Out of the Blue. von Ikeuchi_Aya (Out of the box.) ================================================================================ Prolog: -------- Wenn es für Dummheit einen Preis gäb...   ...hätte ich ihn mal wieder gewonnen. Ich stieß gegen die Kommode auf dem Flur und das natürlich auch noch mit dem kleinen Zeh. „Autsch!“, entfuhr es mir und ich hielt inne, scharf die Luft scharf einziehend. Schön, wenn der Schmerz nachließ. Ja, lieber Körper, mir war bewusst, dass es spät war und ich eigentlich schon längst schlafen sollte, aber dennoch... musste das sein? Okay, eigentlich war ich selbst dran schuld, wenn ich just aus Faulheit nicht gedachte für fünf Sekunden das Licht einzuschalten. Stattdessen tappte ich lieber im Dunkeln herum, denn es war ja nicht weit zu meinem Bett. Scheibenkleister. Egal, wie gut ich meine Wohnung kannte, der Zehstoß war ein Ereignis, das nicht ausgelassen werden durfte und mindestens einmal im Jahr erfolgen musste. Aus dem immer selben Grund. Und warum die Faulheit? Weil ich mich festgelesen hatte. Verdammte Fanfiktion. Verdammte Fanfiktion, die du zu gut gewesen bist, so dass ich nichts bereute. Naja... bis auf die Sache mit dem kleinen Zeh eben. Ich hatte vollkommen die Zeit aus den Augen verloren, während ich so in die Welt der Wörter eingetaucht bin und aus meinen sonst zweiundzwanzig Uhr blitzfix zwei Uhr nachts wurde. Mehr als nur Schlafenszeit. Ich stöhnte genervt und von dem puckernden Schmerz geplagt machte ich mich auf, die letzten zwei Meter zu überwinden, um in die weichen Federn meines Bettes zu fallen. Manchmal war ich doch froh, wenn ich es für mich hatte... man konnte die Beine ausstrecken und niemanden würde dies stören. Vollkommene Einnahme der Besatzungszone. Nur mit der Fußinnenseite auftretend, humpelte ich voran, wollte die Hand an die Türklinke legen, griff allerdings ins Leere. Sei es drum. Ich hatte die Augen schon so gut wie geschlossen, als mich abermals eine Störung davon abhielt, endlich den Schlaf der Gerechten zu erlangen. Irgendetwas stand mir im Weg und ich lief schnurstracks hinein. Das war keine Tür gewesen, dafür hätte meine Stirn schmerzen müssen, wie ich es schon mehrfach unfreiwillig zu testen gewusst hatte. Ich war irritiert. „Hallo?“ Nein, Korrektur, ich war sehr irritiert. Schlief ich doch schon? Die Stimme ließ mich auffahren und meine Augen aufreißen. Nicht, dass meine Augen noch größer hätten werden können, aber so fühlte es sich für mich an, als ich nun erst einmal überfordert von links nach rechts sah. Gut. Das war nicht mein Schlafzimmer. Es war auch nicht meine Wohnung. Erklärte die zugige Luft, die um meine Beine schlich, welche nur mit meiner Schlafanzughose bedeckt waren. Nicht aber, wo ich mich nun befand und wie ich hierher gekommen bin. Der Raum war zur Decke hin abgerundet. Viele bullaugenartige Einkerbungen befanden sich an den Wänden. In dem bräunlich, grünlichen Licht konnte ich deren korrekte Farbe nicht ausmachen, da sie einen ähnlichen Ton angenommen hatten. Seltsame Stützen, deren Funktionstauglichkeit ich skeptisch betrachtete, gingen vom Boden aus. Sie hatten die Form von... Baumstämmen mit starken Ästen. Baubotanik war nichts außergewöhnliches mehr, aber ich bezweifelte, dass dies der Natur oder Kunst gewidmet war. Eigentlich bezweifelte ich sogar, dass dies Bäume waren. Dabei müsste ich es weitaus besser wissen. „Nicht mein Schlafzimmer“, murmelte ich benommen und hatte im Grunde schon den rechten Gedanken gefasst. Mein Kopf war jedoch immer noch zu unfähig, die finale Schlussfolgerung zu ziehen. Wollte sie nicht ziehen. Das war nämlich einfach zu absurd. „Hallo? Wie kommen Sie bitte in meine TARDIS?