Out of the Blue. von Ikeuchi_Aya (Out of the box.) ================================================================================ Prolog: -------- Wenn es für Dummheit einen Preis gäb...   ...hätte ich ihn mal wieder gewonnen. Ich stieß gegen die Kommode auf dem Flur und das natürlich auch noch mit dem kleinen Zeh. „Autsch!“, entfuhr es mir und ich hielt inne, scharf die Luft scharf einziehend. Schön, wenn der Schmerz nachließ. Ja, lieber Körper, mir war bewusst, dass es spät war und ich eigentlich schon längst schlafen sollte, aber dennoch... musste das sein? Okay, eigentlich war ich selbst dran schuld, wenn ich just aus Faulheit nicht gedachte für fünf Sekunden das Licht einzuschalten. Stattdessen tappte ich lieber im Dunkeln herum, denn es war ja nicht weit zu meinem Bett. Scheibenkleister. Egal, wie gut ich meine Wohnung kannte, der Zehstoß war ein Ereignis, das nicht ausgelassen werden durfte und mindestens einmal im Jahr erfolgen musste. Aus dem immer selben Grund. Und warum die Faulheit? Weil ich mich festgelesen hatte. Verdammte Fanfiktion. Verdammte Fanfiktion, die du zu gut gewesen bist, so dass ich nichts bereute. Naja... bis auf die Sache mit dem kleinen Zeh eben. Ich hatte vollkommen die Zeit aus den Augen verloren, während ich so in die Welt der Wörter eingetaucht bin und aus meinen sonst zweiundzwanzig Uhr blitzfix zwei Uhr nachts wurde. Mehr als nur Schlafenszeit. Ich stöhnte genervt und von dem puckernden Schmerz geplagt machte ich mich auf, die letzten zwei Meter zu überwinden, um in die weichen Federn meines Bettes zu fallen. Manchmal war ich doch froh, wenn ich es für mich hatte... man konnte die Beine ausstrecken und niemanden würde dies stören. Vollkommene Einnahme der Besatzungszone. Nur mit der Fußinnenseite auftretend, humpelte ich voran, wollte die Hand an die Türklinke legen, griff allerdings ins Leere. Sei es drum. Ich hatte die Augen schon so gut wie geschlossen, als mich abermals eine Störung davon abhielt, endlich den Schlaf der Gerechten zu erlangen. Irgendetwas stand mir im Weg und ich lief schnurstracks hinein. Das war keine Tür gewesen, dafür hätte meine Stirn schmerzen müssen, wie ich es schon mehrfach unfreiwillig zu testen gewusst hatte. Ich war irritiert. „Hallo?“ Nein, Korrektur, ich war sehr irritiert. Schlief ich doch schon? Die Stimme ließ mich auffahren und meine Augen aufreißen. Nicht, dass meine Augen noch größer hätten werden können, aber so fühlte es sich für mich an, als ich nun erst einmal überfordert von links nach rechts sah. Gut. Das war nicht mein Schlafzimmer. Es war auch nicht meine Wohnung. Erklärte die zugige Luft, die um meine Beine schlich, welche nur mit meiner Schlafanzughose bedeckt waren. Nicht aber, wo ich mich nun befand und wie ich hierher gekommen bin. Der Raum war zur Decke hin abgerundet. Viele bullaugenartige Einkerbungen befanden sich an den Wänden. In dem bräunlich, grünlichen Licht konnte ich deren korrekte Farbe nicht ausmachen, da sie einen ähnlichen Ton angenommen hatten. Seltsame Stützen, deren Funktionstauglichkeit ich skeptisch betrachtete, gingen vom Boden aus. Sie hatten die Form von... Baumstämmen mit starken Ästen. Baubotanik war nichts außergewöhnliches mehr, aber ich bezweifelte, dass dies der Natur oder Kunst gewidmet war. Eigentlich bezweifelte ich sogar, dass dies Bäume waren. Dabei müsste ich es weitaus besser wissen. „Nicht mein Schlafzimmer“, murmelte ich benommen und hatte im Grunde schon den rechten Gedanken gefasst. Mein Kopf war jedoch immer noch zu unfähig, die finale Schlussfolgerung zu ziehen. Wollte sie nicht ziehen. Das war nämlich einfach zu absurd. „Hallo? Wie kommen Sie bitte in meine TARDIS?