Woher der Wandel kam, war Nami schleierhaft. Nahm ihn die Diskussion mit? Davor hatte er keinen Anschein gemacht, als wollte er ein Besäufnis starten. Fast schlagartig hatte er angefangen. Er saß auch nicht länger an der Theke, sondern umgab sich mit ihr teils bekannten, aber auch unbekannten Leuten. Manche Gesichter kannte man mit der Zeit, besonders die Werftmitarbeiter. Franky amüsierte sich köstlich mit ihnen und leise fragte sie sich, was seine Kumpel von ihm hielten, sobald die Wahrheit ans Licht kam. Ob sie sein Treiben billigen würden oder ihn zum Teufel jagten. Dann erinnerte sich Nami daran, dass ihn schon ein paar um Gefallen gebeten hatten, um Hilfe. Erst durch das Gerede der anderen hatte sich Zorro einst durchgerungen. Allerdings existierte ein Unterschied zwischen Kontakte haben und selbst aktiv werden. Andererseits hatte Nami nie genau herausgefunden, um was er gebeten wurde. Sie hatte leidglich vereinzelte Vorstellungen darüber. Was wusste sie schon, vielleicht war Mord dabei? „Erst wehrst du dich und dann gehst du auf Aufriss? Anscheinend hast du mich falsch interpretiert“, tadelte Sanji. Er war vor einer Weile dazugestoßen. Anscheinend hatte ihm Vivi vom Abend erzählt. Genervt verdrehte sie ihre Augen. „Idiot! Ich habe mich für Vivi geopfert. War eine Nullnummer.“ „Also bitte! Du könntest ihr einen Adonis der Sonderklasse vor die Nase stellen und sie würde dankend ablehnen.“ Nami lachte. Punkt für Sanji. „Man darf doch noch träumen.“ Vivi war Hals über Kopf verliebt, ließ sich zwar auf den einen oder anderen Kuppelversuch ein, aber eben nur bis zu einem gewissen Grad. Als ob sie das Soll erfüllte, um sich wieder ihrem eigentlichen Schwarm zu widmen. Dann wurde ihr Ausdruck fragend, als Sanji sie wortlos, doch mit breitem Lächeln betrachtete. „Was ist?“ „Ich bin froh, dass wir geredet haben“, meinte er mit zuckenden Schultern. „Du hörst auf uns zu ignorieren. Ist mehr als ich anfangs erwartet habe. Ob du uns je wieder so sehen wirst, wie zuvor, ist fraglich. Manches bleibt stets im Hinterkopf, aber du kannst nicht vollkommen ohne uns“, sagte er gegen Ende hin selbstbewusst und zwinkerte. Indirekt hatte Nami wohl eine Entscheidung getroffen, dabei hatte sie darüber kaum einen Gedanken verloren. Sie meiden oder vorerst verhalten weitermachen. Darüber war sie am Morgen noch äußerst unschlüssig gewesen. Irgendwie war ihre Entscheidung zum Selbstläufer geworden. Ihr Problem blieb dennoch offen, irgendwie, und die Jungs standen zu ihrem Handeln. Und Sanji gab offensichtlich nicht auf. Glaubte noch immer an eine Zukunft mit Robin – nicht ihre Sache. Wie die Beziehung mit den beiden weiterging schon eher. Schritte. Kleine Schritte nach vorne. Ein neues Mantra. „Ich will zurück in die Normalität. Räumt mir einfach ein wenig Zeit ein.“ Zeit – der Schlüsselfaktor. Einen normalen Umgang pflegen, warten bis eventuell Gras darüber wuchs. Mit Glück fand ihre Bindung zur alten Stärke zurück, vielleicht blieben sie auf mehr Abstand. Das würden die kommenden Wochen aufzeigen. Zufrieden lächelte Sanji. „Ist machbar. Darf ich dich zur Feier einladen?“ Wieder stellte Nami fest, wie falsch das Davonlaufen gewesen war. Für ein, zwei Tage schadete es nicht. In sich gekehrt sämtliche Gefühle entladen. Doch wenn das vorbei war? Und man sich bloß durchgehend einsperrte und verrückt machte? In der Nacht mit Lola hatte es angefangen, um es zu verstehen, hatte sie das Gespräch mit Robin gebraucht. Obwohl die Überwindung groß gewesen war. Mitgehen stellte sich als beste Entscheidung heraus. Das Reden hatte selbst erbaute Blockaden eingerissen. Umdenken, aus verschiedenen Winkeln betrachten, einfach gelöster darüber nachdenken. Ein eigentlich ungewolltes Wachrütteln. Sanji und Zorro durchlebten ihre eigenen Geschichten, mit eigenen Problemen. Wären diese nicht mit ihrem Leben verbunden worden, hätte sie womöglich anders reagiert. Dass sich Sanji bewusst von seiner Familie und deren dunklen Geschäften getrennt hatte, um eine vollkommen konträre Richtung einzuschlagen. Oder Zorro. Der jemanden um Hilfe gebeten hatte, wodurch seine Liebe vor großem Unheil bewahrt wurde. Erst das Verflechten verkomplizierte alles. Und Nami musste mit mancher Einstellung nicht konform gehen. Ob Sanji weiterhin an eine Zukunft mit Robin glaubte, war seine Sache. Ob sie irgendwann wehmütig an die gescheiterte Beziehung zurückdachte, war ihre. Als sie dessen fragenden Blick sah, nickte sie rasch, schob die Gedanken zur Seite. „Wird teuer, mein Lieber.“ Mittlerweile feierte sie allein mit den Jungs. Vivi hatte irgendwann aufgegeben, aber Nami wollte nicht nach Hause. Aus zweierlei Gründen und einer der Gründe setzte sich gerade in Bewegung – Franky brach auf. Eigentlich eine Nebensächlichkeit, doch irgendwie ließ sie die angefangene Diskussion eben doch nicht in Ruhe und das dadurch entstandene Trinken. So wollte sie ihn nicht ziehen lassen. Daher sprang sie regelrecht auf und schnappte ihre Jacke. „Komme gleich wieder“, gab sie Sanji Bescheid, der ihr nur fragend hinterher sah und folgte dem Mann nach draußen. „Franky!“, rief sie ihm nach, der allerdings ungerührt weitermarschierte. Allzu kontrolliert war sein Gang nicht, anscheinend zeigte der Alkohol Wirkung. Oder hatte er mehr intus? Bei Franky konnte man nie sicher sein, ober nur trank oder nicht andere Substanzen einnahm. Das hatte Nami über die Zeit herausgehört. Leute sprachen, Kommentare hier und dort. Manchmal ergab es Sinn. „Bleib stehen!“ Erneut wurde sie ignoriert. Eilig lief sie nach und als sie in Reichweite war, packte sie seinen kräftigen Arm. „Plötzlich mundtot geworden, oder was?“ „Oder ich habe kein Interesse? Daran gedacht?“, giftete er, verlangsamte jedoch den Schritt. „Darf ich nach Hause?“ Nach seinem Konsum verständlich. Er gehörte ins Bett, sie sah ihm auch die Müdigkeit an. „Ein paar Minuten, okay?“ Er ließ Nami zappeln, ehe er kaum merklich nickte. „Wegen vorhin-“ „Mir ist eine Sicherung durchgebrannt, okay? Vergiss es einfach. Ihr habt euch getrennt, du willst uns aus deinem Leben. Ist angekommen.“ Desinteressiert verschränkte er die Arme, wippte mit der Sohle seines rechten Fußes auf und ab. Von Provokation keine Spur, dieses Mal blockte Franky. „Wir haben beide überreagiert“, gab Nami indes zu. Wobei die Reaktion ihrem eigentlichen Temperament entsprach. In letzter Zeit hatte es zwar stark unter allem gelitten, aber gänzlich verlieren würde es Nami nie. „Was hat dich aufgebracht?“ Danach war seine Stimmung gekippt. Eindeutig. Den Grund wollte Nami wissen. Ihn ging die Trennung nichts an. Das Drumherum eher, aber bislang gab Nami keine Hinweise, dass sie das Wissen gegen ihn anwandte. Oder Kalifa. Oder Robin. Sie hielt dicht, obwohl sie in der Lage war alles aufzudecken. Sie selbst war ihnen gar nichts schuldig. Angst hin oder her, sie dürfte ihnen das Leben zerstören, wenn sie denn wollte. „Überrascht dich etwa mein Trinken?“ Stutzig hob er eine Braue. Wenn er aufgebaut dastand, konnte er einschüchternd sein. Bei seinem Körperbau wunderte es Nami nicht, dass er kein leichter Gegner war. Im Gegenteil. Vielmehr wunderte es sie, dass er in jener Nacht sehr viel abbekommen hatte. „Deine Stimmungsschwankung triffts eher.“ Natürlich verteidigte er Robin. Beide kannten sich seit Jahren, waren innige Freunde, Partner. Nami hatte die Beziehung der beiden mitbekommen. Für Robin würde er alles tun, dasselbe galt für sie. „Ernsthaft. Zuerst warst du vollkommen ruhig, dann kam unsere Meinungsverschiedenheit und dann startete das Besäufnis.“ Wobei er dafür doch recht gut davongekommen war. „Ist mein Problem.“ Unrecht hatte Franky nicht. Eigentlich ging sie sein Zustand nichts an. Nicht mehr. Nami wies ihn auf dieselbe Weise zurück, wie sie es mit Robin tat. Er war eben nicht nur ihr bester Freund, sondern genauso ein kaltblütiger Partner. „Robin bedeutet dir viel, ist mir klar. Ihr kennt euch seit Jahren und macht genug Scheiße zusammen mit … ihr macht einiges zusammen. Meine Sicht muss dir ein Rätsel sein. Du hast dich an deine Welt gewöhnt. Für dich ist euer Lebensstil normal. Für mich ist es das komplette Gegenteil. Kein Wunder, dass du Robin durchaus beschützen willst.“ Nichtssagend fuhr er sich durchs Haar. Es war wieder geschnitten, deutlich kürzer das seine aufgestellte Frisur besser zur Geltung brachte. „Vielleicht hast du dir erhofft, ich würde bei ihr bleiben, aber glaub ja nicht, ich habe sie abgehakt und mache mit irgendwelchen Leuten weiter.“ Der Kommentar störte Nami gewaltig, obgleich er es nicht sollte. Was sie tat, war ihre Sache. Sie war niemanden eine Rechenschaft schuldig. „Du willst wissen, was mich wurmt? Ich habe Robin animiert! Jahre hat sie sich von Gefühlen ferngehalten, sich lediglich auf ein bisschen Spaß eingelassen. Bis du aufgekreuzt bist und ich Idiot habe sie unterstützt. Sie ermutigt.“ Frustriert stöhnte Franky. „Wir sind nicht dumm, wir wissen, worauf wir uns bei Beziehungen einlassen. Warum sonst haben wir keine? Normale Menschen liegen uns nicht und aus der Branche? Kannst du vergessen. Robin hat mit Pola draufgezahlt. Bei dir hat sie dann nach und nach jede Regel über Bord geworfen. Natürlich ahnen wir das Ende, unser Leben hat einen Preis – du hättest sie sehen müssen.“ Sein Blick wurde traurig und Nami hörte nur schweigend zu. „In Ferrara haben wir unüberlegt gehandelt. Alles ging zu schnell. Zorros Anruf, das abrupte Aufbrechen … wir wussten, wer involviert war, aber nicht wer auf uns gewartet hat. Eigentlich arbeiten wir geschickt, hinterlassen keine Spuren, am Tatort und an unseren Körpern. Wir sind leider gut darin. Ist dir klar, warum sie sich nicht gemeldet hat? Weil sie gewusst hat, dass das zum Ende führen konnte. Dass du da schon die Wahrheit herausfindest. Schlagartig wurde ihr die Realität bewusst. Und wir haben uns Mühe gegeben, genau das zu verhindern.“ Schwer schluckend, wich Nami seinem Blick aus. Zu gut erinnerte sie sich an Robins Zustand. Damals war die Frage aufgekommen, warum Robin so aufgelöst war, ihre Entschuldigung. Rückblickend verstand Nami, auch wenn es nichts an der Tatsache änderte. „Schon vor dir haben wir über ein Aufhören geredet. Wir sind müde, versuchen auf verschiedenste Arten zu kompensieren. Nach den Jahren ist das Aufhören leider nicht mit einer Kündigung getan. Wir haben genug gehört und mitbekommen. Das ist manchmal eben kein einfacher Schritt. Das kannst du gar nicht verstehen.“ Mit beiden Händen raufte sich Franky sein Haar. Er wurde emotionaler als erwartet. „Glaubst du etwa, wir haben nie darüber nachgedacht, was gewesen wäre, hätten wir uns anders entschieden? Ein normales Leben aufgebaut? Das einzig Gute daran ist unser Zusammenfinden und dann kommt die Mistgeburt und setzt dem ein Ende.“ Kaku. Franky brauchte seinen Namen nicht nennen. Sein Tod hatte tiefe Spuren hinterlassen. Offiziell war er bei einem Unfall ums Leben gekommen. Dank der Enthüllung kannte Nami die Wahrheit. „Franky-“ „Ich will meine Freunde glücklich sehen und ich wünschte, du würdest eine andere Wahl treffen. So naiv bin ich aber nicht. Mir ist klar, dass du das nicht bist. Dass du mit uns nichts am Hut haben willst. Ich verstehe dich, an der Stelle würde ich vermutlich das gleiche tun.“ Nami fehlten die Worte. Was sollte sie überhaupt sagen? Die damaligen Beweggründe waren ihr unbekannt. Darüber den Kopf zerbrechen? War es der Sache dienlich? Oder ob sie entkommen wollten? Irgendeinen Weg mussten sie haben. Lagen nur die Schwierigkeiten dahinter oder vielleicht doch die Bequemlichkeit? Ihr Leben war aufgebaut, machten sie ihre Arbeit, lief alles glatt. Kein Grund für einen raschen Rückzug. Was sie eher nachvollzog, war Robins kleiner Zusammenbruch. „Den Unfall habe ich euch abgekauft. Zorro hat mitgemacht und ich habe eine Lüge nie in Erwägung gezogen.“ „Er ist ein guter Freund“, verteidigte Franky. „Er hat in euer beider Interessen gehandelt.“ „Wird mir langsam bewusst, keine Sorge“, gestand Nami ein und ging ein paar Schritte. Das Stehen ließ sie frösteln. Vermutlich befand sie sich mit den Jungs auf einem besseren Weg. Die Ausgangslage unterschied sich eben doch. Und Robin? Automatisch wanderte ihr Blick nach oben. Fast sternenklar war der Himmel. Die Zwickmühle blieb, fast hilfesuchend sah sie zu den Sternen. „Ich liebe Robin“, sprach sie leise und knabberte an ihrer Unterlippe. „Jeden Tag wünsche ich mir, ich könnte darüber hinwegsehen.“ Da hörte sie ihn lachen und als sie hinübersah, setzte er ein merkwürdig melancholisches Lächeln auf. „Bald löst sich dein Problem in Luft auf. Sind wir erst fort, wird dir die Trennung leichter fallen und-“ „Stopp!“, unterbrach sie Franky geschockt. „Willst du sagen, ihr verlässt Venedig?“ Sofort nahm ihr Herzschlag an Fahrt auf. Sie hatte sich keinesfalls verhört. Sie verließen Venedig. Robin verließ Venedig. Sollte sie sich nach dem Fiasko nicht freuen? Immerhin haderte sie und fragte sie ständig, wie sie dahingehend weitermachte. Freudensprünge waren angebracht. Stattdessen verspürte sie blankes Entsetzen, das ihr kurzweilig die Luft nahm. Fragend neigte Franky den Kopf. „Stört’s dich?“ 28. Februar 2013 Zum Verrücktwerden! Warum sprach sie über den Wünsch zurückzukehren? In die Zeit in der sie einander hatten. Erst freundschaftlich, dann in einer Beziehung. Ein gewaltiger Widerspruch, der ihre Aussagen Robin gegenüber unglaubwürdig machte. Widersprüche standen jedoch an der Tagesordnung. Erst verfluchte sie Robin. Dann wollte sie unbedingt ihre Nähe. Dabei war sie doch aufgebrochen, um aus den vielen Eindrücken auszubrechen und endlich ein neues Ziel finden, dem sie folgen konnte, ohne erneut zurückgeschleudert zu werden. Robins Anwesenheit brachte sie ins Wanken. Der Fluchtgedanke war verschwunden, vielleicht weil sie langsam begriff. Hadern ja, aber sie war dem falschen Weg gefolgt. „Schätze, du hast Recht behalten.“ Ob es Nami gefiel oder nicht. Robin hatte einen Punkt getroffen. „Das ständige im Kreis drehen, hält auf. Abstand ist hilfreich – manchmal. Geschickt umgehe ich euch alle, aber mich selbst?“ Gefangen in einem Kreislauf. Nami hatte auf mehr gehofft. Vielleicht blieb der Kontakt aus, doch innerlich nahm sie kaum eine Veränderung wahr. Ein nervenreibender Wechsel zwischen verschiedensten Gefühlen. „Dich als Monster abstempeln … was soll ich sonst tun, außer an meinen Gefühlen zu ersticken? Ich rede mir ein, dass du aus meinem Leben verschwinden musst. Erst dann kann ich dich vergessen – wenn es bloß so leicht wäre.“ Aus gutem Grund hatte sich Nami verschanzt. Aus der Ferne war ein Urteil schnell gemacht. Ein leichtes Spiel. Getrübt wurde das Urteil von Robins Anwesenheit. Standhalten wurde zum Kraftakt. Das stellte Nami auf schmerzhafte Weise fest. Schmerzhaft, weil sie darüberstehen wollte, aber nicht konnte. Dafür spürte sie als hätte sich ein anderer Knoten gelöst. Statt in ihren Gedanken eingeschlossen, sprach sie offen darüber. Mit Robin. Der Grund für ihren miserablen Zustand. „Reden ist besser als Schweigen.“ „Sagst ausgerechnet du“, seufzte Nami kopfschüttelnd. Ausgerechnet Robin, die kaum über ihre Gefühlswelt sprach. Lieber in sich gekehrt blieb. Sie zum Sprechen bewegen, war oft genug eine Herausforderung gewesen. „Es war kein Autounfall, ich habe mich mit Sanjis Bruder angelegt. Der Kerl hat mich als Boxsack benutzt und wollte sich nicht so schnell das Genick brechen lassen. Dem anderen habe ich dafür die Kniescheibe zerschossen. Tut mir leid, dass ich dafür unser Date habe sausen lassen“, entgegnete Robin provokanter als womöglich gewollt und sah Nami ausdruckslos an. „Solche Gedanken?“ Blinzelnd stand Nami da, war sprachlos. „Oder hey, ich schiebe Panik, weil du meinen Nebenerwerb nicht kennst und unsere heile Welt eine tickende Zeitbombe ist. Sie kann jederzeit hochgehen und ich kann nur daran denken, dass ich dich nicht verlieren will. Besser?“ Ein trauriges Lachen folgte. Robin nahm kein Blatt vor den Mund. „Seine Kniescheibe?“, scherzte Nami. Sie versuchte einen Scherz zu machen, einfach um nicht in ein unangenehmes Schweigen zu fallen. Schulterzuckend setzte Robin den Weg fort. „Knie, Schulter. Irgendwie musste ich Franky helfen.“ Robins Körperhaltung veränderte sich, wurde zunehmenden angespannter. „Capone habe ich vergiftet. Ist recht einfach gewesen. Obwohl er sich Feinde gemacht hat, bin ich ihm rasch nah genug gekommen.“ „Warum erzählst du davon?“ „Kannst du dir ausmalen, warum ich hier bin?“ „Um mich zurückzugewinnen?“ Allein das Parfüm sprach Bände. 10. März 2013 Knapp nach zwei Uhr morgens blieb Nami nach Luft ringend stehen. Licht brannte. Genug für einen Kurzschluss – sie klingelte stürmisch. Der Schrei einfach umzudrehen, nach Hause zu gehen und die Aktion auf den Alkohol schieben (in ihrem Fall recht lächerlich), blieb ungehört. Stattdessen stand sie starr da und wartete. Und das für eine gefühlte Ewigkeit. Vermutlich wurde erst vergewissert, wer um die Uhrzeit auf Besuch aus war. Kaum öffnete sich die Türe, kam Nami ein warmer Lufthauch entgegen und Robins gefasster Blick bestätigte Namis Vermutung. Verständlich. Für einen Augenblick lang betrachtete sie Robin, dann kam sie mit dem Wesentlichen: „Stimmt es? Verlässt du die Stadt?“ „Franky?“, fragte sie nach kurzer Bedenkzeit, woraufhin Nami nur nickte. Seufzend lehnte Robin an den Rahmen. Dabei verschränkte sie dir Arme, Robin war auf Distanz aus. „Bist du deshalb hier? Für die eine Frage?“ Nami zog die Brauen zusammen. Also sprach er die Wahrheit. Robin holte gerne zur Gegenfrage aus, wenn sie keine direkte Antwort geben wollte. „Warum?“ „Warum ich gehe? Erklär du mir lieber, warum du mich in der Nacht aufsuchst, anstatt dich zu freuen.“ „Weil …“ Weil? Was war der Grund für ihren Überraschungsbesuch? Sobald sie vom Umzug erfahren hatte, hatte sie das Gespräch rasch beendet und war, ohne nachzudenken hierher gerannt. Einzig und allein für eine Bestätigung oder, wenn sie ehrlich war, um eben keine zu bekommen. Zu hören es wäre bloß ein Scherz. „Nami“, wurde Robin ungeduldig. Unschlüssig betrachtete sie Robin. „Geh nicht.“ Dann folgte der zweite Kurzschluss. Nami gab nach. Ihrer Sehnsucht. Ihrem Verlangen. Ihrem verdammten Herzen. Rasch überbrückte sie den Abstand, ihre Hände umfassten Robins Gesicht, zogen es zu sich hinunter. Kaum berührten ihre Lippen Robins, verschwanden alle Bedenken. Sie hörte nichts, außer den eigenen Herzschlag, der wild triumphierte. Es war alles das Nami wollte und doch … „Nami!“, hörte sie den mahnenden Tonfall, der sie aus der Starre und ihrer offensichtlichen Fantasie holte. „Warum bist du hier?“ Robin lehnte noch immer distanziert im Türrahmen, während sie selbst auf der obersten Stufe stand. Kein Nachgeben, kein Kuss. Nichts. Langsam löste sich Nami aus der eigenen Verwirrung. Die Realität kehrte schlagartig zurück. Was hatte sie sich gedacht? Woher der Sinneswandel? Zwei Wörter, zwei läppische Wörter: Geh nicht. Wo blieb die Freude über ein Gehen? Das Desinteresse? Doch anders als in ihrem Kopf, brachte sie nichts über ihre Lippen. Kapitel 52: Impulso. -------------------- Impuls. 10. März 2013 »Vermutlich bekommst du noch Besuch?« »Von dir?« »Nein … sagen wir ich habe jemanden in der Bar getroffen und mich dezent verplappert … so ein bisschen?« Nochmal las Robin über die Nachrichten drüber, warf einen prüfenden Blick auf die Uhrzeit. Knapp nach Eins. Wer wollte jetzt noch mit ihr reden? Gerade als sie kopfschüttelnd die nächste Antwort abgetippt hatte und sie absenden wollte, hielt sie inne. Grübelnd zogen sich ihre Brauen zusammen. Bruno. Gast. Verplappert. Ein möglicher Besuch. Es dämmerte und sie löschte das Geschriebene, schickte stattdessen nur einen Namen: »Nami.« Wer sonst käme in Frage? Während Robin nur auf eine Bestätigung wartete, schenkte sie Rotwein nach. »Bingo … mein Fehler … sorry?« Offen stand nun, welche Information herausgerutscht war. Robin betete förmlich, er hatte nur den Umzug ausgeplaudert. Im Redefluss, gespickt mit den eigenen Emotionen, war bei Franky viel möglich. Dementsprechend fühlte Robin eine Erleichterung und sie trank einen großen Schluck. »Wirklich nur unser Verschwinden. Versprochen! Sollte sie so auch nicht erfahren … hab mich reingeredet.