“, erklang erneut die Stimme von eben, nun mehr weniger überrascht, dafür aber doch verärgert und irgendwo auch... neugierig? „Wüsste ich auch gern“, murmelte ich wieder geistesabwesend und rieb mir die Augen. Just in diesem Moment schienen die Worte erst mein Sprachverarbeitungszentrum zu erreichen und ich hielt mitten in der Bewegung inne: „TARDIS?“, schoss es da geschockt aus mir heraus und ich starrte dem Fremden entgegen, der mit einem Mal gar nicht mehr so fremd war: diese rehbraunen Augen, die mich misstrauisch ansahen... die kurzen, kreuz und quer liegenden braunen Haare und die fast bis zu den Ohrläppchen gehenden Koteletten... Ein recht schmal gebauter Mann im braunen Nadelstreifenanzug mit gleichfarbiger Krawatte und einem hellblauen Hemd. Stilbruch: Chucks. Ich musste letztere nicht einmal mehr sehen, um zu wissen, dass er sie trug. Der Doktor. „Ich... bin in der TARDIS?“, brachte ich im zweiten Anlauf etwas ruhiger hervor, „Wie... komme ich in die TARDIS?“ Das ging ja gar nicht! „Das frage ich Sie.“ Uns gegenseitig für einen Moment der Stille ansehend, musste ich wohl oder übel akzeptieren, dass er wirklich vor mir stand. Sollte mir meine Müdigkeit einen miesen Streich spielen, okay, aber es war dennoch ein verdammt guter mieser Streich. „Ich habe keine Ahnung!“ „Sie klingen dafür etwas zu begeistert.“ Natürlich! hatte ich antworten wollen, verkniff es mir allerdings. Dennoch würde man anhand meiner hochgezogenen Mundwinkel erkennen, dass mir dieses zufällige Aufeinandertreffen mehr als nur gut gefiel. Von der Unmöglichkeit der Dinge einmal abgesehen.   Doktor, TARDIS, ich.   Keine Kombination, die ich nicht kannte – aber das hier war eben fernab Cosplay, fernab eines so tun als ob. „Keineswegs“, antwortete ich, konnte aber bereits mit dem Grinsen nicht mehr aufhören, „Vermutlich nur eine traumähnliche Eingebung, die mir gefällt.“ Ich konnte ja zumindest zugeben, dass ich dem Ganzen selbst nicht hundertprozentig traute. Wer würde dies schon, wenn man mit einem Mal David Tennant vor sich zu stehen hatte? Richtig. Niemand. Zumindest nicht in den eigenen vier Wänden, die sich auf in ein Raumschiff verwandelt zu haben schienen. „H-Hey!“ Ein helles Licht blendete mich und ich kniff hastig die Augen zusammen. Der bekannte Sound des Schallschraubenziehers erklang und das krasse Blau erreichte mich natürlich selbst hinter den geschlossenen Lidern. Ohne dass ich es wollte, entsprang mir ein tadelndes „Hören Sie auf, mich mit ihrem Sonicscrewdriver zu... sonicscrewdriven!“ Das surrende Geräusch verstummte. Für die nächsten Minuten würde nun ein heller Fleck als Störenfried mein Sichtfeld beeinträchtigen. Vielen Dank! Der Doktor hielt den Schallschraubenzieher immer noch in seiner Hand, blickte aber von mir zu diesem und wieder zurück zu mir. „Sie wissen, was das ist?“ „Der Schallschraubenzieher?“ „Woher?“ Ich konnte wohl schlecht TV-Serie sagen? „Schon mal gesehen?“ Das war nicht gelogen. Anhand der Mimik des Timelords vor mir erkannte ich aber ebenso, dass auch ihm jene Antwort nicht unnatürlich vorkam. Wenn ich es nicht besser wüsste, kramte er gerade in seinem jahrhundertealten Gedächtnis, wo er mich schon einmal getroffen haben könnte. „Zumindest scheinen Sie ein Mensch zu sein“, war dann seine nächste Bemerkung, als er sich mit meiner Antwort zunächst abfand, „Jedenfalls ist mir noch keine Spezies untergekommen, die sich in Schlafröcken und Morgenmänteln bewegt. Wie gesagt... außer euch Menschen.