“, erklang erneut die Stimme von eben, nun mehr weniger überrascht, dafür aber doch verärgert und irgendwo auch... neugierig? „Wüsste ich auch gern“, murmelte ich wieder geistesabwesend und rieb mir die Augen. Just in diesem Moment schienen die Worte erst mein Sprachverarbeitungszentrum zu erreichen und ich hielt mitten in der Bewegung inne: „TARDIS?“, schoss es da geschockt aus mir heraus und ich starrte dem Fremden entgegen, der mit einem Mal gar nicht mehr so fremd war: diese rehbraunen Augen, die mich misstrauisch ansahen... die kurzen, kreuz und quer liegenden braunen Haare und die fast bis zu den Ohrläppchen gehenden Koteletten... Ein recht schmal gebauter Mann im braunen Nadelstreifenanzug mit gleichfarbiger Krawatte und einem hellblauen Hemd. Stilbruch: Chucks. Ich musste letztere nicht einmal mehr sehen, um zu wissen, dass er sie trug. Der Doktor. „Ich... bin in der TARDIS?“, brachte ich im zweiten Anlauf etwas ruhiger hervor, „Wie... komme ich in die TARDIS?“ Das ging ja gar nicht! „Das frage ich Sie.“ Uns gegenseitig für einen Moment der Stille ansehend, musste ich wohl oder übel akzeptieren, dass er wirklich vor mir stand. Sollte mir meine Müdigkeit einen miesen Streich spielen, okay, aber es war dennoch ein verdammt guter mieser Streich. „Ich habe keine Ahnung!“ „Sie klingen dafür etwas zu begeistert.“ Natürlich! hatte ich antworten wollen, verkniff es mir allerdings. Dennoch würde man anhand meiner hochgezogenen Mundwinkel erkennen, dass mir dieses zufällige Aufeinandertreffen mehr als nur gut gefiel. Von der Unmöglichkeit der Dinge einmal abgesehen.   Doktor, TARDIS, ich.   Keine Kombination, die ich nicht kannte – aber das hier war eben fernab Cosplay, fernab eines so tun als ob. „Keineswegs“, antwortete ich, konnte aber bereits mit dem Grinsen nicht mehr aufhören, „Vermutlich nur eine traumähnliche Eingebung, die mir gefällt.“ Ich konnte ja zumindest zugeben, dass ich dem Ganzen selbst nicht hundertprozentig traute. Wer würde dies schon, wenn man mit einem Mal David Tennant vor sich zu stehen hatte? Richtig. Niemand. Zumindest nicht in den eigenen vier Wänden, die sich auf in ein Raumschiff verwandelt zu haben schienen. „H-Hey!“ Ein helles Licht blendete mich und ich kniff hastig die Augen zusammen. Der bekannte Sound des Schallschraubenziehers erklang und das krasse Blau erreichte mich natürlich selbst hinter den geschlossenen Lidern. Ohne dass ich es wollte, entsprang mir ein tadelndes „Hören Sie auf, mich mit ihrem Sonicscrewdriver zu... sonicscrewdriven!“ Das surrende Geräusch verstummte. Für die nächsten Minuten würde nun ein heller Fleck als Störenfried mein Sichtfeld beeinträchtigen. Vielen Dank! Der Doktor hielt den Schallschraubenzieher immer noch in seiner Hand, blickte aber von mir zu diesem und wieder zurück zu mir. „Sie wissen, was das ist?“ „Der Schallschraubenzieher?“ „Woher?“ Ich konnte wohl schlecht TV-Serie sagen? „Schon mal gesehen?“ Das war nicht gelogen. Anhand der Mimik des Timelords vor mir erkannte ich aber ebenso, dass auch ihm jene Antwort nicht unnatürlich vorkam. Wenn ich es nicht besser wüsste, kramte er gerade in seinem jahrhundertealten Gedächtnis, wo er mich schon einmal getroffen haben könnte. „Zumindest scheinen Sie ein Mensch zu sein“, war dann seine nächste Bemerkung, als er sich mit meiner Antwort zunächst abfand, „Jedenfalls ist mir noch keine Spezies untergekommen, die sich in Schlafröcken und Morgenmänteln bewegt. Wie gesagt... außer euch Menschen.