Out of the Blue. von Ikeuchi_Aya (Out of the box.) ================================================================================ Kapitel 5: Doppelgaenger ------------------------ Um die Geschehnisse der letzten Zeit zusammenzufassen: Ja, ich hatte es aus irgendeinen Grund geschafft, als neue Begleitung des Doktors zu erscheinen. Unsere erste und wohl auch letzte Reise ging ins viktorianische London, was mir eigentlich mehr Freude als Unbehagen bereiten sollte. Aber warum sollten Dinge einfach verlaufen, wenn es auch kompliziert ging? Ganz nach diesem Motto wurden wir als Verbrecher abgestempelt, eingebuchtet, sind geflohen und standen nun – der Rettung TARDIS so nahe, wie man nur sein konnte – vor den nächsten beiden Problemen: eine Außerirdische, die des Doktors Hilfe benötigte und zwei vollkommen überrumpelte und schockierte Polizisten, welche entweder an ihrem Verstand zweifelten oder aber uns alle gerade als Verbrecher betrachteten. Vielleicht auch beides. Soviel zur Ausgangslage. Leider kam mir durch diesen Gedankengang keine Lösung in den Sinn. Nichts, was die Polizisten hätte beruhigen können oder die Arcateenianerin retten. Aber ich war ja auch nicht der Doktor. Und dieser sah nun mit hochgezogenen Augenbrauen von einem zum anderen, während ihm ein gespieltes Lächeln über die Lippen huschte. Eine ausladende Handbewegung machend, erhob der Timelord das Wort, „Nun, Willkommen in der TARDIS, meine Herren. Was können wir für Sie tun?“ „M-Moment mal, wie geht das? Das ist doch nur eine … eine …“ „Sie meinen eine Telefonzelle?“, half der Doktor dem stotternden Beamten weiter, der daraufhin nur zu nicken wusste, obwohl er gar keine Ahnung hatte, was eine Telefonzelle war. Noch nicht. „Keine Sorge, diese Überraschung haben schon einige erfahren. In ein paar Minuten wird sich die Verwunderung legen.“ Davon war ich nicht ganz überzeugt, so fluchtartig, wie der Beamte zu allen Seiten sah und einfach nicht fassen konnte, dass sich in einem kleinen Gehäuse solch ein weitwinkliger Raum befand, der auch noch Treppen und Türen besaß. Vermutlich wäre er am liebsten noch einmal raus- und wieder reingerannt, aber das traute er sich dann doch nicht. Ob nun aus Pflichtgefühl gegenüber seines Kollegen, aus Angst oder weil er schlicht nicht wusste, was er sonst tun sollte. Der andere, er ein bisschen älter war und damit mehr Dienstjahre auf dem Buckel hatte, schien gefasster. „In Ordnung, alle die Hände hoch und eh … mit dem Gesicht zur Wand stellen!“, wies er uns an und fummelte aus dem hinteren Holster einen Knüppel hervor, um seinen Worten Ausdruck zu verleihen. Mir fiel auf, dass die Polizei wohl schon damals nicht gerade stark an Waffen ausgerüstet war und dass wir außer diesen Knüppeln und Handschellen wohl mit keinen weiteren zu rechnen hatten. Dennoch war ich natürlich nicht besonders erpicht darauf, Bekanntschaft mit dem Trancheon zu machen überlegte mir zweimal, was ich sagen würde. Der Doktor und ich hoben beide langsam die Arme bis auf Kopfhöhe, machten aber keine Anstalten auch dem Rest des Befehls Folge zu leisten. Ich warf einen Seitenblick zum Timelord, der sich nun mehr bewusst auf den agierenden Beamten konzentrierte: „Okay, eins nach dem anderen“, sprach er langsam und versuchte dabei so viel Ruhe und Gelassenheit wie nur möglich in seine Worte zu legen, „Wir sind nicht bewaffnet und wir haben nicht vor, Ihnen Ärger zu bereiten.“ Den Kopf zu mir drehend, verzog er das Gesicht allerdings kurzzeitig zu einer Grimasse, „Das klingt nach all dem nicht besonders glaubhaft, oder?“ „Nein, eher nicht“, musste ich kopfschüttelnd zustimmen und rückte noch ein, zwei Schritte mehr an seine Seite. Mir war es lieber, die Polizisten vor mir als im Rücken zu wissen. „Ein Versuch war es wert.“ „Sie haben schon genug Ärger verursacht. Ich werde Sie jetzt an dieser Stelle verhaften“, kündigte der Kollege mit dem rotbraunen Schnauzbart an und nickte zu dem anderen hinüber, der immer noch vollkommen fasziniert von den Ausmaßen der TARDIS war, „Ed, leg der … verfolgten Dame die Handschellen an.“ Damit meinte er wohl mich. Aber zu meinem Glück schien Ed nicht gerade bei Sinnen und sah den anderen nur hilflos-verwirrt an, „Die Handschellen!“, wiederholte dieser. Der Jüngere nickte schließlich, fummelte an seinen an der Jackentasche befestigten Handschellen herum und kam mir dann etwas näher, bis er schließlich die Handschellen geöffnet hielt und mich dabei ansah: „E-Eh … dürfte ich … ?“ Ich konnte gar nicht anders als ihn wie ein Auto anzugucken. Fragte er gerade tatsächlich, ob er mich festnehmen dürfte? „Eh, nein?“, entfuhr es mir da und ich machte einen großen Schritt zurück. Nett, dass er fragte, aber mir hatte die eine Nacht Gefängnis gereicht! „Einen Moment, Colonel“, schob sich der Doktor dazwischen und hielt dem Beamten so auf Abstand zu mir, „Unter welchen Anklagepunkten wollen Sie uns festnehmen?“ „Diebstahl eines Leichnams, reicht Ihnen das?“, schnitt der Ältere dazwischen und kam nun ebenso hinzu, um die Sache wohl selbst in die Hand zu nehmen, „Oder wie wollen Sie es bezeichnen, dass Sie – wie auch immer Sie das hinbekommen haben – das Ripperopfer Elizabeth Stride hier stehen zu haben?“ Durchaus eine gute Frage. „Vielleicht sollen Sie sie das selbst fragen?“, verwies der Doktor auf unseren Neuankömmling, dessen eigentlicher Name Metatropeasis lautete. Eine Außerirdische vom Planeten Arcateen V – zu meiner Verteidigung: Ich hatte keine Ahnung, was das bedeutete. Bis auf die Tatsache, dass sie tote Körper als Behausung zu nehmen wusste, war mir nichts über Arcateenianer bekannt. „Wir nehmen diese Betrüger fest“, beschloss der Dienstältere von beiden, „Wie auch immer Sie das machen, Sie haben sich strafbar gemacht und werden entsprechend ins Gefängnis wandern! ED!“ Seine Stimme hallte in der TARDIS laut wieder, so dass der arme Ed zusammenzuckte und ein zweites Mal an den Handschellen nestelte, bis ihm diese sogar runterfielen. Zu den Füßen der vermeintlichen Elizabeth Stride. Und so freundlich wie die Arcateenianerin war, wollte sie ihm zuvorkommen und das Festnahmeinstrument aufheben. Ihre Finger berührten sich dabei und als er in das Gesicht der eigentlich Toten aufblickte – oder viel mehr auf die wirklich sehr unschöne Wunde an ihrem Hals – wurde dem jungen Polizisten mit einem Mal doch ganz anders zumute. Er schreckte hoch und taumelte rückwärts. Der Schock, der ihm das Blut in die Beine versacken ließ, sorgte für eine ebenso plötzliche Blässe in seinem Gesicht – nicht lange und er würde … Bamm! … zu Boden gehen. „Grundgütiger … Ed!