Out of the Blue. von Ikeuchi_Aya (Out of the box.) ================================================================================ Kapitel 7: Restless ------------------- Liebe ging bekanntlich durch den Magen. In unserem Fall füllte es meinen aber auf gute Art und Weise. Zumindest hoffte ich das, als sich unser Rundgang über einen kleinen Teil Radekans ausweitete und mir nicht nur die Füße wehzutun begannen, sondern auch mein Bauch signalisierte, endlich mal wieder etwas Richtiges zu essen zu bekommen – am besten mehr als nur ein Laibchen trockenes Brot. Vielleicht hätten wir uns schlicht die Zeit nehmen sollen, in der TARDIS etwas zu essen. Es gab dort doch alles! Also wohl auch einen gefühlten Kühlschrank. Dies würde ich allerdings später herausfinden müssen, denn jetzt … kreisten meine Gedanken nur noch darum, dass ich mit voranschreitender Zeit immer aggressiver würde, bekäme ich nicht bald was zwischen die Zähne. „Das hier ist unser schöner Garten Etkaden. Er wird von unserem Nachbarn gepflegt. Nur deswegen haben wir hier die prachtvollste Vielfalt, die ihr auf dem Planeten finden könnt.“ Duma versuchte uns mit seiner Begeisterung anzustecken, als er dem Garten hinter sich den Rücken zuwandte und ihn mit offenen Armen uns als Gäste zu präsentieren wusste. Und in der Tat gab es hier weitaus interessantere exotische Pflanzen, als ich sie auf der Erde oder in Büchern hätte finden können. Vielfältige Farben und Formen, Größen und Breiten. Alle nebeneinander liegend und miteinander verschlungen, aber nicht auf wildwüchsige Art. Tatsächlich erkannte man hier ein Muster: Die sternförmige feuerrote Blumen, welche auf ein glockenartiges Blumengewächs blickte, welches sich wiederum entlang des Weges schlängelte und in einen großen buchsbaumartigen Torbogen endete, welcher wiederum seine Wege ging. Alles war bedacht und wohl überlegt gepflanzt worden. Auch der Weg, perlmuttfarbige feine runde Steine, war kein Ergebnis des Zufalls. Man konnte hier seinen ganzen Tag verbringen und würde nicht überdrüssig, sondern immer wieder etwas Neues entdecken. Ein wundersames Labyrinth. Für mich fast schon zu viele Eindrücke, so dass ich meine Augen abwandte und dafür etwas weitaus Interessanteres zu beobachten wusste, als wir schließlich weitergingen: ganz unverfroren als wäre es das natürlichste der Welt legten sich Dumas und Metatropeasis‘ Hände ineinander. Vermutlich war es für sie auch genau das – natürlich. Den Umständen geschuldet war es dies aber eben drum nicht. Wir mussten nicht lange gehen, bis wir sein Zuhause erreichten. Ich wusste nicht, was ich erwarten sollte, aber Fakt war, dass ich vielleicht doch mit normalen Häusern gerechnet hatte. Die Bewohner Radekans wirkten bis auf ihre Libellenflügel so sehr Mensch wie wir. Warum sollten sie also nicht in Häusern wie wir leben? Weil sie keine Menschen waren. Einfache Erklärung. Uns erwartete somit etwas, was mich sehr an die fanatasievollen Erfindungen neuer Welten in Star Trek oder Fantasyfilmen erinnerte: Runde, zwiebelförmige große Gewölbe in Blau- und Violetttönen, deren Inneres Goldgelb heraus schien. Vermutlich Lichtquellen. Diese Art Häuser zogen sich einige Meter weit, umgeben von viel, viel Grün und hochwachsenden Bäumen. Vielleicht so etwas wie die Vorstadtzone? „Der Marktplatz ist von hier ein bisschen weiter weg, aber dafür leben wir hier in Ruhe“, schien Duma fast meine Gedanken zu lesen und trat schließlich auf eine dieser Zwiebelgebilde heran. Ich konnte nicht ausmachen, aus welchem Material diese Häuser hier bestanden, aber das würde ich wohl auch nicht können – und wenn ich zum Doktor schaute, der selbst recht neugierig auf die Wände starrte und bereits seinen Ultraschallschraubenzieher in der Hand hielt, um diesen auf jenes Konstrukt zu richten, würde ich auch von ihm wohl keine Antwort erwarten können, eher noch mehr Fragen: „Ein interessantes Material. Härter als Osmium, glänzend wie Titan, … wie werden die Rohmaterialien gewonnen?“ Der Schraubenzieher gab seine sirrenden Geräusche von sich, während er mit dem eigenen blauvioletten Licht die Oberfläche des Hauses untersuchte. Schließlich das Werkzeug wieder einsteckend, berührte der Doktor die Wand mit seiner Hand und strich drüber hinweg. „Wir bergen den Rohstoff aus unseren Gewässern“, erklärte der Radekaner und klopfte gegen die Außenfassade, „Natürlich müssen wir das Ganze dann noch etwas aufbereiten, damit wir überhaupt damit arbeiten können, aber es ist es wert, oder? Und nun kommt, es wird langsam spät und ich glaube, ihr habt Hunger?“ Das Stichwort! Ich konnte gar nicht anders als erleichtert ausatmen und bemerkte den Seitenblick des Timelords, verbunden mit einem Schmunzeln, „Ja, allerdings. Manche von uns können es kaum mehr erwarten, die Köstlichkeiten Radekans zu genießen.“ Ich zog eine Schnute, aber konnte mich über diese Bemerkung auch nicht ärgern – denn irgendwann sah man mir meinen hängenden Magen schlichtweg im Gesicht an. Ich kannte mich ja. Duma betätigte den Mechanismus der Tür, eine kaum für mein Auge wahrnehmbare Einbuchtung in der Fassade und mit einem Mal ging ein Vorhang hoch, welcher das Innenleben seines Heimes preisgab. Ich war fasziniert von dieser simplen Technik und versuchte jene noch mehr in Augenschein zu nehmen, als wir schließlich eintraten. Sobald wir allerdings mit unseren Füßen den Boden des Innenraums betreten hatten, schloss sich der Vorhang wieder und nichts erinnerte daran, dass sich dort noch ein Eingang befunden hatte. Eine Sicherheitsvorkehrung mit großer Wirkung. Nicht schlecht. Ebenso überrascht war ich allerdings von dem Innenleben der Behausung: Auf der einen Seite erlebte ich diese wie eine Mischung aus orientalische Einrichtung und naturalistischen Gestaltungselementen. Die Wände waren uneben, verzeichnet durch Faserstrukturen, welche das Material offenbarte. Sie trugen jene blauviolette Farbe, die wir auch schon von außen hatten betrachten können. Es gab runde Ausstülpungen, welche Lichtquellen in sich trugen. Dieses Licht flirrte – vermutlich waren das lebende kleine Tierchen? So etwas wie Glühwürmchen? Von jenen Lampen gab es mehrere in dem Raum. Über unseren Köpfen ragte eine Art zweite Ebene, ähnlich wie man es von einer Loft-Wohnung kannte. Vermutlich lag auch hier der Schlafbereich? Wir befanden uns jedenfalls im Wohn- und Esszimmer, denn nur wenige Schritte entfernt befand sich ein flacher langer Tisch, Sitzkissen und einige Abstellmöglichkeiten. All diese Möbel, die sich an den Wänden befanden, schienen mit jenen verbunden. Neugierig berührte ich die kleine Anrichte direkt neben mir, eine Art Kommode, in der gleichen blauvioletten Nuance. „Baut ihr euch eure Möbel selbst?“, musste ich einfach fragen, woraufhin unser Radekaner-Freund nickte, „Mehr oder weniger. Vieles wird hier oben entwickelt“, tippte er sich mit dem Zeigefinger an die Schläfe und ich sah ihn verdutzt an. „Reine Vorstellungskraft?“ „Ja – jede Behausung ist individuell. Das Konstrukt ist gleich, aber unsere Vorstellungen ermöglichen es uns, aus diesem Gebilde ein Zuhause zu machen.“ Ich konnte mir das nicht vorstellen, wie man mit bloßer Willenskraft ein ganzes Inventar herstellen sollte, aber es war zugleich auch sehr praktisch: Ginge etwas kaputt, könnte man ganz bewusst das wieder herstellen. Keine lästigen Reparaturservices oder Neukäufe wie bei uns. „Der einzige Haken ist, dass dies mit dem Fundament verbunden sein muss.“ „Deswegen ist auch alles in der Nähe der Wände oder direkt mit dem Boden verankert?“ „Richtig.“ Ich ließ meinen Blick schweifen. Manche Gegenstände lagen oder standen locker herum. Dies mussten dann wohl Dinge sein, die sich die Bewohner ganz einfach selbst beschafften durch Einkäufe oder Schenkungen Das traute Heim Dumas wirkt auf mich zwar zunächst äußerst exotisch, aber auf den zweiten Blick war es sogar sehr gemütlich. Er hatte für einen Mann einen guten Geschmack, was die Einrichtung betraf: Nicht übermäßig viel Verzierde, aber dennoch hie und da ein Wandschmuckstück, dessen Ursprung und Material ich nicht ausmachen konnte, welches aber so golden schien wie die Reflexion der Sonne auf einen Nugget. Hauchfeine Deckenbehänge erstreckten sich über unseren Köpfen, der Farbe ähnlich wie der zarten und doch widerstandsfähigen Kokons von Seidenraupen. Die Möbel waren hingegen auf Grund der Hauserstellung mit dessen Fundament verwachsen, jedoch waren die Kissen, auf denen wir saßen von gewaltiger Bequemlichkeit. Groß, rund, mit einem Fransensaum in einem wunderschönen Beerenrot. Der Tisch war mit zwei kleinen Kerzen in glasähnlichen Gehäusen bestückt. Nicht mehr. Es war eine gesunde Mischung aus Minimalismus und personalisiertem Raum, in dem Duma lebte. Mir gefiel es ihr zunehmend. „Du solltest dir Vorhänge anschaffen! Das macht es viel gemütlicher!“, bemerkte Metatropeasis, welche sich ebenso neugierig umguckte. „Du bist das erste Mal hier?“, wunderte ich mich fast schon, doch sorgte das mehr für Empörung bei meiner Gegenüber und auch ein bisschen bei ihrem Freund: „Natürlich“, äußerte sie sich aufgebracht, „Man besucht nicht einfach einen Mann in seinem Zuhause!“ Das ließ mich fast schon schmunzeln, dass unsere eigentlich so rebellische Arcateenianerin gewisse traditionelle Grundsätze dennoch nachging. „Bei uns ist dies zwar nicht so streng gefasst, aber …“ Auch Duma wirkte befangen bei dem Thema und zwischen den beiden hin und hersehend, musste ich mir ein deutliches Lächeln verkneifen. So, so … anscheinend waren sich die beiden ihrer Gefühle zueinander doch besser bewusst als gedacht. „Setzt euch doch bitte, ich werde euch etwas zu trinken bringen.“ Der Doktor ging voran, ließ sich ohne weiteres auf eins der Sitzkissen nieder und auch ich suchte mir einen Platz neben ihn. Metatropeasis schien noch etwas unschlüssig, setzte sich aber schließlich uns beiden gegenüber. Duma war in der Zwischenzeit verschwunden, wohl in einem angrenzenden Raum, der sich hier durch einen einfachen Durchgang vom Wohnbereich abgrenzte. Alsbald kam er zurück, mit einem Tablett, auf dem sich vier gefüllte Gefäße und eine halbvolle Karaffe mit purpurner Flüssigkeit befand. „Das Essen braucht noch einen Moment, hier erst einmal etwas zu trinken. Eine Spezialität unserer Gegend. Pupara-Nektar.“ Die Gläser und die Karaffe auf dem Tisch stellend, setzte er sich im Schneidersitz neben Metatropeasis und legte das Tablett zur Seite. „Was ... genau machst du eigentlich?“, fragte ich neugierig, weil ich mir nicht vorstellen konnte, was man hier arbeitete und ob man arbeitete. „Tut.“ Ich blickte schier zu meiner Seite und bekam so gerade noch mit, wie der Doktor die Lippen schloss. „Entschuldigung, haben Sie mich gerade angetuttet?“, bemerkte ich mit scharfen Seitenblick. „Wie?“ „Sie haben mich angetuttet!“ Die Augenbrauen des Doktors stiegen in die Höhe und er sah mich unschuldig wie ein Lamm an. „Ich weiß nicht, was Sie meinen.“ „Das mit der Zunge. Sie haben mich angetuttet, als ich wissen wollte, was Duma beruflich macht!“ Der Timelord wandte kopfschüttelnd seinen Blick von mir ab. „Tut“ „Da, schon wieder!“ Auf frischer Tat ertappt. „Was ... meinst du mit Tut?“, wollte Duma nun mehr wissen und brachte mich zu einem genervten Ächzen. „Das ist etwas, was die Briten gerne mit der Zunge machen, wenn sie etwas bei anderen beanstanden. Tutting.“ „Ah ... ich verstehe.“ Ja, ich hingegen umso weniger. Denn was war falsch an der Frage? „My deepest apologies, Doktor, aber das ist mein erster Planet fernab der Erde“, fügte ich mit einer Prise Sarkasmus hinzu und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ach kommen Sie“, zog dieser nun das Gesicht zu einer Grimasse, „Von allen Fragen, die Sie stellen könnten, fällt Ihnen tatsächlich nur ein, was die Leute Radekans arbeiten? Seien Sie ein bisschen kreativer! Fragen Sie sie doch lieber über ihr Leben, Naturphänomene, Paranormales, so was eben!“ „Oh, ich war Ihnen also zu normal. Entschuldigen Sie, Mr. Wannabevorzeigebrite in spe.“ „Bitte was?“ Ich erwiderte darauf nichts mehr, sondern ließ ihn in seiner Ratlosigkeit über diese Bezeichnung stehen, und entschloss mich lieber, einen Schluck von meinem Tee zu nehmen, welcher nun mehr in voller Blüte stand. Manche Dinge waren denen auf der Erde doch ähnlich: Auch hier gab es Knospen, die in das heiße Wasser getan wurden und die erblühten. Dann erst sollte man den Tee genießen. Während ich also etwas in mich hinein grummelnd das Gefäß anhob, bescherte uns Metatropeasis mit einem erheiternden Auflachen eine Auszeit. Ohne Grund, wie es uns schien. Sie hingegen hatten selbigen und bekam sich nur schwer wieder ein. „Ich verstehe kein Wort von dem, was ihr sagt, aber es ist echt amüsant.