“ Er hatte seinen Blick abgewandt, um den Schallschraubenzieher wieder zurück in das Innenfutter seines Jacketts zu stecken. Eine nette Art mir mitzuteilen, dass ich unpassend gekleidet war. Und erkannte ich da fast schon so etwas wie ein amüsantes Aufzucken seiner Mundwinkel? Ich verschränkte die Arme vor der Brust und sah an mir herunter. Ja, gut. Mein Winterschlafanzug mit den Schneeflocken war nicht gerade das modischste Chic für die Bekanntschaft mit einem Fremden, aber hey – es hätte schlimmer sein können! Die Schäfchen zum Beispiel. Oder Ernie und Quietscheentchen. Das wäre mir dann doch etwas peinlich gewesen. Hiermit konnte ich leben. Halbwegs. „Natürlich bin ich ein Mensch“, entgegnete ich. Mein Personalausweis hätte dies besser bewiesen, auch wenn dort keine Rasse verzeichnet war, doch den hatte ich aktuell kaum zur Hand. „Wo kommen Sie her?“, fragte mich mein Gegenüber daraufhin und lehnte sich an das Steuerpult der TARDIS hinter ihm, ebenso mit verschränkten Armen dastehend. „Wie ich sagte: von der Erde. Deutschland. Berlin.“ Der Doktor wiegte den Kopf fast schon etwas beeindruckt zur Seite und nickte dann, „Königliche Hauptstadt und auch später immer wieder Zentrum politischer Bewegungen.“ „Und kultureller Entwicklungen.“ „Ein guter Ausdruck für den Boom verschiedener Spezi und unnötigen Kladderadatschs.“ Ich sah ihn verständnislos an und es schien, dass er selbst bemerkte, dass er für seine Verhältnisse zu viel über die Zukunft geredet hatte, so dass er vom Thema abwich: „Sie scheinen mir zumindest keine unnatürlich hohe Intelligenz aufzuweisen oder sonstige anatomischen Besonderheiten bereitzuhalten.“ „Hey!“ Das war nahezu frech. „Einundzwanzigstes Jahrhundert?“ „Ja, 2017.“ „Dachte ich mir.“ Wieder dieser Unterton. „Wollen Sie mir irgendetwas damit sagen?“ „Ein paar Jahrhunderte später sieht eure Welt schlicht ein bisschen anders aus.“ War ich für ihn jetzt also so etwas wie ein Urmensch? Er hatte die Erde doch nicht das erste Mal besucht! Wenn er der zehnte Doktor war, dann hatte er auch schon Rose getroffen. Und diese lebte ja nun eindeutig in den 2000ern. „Das könnte es allerdings erklären.“ „Was erklären?“ Der Doktor sah mir wieder direkt in die Augen und wiegte erneut den Kopf zur Seite, um daraufhin den Mund verdrießlich zu verziehen, „Narh... Sie stellen viel zu viele Fragen!“ Ich hatte den Doktor etwas charismatischer in Erinnerung. Beide Augenbrauen nach oben ziehend, wusste ich nicht, was ich davon halten sollte, wie er hier auftrat. Jemand, dem es nichts ausmachte zu sagen und zu zeigen, was er von anderen hielt. Es war keine Überlegenheit, keine Verachtung, die dabei aus ihm heraussprach. Vielmehr wusste er nicht, wo Schluss war und an welchen Stellen er mit seinen Äußerungen über die Stränge schlug. „Wie heißen Sie überhaupt?“ „Alexandra“, antwortete ich nachdenklich. „Schön Sie kennenzulernen, Alexandra. Und nun bringen wir Sie wieder dorthin, wo Sie hergekommen sind.“ Der Timelord wartete nicht länger und hatte sich mit einer Bewegung auf dem Absatz umgedreht, um sich dem Steuerpult zuzuwenden. Bevor ich mich versah, war er daran die TARDIS startklar zu machen. Zack, zack, zack. „Halt!“, konnte ich mich da endlich aus meiner Starre befreien und war zu ihm gesprungen. Mich halb über die Steuerzentrale werfend, verhinderte ich, dass er noch weitere Dinge tat und die blaue Box einfach startete. „Was tun Sie da?“, empörte er sich über meine Dreistigkeit und ich wusste keine bessere Erwiderung, als es ihm gleichzutun: „Was tun Sie da?“ Wir starrten uns einander zum zweiten Mal in die Augen. Irgendwas hatte mich geritten, Einsprüche zu erheben, aber Argumente, warum ich nicht nach Hause eskortiert werden sollte, hatte ich keine. Nur so ein Gefühl. „Was meinten Sie mit das erklärt es? Danach können Sie mich gerne zurückbringen, aber was erklärt was?