« Seufzend nickte sie vor sich hin. Korrekt – der Plan sah einen sauberen Schnitt vor. Bislang lief er auch reibungslos ab. Wichtige Punkte waren geklärt und der größte Teil bereits eingepackt. Robin würde ihr Noch-Zuhause nicht zur Gänze aufgeben, aber eine Rückkehr war auf längere Zeit hin nicht vorgesehen. Manches blieb einfach zurück. Sie händelte es auf dieselbe Weise, wie sie es die letzten Jahre über mit St. Petersburg getan hatte. »Vielleicht will sie dich ja abhalten … dich so ignorieren oder gar nicht mehr sehen können ist ein Unterschied … findet ihr zurück können wir alles abblasen und bleiben??« „Idiot“, murmelte Robin gepresst. Wahrscheinlich hatte er erneut zu tief ins Glas geschaut. Das merkte Robin nicht länger nur am Schreibstil, sondern auch langsam am Inhalt. Wenn er plötzlich an eine glückliche Fügung dachte, musste er einfach mehr getrunken haben, auch wenn Namis Verhalten sie gerade selbst irritierte (sofern sie sich tatsächlich hierher begab). Gevatter Alkohol? Ausgerechnet bei Nami? Er lockerte zwar, aber bei ihr brauchte es am Ende doch eine ordentliche Menge. Irgendwie glaubte sie nicht an ein Besäufnis ihrerseits. Vermutlich diente das Gespräch der beiden als Anstoß. Nami und Franky. Eine Unterhaltung der beiden kam überraschend. Andererseits hatte das Treffen Robin aufgezeigt, dass eben nicht nur sie sehr unter der Trennung litt. Sie beide blieben einfach standhaft, hielten gegen ihre Gefühle. Wobei Robin sich eher an Nami orientierte. In dem Fall musste diese den Schritt machen, nicht Robin. Vielleicht brauchte es eine unerwartete Kleinigkeit, die das eigentliche Vorhaben über Bord warf. Nami hatte ihren Standpunkt verdeutlicht und eigentlich müsste sie sich über die Neuigkeit freuen. Das Problem löste sich von allein auf. Was, wenn Franky richtig lag? Robin nahm einen weiteren Schluck. Noch immer wünschte sich ihr Herz endlich aufzuwachen. Dass sich die letzten Wochen als Albtraum entpuppten. Wäre es anders, würde Robin längst über sie hinweg sein, aber es gehörte eben dazu. Zu hoffen, wo es keine Hoffnung gab. Umso mehr erstickte sie ihre Gefühle rigoros, sie gewährte ihnen kaum Freiraum. Damit hatte sie aufgehört, direkt nach der Zürich-Reise. Happy Ends mochten für andere existieren, in ihrem Leben fanden sie jedoch keinen Platz. Nach vorne. Sie orientierte sich strickt geradeaus. Jahre war sie ohne Liebe ausgekommen, warum also nicht wieder in das Gewohnte zurückkehren. »Abwarten, ob sie kommt oder nicht. Geh nach Hause und schlaf dich aus.«, antworte Robin und legte das Handy am Tisch ab, rieb sich anschließend müde die Augen. Robin war an wenig Schlaf gewohnt. Hielt sie ein Auftrag auf Trab oder die normale Arbeit, ihre Gedanken oder gar Ängste. Als ob nie eine Stille einkehren durfte. So hatte sie lange gelebt, erst Nami hatte die Gewohnheit verändert. Positiv verändert. Robin hatte ungewöhnlich schnell gelernt öfter abzuschalten, früher schlafen zu gehen, anstatt die halbe Nacht wachzubleiben. Selbst allein war ihr das hin und wieder gelungen. Mit der Trennung fiel sie dann rascher ins gewohnte Muster zurück als es ihr lieb war und der Rückschritt rächte sich. Denn ihr Körper zeigte sich alles andere als erfreut. Verrückt, wie schnell manche Veränderungen griffen. Nun blieb hierfür keine Zeit, sollte Nami sie besuchen, würde sie keinen Schlaf finden. Ihr Kopf würde sie nicht lassen. Eigentlich sollte sie die Wendung nicht unerwartet treffen. Stets spielte Robin sämtliche Szenarien durch, ob sie wollte oder nicht. Ihr Doppelleben trug dazu bei. Manchmal stellte sie sich das Unmöglichste vor, damit sie jedem erdenklichen Problem frühzeitig entgegenwirken konnte. Der Großteil entpuppte sich glücklicherweise als einfache Hirngespinste. Manchmal war ihr das Leben erleichtert worden, wenn nicht gar gerettet. Leider zerrte es an ihren Kräften. Wenn sie bloß hierbei dasselbe Gespür gehabt hätte. Nami machte es ihr nicht leicht. Aber eigentlich hatte es ja funktioniert, wenn auch auf andere Weise. Heute zeichnete sich Franky aus, der öfter zu den Kandidaten gehörte, die Komplikationen brachten. Er tat es nicht mit Absicht, aber wurde seine Zunge lockerer … normalerweise liebte er kryptische Andeutungen, mit denen Außenstehende nichts anfangen konnten, aber nein. Bei Nami musste er es direkt aussprechen. Diese machte anscheinend die gewünschten Fortschritte, wenn sie bei Bruno einkehrte. Offensichtlich lenkte sie bei den Jungs ein und kehrte langsam in den Alltag zurück. Etwas, das sich Robin für sie wünschte. Sie wusste ebenso vom Brunch und seinem Ausgang. Sanji hatte nicht gejubelt, sondern gezweifelt, ob es jemals wieder wie früher wurde. Geduld. Er musste sich in Geduld üben. Alles brauchte seine Zeit und das Einmischen der beiden schadete dem Vertrauen ineinander. Dennoch blockte sie nicht komplett. Ob Zorro dahintersteckte? Zügig leerte Robin das Glas. Obwohl sie sich bedeckt hielt, blieb sie auf ihre Weise in Reichweite. Ein Fehler. Sie verletzte sich selbst. Dennoch hoffte sie so auf eine Besserung, wenn sie mitbekam wie sich Nami machte. Kurz sah sie auf die Uhr. Suchte sie Robin auf, sollte sie bald eintrudeln. Mit einem tiefen Seufzen schloss Robin die Mappe vor sich und stand auf. Ignorieren wäre eine Option, so tun als wäre sie auswärts oder einfach auf eine frühe Abreise deuten. Ein verlockender Gedanke. Immerhin war ihr deutlich gemacht worden, wie die Dinge standen. Dennoch entschied Robin dagegen. Warum sollte sie davonlaufen, wenn das Ende so oder so kam? 18. Februar 2013 Der nächste Dämpfer, der nächste tiefe Stich. War der Wunsch nach einer positiven Wendung so verrückt? „Robin? Komm, sag etwas.“ „Wir waren naiv … sie macht ihren Standpunkt deutlich.“ Zu deutlich. Robin war dumm gewesen, nicht an das Abhauen zu denken. Abwimmeln, ein normales Blocken, aber eben nicht ein Abreisen. Ihr Fehler. Sanjis Vortrag hatte eben Hoffnung entfacht. Hätte das Vorhersehen überhaupt eine Veränderung gebracht? Geholfen? Wäre sie direkt zu Nami, um sie davon abzuhalten? Oder hätte Sanji versucht ihr das Vorhaben auszureden? Im Grunde war das Kalkulieren deplatziert. Hierbei besaß Robin keinen Handlungsfreiraum. Namis impulsive Ader war manchmal kaum einschätzbar. Alles war möglich. Erst recht in Situationen, in denen Gefühle entschieden. Und war Robin ehrlich mit sich, so standen ihr die eigenen im Weg, beeinträchtigten die Sicht auf das Wesentliche. Deshalb beendete sie all ihre Aufträge, weil sie die Gefühle fernhielt. Kalkulierend, gefühlslos plante sie. Ein klarer, kühler Kopf vollbrachte Wunder. Genau dieser kam bei Nami abhanden. „Wir finden einen Weg. Sie kann uns nicht ewig ignorieren“, sprach Sanji neuerlich gut zu. Zwecklos. Was er auch sagte, Robin fand gerade keinen Silberstreif. Vielmehr verstand sie Namis Handeln. Reißausnehmen – vor dem Fiasko davonlaufen, wer sollte es verstehen, wenn nicht Robin? „Sie braucht Zeit, mehr nicht. Hat sich Nami erstmal gefangen, kommt sie zurück und wir reden. Wir klären das Problem und sie wird uns schon irgendwie verstehen.“ Unweigerlich unterdrückte Robin ein Lachen. Glaubte er an seine Worte oder sah so sein kläglicher Versuch aus, sich selbst Hoffnungen zu machen? Mittlerweile dachte Robin weiter, dachte darüber nach, was ihre Abreise bedeutete. Ob Nami Venedig nun gänzlich den Rücken kehrte oder ob sie bloß für eine Weile das Weite suchte. Realistisch waren beide Möglichkeiten. Da brach langsam die Verzweiflung durch, sie lehnte erschöpft vor und massierte ihren Nasenrücken. Das Telefonat glich einem Albtraum. „Sanji“, fing sie mahnend an. „Uns sind nun die Hände gebunden. Du musst das einsehen. Sie will nicht reden und uns schon gar nicht sehen. Akzeptier ihre Entscheidung.“ „Gibst du kampflos auf?“, fragte er knirschend. Aufgeben. Robin ließ sich das Wort auf der Zunge zergehen. Wollte sie weinen oder lachen? Es wäre das Beste. Nami ziehen lassen und sämtliche Verbindungen kappen. Leben wie früher. Niemanden Rechenschaft leisten. Eine schmerzhafte Vorstellung. Der Gedanke reichte aus. Wie würde sich die Realität auswirken? Hätte sie den einen Punkt nie überschritten. Wäre sie vor Monaten standhaft geblieben. Immer und immer drehte sie sich im Kreis. Dieses Was-wäre-wenn-Spiel – furchtbar! Weitermachen fühlte sich unmöglich an. Als nur die Freundschaft im Raum stand, wäre ihr ein Cut leichter gefallen. Dennoch … nichts war unmöglich, so sagte man. Natürlich existierte ein Leben ohne Nami. Nur war der Weg zurück mit neuen Strapazen verbunden. Er war steiler. Ihr war bewusst, dass sie keine Vergleiche zu Laki oder Pola ziehen durfte. Die Ausgangslage unterschied sich, Robin fühlte es klar und deutlich. War sie ehrlich, so hatte sie sich mit beiden rasch abgefunden. Akzeptiert, sich mit Arbeit abgelenkt, bis beide nur noch eine blasse Erinnerung geworden waren, ohne Reue, ohne sich schlecht zu fühlen. Dasselbe würde sie mit Nami tun oder probieren. Denn aktuell fand Robin kaum eine passende Ablenkung. Es dauerte wesentlich länger. Immerhin hatte Robin sämtliche Regeln über Bord geworfen. Schritt für Schritt hatte sie damit angefangen, den Gefühlen Oberhand gewährt, trotz des Wissens, das sie ein gefährliches Spiel trieb. Ausgerechnet Robin hatte die Kontrolle abgegeben. Natürlich wurde sie nun von ihrem selbst erschaffenen Chaos überrollt. Liebe forderte einen Preis. „Heute. Morgen. Aktuell fügen wir uns, ist besser. Du hast sie weder gehört noch gesehen. Sie verabscheut mich und ihr Handel unterstreicht es. Mein Gefühl sagt mir, ich mache alles schlimmer, sobald ich aufdringlich werde.“ Auf die Spitze treiben war ein Kinderspiel, wenn sie das Beste für sie beide wollte. Darauf zielte Robin nicht ab. Noch hinderten sie die Gefühle. „Nochmal, wir sollten ihre Entscheidung akzeptieren. Ein paar Tage helfen, allein zum Begreifen. Sie muss es erst mal verarbeiten. Glaub mir, sie wird euch verstehen.“ Danach konnten sie noch immer aktiv werden. Nachreisen, eingreifen. Oder eben die Füße stillhalten und auf eine baldige Rückkehr warten. Optionen waren vorhanden, man musste lediglich richtig wählen. Derzeit würden sie das Zerwürfnis schlichtweg nähren. „Was ist, wenn unsere Untätigkeit Konsequenzen hat? Sind wir auf dem Holzweg, gibt es vielleicht kein Zurück mehr.“ Das Risiko mussten sie eingehen. „So sehr ich auf eine Klärung hoffe, so bleibe ich auch realistisch. Meine Chance ist minimal. Eure Freundschaft wird den Zwist überstehen. Also mach ihr keinen Druck, gehe durchdacht vor.“ Er wollte nicht aufgeben, einfach stehengelassen werden, sie verstand Sanji. Natürlich und sie ahnte, dass er bereits in Erwägung zog ihr nachzureisen. Doch was brachte es, wenn Nami nicht reden wollte? Wenn ihr das Ausmaß gerade zu viel war? Das Ziel stand fest, doch mussten sie am Weg dorthin selbst Abstriche machen. Immer lief nicht alles nach eigenem Wunsch und daher blieb das Warten die beste Option. So sehr Robin es auch verabscheute. „Okay, okay … ich mache mir aber um den Mistkerl Sorgen. Mischt er sich ein, was dann? Ein getrübtes Urteil entpuppt sich für solche Kerle als Fressen.“ Trafalgar. Robin vergaß auf ihn nicht, im Gegenteil. Den angerichteten Scherbenhaufen verdankte sie ihm, dank seinem Handeln hatte alles Fahrt aufgenommen. Natürlich wusste Robin wer die Hauptschuld trug, sie allein, aber es hätte eine andere Wendung nehmen können. Sein Einmischen stieß grob auf und gerne hätte sie ihn büßen lassen. Für sie war er das gefundene Fressen. Leider würde sie damit genau das tun, das er erwartete, das sie gänzlich von Nami entfernen würde. Nahm sie sich Trafalgar vor, verlor sie Nami für immer. „Sie ist verletzt, nicht dumm. Vertrau ihr“, war alles das Robin sagte, obwohl sie den eigenen Worten mit gemischten Gefühlen gegenüberstand. Sie selbst musste sich an ihre Worte halten und Nami vertrauen. Nachdem sie aufgelegt hatten, blieb Robin sitzen, wobei sie einfach auf das schwarz gewordene Display starrte. Die Situation lief gewaltig aus dem Ruder. Ausgerechnet für Robin, die sonst diejenige war, die den Überblick bewahrte und vorbereitet war. Normalerweise zog auch sie sich zurück, schloss die Welt aus und blieb für sich. Dieses Mal trieb sie genau jene Reaktion in den Wahnsinn. Zu gut verstand sie Nami. Mehr als ihr gerade lieb war. Das Lügennetz musste irgendwann reißen und den Stein hatte Bonneys Rettung gelegt, ab da war alles langsam dem Bach hinuntergegangen. Jene Nacht hatte das Ende eingeläutet. Aus einer dunklen Vorahnung war die bittere Realität geworden. Und Robin stand am Anfang, sie musste erst herausfinden wie sie eben mit jener Realität umging. 10. März 2013 Die Stille wurde mit stürmischem Klingeln unterbrochen. Leicht zuckten ihre Mundwinkel. Unter anderen Umständen würde Robin Freude empfinden, stattdessen krampfte ihr Magen. Nami vor der Tür zu wissen, fühlte sich merkwürdig an. Normalerweise stand sie sofort auf oder manchmal wäre Nami einfach hereingeschneit. Dieses Mal nahm sich Robin Zeit. Sie ließ Nami absichtlich warten. Einerseits wollte sie das Gefühl vermitteln, sie wüsste nichts vom Besuch, während sie auf der anderen Seite selbst ein paar Minuten brauchte. Robin hatte eine Entscheidung getroffen, die Vorkehrungen waren abgeschlossen, da überstand sie doch auch eine weitere und wohl letzte Konfrontation. Eigentlich. Vielleicht – sofort stoppte sie – kein Zurück. Ihre hoffenden Sehnsüchte mussten endlich aufhören. Im Flur warf Robin einen raschen Blick in den Spiegel, straffte die Schultern und schob den Gefühlen einen Riegel vor. Als sie die Tür öffnete und sie Namis errötetes Gesicht erblickte, blieb sie gefasst. „Stimmt es? Verlässt du die Stadt?“, hörte sie nach einem gedehnten Schweigen, das Robin seufzend gegen den Rahmen lehnen ließ. „Franky?“, fragte Robin, als kannte sie die Antwort nicht, als wäre es ihre eigene Vermutung. Vermutlich wäre sein Name auch ohne Vorwarnung gefallen. Wer sonst sollte sich ihr gegenüber verplappern? Ein Nicken reichte und Robin verschränkte abwehrend die Arme. „Bist du deshalb hier? Für die eine Frage?“ „Warum?“ „Warum ich gehe? Erklär du mir lieber, warum du mich in der Nacht aufsuchst, anstatt dich zu freuen.“ „Weil …“ Weil was? Robin wartete, spürte einen ungewohnt aufkeimende Ungeduld. Was änderte das Wissen? Nami hatte längst verdeutlicht, wie die Zukunft aussah – sie existierte nicht und darauf basierten manche Entscheidungen. „Nami.“ Wenn sie etwas sagen wollte, dann sollte sie damit rausrücken. Stattdessen wurde Robin angestarrt. Fast geistesabwesend. Suchte sie nach Worten oder den Mut oder bereute sie am Ende ihren überhasteten Überfall? Alles sah nach einem schlichten Kurzschluss aus. Ernüchterung brach schnell durch. „Nami!“, wiederholte Robin fordernd, während sich ihre Finger druckvoll in den Pullover krallten. Um die Zeit geschah meist nichts Gutes. „Warum bist du hier?“ Nami blinzelte, setzte zum Sprechen an, ehe sie erneut die Lippen aufeinanderpresste. Vor ein paar Monaten noch hätte sie diesen Augenblick anders aufgenommen. Damals hätte der Besuch nur eine Bedeutung gehabt und Robin wäre dieser Art verfallen. Heute war sie dem Verzweifeln nahe. Tag für Tag hatte sie auf eine Reaktion, ein Entgegenkommen gewartet. Bis sie selbst eingriff, bis sie selbst verstand, was das Beste für beide war. Und ausgerechnet jetzt, wo Robin den Weg gewählt hatte, stand sie vor ihr. „Ich will nicht, dass du gehst“, brachte diese dann schwer hervor, als hätte es sie immense Kraft gefordert. Ein Zucken ihrer Augen war alles, das Robin zuließ, während sich in ihr ein Sturm zusammenbraute. Sie verstand Nami nicht. Woher der Sinneswandel? Warum scherte sie sie nicht endlich zum Teufel, so wie die vorherigen Male? „Verlass nicht die Stadt. Ist es denn notwendig?“ „Du selbst hast dich aus dem Staub gemacht-“ „Um Ruhe zu finden“, unterbrach Nami. „Ein recht stümperhafter Versuch, ich weiß. Bis ich dich getroffen habe, habe ich nur gelitten, nicht verarbeitet.“ „Ob ich bleibe oder gehe, was ändert es? Sind wir kein Paar mehr, kann ich tun und lassen, was immer ich möchte.“ Daraufhin zog Nami hörbar Luft ein. „Ich habe dich verstanden. Von Anfang an. Es tut weh, aber ich akzeptieren deine Sicht. Tue ich, weil ich an deiner Stelle ähnlich denken würde. Ich selbst habe unzählige Male darüber nachgedacht. Kein normaler Mensch würde sich darauf einlassen und akzeptieren, wozu ich in Lage bin. Und würde ich aufhören – seien wir ehrlich, es bleibt verankert. Also Nami, was stört dich an meiner Abreise? Dass ich dich dein Leben ungestört weiterleben lassen oder dass ich für Rückfälle nicht abrufbereit wäre?“ Robin sprach ihre Gedanken unverblümt aus und sie erkannte, wie wenig Nami die letzten Worte gefielen. „Rückfall … denkst du so?“ „Was soll ich denken? Erst möchtest du mich aus deinem Leben und jetzt stehst du an meiner Türe.“ Robin wich ihrem Blick aus, starrte auf den Kanal neben dem Haus, an dem sich das Mondlicht mit den leichten Wellen schlug. „Ich habe nie mit dir gespielt. Keine Sekunde. Meine Gefühle sind aufrichtig und ich habe noch keine Idee, wie ich mich von ihnen lösen kann. Im Grunde tue ich, was du möchtest. Ich halte mich fern, ich gebe mich geschlagen, weil du uns berechtigterweise aufgegeben hast. Kaum ziehe ich mein Ding durch, hast du ein Problem. Bisschen unfair, oder?“ Ihr Blick wanderte nach oben, wie so viele Male. Manchmal suchte sie förmlich nach einer Antwort, nach einer Besserung. Doch blieb sie ungehört. Vielleicht verdiente sie den Ausgang, aber durfte sie ab einem Punkt nicht auch fühlen? Es war unfair, wo sie doch nur glücklich sein wollte. Aber das Karma schlief am Ende nie und in den Jahren hatte sie kein gutes aufgebaut. 23. Februar 2013 Es mangelte an Konzentration. Schwer kam Robin weiter, obwohl Arbeit als liebste Ablenkung diente. Sie steckte, denn kaum glaubte sie, sie fasste sich, schon driftete sie erneut ab. Momentan erkannte sich Robin selbst nicht. So tickte sie nicht. Ein stürmisches Klopfen ließ sie fragend aufblicken. Es war kein Termin eingetragen und als sie den unbekannten Gast hereinbat, wusste sie sofort, worauf der Überfall hinauslaufen würde. Vivi kam sichtlich außer sich hereingeschneit. Während diese zum Tisch kam und ihre Tasche auf dem Stuhl fallen ließ, lehnte Robin zurück. Schenkte ihr einen auffordernden Blick. Sollte sie alles loswerden und wieder verschwinden. Je schneller desto besser. „Was zum Teufel hast du angestellt?!“, begann Vivi fassungslos und warf die Arme in die Luft. „Und wehe du kommst mit einem bescheuerten Seitensprung daher, dann reiß ich dir den Kopf ab. Wenn du Nami für irgendeine daher gelaufene Frau abservierst! Ihr kann kaum die Schuld gegeben werden, wenn sie deinetwegen aus dem Land flüchtet und nach Hause fährt. Dann noch mit dem beschissenen Arschloch!“ Also lag Robin richtig. Law hatte bei der Abreise seine Finger im Spiel gehabt. Was den Rest anging, sollte Vivi besser aufpassen. Ungerührt sah sie zur Schülerin hoch. Ihr gab sie keinen Sieg, umso kälter war Robins Antwort. „Sie wird schon ihre Gründe haben, warum sie dir nichts sagt, und mir wäre neu, dass ich sie zur Flucht gedrängt habe. Ist ihre Entscheidung, findest du nicht?“ „Denkst du, ich sehe zu? Als ob ich hinnehme, was du mit ihr gemacht hast. Du bist der Grund für ihren plötzlichen Wandel.“ Mut hatte Vivi, dabei war sie sonst äußerst reserviert. „Was läuft hier?“ „Stell dir vor, Prinzesschen, Paare trennen sich und redet sie nicht mit dir, ist das dein Problem, nicht meines. Die Gründe gehen dich nichts an. Wenn du keinen anderen Grund für deinen Besuch hast, solltest du jetzt besser gehen.“ Eine Weile starrten sie einander an, ehe Vivi angewidert das Gesicht verzog. Robins Geduld wurde auf die Probe gestellt. Für solche Diskussionen fehlten ihr die Nerven. Ausgerechnet ihr. „Mittlerweile bereue ich es, Nami auf diese Gala geschleppt zu haben. Dann wärst du ihr erspart geblieben!“ Vivi machte keinen Heel aus ihren Gefühlen und Robin kämpfte – mit sich. Weder durfte sie nachgeben und näher auf Umstände eingehen noch Aufschluss auf ihr Innersten geben. Es würde die Situation komplizierter gestalten, als sie ohnehin schon war. Wenn Vivi im Dunklen gelassen wurde, dann machte Robin mit. Da mimte sie lieber den unnahbaren Eisklotz. Besser als offen zu legen, wie sehr sie unter der Trennung litt. Wie sehr sie Vivis Aussage mitnahm. Sie tat weh. Dabei war ihr der Gedanke selbst längst gekommen. Wäre sie Nami nie wieder begegnet, dann hätten sie sich beide großes Leid erspart. Ohne das Wiedersehen und die darauffolgenden Treffen wäre Robin nie so übermütig geworden. Robin hätte sie niemals so nah gelassen und schon gar nicht auf eine Beziehung, die von Beginn an zum Scheitern verurteilt gewesen war. Im Nachhinein immer leichter gesagt und woher wollte sie wissen, dass sie es nicht jederzeit wieder täte? „Sie ist alt genug und du solltest lernen Entscheidungen zu respektieren. Wenn sie dir nichts erzählen möchte, musst du dich eben in Geduld üben, statt mir eine Szene zu machen. Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig und jetzt geh, bevor du dich endgültig lächerlich machst!“, entgegnete Robin gefühlslos. Ihr tat auch Vivi leid. Mittlerweile kannte sie die Schülerin gut genug, aber in dem Fall durfte Robin nicht weich werden. Vivi biss sich offensichtlich auf die Zunge. Was immer sie sagen wollte und Robin glaubte an nichts Gutes, schluckte sie gekonnt. Wortlos machte sie kehrt und verließ das Büro, aber nicht ohne ein wütendes Türenknallen. Erst als Robin sich sicher fühlte, fiel die Spannung ab. Vorne übergebeugt, vergrub sie das Gesicht in den Handflächen, nahm mehrere, tiefe Atemzüge. In den Jahren hatte sie sehr viel getan, um sich ins rechte Licht zu rücken. Darunter Mauern erbaut, die oft wirkten, als wäre sie unantastbar, als stünde sie über allem. Ein Schutzmechanismus und der hielt sie seither am Leben. Ein Schein. Ein Witz. Wenn sie bloß so wäre. Wenige kannten die Wahrheit und die tat weh. Am Ende versteckte sie sich eben doch nur hinter einer Fassade und sie fühlte genug. Zu viel. Und momentan drohte sie darin zu ertrinken. 10. März 2013 „Fairness.“ Amüsiert schnalzte Nami mit der Zunge. „Was ist schon fair? Dein Lebenswandel, meine törichte Reaktion? Unser fehlendes Glück?“ Kopfschüttelnd setzte sie sich auf die oberste Stufe, klopfte auffordernd neben sich das Robin skeptisch eine Braue heben ließ. „Fangen wir damit an, werden wir nie fertig, aber ich verstehe dich.“ Zögernd betrachtete Robin den Rotschopf. Die Knie wurden angezogen, die Arme darumgelegt. Wollte sie so das Gespräch fortführen? Wieder hörte sich Robin seufzen, ehe sie kehrt machte. Statt Nami dort sitzen zu lassen, schlüpfte sie in eine Jacke, schloss die Tür und sank neben sie. „Ist eine Erkältung dann meine Schuld?“, neckte sie halbherzig, das Nami ein sanftes Lächeln entlockte. Für eine Weile schwiegen sie, saßen nebeneinander, starrten vor sich hin und hingen den eigenen Gedanken nach. Eine merkwürdige Stille zwischen ihnen. Nicht direkt unangenehm, aber eben auch nicht losgelöst und entspannend. Die Veränderung war spürbar. Weinen. Lachen. Robin fragte sich das, immer und immer wieder. Vielleicht sollte sie den kleinen Fortschritt einfach genießen. Vor einer Weile wäre dieser Moment unvorstellbar gewesen. „Du machst mich verrückt“, hörte sie das Murmeln der anderen. „Kaum bin ich dabei für mich einen Schlussstrich zu ziehen, schon komme ich angerannt und will dich sehen. Dich von etwas abhalten, das uns beiden guttun würde. Klar, die Stadt ist groß genug für uns beide-“ Robins Lachen unterbrach sie und Nami blickte fragend zur Seite. „Tut mir leid, aber groß genug? Darf ich dich an unsere Begegnungen erinnern? Denkst du ernsthaft wir würden uns durchgehend aus dem Weg gehen können? Manchmal habe ich das Gefühl wir sind fast dazu bestimmt.“ Sogar als Paar hatten sie es geschafft sich irgendwo zu kreuzen. Und nun sollte es aufhören? Wie konnte Robin nicht darüber lachen? „Natürlich ändern sich Umstände. Zeit ist ein Faktor, irgendwann kommt man darüber hinweg, aber darauf warten?“ Schief grinsend stieß Nami mit der Schulter gegen ihre. „Du hast dir alles schön ausgemalt, was?“ „Tue ich immer.“ Oder versuchte sie zumindest. „Ich weiß“, bedachte Nami seufzend und rieb sich die Hände. „Korrigiere mich, wenn ich falsch liege“, meinte sie ernst und suchte Augenkontakt. „Du tickst anders, das mag ich an dir. Was du tust, tust du durchdacht. Du lässt dich selten von einem Impuls leiten“, setzte sie zur Pause und schien etwas in Robins Augen zu suchen. Vielleicht eine stumme Antwort auf das kommende? Robin hegte bereits einen Verdacht. Sie war eben nicht auf den Kopf gefallen. „Bei deiner oder eurer Entscheidung spielen mehrere Faktoren mit, unsere Trennung nimmst du als die einfachste Ausrede.“ Entschuldigend lächelte Nami. „Vielleicht schätze ich dich gerade falsch ein, aber ich bezweifle, dass du mich so schnell aufgibst, der Stadt ohne lange Bedenkzeit den Rücken kehrst. Das tust du nicht meinetwegen.“ Ertappt. Zuerst fand Robin keine Worte, starrte Nami lediglich an, die daraufhin ihren Triumph genoss. Unrecht hatte sie nicht, es spielten andere Gründe mit, aber es von Nami zu hören … kein Wunder, dass sie sich in sie verliebt hatte. Und doch stieß ihr ein Punkt wiederum bittersüß auf. „Wir sind aufs Karussell aufgestiegen“, sprach sie gedämpft. „Du magst hier sein, aber ist das genug? Oder habe ich dich dieses Mal einfach überrumpelt?“ „Gefühle haben ihren eigenen Kopf. Ich sollte mich freuen. Stattdessen versetzt mir der Gedanke, dass du fortgehst einen Stich … verrückt. Wo liegt der Sinn darin? Manchmal wünschte ich, du würdest mich nicht gehen lassen, dann bin ich erleichtert darüber die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Ein ziemliches Chaos.“ Chaos passte und doch schien es nicht ausreichend. Nami hatte den ersten Schock überwunden, versuchte hinter die Fassade zu blicken, anstatt sie nur von sich zu stoßen, sie nur noch als ein Monster zu sehen. Ja, sie machte einen Schritt weiter, blieb nicht länger auf der Stelle, auch wenn es Robin beim größten Problem nicht half. Ganzgleich wie sie die Situation drehte und wendete, eine gemeinsame Zukunft blieb unerreichbar. In dem Fall blieb sie realistisch und das gefiel ihrem Herzen überhaupt nicht. „Es vergeht … irgendwann.“ Robin log sich selbst an. Irgendetwas sagte ihr, dass dem nicht so war. Nicht bei ihr. Es würde eine Besserung geben, aber gänzlich verschwinden? Daran zweifelte Robin. Nami war anders, das hatte sie von Anfang an gespürt. „Rede ich mir seither ein und doch sitze ich neben dir.“ „Irgendwann, habe ich gesagt“, betonte Robin nochmals. „Nicht heute. Wäre eine Spur zu einfach.“ Nami sah sie skeptisch an, in dem Punkt dachten sie dasselbe. Zum Verrücktwerden. „Hast du mit ihnen geredet?“, schweifte Robin ab. „Sind auf Kurs? Wird Zeit brauchen, aber ich schätze, wir bekommen das hin. Sie haben ihre Gründe, ich meine. Ist halt dumm gelaufen.“ „Wer kann schon zwei getretenen Hunden widerstehen?“ „Drei. Du hast deinen Kumpel vergessen“, sagte Nami mit ernsterem Tonfall, ehe sie lachen musste. Ein aufrichtiges, aus dem Herzen kommendes Lachen. Eines, das Robin vermisste. „Lachst du über unsere Möchtegern-Machos oder über unsere aktuelle, surreale Situation?“ „Beides?“, gestand sie verspielt und stand schwungvoll auf. „Wir haben den buntesten Haufen an Freunde. Die noch immer Hoffnung haben, während wir sie ersticken. Was ist das hier, zwischen uns?“ Robin hob ruckartig den Kopf. Ihr Herz hämmerte. Was war das zwischen ihnen? Damals. Heute. Das Lachen war längst verebbt und als sich Nami umdrehte und sich in ihren Augen Tränen abzeichneten, gab Robin auf. Kaum realisiert, schon war sie auf den Beinen, zog Nami zu sich hoch. Es war der Moment, in dem sie beide aufgaben und ihren Sehnsüchten folgten. 28. Februar 2013 „Kannst du dir ausmalen, warum ich hier bin?“, fragte Robin unverblümt. „Um mich zurückzugewinnen?“ Ja. Einfach zustimmen. Das wollte ihr Herz unter allen Umständen, aber mittlerweile dachte Robin um. Während sich Herz und Kopf ein langes Kopf-an-Kopf-Rennen lieferten, nahm der Kopf im Endspurt Geschwindigkeit auf und überholte. Natürlich ließ es sie nicht kalt. Nami so nahe, mit ihr reden und nach dem katastrophalen Start hatte sich sogar ihr Blick verändert. Ein Gemisch aus Wut und Traurigkeit, aber auch Verzweiflung und Sehnsucht. Für den einen oder anderen Augenblick war der Gedanken an Robin als Monster gewichen. Vielleicht, wenn es Robin direkt darauf anlegte, könnte sie einen kleinen Fortschritt machen, in die gewünschte Richtung. Nami tatsächlich ins Wanken bringen. Der Funken war da und Robin bräuchte ihn lediglich ergreifen, warum tat sie es dann nicht? Sie musste nur ihrem Herzen folgen. „Wäre ich erfolgreich oder würde ich mich lächerlich machen?“ Robin wich ihrem Blick aus. Vermutlich eine Mischung aus beidem. „Sei ehrlich, du hast längst begriffen, worauf es hinauslaufen würde. Kommen wir über eine Nacht hinaus, scheitern wir kurz darauf an den unüberbrückbaren Differenzen. Du wirst nie vergessen.“ Langsam drehte sie sich ihr entgegen, lächelte, wenn auch traurig. Denken und aussprechen waren zwei verschiedene Punkte und die eigenen Worte versetzten Robin einen gewaltigen Stich. „Mimst du die Vernünftige?“, fragte Nami leise. Irritiert hob Robin eine Braue. Was erwartete sie? „Vorhin bist du vor mir davongelaufen. Eigentlich tust du das seit fast zwei Wochen und jetzt hast du damit ein Problem?“ Robin verstand nicht, eigentlich tat sie das von ihr erwartete. „Oder soll ich betteln, obwohl du mich am Ende abweisen wirst? Ganzgleich was ich tue?“ Immerhin dachte Nami darüber nach, ob Robin ihretwegen hier war, um sie zum Schweigen zu bringen. Recht widersprüchlich das Ganze, aber sprachen sie hier über Gefühle. Sie waren nie rational. „Oh, hast du das in petto? Bitte, ich halte dich nicht auf.“ „Nami.“ Mit einem Unschuldsblick zuckte diese die Schultern, kam dann zögerlich näher. „Du willst Ehrlichkeit?“ Dicht vor Robin blieb sie stehen, legte die Hand an ihre Wange und zwang sie den Kopf zu senken. „Solange ich dich liebe, werde ich immer einen schwachen Moment haben. Mich fragen, was wäre wenn. Da kann ich mir einreden, was immer ich möchte. Unser Treffen ist der beste Beweis.“ Robin schluckte schwer, spürte ihren Herzschlag, die Wärme, obwohl Namis Hand kalt war. Hoffnung keimte auf, aber endete der Moment, bevor beide die Chance ergriffen. „Ich will uns zurück, jede Sekunde, aber-“ „Wir haben keine Zukunft“, flüsterte Robin. „Ich weiß.“ „Warum bist du dann hier?“ Langsam richtete sich Robin auf, schritt zurück. Ganzgleich was sie sagten, die Nähe ließ Robin nicht kalt. Sie wankte, würde sie für lange Zeit. „Deine Freunde. Dir verstehen helfen?“ Überrascht, ob von der Antwort oder doch dem Zurücktreten, hob Nami ihre Brauen. „Lass sie nicht im Unklaren. Für Vivi finden wir eine Lösung, ich spiele mit, was immer du ihr sagst. Zorro und Sanji leiden auf ihre Weise, ob gerechtfertigt oder nicht. Sich dem Monster stellen, kann Wunder bewirken.“ Mit schwachem Grinsen blickte sie hoch. Die Wolkendecke wollte sich nicht lösen. „Lügnerin. Du hast dir Hoffnung gemacht.“ „Machen wir uns die nicht immer? Bis wir einsehen, wie vergebens sie ist. Vielleicht habe ich realisiert, wie die Dinge um uns stehen und höre auf mir Hoffnung zu machen. Besser als einem Traum nachtrauern.“ Das Herz nicht unnötig quälen. Ein simpler Gedanke, der ordentlich in der Umsetzung haperte. Oft hatte sie mit Pola darüber gelacht. Über all die Liebesprobleme anderer Menschen. Damals hatten beide daran geglaubt, sie wäre längst darüber hinweg. Sie hätten längst verstanden, wie man sich eben nicht verliebte. Nicht auf diese Weise. Das sie sie nicht brauchten und ineinander die perfekte Lösung hatten. Im Nachhinein eine äußerst naive Einstellung. Für Pola war es zu spät gewesen, sie hatte nie die eine Liebe gefunden, die alles auf den Kopf stellte. Anders als Robin, sie war dieser in die offenen Arme gelaufen und musste nun den Preis zahlen. „Manche sagen, man könne nicht ohne die eine Person leben. Ich halte die Aussage für dummes Gewäsch. Wir können so leben. Du ohne mich, ich ohne dich. Haben wir früher auch. Das Problem ist das Wollen. Will ich mit oder ohne jemanden leben. Das ist der schwierige Part“, begann Nami nachdenklich und blickte wehmütig auf. „Will ich ohne dich? Die Frage habe ich mir gestellt und die Antwort überrascht mich gar nicht. Obwohl ich die Wahrheit kenne, bin ich weit vom Wollen entfernt. Das mit dir … es schien perfekt. Was ich will ist irrelevant, ich muss. Unser Gefühl stimmt überein. Wir können uns einlassen, amüsieren uns für eine Weile und spätestens beim zweiten Versuch stecken wir. Weil du deine Arbeit weitermachst und ich daran erinnert werde.“ Robin schluckte. Nicht der Worte wegen. Es war Namis Anblick. Es waren die stummen Tränen, die Robin die Brust zuschnürten. 10. März 2013 Lange stand Robin am Fenster ihres Arbeitszimmers. Wie lange merkte sie an ihrem Kaffee, bei dem sie keine Miene verzog, obwohl er kalt war. Was war in sie gefahren? Natürlich hatte es nicht mit einem Kuss geendet. Früh hatte sich Robin aus dem Bett geschlichen, sobald ihr der Fehler bewusst geworden war. So vorhersehbar und wiederum eiskalt erwischt. Vor der Enthüllung das Normalste der Welt, seitdem ein Wunschdenken. Ein Fehler, ein verdammt großer Fehler. Dessen war sich Robin bewusst und mit Sicherheit würde es Nami ähnlich ergehen, sobald sie auf den Beinen war. Sie verletzten sich selbst oder durfte Robin hoffen? Hoffen auf eine zweite Chance, einen Weg zurück, auch wenn er beschwerlich war? Wofür? Alles drehte sich um diese eine Frage. Wer wollte da noch fühlen? Robin hatte sich entschieden. Fort aus Venedig. Ihr Leben in Angriff nehmen und sie spielte nicht mit offenen Karten. Sie verschwieg erneut etwas Essenzielles und das Geheimnis wog schwer. Eine weitere Last, die unausweichlich zwischen ihnen stehen würde. „Grübeln macht Falten.“ Robin presste die Lippen zusammen. Das Necken hörte sie nicht zum ersten Mal, aber höchstwahrscheinlich zum letzten. Für eine Sekunde fühlte es sich normal an. Als hätte sich nichts zwischen ihnen verändert. Ein normaler Morgen, an dem Robin der Schlaf fehlte und sie Nami ausschlafen lassen wollte. Die Vorstellung quälte Robin. Langsam trat sie zurück und lehnte nach Halt suchend an den Schreibtisch. Wer der Liebe Einlass gewährte, musste mit Konsequenzen rechnen. „Ganz schön schräg. Richtig und doch so falsch“, sprach Nami weiter, sie kam näher. „Ich wette, wir haben dieselben Gedanken.“ Robin verkniff sich ein deplatziertes Lächeln, denn Nami trug ihre Sachen. Das alte, zu große Shirt mochte sie am liebsten, das hatte sie oft genug getragen. Da fiel Robin der Hoodie ein. Was aus ihm wurde? „Verbuchen wir die Nacht als Rückschlag oder Abschied?“, fragte Nami mit undeutbarer Miene, während sie es sich auf dem Stuhl bequem machte. Erst nahm sie einen vorsichtigen Schluck Kaffee, dann sah sie zu Robin auf. Welche Antwort wollte sie? „Davonlaufen sieht anders aus“, entgegnete Robin, durchaus mit verspieltem Unterton. Sie dachte ans Café zurück, was eine einzige Berührung ausgelöst hatte. Wie lange hielt der Augenblick? Bis Nami das Ausmaß realisierte? Diese zuckte die Schultern „Weißt du, dass ich alle für dumm gehalten habe? Mir wurde mehrmals gesagt, dass ich im richtigen Moment schwach werde … ich dachte, ich wüsste es besser.“ Nachdenklich fuhr sie den Tassenrand entlang. „Du hast den Schock überwunden, wir haben geredet und unsere Gefühle stehen weiterhin zwischen uns. Geht manchmal recht schnell.“ Zu schnell. Und impulsive Aktionen führten zu Fehlern und Robin hatte ihren Verstand abgeschaltet. Der seine Aufgabe bislang recht gut machte, der sie in Zürich noch vor diesem Schritt bewahrt hatte. Der eigentlich auf der Seite der Vernunft stand und ihr Herz im Zaum hielt – bis vor ein paar Stunden. „Und jetzt?“ Ja, was jetzt? Robin leerte ihre Tasse. „Immer wenn ich dich kalten Kaffee trinken sehe, zieht es mir alles zusammen.“ „Damit halte ich mir die Falten vom Hals“, antwortete Robin gekonnt, während sie den Schreibtisch absuchte. Vielleicht sollte sie die Minuten lieber genießen, das Ende hinauszögern, aber nun musste ihr Verstand zurück ans Steuer, auch wenn er das Seil endgültig kappte. Kapitel 53: Un'ultima mattina? ------------------------------ Ein letzter Morgen? 10. März 2013 Namis prüfender Blick bescherte ihr ein unangenehmes Prickeln auf der Haut. Zum Teil durfte er dem Chaos gelten. Ihre sonst penible Ordnung litt stark unter den Ereignissen. Den Emotionen. Der Arbeit. Natürlich auch dem Umzug. Was blieb und was mitkam, war genau geregelt. Und obwohl sich am Schreibtisch bloß noch das Aktuelle befand, stapelten sich ein Dutzend Bücher, ein paar Ordner und etliche lose Papiere. Robin wäre nicht Robin, wenn sie nicht wüsste, wo sie was fand, und so kramte sie auf ihrem selbst geschaffenen kleinen Schlachtfeld. Zeit schinden könnte man meinen, bevor sie das unausweichliche Ende besiegelte. Alles andere wären falsche Hoffnungen. Zu viel war zusammengekommen, um an eine Wendung zu glauben. So offensichtlich es auch war, wartete Nami geduldiger als sonst auf eine Antwort. Oder wollte sie es einfach nicht hören, die letzte Bestätigung? Gefühle hin oder her, die gemeinsame Nacht blieb ein Ausrutscher. Einer, von dem man öfter hörte. Eine Nacht rettete keine Beziehung. Schon gar nicht auf ihrer Basis. Dabei blieb verständlich, dass ein Funke auflebte, der ein Kippen erwartete, ein Geradebiegen. Sie beide, und dessen war sich Robin klar, hatten sich für ein paar Stunden eine Fortsetzung ausgemalt. Ob diese von Dauer war oder ihnen einfach nur ein bisschen mehr Zeit schenkte. Irgendetwas ohne ein sofortiges Ende. Gefühle lebte nach ihren eigenen Regeln, das hatte Robin schmerzlich festgestellt. Rationales Denken war deplatziert und sie akzeptierte den Umstand sogar. Bloß führten sie keine Veränderung herbei. „Du weißt, was kommt“, murmelten sie irgendwann. „Hier trennt sich unser Weg“, sprach Nami schlussendlich das Offensichtliche mit einem tiefen Seufzen aus. Ein Blick zur Seite ließ Robins Herz schwer werden. Ein wehmütiges Lächeln und wieder standen sie schweigend beieinander. Eine nie dagewesene Schwere wurde spürbar, füllte erdrückend den gesamten Raum aus. Verräterisch knarzte das alte Parkett. Nackte Füße tapsten laut auf sie zu. Ohne sich von dem Bildschirm abzuwenden, schmunzelte Robin. Pure Absicht. Nami hatte den Dreh herausgefunden, konnte sich durchaus lautlos fortbewegen, wenn sie wollte. Dann ein provokantes Räuspern. „Muss ich dich an unsere Abmachung erinnern?“, tadelte ihre Freundin, als Robin keine Reaktion zeigte. „Hast du einen Blick auf die Uhr geworfen?“ „Wir haben keine Uhrzeit festgelegt“, lachte Nami, die mittlerweile hinter ihr stand. Sie schlang die Arme um Robins Schultern, drückte ihr einen Kuss auf die Wange, ehe sie auf den Bildschirm starrte. „Das Schöne an den Toten ist, dass sie Geduld haben. Sie laufen dir nicht davon. Ich schon“, witzelte sie. „Tust du?“, fragte Robin ungerührt, mit gehobener Braue. Erst jetzt schielte sie zur Seite. „Wie ich das sehe, läufst du mir nach.“ Jedes Spielchen konnte gedreht werden. „Wer läuft wem nach? Komm, frühstücke lieber mit mir. Wenn du mich am Valentinstag schon allein lässt.“ Es war eben kein normaler Morgen. Der letzte fühlte sich an, als läge eine Ewigkeit dazwischen. Sie beide hielten einen angemessenen Abstand zueinander. Liebevolle Gesten und Berührungen, sogar Worte waren deplatziert. Dass wussten sie. Und später würde es kein ausgelassenes Frühstück geben, keine Chance auf Zweisamkeit oder das Schmieden von Plänen für den restlichen Tag. Nichts davon würde geschehen. Dieses Mal würde Nami endgültig gehen. Eben kein normaler Morgen. Nur Abstand und Ernüchterung. Das hier war alles, das Robin sich wünschte. Eine Lektion, die Robin endgültig verinnerlichte – Wünsche blieben Wünsche. Es war unfair. „Tust du mir einen Gefallen?“, fragte Nami leise, hielt die Tasse fester. Robin horchte auf. „Das Abschließen fällt mir schwer … ich muss verstehen oder wenigstens alles hören. Keine Ausflüchte, keine Lügen. Einfach die Wahrheit. Mag sie noch so grausam sein.“ Schluckend richtete sich Robin auf. In ihrer Stimme lag kein Fordern, vielmehr hörte Robin eine Resignation und ein Stückchen Nervosität. Oder doch der Hauch von Angst? „Wir haben nie darüber geredet. Okay, ich habe dir keine Möglichkeit gegeben. Irgendwie wollte ich nichts hören, aber was bringt mir das? Ich kann mir manches ausmalen, aber entsprechen meine Gedanken deiner Sicht der Dinge? Nein. Erzähl mir deine Geschichte. Erzähl mir was genau in den letzten Tagen und Wochen passiert ist. Und ich möchte wissen, warum du den Entschluss so plötzlich gefasst hast.