“ Er hatte seinen Blick abgewandt, um den Schallschraubenzieher wieder zurück in das Innenfutter seines Jacketts zu stecken. Eine nette Art mir mitzuteilen, dass ich unpassend gekleidet war. Und erkannte ich da fast schon so etwas wie ein amüsantes Aufzucken seiner Mundwinkel? Ich verschränkte die Arme vor der Brust und sah an mir herunter. Ja, gut. Mein Winterschlafanzug mit den Schneeflocken war nicht gerade das modischste Chic für die Bekanntschaft mit einem Fremden, aber hey – es hätte schlimmer sein können! Die Schäfchen zum Beispiel. Oder Ernie und Quietscheentchen. Das wäre mir dann doch etwas peinlich gewesen. Hiermit konnte ich leben. Halbwegs. „Natürlich bin ich ein Mensch“, entgegnete ich. Mein Personalausweis hätte dies besser bewiesen, auch wenn dort keine Rasse verzeichnet war, doch den hatte ich aktuell kaum zur Hand. „Wo kommen Sie her?“, fragte mich mein Gegenüber daraufhin und lehnte sich an das Steuerpult der TARDIS hinter ihm, ebenso mit verschränkten Armen dastehend. „Wie ich sagte: von der Erde. Deutschland. Berlin.“ Der Doktor wiegte den Kopf fast schon etwas beeindruckt zur Seite und nickte dann, „Königliche Hauptstadt und auch später immer wieder Zentrum politischer Bewegungen.“ „Und kultureller Entwicklungen.“ „Ein guter Ausdruck für den Boom verschiedener Spezi und unnötigen Kladderadatschs.“ Ich sah ihn verständnislos an und es schien, dass er selbst bemerkte, dass er für seine Verhältnisse zu viel über die Zukunft geredet hatte, so dass er vom Thema abwich: „Sie scheinen mir zumindest keine unnatürlich hohe Intelligenz aufzuweisen oder sonstige anatomischen Besonderheiten bereitzuhalten.“ „Hey!“ Das war nahezu frech. „Einundzwanzigstes Jahrhundert?“ „Ja, 2017.“ „Dachte ich mir.“ Wieder dieser Unterton. „Wollen Sie mir irgendetwas damit sagen?“ „Ein paar Jahrhunderte später sieht eure Welt schlicht ein bisschen anders aus.“ War ich für ihn jetzt also so etwas wie ein Urmensch? Er hatte die Erde doch nicht das erste Mal besucht! Wenn er der zehnte Doktor war, dann hatte er auch schon Rose getroffen. Und diese lebte ja nun eindeutig in den 2000ern. „Das könnte es allerdings erklären.“ „Was erklären?“ Der Doktor sah mir wieder direkt in die Augen und wiegte erneut den Kopf zur Seite, um daraufhin den Mund verdrießlich zu verziehen, „Narh... Sie stellen viel zu viele Fragen!“ Ich hatte den Doktor etwas charismatischer in Erinnerung. Beide Augenbrauen nach oben ziehend, wusste ich nicht, was ich davon halten sollte, wie er hier auftrat. Jemand, dem es nichts ausmachte zu sagen und zu zeigen, was er von anderen hielt. Es war keine Überlegenheit, keine Verachtung, die dabei aus ihm heraussprach. Vielmehr wusste er nicht, wo Schluss war und an welchen Stellen er mit seinen Äußerungen über die Stränge schlug. „Wie heißen Sie überhaupt?“ „Alexandra“, antwortete ich nachdenklich. „Schön Sie kennenzulernen, Alexandra. Und nun bringen wir Sie wieder dorthin, wo Sie hergekommen sind.“ Der Timelord wartete nicht länger und hatte sich mit einer Bewegung auf dem Absatz umgedreht, um sich dem Steuerpult zuzuwenden. Bevor ich mich versah, war er daran die TARDIS startklar zu machen. Zack, zack, zack. „Halt!“, konnte ich mich da endlich aus meiner Starre befreien und war zu ihm gesprungen. Mich halb über die Steuerzentrale werfend, verhinderte ich, dass er noch weitere Dinge tat und die blaue Box einfach startete. „Was tun Sie da?“, empörte er sich über meine Dreistigkeit und ich wusste keine bessere Erwiderung, als es ihm gleichzutun: „Was tun Sie da?“ Wir starrten uns einander zum zweiten Mal in die Augen. Irgendwas hatte mich geritten, Einsprüche zu erheben, aber Argumente, warum ich nicht nach Hause eskortiert werden sollte, hatte ich keine. Nur so ein Gefühl. „Was meinten Sie mit das erklärt es? Danach können Sie mich gerne zurückbringen, aber was erklärt was?“ Dass ich neugierig war, war auch nichts neues. Und wenn ich durch diese Neugier ein bisschen meine Heimreise verzögern konnte, umso besser. Der Doktor schien tatsächlich zu zögern und abzuwägen, was er tun sollte. „Ich verspreche es!