“ Dass ich neugierig war, war auch nichts neues. Und wenn ich durch diese Neugier ein bisschen meine Heimreise verzögern konnte, umso besser. Der Doktor schien tatsächlich zu zögern und abzuwägen, was er tun sollte. „Ich verspreche es!“, warb ich noch mehr, obwohl mir klar war, dass das Versprechen einer Fremden nicht gerade vertrauensselig war. „Hoch und heilig!“ Verhandeln musste ich echt noch üben. „Na schön...“, sprach er schließlich und ließ den Hebel los, welchen er noch mit seiner Hand festhielt, „Kommen Sie mit.“ Hatte ich etwa Erfolg gehabt? … Das konnte ich mir nicht vorstellen. Dafür war das zu einfach und er... der Doktor. Seit wann würde er auf jemand Dahergelaufenes hören? Der Doktor machte ein paar Schritte Richtung einer weiteren Tür, welche nicht den bekannten Ausgang in unbekannte Welten markierte und wartete dann am Absatz auf mich. Auch ich richtete mich wieder auf und spürte nun an meinem Hüftknochen, auf dem sich bei meiner Draufwerfaktion die Kante des Pults verewigt hatte. Das würde einen ordentlichen blauen Fleck geben. Ich rieb mir die schmerzende Stelle. Andere kniffen sich in die Arme und ich würde morgen anhand des Hämatoms sehen, ob ich geträumt hatte oder nicht. Prima.   Ich folgte dem Doktor hinaus in die dunklen Korridore der TARDIS. Sie waren zwar nicht verwinkelt, recht gradlinig, doch da sie in Kurven lagen – so rund wie nun einmal auch das Cockpit war – konnte man dennoch nicht sehen, was einen erwartete. Ich mochte solche Ecken ganz und gar nicht. Spätestens nach meiner letzten Gruselkabinetterfahrung. Die spärliche Beleuchtung machte es nicht gerade besser. Man konnte zwar die Hand vor den Augen erkennen und nicht über die eigenen Füße stolpern, doch das war es auch schon. Ich war froh, nicht allein zu sein und ebenso erleichtert, als wir eine weitere Abzweigung erreichten und zur Rechten den Korridor endlich verlassen konnten. Wir betraten eine Wendeltreppe, stiegen die Stufen hinab. Hatte dieses Gefährt überhaupt eine architektonische Logik vorzuweisen? Schließlich erreichten wir eine weitere Tür, aber diesmal blieb der Doktor plötzlich stehen. Beinahe in ihn reinstolpernd, hielt ich abrupt an. „W-Was ist?“ „Ist bei Ihnen zu Hause schon einmal ein Zimmer erschienen, das gar nicht hätte da sein dürfen?“, warf er mir als Gegenfrage entgegen und fügte dieser einen so seltsamen Unterton hinzu, dass ich nicht wusste, ob dies Ernst war oder nicht. Ob er überhaupt eine Antwort darauf hören wollte. „Nein?“, warf ich ebenso zurück. Hätte mich auch sehr irritiert, wäre es so gewesen. Immerhin besaß ich nur eine Ein-Zimmer-Wohnung... und ein Anbau während der Sanierungsmaßnahmen wäre wohl mit eindeutigen Mehrkosten verbunden gewesen. Nicht, dass ich mehr Platz nicht begrüßt hätte. „Hier auch nicht.“ Und damit stieß er die Tür auf und ließ mir freien Blick auf das Innenleben, welches mir den Mund aufklappen ließ. Das... konnte ja gar nicht sein! „Mir sind schon einige seltsame Dinge hier passiert, aber das übertrifft so ziemlich alles.