“ Auf Robins fragenden Blick hin, zuckten Namis Schultern. „Mein kleiner Überfall mag dich für einen Moment ins Wanken gebracht haben, aber ändert er nichts an den Umständen. Du ziehst dein Vorhaben so oder so durch und den Punkt möchte ich verstehen.“ „Hast du unser letztes Gespräch vergessen?“ Augenrollend trank Nami ihren Kaffee aus. Wenigstens eine Kleinigkeit, die sich nicht änderte. Gegenfragen ärgerten Nami meist. „Du legst gerade einen schnellen Wandel hin.“ Fand sie? Robin neigte den Kopf. Ausgerechnet die Frau, die zuerst flüchten wollte, sprach über einen Wandel. Das Gespräch selbst hatte genug ausgesagt. Immerhin hatte Nami Tage Zeit gehabt, sich Gedanken über das herausgekommene Geheimnis zu machen. Ob sie damit leben konnte oder eben nicht. Seither war Stille zwischen ihnen gewesen. Sicher ihr Vorbeikommen sorgte für Zweifel an dem Gesagten. Wäre Hoffnung umsonst, wäre die vergangene Nacht nie zustande gekommen. „Nami …“ „Willst du sagen, du bist über Nacht vernünftig geworden? Du hast endgültig eingesehen, wie sinnlos unser Wunsch ist?“ Unser. Da war wieder diese verfluchte leise Stimme. Es war eben keine einfache Liebelei. Lange hatte sich Robin gegen ihre Gefühle gewehrt, dabei hatte sie von Anfang an geahnt, worauf sie hinausliefen. Von Anfang an. Nie war Robin jemanden begegnet, der sie vom ersten Blick an faszinierte, selbst Wochen später. Dann die überraschende Begegnung auf dieser sonst so mühsamen Gala. Nie hatte Robin deutlich darüber gesprochen, aber das war vielleicht das erste Mal, dass sie dankbar über das Einmischen eines Dritten war. Umso mehr schmerzte Vivis Vorwurf. Denn Nami war der einzige Mensch in all den Jahren für den sie alles über Bord geworfen hätte. Für den jeder Kampf wert war – zu spät. Robin war zu spät, weil sie lieber genossen anstatt gehandelt hatte. Andererseits wäre nicht alles genauso gekommen? Oder vielleicht noch schlimmer? Manches ging eben nicht über Nacht. Schon gar nicht problemlos. So seufzte sie. „Wenn ich mich richtig erinnere, bin ich die Vernünftigere.“ Ein kläglicher Versuch, um die Stimmung aufzulockern. Dementsprechend blieb Nami ernst. „Irgendetwas ist faul an der Sache. Sei ehrlich, du hast Gründe. Rede mit mir, bitte.“ „Warum? Was bringen dir die genaueren Hintergründe?“, hinterfragte sie aufrichtig, ohne direkt ausweichen zu wollen. „Bisschen spät für Einzelheiten. Manches solltest du lieber deiner Fantasie überlassen.“ „Hast du daran gedacht, dass mir das Kopfzerbrechen bereitet? Während ich dich oft genug verteufelt habe, haben mich genauso Fragen beschäftigt. Ein Teil will verstehen.“ Leider konnten manche Informationen die Situation verschlimmern, dachte sich Robin. Je nachdem worüber sie sprachen. Entscheidungen traf Robin nie unbegründet, dementsprechend hielt sie genug hinterm Berg. Für sich, für ihre Freunde, aber auch Nami wegen. Und was schlummerte, war eben keine Kleinigkeit. „Bist du dir sicher?“, hinterfragte sie nochmals mit Nachdruck. „Warum der rasche Umzug?“ Anscheinend hatte sie die Fragerunde satt. Sie könnten das Spiel lange genug fortsetzen. Ganz wie ihnen beliebte. „Hierfür habe ich mehrere Gründe.“ Ein unzufriedenes Brummen ließ Robin lächeln. Die letzten Neckereien durfte sie auskosten. Wobei es der Wahrheit entsprach. Es blieb eben nicht bei einem Grund. „Bevor wir reden, brauche ich einen Kaffee. Auch noch eine Tasse?“ Sie griff bereits nach ihrer als sie Namis Stimme hörte: „Robin! Hör mit deinen Spielchen auf!“ Doch spielte sie nicht. Wo begann sie? Das war ihr Problem. Daher warf sie wiederum einen Blick auf den Schreibtisch. Unbeirrt von Namis Ungeduld. „Erinnerst du dich an meine St. Petersburg Reise?“, warf sie ein und zog eine schwarze Mappe zwischen den größeren Ordnern heraus. „Clovers Tod.“ Robin nickte. „Er hat mir einen Brief hinterlassen, liegt oben auf.“ Damit drückte sie einer verwirrten Nami die Mappe in die Hände. Eine knappe Erklärung, aber würde Nami verstehen, wenn sie ihn las. Wenn sie schon darüber sprachen, dann begann Robin lieber mit der leichten Kost. Später würden die Themen rauer und für Nami weitaus realer, als über einen Mann zu hören, den sie nie kennengelernt hatte. Es war einfach unpersönlicher. Wenn sie überhaupt so weit kamen. 1. März 2013 Ein Durchbruch – das hatte Kalifa gesagt, kurz bevor sie sich spontan nach Zürich aufmachte und den wollte sie nicht am Telefon, zwischen Tür und Angel, besprechen. Seit sie jedoch hier, in dem von Robin gemieteten Apartment war, tat sie bloß eine Sache: Kochen. Vor der Ankunft war ein Zwischenstopp im Lebensmittelladen unausweichlich gewesen. Etwas worüber sie Robin weniger den Kopf zerbrach. Für Kalifa war das unverständlich. Besonders Robins Entscheidung. Idealer wäre ein Hotelzimmer, aber Robin suchte Ruhe und lebte nach ihrem Zeitplan. Hatte sie Hunger machte sie eben irgendwo Halt. „Du spannst mich heute unnötig auf die Folter. Sag lieber, warum du dich aufgemacht hast.“ Robin unterlegte die Worte mit einem frustrierten Seufzen. Manchmal war sie genauso ungeduldig wie andere, mit dem Unterschied nach außen ruhig zu bleiben. Dieses Mal zeigte sie offen, was sie von Kalifas Besuch hielt. Kalifa schwieg über die erhaltenen Informationen, das tat sie selten. Noch seltener reiste nie extra nach. Im Normalfall gab sie Schlagwörter durch, mit denen Robin etwas anzufangen wusste oder in anderen Fällen, da behielt sie bis zur Rückkehr sämtliches Wissen unter Verschluss. Umso mehr stärkten sich Robins Bedenken. Worum es auch immer ging, es war eine größere Sache. „Stell dir vor, ich habe Hunger!“, erklärte sie mit einem mahnenden Schulterblick. „Sei lieber dankbar, so kümmere ich mich auch um dein Wohlergehen.“ Kopfschüttelnd wandte sie sich wieder ab. „Du wirst wieder nachlässiger, achtest deutlich weniger auf dich.“ Robin ließ den Kopf hängen, betrachtete dabei ihre Hände. Machte ihr Lebensstil erneut Rückschritte? Vielleicht. Genauso aber übertrieb Kalifa. Nicht immer kochte Robin für sich. „Dir ist klar, dass ich auswärts esse?“ Eine Kleinigkeit fand sie bei Bedarf immer. Oder sie bestellte sich, nahm irgendwas Schnelles mit. Kein großes Ding. „Ja, ja. Ist angekommen. Trotzdem bin ich hungrig.“ Kalifa tickte anders. Sie liebte das Kochen ob zuhause oder auf Reisen. Wobei auf gewissen Reisen eine Spur Paranoia mitschwang. Sie misstraute jedem Menschen, aber das war wohl das Berufsrisiko und sie beide brauchten lange, um miteinander warm zu werden. „Multitasking. Kochen und reden ist machbar.“ „Soll schlecht sein.“ „Hör auf … sagst du mir bitte was los ist?“ Momentan lagen Robins Nerven durchaus blank. Ausgerechnet einer Trennung wegen. Das Gespräch hatte keine Linderung gebracht. Eher litt sie stärker darunter und damit umzugehen, war für jemanden wie Robin kein Kinderspiel. Ob sie sich die Gefühle nun anmerken ließ oder sie auf den ersten Blick hin unterdrückte. Zudem stand die Trennung nicht allein da, um sie herum drohte große Gefahr. „Hast du den Kerl schon aufgesucht?“, fragte Kalifa neugierig. Der Chirurg. Er war ein Teil davon. Er hatte alles in der Hand, wenn er wollte. Keine Sekunde durfte sie auf sein Versprechen vertrauen. Im richtigen Moment, mit dem richtigen Anstoß … er würde Nami ignorieren. Diesen Punkt hatte sich in Robins Kopf verankert. „Habe ich mir für die nächsten Tage vorgenommen.“ „Ah, natürlich. Dein Rotschopf hat Vorrang“, kicherte Kalifa amüsiert. „Dein Hinterherlaufen funktioniert, wie ich sehe – Entschuldige, bin ich grob?“ Niemand sagte, dass die Wahrheit Balsam war. Geredet hatten sie miteinander, aber kamen sie auf keinen Nenner. Keinen, den Robin erhoffte. Vielmehr musste sie lernen, ihn nie zu finden. Allmählich realisierte sie das Ganze. Während der Stille hatte sie noch auf eine Chance gehofft. Eine Besserung. Einfach ein paar Worte, die auf eine Zukunft deuteten. Mag es ein Kampf werden und Zeit kosten. Das Ende hinterließ stattdessen eine erdrückende Ernüchterung. Ein paar Tage darüber nachdenken, änderten eben keine Grundeinstellung. „Erzwingen wäre ein Fehler.“ „Zwingen oder warten. Wir wissen, was dir die Kleine wert ist und auf welchen Ausgang du spekulierst“, begann Kalifa ungewohnt mitfühlend. „Leider sagt mir mein Gefühl, dass du deine Einstellung bald änderst. Ich ärgere dich nicht, ich möchte dir nur noch die letzte Hoffnung nehmen.“ Was? Robin sah mit schnellem Herzklopfen auf. Welche Neuigkeit brachte sie zum Aufgeben? „Lass uns essen.“ Kalifa blieb sich treu. Sie aßen ohne nähere Erklärung, sprachen über Belangloses, wenn überhaupt. Obwohl ihr der Hunger endgültig vergangen war, ließ sie keinen Bissen zurück. Vielleicht vermied sie so eine weitere, unnütze Diskussion. Erst als ihr Hunger gestillt war, veränderte Kalifa ihr Gemüt. „Gräbt man tief genug, wird man fündig.“ Korrekt. Das hatte Robin oftmals am eigenen Leib erfahren. Besonders während der letzten Monate. Viel war ans Tageslicht gekommen. „Erinnere dich kurz daran, was ich dir über den Arzt erzählt habe.“ Gesagtes vergaß Robin nie. Natürlich hatte sie sofort alles im Kopf, wobei Kalifa ein paar Eckpunkte aussprach. „Schnell war die Verbindung zu Donquixote und den Charlottes hergestellt. Genug Hinweise auf Querverbindungen, die für sich allein genügend Material bieten. Nebenbei habe ich über deine Freundin recherchiert. Über sie wolltest du weniger wissen, ich mach dir keinen Vorwurf. Die Gefahr, die von dem Kerl ausging, besonders im Zusammenhang mit Lucci hat in dem Moment Vorrang gehabt. Mich hingegen … mich hat alles angespornt.“ Nach und nach war ihre Welt klein geworden. Irgendwann fand sich schnell die nächste Verbindung. Alles in einem überschaubaren Kreis. Wenig Menschen involviert, aber die Ausmaße waren beängstigend. „Ihre Schulakte oder Trafalgars Bekannte?“ „Beide“, gestand sie unverblümt. „Damals natürlich rein oberflächlich. Bis vor einer Weile … da habe ich ihr komplettes Leben und Umfeld einer genaueren Prüfung unterzogen.“ Robins Herz machte einen Satz. Eine böse Vorahnung schlich sich ein. In welche Richtung entwickelte sich das Gespräch? „Alles nach der Reihe. Wie du weißt, habe ich Luccis Häuser durchforstet und bin fündig geworden. Hab mir ein paar Nächte um die Ohren geschlagen – seine Unterlagen sind sehr aufschlussreich. Darunter lässt sich finden, womit er den Schönling um die Finger wickelte.“ „Er will Informationen betreffend der Ermordung seiner Familie“, unterbrach Robin ungeduldig. Nichts davon war ihr neu. „Lass mich ausreden“, tadelte die andere. „Eigentlich wäre die Kooperation längst beendet. Es scheint, als hätte Lucci das fehlende Stück bewusst zurückgehalten. Anders kann ich mir seine Zurückhaltung nicht erklären. Wir wissen, dass er den Mörder sucht. Er weiß, dass die Donquixote-Familie involviert ist, aber wer genau die Verantwortung trug? Nein.“ „Warum? Aus Angst? Weil er glaubte, dass die Zusammenarbeit bröckelt, sobald Trafalgar hat, was er möchte? Er ist nicht dumm. Wehrt er sich, lässt ihn jemand wie Lucci schnell verschwinden. Aus so einem Pakt kommst du nur raus, wenn der eine stirbt. Eigentlich muss er uns dankbar sein.“ Sicher, seine Quelle war versiegt, aber er kam heil heraus. Die Chance auf mehr blieb offen. Besser als nichts. Außerdem wusste niemand, ob er sich dagegen entschieden hätte. Luccis Bezahlung war, was sie bereits mitbekommen hatte, recht gut und er bot ihm Zugriff auf wertvolle Schätze. „Lucci wollte immer die Oberhand behalten. Er gab ungern alles preis.“ Nachdenklich stützte Robin den Kopf ab. Irgendwie ging die schräge Geschäftsbeziehung sogar tiefer. Das dachte sie sich seit dem Barbesuch. Lucci wirkte, als ob er ihn mochte, sofern das für den Kerl überhaupt möglich war. Eine Freundschaft war gar nicht abwegig. Eine merkwürdige, auf eine vollkommen falsche Basis hin, aber möglich. „Werden wir nie wissen. Ist auch irrelevant. Wichtiger ist, was er wusste. Wer die Verantwortung trug und dieser jemand steht ihm sehr nahe. Wenn er auf Rache aus ist, würde er nicht stillhalten.“ „Corazon?“, fragte Robin lächelnd. Würde eine nette Wendung geben. Bis heute dürfte Trafalgar nichts von seiner Vergangenheit wissen, sonst müsste es einen gröberen Bruch geben. Oder kannte er die Wahrheit und akzeptierte den Umstand, dass er sich angeblich von der Familie losgelöst hatte? Zu viele Fragen und Möglichkeiten, die Robin eigentlich gar nicht interessierten. Wäre der Kerl Nami nicht nahe, würde sie ihm gar keine Bedeutung schenken. „Was?“ Ein schwaches Magenziehen. Kalifa lachte nicht, sie blieb vollkommen ernst. Kein gutes Zeichen. „Dank Lucci habe ich das Puzzle gelöst, Robin. Ich habe auf alles eine Antwort und unsere Welt ist verdammt klein geworden. Unser aller Leben sind sehr eng verflochten.“ Wieder. Wieder war kein Spaß daran. Ihre Stimme klang kühl und kalkulierend. Der Hebel war umgelegt und Robin wusste nicht, ob sie irgendeine Antwort hören wollte. Es war der Moment, in dem Robin verstand, warum Kalifa nachgereist war. Es war der Moment, der ihre gesamten Hoffnungen zerstörte. „Vergo. Er ist das fehlende Stück. Für Trafalgar und … dich.“ 10. März 2013 Mit einer frischen Tasse Kaffee sah Robin wartend aus dem Fenster. Binnen ein paar Wochen war ihr bisheriges Leben aus dem Ruder gelaufen. Schlimmer als je erwartet. Früher hatte sie den Nebel vorgezogen. Manchmal, weil sie vergessen wollte und dann wiederum, weil sie nicht vorankam und somit eine Ausrede fand. Heute? Der gedachte Scherbenhaufen setzte sich selbstständig zusammen. Leider auf eine makabre Art und Weise. Sorgfältig hatte Nami den Brief gelesen. Seit sie fertig war, zog sie Schweigen vor, während ihr Blick dann und wann zu Robin schwang. Sie spürte ihn. Als wartete sie auf eine Erklärung. Für sie musste das Geschriebene noch kryptischer klingen. „Mittlerweile kenne ich die Hintergründe. Die Strippenzieher“, flüsterte Robin. „Ziehst du in einen Rachefeldzug?“ Ihrem Ton zufolge war Nami ganz und gar nicht begeistert. Ein Blick zurück bestätigte den Gedanken. Die Mappe landete wieder am Tisch. „Wenn dem so wäre?“ Ein missbilligender Seufze folgte. „Bringt sie dir deine Eltern zurück? Wie genau ändert deine Rache ihren Tod? Oder wird dein Leid gelindert? Denkst du so? Robin, Tote bleiben tot.“ Da verkniff sie sich ein Lachen. Dessen war sich Robin sehr bewusst. Sonst wäre manche ihrer Arbeiten recht langweilig. „Du findest keine Erlösung oder hat dir Luccis Tod welche gegeben? Sieh dir uns an. Welche Erfüllung hat dir sein Tod denn gebracht? Jede Entscheidung hat Konsequenzen.“ Grimmig sah Nami auf. „Kaku ist tot. Lucci ist tot. Sanjis Brüder sind tot. Und wir stehen am Ende. Hast du irgendwo etwas Positives mitgenommen?“ Die Wahrheit tat weh, deshalb scheuten sich Menschen oft vor ihr. Robin wich ihr nicht aus. Als ob sie selbst nie darüber nachgedacht hatte? Ein Leid folgte dem nächsten. Wobei die Frage blieb, wie es sich sonst entwickelt hätte. Wie wäre es sonst ans Licht gekommen? Vermutlich hätte eine andere Herangehensweise, einfach einen neuen Weg gefunden. Dass die Lüge ewig halten würde, hatte Robin nie geglaubt. „Deiner Meinung nach sollen die Schuldigen ungestraft bleiben? Ohne Konsequenzen weiterleben und morden?“ Schwungvoll stand Nami auf, warf die Hände in die Luft. „Ganz ohne sage ich gar nicht, aber was unterscheidet euch?“, fragte sie provokant. „Sicher, wir wissen nie, was gekommen wäre. Vielleicht hätte sich dein Leben anders entwickelt, du wärst auf andere Weise in diese Lage gekommen oder im besten Falle gar nicht. Wer weiß? Fakt ist, dass du dich in dem einen verdammten Punkt von solchen Leuten überhaupt nicht unterscheidest. Du tötest Menschen. Du tötest sie für Geld und was auch immer. Dabei stehst du auf keiner Seite. Warum du das tun musst, ist dir am Ende egal. Du tust, was man dir aufträgt. Wenn sie genauso agieren? Auftrag annehmen. Ihn ausführen. Nach Hause gehen. Arbeit ist Arbeit, oder?“ Nami war wütend und redete sich in Rage. Indes atmete Robin durch. Mehrmals. Tief ein und wieder aus. Ruhig bleiben. Nami traf den Kern, über den sich Robin oft den Kopf zerbrach. Auch ihre Freunde. Wurde es dann persönlich, suchte man eben nach Ausreden. Dabei waren ähnliche Gedanken aufgekommen, die Nami nun aussprach und von ihr hörte es sich anders an. Realer. Schmerzhafter, sodass es Robin für einen Augenblick die Kehle zuschnürte. Sie hatte kein Recht auf Rache. Dafür die Mittel und Wege, die anderen verwehrt blieben. Hier existierte kein Gut und Böse. Keine Unterscheidung zwischen einem guten und einem bösen Mörder. Schon gar nicht in der Ausführung. Der eine zog das andere eben vor. Darüber war sich Robin im Klaren. Warum verletzten sie dann Namis Worte? „Robin?“ Nami stand neben ihr und kurz trafen sich ihre Blicke. „Was du tust, ist deine Entscheidung. Ich halte dich nicht auf. Eher stellt sich mir die Frage, wo all das enden soll. Wie weit willst du noch in dieses Unheil geraten, statt endlich auszubrechen? Aus Rache entsteht nichts Gutes. Es sei denn du willst endgültig das Monster werden, dass du deinen Worte nach nicht bist.“ Verzweifelt gluckste Robin. Wer hätte je gedacht, dass sie mit Nami so darüber reden würde? Lange schon hörte sie eine leise Stimme, die dasselbe sprach. Pausenlos. Sie war aus gutem Grund leise. Robin brachte sie zum Schweigen. Nur so führte sie die Arbeit aus. Nur so überlebte sie. Was danach geschah, war ein anderer Kampf. Nach der Tat kam die Stimme wieder, weitaus lauter. Dann, wenn nichts rückgängig gemacht werden konnte, wenn alles längst zu spät war. Sie blieb für eine Weile, bis Robin sie irgendwie zurückschickte. Und Nami hatte ihre Lage zunehmend erschwert. Sobald sie in ihr Leben getreten war, waren die Abstände kürzer geworden. Das Aufbäumen lauter. „Noch habe ich keine Entscheidung getroffen. Keine wirkliche. Eher will ich mich auf ihre Forschungen konzentrieren. Ihr Werk beenden.“ Dank Clover hatte Robin sämtliche Nachforschungen gefunden und die allein brachten Gefahren mit sich. Im Nachhinein fanden sie genug Gründe, warum ihre Tötung entschieden worden war. Grub sie tiefer und wurde entdeckt, was dann? Vielleicht wollten diese Leute für sie dasselbe Schicksal? Waren jene am Werk, würde der eigentliche Rachegedanke schneller Bedeutung finden, als es Robin lieb war. „Lucci ist eine eigene Angelegenheit. Ich habe dir unser Handeln nie erklärt.“ Halt suchend stützte sich Robin an der Fensterbank ab. Das Chaos war zu schnell gekommen. Dann der erste Schock. Natürlich änderten Worte nichts an seinem Tod. Sie hoffte lediglich darauf, dass Nami begriff, warum das Ganze aus dem Ruder gelaufen war. „Kaku war euer Partner, euer Freund.“ „Kaku war Familie“, korrigierte Robin. „Wir wollten unsere Rache, genauso wollten wir unseren Fehler gutmachen. Wir waren zu langsam. Lucci hätte längst verschwinden müssen. Schon vor Jahren. Im Blutrausch verlor er die Kontrolle. Er schoss über das Ziel hinaus. Wir töten, wen wir müssen. Wir umgehen Kollateralschäden. Wir töten schnell und präzise. Er? Ein Blutbad nach dem anderen. Für uns wurde er selbst eine Gefahrenquelle. Daher trafen wir Vorkehrungen – eine Notfallnachricht.“ „Damit ihr Bescheid wisst, sollte er die Linie überschreiten?“ „Ja. Selbst ohne Nachricht … zwei reisen ab, einer kommt zurück. Wir sind alles andere als naiv.“ „Wie habt ihr ihn …?“ Prüfend betrachtete sie Nami. Darüber reden bereitete Robin schon ein surreales Gefühl, aber diese eine Frage? „Da kommt Bonney ins Spiel.“ „Was?“, stieß Nami aus und zog überrascht die Brauen hoch. „Ferrara?“ Nachdenklich wiegte Robin ihren Kopf. „Ferrara hat uns ein paar Probleme eingeheimst. Alles ist schnell und somit planlos abgelaufen. Sanjis Geschwister, die-“, brach Robin ab. Dieser Punkt erwies sich als komplizierter. Den Namen wollte sie noch zurückhalten. „Die Leute, für die sie arbeiteten, haben nach Spuren gesucht. Sie sind normalerweise gründlich und lassen kaum locker. Wir mussten reagieren. Lucci diente als Sündenbock für die Nacht, für Bonneys Entkommen. Zwei Fliegen mit einer Klappe. Da sie sich um Lucci gekümmert haben, sind wir aus dem Schneider und Bonney ist in Sicherheit. Sofern sie keiner dummen Idee nachjagt.