“, warb ich noch mehr, obwohl mir klar war, dass das Versprechen einer Fremden nicht gerade vertrauensselig war. „Hoch und heilig!“ Verhandeln musste ich echt noch üben. „Na schön...“, sprach er schließlich und ließ den Hebel los, welchen er noch mit seiner Hand festhielt, „Kommen Sie mit.“ Hatte ich etwa Erfolg gehabt? … Das konnte ich mir nicht vorstellen. Dafür war das zu einfach und er... der Doktor. Seit wann würde er auf jemand Dahergelaufenes hören? Der Doktor machte ein paar Schritte Richtung einer weiteren Tür, welche nicht den bekannten Ausgang in unbekannte Welten markierte und wartete dann am Absatz auf mich. Auch ich richtete mich wieder auf und spürte nun an meinem Hüftknochen, auf dem sich bei meiner Draufwerfaktion die Kante des Pults verewigt hatte. Das würde einen ordentlichen blauen Fleck geben. Ich rieb mir die schmerzende Stelle. Andere kniffen sich in die Arme und ich würde morgen anhand des Hämatoms sehen, ob ich geträumt hatte oder nicht. Prima.   Ich folgte dem Doktor hinaus in die dunklen Korridore der TARDIS. Sie waren zwar nicht verwinkelt, recht gradlinig, doch da sie in Kurven lagen – so rund wie nun einmal auch das Cockpit war – konnte man dennoch nicht sehen, was einen erwartete. Ich mochte solche Ecken ganz und gar nicht. Spätestens nach meiner letzten Gruselkabinetterfahrung. Die spärliche Beleuchtung machte es nicht gerade besser. Man konnte zwar die Hand vor den Augen erkennen und nicht über die eigenen Füße stolpern, doch das war es auch schon. Ich war froh, nicht allein zu sein und ebenso erleichtert, als wir eine weitere Abzweigung erreichten und zur Rechten den Korridor endlich verlassen konnten. Wir betraten eine Wendeltreppe, stiegen die Stufen hinab. Hatte dieses Gefährt überhaupt eine architektonische Logik vorzuweisen? Schließlich erreichten wir eine weitere Tür, aber diesmal blieb der Doktor plötzlich stehen. Beinahe in ihn reinstolpernd, hielt ich abrupt an. „W-Was ist?“ „Ist bei Ihnen zu Hause schon einmal ein Zimmer erschienen, das gar nicht hätte da sein dürfen?“, warf er mir als Gegenfrage entgegen und fügte dieser einen so seltsamen Unterton hinzu, dass ich nicht wusste, ob dies Ernst war oder nicht. Ob er überhaupt eine Antwort darauf hören wollte. „Nein?“, warf ich ebenso zurück. Hätte mich auch sehr irritiert, wäre es so gewesen. Immerhin besaß ich nur eine Ein-Zimmer-Wohnung... und ein Anbau während der Sanierungsmaßnahmen wäre wohl mit eindeutigen Mehrkosten verbunden gewesen. Nicht, dass ich mehr Platz nicht begrüßt hätte. „Hier auch nicht.“ Und damit stieß er die Tür auf und ließ mir freien Blick auf das Innenleben, welches mir den Mund aufklappen ließ. Das... konnte ja gar nicht sein! „Mir sind schon einige seltsame Dinge hier passiert, aber das übertrifft so ziemlich alles.“ Obwohl ich ihn klar und deutlich sprechen hörte, rauschten seine Worte an meinen Ohren vorbei. Meine Aufmerksamkeit war viel zu sehr auf das Zimmer vor mir gerichtet. Es war für mich so beinahe schon selbstverständlich, dass ich einen Fuß hineinsetzte und die Wand zu meiner Linken berührte – denn hier grenzte sogleich ein großes Bett an, dass sich bis in die Ecke des Raumes zog. Daneben ein Nachttisch und ein gefülltes Bücherregal. Mir gerade gegenüber befanden sich zwei nebeneinander stehende, weiße Kleiderschränke. Zu meiner Rechten dann ein Schreibtisch, auf dem ordentlich allerlei Utensilien angeordnet waren, sowie eine Lampe und direkt unter dem Tisch noch ein Ablagewagen. Besaß die TARDIS eigentlich so etwas wie Steckdosen? Fehlte nur noch die Couch und der Fernseher und dann wäre es nahezu... „Perfekt“, flüsterte