“ Na wenigstens etwas. Zumindest ließ mich das aber auch wieder etwas milder stimmen. Für Duma war das auch das Zeichen, dass er nun mehr auf meine Frage eingehen konnte, ohne dass es erneut zu Unannehmlichkeiten kommen würde: „Wir arbeiten auf den Feldern, um die Ernte einzutragen, welche uns die Heilige Mutter beschert. Ebenso arbeiten wir an den Gebäuden und betreiben Handel. So wie andere Völker. Nur können wir uns glücklich schätzen, dass es kein Heer braucht, um hier leben zu können. Wir leben in Frieden.“ Für mich das klang das nach einem sehr rustikalen Leben. „Was macht ihr?“, kam da auch schon die Gegenfrage, denn natürlich war es für Duma nicht weniger spannend zu erfahren, was abseits seiner eigenen Grenzen geschah. „Es gibt riesige Häuser mit Rohren, aus denen Rauch strömt!“, platzte Metatropeasis dazwischen. Viele Leute dicht gedrängt. Und abends scheinen sie weiter zu arbeiten, wenn schon alles dunkel geworden ist. Die Arbeit muss auf der Erde echt Spaß machen, weil sie die ganze Zeit dabei lachen!“ Sie war richtig begeistert von ihren Erlebnissen im viktorianischen London, aber das ließ mich eher entschuldigend lächeln. „Nicht ganz ... Wir arbeiten auch. In Fabriken, wie Metatropeasis sagte. Wir können unsere Einrichtungen nicht mit den Häusern verwachsen lassen und brauchen so Holz, Metall, Kunststoff. Es gibt viele verschiedene Berufe. Aber auch Ackerbau, wie bei euch. Und Handel. Was du allerdings abends gesehen hast ...“, wandte ich mich dann an die Arcateenianerin direkt, „Nennt man Pub. Das ist ein Ort, wo man abends hingehen und trinken kann. Deswegen herrschte da auch so gute Laune.“ „Ach so!“ „Und wie ist das bei euch?“ Duma wandte sich nun an den Doktor, welcher daraufhin etwas unruhig auf seinem Kissen wurde, wenngleich die lockere Fassade aufrecht zu erhalten versuchte. „Wir ... hatten ähnliche Beschäftigungen. Vielleicht etwas anders, was den Fortschritt oder die Materialien betrifft.“ „Ihr hattet?“ „Ich bin der Letzte meiner Art“, rückte der Doktor mit der Sprache raus und obwohl sich seine Augenbrauen weiter oben hielten und er ruhig und gelassen redete, atmete er während der Silben tief aus. Den Schmerz weg. Ich kannte diese Methode zu gut. Ohne zu zögern legte sich meine Hand auf seine, die er locker neben sich am Boden gehalten hatte. Keiner von uns beiden sah den anderen an und er reagierte auch nicht auf diese Berührung, aber ich hoffte irgendwo, dass er sie richtig verstand und annehmen konnte. Mit einem Mal ertönte aus der Küche ein kurzer pfeifender Ton, der die plötzlich gedrückte Stimmung auflöste und uns wieder daran erinnerte, dass wir alsbald eine Mahlzeit geliefert bekämen. „Ich bin davon überzeugt, dass der gute Geist der Heiligen Mutter auch dir wohl gesinnt ist. Selbst wenn du heute niemanden deiner Art findest, wird sich die Zukunft vielleicht anders gestalten“, verkündete Duma wie ein Prophet und erhob sich mit den Worten, dass er sich um das Essen kümmern wollte. „Ich helfe dir“, sprang Metatropeasis ebenso auf und ließ mich und den Doktor somit in der Schwere allein. Die leichte Seele der Jugend. Hätte in diesem Moment auch gerne gehabt. Ich warf einen Blick zum Timelord neben mir, welcher schlicht auf sein Glas schaute, vermutlich den Erinnerungen nachhängend, die er mit sich trug und die sich tief in sein Fleisch gebrannt hatten. Er hatte seine Hand nicht unter meiner weggezogen und so war es für mich noch schwieriger zu entscheiden, ob ich ihn ansprechen oder in Ruhe lassen sollte. „Kann ich ... etwas tun?“, sprach ich mit der Lautstärke auf ein Minimum reduziert. Eine doch dumme Frage, wie mir sogleich durch den Kopf schoss. Denn was sollte ich machen? Was auch immer die Geister waren, die ihn heimsuchten, könnte ich sie kaum verscheuchen. Und auch, wenn Dumas Ansprache optimistisch und hoffnungsvoll klang, so hatte ich das Gefühl, dass sich die Probleme des Doktors so nicht lösen ließen. „Nein, das ... können Sie nicht“, ließ er mich auch klar wissen und senkte dabei den Blick auf die Tischplatte, während er das Trinkgefäß in die Hand nahm und schließlich für einen Schluck mit den Lippen ansetzte, „Aber danke.“ „Okay.“ Ich richtete meinen Blick ebenso auf die Tischplatte und fühlte mich mit jeder Sekunde, die ohne Metatropeasis und Duma verging, schlechter. Nichts tun zu können, war für mich schon immer ein Problem gewesen. Ich war ein Problemlöser. Problem erkannt, Lösung besorgt. So einfach sollte es sein. Wenn auch mit Ecken und Kanten, aber ich wollte Probleme den Garaus machen. Nun aber wieder einmal mit Hilflosigkeit konfrontiert zu werden, die ich nicht umgehen konnte, machte mich sauer. Ich suchte in meinem Gedächtnis nach hilfreichen Phrasen, nach Ereignissen, die vielleicht eine Idee brächten, aber nichts. „Auch wenn ich nichts tun kann“, fing ich dann ein zweites Mal zögerlich an, „oder Sie von mir auch gar keine Hilfe wollen ... Ich bin hier, falls Sie Hilfe brauchen.“ Mehr stand nicht in meiner Macht. Ich war keine Rose, wollte das auch nicht für ihn sein, aber zumindest sollte er wissen, dass er mit seinen düsteren Gedanken nicht alleine sein musste, wenn er es nicht wollte. Der Doktor hob den Kopf und drehte ihn in meine Richtung, bedachte mich mit einem längeren, analysierenden Blick. „Und falls Sie überhaupt wollen“, redete ich weiter. Dieses Anstarren bereitete mir Unbehagen, wo ich mich so ungern beobachten ließ. „Sie haben in Ihrem Leben wohl bereits mehr gesehen als andere in Ihrem Alter“, schloss der Timelord ruhig. „Na ja, was man auf der Erde als viel bezeichnen kann.“ An seine Begleiter kam ich nicht ran. „Nein, Sie haben viel gesehen. Zu viel.“ Ich blickte hastig zu ihm auf wie ein Dieb, der auf frischer Tat ertappt war. „Wie kommen Sie darauf?“, wollte ich fragen und vertuschen, dass er gerade den Sturm in mir neuen Auftrieb gegeben hatte, welcher seit Monaten in mir tobte und sich nur schwer eindämmen ließ. Manchmal konnte ich ihn wegschließen, obwohl ich wusste, dass es besser wäre, ihn raus und einmal über sich ergehen zu lassen. Ich besann mich aber und ließ die Tür zumindest einen kleinen Spalt geöffnet. Breit genug, als dass ein kräftiger Luftstoß durchkommen und mich erfassen könnte: „Das ... gehörte zu meiner Arbeit. Das war die Basis meines Jobs.“ „Haben Sie diesen gern getan?“ Er klang nicht neugierig, eher ergründend. Ich nickte, lächelte zart dabei und konnte auch einfach mit meinen Worten nur bejahen: „Mehr als alles andere.“ Ich sah zum Doktor und auch auf dessen Lippen stahl sich ein kleines Lächeln. „Warum sind Sie dann gegangen?“ Und obwohl ich sonst immer die passende Antwort parat hatte, immer sagte, dass es die Umstände und die Konditionen waren, die mich rausgeekelt haben, konnte ich es zum ersten Mal nicht auf diese Art vortragen. Es klang für mich wie eine Lüge. Und ich war schon lange damit fertig, mich selbst und somit auch andere zu belügen. Deswegen schwieg ich erst einen Moment, wich seinem Blick aus, und dachte ernsthaft über diese Frage nach. „Womöglich, weil ich zu viel gesehen habe?“ „Aber Sie können nicht aufhören.“ Nein, das konnte ich wirklich nicht. Ich konnte es wegsperren, verstecken, wie ein nicht erlaubtes Haustier, was man dennoch mitgenommen hatte und das schließlich den Weg aus dem Sack unter dem Bett fand und zur Tür hinaus preschte, den schockierten Eltern entgegen. Genauso machte sich meine eigene Leidenschaft in mir breit. Und je länger ich sie verschloss, desto stärker wurde sie. Ein seltsames Paradoxon. „Nein, kann ich wirklich nicht. Ich denke immer sofort Was kann ich tun. Wie können wir das lösen.“ „Vielleicht sollten Sie zurückkehren“, schlug der Doktor mit einer gewissen Leichtigkeit in der Stimme vor, „Wenn es Sie nicht loslässt?“ „Hm ... vielleicht.“ Mir war der Gedanke bisher noch nicht gekommen, dass ich tatsächlich noch einmal in meinen alten Beruf gehen könnte, aber jetzt, wo es ausgesprochen war, schien es gar nicht so abwegig. „Und was ist mit Ihnen?“, warf ich den Ball nun zurück und sah entsprechend ebenso analysierend, wie er es eben bei mir getan hatte, zu ihm. „Sie ... können doch auch nicht aufhören.“ Die Augen des Doktors erzählten mir bereits Geschichten, während sein Mund weiterhin schwieg. Ich wollte keine Grenzen überschreiten, sondern ebenso subtil bleiben, wie er es bei mir gewesen ist. Deswegen beobachtete ich ihn aufmerksam und ich sah mit einem Mal all die kleinen markanten Furchen und Falten in seinem eigentlich jungen Gesicht. Eine Landkarte, die sein Leben zeichnete. Viele Dinge, die geschehen sein mussten. „Und Sie haben noch viel mehr gesehen, als es irgendeiner von uns verkraften könnte.“ „Glauben Sie mir, die Stimmen sind schlimmer als die Bilder, die sich mit der Zeit verwaschen. Die Stimmen derer, die schrien, vergisst man nicht.“ Ich sollte diesen Satz lange in meinem Gedächtnis bewahren. Es war der wohl offenste Satz, den der Timelord fernab sich selbst und der TARDIS gegenüber eines Menschen von sich geben würde. „Das ... kann ich mir nicht einmal vorstellen“, musste ich zugeben, „Ich hab weder den Krieg erlebt, wie meine Oma, noch habe ich mich in einer wirklich brennenden Lage befunden. Weitaus weniger erlebt als das, was andere durchhaben. Dafür bin ich dankbar. Aber ... umso mehr möchte ich auch, dass andere sich nicht mit Ihren Lasten allein fühlen. Das ... gilt auch für Sie, Doktor.“ Wir schauten uns einen längeren Moment in die Augen, ohne etwas zu sagen. Trotzdem war ich mir in dieser Sekunde sicher, dass wir einander auch so verstanden. Sie sehen jung aus, aber aus Ihren Augen, den Falten auf Ihrer Stirn und an Ihren Schläfen spricht die Seele eines Mannes, der die Endlichkeit jener Unendlichkeit gesehen hat. Sie verbergen es, aber ich kann die Angst aus Ihren Worten sprechen hören. Angst vor sich selbst, Angst vor dem, was durch Ihre Hände geschah und geschehen kann. Und trotzdem sind Sie immer noch hier. Und was der Doktor über mich dachte? Ich würde es nie wirklich wissen, aber mein Gefühl verriet mir, dass es ähnlicher Natur war. „Ihr Freund sollte sich glücklich schätzen“, meinte der Timelord nun mehr mit einem ehrlichen Lächeln auf den Lippen und in jenem Moment wand sich seine Hand unter meiner, bis er diese behutsam drückte. Eine Geste des Vertrauens. „Ja, das sollte er“, erwiderte ich leise auflachend und erwiderte den Händedruck sanft. So saßen wir einfach nur eine Weile beisammen und erst jetzt bekam ich mit, dass aus dem Nebenraum einige Geräusche hervor drangen, die an Geschirrklappern erinnerten. „Ich bin gespannt, was wir vorgesetzt bekommen“, bemerkte ich, als nun mehr auch noch ein schwacher süßlicher Geruch, ähnlich wie bei einer Vanillesuppe, in meine Nase drang. „Nun, zumindest nichts, was Sie auf der Erde bisher gegessen haben.“ „Schlauberger.“ „Sie haben gefragt.“ Und bevor wir beide uns wieder ein bisschen spaßig kabbeln konnten, was bei der Art des Doktors wahrlich keine Schwierigkeit darstellte, kam Metatropeasis mit einem Mal stolzen und strahlenden Hauptes und einer Art dampfenden Suppentopfs wieder ins Zimmer. „Vorsicht, heiß!“, warnte sie uns vor, als das massive Gefäß auch schon seinen Platz auf den Tisch fand. Fast schon unbemerkt, aber für mich nicht versteckt genug, fand ihr Blick Aufmerksamkeit in unseren Händen und ein übermütiges Lächeln zog sich auf ihre Lippen. Sie sah mich an und ich sie – Kein falsches Wort! Aber unsere Arcateenianerin legte sich jene in den meisten Fällen eh so, wie es für sie passte. Daher sagte ich lieber gar nichts. Aber Rache war süß. Und ein Späßchen wollte ich mir mit ihr erlauben. Ein paar Sekunden später kam Duma hervor, brachte ein großes Tablett mit vier Tellern, kleinen Schüsseln und einem Korb von brotartigen Gelege in diesem. Brot. Warum musste ich wieder an dieses äußerst delikate Gefängnisbrot denken? „Entschuldigt, dass Ihr warten musstet. Ich habe Metatropeasis noch ein wenig in die Zubereitung miteinbezogen.“, erklärte der Radekaner mit charmanten Lächeln und setzte sich dann zu uns, wie es auch schon seine Freundin getan hatte, die stolz wie Bolle über Ihre Rolle als Küchenbeihilfe war. „Ja, das hoffe ich doch“, entgegnete ich und obwohl ich von den beiden Männern keine Reaktion bekam, erhielt ich von Metatropeasis einen verlegenen bösen Blick, den ich nur lächelnd konterte. Kleine Retourkutsche. „Das sieht mir nach der radekanischen Haupt- und Festtagsspeise aus“, hob der Doktor neugierig seinen Kopf, als Duma eine Kelle in das Gefäß neben uns tunkte und in der anderen Hand eine der kleinen Schüsseln hielt. „Und ist dir der Name auch noch bekannt?