“ rief der ältere Polizist und vergaß für einen Moment die angespannte Lage mit seinen Verdächtigen. Das Wohl seines Kollegen war ihm da anscheinend immer noch einen Ticken wichtiger, was mich irgendwie beruhigte. Ich jedenfalls war es nicht, welche die Chance zu nutzen wusste, die sich für uns hierbei ergab – und auch der Doktor hatte es nicht in die Hand genommen. Nein, es sollte ausgerechnet unsere neue Bekannte sein, die dem bunten Trubel ein Ende setzte: Denn als Ed rückwärts getaumelt und hingefallen war, hatte sich auch dessen Knüppel gelöst und war über den Boden gerollt. Ohne zu zögern hatte sie diesen an sich genommen und in jenem Moment, als sich der noch gesunde Beamte zu dem Bewusstlosen gehockt hatte – … ja, genau das! Bevor der Doktor und ich etwas hätten einwenden oder es verhindern hätten können, hatte sie ausgeholt und ihm eine übergezogen. Er gab nur noch einen Wehlaut von sich und kippte dann vorüber. Bewusstlos. „Nicht meine Methode, aber … wirkungsvoll“, neigte der Doktor den Kopf zur Seite und sah dann fast schon tadelnd zu Metatropeasis auf, welche mit einem verständnislosen Blick antwortete: „Jetzt machen sie keinen Ärger.“ „Solange sie ohnmächtig sind, nein.“ „Wir … können sie doch einfach nach draußen bringen und dann verschwinden wir?“ Zugegeben, die Pragmatik dieser Arcateenianerin war nicht von der Hand zu weisen, aber leider war die Weitsicht weniger ausgeprägt. „Das wäre doch auch gut für dich oder? Du gehörst doch auch nicht hierher?“ Oh, und ich hatte leider etwas dagegen, wenn man mich sofort duzte. „Vielleicht ja, aber es ändert nichts daran, dass Sie im Körper einer Toten sitzen, die als Opfer eines Serienkillers gilt“, mischte ich mich nun ein, wo ich eh schon angesprochen wurde. „Was ist daran problematisch? Sie ist doch tot. Ich verstehe nicht, warum ich deswegen für solche Reaktionen sorge.“ Ich presste die Lippen aufeinander und sah etwas genervt zum Doktor. In der stillen Hoffnung, dass er irgendeine Antwort auf Lager hatte, die gut genug wäre, nicht auf Widerworte zu treffen, doch meine eigene Zunge war schneller: „Wir haben hier bestimmte Regeln. Und eine von diesen ist, dass man keine Leichen klaut und wieder auferstehen lässt.“ Ich verschränkte die Arme vor der Brust, weil ich zugegebenermaßen auch selbst ein kleines bisschen bei ihrer Erscheinung fröstelte. Mochte sein, dass ich in meinem Leben den einen oder anderen Toten oder Schwerverletzten gesehen hatte, aber das hier war ein anderes Kaliber und ließ auch mich schlucken. Zumal ich inzwischen weitaus empfindlicher war und es mir so wie den jungen Polizisten ergehen konnte. „Haben Sie vor allem schon einmal in einen Spiegel gesehen? Ihre Erscheinung ist grauenhaft. Und in dieser Zeit wird es fast jedem so ergehen wie ihm hier“, deutete ich auf den unverletzten Bewusstlosen, „Also ja, das ist problematisch.“ Metatropeasis schenkte mir einen missfälligen Blick und guckte dann zum Doktor, meinen Einwand einfach übergehen wollend. In ihren Augen hatte ich hier kein Mitspracherecht. Der Timelord kratzte sich am Hinterkopf und schwieg eine Sekunde, ehe er ein simples „Sie hat Recht“ von sich gab. „Das Beste wäre es, wenn du diesen Körper wieder dorthin zurückbringst, wo er hingehört und dann auf deinen Heimatplaneten zurückkehrst.“ „Was? NEIN!“ „Du gehörst hier nicht her und du wirst hier auch nicht ohne weiteres überleben können!“ Die Stimme des Doktors wurde eindringlicher, wenn auch nicht unbedingt lauter, im Gegensatz zu jener unserer Gegenüber. „D-Das kriege ich schon hin! Das haben andere auch schon geschafft!“ „Und sind sie je wieder gekommen?“ Sie schwieg und sah mit einem Mal ziemlich betreten drein. „Das sind sie nicht, weil kein einziger auf lange Zeit überleben konnte.“ Ich traute mich nicht, dazwischen zu fragen, aber mich interessierte es nicht nur gering, was er damit meinte. Sie war also definitiv nicht die erste Arcateenianerin, die von ihrem Heimatplaneten geflohen war, und würde auch nicht die Erste sein, die nicht wieder lebend zurückkäme? Der Timelord hatte mir wohl einen kurzen Blick zugeworfen, da er nun mehr zum Erklären ansetzte. „Arcateenianer müssen sich eines Wirtes bedienen, wenn sie hier überleben wollen. Das Problem hierbei ist allerdings, dass es nicht bei einem Wirt bleibt. Sie haben einen toten Körper, in dem sie leben wollen. Und was braucht der menschliche Körper, um leben zu können?“ „Ein funktionierendes Herz“, schoss es sofort aus mir heraus, worauf der Doktor leicht nickte, „Richtig. Und nun können Sie sich auch denken, wie sie an diese kommen.“ Das also zum Thema, dass von Arcateenianern eigentlich keine Gefahr ausging. Gruselig. Und brutal. „Willst du das also wirklich? Du wirst dich damit zu einer Kriminellen deiner Heimat. Ganz davon abgesehen, dass sie dich hier ebenso wenig lebendig wissen wollen.“ Ich sah zu Metatropeasis auf und versuchte aus ihrem Gesicht abzulesen, was sie wohl gerade dachte. Man konnte spüren, wie sehr sie mit sich und den Worten des Doktors rang. Wie sehr sie zwischen ihren eigenen Wünschen und den rationalen Gründen haderte. Mochte sein, dass sie naiv war, aber nicht dumm. Ansonsten hätte sie es nie überhaupt hierher auf die Erde geschafft. „Wir … sollten vielleicht zumindest die beiden hier nach draußen schaffen, oder?“, schlug ich schließlich vor, „Da muss ich ihr zumindest Recht geben.“ Denn je länger wir jetzt hier herumstanden und weiter diskutierten, desto eher würden die beiden wieder aufwachen und dann ginge das Spiel von vorne los … darauf hatte ich wenig Lust.   Der Doktor hatte sich widerwillig fügen müssen. Natürlich war er nicht gerade davon begeistert, aber welche Wahl hatten wir? Dass wir die zwei Beamten nun mehr allerdings nicht in die Freiheit entließen, sondern für die Zeit, bis wir die Sache mit Metatropeasis geklärt hätten hier in der TARDIS stecken würden, war uns erst im zweiten Schritt eingefallen. „Ihnen ist bewusst, dass ich kein Freund von Geiselnahmen bin?“ „Wenn Ihnen auch bewusst ist, dass sie ansonsten die TARDIS in Flammen setzen oder abholzen werden?“ Denn genau diese Aussicht hätten wir wohl, täten wir es nicht. Die blaue Box musste für die Londoner inzwischen wie das rote Tuch wirken, welches den Stier in der Arena zur Kampfwut entfachte. Ständig passierten seltsame Dinge um dieses Gebilde, da wäre es kein Wunder, wenn sie sie beseitigen wollten? Mein Bauchgefühl sagte mir das zumindest. Während der Doktor und ich die beiden Beamten also an eine Stelle innerhalb der Steuerzentrale setzten, die für sie weder gefährlich, noch eine Möglichkeit zur Flucht bedeuten konnte, betrachtete uns die Arcateenianerin neugierig. Vielmehr mich. Womöglich, weil ich immer noch im Trenchcoat des Doktors steckte, wie mir in all dem Tumult nicht aufgefallen war. Nun aber, nachdem die zwei mit ihren eigenen Handschellen befestigt worden sind, erhob ich mich und zog ihn aus. „Hier“, reichte ich ihm das Kleidungsstück und mit einem kurzen Dank warf er sich den Mantel über. „Haben Sie die Handschellen mit dem Schallschraubenzieher irgendwie gesondert gesichert?