“ Besser hätte es nicht kommen können. Durch die Zusammenarbeit standen sie den Charlottes neutral gegenüber. Für die Zukunft, wie immer sie sich auch entwickelte, ein wichtiger Aspekt. Eine direkte Fehde wollten sie vermeiden. „Bonney ist euer Mittel zum Zweck“, entgegnete Nami unterkühlt. Wenn sie das bloß wäre. Robin erkannte, dass sie diesen Teil noch nicht vollkommen verstand. „Findest du? Wir haben keine Sekunde gezögert und sind Zorro zur Hilfe geeilt. Ohne Bezahlung, ohne Hintergedanken. Vollkommen unvorbereitet. Denkst du, wir machen das immer? Für jeden? Oder wir agieren planlos? Traust du uns das zu?“ In dem Fall waren sämtliche Vorwürfe deplatziert. Die Entscheidung hatte keinen persönlichen Nutzen – Im Gegenteil. Hätten sie das getan, wären sie zuhause geblieben. „Als ob ich uns für nichts auf Spiel setze. Hast du daran gedacht?“ Zu gut erinnerte sich Robin an den Ausgang. An ihre Verletzungen, dem Zusammenbruch im Auto und später. Eigentlich fand sich dort der Wendepunkt. Von da an war alles nach und nach zusammengebrochen. Ja, auf jede Entscheidung folgte eine Konsequenz. Leider erkannte sie erst im Nachhinein wie weitreichend sie war. Nami schnaufte über. „Und hast du an mich gedacht? Denkst du deine Verletzungen gehen spurlos vorüber? Erinnere ich mich zurück, bist du mein erster Gedanke. Ich habe mir Sorgen gemacht. Dich so zu sehen, tut weh. Seit ich die Wahrheit kenne, schmerzt es umso mehr! Weil ich nun weiß, dass du dich mit irgendeinem Kerl angelegt hast. Was, wenn du gestorben wärst? Daran mal gedacht? Eigentlich kannst du mir gestohlen bleiben, ich sollte dich hasse und vergessen, aber da ist auch eine neue Angst. Ich gehe deine Reisen durch. Jede einzelne Reise und frage mich, welche Risiken du eingehst. Die Sorgen wären jetzt jedes Mal da, wenn du fort bist. Ich will mir das gar nicht ausmalen.“ Verräterisch bebte Namis Lippe, sie blinzelte mehrmals. Irgendwie hatte sich die Richtung gerade gedreht. Robin hob die Hand, aber noch bevor sie diese austrecken konnte, wich Nami einen Schritt zurück. „Du hast mir die Wahrheit am Silbertablett serviert, aber mich hat die Sorge um dich zerfressen. Wäre ich hartnäckig gewesen, hättest du mir alles erzählt?“ „In dem Moment? Ja.“ „Mein Fehler, was?“ Robin verschränkte die Arme und sah wieder nach draußen. „Ich habe durchgehend an dich gedacht. Der Gedanke dich zu verlieren … stattdessen hast du mir in diesen Stunden Sicherheit gegeben. Du bist geblieben. Du liebst mich, was auch passiert, hast du gesagt.“ Wenn Liebe bloß ausreichte. „Leider tue ich das heute noch“, sprach Nami gepresst und schritt an ihr vorbei, wobei sie sich über die Augen strich. Indes blieb Robin angewurzelt stehen. Der Schmerz hielt sie fest. „Zorro hat mir die Geschichte erzählt und für Bonney bin ich dankbar. Sie ist kein schlechter Mensch, aber wie kannst du-“ „Anfangs bist du selbst ungläubig. Du kannst dir die Tat nicht vorstellen. Du glaubst, es wäre ein unmögliches Unterfangen“, unterbrach Robin gefühlslos. „Bis du handelst. Dann merkst du erst, wie leicht es von der Hand geht. Die Ausführung ist nie das eigentliche Problem. Dass ist das Gewissen. Sobald es hörbar wird, setzt die Zermürbung ein. Komischerweise ist jeder Mord unterschiedlich. Manchmal hörst du es laut, dann wiederum ist Totenstille. Lucci oder Sanjis Brüder? Ich empfinde keine Reue – tut mir leid. Andere verfolgen mich heute noch.“ Dieser Kerle waren anders, sie waren der letzte Dreck. „Wären wir wie sie … wir würden niemanden helfen.“ Vielleicht machten sie in dem Gespräch einen Fehler. Vielleicht sollten manche Gedanken verschlossen bleiben. Denn Nami konnte, solange sie anders lebte, kaum ihre Schritte nachvollziehen. „Egal, darüber diskutieren ist sinnlos.“ Kapitel 54: Decisioni. ---------------------- Entscheidungen. 1. März 2013 Robin blieb unbeeindruckt. Er konnte sie noch so böse ansehen. Es zeigte keine Wirkung, sie war alles andere als eingeschüchtert. Umgekehrt sollte er Furcht empfinden. Standen sie direkt gegenüber hatte sie die Oberhand. Doch kam Robin freiwillig, hoffend auf ein zufriedenstimmendes Gespräch, bei dem ihr sämtliche Möglichkeiten offen blieben. Ob sie nur sprach oder aktiv wurde, lag in seinen Händen. „Hast du erwartet, dass ich dir beim Heimkommen auflauere?“, fragte sie amüsiert und trat vorbei in die Wohnung. „Bei euch muss mit allem gerechnet werden“, entgegnete er kritisch, doch grinste er. „Etwas Sicherheit ist mir jedoch garantiert.“ Robin warf einen süßlichen Blick zurück, gluckste. Als ob. Er lehnte sich eine Spur zu weit aus dem Fenster. Wenn sie wollte, wäre er längst tot. Und sie hatte lange darüber nachgedacht. Sicher spielte Nami eine Rolle, aber im Notfall? Nein, dann wäre Nami keine Garantie. Wollten ihre Freunde durchgreifen, wäre sogar Robin machtlos. „Du verschwindest schneller als dir lieb ist“, gab sie zurück und zog den Mantel aus. Es wäre eine Leichtigkeit gewesen, aber leider war sie aus einem anderen Grund hier. Sie suchte das Gespräch. Sollte der Ausgang nicht ihrem Wunsch entsprechen, könnte sie ihre Überlegung noch immer zur Realität machen. „Wie charmant du bist“, murmelte Law und führte Robin ins Wohnzimmer. Er hatte Stil, das musste sie eingestehen. Rasch fielen ihr die Antiquitäten ins Auge, darunter jene, die er mit Sicherheit Lucci verdankte. Fast immer hatte sie mitbekommen, womit er Handel trieb. „Was kann ich für dich tun? Einen Deal? Soll ich die Wahrheit vernichten?“ Während Robin ein Getränk ablehnte, schenkte er sich Whiskey ein. Die Anspannung war da, seine Bewegungen kontrolliert. Robin verkniff sich ein Lachen. Ja, er wusste sehr wohl mit wem er sprach. „Eine Vereinbarung ist realistisch, aber nicht die an die du denkst.“ Obwohl sie weiter eine Rolle spielte. Eigentlich würden sie automatisch ineinander verlaufen, wenn er denn wollte. Wenn er sich für den Weg entschied, welchen sich Robin erhoffte. Das Gespräch mit Kalifa lag erst ein paar Stunden zurück. Genug Zeit, um sich den Kopf zu zerbrechen, den eigentlichen Plan neu zu überdenken. Ein Gespräch war vorgesehen, es hatte nur eine neue Richtung bekommen. „Mehr Details wären nett“, wurde er sichtlich hellhörig und nahm ihr gegenüber Platz. Robin überschlug die Beine. „Wusstest du, dass Lucci die Wahrheit über deine Eltern herausgefunden hat? Er kannte den Auftraggeber“, kam sie gleich zur Sprache und beobachtete ihn genau. Für einen Moment verlor er die Kontrolle, er war überrumpelt. Sichtlich überlegte er seine Worte. „Die Quichotte-Familie ist beteiligt. Weiß ich seit geraumer Zeit.“ Eine ausgedehnte Information. „Der Befahl kam von höchster Ebene, von Flamingo.“ Robins Mundwinkel zuckten. „Wie geht es Corazon?“ Kaum hörte er den Namen schon versteinerte sich Laws Miene. „Pass auf deinen Blutdruck auf.“ „Was willst du von ihm?“, schlug er einen raueren Tonfall an. „Kennst du seine Geschichte?“ Bislang stand ein Fragezeichen dahinter. Robin konnte nicht einschätzen, inwieweit Law eingeweiht war, was seinen Adoptivvater betraf. Dem Bruder des Feindes nahestehen, war keine leichte Kost. „Er stand in Verbindung mit der Quichotte-Familie, ja. Das ist Jahrzehnte her.“ In Verbindung, welch nette Umschreibung, dachte sich Robin. „Warum ist er dir keine Hilfe?“ Daraufhin wich Law ihrem Blick aus. „Er wäre ein idealer Insider und seien wir ehrlich, er weiß, wer deine Familie getötet hat.“ Schweigend beugte er sich vor, sah zu Boden und Robin fand den Grund. „Du hast ihm nie von deinem Feldzug erzählt“, stellte Robin dann überrascht fest. Deshalb war er auf die Hilfe anderer angewiesen. „Er ist unschuldig, alles andere … es ist mir egal. Corazon will die Zeit hinter sich lassen, er hat hart dafür gearbeitet.“ Dann hob er den Kopf, Wut zeichnete sich ab. „Möchtest du ihn anprangern?“ „Nein, der Mörder war für ein paar Jahre sein Nachfolger. Wie er sich dem entziehen konnte, muss ich erst herausfinden.“ Wenn man den Recherchen glaubte, lebte Vergo tatsächlich unter dem Radar. In den letzten Jahren ließ sich keine Verbindung finden. Oder sie brauchten schlichtweg Zeit. Warum so jemand ohne Konsequenzen leben durfte, war Robin unbegreiflich. Corazon war erklärbarer. Ein Pakt unter Brüdern oder sonst was, aber Vergo? Flamingo bekam seinen Ruf nicht aufgrund von Gütigkeit. „Wie heißt er? Der ominöse Nachfolger?“ Das Gespräch über seinen Adoptivvater behagte ihm nicht ganz, hierbei zeigte er ein Feuer. Er sprang an, er wollte endlich den wahren Schuldigen kennen. „Du kennst ihn. Umso mehr wundert mich Luccis Zurückhaltung. Wäre das perfekte Drama.“ Luccis Zurückhaltung verstand Robin weiterhin nicht. Leider würde sie seine Beweggründe nie erfahren, musste sie gar nicht. Am Ende hatte er ihr dann doch in die Karten gespielt. „Sag mir seinen Namen!“, forderte er ungeduldig. „Vergo.“ „Du lügst.“ „Würde ich gern“, antwortete sie resignierend. Gerne hätte Robin gelogen. Oder lieber einen Namen genannt, der in keiner direkten Verbindung stand. „Warum erzählst du mir das?“, fragte er ungläubig und sein Bein wippte nervös. „Jahre suche ich nach dem Namen … warum bist du diejenige, die mir die Antwort gibt? Möchtest du dir mein Schweigen erkaufen?“ Robin stützte den Kopf ab. Seine Reaktion war anders als erwartet. Oder aber, und das war realistisch, er verarbeitete. Wer würde meinen das dieser Mann ein Mörder war? Ein Bankier der einst tötete? Der ihm sogar näher stand? Ihn hatte aufwachsen sehen? Es brauchte eine Weile, um das Ausmaß zu begreifen. Hinzu kam eben die Differenz zwischen Robin und ihm. Sie waren sich alles andere als wohlwollend gestimmt. „Wir haben ein gemeinsames Interesse“, erklärte sie und wartete auf seine volle Aufmerksamkeit. „Nami. Ihretwegen bin ich hier.“ Nun war er derjenige, der abwartet. Ob mehr kam oder ob sie ihn einen Bären aufband. Als nichts kam und sie ernst blieb, biss er einen Moment die Zähne zusammen. „Dass ich nicht lache!“, stieß er verachtend aus und sprang auf. „Quichotte ist unerreichbar, aber Vergo? Niemand ist greifbarer!“ Aufgewühlt durchquerte er den Raum. „Wenn du mir keine Lüge auftischt, musst du naiv sein. Als ob ich die Gelegenheit verstreichen lassen.“ Hörbar atmete Robin durch. Das entsprach eher ihrem ausgemalten Szenario. „Luccis Tod … seien wir ehrlich, dir ist klar, was er bedeutet. Dein Informant ist fort und du hättest dich nie auf Dauer zurückgehalten. Du willst die Wahrheit. Ich gebe sie dir. Nur nicht für deine Rache. Vielmehr als Chance abzuschließen.“ Law blieb stehen, betrachtete sie ungläubig. „Abschließen? Jetzt?“ „Ich verstehe dich, sehr sogar. Du willst Rache.“ Tat sie. Hatte sie doch dasselbe getan, das er tun wollte. „Denk aber einen Schritt weiter. Wird sie dich glücklich machen? Oder findest du mit der Wahrheit eher Frieden?“ Sein zynisches Lachen ließ sie für einen kurzen Moment die Augen schließen. Sie war ein Risiko eingegangen und vielleicht verschlimmerte sie die Situation. Doch noch hatte sie Hoffnung. Die erste Reaktion kam aus einem Impuls heraus. Es war normal. „Ihr habt Lucci eiskalt getötet. Aus Rache! Ihr habt eure, ich darf mir meine holen. Warum soll ich Rücksicht nehmen? Wo ich ein halbes Leben auf diese Gelegenheit warte?“ „Was ist mit ihr? Du liebst Nami“, und diese Worte brachte sie nur schwer über die Lippen. Die Geschichten mochten stimmen, aber am Ende waren sie irrelevant. Gefühle logen nie und Nami hatte ihm den Kopf verdreht. Mehr als jede andere Frau. Sonst hätte er längst von ihr abgelassen. „Und für eine einseitige Liebe soll mein größter Wunsch unerfüllt bleiben?“, lachte er wiederum. Dieses Mal hörte sie seinen Schmerz. Dabei empfand Robin, obwohl sie das nicht wollte, Mitleid für ihn. Schadenfreude wäre angebracht, wenigstens ein wenig, nachdem er ihre Beziehung geschadet hatte. Er liebte dieselbe Frau, aber Robin fand sich gerade nicht in der Position. Zwar hatte sie die Liebe eine Weile lang auskosten dürfen, aber sie unterschieden sich in manche kein Stück. Sie war nie einseitig gewesen, nun blieb sie jedoch für immer unerfüllt. „Sieh mich an. Was hat mir das Getane gebracht? Bin ich glücklich? Ist alles perfekt verlaufen? Du bist getrieben vom Drang den Schuldigen zur strecke zu bringen. Jetzt weißt du, wer die Mitschuld trägt. Ziehst du deine Rache durch, es würde ihre Welt endgültig erschüttern.“ „Jemand wie du kann alles nach einem Unfall aussehen lassen.“ „Der Preis ist zu hoch. Du weißt, er liebt sie. Er liebt seine Familie. Recherchen nach hält er sich seit Jahren raus.“ Law schnaufte. Für ihn zählte gerade nur die Tatsache das er den Hauptverantwortlichen in nächster Nähe hatte. Da schnappte er sich das leere Glas. „Oder hast du Bammel sie würde dich verantwortlich machen, wenn er plötzlich stirbt?“ Zungenschnalzend blickte sie zur Seite. War ihr der Gedanke gekommen? Ja, aber darum ging es Robin gar nicht. „Er ist mitverantwortlich für die Ermordung meiner Mutter“, gab sie zu, obwohl sie das Detail lieber ferngelassen hätte, und lächelte müde. „So gesehen habe selbst ich einen Anspruch auf seinen Tod.“ Ihre Worte zeigten Wirkung. Es schockte ihn, wodurch er fast den Whiskey verschüttete. „Es ist ein sehr verlockender Gedanke und ja, ich bräuchte nicht viel. Ich habe schon Pläne … Dann sehe ich ihr Gesicht.“ Langsam kam Law zurück, setzte sich und starrte eine Weile lang ins schwenkende Glas. Sein Hirn arbeitete, das sah sie ihm an. Ausgerechnet sie beide saßen im gleichen Boot. „Verstehe ich richtig“, begann er und gestikulierte mit seiner Hand. „Du räumst Lucci aus dem Weg, aber lässt ihn gehen? Du lügst.“ „Tue ich?“ Sie sahen sich lange in die Augen. Law wartete auf eine Bestätigung, aber fand keine. Als er begriff, wandte er sich ernüchtert ab. „Vielleicht wollte er eure Partnerschaft nicht gefährden. Vielleicht hielt er das letzte Stück aus gutem Grund zurück, aber ich kann das nicht. Denn ich weiß, was sein Tod für die bedeutet. Du wirst weitermachen. Du hörst nie auf nach ihm zu suchen. Umso mehr solltest du die Wahrheit kennen. Damit es endet.“ „Endet? Was?“ „Deine Suche. Du kannst loslassen lernen.“ Ungläubig schüttelte er den Kopf. „Erst sein Tod, dann kann ich ruhen“, sprach er gepresst, ehe er das Glas an die Lippen führte und einen kräftigen Schluck nahm. „Wir könnten zusammenarbeiten.“ „Nein“, antwortete Robin sofort. „Warum? Was ist dein Preis?“ Seufzend stand Robin auf. „Ich frag deine Freunde.“ Sie zog den Mantel über. Dabei holte sie eine Visitenkarte hervor, auf die sie bereits die Adresse ihres Apartments geschrieben hatte. „Für den Fall der Fälle“, erklärte sie und ging auf die Vase zu. „Hat dir Lucci einen guten Preis gemacht?“ „Komm schon. Dann wären wir quitt. Ich vergesse alles.“ Sanft strich sie über die Malerei. Ein Diebesgut. Sie kannte Lucci, er wusste, wo er etwas mitnehmen konnte. „Ich bleibe noch ein paar Tage. Schlaf drüber, du triffst dich sicher noch mit Nami. Vielleicht hilft dir ihre Anwesenheit.“ Da ließ sie ab und betrachtete Law eingehend. Das Glas war ausgetrunken und er hatte nichts von seiner selbstbewussten Ausstrahlung. Er wirkte klein. „Wenn du sie liebst, wirst du dich richtig entscheiden – auch um deinetwillen.“ „Solche wie dich finde ich überall!“, rief er ihr nach. 3. März 2013 Gelangweilt durchquerte sie den Schauraum. Hier drin fühlte sie sich fehl am Platz. Gerade als Robin bereits mit dem Gedanken spielte, ob sie nicht lieber ging und auf eine bessere Gelegenheit wartete, fiel ihr ein Kleid ins Auge, das sie innehalten ließ. Ausgerechnet ihr, die Hochzeiten desinteressiert gegenüberstand. Es war einer Puppe angezogen, perfekt in Licht und Szene gesetzt. Es zog sie an, faszinierte auf unerklärliche Weise. Dabei würde sie nie ein solches Kleid tragen. Generell passte es nicht zu Robin. Vielleicht lag darin der springende Punkt, sie sah nicht sich selbst darin. Ihr Kopf spielte plötzlich Bilder ab. Bilder einer unmöglichen Zukunft. Rote Locken … „Ist ein sehr schönes Stück, nicht wahr?“, wurde Robins Fantasie gestört. Sie blinzelte. Sogleich schob sie die Hände in die Manteltasche, ballte sie. Ein stummes Nicken. Ein stummer Zuspruch. Es würde ihr stehen – Stopp! Robin wandte sich zur Seite, da stand Lola, die Inhaberin, neben ihr und lächelte vergnügt. „Das Kleid ist ein Unikat. Maßanfertigung für eine Freundin.“ Wieder nickte Robin. „Sie wird sich sehr freuen. Da kann der große Tag kommen.“ Bevor Robins Gedanken nochmal abdriften konnten, hörte sie ein vergnügtes Kichern. „Oh weh, der ist in weite Ferne gerückt. Stimmt mich traurig, aber ich durfte sie darin sehen. Niemand der sie darin sieht, könnte ein Nein hervorbringen.“ Irgendetwas an ihrem Tonfall stieß Robin ungut auf. Sprach man über eine Freundin, wäre man in der Lage nicht eher bestürzt? Stattdessen nahm Lola alles mit Humor. Und als ob sie die Gedanken erhörte, erklärte sich Lola. „Mich hat die Muse gepackt. Für die Zukunft, wenn sie eines braucht – wird hier leider eine Weile stehen. Es sei denn, es existieren noch Wunder.“ Robins Brauen zogen sich zusammen, als sie wieder das Kleid betrachtete. Irgendwie spürte sie nichts Gutes. Als ob Lola eine Anspielung machte. „Was führt dich zu mir, Robin?“ Robins Augen zuckten leicht. Gefühle logen nie. Natürlich wusste Lola wer sie war. „Keine Hochzeit“, murmelte sie und Lola lachte schallend. „Nein … nein keine Hochzeit. Davon habe ich gehört.“ Damit machte sie kehrt und schritt durch den Raum. Sie waren allein. Die letzte Kundschaft war eben gegangen. Absichtlich hatte Robin lange gewartet, bis zum letzten Moment. Sie wollte kurz vor Ladenschluss vorbeikommen, aber gerade haderte sie umso mehr mit ihrer Idee. „Nami hat Geschmack. In Natura siehst du noch besser aus. Da wundern es mich nicht, dass sie dir verfallen ist. Ihr gebt ein hübsches Paar ab … ein Jammer!“ Gefolgt von einem dramatischen Seufzen. „Ich will mit dir reden, Lola“, ignorierte Robin gekonnt den Kommentar. „Oh, überhaupt nicht offensichtlich“, kicherte sie und warf einen einladenden Blick über die Schulter. „Champagner?“ Kopfschüttelnd folgte Robin. Alkohol wurde ihr in letzter Zeit häufig angeboten. Während Lola den Laden abschloss, sank Robin auf einen der Stühle. Vielleicht besser so. Wusste Lola wer sie war, so ersparte sich Robin eine Vorstellungsrunde und eine etwaige Erklärung. Wobei. Sie kam nicht direkt für Nami. Anderes spielte genauso eine Rolle und hiermit würde sie noch für eine Überraschung sorgen. Obwohl Robin wartete, machte Lola keine Anstalt sich schneller zu bewegen. Genauso wenig wirkte sie gestresst von ihrer Anwesenheit. Sie blieb die Ruhe in Person. Robin hingegen war angespannt. Was der Situation geschuldet war. Die andere wusste eben nichts von ihrem Doppelleben. Sie wusste nicht, wer Robin war. Außer die … die Ex-Freundin einer Freundin und allein der Gedanke stimmte Robin trauriger, als er in dem Fall sollte. „Kommen wir zur Sache. Bittest du mich um Rat? Soll ich ein gutes Wort für dich einlegen?“ Bei der guten Laune, die Lola an den Tag legte, würde Robin liebend gern die Augen verdrehen oder wenigstens ein genervtes Stöhnen ausstoßen. Sie beherrschte sich, wie immer. Stattdessen sah sie ihr ausdruckslos entgegen. „Ich regle meine Probleme lieber selbst“, war alles, das sie erwiderte. Sicher existierten solche, die allein nicht lösbar waren. Brauchte sie dann Hilfe, dann fragte sie Freunde, aber keine, für sie, fremde Frau. Da interessierte Robin das nahestehende Verhältnis nicht. Schon gar nicht bei eigenen Fehlern. „Nami hat Andeutungen gemacht. Ein Hintergehen … sie spricht das Zerwürfnis nicht direkt aus“, schlug Lola plötzlich einen raueren Ton an. „Mit deinem Aussehen ziehst du bestimmt einige Leute an Land. Tut Nami ebenfalls, versteh mich nicht falsch. Flirten ist eine Sache, aber mehr? Irgendwie überzeugt mich der Gedanke nicht. Ich kenne eure Geschichte. Mir fehlt das passende Stück.“ Vor Robin kam sie zum Stehen, stemmte die Hände in die Hüften und musterte sie argwöhnisch. Etwas, das Robin eine Braue heben ließ. „Nami legt selten ein Blatt vor dem Mund, sie sagt, was sie denkt, und zeigt offen ihre Gefühle. Bei dir ist sie wortkarg. Ausgerechnet bei dir. Bei deiner Vorgängerin war sie ganz anders.“ Dann ließ sie sich in den Stuhl neben Robin fallen, stützte das Kinn an der rechten Hand ab. „Nami für ein dahergelaufenes Mädel riskieren? Nein. So dumm schätze ich dich nicht ein.“ Verflogen war der Humor. Lola ging auf Konfrontationskurs. „Hintergehen ist ein dehnbarer Begriff, Robin, und du wirfst Fragen auf.“ Tat sie. Gestand Robin ein. Dasselbe galt für Lola. Oder das Leben. Die letzten Wochen warfen genug Fragen auf. „Wie nah steht ihr euch? Nami und du?