“, schmunzelte Duma, während er die Portionen an uns zu verteilen begann. „Duglamesch“, schoss es sofort aus dem Mund des Doktors, ehe er dankend seine Schüssel entgegennahm, „Das mit Beste, was ich auf einem anderen Planeten habe essen dürfen.“ Das sollte schon was heißen, wo er doch nicht wenig umhergereist war. „Ist das so etwas wie ... Eintopf?“ Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, was diese violette suppige Flüssigkeit sonst sein sollte. „Denken Sie eher an Gulasch. Süßsauren, deftigen Gulasch. Nur ohne Fleisch.“ Das machte es mir nicht gerade appetitlicher. Am besten fragte ich auch gar nicht danach, was da drin war. „Es schmeckt hervorragend!“, ließ uns Metatropeasis wissen und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, dass sich die Wangen ihres untoten Körpers rötlich gefärbt hatten. „Psst“, gab Duma mit einem Zeigefinger auf den Lippen zu verstehen und stupste sie daraufhin mit selbigen gegen die Stirn. „Keine Geheimnisse verraten. Außerdem ist Duglamesch nur mit einem Stück Akanthar zu genießen. Das hast du vergessen.“ „Von wegen“, widersprach sie und begann dann das Brot aus dem Korb zu nehmen und in gerechte Stücke zu verteilen. Das Innenleben dieses Akanthars war fluffig, trug teigige Luftlöcher in sich und war genauso karamellcremefarben wie seine Außenhaut. Es dampfte in ihren Händen, also war es wohl auch frisch hergestellt. „Ich hab es nicht vergessen!“ „Natürlich“, lächelte Duma über diese Empörung seiner Freundin ganz besonders reizend und nahm ihr den Korb ab, nicht ohne dabei aber auch wesentlich ihre Hände mit seinen zu berühren. Freunde. Als ob. Ich will ja nichts sagen, aber ich habe noch nie so einen intimen Brotkorbaustausch gesehen. „Bevor wir allerdings anfangen ... beten wir.“ Er senkte den Kopf und schloss die Augen. Dabei legte er allerdings die Hand ihm gegenüber und Richtung Metatropeasis’ als Zeichen, dass sie und der Doktor diese ergreifen sollten und gleichzeitig auch unsere dann noch freie Hand mit der unseres Nachbarn verbinden sollten. Wir taten, wie uns gezeigt und schlossen ebenso die Augen und warteten auf das Gebet, was folgen sollte: „Oh heilige Große Mutter Adkata. Auch für den heutigen Tag danken wir dir. Wir danken dir für den Frieden, den du uns schenktest. Wir danken dir für das Licht, welches du uns zukommen ließest. Wir danken dir für die Gaben, mit denen du uns bestückt hast. Große Mutter, dein Geist lebt jeden Tag in und mit uns. Wir wollen dir für das Gleichnis, das du über uns brachtest, Ehre erbringen und mit jedem Bissen, den wir zu uns nehmen, deiner gedenken. Ohne dich sind wir nichts. Ohne uns bist nicht du. Ashandriam Yassola.“ Keiner von uns anderen wusste, was diese letzten beiden Worte bedeuten sollten, aber es wäre wohl so etwas wie ein Amen, so dass wir diese Formel aufsagten. Die Hand, welche seit geraumer Zeit in meiner lag, die Hand des Doktors, hatte bei den letzten Worten gezuckt. Warum? Wir öffneten die Augen, als Duma ein „Lasst es euch schmecken“ sprach und griffen daraufhin zu dem Besteck. Manche Dinge konnten noch so weit von der Erde in Zeit und Raum entfernt sein – aber ein Löffel wäre immer ein Löffel, sofern er dessen Funktion zu nehmen hatte. Ich schnüffelte an der Suppe, während der Timelord bereits beherzt den ersten Schluck verzehrte. In ihr schwammen verschiedene Gemüsesorten. Zumindest nahm ich an, dass es Gemüse war. Pilzähnlich. Nun, Pilz war gut! Zugegeben, ich musste über meinen Schatten springen, zu probieren. Wenn man mit so vielen Unverträglichkeiten und Allergien wie ich gesegnet war, dann achtete man schon dreimal auf das, was man zu sich nahm. Aber ich hatte auch die Erfahrung gemacht, dass die Küchen der Länder, die am weitesten entfernt waren, mir in der Regel am besten bekamen. Also los, Alex! Du kannst das! Das Duglamesch fand den Weg in meinen Mund und ließ einen wahren Geschmacksorgasmus explodieren. Was um alles in der Welt war das nur, was mich so vor Entzücken die Augen aufreißen und ungläubig in meine Schüssel starren ließ? Ich bewegte die Flüssigkeit und deren festen Inhalte mit der Zunge hin und her. Es schmeckte wirklich süß-sauer. Nein, sauer-süß. Und es war deftig. Irgendwo war Schärfe versteckt. Und hinten rechts, fast am Zungenbein, hatte es einen fleischigen Geschmack. Die Suppe prickelte leicht an den Geschmacksknospen und mein Körper erfuhr eine leichte Gänsehaut, als ich sie schließlich herunterschluckte. Das letzte Mal, dass ich solch einen Genuss erlebt hatte war ein Stück Rindfleisch bei einem japanischen Grill-Restaurant, das mir regelrecht auf der Zunge zergangen war. Auch, wenn es sich nicht so gut vom Geschmack her eingeprägt hatte, wie der Pfälzer Hirsch in Rotwein-Orangensauce, dem ich bis heute dankbar war, dass er sich hatte erlegen lassen. „Und?“, fragte Metatropeasis ganz aufgeregt und als ich in ihr Gesicht sah bzw. das der anderen wurde mir klar, dass ich meine Begeisterung wohl sehr offen gezeigt hatte. Alle guckten mich mit demselben wissenden Grinsen an. Erwischt. „Her...vorragend“, brachte ich leise hervor und musste sogar noch hüsteln, weil ich mich etwas verschluckt hatte. Ein Lachen entwich Dumas Kehle und er reichte mir den Korb. „Hier, nimm ein Stück Akanthar. Du wirst es brauchen.“ Ich verstand zwar nicht warum, aber ich tat einfach wie mir geheißen. „Erkläre ich Ihnen später. Essen Sie nur“, fügte der Doktor hinzu, während er selbst sich eine Portion Radekan-Brot genehmigte und im Wechsel mit seiner Suppe aß. (Die Erklärung war ganz einfach: Duglamesch wirkte letzten Endes wie ein riesiger Topf Chilli Concarne – das Brot war wie die erlösenden Tabletten gegen Blähungen) „Duma, ihr verehrt die Heilige Mutter Adkata“, begann der Doktor mit einem Mal, woraufhin der andere nickte, „Wie nehmt ihr Kontakt zu ihr auf?“ „Durch unsere Herzen“, erklärte Duma wie selbstverständlich, „Jeder kann die Heilige Mutter sprechen hören. Es ist sogar unsere Pflicht, sie jeden Tag in unsere Gebete einzubeziehen.“ „Wie oft betet ihr?“, fragte ich dazwischen, während ich einen Schluck von meinem Tee trinken wollte, aber sogleich vom Doktor leise angewiesen wurde, das nicht zu tun. (Radekaner tranken nicht zum Essen. Das würde bedeuten, dass man das mühsam zubereitete Gericht vor einem verschmähte) „Fünfmal am Tag. Vor jedem Essen, nach dem Aufstehen und vor der Nachtruhe. Am achten Tag der Woche gehen wir zur feierlichen Messe der Stadt.“ „Und wo ... ist sie aufzufinden?“ Duma verstand die Frage anscheinend nicht, da er den Timelord mit dem grandiosen Haar fragend ansah, dann allerdings zeigte er wieder sein nettes Lächeln, „Ach, das meinst du ... Ihr Heimatort ist Tavanim. Das Volk Radekans hat einen Tempel errichtet, um ihrer zu gedenken und zu ehren. Hier finden wir die Antworten auf unsere Fragen.“ „Und wer hütet den Tempel?“ „Hüten? Niemand. Wir sind ein friedliches Volk“, entgegnete Duma und nahm einen weiteren Löffel der köstlichen Spezialität zu sich. „Aber wie erhaltet ihr eure Antworten? Wer sagt sie euch?“ Der Doktor ließ nicht locker und etwas in seiner Stimme verriet mir, dass es nicht nur reine Neugier, sondern auch Argwohn war. Argwohn, welchen Duma nicht begreifen konnte, da er unter einer schützende Glocke des Pazifismus’ aufgewachsen war. List und Trug waren ihm so fremd wie mir das Leben auf Radekan. Metatropeasis hingegen, welche weitaus andere Erfahrungen auf Arcateen gemacht hatte, erkannte die Absicht hinter dem kleinen Verhör und warf sich schützend in das Wortgefecht: „Ist das nicht egal?“, ergriff sie sogar Dumas Arm, als wollte sie ihn wirklich vor dem Doktor beschützen, „Es geht allen gut und das dank der Heiligen Mutter. Das ist doch schön oder nicht?“ Der Timelord wechselte einen Blick mit ihr, ehe er seinen mit einem nicht gerade überzeugenden „Ja, natürlich“ senkte und den Löffel auf dem Teller legte, nachdem er das Essen beendet hatte. „Können wir diesen Tempel nicht vielleicht einmal besuchen?“, wandte ich ein, wohl wissend, dass dies unseren Aufenthalt hier auf Radekan verlängern würde. Aber ich hatte auch das Gefühl, dass es dem Doktor nun mehr gar nicht so viel ausmachen würde. Etwas hatte seine Skepsis angestoßen, sein Gefühl, etwas tun zu müssen. „Ja, das ist natürlich möglich“, nickte Duma und legte nun auch seinen Löffel zur Seite, „Es ist sogar nötig. Ihr solltet euch der Großen Mutter vorstellen.“ „Eine Höflichkeit des Gastes gegenüber des Gastgebers?“, schlussfolgerte ich. „So ist es.“ „Dann machen wir das doch, oder Doktor?“ Ich stupste ihm in die Seite, um eine Reaktion zu erfahren, woraufhin er aus seiner Gedankenstarre erwachte und ein schnelles Lächeln aufsetzte, „Ja, das wird uns eine Freude sein!“ „Hervorragend, ich freue mich, euch mehr von meiner Heimat zeigen zu dürfen! Aber pass bitte gut auf deine Begleiterin auf“, ermahnte Duma dann mit einem hochgezogenen Mundwinkel, „Frauen sind ebenso gleichberechtigt wie Männer – und eine Fremde auf unserem Planeten ist eine Seltenheit.“ „Keine Sorge, sie ist in guten Händen“, lächelte der Timelord zurück und hielt mit diesem schlechten Wortwitz meine Hand in die Höhe. Ich verstand zwar nur Bahnhof, aber was soll’s. Ich konnte mich schließlich wehren. Sowohl auf höfliche als auch auf nicht ganz so höfliche Art. Das wird schon. „So, nach diesem Mahl ... lasst uns auf den heutigen Tag anstoßen!“, verkündete unser Radekaner einmal mehr und erhob sich, um abzuräumen. Ein wirklich zuvorkommender Gastgeber. „Warte, ich mach das!“, sprang Metatropeasis da bereits auf, was mir ein durchaus breiteres Schmunzeln bescherte. „In Ordnung, dann gehe ich den Rasshal holen.“ „Sehen Sie es als Ingwerbier an“, raunte der Doktor mir wissentlich zu, woraufhin ich just nickte. Bier war okay. Bier sollte nicht betrunken machen. Dachte ich. Nach dem ersten Schluck war ich mir da aber nicht mehr sicher: Duma hatte eine große Flasche geholt, zumindest sah es nach einem Gemisch aus Flasche und Vase aus und die Flüssigkeit glich tatsächlich Bier – nur ohne Schaum, wenn man sie einschenkte. Ich war recht satt von dem Schälchen Suppe und den paar Bissen Brot, also wollte ich lieber nur ein Glas trinken, um meinen Magen nicht zu überfordern. Als Metatropeasis und ich schnupperten, erlaubte sich Duma einen Scherz mit uns: „Wisst ihr, woraus Rasshal gewonnen wird?“ Natürlich schüttelten wir beide den Kopf. „Aus den Mägen von vier Tagen gehängten Tahaal.“ Keiner von uns beiden reagierte. „Tahaal sind Fische“, erklärte der Doktor, „Etwas größer als ein Delfin, vom Geschmack ähnlich wie diese Heringe. Riesenmägen.“ Sofort rückte Metatropeasis angeekelt das Glas von sich weg. Ich war weniger schnell zu verschrecken: „Das geht doch gar nicht. Ein Magen ist ein Hohlorgan. Wie soll daraus Flüssigkeit gewonnen werden?“ „Die Verdauungssäfte betragen um die 120 Liter.“ „Sie veräppeln mich.“ „Nein, es wäre also gegärter Verdauungssaft mit Nahrungsresten, den Sie da zu sich nehmen.“ Nun schaute auch ich angewidert in mein Glas. Der Spaß war gelungen: Duma lachte laut auf und entschuldigte sich sofort, „Keine Sorge. Das ist rein pflanzlicher Natur. Tahal.“ Mein Blick glitt zum Doktor: „Sie haben mich doch veräppelt.“ „Ich sagte nur, Sie würden trinken. Ich habe Sie nicht angelogen“, wies er jegliche Schuld von sich. Meine Augen wurden schmaler und ich musste wohl oder übel aufgeben. Da hatte er wohl recht. Tahaal und Tahal. Kleiner Unterschied in der Betonung. „Das war gemein“, beschwerte sich Metatropeasis, „Mach das nicht nochmal!“ Wie mädchenhaft sie bei ihm klang ... Irgendwie süß. „Also dann, lasst uns anstoßen. Auf euer Erscheinen und darauf ...“ Duma machte eine kleine Pause und blickte zu seiner Freundin, „... dass ihr mir Metatropeasis gebracht habt. Ich danke euch von Herzen.“ Ja, da tat er. Und das taten auch wir – herzhaft anstoßend. Ich sagte ja bereits, dass ich mir weniger Wirkung versprochen hatte. Aber was auch immer diese Tahal-Pflanze darstellte ... sie hatte eine Menge Alkohol nach der Gärung in sich. Einen mutigen Schluck zu mir genommen, spürte ich im nächsten Moment, wie mir mit einem Mal wärmer wurde und sich diese Hitze in meine Wangen ausbreiten wollte. Es schmeckte wirklich nach Ingwer-Bier, was es nicht besser machte: denn schon nippte ich erneut an dem Gebräu. Versteht mich nicht falsch, ich trinke nie in Übermaße – aber genau das war das Problem: den unterschätzten Alkoholgehalt und dass ich somit nicht (mehr) trinkfest war. Beides zusammen eine üble Kombination. Eine sehr üble Kombination. Während ich bereits die Heiterkeit spürte, die mich beflügelte, schien Duma kein Stück angetrunken zu sein. Beim Doktor war ich mir nicht so sicher, vielleicht ein kleines bisschen, aber Metatropeasis hatte es genauso erwischt wie mich – nur schlimmer. Worüber wir uns jetzt unterhielten? Ich würde es euch lieber ersparen ... glaubt mir. Alkoholgespräche endeten nie gut. „Jetzt mal im Ernst, willst du wieder nach Hause?