“, wollte ich wissen, mich immer noch etwas unwohl fühlend bei der Tatsache, dass diese beiden Männer hier alleine wären. „Wozu?“, entgegnete mir der Braunhaarige und sah mich fragend an, „Die beste Methode, dass sie hierbleiben, habe ich in meine Hand.“ Ich erwiderte nichts, blinzelte nur irritiert und sah, wie der Doktor dann mit einem Grinsen auf den Lippen die beiden Schlüssel hochhielt, „Eine einfache aber wirkungsvolle Mechanik. Da braucht es keine weiteren Accessoires. Apropos, wollen Sie sich dieses Mal nicht lieber umziehen? Wo wir schon einmal hier sind?“ Richtig. Das sollten wir in der Tat. Ich vor allem, die hier am meisten Aufsehen erregte. „Kommen Sie mit. Wir werden den Kleiderfundus der TARDIS sprechen lassen müssen. So gut Ihr Zimmer hier auch ausgerüstet ist, denke ich nicht, dass Sie viktorianische Kleidung besitzen, oder?“ „Wohl kaum.“ „Ehm … Doktor?“, erklang da die Stimme der Arcateenianerin, als wüsste sie nicht, was sie in der Zwischenzeit anfangen sollte. „Natürlich kommst du mit“, sprach der Doktor wie selbstverständlich und drehte sich dann auf dem Hacken um, um Richtung TARDIS-Innere zu gehen, „Bei allem Respekt, aber ich lasse sie wohl kaum eine Sekunde aus den Augen“, raunte er mir dabei noch zu, woraufhin ich nur nicken konnte. Das wäre wohl wirklich keine allzugute Idee. Während der Gang durch die TARDIS für mich nun inzwischen doch etwas weniger aufregend war, war es für Metatropeasis das ganze Gegenteil. Ihr entfuhren immer mal wieder Ausrufe wie „Wow“ und „Was ist das?“, auf die der Timelord allerdings nicht einging. Ich glaube, wir beide bekamen mehr und mehr das Gefühl, dass wir es hier wirklich mit einem Teenager in Frauengestalt zu tun hatten. „Da sind wir“, verkündete er dann auch schon und stieß eine Tür auf, die uns tatsächlich in eine Art Kleiderfundus führte. Eine Wendeltreppe trug die Stufen bis zum Boden und an der äußeren Geländerseite befanden sich reihum Stangen mit Klamotten aller möglichen Zeiten dieser Welt. Ich war verblüfft, aber eigentlich war es doch auch ganz klar, wo der Doktor nun schon gut neunhundert Jahre lebte und das Weltall gereist war, nicht? „Seien Sie ganz frei und suchen Sie sich etwas heraus.“ Das würde keine leichte Aufgabe sein. Meine Nase hatte nun mehr auch die verschiedenartigen Gerüche aufgenommen, die von den Stoffen ausging. Es war ähnlich wie in einem Vintageladen – Die Note von alten Textilien und Staub lag in der Luft. Es löste einen Niesreiz bei mir aus, den ich nicht unterdrücken konnte und der mich entschuldigen ließ. Meine Beine trugen mich einige Stufen tiefer. Ich zog hier und da etwas hervor, aber hatte bisher noch nichts passendes gefunden – immerhin war auch die Größe entscheidend, und das meiste war mir einfach zu klein. Am Fuß angekommen, sprang mir plötzlich ein bordeauxfarbener Langärmel ins Auge und ich zog an der Schulterpartie, um das Stück zwischen all den anderen hervorzuziehen. Der Doktor war als Letzter gefolgt und während unsere Besucherin ganz verblüfft in ihrer eignen kleinen Welt war, hatte er sich ebenso am Treppenansatz gestellt und die Ellbogen aufs Geländer abgestützt. „Nur zu, die Umkleide befindet sich gleich dort – mit Spiegel“, deutete er lächelnd mit dem Zeigefinger zu meiner Rechten. Ich ließ mir das nicht zweimal sagen und machte mich auf, in jenes Kostümmonster zu steigen, dass ich gefunden hatte: Zunächst einmal war da die schmal geschnittene schwarze Bluse, welche einen hoch angesetzten Spitzenkragen besaß und ebenso jene an der Knopfleiste. Schon da wusste ich, dass man als Frau hierzulande eher gezwungen war, ein formendes Korsett zu tragen, aber auch wenn es etwas an der Brust zwickte, würde es schon gehen. Zumindest drang nichts nach außen, was nicht nach außen gehörte und ich konnte mich von der Schulterpartie und den Armbesätzen gut bewegen. Es folgte ein einfacher schwarzer Unterrock, gefolgt vom bordeauxroten Überrock. Und weil die ganze Klamotte noch nicht füllig genug war, folgte nun noch der ebenso bordeauxfarbene Gehrock, welcher ein kaum auffälliges Royalmuster aufwies. Wie man es zu damaligen Zeiten kannte, war der hintere Teil gerafft und bescherte der Dame den typisch fülligen Hintern. Der Oberkörperpart und die Ärmel waren recht schmal geschnitten, um wohl die Grazie der Frau zu betonen. Meine Stiefel waren jetzt zwar nicht perfekt, aber die taten auch keinen größeren Abbruch. Ich sah in den Spiegel vor mir und wusste selbst nicht, was ich zu dem Ergebnis sagen sollte. Irgendwie kam ich mir wie auf einem Kostümball vor. Nicht, dass ich historische Kostüme nie hatte tragen wollen, nur war der Umstand gerade etwas ungünstig. Hm … aber etwas fehlte … Ich sah mich um und entdeckte noch die kleine Kopfbedeckung, die ich mit in die Umkleide genommen hatte. Und wenn die TARDIS meinen Kleiderschrank gut kopiert hatte, dann müsste … Bingo! In der schwarzen kurzen Hose, die ich zuvor getragen hatte, fand ich eine Zopfhalter vor und drapierte mir so die Haare nach oben, ehe ich das kleine schwarz-bordeauxfarbene Hütchen aufsetzte, welches das Outfit komplett machte. Dann griff ich zu meinem Lippenstift – denn ja, dummerweise hatte ich diesen ebenso in den Hosentaschen – und zog zwei kräftige Striche. Fertig. Keine Ahnung, wie lange ich gebraucht hatte, vermutlich eine gute Viertelstunde, um mit den ganzen Stofflagen klarzukommen. Nun mehr fertig, trat ich hinter dem Vorhang hervor, etwas unsicher wie ich wohl wirken würde und sah dann zum Doktor und somit auch zu unserem Gast auf, deren Augen merklich größer wurden. „Das … ist um ehrlich zu sein etwas … seltsam“, fiel mir nichts Besseres ein. „Ja, es passt nicht zu dir. Man merkt, dass du nicht aus dieser Zeit kommst“, trug die Arcateenianerin ihr nicht vorhandenes Herz auf der toten Zunge ihres geliehenen Körpers. Mir zuckte der Mundwinkel nach oben, aber sie setzte sogleich zu einem weiteren Kommentar an, als dass ich gar nicht zum Sprechen kam, „Allerdings siehst du dennoch wirklich schön aus.“ Das Lächeln, das sich bei ihr zeigte, schien ehrlich, so dass ich es mit gleichem quittierte. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie der Doktor seinen Kopf nun mehr in der Handfläche abstützte und einen amüsiert, freudigen Gesichtsausdruck trug, als er mich betrachtete. Nicht diesen, den er Rose schenken würde, aber auch nicht abgeneigt. Also habe ich zumindest nicht gänzlich danebengegriffen, was die Londoner Mode Ende des neunzehnten Jahrhunderts betraf. „Schauen Sie zu ihren Füßen, linke Seite. Dort sollten die passenden Schuhe stehen, gab er mir noch als Tipp und sah sich dann selbst einmal im Fundus um. Den Trenchcoat, den er bis eben getragen hatte, über das Geländer werfend, hatte er fix einen zeitgenössischen schwarzen Gehrock gefunden. „Ich denke, damit sind wir gut ausgerüstet, Miss Garcia?