“, fragte Robin unverblümt und knöpfte den Mantel auf. Das Gespräch würde eine Weile dauern und hier drin war es zu warm. Unbeeindruckt zuckte Lola ihre Schultern. „Ich bin keine Vivi oder Rebecca, aber wir sind Freunde.“ Dann grinste sie verschmitzt. „Eifersüchtig? Dass sie mich aufgesucht hat, um dich zu vergessen?“ Robin warf ihr einen missbilligenden Blick zu. Eifersucht war ihr fern. „Ich frage, weil mich der Gedanke beunruhigt eine Charlotte an ihrer Seite zu sehen“, beendete Robin den Smalltalk. Genug davon. Stunden wollte sie dennoch nicht hier verbringen und nach einer Plauderei stand ihr noch weniger. Schon gar nicht wollte sie Lolas Gunst gewinnen. Robin erkannte, dass der Moment gekommen war, der die Stimmung zum Kippen brachte. Verpufft war die Gelassenheit, Lolas Blick wurde kalt. Punktlandung durfte man meinen. „Wer bist du?“, fragte sie bedrohlich. Robin lächelte und kostete den Anblick eine Spur zu weit aus, aber gefiel es ihr. Sie erkannte das Rumoren in Lolas Hirn. Das Laute und das Durcheinander. Wer war bloß eine Frage. Wichtiger war, warum Robin sie aufsuchte. Ob sie Nami nach hinten rückte? Sich vielmehr den Kopf zermarterte, ob ihre Familie sich einmischte? Oder gar ihre Feinde? „Ist deine Entscheidung“, winkte Robin dann lässig ab. „Ob Freund oder Feind, die Entscheidung bleibt dir überlassen. Ich bevorzuge ein positives Gespräch. Für uns beide. Für Nami. Für eine Bekannte.“ „Wer bist du?“, fragte sie nochmals mit deutlichem Nachdruck. „Dann entscheide ich.“ Und das tat Robin. Sie erzählte das Gröbste. Alles, das Lola wissen sollte oder musste. Wer sie war, was zum Bruch führte und besonders, wie sie auf Lolas Herkunft aufmerksam geworden war. Alles, aber eben nicht bis ins kleinste Detail. Während sie sprach, nickte Lola dann und wann. Blieb überraschend ruhig, sie wirkte fast unbeeindruckt. „Wächst du in meiner Familie auf, bist du abgehärtet. Deine Sorte kenne ich en maß. Manche sind sympathisch, manche sind Abschaum. Wie mit den Geschwistern.“ Nachdenklich fuhr sie sich durchs Gesicht. „Dieses Leben erfüllt mich nicht. Hier lebe ich meinen Traum – Hochzeitskleider! Verrückt, oder?“ Lola lachte wieder, wenn auch zurückhaltender. „Jetzt verstehe ich auch eure Trennung. Namis schweigsame Art. Die Seite ist ihr unbekannt. Bei ihrem Lebenswandel normal. Ihr Umfeld, oder besser gesagt das ihrer Eltern, mag abscheulich sein – ich lebe abseits, kenne aber manche Namen – aber Nami hat mit denen nichts am Hut. Glaubte ich.“ Damit warf sie Robin einen vielsagenden Blick zu, den Robin auf ihre Art erwiderte. „Wenn du wüsstest“, murmelte sie entschuldigend. „Alles nach der Reihe“, brummte Lola und stand kurzerhand auf. „Das Gespräch schreit nach einem Drink! Unser Kennenlernen habe ich mir angenehmer vorstellt.“ „Habe ich so an mir. Momentan möchte jeder Alkohol, wenn ich zum Reden anfange.“ Robin stützte den Kopf ab, musste darüber schmunzeln. „Du bringst auch keine leichte Kost“, kommentierte Lola und so wie sie vermehrt den Kopf schüttelte, erkannte Robin das eifrige Denken. Für einen Moment verschwand diese im Nebenraum, nur um mit einer Flasche Champagner zurückzukommen. „Manchmal gehören Nerven abgetötet … danke, Robin. Eine nette Vorwarnung und ich hätte Besseres eingekauft.“ Ein paar kräftige Züge später beäugte sie ihre Besucherin erneut musternd. „Meinen Bruder an der Backe haben, ist kein Honigschlecken. Ihr habt Glück gehabt.“ „Wissen wir.“ Lola nickte und nahm noch einen Schluck. Dabei starrte Robin sie offen an. Diese Frau passte überhaupt nicht in das von ihr gemachte Bild einer Charlotte. Wobei ihr Bonney in den Sinn kam. Ihren Bruder hatte sie anders in Erinnerung. Andererseits trafen sie unter komplett anderen Bedingungen aufeinander. Vielleicht lag darin das Geheimnis der Familie? „Oh Gott …!“, stieß Lola aus. „Ich war so unsensibel!“ Sofort glitt ihre Aufmerksam zum Kleid, das Robin vorhin noch fasziniert betrachtet hatte. „Ich habe Nami ins Kleid gesteckt – richtig, ist ihres. Du musst sie darin se-“, brach sie ab, als sie realisierte. „Entschuldige.“ Robin biss die Zähne zusammen. Natürlich. Natürlich sprang ihr das Stück ins Auge. Natürlich hatte sie darin sofort Nami gesehen. „Ist sehr schön, ja“, brachte sie heraus, denn ihre Gedanken drifteten erneut ab. Das musste eindeutig aufhören. „Können wir auf das Wesentliche zurückkommen?“ Lola schwieg. Dabei neigte sie den Kopf grübelnd zur Seite. Noch ein Schluck. Dann ein entschuldigendes Lächeln. „Ich habe gerade die perfekte Ergänzung im Kopf. Für dich – ich muss mit Nami reden.“ „Lola!“ Nein, gerade ging von ihr keine Gefahr aus. Nicht von ihrer Herkunft. Dafür aber was ihre Gefühlswelt anging. Vielleicht reagierte Nami auf solche Späßchen gelassener. Nicht Robin. Schon gar nicht, wenn sie litt. „Ich muss mit dir reden, also lass das kindische Getue.“ „Tun wir, über eure Zukunft.“ Daraufhin legte Robin einen Schalter um und Lola nahm die Veränderung wahr. „Ich rede von Bonney. Deiner Schwester.“ Geschockt ließ sie die Flasche aus, die beim Aufprall in Scherben zersprang. „Sie lebt?“ 4. März 2013 Die Tage hinterließen allmählich Spuren. Robin packte gerade den Koffer für die Weiterreise. Allein. Kalifa brauchte frische Luft für einen freien Kopf. Hatte sie zumindest gesagt. Berechtigt. Plötzlich ging alles Schlag auf Schlag. Bevor sie ein letztes Mal nach Venedig zurückkehrten, würden sie Bonney besuchen. Lola bot Hilfe an, obwohl sie diese selbst in Schwierigkeiten brachte. Sofern ihre Familie Wind bekam. Was Nami anging, so hatte Robin bis zum Schluss geblockt. Das Ende war unabwendbar. Als sie einen Blick durch den Raum warf, ob sie etwas vergessen hatte, blieb sie am Spiegel hängen. Sie war müde. In jeder Hinsicht. Mittlerweile schlief sie noch weniger. Vom Essen fing sie gar nicht erst an. Wäre Kalifa nicht bei ihr, würde sie komplett abschalten. Kraftlos sank sie aufs Bett, vergrub das Gesicht in den Händen. Ihr Leben hatte binnen kürzester Zeit eine totale Kehrtwendung gemacht. Wenn es bloß sie allein betreffen würde, aber selbst das war nicht länger der Fall. Ein Klopfen ließ sie aufblicken, reagieren. Sie verfiel in ein einstudiertes Muster. Eines, dass sie ihr gesamtes Leben verfolgen würde. Aus Reflex spannte sich ihre Muskulatur. Ihr Kopf wurde leer, einzig auf das Wesentliche gerichtet. Reflexartig griff sie zur Glock, die jederzeit bereit neben ihr lag. Kalifa hatte den Schlüssel. Vielleicht übertrieben. Ein Feind würde kaum Klopfen. Außer er war sicher oder diente als Ablenkung. Aufmerksam hielt sie Ausschau und nur langsam schritt sie voran. „Robin, bist du da?“ Erst als die bekannte Stimme durchdrang, entsicherte sie die Waffe, ließ sie sinken und atmete ein Mal tief durch. Ein Atemzug reichte, um Spannung aufzubauen, einer reichte, um sie zu nehmen. „Robin?“. Hörte sie erneut. Noch ein Klopfen. „Moment.“ Die Waffe wurde in die erste Schublade der kleinen Kommode neben der Tür gelegt. Sollte etwas schief gehen. Dann holte sie den Zweitschlüssel, sperrte auf und zeigte beim Öffnen deutlich ihre Verwunderung. „Mit dir habe ich nicht gerechnet.“ Trafalgar Law stand vor ihr. Unschlüssig. Mit den Händen in den Hosentaschen. „Ich noch weniger. Darf ich?“ Sie machte Platz und taxierte ihn beim Vorbeigehen. Mit seiner Zurückhaltung und in Jeans und Pullover gekleidet, kam er ungewohnt normal rüber. Machte ihn beinah symphytisch. Robin musste leicht schmunzeln, als sie sich gegen die wieder geschlossene Tür lehnte. „Du reist ab?“, fragte er, als sein Blick zum Schlafzimmer führte. „Heute Abend, ja.“ Es fühlte sich merkwürdig an. „Was ist deine Antwort?“ Kein anderer Grund fiel Robin ein, der ihn zu ihr brachte. „Schade. Ich habe gehofft, du bist längst fort“, entgegnete er mit einem trägen Lächeln. „Niemanden anzutreffen, wäre wünschenswerter. Einfacher.“ Sie verstand. Deshalb hatte er nicht angerufen. „Schätze, ich muss dir nichts über ihre Abreise erzählen?“ „Sie ist gut angekommen.“ Auf seinen skeptischen Blick hin, hob sie beschwichtigend die Hand. „Stell dir vor, in Venedig existieren Leute, die schneller darüber Bescheid wissen als es dir lieb ist. Sie tratschen.“ Und Vivi gehörte zu ihnen. Kaum war Nami angekommen, schon hatte sie Sanji geschrieben. Der wiederum Robin gegenüber nicht dichthielt. Er nickte vor sich hin. Obwohl sich Robin lieber hinlegen würde, wenigstens für ein paar Minuten, anstatt mit ihm zu reden, stresste sie nicht. Wenn er schon kam, dann hatte es Gründe und lieber überließ sie ihm das Tempo. Sie kannte es von sich. Drängen brachte keinen Erfolg. „Wir haben uns getroffen“, rang er sich nach ein paar Minuten durch und lehnte an den kleinen Esstisch. „Stell dir vor, sie beschützt dich. Sie will keinen Trubel und alles unter den Tisch kehren. Deinetwegen.“ Ihr Herz machte einen Satz. Nach allem erwartete sie irgendwie das Gegenteil. Für Robin war dieser Punkt alles, aber keine Selbstverständlichkeit. Nami hatte jedes Recht sie auffliegen zu lassen. „Ich habe zugestimmt.“ „Warum?“, fragte sie irritiert. Zum Teil fiel eine Last ab, andererseits musste sie auf der Hut bleiben. Von ihm hörte sich alles so unglaubwürdig an. „Versteh mich nicht-“ „Robin“, unterbrach er. „dich ins Messer laufen lassen, wäre Dank der Beweislage ein Kinderspiel. Lucci hat mir alles perfekt serviert. Und natürlich habe ich die Wahrheit mit Kusshand an Nami weitergetragen. Nicht direkt wegen Lucci. Sicher, du hast mir einen Partner genommen, aber er war ein Partner. Für mich stand nie eine Freundschaft im Raum. Ein falscher Schritt und er hätte mich jederzeit getötet. Eigentlich hast du mir einen Gefallen getan. Ich bin frei. Frei von dem Bündnis und ich lebe. Stell dir vor, ich bin dir dankbar.“ Er stieß sich ab und marschierte mit verschränkten Armen durch den Raum, während Robin in regungslos ansah. Nicht gerade die Worte, die sie erwartet hatte. „Wütend hat mich eher die Chance auf die Wahrheit gemacht. Wer es war … die Frage beschäftigte mich durchgehend. Allein kommst du nie ans Ziel. Deshalb habe ich auf ihn gebaut. Dann kommst ausgerechnet du mit dem wichtigsten Puzzlestück an. Du!“ Dabei warf er ihr einen angriffslustigen Blick zu. „Nami.“ „Früher haben mich nur die Herzen auf dem OP-Tisch interessiert … bis ich mein eigenes verloren habe. Ich bin zu spät draufgekommen. Aus einem Spaß ist Ernst geworden. Ich habe keine Chance bei ihr und das frustriert. Da kamen Luccis Akten gerade richtig. Euer Zerwürfnis lag auf der Hand.“ Robin zog die Brauen zusammen. Sollte sie ihm sagen, wie kindisch sich seine Erklärung anhörte? Oder kam ein Teil, der es besser machte? „Schau nicht so böse“, tadelte er, seine Ausdruck wurde aber weicher. „Angst. Neben all meiner Wut und dem Frust spielte Angst einen Part. Ich habe Lucci nie vertraut, mir war stets bewusst, was seine Nähe bedeuten konnte. Du und deine Freunde seid dasselbe Kaliber. Sie in deiner Nähe. Nein. Das wollte ich verhindern.“ Die Erklärung gefiel Robin eher. Gefallen in dem Sinne, dass er sich tatsächlich sorgte. Leider verstand sie seinen Gedankengang. „Stell dir vor, ich habe lange gezögert. Ein anderes Leben … ich hätte nicht Wochen gewartet. Was sage ich. Ich hätte von Anfang an anders reagiert.“ Schon im Februar hatte Robin Interesse gehabt sie näher kennenzulernen. Bei der Rückkehr hätte sie sich nie zurückgehalten. Stattdessen hatte sie durch eine etwaige Freundschaft die Nähe gesucht. Aus gutem Grund, aber für sie war es nicht einfach gewesen. Auf Dauer wäre eine Freundschaft zermürbend gewesen. Die Vernunft war lange stark geblieben. „Irgendwann hätte sie die Wahrheit herausgefunden“, seufzte Law. „Oder sie wäre deinetwegen in Gefahr geraten.“ „Ist mir bewusst.“ Unschlüssig massierte er seinen Nacken. Robins Hoffnung lebte auf. Er war hier, er erklärte sich. „Ich will den Mistkerl leiden sehen. Er soll meinen Schmerz fühlen!“ Wut kroch wieder hervor. Unauffällig glitt er Blick zur Kommode. Vielleicht doch zu früh gefreut? „Der kommt mit allem davon. Lebt ein verdammt gutes Leben. Verdammt unfair.“ Langsamer als zuvor ging er wieder umher, ehe er am Durchgang zum Schlafzimmer stehen blieb und sich an die Wand lehnte. Mit Rücken zu ihr war es einfach. Sie bräuchte ein paar Sekunden. Ohne Aufmerksamkeit zu erregen müsste sie klüger vorgehen. „Was bringt der Tod?“ Robin musterte ihn fragend. „Entsteht ein dauernder Schaden, so sollst du geben Leben um Leben, Auge um Auge und so weiter. Was bringen ein paar Stunden Schmerz bevor er stirb. Er müsste den gleichen Schmerz erleiden. Im Austausch müsste seine Familie sterben. Bellemere. Nojiko. Nami. Erst mit ihrem Tod würde er vielleicht verstehen.“ Ruckartig stellte sich Robin zur Kommode, legte die Hand auf die Oberfläche. „Tötest du mich?“, fragte er rau. Robin überlegte genau, was sie als nächstes tat. Körperlich war sie nicht auf der Höhe und sein Können einschätzen, war schwer. Sie malte sich sämtliche Szenarien aus, aber etwas hielt sie ab. „Ziehst du die Option in Betracht?“, fragte sie nach. „Sie sind unschuldig.“ „Wie meine Familie. Sie haben meine Schwester getötet … ein unschuldiges Kind.“ Sein Körper zitterte. Seine linke Hand ballt sich zur Faust. „Wäre sie nicht krank geworden, wäre sie mit uns gekommen.“ Dann lehnte er mit dem Rücken kurz an den Rahmen, sah zu ihr. Er war gebrochen. „Wer tötet ein krankes, unschuldiges Kind?“ Für Robin stellte er gerade keine Bedrohung mehr war, das Adrenalin sackte ab. Hier sah sie nur einen gebrochenen, trauernden Mann. „Wir haben überlegt den Ausflug zu verschieben, für sie. Hätte ich nicht darauf beharrt, wären wir alle zusammen gestorben.“ Er lachte aus purer Verzweiflung und rutschte zu Boden. „Leben um Leben? Ich mag seine Familie. Bellemere sieht stets das Gute in mir, sie durchschaut meine Masche und Nami? Ich war ihr gegenüber ein Arsch, genügend Male, aber ich liebe sie. Auch wenn es sinnlos ist.“ Und dann tat Robin etwas, dass sie sich nie vorgestellt hatte. Sie setzte sich ihm gegenüber auf den Boden und war da. War für den Mann da, der in sich zusammenbrach und weinte. Um seine Familie und die Erkenntnis das ihn seine Rache nicht weiterbrachte. 7. März 2013 „Eine schöne Frau ist mein liebster Lohn“, trällerte Sanji beim Verlassen des Restaurants. Es war fast Mitternacht und ihm war seine Müdigkeit anzusehen, wenngleich er sie zu vertuschen versuchte. Robin lächelte. „Ich habe dir angeboten, uns morgen zu sehen.“ Mit der rechten Hand winkte er ab, die andere fischte eine Zigarettenpackung aus der Hose. „Manches soll nicht warten und du hast mich lange genug auf die Folter gespannt. Nami ist längst zurück, du bist lange in Zürich geblieben.“ Tatsächlich war sie länger geblieben, aber das allein hielt Robin nicht so lange auf. „Es ist ein kleiner Abstecher dazu gekommen.“ „Der wäre?“ Neugierig beäugte er Robin, während er die ersten Züge nahm. „Bonney.“ Ihre Schultern zuckten, ehe sie langsam voranging. Um die Zeit waren die Gassen leergefegt, die Stadt schlief und das mochte Robin. Die Information hatte Sanji überfordert, denn er brauchte, um aufzuschließen. Wiederum starrte er sie an. Nicht verwunderlich. Bonney war eine Freundin und alles um sie herum war momentan rar gesät. In erster Linie ihretwillen, aber sie alle waren mit anderen Sorgen beschäftigt. Dennoch hielten sie die Jungs so oft es ging auf dem aktuellen Stand der Dinge. „Wehe du lässt das stehen.“ „Bei ihr ist alles in Ordnung. Sie langweilt sich. Zorro schwirrt ihr besonders im Kopf herum“, erzählte sie aufmunternd. Es stimmte. Und sie arbeiteten an einem Plan. Taten sie seither, doch manches blieb eben kompliziert. Eine Rückkehr schien derzeit ausgeschlossen, obwohl die Suche nach ihr sich längst verlagert hatte. Niemand dachte daran sie in Venedig aufzuspüren, aber sicher war sicher. Das wusste sogar Bonney. „Okay? Freut mich, wirklich …“ Er schnippte den Stummel in den Kanal. Natürlich ahnte Sanji etwas. Bislang hatte Robin keinen persönlichen Besuch gemacht. Kalifa und Franky hatten mal vorbeigeschaut, sie nicht. „Ich habe eine ihrer Schwestern getroffen“, gab sie leise zu. „Langsam wächst einem das Ausmaß über den Kopf.“ „War sie hinter dir her?“ Robin lachte auf, schüttelte den Kopf. „Nein, nein, keine Sorge. Sie gehört eher in eine andere Kategorie.“ „Weniger kryptisch, bitte.“ Grübelnd fuhr er sich durchs Haar. „Hab erwartet, du erzählst mir von eurem Gespräch. Ob ihr einen zweiten Versuch startet oder nicht, jetzt kommst du mit komplett anderen Neuigkeiten.“ Entschuldigend sah Robin zur Seite. Wenn er bloß wüsste. Die Tage hatten mehr ans Tageslicht gebracht, als je erwartet und dementsprechend standen Konsequenzen an. „Hat Nami jemals über eine Lola geredet?“ Sichtlich dachte Sanji eine Weile nach. „Klingelt nichts.“ „Sie ist eine Charlotte. Niemand dort kennt ihren Hintergrund. Kalifa hat mich auf die Spur gebracht.“ „Familienzusammenführung?“, fragte er verdutzt. Ganz falsch lag er nicht. Ob sie sich treffen, stand in den Sternen. Beide wussten, was ein falscher Schritt bedeutete. „Müssen wir uns sorgen?“ Die Abscheu darüber verbarg Sanji nicht. Bonney war für ihn eine Ausnahme. Er kannte sie seit Jahren, er hatte mitbekommen, was vor sich ging, aber hier erzählte sie von einer fremden Person. Die obendrein Nami wohl näher stand. „Im Gegenteil … sie ist ein bisschen verrückt, aber nett.“ „Von dir hört sich das nach einem Kompliment an“, witzelte er. Robin war geneigt, die Augen zu verdrehen, ließ es und sah einfach nach vorne. „Sie wird uns helfen. In den nächsten Wochen wird sie Bonney einen Besuch abstatten. Dann sehen wir weiter.“ Erleichtert atmete Sanji aus und zündete sich eine neue Zigarette an. Vielleicht wendete sich in Bonneys Fall alles zum Guten. Es brauchte seine Zeit, aber sie waren auf dem richtigen Weg. Robin hoffte darauf, auch für Zorro. Die beiden wollte sie glücklich sehen, wenngleich genügend Steine vor ihnen lagen. Doch wollten sie einander, würden sie es schaffen. „Mit Law habe ich mich ausgesprochen.“ Eine bessere Formulierung fand sie für das bizarre Gespräch nicht. Er war noch länger bei ihr geblieben und hatten miteinander gesprochen. In nächster Zeit würde er seine nächsten Schritte überlegen. Ob er dortblieb und so leben lernte oder ob er genauso wegzog. „Bitte sag mir, du hast ihm ordentlich Angst eingejagt!“, platze es freudig aus Sanji heraus. Er wusste, um seine Gefahr. Vielleicht war er ihnen so unterlegen, aber mit den zugetragenen Informationen wurde er unberechenbar. Er konnte für großen Wirbel sorgen, ob er das überlebte oder nicht. Umso mehr zeigte Sanji seine Freude, die jedoch kurzweilig war. Denn Robin zeigte keine Freude. Sie blieb ernst. „Robin?“ „Alles ist verdammt kompliziert geworden“, murmelte sie seufzend und hielt an. Die Beziehung selbst trat in den Hintergrund. Eigentlich war Robin dankbar. Das Drumherum half momentan ihre Gefühle zu kontrollieren. Fragend musterte Sanji sie, er schwieg, wartete auf eine Erklärung. Es dauerte eine Weile, bis Robin ihn ansah. Das spärliche Licht half ihr. „Wir verlassen Venedig.“ „Was?“ Ungläubig trat er näher, er schluckte schwer. „Du lügst, oder?“ Ein Kopfschütteln zerstörte seine Hoffnung auf den möglichen Scherz. Während des Aufenthalts hatte sie lange mit Kalifa gesprochen. Zwischendurch übers Telefon mit Franky. Schon vor der Abreise war der Gedanke aufgekommen. Bei allen. Hier wurde die Luft zu dünn. Manches musste getan werden. Venedig wurde eine Gefahrenquelle, auch für die ihnen Nahestehenden. Venedig verlassen war unvermeidbar geworden. „Du veräppelst mich, richtig?“, versuchte er erneut. „Was ist mit Nami? Oder eurem aufgebauten Leben?“ Nami würde nie einlenken und das Leben? Sicher, sie hatten sich hier etwas erarbeitet. Was sprach dagegen? An einem anderen Ort wäre es genauso möglich. Von vorne anfangen. Wobei sie anfangs kaum sesshaft werden würden. Wollten sie eine Veränderung, mussten sie handeln. Und momentan lagen neue Gefahren vor ihnen. Deshalb würde Robin das Wichtigste nach St. Petersburg bringen. Dort hatte sie auch das Nötigste um sich. Wenn sie schon ihr Leben umkrempelte, gehörte auch die Vergangenheit dazu und dort lag noch genug verborgen. „Warum gibst du nach einem Gespräch auf?“ Dicht stand Sanji vor ihr, suchte verzweifelt nach der Lüge. Lächelnd legte sie ihm die Hand auf die Schulter, drückte sie leicht. „Sanji, ich gehe auch, um ihr zu helfen. Passt auf sie auf.