“ Obwohl ich ihn klar und deutlich sprechen hörte, rauschten seine Worte an meinen Ohren vorbei. Meine Aufmerksamkeit war viel zu sehr auf das Zimmer vor mir gerichtet. Es war für mich so beinahe schon selbstverständlich, dass ich einen Fuß hineinsetzte und die Wand zu meiner Linken berührte – denn hier grenzte sogleich ein großes Bett an, dass sich bis in die Ecke des Raumes zog. Daneben ein Nachttisch und ein gefülltes Bücherregal. Mir gerade gegenüber befanden sich zwei nebeneinander stehende, weiße Kleiderschränke. Zu meiner Rechten dann ein Schreibtisch, auf dem ordentlich allerlei Utensilien angeordnet waren, sowie eine Lampe und direkt unter dem Tisch noch ein Ablagewagen. Besaß die TARDIS eigentlich so etwas wie Steckdosen? Fehlte nur noch die Couch und der Fernseher und dann wäre es nahezu... „Perfekt“, flüsterte ich und spürte, wie in mir ein Gefühl von Heimat aufstieg. Ich trat zum Kleiderschrank und legte meine Hände an die metallenen Griffe. Einmal durchatmend, zog die beiden Türen daraufhin nach außen auf. Meine Lippen formten augenblicklich ein Lächeln. Ich konnte nicht sehen, dass der Doktor mich aufmerksam beobachtete und so nicht eine Sekunde seinen wachsamen Blick verlor, denn dafür war ich viel zu sehr beschäftigt, eine schwarze Lederjacke hervorzuziehen und zu untersuchen... Ja, die Klamotten kamen mir alle sehr, sehr bekannt vor. „Dieses Zimmer ist erst vor kurzem erschienen. Kurz vor Ihrer Ankunft, um genauer zu sein“, sprach er dann und ich wandte den Kopf über die Schulter, überrascht, „Ich habe dafür keinerlei Verwendung, aber... mir scheint, Sie hingegen schon?“ Ertappt. „Nun ja... es... entspricht meinem Geschmack?“ Das war nicht gelogen. Aber noch mehr... war es nicht nur mein Geschmack, sondern entsprach beinahe auf den Punkt genau der Einrichtung meines Wohn- und Schlafzimmers. Fehlten nur die Fenster. Und die Deckenbeleuchtung. Ich drehte mich nun richtig zum Doktor um, welcher hörbar ausatmete und die Hände in die Hosentasche gesteckt hielt. „Ich weiß zwar nicht warum, aber die TARDIS akzeptiert Ihre Anwesenheit.“ „Das... kommt nicht oft vor... oder?“ „Normalerweise würde es zu Turbulenzen führen. Abstoßungsreaktionen, wenn Sie es so wollen. Aber sie kann Sie interessanterweise recht gut leiden.“ „Was für ein Kompliment?“ Wie auf Kommando begann das Schiff mit einem Mal zu wackeln, als säße man in einem Jeep, der über wildes Geröll raste. Das hätte ich wohl nicht zu laut sagen sollen... „Lediglich ein kleiner Schluckauf.“ „Wie beruhigend“, lachte ich gespielt und hielt mich kräftig an den Griffen des Schrankes fest, jederzeit für ein weiteres Beben bereit, „Und... das heißt jetzt was?“ „Ich werde Sie sicher wieder zur Erde bringen können.“ Natürlich. Was auch sonst. … Irgendwie war ich enttäuscht. Vermutlich, weil es so geklungen hatte, als würde mir doch eine weitere Reise gewährt werden. Ferner von daheim. Nicht nur die einmalige Rücktour. Weil ich hier eindeutig mein Zimmer hatte. „Warum... haben Sie mir dann diesen Raum gezeigt?“, konnte ich meine Enttäuschung so auch nicht mehr verbergen und lehnte die Schranktür wieder an. Ich hatte genug gesehen. „Ich wollte Ihre Reaktion testen“, erklärte der Timelord schlichtweg und machte zwei Schritte auf mich zu, „Aber Sie waren genauso überrascht wie ich. Und davon abgesehen... sollten Sie sich vielleicht etwas anderes anziehen, es könnte frisch werden. Auch wenn es für Sie nur nach Hause geht.“ Der Doktor ließ mich mit diesem letzten Wink auf meine natürlich immer noch vorhandenen Schlafklamotten schließlich allein und schloss hinter sich die Zimmertür. Unmöglich. Ich wusste nicht, ob ich ihn einfach als unhöflich einschätzen sollte oder als rücksichtsvoll, dass er mir die Möglichkeit ließ, mich anzuziehen. Wie dem auch sei, wollte ich die Chance nutzen und widmete mich wieder der Garderobe, mich zwingend, die Situation hinzunehmen wie sie war. Kannst du etwas ändern? Dann tu es. Wenn nicht, akzeptiere es. Ich wählte eine schwarze Strumpfhose, meine hellblauen Jeans-Hotpants und dazu dann ein einfaches Langarmshirt, über welches ich meinen puderrosanen Lacepullover trug. Noch aus der untersten Etage die schwarzen