“, hakte Metatropeasis nach und hatte sich dabei über den Tisch gebeugt, um mich genaustens zu beobachten. „Klar doch!“, platzte es aus mir raus, „Da warten schließlich Menschen auf mich! Meine Familie, meine Freunde und mein Freund.“ „Aber das ist voll gefährlich bei euch.“ „Du warst in der falschen Zeit!“ „War ich nicht. Die Unterlagen meines Vaters sagten, dass es genau die richtige Zeit war. Ganz genau“, setzte sie mit einem bedeutsamen Nicken nach. Tja, da hatte wohl jemand die Reiseinfos Papas gestöbert, um sie für sich zu nutzen ... „Aber dann kannst du ja nach Hause und ich reise weiter mit dem Doktor!“ Der Angesprochene schüttelte nur sachte den Kopf, während er – gefühlt unberührt vom Alkoholrausch – einen weiteren Schluck nippte: „Warum nur schmeckt dieser Rasshal nur so überaus ekelerregend wie auch gleichzeitig erfrischend? Besser als ein Bananen-Daiquiri und das heißt schon was!“ Nein. Er war nicht unberührt geblieben. Er konnte es nur selbst jetzt nicht lassen, Dinge zu untersuchen und zu scannen. Unfassbar. Was musste ich ihm präsentieren, damit er es ließ? Ein Pferd auf dem Flur? „Wenn ich nicht hier bleiben kann, dann will ich nirgendwo hin!“, jammerte die junge Arcateenianerin und lehnte sich wieder zurück. Dann zu Duma herumdrehend, als hätte sie eine Idee, sah sie ihn flehentlich an, „Ich will bei dir bleiben!“ Duma selbst war wohl der Nüchternste von uns allen – kein Wunder, er kannte sein Heimatgetränk und dessen Wirkung ja auch nur zu gut. Beschwichtigend legte er die Hand an ihren Kopf und strich dabei regelrecht zärtlich ihre Wange entlang. Auf seinem Gesicht zeigte sich Sorge, aber auch Kummer – zum ersten Mal an diesem Tag. „Ich weiß, Metatropeasis. Ich weiß.“ Nein du Idiot, das heißt Ich will auch, dass du bei mir bleibst. „Ich will wirklich bei dir bleiben!“, beteuerte sie abermals und nun mehr klang es nicht nur sturköpfig, sondern auch kläglich. Nahezu weinerlich. „Jetzt mal im Ernst“, warf ich dann ein, hatte nun mehr mein zweites Glas Rasshal vor mir stehen – das vermeintlich schwache Ingwerbier, „Was ist das da zwischen euch? Merkt ihr eigentlich, wie überaus nicht freundschaftlich ihr euch benehmt?“ Ich deutete mit meinem Zeigefinger abwechselnd von einem auf den anderen, „Wollt ihr Freunde sein? Dann wirst du sie vermutlich bald gar nicht mehr wiedersehen“, machte ich Duma klar, der wohl gut genug um die Zwangsheirat wusste, „Und du, willst du das auch? Dann wirst du bis an dein Lebensende unglücklich oder erhängst dich vorher.“ „Ich glaub, Sie haben zu viel getrunken“, ermahnte mich der Doktor, die Hand an mein Glas gelegt, welches ich fix zur Seite schob, „Sagt der Richtige.“ Währenddessen sahen sich Metatropeasis und Duma irritiert an. Niemand hatte sie bisher so klar mit dem konfrontiert, was zwischen ihnen vorging. Sie hatten sich darüber auch nie Gedanken machen müssen. Wenn man glücklich ist, dann glaubt man auch alle Zeit der Welt zu haben. Einfach so weitermachen zu können. Nur, wenn die Zeit dann knapp wird, ist dem nicht mehr so. Und ich hatte gerade nicht nur ihre bisherige Freundschaft in Frage gestellt, die wohl weitaus mehr war, sondern auch aufgezeigt, dass sie nicht mehr warten, sondern handeln müssten, um etwas zu ändern. „Redet miteinander. Das tut ihr doch so auch immer“, riet ich an, „Na los jetzt! Hopp, hopp!“ Ich wedelte mit der Hand von mir weg, „Geht schon. Macht ’nen Spaziergang oder so.“ Aus Dumas Gesicht war jede Lockerheit vergangen. Er sah erst mich ernst an und daraufhin Metatropeasis. Ich glaube, er begriff, worum es ging. Seine Hand legte sich an ihre und er zog sie mit hoch: „Komm.“ Mehr sagte er nicht. Metatropeasis' Stirn kam ins Runzeln und anhand ihrer Augen konnte ich sehen, dass sie Angst hatte. Das war für sie unbekanntes Gewässer. Sie wusste nicht, was sie zu erwarten hatte und wusste so auch nicht, wie sie reagieren sollte. „Du bist unmöglich“, sprach sie mir noch zu, ehe sie aufstand und ihm folgte. „Ach ja“, wandte sich Duma noch einmal an den Doktor und mich, „Wenn ihr schlafen wollt ... das Gästezimmer ist hier drüben.“ Und damit waren die beiden verschwunden. „Das war ziemlich direkt“, bemerkte der Doktor daraufhin und zog durch bis zum letzten Schluck, ehe er mit einem Durchschütteln seiner selbst das Glas absetzte. „Klar. Und was meinen Sie, Doktor?“ „Hm?“ Er sah mich fragend an und klimperte mehrmals mit den Augen, was mich sehr irritierte. Angetrunken. Oder betrunken. Auf jeden Fall nicht mehr nüchtern. „Wir sollten etwas gegen diese Zwangsheirat unternehmen, oder?“ „Wir haben uns nicht in die Geschichte der beiden und damit auch des Planeten einzumischen.“ „Ach kommen Sie! Wie oft haben Sie das schon getan?“ Eine gemeine Karte, die ich ausspielte. „Das ist was ganz anderes“, verzog er das Gesicht wie ein Kind, dem etwas nicht schmeckte. „Nein, ist es nicht“, schubste ich ihn an und bemerkte dabei, dass es ihm schwerer fiel, die Balance zu halten, „Wir geben einfach nur ihren Eltern den guten Hinweis, dass sie sich das überlegen sollten mit der Heirat und verschwinden. Was ist daran verboten?“ „Einfach alles“, setzte er entgegen und drehte das Glas zu seinen Händen, „Wissen Sie, was mit dem Zeitreisen verbunden ist?“ „Auf große Macht lastet große Verantwortung“, zitierte ich den guten alten Onkel Ben aus Spiderman und verdrehte die Augen, „Aber auch Verantwortung gegenüber Gerechtigkeit.“ „Das verstehen Sie falsch“, wankte der Doktor wieder in seine Ausgangsposition zurück. Ich musste mir den Spaß erlauben und ihn ein weiteres Mal anschubsen. Er erinnerte mich nämlich an eine Stehaufmännchenfigur und diese mochte ich immer noch zu gern. Wieder geriet er ins Wanken, was ihn aber nicht am Reden hinderte, „Sie sind keine Weltenretterin und sollten es auch nicht sein.“ „Sind Sie auch nicht, aber Sie tun’s trotzdem immer mal wieder.“ Wieder in seine Ausgangsposition kommend, wollte ich ihn ein drittes Mal anschubsen, aber dieses Mal verfehlte ich mit meiner Hand seine Schulter und landete stattdessen mit meiner gegen seiner. Ich blieb in dieser Position und ließ einen angetrunkenen Seufzer von mir, „Lassen Sie sich’s doch durch den Kopf gehen. Bitte.“ Mehr nicht.   Ich kann nicht mehr sagen, wie ich an dem Abend ins Bett gekommen bin und der Doktor wollte mir auch nichts verraten. Wir waren zumindest noch vor Dumas und Metatropeasis’ Rückkehr zu Bett gegangen. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, auf dem etwas seltsam fluffigweichen großen Bett, der Doktor auf der anderen Seite liegend, bekam ich zunächst nur einen starken Kopfschmerz zu spüren. Autsch … dabei war ich immer noch der Meinung, dass ich gar nicht so viel getrunken hatte … falsch gedacht. Von der Menge vielleicht, aber nicht von der Qualität. Mich seitlich aufsetzend hielt ich mir die pochenden Schläfen und murrte ein wenig. Mit einem faden Gähnen blickte ich mich um. Das Schlafzimmer war ein Raum ohne Fenster, fügte sich genauso in das Heim ein, wie auch alle anderen in seiner Gestaltung und dem Mobiliar. In meinen Augen fehlten nur noch ein, zwei Lichterketten, damit es hier richtig gemütlich geworden wäre. Wir hatten auf dem Bett keine Decke, anscheinend brauchten das die Leute hier nicht. Die Kissen hingegen waren echt und genauso weich wie jene, auf denen wir gestern im Wohnzimmer saßen. Außer dem Bett befand sich hier nur noch ein Schrank. Keine weiteren Elemente. Es war eben wirklich nur ein Schlafzimmer. Ich musste zugeben, dass das Bett sehr bequem war und genau den richtigen Härtegrad für meinen Rücken wusste. Es gab nach, wo es nachgeben musste und blieb hart, wo es stützen sollte. Konnte ich das Ding nicht mit nach Hause nehmen? Der Doktor hätte wohl etwas dagegen, so ein großes Ding mit in die TARDIS zu schleppen. Apropos … Ich schaute zur Seite und sah dort den Doktor, mir den Rücken zugekehrt, liegen. Schlief er? Schlief ein Timelord überhaupt? Das war mir zu dem Zeitpunkt noch nicht klar gewesen. Ich war neugierig, aber eine gewisse Distanz sollte doch gewahrt werden? Deswegen beugte ich mich nur ein klein bisschen über ihn – gerade so viel, dass ich sehen konnte, dass der Doktor die Augen geschlossen hatte. Komisch, wie anders Leute aussahen, wenn sie sich im Schlaf befanden und nicht eine Gesichtsregung ihren Körper belebte. Er wirkte so ruhig, gelassen, aber irgendwie auch angespannt. Sein Profil erinnerte mich an meinen Liebsten, ich musste ein bisschen darüber schmunzeln, aber im Grunde hatten sie so nicht viel gemein. Der Doktor wirkte ernster, älter, eindeutig wie ein Mann, der viel erlebt und gesehen hatte. Es fehlte eine Art kindliche Gelassenheit, welche ich bei meinem immer sehen konnte. Mich langsam vom Bett erhebend, streckte ich mich noch einmal und rieb mir die Augen. Müde war ich immer noch. Ich hob ein Bein vors andere und trat langsam aus dem Schlafzimmer wieder auf den kleinen Flur, welcher zum Wohnzimmer führte. Was mich da erwartete, ließ mich noch mehr schmunzeln. So viel eben zu den guten Freunden … sagte ich‘s doch. Sowohl Metatropeasis als auch Duma hatten es sich im Wohnraum inmitten den Kissen gemütlich gemacht – miteinander. Keine Ahnung, was zwischen den beiden am Abend noch vorgefallen war, aber sie wirkten innig und zufrieden, wie sie so beieinander lagen, gewisserweise konnte man von aneinandergekuschelt reden. Ich musste die beiden einfach ein kleines Weilchen still beobachten und blieb so im Zimmerdurchgang gelehnt stehen. Keine Ahnung wie lange, aber wohl lang genug, als dass sich auch der Doktor schließlich aufbequemt hatte, denn mit einem Mal hörte ich seine halb verschlafene Stimme hinter mir: „Sie haben einen sehr belebten Schlaf“, bemerkte er und ließ dabei seine Halsgelenke knacken, in dem er den Kopf einmal zur linken und einmal zur rechten Schulter neigte. Er trat direkt hinter mich, musste aber stehen bleiben, weil ich es auch tat. Als ich mich zu ihm wandte, sah ich seinen etwas überraschten Gesichtsausdruck und mein Grinsen wurde breiter: „Sind Sie immer noch der Meinung, dass wir alles seinen Gang gehen lassen sollten? Die Stirn des Timelords runzelte sich beim Anblick der zwei und er schaute ein bisschen ernster zurück zu mir: „Sie sind weder Armor, noch sind Sie dafür zuständig, dass sich das Leben der Zwei so gestaltet, wie sie es sich wünschen.“ „Nein, aber ein wenig anstupsen darf man doch noch?“ Er erwiderte nichts, aber ich wusste, dass er zumindest ein gewisses Maß an Verständnis für aufbringen konnte. Es war schließlich gewiss nicht das erste Mal, dass der Doktor bei zwei Personen mitbekam, wie sich das Schicksal gegen sie gestellt hätte. Auch nicht das erste Mal, dass er die Geschichte drehen würde. Seltsamerweise versuchte er aber immer wieder, dies nicht so aussehen zu lassen und sich noch einmal rauszuwinden. Mit wenig Erfolg, wir ihr wusstet. „Zumindest so ein kleines bisschen.“ Ich wusste ja selbst gut genug, dass wir Vorsicht mit unseren Taten walten lassen sollten. Nicht übertreiben. In diesem Moment begann Metatropeasis zu murren, sich ein wenig zu winden und Anstalten zu machen aus ihrem Schlaf aufzuwachen. Ich schmunzelte und als sie schließlich langsam die Lider hob, begrüßte ich sie mit einem „Guten Morgen“, so dass sie sich nicht überrumpelt vorkäme, wenn sie uns beide plötzlich erblickte.   