“ Solange sie blieb, würde Nami kaum mit ihnen abschließen können. Irgendwann, aber es wäre hart. Wenn sie eines gelernt hatte, dann dass sie sich hier zu oft über den Weg liefen. Und leider stand Vergo im Raum. Ganzgleich, was Robin auch sagte, in ihr schürte genauso der Wunsch nach Vergeltung. Auch sie musste damit kämpfen. In dem Punkt ähnelten sich Law und Robin mehr als jemals erwartet. Wie er, wollte auch sie Blutvergießen vermeiden. Kein neues Leid heraufbeschwören. Dafür musste Robin fort. Kapitel 55: Respirare. ---------------------- Atmen. 23. September 2012 „Du verspätest dich noch“, erinnerte Robin wiederholt und deutete auf die Standuhr. Zur Antwort erhielt sie lediglich ein genervtes Brummen. Die Lust aufs Treffen war Nami vergangen. Lieber blieb sie. Gestern Nacht war man sich bei Bruno in die Arme gelaufen. Als es später wurde und Vivi nach Hause ging, war Nami geblieben. Gegen Ende hatten sie sich von Franky abgeseilt und irgendwann waren sie bei Robin gelandet. Das eine führte zum anderen. Statt den restlichen Tag miteinander, musste Nami los. Ausgerechnet heute funkten ihre Pläne dazwischen. Das war das Los von spontanen Änderungen. Das nächste Brummen. Ein unfaires Verhalten, dessen war sich Nami bewusst. Konnte man ihr den Trotz verübeln? Lange tappte sie im Dunklen, musste sich zurückhalten. Nun, wo sie endlich zusammenfanden, die Freundschaft zur Seite schoben, wollte Nami genießen. Jede Minute, zumal die kommende Woche beide recht einspannte. „Ich bin krank. Magenverstimmung. Alkohol setzt mir zu“, zählte sie auf. „Sonst noch was?“ Nami hob den Kopf an. Natürlich hielt sie ihr Wort und war gerade dabei sich die Schuhe anzuziehen. „Du lässt mich nicht gehen?“, fragte sie mit einem frechen Grinsen. Beim Aufrichten betrachtete sie sich im Spiegel. Da das Übernachten eine spontane Idee war, trug sie eines von Robins Oberteile. „Du weißt, mit wem ich mich treffe. Zorro kommt eh zu spät. Ich wette, er steht gerade am anderen Ende und sucht verzweifelt den Weg zum Treffpunkt.“ Nochmal richtete sie ihre Frisur. Sie sah Robins Spiegelbild und der Blick sprach Bände, brachte Nami zum Lachen. „Siehst du, ich habe Zeit.“ Jeder kannte seinen miserablen Orientierungssinn. „Du tust so, als hätten wir keine“, wurde Robin eine Spur ernster. Dann half sie ihr in die Lederjacke. Zuerst strich sie ihr über die Schultern ehe sie die Arme um Nami gab und sie an sich drückte. Das Kinn bettete sie an der linken Schulter. Einen Moment sahen sie einander im Spiegel an, dann neigte Nami den Kopf. Als ob ihr das Gehen damit leichter fiel. Entspannt lehnte sie zurück, legte die Hände auf Robins. „Dein Starrsinn hat uns welche gekostet“, neckte sie. Es war kein Vorwurf, aber sie hatte nicht Unrecht. An diesem Punkt könnte sie schon länger sein. Besser spät als nie. Der Bann war gebrochen. Schon während der Verabredung zwei Tage zuvor war alles anders gewesen. Schon da stand für beide fest, dass sie den Schritt wagten. In den Gesprächen, in den Gesten. Ein unübersehbarer Cut. Irgendwie konnte Nami das Glück nicht fassen und umso deutlicher war geworden, wie sehr sich beide eigentlich zurückgehalten hatten. „Deine Geduld lässt zu wünschen übrig.“ Augenrollend drehte sie sich in der Umarmung, legte die Arme um Robins Nacken. „Halt die Klappe“, murmelte sie noch, bevor sie sich küssten. Ungeduldig war Nami allemal, aber in dem Fall hatte sie ihr Geduldsvermögen sehr wohl unter Beweis gestellt. Sonst hätte sie schon ein paar Wochen früher den Mund aufgemacht, statt sich den Kopf zu zermartern. Manchmal musste der richtige Zeitpunkt abgewartet werden, vielleicht wäre sie früher gegen den Kopf gestoßen worden. Das Risiko etwas falsch aufzunehmen, bestand immer. Hier hatte sie richtig gedeutet. „Zeit zu gehen, der Vorsprung ist aufgebraucht.“ Das nächste Brummen. Nein, das Gehen fiel ihr schwer, eher hatte sie Lust auf anderes. Es brachte nichts, Zorro wollte sie durchaus nicht zappeln lassen. Der Widerwillen war da, aber sie fühlte sich leichtfüßig als sie die vier Stufen nahm. „Wer weiß, vielleicht brauche ich später eine Stärkung“, wurde ihr nachgerufen, wodurch Nami vor sich hin grinste. Mit den Händen in der Jackentasche drehte sie sich um, nahm ein paar Schritte rückwärts. „Brauchen wir beide.“ 10. März 2013 Ermüdend. All das Diskutieren ermüdete Robin. Wieder, und das mussten sie beide merken, fand sich kein Nenner. Bald landeten sie am selben Punkt, gegen den keine Erklärung ankam. Für Nami würden Robins Taten immer unverständlich bleiben. Umso mehr gab Robin auf. Es brachte nichts. Eigentlich sollte sie sich freuen. Immerhin untermauerte Nami so ihre Entscheidung. Ohne Basis, ohne Verständnis kam nie eine zweite Chance auf. Eine, die Robin um alles in der Welt gewollt hatte, gegen die sie sich mittlerweile jedoch sträubte. Jene neuen Erkenntnisse führten zu einem raschen Umdenken. Besser hätte es gar nicht kommen können. Lieber jetzt als später. Warum also fühlte Robin keine Erleichterung? Ein Fingerschnippen vor der Nase holte sie aus den Gedanken. Erst blinzelte sie, dann warf sie einen Blick zur Seite. „Noch bin ich da“, seufzte Nami. „Wir fahren uns fest. Schon wieder. Recht frustrierend.“ Frust. Der war da, ja. Wenn bloß alles so einfach ablief, wie die letzte Nacht. Wobei sich die einfach erklären ließ. Sie waren ihren Gefühlen gefolgt. Kein Denken. Kein Reden. Mit einem Wimpernschlag waren sämtliche Probleme zur Seite geschoben worden und fertig. Was zählte war der Moment. Dass am Morgen die Ernüchterung folgte, war offensichtlich gewesen. Wenn der Impuls abgeklungen war und der Verstand zurückkehrte, und die Sicht klärte, änderte sich alles schlagartig. „Hast du mit einer Wendung gerechnet?“, fragte Robin offen skeptisch. Verschwand Robin aus der Stadt, wäre das erneute Zusammenfinden schwieriger, fast unmöglich. Aus den Augen, aus dem Sinn, wenn man so wollte. Gefühle hin oder her. Robin wusste, wie man untertauchte, keine Spuren hinterließ, wenn sie denn wollte. St. Petersburg diente für Nami als Anhaltspunkt, aber dort würde Robin in den kommenden Monaten kaum Zeit verbringen. Wenn sie überhaupt irgendwann gänzlich zurückkehrte, dafür war aktuell alles zu unsicher. Robin konnte komplett aus Namis Leben verschwinden. War es diese Angst gewesen, die Nami zu ihr trieb? Die Endgültigkeit? „Du hast das Gespräch gesucht, aber hast du ernsthaft an das Danach gedacht?“ Robin startete keinen Angriff, er wäre sinnlos. Sie selbst war der Verzweiflung, was ihre Lage anging, nahe. Eben, weil sie nicht vorankamen. Und das bestätigten auch Namis Augen. Sie dachte dasselbe. Mit einem traurigen Lächeln wich diese dem Blick aus. „Anfangs habe ich mir gar nichts gedacht … erst später. Irgendwie habe ich auf Klarheit gehofft. Ob ich dich leichter gehen lasse oder ob ich alles vergesse und dich wähle. Mit allen Konsequenzen. Geholfen hat es nicht. Stattdessen schlage ich mich mit dem Gedanken herum, dass du dich womöglich sinnlos in eine Katastrophe stürzt.“ „Sinnlos … du kennst nicht alle Hintergründe.“ Dann hob Nami doch wieder den Kopf und sah sie tadelnd an. „Ist mir egal. Entscheidest du dich dafür, läufst du geradeaus in dein Verderben. Das weißt du.“ Sacht zuckten Robins Mundwinkel. „Ist ab jetzt mein Problem, oder?“ Jeder ihrer nächsten Schritte. Ihrem gegenüber musste sie von nun an keine Rechenschaft ablegen. Was Robin tat, war ihre Sache, ob sie in den Tod lief oder ob sie ein vollkommen neues Leben startete. Was immer der Weg auch bereithielt. Erst zeigte Nami keine Reaktion, dann ein dumpfes Nicken, ehe sie Robin den Rücken zukehrte. „Okay, sehen wir der Realität endlich ins Auge. Wir raufen uns nie zusammen. Das Reden ist reine Zeitverschwendung“, sprach sie wehmütig und ging. Langsam sah Robin nach. Als sie an der Tür ankam, hielt Nami nochmals inne. Ihr Blick fiel auf das Bücherregal rechts von ihr. Irgendetwas lag ihr auf der Zunge, sonst wäre sie einfach gegangen. Dementsprechend wartete Robin. Instinktiv verkrampfte sie, denn hören wollte sie es nicht. Mit den Fingerspitzen strich Nami über einen der Bücherrücken. „Geht in Ordnung, wirklich. Jede Beziehung ist nicht auf Dauer gedacht. Wissen wir alle. Gefühle verblassen, wir vergessen.“ Robin kniff die Augen leicht zusammen. Täuschte sie sich oder zitterte Namis Hand? „Ich bin keineswegs naiv, Robin. Im Nachhinein war mit dir alles eine Spur zu perfekt. Natürlich existiert ein Haken. Das Schlimme ist eher das Gefühl, das ich bei uns hatte. Dieses Gefühl, das dir sagt, du hast sie. Die eine Liebe, die alles andere in den Schatten stellt. Du hast nicht gesucht, aber genau ins Schwarze getroffen und alle anderen werden uninteressant – Dumm gelaufen. Gefühle irren oder sagen wir, sie entscheiden sich manchmal für das Falsche.“ Dann sank die Hand und es wirkte, als ob Nami kämpfte. „Mein Kurzschluss entpuppt sich wohl als der größte Fehler.“ Ohne einen Blick zurück, verließ Nami das Zimmer. Regungslos stand Robin da und starrte auf den leeren Fleck. Das Gefühl kannte sie. Dachte sie an Nami, dann dachte sie auch daran. Obwohl das Ende stets lauernd gewartet hatte, hatte Robin instinktiv gewusst, was Nami für sie war. Was die Liebe bedeutete. Die verhältnismäßige kurze Dauer spielte keine Rolle. Diese Anziehung war anders als jede zuvor und nun standen sie vor den Trümmern. Was waren ein paar Monate auf Jahre aufgerechnet? Eigentlich nichts. Nicht in dem Fall. Ein paar Monate hatten gereicht, um sich darüber klar zu werden, was sie wollte. Wen sie wollte und dass für ihr restliches Leben. Und doch reichte ihre Liebe nicht. Wenn Robin geglaubt hatte, sie hätte den größten Schmerz bereits hinter sich, dann war sie naiv gewesen. Nichts hatte sie auf diesen Moment vorbereitet. Halt suchend sackte sie gegen die Wand. Sie kam ohne Vorhut, die eine große Welle. Ja, es war ein Fehler. Alles. Von Nami. Von ihr. Sie hatten sich darauf eingelassen, wissend, was der Preis dafür war. 15. Dezember 2012 Herzhaft gähnend schlüpfte Nami aus ihrem Oberteil. „Ich will nur noch ins Bett.“ Normalerweise war sie diejenige, die gern länger blieb, sofern die Runde passte und sie sich amüsierte. Dieses Mal wäre ihr allerdings ein entspannter Feierabend auf der Couch lieber gewesen. Gammeln, ein Film und wenn sie müde war, schlief sie einfach ein. Die letzte Zeit hinterließ Spuren. Auch ihre Energie war irgendwann aufgebraucht und das Bett war gerade alles, das Nami noch wollte. Hinlegen. Schlafen. Robin folgte mit einem leisen Lachen ins Schlafzimmer. Für sie war erst halb eins. „Ich habe mehrmals vorgeschlagen zu gehen. Schon nach dem Eislaufen. Sie haben dich bezirzt“, erinnerte Robin belustigt, wodurch ihr Nami einen tadelnden Blick zuwarf. „Ich lasse ungern Abmachungen sausen.“ Das Eislaufen mit Vivi und den anderen war seit ein paar Tagen geplant gewesen. Nami hatte dabei noch nicht an ihre Verfassung gedacht und dafür sagte sie nicht ab, auch wenn es noch andere Möglichkeiten gegeben hätte. Tat sie nie, egal wie sie sich anfangs sträubte. „Außerdem schieb mir nicht deine Redseligkeit in die Schuhe. Dir hat der Abend gefallen.“ Nami war auf keinen Vorwurf aus. Nach dem Unfall, der nun rund zwei Wochen zurücklag, war es schön gewesen wieder etwas zu unternehmen. Robin gelöster sehen. Eislaufen, den Weihnachtsmarkt genießen und ein Essen. Da ignorierte sie die Müdigkeit liebend gern. Vielleicht jammerte sie, aber mehr war es dann eben auch nicht. Mit einem Schulterzucken legte Robin die Armbanduhr ab. „Ich passe mich an.“ Anpassen? Nami hob eine Braue. Als ob sie sich bloß anpasste. Robin hatte ihren Spaß gehabt. Für Nami das Wichtigste. Vor allem nach der Zeit. Der Unfall hatte genug mit sich gebracht. Die ersten Tage über war sie deutlich ernster geworden, was in Robins Fall Bände sprach. Noch immer fragte sich Nami nach dem genauen Grund. Schmerzen waren eine Sache, aber manchmal kam Nami vor, dass etwas an ihr nagte. Dabei hatte sie keinen Fehler gemacht. Unfälle geschahen. Manchmal konnte man noch so vorsichtig sein, sie passierten. Das Nachfragen war immer ins Leere gelaufen, daher hatte Nami bald aufgehört. Obwohl die Normalität zurückkehrte, blieb das Gefühl. Umso mehr freute sie sich für Robin. Die Lockerheit kehrte zurück. Fertig umgezogen, setzte sich Nami auf die Bettkante und beobachtete ihre Freundin dabei, wie sie die Bluse aufknöpfte. Ein Moment, der ihr den Unfall wieder verdeutlichte. Noch waren eben nicht alle Blessuren komplett verschwunden. Die Schmerzen, die noch da sein mussten, konnte sie dagegen nur schwer erahnen. Robin zeigte ungern Schwäche. Unbewusst atmete sie schwerer als die Erinnerungen hochkamen. „Starren ziemt sich nicht. Dachte, du willst schlafe“, kommentierte Robin mit einem leisen Seufzen. „Seit wann hast du ein Problem damit?“, antwortete Nami durchaus ertappt. Sie wusste, was gemeint war. Vermutlich sah man ihr ihre Gedanken an. Robin war kein Freund davon, wenn man sich um sie sorgte. „Ich stehe halbnackt vor dir und du siehst mich an, als wäre ich ein getretener Hund.“ Dabei stützte sie sich mit den Armen an der Kommode ab und sah zu Boden. „Mir ist klar, dass du dir noch Sorgen machst, aber ich erhole mich. Mir geht’s gut, okay? Können wir also damit aufhören?“ Nami verstand, aber sie kam schwer aus ihrer Haut. „Ich werde mich immer sorgen, aber okay, du bist kein getretener Hund.“ „Danke“, stieß sich Robin ab. „Ich brauche eine Dusche. Schläfst du gleich ein oder habe ich ein paar Minuten?“ Leicht neigte Nami den Kopf. Dann veränderte sich ihr Blick und sie grinste. „Ich komme mit.“ Schlafen lief ihr nicht davon. 10. März 2013 Flach atmend, lehnte Nami an die Tür. Beruhigen. Sie musste sich irgendwie beruhigen und nicht dem Drang nachgeben. Tränen kündigten sich an. Nicht weinen, nicht nachgeben. Weder im Schlafzimmer noch im restlichen Haus. Es war nicht der passende Moment. Nach ihrem Abgang war sie rasch hierher geflüchtet. Einfach durchatmen und die Haltung bewahren. Wenigstens bis sie hier wegkam. Zuerst allerdings musste sie noch ihre Sachen zusammensuchen. Wenn sie dieses Mal ging, dann für immer. Ein nächstes Mal würde es nicht geben. Der Ausrutscher reichte. Während sie die Haare raufte, folgte ein weiterer, tiefer Atemzug. Warum war sie so dumm gewesen? Erst kam sie her, dann blieb sie noch. Wäre sie sofort verschwunden. Schon beim Aufwachen. Sache nehmen, verschwinden. Wozu ein weiteres Gespräch? Was hatte es ihr jetzt gebracht? Außer neuen Kummer? Eine neue Welle? Sie schritt auf die Kommode zu, auf der ihr Telefon lag. Schon beim Aufstehen hatte sie Vivi geschrieben. Einerseits sollte sie sich nicht sorgen, andererseits musste der Brunch ausfallen. Diesen hatte Vivi rasch abgehakt. Eher standen andere Fragen im Vordergrund. Fragen auf die Nami gerade keine Antwort hatte. Wir reden später. Weiß noch nicht wann ich zurück bin, schrieb sie zurück. Mehr fiel ihr nicht ein, Vivi verstand auch so. Wäre sie bei ihren Freunden oder bei irgendeinem One-Night-Stand würde sie mehr Informationen preisgeben. Blieb sie verschwiegen, erahnte Vivi ihren Aufenthalt. Das Telefon wurde zurückgelegt. Umziehen war ein Anfang. Raus aus dem Shirt, das genug Erinnerungen auslöste. Packen und gehen. Warum war sie bloß losgerannt? Und warum zum Teufel hatte Robin nachgegeben? Wütend knüllte sie das Shirt zusammen und warf es durch den Raum. Bevor sie durchdrehte, biss sie die Zähne zusammen. Es brachte nichts. Der Schaden war angerichtet. Also schluckte sie alles hinunter und fokussierte sich auf das Wesentliche. 31. Dezember 2012 Als die Terrassentüre geschlossen wurde, verebbte das Lachen. Eine kleine Rast vom Trubel, ein kurzer Moment der Zweisamkeit, bevor sie zusammen in das neue Jahr starteten. Dabei bot sich Nami endlich die Gelegenheit zu genießen, wovon sie bislang nur gehört hatte. „Wunderschön“, murmelte diese verträumt, sobald sie die Brüstung erreichte und das in Lichter getauchte Venedig betrachtete. „Können wir Kalifa öfter besuchen?“, grinste sie verschmitzt und wandte sich an Robin, die neben ihr stehen blieb und sie mit beiden Armen abstützte. „Sie hat ein glückliches Händchen bewiesen.“ „Manche würden für diese Lage einen Mord begehen!“, unterstrich Nami. „An ihr beißt man sich die Zähne aus“, entgegnete Robin scherzhaft. Sie spielte mit, wobei ihre Worte tiefer gingen. Kalifa bekam man nur schwer klein. Viel Glück für den Idioten, der es irgendwann versuchen würde. Dann schob sie die Gedanken zurück. Nicht heute, nicht hier. „Glaube ich dir. Ich freue mich schon auf das Feuerwerk.“ Mit der Aussicht brauchten sie lediglich zurücklehnen und genießen. Etwas worauf sich Robin freute, und die Vorfreude überraschte sie. Feiern tat sie selten. Früher, als sie allein war, hatte sie manchmal vergessen. Entweder las sie die Nacht durch oder war eingeschlafen. Allein bedeutete ihr diese Nacht nichts. Die ganzen Vorsätze hielt sie für albern. Ein neues Jahr brachte keine Veränderung und wollte man diese, mussten sie selbst in Angriff genommen werden. Ohne einen bestimmten Tag. Das war Robins Einstellung. Eines hatte sie mit Laki verbracht. Sie mochte das Tamtam, das Feiern, den Gedanken an ein neues Kapitel. Robin machte ihr damals eine Freude, aber empfand selbst nichts dabei. Erst später mit Franky, nachdem sie sich nähergekommen waren, hatte sie richtig angefangen die Nacht in Gesellschaft zu verbringen. Mit Menschen, die sie mochte, die ihr wirklich nahestanden. Franky bewies bei den Feiertagen seinen Einfluss. Die Tage waren wichtig für ihn, obwohl er ähnliche Erfahrungen gesammelt hatte. Vielleicht seine Art, um etwas Normalität ins Leben zu bringen, mit der Vergangenheit abzuschließen. Obwohl sie ihn gerne damit aufzog, hatte sie diese Zeit schätzen gelernt. Nicht wegen der Feierlichkeiten, vielmehr wegen den Menschen um sich herum. Verrückt, wenn sie darüber nachdachte, wie sinnlos es schien. Für sie blieb das alte Leben. Gab es Ansporn, weil man wieder ein Jahr älter wurde? Vielleicht, aber ein Neubeginn brauchte mehr. Eher eine Motivation. Etwas, wofür der Kampf sich lohnte. Etwas, das bisherige Einstellung über Bord warf oder eben … jemand. Die Veränderung wurde spürbar. Ihretwegen. Nami stellte die bisherige Welt auf den Kopf. Beziehungen waren Robin rasch ein Dorn im Auge geworden. Nach Pola hatte Robin abgeschlossen. Niemand, ob aus ihrem Metier oder von außerhalb, sollte wieder auf diese Weise in ihr Leben treten. Leider hatte sie die Rechnung ohne Nami gemacht und plötzlich war alles anders. Nicht nur in einer Beziehung sein machte sie glücklich. Sogar das Weihnachtsessen mit all den Vorbereitungen hatten ihr gefallen. Oder das Essen bei den Nefeltaris. Nun stand der Jahreswechsel bevor und zum ersten Mal verstand Robin. Erstmals spürte sie den Wunsch auf Veränderungen, das ihr das nächste Jahr einen neuen Weg bereithielt. Der Drang wurde stetig größer. Ausbrechen, ein normales Leben. Keine neuen Aufträge. Keine Gefahren. Keine erschütternden Geheimnisse. Dafür ein ruhiges Leben mit ihr. All das hatte eine flüchtige Begegnung in Gang gesetzt. Sodass Robin manchmal das Gefühl hatte, als wäre sie in einem Traum. Bloß, dass sie sich nie zu lange darin verlor. Rechtzeitig klopfte der Schatten, nur um sie auf die Zerbrechlichkeit aufmerksam zu machen. Ewig würde ihr Doppelleben nicht unentdeckt bleiben. Irgendwann war das Ziehen der Reißleine unausweichlich und es würde schwierig werden, aber fand sie endlich den entscheidenden Grund. „Worüber zermarterst du dir den Kopf?“, wurde Robin zurückgeholt. „Deine Falten!“, lachte Nami und stupste ihre Stirn. „Was in dir vorgeht, ist mir oft schleierhaft, aber dein Abdriften ist unübersehbar.