“ Ich musste bei dem Namen grinsen, vor allem, als er seinen fix hervorgezogenen Zylinder mit einer verneigenden Geste vor mir hielt und schließlich aufsetzte. „Aber natürlich Mister Smith. Ich kann es kaum erwarten, die Gesellschaft der Londoner Upperclass kennenzulernen.“ „Sie meinen wohl eher das ganze Gegenteil“, verwies er auf Metatropeasis und hielt für einen weiteren Moment inne. Schließlich war er ein paar weitere Stufen hochgesprintet und hatte erneut den Fundus zu Rate gezogen. Hervorkam ein grauschwarzer zeitloser Poncho und ein damenhafter Rundhut, ebenso eine Art Scherpe. „Tu mir den Gefallen und leg dir das um den Hals“, ließ er die Sachen in Metatropeasis' Hände fallen, die etwas überfordert mit den Gütern war und tatsächlich versuchte, den Poncho um den Nacken zu schlingen. Das ging durchaus, war aber nicht so gedacht. „Warte“, rief ich und kam auf sie zu. Ihr die Scherpe abnehmend, legte ich diese mehrfach um den Hals und verknotete schließlich die Enden ordentlichen vor der Brust. Danach legte ich ihr den Poncho um die Schultern, der lang genug war, als dass er den Schmutz und die Risse in ihrem Kleid bedeckte. Ihr den Hut auf den Kopf setzend, war sie dann ebenso bereit. Wir sahen uns einen Moment in die Augen und ich wusste nicht, was das für ein Gefühl war, was mich dabei durchdrang, doch konnte ich es als etwas identifizieren, was mir mitnichten fremd war. So etwas wie … Sorge. Die Angst, alleine auf sich gestellt zu sein. Und wenn es das war, was ihr hier Kummer bereitete, so konnte ich ihr jenen zumindest ein bisschen nehmen. Denn das war etwas, was ich nie wollte, dass es andere genauso erfahren müssten. „Besser. Und jetzt … werden wir diesen Körper erst einmal wieder zurückbringen und dann schauen wir, ob wir einen anderen für dich finden, um nach einer Lösung zu suchen, okay?“ Metatropeasis nickte, doch konnte ich die Enttäuschung in ihren Blick ablesen. Die Enttäuschung, dass ihr Plan nicht aufging und sie nicht einfach hierbleiben konnte. „Verstehst du … was der Doktor meint?“ „Dass ich nicht hierbleiben kann? Nicht wirklich.“ Ich überlegte einen Moment und nahm dann zaghaft ihre Hand in meine. Es kostete mich etwas Überwindung, weil mein Gehirn mir sagte, dass ich hier gerade eine Tote berührte, aber ich musste dieses unangenehme Gefühl überwinden, um ihr helfen zu können. Zumindest irgendwie unterdrücken. Und deswegen atmete ich einmal tief durch, ehe ich weitersprach: „Probleme mit seiner Familie … das haben viele in deinem Alter. Egal, ob jetzt Mensch oder Arcateenianer. Ist normal. Weil man anfängt, selbst zu denken und sich nicht alles sagen lassen will. Man geht in Diskussion und es endet nicht immer gut. Es ist auch keine Schande, dass du ausgerissen bist. Das wollte ich damals auch. Aber Leute, die älter sind als du, haben meist auch mehr Erfahrung – und wenn ich dir sage, oder eben gar der Doktor, dass es ein Fehler ist, den du gerade begehst, dann versuche dieser Meinung gegenüber offen zu sein. Er ist der Letzte, der dir etwas Böses will. Ganz im Gegenteil.“ „Dann soll er mich doch hier lassen“, entgegnete die junge Arcateenianerin leise. „Und was willst du hier machen?“, hakte ich nun mehr etwas schroffer nach, „Du wirst hier nicht glücklich werden. Sobald die Leute erfahren, dass du kein Mensch bist, werden sie dich jagen. Weil sie denken, dass du ihnen etwas antust.“ „Aber das tue ich nicht“, wurde sie lauter und zog damit auch die Aufmerksamkeit des Timelords auf sich, der sich nun auf dem Weg zu uns begab, Stufe um Stufe. „Doch das tust du!“, spiegelte ich ihre Reaktion prompt, „Weißt du, was du den Menschen hier antust, wenn du in die Körper ihrer toten Lieben fährst? Wenn sie dich dabei sehen? Und du musst dich ernähren! Immer und immer wieder musst du dir Herzen einverleiben, damit du überhaupt leben kannst. Ist es das wirklich, was du willst?“ Argh, ich mochte es nicht, wenn ich so auffuhr. Ich hasste Streit, aber Sturköpfigkeit – die ich selbst nicht weniger besaß – hasste ich an solchen toten Punkten noch mehr. Wäre sie ein Dackel gewesen, hätte ich sie einfach auf dem Arm genommen und sie fortgetragen. Effektive Methode für nicht wollende Hunde wie diese. „Es ist immer noch besser als zurückzugehen!“ Die kurze Verbundenheit, die wir zueinander gespürt hatten, war da mit einem Mal wieder vollkommen dahin und obwohl es für mich nichts neues war, als Böse dazustehen, schmeckte es mir gewiss nicht, dass sie sich nun wieder drohte zurückzuziehen. Aber deswegen konnte man ihr kaum ihren Willen lassen, der für mehr Unglück und Probleme sorgen würde als Abhilfe. „Schön, und warum hast du dann den Doktor um Hilfe gebeten?“ Keine Antwort. „Ja, daraufhin weißt du nämlich nichts zu sagen, weil dir genauso klar ist wie mir, dass du ohne Hilfe hier nicht überlebst! Dass du dich in eine absolut beschissene Situation gebracht hast. Dass der Doktor deine einzige Chance ist hier rauszukommen und du nicht jämmerlich sterben musst! Und weil du verdammt noch mal ganz genau weißt, dass er Recht hat, dass ich Recht habe und dass es die Gefahr, in die du dich wegen deines dummen Stolzes gebracht hast, kein Stück Wert war!!“ Kaum hatte ich geendet, spürte ich den kräftigen Griff des Doktors an meinem Unterarm und ich fuhr ein bisschen erschrocken hoch. Ich hatte ihn nicht kommen sehen und ich hatte auch seine Stimme ausgeblendet, als er mich bereits zweimal beim Namen gerufen hatte. Genauso wenig, wie ich noch auf meine Gegenüber geachtet hatte, die nun beschämt den Kopf gesenkt hielt. Einzig und allein das Echo, welches widerhallte verriet mir, wie laut ich geworden war. So standen wir nun zu dritt hier und Metatropeasis war die Erste, welche die Stimme erhob und relativ gefasst für meinen Anranzer eben verkündete, dass sie oben warten würde. Ihre Schritte waren allerdings flüchtender Natur und ich lehnte mich an das Geländer, als ich oben die Tür zugehen hörte – ebenso lauter als nötig. Der Doktor hatte mich nun auch wieder losgelassen und verhielt sich schweigend. Was sollte ich sagen … war ich doch mehr von allem überfordert als ich zugab? Was war da aus mir herausgebrochen? „Ich sollte auf keinen Fall Kindergärtnerin werden“, gab ich schließlich zynisch von mir, vermied es allerdings aufzusehen, „Immer wenn ich ruhig bleiben will, raste ich schließlich doch aus oder finde Worte, die den anderen zusetzen.“ „Das ist menschlich. Ihr könnt Empathie empfinden, aber auch Wut und Hass. Aber ihr konntet noch nie komplett die Kontrolle über eure Gefühle halten.“ „Stimmt wohl.“ Ich seufzte leise und blickte dann doch noch schlussendlich zu ihm auf, „Manchmal wäre es wünschenswert, wenn wir es könnten.