ich und spürte, wie in mir ein Gefühl von Heimat aufstieg. Ich trat zum Kleiderschrank und legte meine Hände an die metallenen Griffe. Einmal durchatmend, zog die beiden Türen daraufhin nach außen auf. Meine Lippen formten augenblicklich ein Lächeln. Ich konnte nicht sehen, dass der Doktor mich aufmerksam beobachtete und so nicht eine Sekunde seinen wachsamen Blick verlor, denn dafür war ich viel zu sehr beschäftigt, eine schwarze Lederjacke hervorzuziehen und zu untersuchen... Ja, die Klamotten kamen mir alle sehr, sehr bekannt vor. „Dieses Zimmer ist erst vor kurzem erschienen. Kurz vor Ihrer Ankunft, um genauer zu sein“, sprach er dann und ich wandte den Kopf über die Schulter, überrascht, „Ich habe dafür keinerlei Verwendung, aber... mir scheint, Sie hingegen schon?“ Ertappt. „Nun ja... es... entspricht meinem Geschmack?“ Das war nicht gelogen. Aber noch mehr... war es nicht nur mein Geschmack, sondern entsprach beinahe auf den Punkt genau der Einrichtung meines Wohn- und Schlafzimmers. Fehlten nur die Fenster. Und die Deckenbeleuchtung. Ich drehte mich nun richtig zum Doktor um, welcher hörbar ausatmete und die Hände in die Hosentasche gesteckt hielt. „Ich weiß zwar nicht warum, aber die TARDIS akzeptiert Ihre Anwesenheit.“ „Das... kommt nicht oft vor... oder?“ „Normalerweise würde es zu Turbulenzen führen. Abstoßungsreaktionen, wenn Sie es so wollen. Aber sie kann Sie interessanterweise recht gut leiden.“ „Was für ein Kompliment?“ Wie auf Kommando begann das Schiff mit einem Mal zu wackeln, als säße man in einem Jeep, der über wildes Geröll raste. Das hätte ich wohl nicht zu laut sagen sollen... „Lediglich ein kleiner Schluckauf.“ „Wie beruhigend“, lachte ich gespielt und hielt mich kräftig an den Griffen des Schrankes fest, jederzeit für ein weiteres Beben bereit, „Und... das heißt jetzt was?“ „Ich werde Sie sicher wieder zur Erde bringen können.“ Natürlich. Was auch sonst. … Irgendwie war ich enttäuscht. Vermutlich, weil es so geklungen hatte, als würde mir doch eine weitere Reise gewährt werden. Ferner von daheim. Nicht nur die einmalige Rücktour. Weil ich hier eindeutig mein Zimmer hatte. „Warum... haben Sie mir dann diesen Raum gezeigt?“, konnte ich meine Enttäuschung so auch nicht mehr verbergen und lehnte die Schranktür wieder an. Ich hatte genug gesehen. „Ich wollte Ihre Reaktion testen“, erklärte der Timelord schlichtweg und machte zwei Schritte auf mich zu, „Aber Sie waren genauso überrascht wie ich. Und davon abgesehen... sollten Sie sich vielleicht etwas anderes anziehen, es könnte frisch werden. Auch wenn es für Sie nur nach Hause geht.“ Der Doktor ließ mich mit diesem letzten Wink auf meine natürlich immer noch vorhandenen Schlafklamotten schließlich allein und schloss hinter sich die Zimmertür. Unmöglich. Ich wusste nicht, ob ich ihn einfach als unhöflich einschätzen sollte oder als rücksichtsvoll, dass er mir die Möglichkeit ließ, mich anzuziehen. Wie dem auch sei, wollte ich die Chance nutzen und widmete mich wieder der Garderobe, mich zwingend, die Situation hinzunehmen wie sie war. Kannst du etwas ändern? Dann tu es. Wenn nicht, akzeptiere es. Ich wählte eine schwarze Strumpfhose, meine hellblauen Jeans-Hotpants und dazu dann ein einfaches Langarmshirt, über welches ich meinen puderrosanen Lacepullover trug. Noch aus der untersten Etage die schwarzen flachen Stiefel hervorziehend, welche mir genug Komfort und Bewegungsfreiraum geben würden... fertig. Selbst die Anordnung der Klamotten glich eins zu einer meiner zu Hause. Allerdings beschloss ich, mich noch ein bisschen genauer umzusehen, wo ich schon einmal hier war. Es wirkte wirklich so, als hätte die TARDIS nur auf mich gewartet. Das Bettmodell, die