flachen Stiefel hervorziehend, welche mir genug Komfort und Bewegungsfreiraum geben würden... fertig. Selbst die Anordnung der Klamotten glich eins zu einer meiner zu Hause. Allerdings beschloss ich, mich noch ein bisschen genauer umzusehen, wo ich schon einmal hier war. Es wirkte wirklich so, als hätte die TARDIS nur auf mich gewartet. Das Bettmodell, die Bettwäsche, der Schrank... Selbst der Schreibtisch besaß die mir nur zu bekannte Verteilung von Stiften, Notizblöcken und... mein... Tagebuch? Ohne zu zögern griff ich danach, öffnete es flink, aber... nichts als blanke Seiten. Das hätte gar nicht sein können, weil ich eigentlich schon beinahe am Ende jener angelangt war. Hier hingegen befand sich nicht ein einziges Wort niedergeschrieben. Mir kam der Gedanke, dass die TARDIS nur imstande war, materialistisch nachzubilden, nicht aber auch das Gedankengut zu implementieren, welches ja erst die persönliche Note von Dingen auszumachen wusste. Wenn ich mir das Wunschglas auf dem Tisch anschaute, bestätigte sich mein Verdacht. Auch hier die zusammengefalteten Wochenzetteln waren nicht beschriftet. Zuhause trug jedes die Notiz der der jeweiligen Kalenderwoche. Stattdessen... blank. Ein interessantes Phänomen, welches ich nur zu gerne erforschen wollte. Was ich nur zu gerne den Doktor fragen wollte. So, wie vieles andere auch: Was der entfernteste Ort war, den er inzwischen gesehen hatte, was ihn am meisten beeindruckt hatte, wo er nicht noch einmal hinmöchte, was er so faszinierend an den Zeitreisen fand, … … Richtig, der Doktor wartete!   Ich wollte kein weiteres Misstrauen bei ihm erwecken, so dass ich mich von all den Dingen hier losriss und beschloss, wieder zurückzugehen. Nicht aber, ohne das leere Tagebuch mitzunehmen und einen Stift. Auf dem Weg zum Zentrum blieb ich doch noch einmal hier und da stehen und fertigte fixe Skizzen von dem an, was ich hier sah. Nur kleine Kritzeleien, aber sie würden mir später helfen, dass ich nichts vergaß... und ein Beweis sein, dass ich das hier wirklich miterlebt hatte. Allein in den Korridoren umherzuwandern, ließ mich meine selbstauferlegte Dokumentation recht rasch beenden und mehr als einmal musste ich mir Mut zusprechen, dass mir hier schon nichts passieren könnte. Es war nur die TARDIS. Zwar irgendwo unheimliche Ecken, aber... es war die TARDIS. Alles gut. Als ich schließlich wieder leicht atemlos durch die erste Tür von vorhin schritt, sah ich den Doktor am Steuerpult stehen und aufmerksam die Gerätschaften begutachtend, welche die TARDIS lenkten. „Da sind Sie ja“, begrüßte er mich und sah kurz zu mir herüber, „Haben Sie sich verlaufen? Nun, zumindest sind Sie jetzt wieder ausgehfertig.“ „Vielen Dank“, konnte ich mir bei so viel Freundlichkeit und Empathie nicht verkneifen und zückte das Büchlein, um weiter zu zeichnen... Ich hatte nicht das Gefühl, dass er besonders viel Wert auf ein Gespräch mit mir legen würde. Also konnte ich doch auch in aller Ruhe meiner eigenen Leidenschaft nachgehen, oder? So unscheinbar wie möglich, begann ich den Timelord abzuzeichnen. Es klappte ganz gut und ich war gerade angekommen, seine Nase detaillierter auszurichten, als er auf mich zukam. „Was tun Sie da?“, erkundigte er sich neugierig. „Ich... mache mir Notizen“, antwortete ich wahrheitsgemäß, wenn auch selbst für mich etwas zu sachlich und neutral, hatte doch keinerlei Emotion aus meiner Stimme gesprochen. „Worüber?“ „Dass ich hier bin. Dass Sie hier sind und dass dies alles wirklich passiert.