“ „Sagen Sie das nicht, das wäre mit der Zeit ziemlich öde.“ „Stimmt auch wieder.“ Ein paar Sekunden mit Schweigen verbringend, setzte ich schließlich noch einmal an, „Ich … möchte nur nicht, dass sie ins Unglück stürzt. Sie ist immer noch ein Kind und dass sie Ihre Hilfe gesucht hat, Doktor …“ „Ich weiß, was Sie meinen“, erwiderte der Timelord und machte dann Anstalten, schließlich ebenso nach oben zu gehen, „Wir werden sie auch definitiv wieder zurückbringen.“ Ich nickte und lächelte schwach. „Es tut mir leid für den Ausraster …“ „Bei mir müssen Sie sich nicht entschuldigen. Obwohl ich zugeben muss, dass Sie ein ganz schön lautes Organ besitzen! Autsch!“, rieb er sich das Ohr, worauf ich nur ein wenig empörtes „Hey!“ entgegenwarf. Aber natürlich lag er richtig. Nicht er war der Leidtragende an der Auseinandersetzung eben gewesen. „Lassen Sie uns aufbrechen, bevor es dunkel wird.“   Unser neues Ziel war also das Leichenhaus. Die Reise wurde doch ehrlich immer unterhaltsamer. Das hätte ich zumindest gerne gesagt. Im Grunde ging mir aber gerade ein bisschen der Hintern auf Glatteis. Zum einen waren wir immer noch auf der Flucht. Zum anderen mussten wir eine Leiche zurück bugsieren, um mit einer neuen zu entkommen. Das waren nicht gerade die Aussichten, die ich mir für meinen Aufenthalt hier erhofft habe. Zudem … was würde sein, wenn wir einen Weg gefunden hatten, unsere Arcateenianerin zu ihren Heimatplaneten zurück zu bringen? Also, was würde dann mit der Leiche passieren? Wollte ich das wissen? „Du weißt noch, wo du diesen Körper gefunden hast?“ „In etwa ja.“ In etwa also. Na besser als ein Keine Ahnung. „Was sollen wir machen? Ablenken, damit sie sich einschleusen kann?“, fragte ich den Doktor leise, während wie an der seitlichen Hauswand standen und uns so im Schatten der kleinen Gasse gedrückt hielten. „Das wird wohl das Beste sein. Keiner von uns beiden wird wohl erklären können, wie wir Elizabeth Stride getroffen haben.“ Wohl kaum. Also gut. Gemeinsam gingen wir beide also auf den Eingang des Krankenhauses zu. Anders als die heutigen Kliniken, meldete man sich dort direkt am Empfang und wurde erst danach weiterverwiesen. Wir müssten Metatropeasis also genug Zeit verschaffen, als dass sie sich entweder in die Leichenhalle schleichen konnte oder aber sie konkret dorthin bringen. Ich warf einen Blick über meine Schulter. Der lange Poncho und der Hut taten gut daran, ihre Identität zu verbergen. Zumindest wurde so erst einmal die Gefahr geschmälert, dass man ihr ins Gesicht guckte. „Kann ich Ihnen behilflich sein?“, sprach uns eine Schwester um die dreißig an und sah dabei von ihren Unterlagen, in die sie gerade blickte, zu uns über ihren Brillenrand auf. Ich musste schmunzeln, als ihr mir ihre Arbeitskleidung betrachtete: Heutzutage wurde darauf sehr geachtet, dass sowohl Frauen als auch Männer die gleiche Kleidungsform trugen, um das vorherrschende Klischee des Frauenberufes weiter zu reduzieren. In dieser Zeit allerdings war es genau das: ein Frauenberuf. Und entsprechend waren auch die Gewänder gestaltet: eine langärmlige, ausgestellte dunkle Tracht, über die ebenso fast bis zum Boden eine weiße Schürze reichte. Ärmelschaft und Kragen waren weiß gehalten und auf dem Kopf der Dame mit den zurückfrisierten Haaren befand sich eine Schwesternhaube. Auf der einen Seite hätte ich gerne einen Tag hier verbracht, aber auf der anderen Seite wusste ich auch, mit was für Krankheiten die damalige Medizinerschaft zu kämpfen hatten: Cholera, Tuberkulose, Diphterie, … jene Krankheiten, die wir in unserer Zeit zumindest in der westlichen Hemisphäre so gut wie ausgerottet wussten. Ich war nicht gerade scharf darauf, mir einen jener Erreger einzufangen und mein Respekt gegenüber Ärzten und Schwestern wuchs hier sogleich um ein weiteres Vielfaches an. Es war kein Wunder, dass man den Schwestern so gut wie kein Einkommen zuließ – immerhin wurde nicht erwartet, dass sie lange lebten. Wenn man immer dachte, dass gerade Ärzte und Pflege besonders immunstark waren, so waren es diejenigen, die vielleicht neben den Kohle- und Tagebau mit am meisten durch ihren Beruf verkümmerten und früher als andere starben. „Oh, das wäre wirklich zuvorkommend“, sprach der Doktor und trat einen Schritt vor. Er zog den Zylinder wie ein echter Gentleman und setzte eine ernste Miene auf, „Sie müssen wissen, wir sind auf der Suche nach der Schwester meiner Schwägerin, Miss Lydia Crawford. Uns wurde bekannt gegeben, dass sie in ein Londoner Krankenhaus untergebracht wurde, allerdings hatte man uns in dem Trubel nicht zukommen lassen, welches Krankenhaus.“ Seine Lippen zierte ein charmantes Lächeln, als er sich nun mehr an den Tresen stellte. Die Augenbrauen der Schwester gingen ein wenig skeptisch nach oben, als sie einen nach dem anderen unsereins kurz begutachtete. „Und Sie wollen sie alle besuchen?“ „Nein, nein“, widersprach der Timelord schnell, „Nur ich möchte sie gern besuchen, aber meine Begleitung bestand darauf, dass sie mitkommen. Sie müssen wissen, dass ich hin und wieder unter Dusel leide. Sie machen sich nur Sorgen.“ „Oh, wurde das bereits untersucht?“, wurde die Schwester nun aufmerksamer und ich merkte regelrecht, wie sie in ihrem Kopf nach allerhand Krankheiten suchte, die auf dieses Symptom zutrafen. Wohl bemerkt wusste ich nicht, was Dusel überhaupt darstellte und wartete auf eine entsprechende Erklärung, „Passiert Ihnen das öfter, Mister …?“ „Smith“, half der Doktor weiter, „John Smith. Und ja, so ziemlich jeden Morgen beim Aufstehen. Und jeden Abend nach einem guten Glas Whiskey.“ Das Grinsen auf seinen Lippen wurde etwas breiter und er stützte sich nun mehr mit dem Ellbogen auf den Tresen auf. „So … Mister Smith, vielleicht reagiert Ihr Körper nur einfach etwas empfindlicher auf den Alkohol und Sie sollten diesen wohl abends reduzieren?“, sprach die Schwester, sein Lächeln minimal erwidernd, ehe sie ein Buch hervorzog, aus welchem ein Lesezeichenband hing. „Diese Idee ist mir noch gar nicht gekommen! Brillant!“ Ich kam nicht umhin mit den Augen zu rollen. Das wurde mir etwas zu viel des Guten. „Wie hieß noch einmal Ihre Bekannte?“, hakte die Schwester nach und begann in dem Buch zu blättern. „Miss Lydia Crawford.“ „Um es richtig zu stellen: Sie müsste eigentlich bereits als Lydia Eliot eingeschrieben sein“, korrigierte ich und kam auf einen Schritt neben ihn. Unsere Gegenüber sah erneut auf und blinzelte, „Sie hat also geheiratet?“ „Ja, es ist aber erst ein paar Tage her und da uns die Nachricht erst vorgestern erreichte, weiß ich nicht, ob bereits alle Formalitäten geklärt worden sind“ In der Tat, ich glaubte mir fast selbst. „Nun, dann lassen Sie mich einen Moment bitte nachsehen. In welchen Krankenhäusern waren Sie bereits?