Wir frühstückten – es gab eine sämige Suppe, fast schon puddinggleich, welche ein bisschen nach Vanille schmeckte. Dennoch waren es just einheimische Gemüsesorten, die aber aus einheimischen Gemüsesorten bestand. Es war ein ruhiger Morgen und Duma erklärte uns, dass wir bald aufbrechen müssten, um noch vor dem mittäglichen großen Gebet die Große Mutter aufzusuchen. Ich glaube, das war so ein bisschen mit unseren Sonntagsmessen zu vergleichen. Vermutlich nur noch weit umfangreicher. Wir brachen so recht zeitnah auf. Kaum verließen wir das Heim, erreichten uns die morgendlichen Sonnenstrahlen Radekans, welche die Erde weitaus güldener beschien, als wir es auf der Erde je hätten sehen können. Die wundersamen Pflanzen, welche die übrigen Häuser ein bisschen voneinander abtrennten schimmerten in vielen Facetten gebrochenen Lichtes und hier und da waren noch die Nachwirkungen der Nacht in Form von Tautropfen zu beobachten. Die Luft war klar und kühl. Ich musste unwillkürlich lächeln. Auf unseren Weg erfuhren wir so einige Besonderheiten zu den Lebensweisen der Radekaner: Alles, was sie wissen mussten, lernten sie in ihren Familien. Im Gegensatz zu gestern Nachmittag schien die Welt hier regelrecht aufzublühen. Viele beschäftigte Wesen mit bläulicher Haut und Libellenflügen kreuzten unsere Wege. Man konnte es fast schon mit der Rushhour gleichsetzen, die man auf der Erde in Großstädten kannte. Ich hatte keine Ahnung, was sie hier alles arbeiteten und ob es nicht auch seltsame Jobs gab, die wir uns nicht einmal vorstellen konnten, aber als wir nach einem kurzen Spaziergang durch die Flora wieder den Marktplatz erreichten, fühlte ich mich glatt ein bisschen heimisch: Die Einwohner der Stadt bauten gerade ihre Stände aus und anhand der noch zur Seite gestellten Auslagen konnte man bereits erkennen, dass auch hier mit nichts anderem als Güter des Agraranbaus, der Viehzucht und des Handwerks gehandelt wurde. Ein paar der Stände waren sogar bereits halbwegs aufgebaut und an einem, welcher mit interessanter floraler Dekoration ausgestattet war, bemerkte ich, wie uns ein Händler heran winken wollte. Ich war mir unsicher, ob ich einfach hingehen konnte – Schon bei mir auf den Märkten machte ich das nur, wenn ich auch wirklich was kaufen wollte, doch war Metatropeasis schneller darin, mir diese Entscheidung abzunehmen. Neugierig schlüpfte sie zwischen dem Doktor und mich hindurch und damit zum Stand hin, vor dem sie interessiert stehen blieb. Folgend war Duma, der seine Freundin natürlich nicht alleine hier stehen lassen wollte. Ich schaute zum Doktor auf, welcher nur mit den Schultern zuckte und so standen wir schließlich wie die Hühner auf der Stange vor dem Marktstand der Verkäuferin: Bisher hatte ich noch keine Radekanerin genauer anschauen können, aber sofort kam mir der Gedanke, dass sie ihrem männlichen Pendant hier in nichts nachstand. Ihre Gesichtszüge waren ebenso anmutig wie schmal und ihre vollen, kräftig blau (geschminkten?) Lippen rundeten diesen unteren Part ihres Antlitzes ab. Ihre Augen waren schmaler als Dumas und von einem kräftigen Wimpernkranz geschmückt. Sie hatte wassergrüne Pupillen und als würde sie selbst aus solch einem gestiegen sein, legten sich ihre leger zusammengebundenen langen, silberweißen Haare wellig um ihr Gesicht. Sie trug eine Art langärmlige Tunika, welche an der Taille mit einem Band drapiert worden war. Eine Frau, die hier sicherlich für Begeisterung unter Interessenten sorgen würde. „Schön, die ersten Gäste zu früher Morgenstunde schon zu sehen“, begrüßte sie uns mit einem Lächeln und blieb dabei vor allem länger an den Doktor, Metatropeasis und schließlich mir hängen. Ohne überheblich klingen zu wollen, hatte ich aber das Gefühl, dass sie besonders bei meiner Wenigkeit so lange mit ihren Augen verweilte. Es hinterließ ein mulmiges Gefühl, denn ich wusste nicht recht, wohin ich diese Beobachtung ihrerseits einordnen sollte. Duma schien sie jedenfalls nicht zu kennen, da die beiden keine weiteren Worte miteinander wechselten, aber gut: Man konnte auch nicht verlangen, dass er jeden Einwohner Radekans kannte? Und wer weiß, ob es sich hier nicht auch um fahrende Händler handelte, die in diesem Ort nur stationierten? „Vielleicht kann ich euren Tag mit ein paar besonderen Düften verschönern?“, ging sie daraufhin bereits in Verkaufslaune und nahm mit beiden Händen behutsam eine der kleinen Blumengestecke (zumindest sahen sie danach aus) und hielt sie uns vor Augen. Die einzelnen Elemente erinnerten mich von ihrer Form an Lilien, waren hingegen tief Violett und rochen auch vollkommen anders. Ich konnte nicht sagen, dass ich diesen Duft wirklich mochte, er war mir irgendwo recht penetrant. „Wenn ihr euch regelmäßig in der Nähe unsere Anjaen aufhaltet, dann werdet ihr für eure Umgebung unwiderstehlich sein!“, versprach die Verkäuferin mit einem vielsagenden Blick und versuchte dabei, besonders mit mir Augenkontakt aufzunehmen, so dass ich wohl oder übel antworten musste: „Vielen Dank, aber ich glaube … das ist nicht das, was ich unbedingt suche.“ Um nicht zu sagen gewiss nicht suchte. Der Doktor an meiner Seite schmunzelte und neigte sich etwas vor, um sich selbst von dem Duft der Anjaen-Pflanze zu überzeugen, doch da zog die Radekanerin das Produkt bereits weg. „Für Sie hätte ich etwas anderes.“ Sie drehte sich einmal um und holte etwas von der Verkaufsfläche zu ihrer Linken. Es war kein handtellergroßes Gesteck, sondern erinnerte mich an einen Schlüsselanhänger, mit einer Lederschlaufe wie gewünscht zu befestigen. Dieser Anhänger war auch mit getrockneten Pflanzen bespickt, jene sahen aber mehr aus wie Herbstfloristik. Eigentlich sogar ganz nach meinem Geschmack. Der Doktor rümpfte jedoch die Nase, als er hätte er einen unliebsamen Duft in dieser. Aber gut: sein Riechorgan war noch einmal ganz anders bestellt als meine Allergikernase. Um ein vielfaches besser, um genau zu sein. „Danke für Ihre Mühe, aber ich glaube nicht, dass ich damit etwas anfangen kann“, lehnte er höflich aber klar ab, wurde jedoch nicht so leicht aus den Fängen der Verkäuferin gelassen: „Dieser Anhänger bedeutet für Sie großes Glück, wenn Sie ihn bei sich tragen.“ „Ich danke abermals, aber was Glück betrifft … verlasse ich mich lieber auf mein eigenes“, deutete er mit dem Zeigefinger damit auf seine Schläfe und meinte wohl eher seinen Kopf, der ihm schon so manches Mal mehr gebracht hatte als die wohlweisliche Glücksportion. Konnte ich ihm nicht verübeln. Dennoch besaß der Doktor soviel Taktgefühl, dass er seine Abneigung gegenüber zu viel Aberglauben nur subtil wirken ließ. Vorsicht, schlechter Wortwitz: durch die Blume gesprochen. „Aber Glück ist von immenser Wichtigkeit!“, fing nun auch Metatropeasis an, welche sich vor Begeisterung die ganze Zeit mit den verschiedenen Gütern des Standes hatte beschäftigen können. „Fang du jetzt nicht auch noch damit an“, wurde der Timelord grummeliger und hätte wohl fast schon menschlich genervt die Augen verziehen wollen, „Wo soll ich den hinhängen? An die Wand der TARDIS?“ „Zum Beispiel?“ Es fiel mir schwer, nicht zu schmunzeln. Ich fühlte mich an die unzähligen Male zu Hause erinnert, wo es darum ging, ob meine Mutter einen weiteren Staubfänger in die Wohnung schleppen würde oder nicht. Und zugegeben: Solch ein blumiger Anhänger neben der Eingangstür der TARDIS hätte durchaus Stil. Nur könnten wir dann wohl gleich das gesamte Raumschiff dekorieren und das war nicht Sinn der Sache oder im Sinne des Doktors. „Glück ist in der Tat ein wichtiges Gut. Auch wenn wir der Heiligen Mutter Adkata unsere tägliche Auferbietung zeigen, so ist es das Glück, welches sie jeden von uns schenkt.“ Aha, da hatten wir es also! Ich warf dem Doktor an meiner Seite einen vielsagenden Blick zu, welchen er zwar nicht erwiderte, aber ich konnte an seinen Gesichtszügen erkennen, dass er ähnliches dachte: Adkata war für alles verantwortlich, was Radekan betraf. Mir wurde unwohler dabei zu glauben, dass es sich nur um einen einfachen Glauben handeln sollte. Fehlten nur noch die Adkata-Püppchen ein paar Stände weiter und ich würde es als Fanatismus abstempeln. „Das ist allerdings richtig“, warf nun auch Duma ein und zeigte sich mit einem verständnisvollen Lächeln, da wir nicht so viel Ahnung von den Glaubenssätzen und der Religion hier auf Radekan zu haben schienen, „Alles, was unser Leben ausmacht, wird von der Heiligen Mutter in die richtigen Wogen gelenkt. Wir beschweren uns nicht über Unheil oder Probleme – dies sind alles Prüfungen, die wir von der Heiligen Mutter in unserem Leben auferlegt bekommen. Und keine dieser würde in einem Maße anfallen, dass wir sie nicht bestehen könnten.“ „Aber … was ist mit Krankheiten? Mit Tod? Auf unserem Planeten gibt es so etwas um ein Vielfaches“, platzte es da aus mir heraus, bevor ich mir selbst hätte auf die Zunge beißen können. Ich verstand dieses Denken nicht. Ich hatte es schon früher bei Klassenkameradinnen nicht verstehen können, die alles als Prüfung Jesus‘ verstanden. Für mich, die nicht kirchlich erzogen worden war, hatte es nichts mit Tests zu tun, die wir im Leben abzulegen hatten. Und nicht jeder bestand sie. Egal, wie sehr er an seinen Gott glaubte. War das gerecht? … Ich konnte es mir kaum vorstellen. „Krankheiten gehören zum Leben. Ebenso wie der Tod“, sprach nun die Verkäuferin wieder und trug dabei eine weitaus ruhigere Stimme als noch so eben in Ihrem Verkaufswahn, „Das sind ganz normale Dinge, die ein jeder im Leben durchmachen muss. Wir entscheiden nicht darüber, was wir bekommen, sondern wie wir damit umgehen.“ Ich mochte es nicht, dass sie mir in diesem Augenblick mit einem besonders aufmerksamen Lächeln entgegenbrachte. Zudem, von dieser seltsamen Aufmerksamkeit mir gegenüber ganz abgesehen, beantwortete es auch nicht meine Frage. „Wenn wir eine Krankheit bekommen sollen, dann bekommen wir sie. Darüber haben wir keine Entscheidungsgewalt. Wir kriegen so die Chance, zu wachsen.“ „Lassen Sie es, Sie werden gegen Glaubenssätze nicht ankommen können“, legte der Doktor mir in diesem Moment seine Hand auf die Schulter und hatte sich zu mir geneigt, „Ich kann noch nicht sagen, wer diesen Glauben hierher brachte, aber er war äußerst erfolgreich. Lassen Sie es gut sein.“ Und damit hatte er wohl recht. Sinnlos diskutieren brauchten wir nicht und ich war diese Art der Unterhaltungen auch müde geworden. „Bevor ihr aber weitergeht ...“, warf da die Verkäuferin ein und wandte sich mit einer Entschuldigung kurzzeitig ab, um etwas aus ihrem Geheimversteck zu kramen, „Nehmt das mit. Seht es als kleines Geschenk für euren Gastbesuch auf Radekan.“ Bevor ich mich versah hatte sie eine Kette mit einem kleinen Federanhänger hervorgezaubert, welcher an einer dünnen Schnur befestigt war. Ich konnte das Material nicht ausmachen, aber mit einem Mal hatte ich sie um meinen Hals zu legen, „Es ist ein Glücksbringer. Leg diesen also nicht ab, solange du dich auf Radekan befindest“, flüsterte sie mir dabei ins Ohr, „Und etwas Glück kannst du gut gebrauchen.“ Ich zuckte unmerklich zusammen. Nicht ihrer Worte wegen, sondern weil sie mir mit einem Mal einen Kuss auf die Wange drückte. Es gab einfach Dinge, die ich nicht mochte und wollte und dazu gehörten Küsse Fremder. Wir waren entlassen. Metatropeasis war diejenige von uns, die unbedingt weiter und sich den restlichen Markt in den frühen Morgenstunden angucken wollte. Ich hingegen trottete mit Blick gen Boden gerichtet weiter, zaghaft die Kette berührend, die mir eben auferlegt worden war und die schwer auf dem Anhänger meines anderen zu liegen schien. Ich hatte kein gutes Gefühl in der Magengegend, konnte aber auch nicht ausmachen, warum. Es fühlte sich just falsch an, hier zu sein. Aber … ging es nur mir so? Wenn ich die anderen beobachtete, kam es mir vor, als wäre ich die Einzige, die Sorge trug. Metatropeasis war wie ausgewechselt. Es tat ihr gut, bei jemanden zu sein, den sie mochte (und liebte). Duma war hier geboren und kannte kein anderes Leben und der Doktor … ich konnte nicht in seinen Kopf sehen. Ich wusste nicht, was er dachte und er war auch kein Typ der großen Erklärungen. Entweder konnte man ihm folgen oder eben nicht.   