“ Diese Worte schienen den Doktor für einen Moment etwas zu irritieren und er stoppte seinen Fragefluss. Ich versuchte mich nicht davon ablenken zu lassen, dass er mir nun mehr über die Schulter guckte, aber leider konnte ich so auch nicht weiterzeichnen... Und auch wenn ich fix die Seite umgeschlagen hatte und schnell anfing, das Pult in der Mitte des Raumes einzufangen, schimmerte die Zeichnung durch das dünne Papier gut genug hindurch als dass er erkennen könnte, was ich zuvor skizziert hatte. „Sie besitzen Talent“, bemerkte er aufrichtig beeindruckt und meinte damit keineswegs die schrägen und gerade Striche, die nun die TARDIS darstellen sollten. „Naja... ein bisschen.“ Es war mir immer unangenehm, wenn mich jemand für meine Zeichenfähigkeiten lobte, da ich sie längst noch nicht als gut erachtete. Vorgebend, dass ich nicht mitbekam, wie der Timelord weiterhin vehement die Augen auf mich und nichts anderes gerichtet hielt, schwieg ich mich aus. Es war mir auch etwas unangenehm, dass er so nah bei mir stand. Ich war keines der Fangirls, die ihm um den Hals fallen oder ihr Herz an ihn verlieren würden... ersteres hatte ich noch nie getan und zweiteres war nicht möglich, war mein Herz schon ganz woanders verankert. Der Gedanke daran ließ mich die Lippen ein wenig verdrießlich aufeinander pressen. „Ich werde Sie wieder sicher nach Hause bringen“, drang die nun mehr überaus ernste Stimme meines Gegenübers klar und mit einem fast schon besorgten Unterton an mein Ohr. Überrascht über diese wiederholten Worte, sah ich zu ihm auf und konnte auch anhand des Ausdrucks in seinen braunen Augen sehen, dass er der Meinung war, es mir so noch einmal versichern zu müssen. Verantwortungsgefühl? Keiner von uns beiden konnte etwas dafür, dass ich hier gelandet bin, also bräuchte er sich auch nicht verantwortlich fühlen, oder? „Ja... das weiß ich“, nickte ich immer noch ruhig, „Sie... sind der Doktor.“ Etwas Dümmeres hätte ich wohl gar nicht sagen können, denn was wusste ich schon über ihn? Was er alles erlebt hatte und welche Begleiter er bisher an seiner Seite gehabt und vielleicht sogar verloren hatte? Mit diesem Satz hatte ich ihm erst recht die Last auferlegt, mich wieder zurück auf die Erde zu bringen. Und weil ich nicht so einfältig war, dies nicht zu bemerken, versuchte ich mich zu verbessern, „Ich meine... Sie haben die Möglichkeit, mich zurückzubringen. Es hätte schlimmer kommen könnte. Ich... hätte auch alleine auf dem Mars landen können. Kein Sauerstoff.“ Meine Art war es leider auch, Dinge herunterzuspielen. Oder subtil zu beleuchten. Nichts, auf dass ich wirklich stolz war. Aber wenn sich mein Gegenüber damit besser fühlen würde, würde ich es tun. Und ich war schon unbedacht genug gewesen, dem Timelord zu sagen Hey, du machst das schon. Was ich hingegen nie bedachte war die Tatsache, dass es auch Menschen gab, die dahinter sehen konnten und die Botschaften verstanden: „Haben Sie Angst?“, fragte er ganz unvermittelt und ich musste kurzzeitig innehalten, weil ich nicht wusste, was ich darauf sagen sollte. Ich konnte es ihm nicht verübeln, dass er mich ganz direkt damit konfrontierte. Womöglich war ich einfach... zu ruhig? Sicherlich wäre jeder andere sonst wie begeistert, schockiert oder sonst wie anders gewesen... nur nicht so gefasst wirkend wie ich. Dabei war ich wirklich alles andere als das. Nur, wenn ich mich auf eine Tätigkeit fokussierte, konnte ich solche Gefühle ziemlich gut ausblenden und ging voll und ganz in meinem Tun auf. Trotzdem hatte ich keinen Erfolg damit und wurde auf frischer Tat ertappt. Also... konnte ich auch mit der Sprache rausrücken, oder nicht? Ein einfaches Ja oder Nein würde für mich nicht ausreichen. Ich hatte mir aber vor einiger Zeit geschworen, dass ich wieder aktiver werden und mich besser zu erklären versuchen würde, anstatt klein beizugeben und schlicht zu akzeptieren. Das war eine Chance. „Nicht direkt. Wenn ich wirklich allein auf dem Mars wäre... dann schon. Nicht nur wegen dem nicht vorhandenen Sauerstoff. Aber da ich nicht allein bin, kann ich es aushalten.