“ „Oh, im Barts und im St. Thomas“, antwortete er Doktor – natürlich gelogen, aber es schien zumindest für keine große Aufregung bei der Schwester zu sorgen, während sie eine Seite umblätterte. Ich schaute mich währenddessen unauffällig um. Wir hatten eine gute Zeit erwischt, es war vollkommen ruhig. Es könnte also funktionieren. Ich räusperte mich leise. Metatropeasis an meiner Seite sah auf und sie gab mir mit einem leichten Nicken zu verstehen, dass sie die Zeit, die wir hier gerade herausschlugen, nutzen würde, um den Weg zurück in die Leichenhalle zu gehen. Mich also ebenso der Schwester wieder widmend, die nun die dritte Seite umschlug, hoffte ich nur, dass sie Erfolg hätte. Ich wusste nicht, wie wir ihr hier sonst ohne viel Aufruhr helfen könnten? „Verstehe. Wissen Sie, warum Sie eingeliefert wurde? Ich kann Ihren Namen bei uns nicht finden.“ „Vielleicht ist sie auch unter Lydia Hamlin eingetragen?“ Die Blicke des Doktors und der Schwester kreuzten sich, „Sie müssen wissen … Miss Lydia ist als uneheliches Kind zur Welt gekommen. Ihr Mädchenname ist Hamlin.“ Das war natürlich skandalös und deswegen sprach man auch nur mit gedämpfter Stimme über die Angelegenheit. So wie eben der Doktor es tat. Wir hielten uns in Schweigen auf, während wir auf ein – natürlich negatives – Ergebnis warteten. Es verstrich einiges an Zeit und das war auch gut so, denn keiner von uns beiden wusste, wie lange Metatropeasis brauchen würde, um wieder neben uns zu stehen. „Nein, tut mir leid, ich kann Ihre Bekannte nicht finden, Mister Smith. Da werden Sie wohl leider weitersuchen müssen. Nicht weit entfernt liegt das Mile End Hospital.“ „Oh, das ist ein wunderbarer Ratschlag. Den werden wir befolgen, nicht?“ Ich nickte und warf einen flüchtigen Blick durch die Halle. Niemand zu sehen. Niemand, der sich wie unsere Arcateenianerin verhielt. Was nun? „Es tut mir Leid, dass ich Ihnen leider nicht besser behilflich sein konnte. Ich hoffe, Sie finden Ihre Bekannte.“ „Danke, das ist wirklich sehr freundlich von Ihnen.“ Ich hörte die beiden zwar miteinander sprechen, aber die genauen Worte gingen an meinen Ohren vorbei. Wo ich noch den Schwächeanfall bei den Polizisten vorgegaukelt hatte, fühlte ich mich gerade wirklich ein bisschen elendig. Vermutlich war es die Mischung aus den zu warmen Schichten der Kleidung, die ich trug, die nicht gerade magenfüllende Mahlzeit des Gefängnisses und dann noch die dicke nach Medizin und Desinfektion riechende Luft, was mir gerade ein wenig das Blut in die Beine sacken ließ. „Miss, ist alles in Ordnung?“ Ich blickte zu der Krankenschwester, antwortete nur mit einem „Was?“, als ich deren besorgtes Gesicht sah. Der Doktor blickte nicht minder erschrocken drein. Sah ich so schlimm aus? „Ich glaube, ihr bekommt die Luft nicht“, versuchte der Timelord zu erklären, aber auch diese Worte glitten irgendwie an mir vorbei. „Schon gut, da ist sie nicht die Erste.“ „Alles okay, keine Sorge“, wollte ich beschwichtigen, doch spürte ich da bereits, wie mich zwei Hände fachgerecht stützten und ich so zu einem Stuhl geführt wurde, der unter einen unangenehmen Scharren herangezogen wurde. Mein Hintern fand Platz auf diesem und das auch keine Sekunde zu früh, da mir dann wirklich schwarz vor den Augen wurde. „Versuchen Sie, bei uns zu bleiben und sagen Sie mir bitte, wie Sie heißen!“ Der Zeige- und Mittelfinger der Schwester ertasteten meinen Radialispuls des linken Handgelenkes. „Alexandra … Garcia.“ Ja, das kriegte ich noch hin. „Gut, und wo befinden Sie sich?“ „In London. Im Krankenhaus.“ „Ist Ihnen öfters schwindlig?“ „Ein wenig.“ „Das passiert vielen jungen Frauen.“ Weil viele junge Frauen mit einem niedrigen Blutdruck zu kämpfen hatten und sich abmagerten. Letzteres zumindest zur damaligen Zeit, in der wir uns befanden. Aber ich schwieg und tat so, als wüsste ich nichts. Mir war in Wahrheit einfach nur zu warm, die Kleidung etwas beengend und ich hätte gerne frische Luft getankt. „Ich bringe Ihnen ein Glas Wasser. Mister Smith, passen Sie derweil bitte auf Miss Garcia auf?“ „Natürlich.“ „Ich bin gleich wieder da.“ Die Krankenschwester entfernte sich flotten Schrittes und ließ uns so einen Moment allein. „Entschuldigung“, entfloh es mir und ich versuchte mich dabei mehr auf meine Atmung als alles andere zu konzentrieren. „Nun zum Glück sind Sie an der richtigen Stelle. Und verschaffen unserem Arcateenianer etwas mehr Zeit.“ „Sehe ich sehr blass aus?“, wollte ich wissen und blickte langsam zum Doktor auf. Aus seinem Gesichtsausdruck konnte ich mir die Antwort schon schließen – aber natürlich sprach er jene auch aus. „Selbst für Ihre Verhältnisse sind Sie mir ein bisschen sehr fahl, ja.“ „Dann schaue ich besser nicht in einen Spiegel.“ „Zumindest verschaffen sie uns so gerade eine Menge zusätzlicher Zeit.“ Ich musste angestrengt lächeln. Wo er Recht hatte, hatte er Recht. Die Schwester kam schließlich mit einem größeren Glas Wasser zurück und sobald ich dieses getrunken hatte, ging es zumindest meinem Kopf wieder ein bisschen besser. „Ruhen Sie sich noch einen Moment aus, Miss Garcia. Und vielleicht sollten Sie Ihren Gehrock ablegen. Ich glaube, Sie sind just ein bisschen überhitzt.“ ich stimmte zu und machte Anstalten, mir das Kleidungsstück zu öffnen und somit für etwas Erleichterung und Luftzufuhr zu sorgen. „Sie werden bei Ihrer Begleitung bleiben, oder Mister Smith?“ „Natürlich“, versicherte der Doktor, als er von ihr angesprochen wurde. „Gut, ich muss nun nämlich die Medikamente für die Patienten in diesem Trakt vorbereiten. Wenn sich Miss Garcia schlechter fühlen sollte, bin ich gleich dort drüben.“ Sie deutete mit dem Finger auf den rechten Flügel, der von der Eingangshalle abging, „Rufen Sie mich einfach.“ „Oh, das erinnert mich daran, dass wir gar nicht Ihren Namen kennen?“ Nun mehr lag es an der Schwester irritiert und gleichzeitig etwas verlegen zu sein, „Verzeihen Sie bitte die Unhöflichkeit. Ich bin Schwester Anne.“ Ja, das passte gut zu ihr. Sie wirkte auf mich wie eine Anne. Ich musste leicht schmunzeln, als meine Erinnerung mir ein Bild meiner alten Freundin Anne abspielte – ein rothaariges Mädchen mit Sommersprossen, die ebenso Krankenpflegerin geworden ist. „Haben Sie in der Schwesternschule von Florence Nightingale gelernt?“ Schwester Annes Mundwinkel zuckten nach oben und sie streckte ein bisschen stolz die Brust hervor, „Sie haben davon gehört, Mister Smith?“ „Natürlich. Die Schwesternschule wird nur in höchsten Tönen gelobt!