Unser Weg führte uns an weitere Stände vorbei. Diese befanden sich fast alle im Aufbau, je zentraler wir uns bewegten, aber ich vermied es, meinen Blick noch einmal schweifen zu lassen. Es war schlimmer, als ich es von dem größten Szenemarkt in meiner Stadt kannte. Ich musste nur den Kopf zufällig in die Richtung eines Händlers drehen und schon wurde ich ihn nicht mehr los. Der Doktor musste schmunzeln und schien amüsiert, was ich nicht teilen konnte. Er bemerkte aus Jux, dass ich wohl deren Schönheitsideal treffen müsse, woraufhin ich ihm nur einen Stoß mit den Ellbogen in die Seite verpasste. Ganz reflexartig. Natürlich würde ich mir nicht nahestehende Personen so sonst nicht behandeln. Mir war es zunehmend unangenehm, denn ein „Eure Haare sind so lieblich duftend wie das Aroma der säuernden Mavia“ klang für mich nicht gerade nach einem Kompliment und einen seltsam geformten violetten Stein als Geschenk überreicht zu bekommen, der angeblich große Taten vollbringen könnte, war zwar eine nette Geste, aber ich wusste nicht so recht mit dieser Gastfreundschaft umzugehen. Dass der Stein noch das harmloseste Objekt war, wusste ich dann eine Viertelstunde später als wir schließlich am Tempel standen und ich in beiden Händen noch ganz andere Dinge (wie eine Ketten mit einem krähenfußartigen Anhänger oder ein Fläschchen Erde Radekans) hielt. Ich war froh, dieser ganzen Schmeichelei entkommen zu sein und wünschte mir gerade einfach nur, dass der Doktor wieder Zielscheibe für alle Flirtereien werden könnte. Ich war eindeutig nicht der Typ dafür. Das Tempelgebäude lenkte meine Aufmerksamkeit jedoch sehr fix auf sich. Ich hatte zwar in meinem bisherigen Leben dem ein oder anderen Tempel gegenübergestanden und auch die ein oder andere religiöse Institution in Büchern gesehen, aber doch war es nichts im Vergleich zu dessen hier: Das Fundament war aus solidem hellen Stein gebildet. Ähnlich des Marmors, aber doch wieder vollkommen anders in seinem Muster. Mehrere Säulen, in zwei Reihen hintereinander gestellt, offenbarten den Weg zur Eingangspforte. Schmal und lang streckten sie sich empor, weit über unsere Köpfe hinaus. Der Schaft einer solchen hatte kaum mehr Kanellierungen, sondern bestand aus einer nicht weniger ebenen Fläche, wie die Basis zu unseren Füßen. Die Kapitelle zum Abschluss der Säule waren reich verziert. Ich konnte die Formen von hier unten nicht erkennen, aber sie standen denen der korinthischen Säulen in nichts nach. Ein wirklich imposanter Bau – schon jetzt, bevor wir ihn betreten hatten. „Kommt mit“, wies uns Duma an und während ich noch diese architektonische Pracht bewunderte, führte er uns zum Eingang, auf dessen Boden bereits hier und da wie bei einer Fährtenlegung Blütenblätter lagen. In wunderschönem Violett und Türkisblau wurden wir begrüßt. Es erweckte in einem fast schon das Gefühl, dass man den roten Teppich betreten hätte. Kaum erreichten wir den Tempeleingang, erstreckten sich auch die Blumen in die Weite des Innenraums. Metatropeasis schritt mit Duma voran, während ich andächtig neben dem Doktor herging. Ich war nicht nur wegen der Größe überwältigt oder wegen des malerischen Charakters, welcher sich hier widerspiegelte. Mich hatte die ganze Atmosphäre in ihren Bann gezogen. Selbst wenn ich nichts von dem hier herrschenden Glauben verstand, respektierte ich ihn und auch jene, deren Leben sich danach ausrichtete. Vor allem aber war ich auch immer wieder aus Neue überrascht, dass solche Glaubenssätze die Menschen oder in dem Fall Radekaner dazu bewegten, Tempel zu errichten und selbst ihre tägliche Arbeit danach auszurichten. „Oh, bei der heiligen Mutter Adkata, gesegnet sei deine Ankunft!“ Ich sagte ja: Ich respektierte ihre Lebensart. Was nicht bedeutete, dass ich großer Fan von dem war. Ich richtete meine Augen nach vorne und hob ein wenig den Kopf. Vor mir stand ein weiterer Radekaner, dieses Mal war es aber ein älterer. Die Falten der bereits gelebten Jahre zeichneten sich in seinem Gesicht ab, krausten seine Stirn und die Partie um sein Kinn. Seine Augen waren schmal, die Nase ebenso und auch seine Lippen passten in dieses Schema. Er trug ein langes Gewand, welches mich an jene unserer Pfarrer auf der Erde erinnerte. Der Stoff schimmerte perlmuttfarben und seine Flügel, wenn er welche besaß, hatte er unter diesem Kleidungsstück geschützt. Er war einen ganzen Kopf kleiner als ich, so dass ich doch mehr zu ihm hinabsehen musste als alles andere. „Guten Tag?“, erwiderte ich den Gruß, ein bisschen unwissend, wie man ihnen hier in solch einer Situation begegnete. Anscheinend machte ich aber nicht alles falsch, da mir Duma keinen seltsamen Blick zuwarf oder mich mit einem Hüsteln darauf aufmerksam machte, dass ich in ein Fettnäpfchen getreten bin. Der alte Mann nahm meine linke Hand und hielt sie mit seinen, eher sie an die Stirn führte und zweimal mit dieser berührte. „Es ist uns eine große Freude, dich begrüßen zu dürfen, mein Kind!“, rief er daraufhin mit einem großen Lächeln aus, „Wir haben dich erwartet.“ „Ehm … okay?“ Was sollte ich dazu sagen? Ich blickte ein bisschen hilflos zum Doktor, welcher nur mit den Schultern zuckte, was mich aber daran erinnerte, dass ich ja nicht alleine hier war, sondern eben in Begleitung und dass diese bisher wohl keinerlei Aufmerksamkeit erregt hatte. Immerhin wurde nur ich begrüßt und das widerstrebte mir sehr. „Darf ich vielleicht die anderen vorstellen?“, fragte ich demnach und wandte mich ungeniert an die anderen, „Duma … vielleicht kennt ihr euch? Das hier ist Metatropeasis und das … der Doktor“, deutete ich mit der offenen Handfläche auf sie. Der Ältere verlor ein wenig sein Lächeln und sah nun mehr ernster in die Runde, als er antwortete, „Ja, Duma ist uns natürlich bekannt. Er ist uns immer sehr hilfreich.“ Auch der Arcateenianerin begegnete er mit dem nötigen Respekt und verbeugte sich um wenige Grad nach vorne. Nur dem Doktor gegenüber … war er unterkühlt. Sehr unterkühlt. „Was hat euch hierher nach Radekan gebracht?“, war die einzige Frage, die er ihm stellte. Der Argwohn spiegelte sich regelrecht in seinen Augen und er ließ den Timelord nicht eine Sekunde aus seinigen. „Nun, um ehrlich zu sein war es nicht einmal unsere Absicht hierherzukommen“, antwortete der Doktor an meiner Seite frei heraus, „Wir sind im Grunde nur auf der Durchreise.“ „Das würde ich Euch auch raten, Doktor. Es werden Euch nicht alle mit der Offenheit begegnen, die ich Euch entgegenbringe.“ Na ja, Offenheit war für mich etwas anderes, aber … jedem das Seine. „Warum … das denn?“, konnte ich mir nicht verkneifen zu fragen und der alte Radekaner wandte sich mehr an mich als an seinen Gegenüber. „Ihr wisst es nicht?“ „Sonst würde ich nicht fragen“, kamen mir Worte in den Sinn, doch biss ich mir allerdings auf die Zunge, um nicht unhöflich zu reagieren und schüttelte stattdessen den Kopf. „Er ist niemand, der hier sein sollte. Er und sein Volk. Sie sollten nirgendwo sein.“ Ich warf einen Blick zum Doktor und vernahm die strengen Züge in seinem Gesicht, sah die Stirnfalten, die sich zeigten, weil der die Augenbrauen gekraust hatte. Es gefiel mir nicht, ihn so zu sehen. Und ich empfand es als unfair, wenn man jemanden solche Weisungen gab. „Wieso nicht? Wer gibt Ihnen das Recht, darüber zu urteilen?“, ploppte es aus meinem Mund und der alte Radekaner bedachte mich nun eines nicht weniger ernsten Blickes – doch wandelte sich dieser in der nächsten Sekunde zu einem fast schon mitleidigen: „Mein Kind, du weißt nicht, wen du vor dir hast … Du weißt nicht, auf welche Gefahr du dich eingelassen hast.“ Nun ja, um ehrlich zu sein hatte ich eher das Gefühl, dass die Gefahr von diesem Kerl hier ausging, aber das konnte ich ihm nicht so einfach ins Gesicht sagen. „Dann … klären Sie mich doch auf“, provozierte ich stattdessen und verschränkte die Arme vor der Brust, „Wer ist der Doktor, der hier neben mir steht? Was hat er verbrochen?“ „Er wird den Krieg bringen.“ Und damit war ich sprachlos. Zum zweiten Mal in dieser Geschichte, aber ich war wirklich sprachlos. Krieg? So ein mächtiges Wort … Meinte er wirklich dasselbe mit Krieg, so wie wir es verstanden? Wieder sah ich zum Timelord und dieses Mal … erkannte ich auch Schmerz in seinen Augen. Ich erinnerte mich an unser Gespräch und es schnürte mir das Herz zusammen. Das passte für mich nicht zusammen. Wie sollte jemand, der so viel Schreckliches gesehen hatte, so viel schreckliches erlebt hatte und zudem auch noch der letzte seines Volkes war … Wie sollte so jemand anderen den Krieg bringen? „Doktor …“ Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, was diese Anschuldigung wieder begleichen könnte. Nichts. Was sollte ich sagen? Tun? Und auch Metatropeasis und Duma schienen unwissend, schwiegen sie doch und sahen unwissend von mir, zu ihm, zum Radekaner und sich selbst an. Dann zog ich die Luft tief in meine Lungen und straffte die Schultern. Und tat etwas, was ich schon einmal getan hatte, um mich klar zu positionieren: „Nun ja … ich denke, ich kann für mich selbst ganz gut entscheiden und Urteile fällen. Aber … vielen Dank für Ihre Sorge!“ Damit war das Thema für mich durch. Ich wollte nichts mehr davon hören, dass der Doktor ein Unglücksbringer sein sollte. Mit meinem Ausbruch hatte ich nun mehr den Älteren zum Schweigen gebracht. Er war nicht damit einverstanden, dass ich so gegen seine Meinung wetterte, aber er wollte mir auch nichts mehr entgegensetzen, denn letzten Endes war es meine Entscheidung. „Ich hoffe, dass du dir der Konsequenzen deiner Entscheidung bewusst bist, mein Kind“, sprach er nur leise und guckte mich eindringlich an. Ich blieb standhaft: „Bisher habe ich keine meiner Entscheidungen bereut.“ „So denn … tretet hervor. Mein Name ist Aqant und ich bin der Vorstehende der Heiligen Stätte.“ Unser kleiner Disput war wohl beendet und der alte Mann, dessen Namen wir nun auch endlich kannten, erlaubte uns, weiter in den Tempel zu schreiten. Für mich hatte der Ort etwas an seinem Zauber verloren und ich kam nicht umhin mich zu fragen, ob alle hier eine Ablehnung gegen den Doktor hatten, die tiefgläubig waren. Bei Duma hatte ich nicht das Gefühl, dass dem so war, aber die anderen? Ich hielt meine Augen offen, doch schien mir, als registrierten die anwesenden Radekaner gar nicht mal den Timelord an meiner Seite, sondern just mich. Es war mir unangenehm, weil ich es nicht mochte, ohne mein Zutun in den Mittelpunkt gerückt zu werden. Jeder von ihnen, alle mit einem ähnlichen Gewand wie Aqant es trug, strahlte von einer Wange zur anderen. Sie hatten sich in die vordere Mitte des Tempels positioniert, wo der Blumenteppich an einer Statue endete. Aus der Gruppe löste sich eine junge Frau und kam auf uns zugetapst. Ihre Flügel waren fliederfarben, ihr Gewand aber ebenso in Perlmutt wie auch Aqants. Sie stand schließlich direkt vor mir, hatte fast dieselbe Größe wie ich und trug ihr langes, beinahe schon weißes Haar zu einem lockeren Zopf geflochten. Sie lächelte, sagte nichts, beugte sich dann aber zu mir vor und hauchte mir links und rechts einen Kuss auf die Wange. Dann legte sie ihre Hand an meine Stirn, nickte schließlich und nahm wieder einen Schritt Abstand. Vor dem Doktor, Metatropeasis und Duma verbeugte sie sich leicht. Das erschien mir doch eher wie eine angemessene Begrüßung gegenüber Fremden. Sie sprach immer noch kein Wort, so dass ich also annahm, dass sie vielleicht stumm war und nur ein bisschen überfordert zurücklächelte. Dann bewegten sich plötzlich ihre Lippen: „Es ist uns eine Ehre, dass Ihr hier seid! Bitte kommt näher, stellt Euch vor!“ Überrascht, dass sie doch sprechen konnte und zudem mit einer engelsgleichen Stimme, nickte ich nur zaghaft. Sie führte unsere kleine Gruppe zu den anderen, die vor der Statue andächtig standen und beteten. „Hallo … Danke für … Eure Freundlichkeit“, erwiderte ich, unwissend, was ich genau sagen sollte und verbeugte mich dann auf die gleiche Art und Weise, wie die Radekanerin es uns gegenüber getan hatte. Aber keine Chance! Kaum sahen sie uns, lösten sich die anderen fünf aus ihrer Gebetshaltung und kamen auf uns zu, mit neugierigen und erfreuten Blicken. Einer nach dem anderen, egal ob Frau oder Mann, kam auf mich zu und gab mir diese Begrüßungsküsse, während sie sich vor den anderen just verneigten. „Passen Sie auf, dass Sie nicht noch so etwas wie deren Muse werden“, raunte mir der Doktor zu, als auch der letzte Radekaner im hellen Tempelgewand geendet hatte. Es war offensichtlich, dass es ihn ein bisschen amüsierte, wie offenherzig das Volk mir gegenüber war. „Ha, ha“, gab ich nur leicht knirschend zurück. „Ich muss mir wohl keine Hoffnung machen, hier verewigt zu werden.“ „Ausnahmsweise muss ich Ihnen da wohl recht geben, Doktor.“ „Tretet bitte vor, mein Kind“, sprach der Alte wieder und ich sah mit mulmigen Gefühl im Magen von ihm zum Timelord. „Treten Sie ruhig vor. Vermasseln Sie Ihre gebührenden Empfang nicht“, zuckte der Doktor leicht mit den Schultern, wofür ich ihn am liebsten gescholten hätte. Ich fühlte mich in meiner Rolle als wichtiger Besucher nicht gerade wohl und war nicht davon begeistert, dass ich diese hier alleine ausführen musste. Mir wäre es lieber gewesen, wenn er sich irgendwie noch zwischen gedrängelt hätte, mich irgendwie einfach hier rausgezogen hätte, aber das ging nicht. Und in diesem Moment wog seine Neugier wohl auch einfach zu schwer. Also machte ich den Schritt nach vorne. Der Alte beugte sich nun zu mir, legte seine Hand an meinen Kopf und wies diesen etwas mehr zu sich hinab. Er fügte sich nun mehr in die Reihe der Küssenden ein, wenn es bei ihm auch eher schon fast etwas zeremonielles hatte, wie er behände mir diese Begrüßung zukommen ließ. „Geweihet seie deine Ankunft. Bei unserer Großen Mutter Adkata, geweihet sei deine Existenz, mein Kind.