“ Aufrichtiger könnte ich nicht sein. Natürlich war mir unwohl, aber zu zweit ließen sich Dinge besser ertragen. So auch diese Situation. Der Doktor sah mich noch ein paar Sekunden länger eingehend an, bis er für sich beschloss, dass es wohl wirklich in Ordnung schien und ich ihm nicht jeden weiteren Moment durchdrehen würde. „Nun gut... Sie sagten, sie leben im Jahr 2017?“ „Richtig.“ „Nennen Sie mir so genau wie möglich das genaue Datum und die Uhrzeit“ Er schritt wieder zurück zum Zentrum des Raumes und ich nannte ihm für die korrekte Navigation Monat, Tag und die ungefähre Uhrzeit. Es wäre nicht schlimm, wenn es ein, zwei Stunden früher oder später wären... aber hoffentlich nicht erst Tage oder gar... Jahre. Die TARDIS schaffte es schließlich immer mal wieder, sich zu verkalkulieren... leider. Ich wartete, aber statt dass sich irgendein bestätigendes Geräusch ergab oder ähnliches, breitete sich mit einem Mal ein eher beunruhigender Ton breit: ein typisches Symbol dafür, dass eine Eingabe nicht korrekt durchgeführt wurde. „Komm schon, das kann doch nicht dein Ernst sein“, murmelte der Doktor, aber er bekam auch sogleich die passende Antwort geliefert: nicht korrekt. Wenn man die Maschinengeräusche übersetzte, müsste so etwas dabei rauskommen. Da war ich mir sicher. „Süße... was ist los?“ Seine Stimme nahm eine für einen Mann ziemlich hohe Tonlage an und er klopfte zweimal auf die Blechplatte vor ihm, natürlich ohne eine Reaktion zu erhalten, „Was hast du?“ „... Klingt nach... Problemen?“ Der Doktor gab keinen Ton von sich und als es nach dem dritten Versuch immer noch nicht funktionierte, sah er mich zwar weiterhin nicht an, sprach dafür aber mit mir: „Alexandra, gibt es einen Ort, den Sie gerne einmal sehen wollen?“ „Ehm... da gibt es einige.“ „Vielleicht noch so ein paar Jahre früher oder später.“ Ich ahnte, worauf das hinauslaufen würde: Ein Versuch, ob die TARDIS sich überhaupt noch steuern ließ oder das Problem tatsächlich tiefer lag, als es bisher schien. „Eh... viktorianische oder edwardianische Zeit in London? Oder... auch Frankreich zur Rokokozeit?“, fielen mir als erste Ideen ein, „Wäre es nicht so gefährlich, würde ich auch gerne mal Jeanne d'Arc kennenlernen, aber der hundertjährige Krieg... und Frauen war eh nicht besonders angesehen.“ „Nun gut, dann versuchen wir es...“, entschied er und gab neue Koordinaten ein, nach denen sich die blaue Box richten sollte, „Wir werden einen kleinen Umweg einnehmen! Halten Sie sich gut fest!“ Bei diesen Worten begann mein Herz aufgeregt gegen meine Brust zu schlagen. Ich spürte die Spannung bis in meinen Magen rumoren und wagte mich nicht, auch nur ein Wort zu erwidern. Das klang nach... Abenteuer. Vielleicht würde es nur ein ganz kurzes werden, ein kleiner Ausflug, um einmal die Luft der Vergangenheit zu schnuppern, aber definitiv würden wir einen Zwischenstopp einlegen müssen. Und das ließ mich regelrechte Reiselust verspüren. Aus irgendeinem Grund wollte die TARDIS also nicht direkt wieder meine Zeit ansteuern. Wenn ich an das perfekte Zimmer dachte, verwunderte es mich nicht einmal. Und für diesen einen Moment konnte ich nicht einmal Heimweh empfinden – denn mir sollte sich eine vollkommen neue Sicht auf die Welt eröffnen. Alles beginnend mit einem Satz: „Also dann, allons-y!“   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)