“ „Nun, dann hoffe ich doch, dass ich den Erwartungen gerecht werden kann“, kicherte sie nun sogar und entschuldigte sich schließlich, um ihrer Arbeit nachgehen zu können. „Sie wissen, wie Sie Frauen umgarnen können“, bemerkte ich fast schon ein bisschen zynisch und sorgte damit nur für ein fragendes Augenbrauenhochziehen bei Doktor. Leicht den Kopf schüttelnd, wedelte ich mir ein bisschen Luft zu und sah mich aus meiner sitzenden Position dann um. Immer noch kein Zeichen von unserer Außerirdischen. In jenem Moment allerdings, wie es meistens ja so war, erklangen plötzlich Schritte aus dem linken Flügel. Der Doktor und ich sahen zeitgleich auf. Der dunkelgraue Poncho kam mir sehr bekannt vor und auch der Hut, der den Kopf der uns Fremden schmückte, war doch eindeutig jener, den wir aus der TARDIS mitgenommen hatten. Kein Zweifel, das war sie. Anders als zuvor, hatte sie nun mehr allerdings nicht mehr den Körper einer fast Dreißigjährigen übernommen, sondern den einer weitaus jüngeren Frau. Mir kam sofort der Gedanke, dass diese Gestalt nun eindeutig besser aus zu Metatropeasis Auftreten passte als der Vorherige. Sie brauchte hier auch nicht mehr die Scherpe tragen, die ich ihr zuvor um den Hals gelegt hatte, nutzte sie aber dennoch als eine Art Überhang. Vielleicht gefiel ihr diese einfach nur. Die Kleidung, die sie unter dem Poncho trug, konnte ich bis auf die weiße Spitze am Knöchel nicht erkennen. Wenn sie sich allerdings den Körper einer Toten holen musste, dann war es wohl gar nicht anders möglich, als dass es sich hier um Leichenkleid handelte. Mir schauderte es etwas bei dem Gedanken. Dennoch war ich ausgesprochen froh, dass sie hier war. Es bedeutete, wir könnten aufbrechen und zurück zur TARDIS. „Es hat etwas länger gedauert. Ich habe den Weg nicht sofort gefunden“, erklärte sich Metatropeasis daraufhin, „Und ich brauchte etwas, einen passenden Körper zu finden.“ „Nun, das hast du getan. Dieses Mal aber nicht wieder ein Opfer eines Serienmörders?“ „Nein, ich habe mich vorher umgesehen“, schüttelte sie den Kopf und aschblonde Locken wackelten dabei lustig mit, „Sie ist an plötzlichem Herzversagen gestorben.“ Wow, das machte es gleich viel besser. Ich verkniff mir einen Kommentar. Wenn es mir nicht gut ging, dann war ich meist ein bisschen schnippisch, und das musste ich keinem meiner Umgebung antun. „Wir müssen uns auf dein Wort verlassen“, nickte der Doktor und sah dann wieder zu mir, „Meinen Sie, Sie können wieder?“ „Bestimmt“, nickte ich und atmete einmal tief durch, ehe ich mich auf die Armlehnen mit meinen Händen abstützte und schließlich hochschwang. Der Schwindel war so gut wie weggeblasen. Ich zog mir den Gehrock wieder ordentlich an, ließ ihn aber halb geöffnet. Auch wenn das nicht so manierlich war, war es mir immer noch lieber, als gleich erneut fast in Ohnmacht zu fallen. Die ersten Schritte waren noch zögerlich, aber sobald ich Fuß gefasst habe, konnte ich meine Beine dazu überreden, wieder ordentlich zu arbeiten. Wir sollten die Gunst der Stunde nutzen und uns aufmachen, bevor Schwester Anne wieder zurückkäme und Metatropeasis bemerkte. Ich hatte schon mit einer Verfolgungsjagd gerechnet, aber überraschenderweise gab es keine Probleme. Nein, wir kamen ganz ohne solche aus dem Gebäude und konnten ebenso ruhigen Schrittes die Straße verlassen. „Und du hast den Leichnam auch wieder dort hingebracht, wo du ihn gefunden hattest?“, erkundigte sich der Doktor bei Metatropeasis, die daraufhin nickte. „Ja, zumindest so in etwa.“ „Was soll das bedeuten?“ „Na ja“ Sie druckste ein bisschen herum und legte den Kopf zur Seite, „Ich habe ihn dort hingebracht, wo ich ihn gefunden habe, ja. Aber der Platz war schon besetzt.“ Ich ahnte, was sie meinte: Die Leichenkammern, in denen die Toten gekühlt aufgehoben wurden – oder in der damaligen jetzigen Zeit zumindest verwahrt. Klar, wenn dort ein Toter verschwand, dann würden sie den Platz für einen neuen räumen. „Du... hast sie dort also... abgeladen?“, mutmaßte ich und ich die Stimmung unserer Außerirdischen wirkte sogleich ein bisschen angeknackst, „Nicht abgeladen. Ich habe sie dort auf eine Liege gelegt.“ Also abgeladen. „In Ordnung, jedenfalls ist sie wieder dort, wo sie hätte sein müssen“, sprach der Doktor beschwichtigend und ich stimmte ihm zu. Mehr konnten wir gerade nicht tun. „Wir machen uns jetzt auf dem Weg zur TARDIS und werden dann zusehen, dass wir dich so schnell wie möglich wieder zurückbringen, bevor ein noch größeres Chaos entsteht.“ Daraufhin hatte Metatropeasis keine Erwiderung mehr. Unser vorheriger Streit lag ihr wohl noch zu gut in den Ohren, als dass sie sich jetzt widersetzen wollte. Zumindest nicht sichtbar. Ich konnte natürlich nicht wissen, was in ihrem Kopf vorging. Ich hoffte nur, dass sie keine Anstalten machen würde, abzuhauen. „Du sagtest, dass du von deinem Heimatplaneten geflüchtet bist? Was ist vorgefallen, dass du bis zur Erde gekommen bist?“ Der Gesichtsausdruck der Arcateenianerin wurde schwermütiger, nahezu verletzlich. Sie hatte darüber noch kein Wort verloren, was der eigentliche Grund hinter ihrem Ausreißen war und man konnte ihr anmerken, dass sie es auch jetzt nicht wollte. „Wenn es einen Grund gibt, warum wir also mit Fanfaren oder Ketten auf Arcateen V empfangen werden, würde ich das gerne vorher wissen.“ Zu recht. Auch wenn er der Doktor war und Abenteuer zu seinem Leben gehörten wie für uns Menschen das tägliche Atmen, waren auch ihm hin und wieder ein paar Informationen nicht zu wider. Metatropeasis wog mit sich selbst, aber als sie dann wieder zu uns aufsah, entfuhr ihr ein Seufzen und sie rückte schließlich mit der Sprache raus: „Sie wollten mich zwangsvermählen.“ Okay, das war … überraschend. „Oh, eine von den Eltern arrangierte Ehe. Der Klassiker. Egal in welcher Zeit und egal welche Rasse es betrifft, letzten Endes kommt es immer wieder zu diesem Generationsstreit“, bemerkte der Doktor in meine Richtung. Ich verzog den Mund zu einer schiefen Linie: „Kann ich nachempfinden. Ich wäre wohl auch abgehauen, wenn mich meine Eltern dazu zwingen wollten“, musste ich mich auf Metatropeasis' Seite stellen. Niemand wollte so über sein Leben entschieden wissen. Dass sie deswegen allerdings gleich ihren Planeten verließ … Nun gut, das war auch in meinen Augen etwas zu heftig. Jugendlicher Leichtsinn. „Hast du denjenigen denn kennengelernt, dem du versprochen bist?“, fragte ich nach und erhielt ein Nicken. „Ja, er … ist der Sohn unseres Regenten.“ „Politische Verwicklungen“, fügte der Doktor erneut hinzu und diesmal stupste ich ihm in die Seite. Seine Kommentare brachten uns gerade nicht groß weiter. Er ließ sich davon aber nicht beirren und hakte nach: „Wie heißt euer jetziger Regent?“ „Der Oikonomia.“ „Der, der seinem Namen alle Ehre macht. Sparsam lebend, sparsam regierend.“ Die Stirn runzelnd, ging er etwas in sich und kam nach ein paar Sekunden des Nachdenkens zu einer neuen schließenden Frage: „Sein Sohn ist Attlotita, richtig?“ „Ja genau.“ Darum hob der Doktor nur die Augenbrauen und zuckte leicht mit den Schultern. „Und was bedeutet das?