“ Er schob mich etwas mehr vor die Statue der Adkata, welche ich mir nun zum ersten Mal genauer ansehen konnte: Anders als unsere Marienfiguren, war diese keine Vermenschlichung. Sie trug zwar ein Gewand wie jeder der außer uns Anwesenden im Raum, aber was darunter lag, sollte im Verborgenen bleiben. Kein Gesicht, keine Hände, nichts. Eigentlich konnte man sogar anzweifeln, dass es sich überhaupt um eine Gestalt handelte. Die Haltung der Statue war genauso nonexistent. Im Grunde fragte ich mir, ob dies nicht einfach nur eine methaphorische Darstellung war. Ein Bild, dass sich nur in den Köpfen der Radekaner lebendig machen ließ. Etwas, was wir als Außenstehende nie und nimmer zu verstehen wüssten. „E-Ehm .. was soll ich machen?“, flüsterte ich, weil ich nun wirklich keine Ahnung hatte, wie ich mich der Heiligen Mutter gegenüber verhalten sollte – War eine Verneigung ebenso angemessen oder musste ich als Gast etwas anderes tun? „Mach es mir nach mein Kind“, sprach Aqata und begann ich daraufhin schon hinzuknien. Ich wiederholte seine Bewegung, so dass wir schließlich beide vor der Statue auf unseren Knien saßen. Ich beobachtete ihn in seinem Tun, machte die seltsamen Handgesten nach, welche er veranstaltete – mal nach links gedeutet, mal nach rechts gedeutet. Schließlich verneigten wir uns mehrmals und erst dann war es wohl wieder erlaubt, aufzustehen. Doch blieben wir noch knien und er streckte seine Hand zu mir aus, hielt sie mit mit dem Handteller nach oben hin. Ich sollte sie wohl ergreifen. Zögernd tat ich dies und in jenem Moment, als sich unsere Finger berührten, schoss ein Blitz durch meinen Körper. Wie ein kurzer, aber heftiger von einem Nerv ausgehender Schmerz. Von den Fingern ausgehend in meinen Kopf und gleichzeitig bis in die Fußsohle. Ich zuckte heftigst zusammen. Mein Körper krümmte sich und taumelte nach hinten. Obwohl ich auf meinen Knien saß, kippte ich seitlich nach hinten und landete auf meinem Hintern. Ich keuchte auf. Was war das gewesen? „Hey“, hörte ich die Stimme des Doktor an mein Ohr dringen, doch hatte ich meine Augen noch vollends auf meine Hand gerichtet, die eben noch jene des alten Radekaners gehalten hatte. Alles noch dran. Alles okay, „Von mentaler Analyse war hier nicht die Rede!“ Ich sah zum Timelord auf, verwirrt, was er damit meinte und sah, wie verärgert er dreinschaute. Ein Ausdruck in seinem Gesicht, den ich so noch nicht gesehen hatte. „Mentale … Analyse?“, wiederholte ich und blickte von ihm zum Radekaner und dann in die Runde. Erst jetzt bemerkte ich, dass sich die anderen Gläubigen vor mir und Aqata aufgebaut hatten. Ähnlich eines Schutzwalles. Ich ließ meinen Blick zu Duma und Metatropeasis schweifen. Während letztere nicht weniger verwirrt schien wie ich, wirkte Duma ganz und gar nicht betroffen. Eher teilnahmslos als wäre dies das normalste der Welt, was hier geschah und womöglich war es das auch – aber nicht für uns. „Die Heilige Mutter wird auf genau diese Art und Weise von jeden hier begrüßt. Es ist nichts Außergewöhnliches“, erklärte Aqata ruhig, „Jeder stellt sich ihr vor.“ „Jeder Radekaner stellt sich ihr vor, meinst du wohl“, korrigierte der Doktor und sah über den verhängten Schultern der anderen vor uns vorbei, zu mir. Sorge zeichnete seine Stirn. Warum? Ich blinzelte, als meine Sicht plötzlich getrübter war, doch änderte dies rein gar nichts an dem Schleier vor meinen Augen. Ein Schwindelgefühl stellte sich ein und mir wurde mit einem Schlag extrem warm. Ich spürte den Schweiß auf meiner Haut, während meine Hände und Füße eigentlich eiskalt waren. Was war das? War war mit mir los? „Sie ist ein Mensch.“ Seine Stimme wurde lauter und das beruhigte mich nicht gerade. Ebenso wenig, dass sich die Traube Radekaner um Aqata und mir zu einem schützenden Wall zusammenrückte. Um ehrlich zu sein, machte es mir sogar Angst. Etwas ging in meinen Augen nicht mit rechten Dingen zu. „Sie ist dessen würdig.“ „Sie ist-“ Der Doktor brach ab, als er zu mir blickte und seine Schultern senkten sich. Ich könnte sterben? War es das, was er sagen wollte? Ich hatte es im Gefühl. Ich hatte im Gefühl, dass er genau das und nichts anderes in Worte packen wollte und es doch unterdrückte. „Lasst mich zu ihr. Ihr seht doch, dass es ihr nicht gut geht!“ Aqata wandte sich nun zum ersten Mal wieder zu mir, beäugte mich und schließlich, nach einigen schweren Sekunden, in denen ich weiterhin mit meiner Temperaturschwankung und meinem Schwindel zu kämpfen hatte, erhob er sich. „Nun denn. Die Heilige Mutter hat alles gesehen, was sie sehen musste“, sprach er und trat an den Doktor heran, „Sie hat alles gesehen.“ Mit diesen Worten drehte er sich noch einmal zu mir herum, „Mein Kind, ruh‘ dich aus. Wir werden dich nachher herumführen. Es gibt viele Dinge, die du kennenlernen solltest.“ Und damit ging er langsamen Schrittes durch die Traube Radekaner und auf den Ausgang des Tempels zu. Der Doktor wartete gar nicht erst darauf, dass sich die anderen von uns entfernt hatten, sondern kam im eiligen Schritt gleich auf mich zu und hockte sich zu mir hin. Er legte den Arm stützend um meine Schultern und legte mir hastig wie bei einer Untersuchung die andere Hand an Stirn, Wangen und zog mir die Unterlider herab. „Machen Sie sich keine Sorgen“, sprach er nun weitaus ruhiger, „Sie kommen wieder auf die Beine.“ „Was … meinten Sie mit mentaler Analyse? Wurde mein Gehirn abgetastet, oder was?“, brachte ich schwerfällig hervor. Mir war immer noch schwindelig und nun stellte sich noch eine leichte Übelkeit ein. Ich sah doppelt. „Gut erkannt. Er hat über die Berührung ihrer Fingerkuppen die Nervenstränge Ihres Körpers bis in ihr Gehirn zurückverfolgt und dieses in seiner kleinsten Windung gescannt.“ „Alle Bestandteile meines Hirns?“ „Ja.“ „Daher die Nachwirkung...“ Ich atmete angestrengt die Luft aus und vernahm, wie der rechte Mundwinkel des Doktors leicht hochzuckte. „Der Hypothalamus wurde angezapft.“ „Es ist schön zu sehen, dass Ihr Kopf aber immer noch gut arbeitet.“ Auch ich musste daraufhin leicht lächeln. „Wann hört das auf?“ „Der Kontakt bestand nicht lange. Ein paar Minuten müssen Sie aber noch durchhalten.“ Er half mir, mich richtig aufzusetzen und ich musste mich dabei an seinem Arm festhalten, weil sich nun erst recht alles um mich herum drehte. Dennoch ließ mich eine Frage nicht los und auch wenn sie mir Angst machte, wollte ich eine Antwort hören: „Hätten Sie nicht eingegriffen … Ich hätte sterben können, oder Doktor?“ Der Ausdruck in seinem Gesicht wurde ernster und eigentlich hätte er gar nichts sagen müssen, sprachen seine Augen Bände. Trotzdem öffneten sich seine Lippen, um die Worte zu formulieren, die ich erbat: „Ja. Das hätten Sie. Nur eine Minute.“ „Eine Minute also...“ Ich schwieg einen Moment und sah dann zum Timelord auf, der mich nicht eine Sekunde mit seinem Blick losgelassen hatte, „Dann … danke ich Ihnen, dass Sie eingeschritten sind.“ Mein Kopf fühlte sich zwar immer noch wie Brei an, aber ich spürte, dass mein Körper langsam wieder zur Ruhe kam. So etwas wollte ich nicht noch einmal erleben. Ich blickte an ihm vorbei, versuchte einen Punkt zu fokussieren, um mein Blickfeld wieder zu schärfen und sah dabei zu Duma und Metatropeasis, welche sich nun zu uns trauten. Unsere Arcateenianerin schaute besorgt zu mir rüber, während ihr Freund mich mit ähnlicher ausdrucksloser Miene betrachtete wie er sie eben bereits besessen hatte. „Sie wäre nicht gestorben“, brachte er hervor und klang dabei weitaus gesetzter als noch am gestrigen Abend, als wir in munterer Runde zu Abend gegessen hatten, „Die Heilige Mutter würde es nicht zulassen.“ „Die Heilige Mutter war allerdings auch nicht diejenige, die hier Gehirne scannt und damit die Neuronen zum Schmelzen“, setzte der Doktor mit scharfen Unterton nach und beäugte Duma mit vorwurfsvollen Blick. „Es ist eine simple Art der Bekanntmachung.“ „Der Bekanntmachung oder der genauen Analyse und Ausspionage der Gäste, die sich hier einfinden?“ Darauf erwiderte der Radekaner an Metatropeasis‘ Seite nichts mehr und das missfiel mir noch mehr, als wenn er weiter von seinem Glauben an die Mutter Adkata gesprochen hätte. Was bedeutete das? War das im Grunde eine simple Zustimmung dessen, was der Doktor ausgesprochen hatte? „Ihr habt nicht besonders oft Besuch von der Erde, nehme ich an? Was hat es damit auf sich, dass Alexandra so besonders ist? Welche Absicht steht dahinter?“ „Wir nehmen jeden gerne in unsere Reihen auf, welche mit der Heiligen Mutter sympathisieren und die mit der Heiligen Mutter sympathisieren.“ „Und was sind die Gründe dafür? Wonach sucht sich eure Heilige Mutter ihre Gäste aus?“ Wieder hatte ihn der Doktor sprachlos gemacht. Ich hörte, wie dieser an meiner Seite leise mit der Zunge schnalzte. Missfallen. Und ich konnte es ihm nicht verdenken. Die Art und Weise, wie hier verfahren wurde, erinnerte mich mehr an eine Sekte als an alles andere. Mir war nicht wohl dabei, hier mitten im Zentrum dieser Gruppierung zu stehen. Ich musste wieder an die Kette denken, die man mir geschenkt hatte und sah auf diese auf meinem Brustbein aufliegend hinab. Ich griff zu dieser, wollte sie mir über den Kopf ziehen und ablegen, aber irgendetwas hielt mich davon ab. Mein Gefühl, welches mir vorhin auf dem Markt noch gesagt hatte, dass es für mich kein Glücksbringer war, verriet mir nun, dass ich die Kette besser nicht ablegen sollte. Nicht hier. Würde ich mir den Zorn der Heiligen Mutter zuziehen? Oder den aller Radekaner? Und trotzdem fühlte ich mich, als würde ich unsere Gruppe mit diesem Schmuckstück verunreinigen. Seit wann war ich eigentlich so abergläubisch? „Das weiß niemand von uns. Aber es sollte ersichtlich sein, dass sie nur jene in ihren Kreis aufnimmt, die wohlgesonnen sind“, antwortete Duma nun auch mit einem angespannteren Unterton. „Wohlgesonnen oder ihr wohlgesonnen?“, hakte der Doktor nach, was fast schon als Provokation verstanden werden konnte und von Metatropeasis‘ Freund auch so aufgefasst wurde: „Ich dachte, dass du als Weltenbereiser Respekt gegenüber anderen Völkern hast.“ „Das habe ich. Allerdings fällt es mir immer wieder schwer anzuerkennen, dass sich manche Völker bestimmten Religionen hingeben, die im weitesten Sinne keine Religion darstellen. Ihr folgt einem spirituellen Bild, habt aber nicht ein Schriftstück oder eine Überlieferung über euren Erschaffer?“ Ich kniff dem Doktor unmerklich in den Arm. Seine Fragen waren berechtigt, aber er sollte sich vielleicht dennoch ein bisschen zurückhalten. Mein Gefühl lag selten falsch und gerade sagte es mir, dass wir die Radekaner nicht verärgern sollten. Auf die Fragen des Timelords konnte unser Gastgeber allerdings auch nichts antworten. Er wusste es nicht. Er glaubte selbst nur den Überlieferungen und den Ältesten ihres Volkes. Es war keine Dummheit, nur Naivität – aber diese konnte genauso gefährlich werden, wenn nicht sogar gefährlicher, wie wir bereits an vielen historischen Ereignissen hatten sehen können. „Worauf willst du hinaus?“, fragte Duma nun mehr und beäugte den Doktor skeptisch, dank dem ich mich nun langsam wieder aufzurichten wusste, auch wenn ich noch seine stützende Hand brauchte. In diesem Moment wurden wir von einer jungen Radekanerin unterbrochen – eine der Gebetsschwestern – welche unseren Kreis betrat und sich leicht verneigte. „Ich möchte nicht stören, aber in der Stätte der Heiligen Mutter sind Auseinandersetzungen verboten. Doktor, bitte haltet euch daran.“ Sie sah zu mir, bedachte mich eines längeren Blickes mit ihren schmalen violetten Augen und lächelte dann sanft, „Ich möchte Euch nun mehr gerne die Stadt zeigen.“ Die Einladung war eindeutig an mich gerichtet und niemanden sonst. Mir behagte es aber ganz und gar nicht, alleine gehen zu müssen, so dass ich einen Versuch startete: „Meine Freunde … dürfen doch mitkommen oder?