“ Manchmal, wenn sie so etwas hörte, schürte es ihre Angst. Ein paar Monate und Nami kannte sie besser als manch ein anderer. Mit ihren Freunden hatte sie deutlich länger gebraucht, was aber der Situation geschuldet war. Sie kamen aus der anderen, düsteren Welt. Solchen Menschen Vertrauen schenken, war weitaus schwieriger. Manche starben kurz nach dem Kennenlernen. Manche entpuppten sich als das, was man erwartete. Nie hatte Robin daran gedacht, dass sie diese Leute als Familie betrachten würde. Mit Außenstehenden ging sie ähnlich um. Seit Jahren jedoch stieß sie alle vor den Kopf, weil die Sicherheit wichtiger war. Eigentlich dachte Robin immer, sie hätte sich unter Kontrolle. Stattdessen musste sie erst jemanden kennenlernen, der ihr all das Verlorene aufzeigte. Jemanden, der sie nicht losließ. Im Grunde waren sie alle unwichtig gewesen, schließlich hatte Nami einfach so ihr Leben auf den Kopf gestellt. Jede Einstellung mit Leichtigkeit über Bord geworfen. Das Kämpfen war irgendwann sinnlos geworden. Statt Abstand halten, hatte Robin selbst Nähe gesucht. Oft genug war selbst die Angst zur Nebensächlichkeit geworden. Robin liebte diese Frau, mehr als je erahnt, mehr als alles andere. Aus einem leisen Flüstern wurde eine klare Botschaft. Für sie war Nami kein Zwischenstopp. „Du bist bei mir. Ich bin glücklich“, sagte sie nur und zog sie zu sich. Nami war die eine. 10. März 2013 Gedankenverloren streifte Robin durchs Erdgeschoss. Das Arbeitszimmer, das stetes als Ruheort diente, hatte sie plötzlich zerdrückt. Sie hatte es dort einfach nicht mehr ausgehalten. Ein unbekanntes Gefühl. Normalerweise fand sie dort stets zurück, Probleme wurden kleiner, sie fand Lösungen. Ihr kleines Paradies, was manche manchmal nicht verstanden. Nun war sie daraus regelrecht geflüchtet. Aus gutem Grund. Die in dem Zimmer verschlossenen Geheimnisse hatten das Ende besiegelt. Nami hatte dort den letzten Beweis gefunden. Wäre sie doch nie fündig geworden oder hätte Robin früher alles vernichtet oder an einem anderen Ort aufbewahrt … sie schluckte. Aufhören. Das musste aufhören. Sie konnte noch so viele Szenarien durchspielen, das Ergebnis blieb. Früher oder später wären sie anderweitig an den Punkt gelangt. Lieber auf die Zukunft konzentrieren, auf die kommenden Schritte. Dem Zurück schob sie den Riegel vor. Mittlerweile betraf die Entscheidung auch ihre Freunde. Vorankommen und abschließen. Sie hielten zusammen, was immer nun geschah. Eigentlich beschützte sie Nami sogar. Im schlimmsten Fall kam Robin nicht lebend aus ihrem selbst gewählten Schlamassel heraus. Selbst, wenn sie nicht danach trachtete, existierte Vergo noch. Tief drinnen kämpfte sie damit. Die Verlockung war da. Ihn zu töten. Nami einweihen. Wenn sie wollte, könnte sie ihre gesamte Welt zum Einsturz bringen. Das bereits angekratzte Vaterbild zerstören war ein Kinderspiel. Kinderspiel und doch unmöglich. Robin brachte das Entscheidende nicht über ihre Lippen. Jede Offenbarung brachte neues, unnötiges Leid. Es reichte, kein neues Feuer entfachen. Lieber nach vorne sehen, lernen damit umzugehen. Wie sie es Law einredete. Wenn er aufgeben konnte, konnte sie dasselbe tun. Für Nami. Für sich. Ihr Herz sackte ab, als sie Schritte hörte. 6. Februar 2013 Das Strahlen in Robins Augen sagte mehr als tausend Worte. Der erste gemeinsame Geburtstag und für Nami stand fest, dass sie an jedem weiteren teilhaben wollte. Nie zuvor hatte sie das Gefühl empfunden, jemanden die ganze Welt zu Füßen zu legen. Das kannte sie nicht und darin nahm sie ihr Alter gar nicht als Ausrede. Nami hatte ihre Erfahrungen gesammelt, aber keine löste das aus, was sie bei Robin empfand. Niemand konnte ihr das Wasser reichen. Es stellte alles Bisherige in den Schatten. Als wäre sie zum ersten Mal verliebt. Ein lächerlicher Gedanke, der sie manchmal den Kopf schütteln ließ. Nun wurde ihr warm ums Herz. Lange hatte sie sich über das Geschenk den Kopf zerbrochen. Dabei hatte sie nicht nur an Robins Geburtstag gedacht. Die letzten Monate waren schwer gewesen. Kaum war ein Tief überstanden, folgte ein neues. Clover. Der Unfall. Kaku. Jeder Einschnitt hatte eine kleine Veränderung ausgelöst. Einzig von Clovers Tod hatte sie auch positive Erfahrungen mitgenommen, so merkwürdig es auch klang. Der Unfall und kurz darauf Kakus Tod weniger. Letzteres nagte auf eine andere Weise an Robin. Der Schmerz saß tief. Seither hatte sie sich vergraben, oft genug abgeschottet. Anfangs, wenn sie beisammen waren, hatte Robin vermehrt ein Lächeln aufgesetzt. Es verschwand, sobald sie meinte, man würde sie nicht beobachten. Robin tat genug, um sie nicht zu beunruhigen oder ihr nicht die Laune zu verderben. Das schätzte sie sehr, auch wenn sie nicht darum bat. Ein Verlust war nie leicht. Schon gar nicht von einem engen Vertrauten. Kaku war Familie. Immer war ihr das nicht gelungen. Manchmal war sie tatsächlich zusammengebrochen. Die Starke mimen war unsinnig. Es funktionierte auf Dauer nicht. Umso mehr hatte sie Robin bewusst getrieben. Sie sollte die Emotionen herauslassen. Deshalb wollte sie sie heute glücklich sehen. Eventuell übertrieb Nami, aber war ihr das egal. Die Reaktion reichte und vielleicht hätte am Ende der Wälzer ausgereicht. Robin brauchte nicht viel. Bücher machten sie glücklich. Hierbei holte sie sogar Hilfe. Robins genaue Vorlieben waren eben spezieller als ein einfacher Bestseller. „Du bist verrückt“, brachte ihre Freundin irgendwann hervor und Nami musste über beide Ohren grinsen. „Nach dir? Vielleicht.“ Robin lachte. „Vielleicht? Was treibst du auf, wenn du es bist?“ Augenrollend beugte sich Nami vor, stellte das Weinglas am Tisch ab. „Und? Wirfst du dich ins Vergnügen?“ Wobei Vergnügen im Auge des Betrachters lag. Nami las selbst schon mal gerne, aber Robin war eben Robin. Der wechselnde Blick zwischen ihr und dem Buch gab Anschein, als wog sie den Gedanken tatsächlich ab. Die Zeit zog sich, absichtlich. „Hey! Ärgern ist unfair. Sonst wird umgetauscht.“ Robins Blick wurde herausfordernd. „Vergiss nicht. Geschenkt ist geschenkt. Wiederholen ist gestohlen.“ „Kinderspiel“, feixte sie zurück. „Aber bitte. Tu dir keinen Zwang an. In der Zwischenzeit räume ich auf und gehe zu Bett.“ Schon auf den Beinen ergriff Robin ihr Handgelenk. „Einwände?“ „Ich liebe dich.“ „Ah, du willst eine Kanne Kaffee, richtig?“ Bevor Nami den Moment länger auskosten konnte, zog Robin sie runter, wodurch sie auf ihrem Schoß landete. Das Buch lag neben ihnen. „Morgen ist auch ein Tag … oder später“, raunte Robin, während sie Nami näher schob. Diese lachte und stützte sich mit den Armen auf der Couchlehne ab. Leicht senkte sie den Kopf. „War auch mein Plan“, gab sie kalkulierend zurück. „Über später reden wir noch.“ Mit einem Kuss unterband sie auch Robins letzten Einwand. Das Umfeld zeigte sich in den letzten Monaten von seiner scheußlichsten Seite, aber das, was zwischen ihnen war, war für sie schlichtweg perfekt. Wieder wurde ihr bewusst, was sie mit Robin hatte und um nichts in der Welt würde sie diese Frau gehen lassen. Für sie stand außer Frage, mit ihr würde sie durchs Leben schreiten. 10. März 2013 Stille. War das der Tiefpunkt? Nami hielt auf eine der Stufen inne, griff nach Halt suchend das Geländer. Vermutlich hatte Robin ihre Schritte gehört, denn sie kam sofort aus dem Wohnzimmer, wobei sie unschlüssig stehen blieb und die Hände in die Hosentasche schob. Mit einer Kopfbewegung deutete Nami auf die Tasche. „Sollte alles sein.“ Robin sah ihr stumm entgegen. Nickte. „Lysop wartet. Er holt mich ab.“ Die Stille war furchtbar. Früher liebte sie diese. Wenn sie im gleichen Raum waren, aber jede ihrem eigenen Tun nachging. Manchmal saß oder lag Nami einfach da und genoss, dabei fühlte sie sich vollkommen entspannt. Dann lauschte sie Robins Atmung oder dem Umblättern. Alles passte zusammen. Jetzt drehte sich das Gefühl. Je länger Stille herrschte, umso einengender wurde sie. Gehen. Sie wussten, dass es an der Zeit war. Das war also das Ende. Die Stille war kaum auszuhalten, das Reden überflüssig. Jedes weitere Wort führte in die nächste Sackgasse. Warum also kostete der Schritt Überwindung? Wenn die Nacht eines verbockt hatte, dann das Vorwärtsgehen. Als ob all die Fortschritte der vergangenen Tage mit einem Schlag fortgespült worden waren. Sie musste neu beginnen. Wieder lernen einen Schritt nach dem anderen zu nehmen. „Lass ihn nicht warten“, erahnte Robin ihre Gedanken und löste sich aus der Starre, ging Richtung Tür. Ein hilfreicher Anstoß. Ein Deja-Vu. Erinnerungen kamen auf. Am Ende dachte man an früher. An die Anfänge, die schönen Momente. Oder in ihrem Fall eine Geißlung. Während sie sich Schuhe und Jacke anzog, öffnete Robin die Türe. Nach einem Blick nach draußen, hob sie winkend die Hand. Er stand schon parat. Nami fehlte die Worte und so wollte sie schon rausgehen, als sich Robin in den Weg stellte. „Warte.“ Sie sah auf, es kostete Überwindung. Was kam? Ein letztes Aufbäumen? Dem letzten Hoffnungsschimmer folgen? Nein. Das hörte ab heute auf. Alles war gesagt. Sie sahen sich an, sichtlich haderte Robin und dann kam doch Namis Ungeduld zum Vorschein. „Was ist?“ Gehen. Bleiben. Beides fühlte sich falsch an. Langsam verlor sie Zeit. Lange hielt sie ihre Emotionen nicht mehr in Schach. Die Endgültigkeit drohte sie einzuholen und bevor das geschah, wollte Nami aus dem Haus sein. „Wenn du jemals in der Klemme steckst, werde ich da sein und helfen.“ Robin räusperte sich, nur kurz sah sie zur Seite. „Hört sich merkwürdig an, aber … danke.“ Nami zog fragend die Brauen zusammen. „Wofür?“ „Du weißt es.“ Erst blieb sie fragend, dann klärte sich ihre Miene. Ja, das tat sie. „Pass auf dich auf.“ Nami schüttelte den Kopf. Aufpassen. Anders als erwartet, überbrückte sie den Abstand zwischen ihnen, stellte sich auf die Zehenspitzen. „Hör auf dich in Gefahr zu bringen“, flüsterte sie ihr zu, streifte mit ihren Lippen flüchtig Robins Wange. „Ich werde dich immer lieben.“ Es war nur eine kurze Umarmung, ehe sich Nami einfach vorbeischob. Jeder Schritt wog schwer, aber sie ging. Direkt auf Lysop zu, der Robin kurz winkte und anschließend betreten aufs Vaporetto stieg. Nami blieb standhaft. Sie ging geradeaus und schaute nicht zurück. Epilog: Nostre sangue. ---------------------- Unser Blut. 4. August 2018 Angestrengt kniete Robin neben der ersten Leiche. Blut tropfte zu Boden. Die Platzwunde an der rechten Schläfe pochte wild, aber war ihre Aufmerksamkeit dem Mann gewidmet. Alles ging schnell. Die Waffe nahm Robin an sich, durchsuchte den Körper nach Ersatzmunition. Verdammt, das war eine schiere Katastrophe. „Du hast sie … Robin … sind sie etwa tot? Was läuft hier?! Wer sind die?“, hörte sie Vivis panisches Gestammel. Erneut ertönten Schüsse, erneut hörten sie Stimmen. Eilig blickte sich die junge Frau um. Die Situation setzte ihr zu, wie es einen normalen Menschen sollte. Nicht Robin. „Tot, ja“, bestätigte sie und raffte sich mit einem Schnaufen auf. „Sie oder wir.“ „Scheiße“, entfloh Vivi und sie legte entsetzt die Hand über den Mund. Sie zitterte. Hilfesuchend wandte sie sich an Nami, die schweigend auf den anderen Leichnam starrte. Robin sah Blut. Ein Cut über dem Auge. Vermutlich vom Schlag, den sie abbekam. Drei Männer waren ihnen gefolgt. „Ich habe sie gewarnt“, flüsterte Robin an sich selbst gerichtet. Dann zog sie den Blazer aus und warf ihn achtlos auf den Boden. Die Bluse lag eng, klebte vom Schweiß. Mühsam krempelte sie die Ärmel hoch. Unbewaffnet war nie eine Leichtigkeit, aber ihr hatte der Kampf zugesetzt. Wiederholt vernahm sie Schüsse. Gedämpfter, die Intensität nahm ab. Kamen alle durch? Sie seufzte. Obwohl ich Körper reagiert hatte, war das Gefühl anders. Wie eine entfernte Erinnerung. Zwei Jahre … zwei Jahre ohne. Als wäre sie eingerostet. „Nami, sag was! Findest du das normal?“ Robin warf ihnen einen Seitenblick zu. Für Vivi war das Neuland. Ihre Reaktion verdeutlichte ihre Vermutung. Bis heute wusste die junge Frau nicht, wer in ihrem Umfeld lebte. Oder was damals vorgefallen war. Sie tat Robin leid. „Vivi. Wir müssen zu den anderen. Wir haben keine Zeit für Erklärungen“, begann Nami überraschend ruhig. „Tut mir leid, dass du alles so erfährst.“ „Wovon-“ „Jeder hat Geheimnisse und heute zahlen wir wohl einen hohen Preis“, führte Robin fort, so skeptisch sie über Namis Reaktion war. Vielleicht stand sie unter Schock. Zum Glück hatten sie ein, zwei Sicherheitsmaßnahmen gehabt, ansonsten … Robin wollte lieber nicht näher daran denken, was geschehen wäre, wären sie total überrumpelt worden. Vorhin hatte sie nur an die beiden gedacht. Sie schleunigst aus der Schusslinie ziehen, war der erste Gedanke gewesen. Der Rest wusste sich zu verteidigen. Wer immer hinter dem Angriff steckte, war stur einer fehlerhaften Planung gefolgt. Ob sie mit einem blauen Auge davonkamen, konnte Robin nicht sagen. Sie hoffte. „Die Hochzeit war von Anfang an eine naive Idee. Zu viele Parteien auf einem Haufen. Charlottes, Vinsmokes, Franky, ich … “ „Ace“, beendete Nami. „Bonney wollte ihn unbedingt und er hat in den letzten Jahren für viel Furore gesorgt.“ „Wovon redet ihr!“, forderte Vivi ein. „Ich habe keinen Schimmer wovon ihr redet!“ „Sei froh“, lächelte Robin mitfühlend. „Ist kompliziert.“ „Kompliziert … bisschen untertrieben, oder?“ Suchend setzte sich Nami in Bewegung, wurde dabei von beiden schweigend beobachtet. Vivi war überfordert, Robin wusste nicht so recht, wonach sie Ausschau hielt. Wurde dann aber sichtlich überrumpelt. „Was denkst du dir?“, sprach sie offen aus. Nami hob die Schusswaffe auf, inspizierte die noch vorhandene Munition. „Leg sie zurück. Sofort!“, legte sie schärfer nach. Nami blieb unbeeindruckt, steckte das Magazin zurück. „Was ist? Hast du gedacht, ich kehre in meinen Alltagstrott zurück? Ich vergesse alles oder ignoriere?“, antwortete sie herausfordern. „Sagen wir, ihr habt mir die Augen geöffnet. Ich habe mir in den Jahren Kampftechniken angeeignet und den Waffenschein abgelegt.“ Entgeistert sah sie rüber, Robin verschlug das Gehörte die Sprache. Nein, das war falsch. Ein schlechter, unpassender Scherz, aber nicht die Wahrheit. Robin hatte sich vor der Hochzeit gefürchtet. Vor ihrem Wiedersehen. Je näher der Tag kam, desto öfter hatte sie sich gefragt, wie sie ihn überstand. Nach fünf Jahren Trennung haderte sie mit dem Gedanken, wie es wäre, wenn sie Nami in ihrem Brautjungfernkleid sehen musste, das ihren Körper perfekt betonte. Ob sie miteinander sprachen oder sich ignorieren. Nie, keine Sekunde lang, war ihr der Gedanke gekommen, sie würde vor ihr stehen und selbstbewusst eine Waffe halten. Irgendetwas lief gewaltig schief und sie trug die Schuld. „Nami …“ Mehr brachte sie nicht hervor. Erst jetzt fiel ihr ihre geballte Faust auf, die Nägel, die sich in die Haut bohrten. Sie ließ locker. „Okay, damit ich verstehe. Wir werden auf einer Hochzeit von Fremden attackiert. Du hast den Waffenschein, von dem ich nichts weiß und du … du bist etwas wie … was? Ein Undercover-Agent? Ich meine, bei denen wusstes du haargenau, was du tun musstest. Allein deine Reaktion. Du hast uns gerettet.“ Als Kompliment nahm sie Vivis Worte nicht auf. Stattdessen zuckte ihr Körper. Ihr Puls beschleunigte. Falscher Zeitpunkt. Überhaupt wollte sie darauf nicht angesprochen werden. Was wollte Vivi hören? „So was in der Art“, kam Nami zuvor und verdeutlichte Vivi, dass sie gerade mit der spärlichen Erklärung leben musste. Waren nicht alle Gespräche deplatziert? Ihre Freunde waren da draußen. „Ihr bleibt hier“, sprach sie nur. Als Antwort hörte sie Namis tiefes Seufzen. „Wir bleiben besser zusammen.“ „Versteckt euch, ich hole euch später.“ „Und du?!“ Nami wurde angriffslustig. „Vielleicht brauchen sie Hilfe-“ „Sie sind auch unsere Freunde, Robin! Und du sollst dich nicht blindlings in Gefahr bringen!“ Nami kam auf sie zu. Ihr erster Impuls war ein Griff ins Leere. Rechtzeitig zog Nami die Hand zurück, in der sie die Waffe hielt, sie war darauf vorbereitet. „Vertrau mir. Ich werde uns nur verteidigen. Im Notfall“, entgegnete sie entschieden. Fassungslos schüttelte Robin den Kopf. Was fuhr in sie? Hier stand ihr Leben auf dem Spiel. Sie war diese Situation in keiner Weise gewohnt. Nicht darauf trainiert. „Du bist nicht auf einem Übungsstand“, sagte sie gepresst. Es stresste Robin. Allein wäre sie flinker, konzentrierter. Waren beide in Sicherheit könnte sie gewohnt reagieren. „Ist mir klar.“ Nami kam näher. Erst scheu hob sie ihre Hand, als wog sie den nächsten Schritt ab, ehe sie ihre Hand auf Robins Wange legte, mit dem Daumen sanfte Kreise zog. Fünf Jahre und Robin wehrte sich dagegen, einfach die Augen zu schließen. Diese kleine, aber für sie bedeutende Geste auszukosten. Warum hatte es dieselbe beruhigende Wirkung wie früher? Sie hielt stand, sah nur in diese brauen, warmen Augen. „Unser Wiedersehen habe ich mir anders vorgestellt. Eine peinliche, versteifte Konversation bis wir das Eis brechen und normal reden. Leider werden wir eines Besseren belehrt. Ich verstehe deine Bedenken, glaub mir, aber ich sage es nochmals. Ich mache mir immer Sorgen um dich, ich will dich nicht in Gefahr sehen.“ Robin schluckte. Nach all der Zeit erkannte sie in den Augen der anderen, dass sie nicht allein dastand. Die Gefühle waren noch genauso vorhanden. Sie sah und fühlte es. Was lief mit ihnen verkehrt? Der Moment kam schnell, genauso schnell war er dahin. „Ich unterbreche recht ungern euer was auch immer, aber da sind noch ein paar Bösewichte und unsere Freunde sind in Gefahr und … entschuldigt.“ Vivi trat zwischen die beiden, drückte sie auseinander. „Und ich bin heillos überfordert. Ich habe Angst, große Angst. Die haben echte Waffen … könntet ihr euer Ding auf später verschieben? Wenn uns ein Weiterleben überhaupt vergönnt ist. Bitte?“ Nami reagiert zuerst, zog Vivi sanft an sich. „Wir schaffen das, hab Vertrauen.“ Vivi sank gegen sie, atmete tief ein und aus. Überzeugt sah anders aus. „Was macht dich so sicher?“ Ein leises Lachen, dann ein Blick auf Robin. „Für diese Hochzeitsgesellschaft müssen härtere Geschützte her, glaub mir.“ Für Robin reichte das Wissen, wer anwesend war. Für Vivi, die im Dunklen tappte, musste sich das alles befremdlich und unwirklich anhören. Eines wollte Robin wissen. „Was ist passiert, dass du so entspannt bist?“ Hier war die Hölle los. Vor ihren Augen hatte Robin drei Menschen getötet. Der Kerl, der die Hand gegen Nami erhoben hatte, war der erste gewesen. Noch kämpften sich ihre Freunde durch. Noch war unbekannt, ob sie überlebten oder verletzt waren. Und mittendrin stand Nami selbstbewusst da, strahlte eine unwirkliche Ruhe aus. Das war nicht die Frau, die sich gegen Robins Doppelleben entschied und sich trennte. Namis Mundwinkel zuckten und die Art und Weise, wie sie Robin ansah, bescherte ein bittersüßes Kribbeln. „Vielleicht hat mich die alte Geschichte lebensmüde gemacht?“ Sie lachte, aber Robin war nicht nach Lachen zumute, dasselbe galt für Vivi, die entsetzt aufsah. „Schau nicht so“, nuschelte Nami und strich Vivi aufmunternd über den Arm. Wieder wandte sie sich zu Robin, wieder zögerte sie. „Die Angst ist da und sie hat vorhin mich überrollt. Gerade wird sie von einem anderen Gefühl überschattet, eines, das ich vergessen habe. Damals, während der Jahre. Das Gefühl, das mir deine Nähe vom ersten Moment an beschert hat: Sicherheit. Dich neben mir zu wissen, lässt mich gerade nicht verrückt werden. Ich weiß, dass ich mich mit dir nicht fürchten muss. Albern, wenn ich an unsere Trennung denke. Da komme ich mir selbst verrückt vor. Ist so.“ Vivi verstand kein Wort, umso neugieriger sah sie zwischen ihnen hin und her. Später, wenn das hinter ihnen lag, würde es ein Gespräch geben. Momentan gab Vivi auf, nähere Einblicke bekam sie nicht. „Ihr macht, was ich euch sagen … keine Kurzschlüsse. Verstanden?“ Beide nickten. Robin überspielte das Gesagte, obwohl ihr Herz laut klopfte. Sie war überfordert. Dann löste sich Vivi, trat erst zur Seite, ehe sie unentschlossen auf und ab ging. Mehrmals atmete sie durch, fuhr sich streng durch die Haare. Als ob sie sich für das Kommende vorbereitete. Etwas das Robin lieber vermied. „Du bist stur“, nuschelte sie Richtung Nami. Und zum ersten Mal spürte Robin wieder das eine Monster. Gedanken hin oder her, Robin hatte zu hoffen aufgehört. Sich ablenkt, sich manchmal selbstgegeißelt, aber nie war Hoffnung aufgekommen. Warum jetzt? Warum sagte sie das? „Wer bist du?“ „Die Frau, die dich liebt. Ich habe dich nicht angelogen. Ich werde dich immer lieben.“ „Okay, verstanden.“ Robin sah auf ihre Waffe hinunter. Irgendwie wollte sie sich gerade ins nächstbeste Chaos stürzen, eben um ihre Gefühle totzustellen. Das war nicht gut. „Abstand hilft. Aus den Augen aus dem Sinn. Wir konzentrieren uns auf andere Sachen, aber wird man konfrontiert … wir haben uns nie der Liebe wegen getrennt, Robin. Wir sehen uns Jahre später und wissen Bescheid – sie wird bleiben.“ Dann änderte sie den Tonfall, wurde ernst. „Also, was machen wir jetzt?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)