“, wollte ich ein bisschen ungeduldig wissen, denn natürlich führte er seine Gedankengänge nicht weiter aus. Er wusste schließlich, wie es weiterging. Mir war sowohl Arcateen V als erst recht deren politische Lage ungewiss. „Arcateen wird von einem bescheidenen Regenten geführt.“ Und mehr sagte er nicht. Natürlich. Spoileralarm. „Bescheiden trifft nicht mal in Ansatz zu, was Attlotita betrifft. Er ist ein selbstsüchtiger, eingebildeter Idiot!“, platzte Metatropeasis heraus – so wie es nur ein Teenager konnte. „Ist es bei euch den üblich, dass man über den Köpfen der Kinder entscheidet, wen diese heiraten müssen?“, hakte ich nach und erfuhr ein Kopfschütteln. „Nein, das betrifft nur jene, deren Eltern in der Politik aktiv sind.“ „Dann... sind deine Eltern also auch in der Regierung...?“ „Um ehrlich zu sein sind sie vom Nachbarplaneten Arcateen IX. Deswegen sind sie auch so versessen darauf, mich zu verheiraten. Soviel weiß ich schon.“ Klar, denn das würde bedeuten, dass man für beide Planeten eine nachbarschaftliche Regenschaft erlangen würde, man hätte Partnerschaftsbeziehungen und wäre im Fall eines Krieges miteinander verbündet. Die Blutlinien würden weitergeführt werden, und und und … wie der Doktor sagte: Das übliche Szenario. „Wie alt … bist du eigentlich?“, traute ich mich nun zu fragen, da mir dies überhaupt noch nicht in den Sinn gekommen ist. Der Blick, der mir Metatropeasis in dem Moment zuwarf, sollte ich für die nächste Zeit nicht vergessen: Ich konnte ihr die Verzweiflung ablesen, den Kummer, den sie in sich trug und mit ihrer stacheligen Art zu überdecken versuchte. Irgendwo … sah ich in dieser Art sogar ein früheres Selbst von mir. „Fünfzehn.“ Das war einfach zu jung. Wie alt ein Arcateenianer werden konnte, wusste ich nicht, aber ich vermutete, dass es nicht nur achtzig Menschenjahre wären. Mit viel Pech wären es Jahrhunderte. Vielleicht war dieser Zukünftiger doch Wesen guter Natur und sie würden sich lieben lernen. Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Und das würde das Unglück bedeuten. „Ich werde nicht vor fünfundsiebzig die Position meiner Eltern einnehmen können.“ Damit hätten wir dann auch die Altersfrage geklärt. „Was genau … bedeutet das denn? Ihre Position einzunehmen?“, fragte ich weiter nach und erhielt zunächst ein weiteres kleines Seufzen, ehe unsere Wegbegleiterin missmutig die Lippen zu einer schmalen Linie verzog, „Wenn ich diesen eingebildeten Fatzken heirate, dann werde ich die rechtmäßige Regentin. Wenn diese Ehe schiefgeht, weil ich ihm sein Leben zur Hölle gemacht habe, bedeutet dies, dass ich an die königliche Beraterin werde.“ „Also versuchst du genau das zu erreichen?“ Es klang logisch, dass sie so dem Schlimmsten zu entkommen versuchte, aber ihr Schweigen daraufhin machte mir ein wenig Sorgen. Ich vermutete dass der Platz der Beraterin nicht mit weniger Unannehmlichkeiten verbunden war, wollte hingegen aber auch nicht tiefer in die Materie vordringen. Ich kannte die Arcateenianer und deren Geschichte nicht. Auch nicht deren Kultur. „Wenn du zwischen Pest und Cholera zu wählen hast, wie die Leute hier wohl sagen, was würdest du tun?“, stellte sie mir als Gegenfrage und sah mich nun mehr eindringlich an, „Mein Weg ist besiegelt. Ich kann nur das kleinere Übel wählen, welches mich nicht in die Knie zwingt und meine Selbstachtung zerstört.“ In diesem Moment erinnerte ich mich an die Zurechtweisung, die ich ihr zuteil hatte kommen lassen. Wie sehr ich mich aufgespielt hatte. Im Grunde hatte Metatropeasis mir nun allerdings gezeigt, wie wenig ich wirklich wusste. Wie wenig ich von meiner eigenen Welt wusste, in der ich lebte. Mir ging es gut – im Gegensatz zu ihr war ich frei, konnte frei entscheiden, wen ich liebte. Konnte frei entscheiden, wie ich leben wollte. Konnte frei für mich bestimmen, wie mein Leben verlaufen sollte. All das war ganz und gar in meiner Hand. Ihr hingegen war ähnlich wie in einem Kastensystem auferlegt worden, welche Rolle sie in der Gesellschaft zu spielen hatte und spielen musste. Würde sie nicht folgen … wer weiß? Würden ihre Eltern als Strafe ihr Leben lassen müssen? Würde sie ausgegrenzt werden? Getötet? Ich hatte keine Ahnung. Und mit dieser einen so trivialen kleinen Frage führte sie mir vor Augen, dass sie in jenem Moment trotz ihrer kindlicher Reaktion weitaus erwachsener war, als ich es im Vergleich zu sein schien. Metatropeasis senkte ein wenig den Blick und ich hatte das Gefühl, dass sie auf mein nun mehr hochgeschlossenes Dekolleté blickte, unter dem meine mir so wichtige Kette meine Haut zu berühren wusste. Mich durchfuhr ein sanfter Schauer. An einer Straßenecke blieb sie stehen und der Doktor und ich, die wir einen Schritt weitergegangen waren, taten es ihr gleich, sie verwundert ansehend. „Ich würde gerne wissen, wie es ist, wenn man sich denjenigen aussuchen kann, mit dem man sein Leben zu verbringen hat“, sprach sie leiser und relativ stimmlos, „Ich habe hier viele Menschen gesehen, die glücklich aussahen, als sie nebeneinander die Wege bestritten. Ich bin mir sicher, dass dies ein schönes Gefühl sein muss. Ist es das?“ Sie sah mir wieder in die Augen und aus dem sanften Schauer wurde ein unangenehmes Kribbeln auf der Haut, nahe gefolgt von einem einmaligen stumpfen Stechen in der Brust. Sie erwartete eine Antwort von mir und ich kam nicht umhin, für eine Sekunde zum Timelord zu sehen, welcher hingegen seine Augen ebenso auf unsere junge Außerirdische gerichtet hielt – für meinen Geschmack etwas zu ernst. Metatropeasis wollte nicht von ihm eine Antwort, sondern von mir. Da hatten wir den Schlamassel nämlich schon. Ich hatte meine Klappe vorhin zu weit aufgerissen und nun wollte sie, dass ich es abermals tat. Und ich hatte ehrlich zu sein. Nicht, dass mir Ehrlichkeit nicht lag, aber manchmal schmerzte sie und in diesem Moment verpflichtete mich die Arcateenianerin dazu, diesen Schmerz mit ihr zu teilen, weil ich ihn bewusst herbeiführen musste. „Ja … das ist“, antwortete ich also nach einer längeren Pause und versuchte ihrem Blick standzuhalten, „Das ist es wirklich.“ Sie nickte, als würde sie einen simplen Fakt verstanden haben. Dabei hatte sie mir gerade eine Lektion erteilt und nicht einfach nur ihre Frage beantwortet wissen. Daraufhin setzte sie wieder einen Schritt nach vorne und ging somit weiter. Doch anders als zuvor, schien sie ihre Schultern nicht vor Trotz und Sturheit gestrafft, sondern bekümmert eingesunken zu halten. Trauer. Weil sie vermutlich nie dieses Glück der Liebe erfahren durfte, was Menschen wie mir gewährt worden war. Und in diesem Moment spürte ich selbst einen gewissen Ekel davor, dass ich es als so selbstverständlich hingenommen hatte, meinen Liebsten gefunden zu haben und lieben zu dürfen. Viele konnten dies eben nicht. So wie Metatropeasis. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)