“ Die Gebetsschwester blickte zu Duma, dann aber skeptischer zu Metatropeasis und regelrecht misstrauisch zum Doktor an meiner Seite. „Ich bin mir nicht sicher, ob dies im Sinne der Heiligen Mutter ist. Aber … es wird kein Problem sein, wenn ihr euch ihr ebenso vorstellt“, mutmaßte sie mir, als sie es wusste. Metatropeasis sah überrascht auf und schien verunsichert. Nach dem, was mit mir passiert war, kein Wunder. „Keine Sorge. Dir wird nichts geschehen“, versicherte Duma ihr und schob sie so einen Schritt mehr zu der verhüllten Radekanerin. „Ich werde die Begrüßungszeremonie durchführen“, erklärte sie und führte Metatropeasis an der Hand zu der Statue, vor der ich bereits gestanden hatte. Das gleiche Prozedere. „Ihr dürfte nichts geschehen“, raunte der Doktor leise zu mir, als ich Ansätze des Widerstands machen sollte, „Arcateenianer setzen sich in den Wirtskörper und dieser ist bereits tot. Kein Leben, kein Gehirn zum Scannen.“ „Könnte das nicht Probleme bereiten?“ „Fragen Sie mich eher, was passiert, wenn sie versucht mein Hirn zu scannen.“ Nein, das wollte ich eigentlich gewiss nicht wissen. Ich wollte niemanden von uns in Gefahr sehen. Weder Metatropeasis noch den Doktor. Die Prozedur war schnell abgeschlossen und als sie fertig waren, schien es auch, als hätte es keinerlei Auswirkung auf die Arcateenianerin hinterlassen. So, wie der Doktor es vorhergesagt hatte. Sie lächelte mir zu. Ja, es war alles in Ordnung. Vermutlich hatten sie auch gar keine Informationen erhalten. Oder nur jene der Person, deren Körper Metatropeasis übernommen hatte. „Doktor … kommen Sie bitte zu mir.“ Menschen hatten Angst und in diesem Moment hatte ich Angst um den Doktor. Das sollte irrational sein, denn es war eben der Doktor, ein Timelord, der schon viel, viel schlimmere Dinge erlebt hatte als das. Trotzdem. Meine Hand hatte sich regelrecht an seinem Ärmel festgebissen, so dass er etwas mehr Widerstand entgegenbringen musste, um sich loszumachen. „Seien Sie unbesorgt, es wird eher die Kapazität ihres Speichers zerschlagen, als dass sie mir mein Gehirn kurzschließen.“ Hoffen wir es. Ruhigen Schrittes ging er voran, ließ sich neben die Statue geleiten und schenkte ihr einen kurzen Blick. „In späteren Epochen nennt man das dann wohl Postmoderne“, bemerkte er fast schon zynisch. „Gebt mir Eure Hand“, hielt die Radekanerin ihre eigene mit dem Handteller zu ihm gerichtet auf Brusthöhe, „Ich werde Euch der Heiligen Mutter vorstellen“ „Nar, das kommt mir gelegen. Ich glaube, ich habe mit ihr ein paar Worte zu wechseln.“ Der Doktor legte seine Hand in die der Gebetsschwester. Ich versuchte, mir das Blinzeln zu verkneifen, um ihn nicht eine Sekunde aus den Augen zu verlieren. Ich wollte ganz genau wissen, was jetzt passieren würde. Ähnlich wie bei Metatropeasis schien erst einmal gar nichts zu passieren. Nichts. Sie standen einfach so vor der Statue, die Hand des Doktors in jener der Radekanerin. Ich sah keinerlei Reaktion seines Körpers auf diese Verbindung. Kein Zucken, keine Regung. Anders als bei mir. Es beruhigte mich und ich hoffte, dass es so bleiben würde, doch sollte ich mich täuschen. Mit einem Mal verzog er das Gesicht, aber nicht nur das: urplötzlich veränderte sich etwas an der Situation: die Radekanerin keuchte auf und auch der Doktor zuckte zusammen und biss die Zähne zusammen. Was ging da vor? In ihren Händen erschien ein Funkenschlag. Orangegelb. Noch ein Funkenschlag. Was war das? „W-Was … passiert da?“, fragte Metatropeasis und schien nicht weniger irritiert als ich. Dass ich – der Mensch von uns – Probleme mit der Prozedur hätte, okay. Aber was war mit dem Timelord? Und dann, mit einem Schlag, erklang ein Geräusch wie bei einem Kurzschluss und sowohl der Doktor als auch die Gebetsschwester taumelte zurück. „Welch Unglück“, murmelte sie fassungslos und japste nach Luft, „Welch großes Unglück.“ „Doktor?!“, entfuhr es mir und ganz gleich, ob ich es durfte oder nicht, kam ich ihm entgegen. Besorgten Blickes sah ich ihn von Kopf bis Fuß an: alles noch dran. „Alles in Ordnung?“ Er antwortete mir nicht, schien in seinen eigenen Gedanken versunken zu sein und das Erlebte zu verarbeiten, einzuordnen. Stattdessen machte sich aber die anwesende Radekanerin noch einmal bemerkbar, diesmal lauter als zuvor, „Ihr werdet großen Schrecken über Radekan bringen“, verkündete sie mit bebender Stimme, „Eure Anwesenheit wird unser Untergang sein! Aqata hatte vollkommen Recht!“ Sie machte ein, zwei Schritte zurück, guckte zur Statue auf und begann sich dann auf die Knie zu werfen und sich vorüber zu beugen. „Oh Heilige Mutter, verzeiht mir! Verzeiht mir, dass ich ihn zu Euch geführt habe!“ „So ein Unsinn!“, kam es mir da abrupt über die Lippen. Es nervte mich langsam einfach nur noch. „Hier wird niemand Irgendwens Untergang sein. Solange sich alle normal benehmen, wird gar nichts geschehen.“ „Wollt Ihr sagen, Ihr vertraut jemanden wie ihm mehr als der Heiligen Mutter?“ Fangfrage. Und doch war für mich die Antwort zu einfach, wie sie nur sein konnte. Weil es gar keine andere gab: „Ja. Wenn ich jemanden vertraue … dann gewiss nicht einer spirituellen Figur.“ „Ihr werdet Euch ebenso ins Unglück stürzen.“ Dieser Satz ließ mein Inneres nur noch mehr brodeln und umso fester und überzeugter wurde meine Stimme: „So, wie mir Aqata fast das Gehirn in synaptische Einzelteile verbrannt hat?“ „Es war ein Test, ob Ihr der Heiligen Mutter wohl gesonnen seid.“ Ich drehte mich der Radekanerin nun direkt zu und legte erneut die Hand an die Federkette, welche mir auferlegt worden war. „Ein Test? Ich pfeife auf eure komischen Tests.“ Ich zog diesen komischen Glücksbringer über meinen Kopf und schmiss ihn mit aller Kraft, die ich aufbringen konnte zu den Füßen der panischen Bewohnerin dieses Planeten, um klar und deutlich meine Stimme zu erheben, die nun mehr in dem Tempelgebäude widerhallte: „Frag mich noch einmal, wen ich vertraue und ich sage gerne jeden Einzelnen von euch, dass es der Doktor ist.“ Ich schaute zu Metatropeasis und zu Duma. „Ich danke dir für deine Gastfreundschaft, Duma, aber das ist hier … Du hast einen anderen Standpunkt als ich. Und das akzeptiere ich. Ich hoffe also, dass du auch meine Meinung dazu akzeptierst.“ Ich musste so klar sprechen. Ich hatte die ganze Zeit seine Zweifel gesehen. Die Skepsis, seid wir hier in dieser Stätte waren und ich wollte nicht, dass er sich aufgebracht oder hintergangen fühlte. Zudem … angesichts der Tatsache, dass wir uns hier in einer sehr prekären Lage befanden, deren Hintergründe wir nicht kannten, wollte ich mir nicht noch einen zusätzlichen Feind machen. Wir hatten wohl so schon genug. „Lassen Sie gut sein“, wandte nun der Doktor selbst ein und zog scharf die Luft ein, „Sie werden reden können, so viel Sie wollen. Sie werden nicht zu Ihnen durchkommen.“ „Das erwarte ich auch nicht“, entgegnete ich, „Mein Gerechtigkeitssinn ist nur leider zu groß, als dass ich schweigend hinnehmen kann, wenn man jemanden zu Unrecht verurteilt“, musste ich mit einem schmalen Lächeln an ihn gerichtet zurückgeben. „Sie kennen mich im Grunde auch nicht mehr, als diese Leute.“ „Nein, aber ich habe nicht das Gefühl, dass Sie mir einen zentralen Kurzschluss geben wollen.“ Es bewirkte ein kurzes Zucken seiner Mundwinkel, ehe er sich an unsere Gegenüber richtete. „Also gut, was ist jetzt der Plan?“, hakte er nach, „Jetzt, nachdem du unser aller Gehirne gescannt und unsere Daten eingespeist hast? Wie geht es weiter? Werden wir jetzt in Gut und Böse eingeteilt? Ihr könnt ihr gerne einen Rundgang gewähren, aber ich bezweifle, dass sie euch noch weiter folgen wird?“ Mit den Schultern zuckend, guckte er zu mir, „Werden Sie doch nicht, oder?“ „Nur über …“ Nein, das sollte ich nicht sagen. „Gewiss nicht“, verbesserte ich mich. „Du hast es gehört. Ihr habt es gehört. Was nun? Wird uns der Zorn eures Familienoberhauptes ereilen?“ „Seid nicht so respektlos!“, ermahnte die Radekanerin, jetzt sogar ein bisschen wütend. „Was dann? Was wird passieren? Was hat es für Konsequenzen, wenn man sich gegen euer Matriarchat stellt? Wo liegen die Grenzen? Was hat es für einen Sinn, Warnungen auszusprechen, wenn es keine Konsequenzen trägt?“ Die Gebetsschwester antwortete nicht. „Oooh … bitte nicht die antiautoritäre Erziehung! Bitte sag mir nicht, dass ihr hier auch so ein unsinniges Modell habt!“ Er wog den Kopf unnachgiebig von links nach rechts. Die Radekanerin richtete sich nun mehr wieder etwas vor der Statue auf, doch statt zu sprechen, begann sie mit der Faust auf dem Boden zu klopfen. Einmal. Zweimal. Klopf. Klopf. Klopf. Was sollte das werden? Sie hörte nicht auf zu klopfen. Immer weiter, immer wieder. Kam es mir nur so vor oder wurde es immer melodischer und eindringlicher? Und mit einem Mal war es nicht nur ein Monoklang, der den Raum erfüllte, sondern eine zweite, eine dritte Quelle. Ähnlich wie die Wirkung von mehreren marschierenden Stiefelträgern, wurden auch diese Geräusche in meinen Ohren lauter und lauter. Es machte mir sogar ein wenig Angst. „Scheint, als würde sie jetzt Verstärkung anrufen“, murmelte der Doktor und sah sich ebenso aufmerksam um. „Sie haben sich mit Ihrer Aussage keine Freunde gemacht.“ „Ich sagte doch: Ich kann nicht meine Klappe halten.“ „Im Grunde weiß ich das sehr zu schätzen.“ „… aber Ehrlichkeit kann auch wehtun. Schon verstanden.“ Mir wäre es lieb gewesen, nicht solch ein Worte-Pingpong zu spielen, aber zumindest hinterließ es bei mir so das Gefühl, dass wir noch ein bisschen die Oberhand hatten. Ein ganz klein wenig. Klopf. Klopf. Klopf. Klopf. Vermutlich waren die anderen Betenden von vorhin die ganze Zeit hier gewesen und hatten sich nur zurückgehalten. Anders konnte ich es mir nicht erklären, dass sie jetzt so plötzlich wieder auf der Matte standen und von jeder Seite die gleiche Pose wie die Frau vor uns eingenommen hatten und es ihr gleichtaten. Dort hinten am Tempelausgang. Dort drüben, am Seitenflügel. Vorne, ganz in der Nähe von uns. Überall. Es schienen nur noch mehr zu sein. Noch mehr dieser Gebetsgewandtragenden. Klopf. Klopf. Klopf. „Oh Heilige Mutter! Oh große Adkata, verzeihe uns, dass wir diese Ungläubigen zu dir gelassen haben! Habe Mitleid mit dem Kind, das unter falschen Einfluss steht. Sei gerecht zu demjenigen, der uns ins Unglück stürzen wird!“ Das war Aqatas Stimme, welche nun groß und weit erklang. Er war es auch, der mit hocherhobenen Händen, gen Statue gerichtet, vom Eingang des Tempels auf uns zuschritt. „Sei gerecht und sei gnädig zu uns!“ Gemeinsam mit den anderen kam er uns näher und näher. Der Rest war inzwischen ebenso aufgestanden und hatte eine Hand jeweils an deren Brustbein gelegt und die andere auf uns zugelegt. Duma und Metatropeasis wurden von ihnen einfach umgangen. Sie waren es nicht, die von Interesse waren. Dies betraf nur uns beide, den Doktor und mich. Der Doktor, welcher hier als Unglücksbote galt und ich, die sich auf die Seite des Doktors stellte. Sie hatten uns eingekreist. Der Timelord neben mir griff in seine Jackeninnentasche, vermutlich den Sonic Screwdriver ergreifend. „Was… haben Sie vor? Das ist doch keine Waffe?“, murmelte ich. „Nein, aber es kann durchaus abschreckend sein, wenn ich ein bisschen mit dem blauen Licht spiele.“ Als uns Aqata nun so nah war, dass er hätte zugreifen können, machte der Doktor seinen Plan war und riss den Schraubenzieher hervor, welcher auch schon mit seinem flirrenden Ton und dem blauen Licht antwortete. Die kleine Meute vor uns wich einen Schritt zurück und schauten misstrauisch und verunsichert auf den Zauberstab. So etwas hatte sie bestimmt nicht gesehen. „Ihr wagt es in der Heiligen Stätte Eure Waffe auf uns zu richten?“, rief Aqata mit Zorn in der Stimme, „Wie weit wollt ihr diesen Ort noch entehren?“ „Ich will nichts sagen, aber hinsichtlich geweihten Stätten solltet ihr euch vielleicht etwas von den Masakreanern abgucken.“ „Masakreaner?“, entfuhr es mir irritiert und ich wandte für einen Moment den Blick von den anderen ab, weil mich der Doktor nun mehr irritiert hatte, als wohl unsere Gegner. „Oh, eine hochkultivierte Spezies des Planeten Kretaria in der Konstellation Galleopeia. Die wissen, wie man Auferbietungen macht.“ „Bringt sie zum Schweigen!“, rief der alte Radekaner nun aufgebracht und ich war fest davon überzeugt, dass sie uns jetzt wirklich festnehmen würden, auf ganz rabiate Art und Weise, aber stattdessen öffneten sie nur ihren Mund und aus diesem hallte ein extrem hoher und kopfschmerzbereitender Ton hervor, der mich die Ohren zuhalten ließ. Was war das? Was taten sie? Ich wollte einen Gedanken fassen, wollte mich irgendwie von diesem Ton lösen, aber alles, was sich in meinem Kopf einzustellen begann, war Schwindel. Nicht mehr. Der Doktor sagte etwas zu mir, doch konnte ich ihn nicht verstehen. Der hohe Ton der Stimmen jener Radekaner vor uns, war alles, was ich vernahm und mit einem Mal wurde es einfach nur noch dunkel. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)