Bettwäsche, der Schrank... Selbst der Schreibtisch besaß die mir nur zu bekannte Verteilung von Stiften, Notizblöcken und... mein... Tagebuch? Ohne zu zögern griff ich danach, öffnete es flink, aber... nichts als blanke Seiten. Das hätte gar nicht sein können, weil ich eigentlich schon beinahe am Ende jener angelangt war. Hier hingegen befand sich nicht ein einziges Wort niedergeschrieben. Mir kam der Gedanke, dass die TARDIS nur imstande war, materialistisch nachzubilden, nicht aber auch das Gedankengut zu implementieren, welches ja erst die persönliche Note von Dingen auszumachen wusste. Wenn ich mir das Wunschglas auf dem Tisch anschaute, bestätigte sich mein Verdacht. Auch hier die zusammengefalteten Wochenzetteln waren nicht beschriftet. Zuhause trug jedes die Notiz der der jeweiligen Kalenderwoche. Stattdessen... blank. Ein interessantes Phänomen, welches ich nur zu gerne erforschen wollte. Was ich nur zu gerne den Doktor fragen wollte. So, wie vieles andere auch: Was der entfernteste Ort war, den er inzwischen gesehen hatte, was ihn am meisten beeindruckt hatte, wo er nicht noch einmal hinmöchte, was er so faszinierend an den Zeitreisen fand, … … Richtig, der Doktor wartete!   Ich wollte kein weiteres Misstrauen bei ihm erwecken, so dass ich mich von all den Dingen hier losriss und beschloss, wieder zurückzugehen. Nicht aber, ohne das leere Tagebuch mitzunehmen und einen Stift. Auf dem Weg zum Zentrum blieb ich doch noch einmal hier und da stehen und fertigte fixe Skizzen von dem an, was ich hier sah. Nur kleine Kritzeleien, aber sie würden mir später helfen, dass ich nichts vergaß... und ein Beweis sein, dass ich das hier wirklich miterlebt hatte. Allein in den Korridoren umherzuwandern, ließ mich meine selbstauferlegte Dokumentation recht rasch beenden und mehr als einmal musste ich mir Mut zusprechen, dass mir hier schon nichts passieren könnte. Es war nur die TARDIS. Zwar irgendwo unheimliche Ecken, aber... es war die TARDIS. Alles gut. Als ich schließlich wieder leicht atemlos durch die erste Tür von vorhin schritt, sah ich den Doktor am Steuerpult stehen und aufmerksam die Gerätschaften begutachtend, welche die TARDIS lenkten. „Da sind Sie ja“, begrüßte er mich und sah kurz zu mir herüber, „Haben Sie sich verlaufen? Nun, zumindest sind Sie jetzt wieder ausgehfertig.“ „Vielen Dank“, konnte ich mir bei so viel Freundlichkeit und Empathie nicht verkneifen und zückte das Büchlein, um weiter zu zeichnen... Ich hatte nicht das Gefühl, dass er besonders viel Wert auf ein Gespräch mit mir legen würde. Also konnte ich doch auch in aller Ruhe meiner eigenen Leidenschaft nachgehen, oder? So unscheinbar wie möglich, begann ich den Timelord abzuzeichnen. Es klappte ganz gut und ich war gerade angekommen, seine Nase detaillierter auszurichten, als er auf mich zukam. „Was tun Sie da?“, erkundigte er sich neugierig. „Ich... mache mir Notizen“, antwortete ich wahrheitsgemäß, wenn auch selbst für mich etwas zu sachlich und neutral, hatte doch keinerlei Emotion aus meiner Stimme gesprochen. „Worüber?“ „Dass ich hier bin. Dass Sie hier sind und dass dies alles wirklich passiert.“ Diese Worte schienen den Doktor für einen Moment etwas zu irritieren und er stoppte seinen Fragefluss. Ich versuchte mich nicht davon ablenken zu lassen, dass er mir nun mehr über die Schulter guckte, aber leider konnte ich so auch nicht weiterzeichnen... Und auch wenn ich fix die Seite umgeschlagen hatte und schnell anfing, das Pult in der Mitte des Raumes einzufangen, schimmerte die Zeichnung durch das dünne Papier gut genug hindurch als dass er erkennen könnte, was ich zuvor skizziert hatte. „Sie besitzen Talent“, bemerkte er aufrichtig beeindruckt und meinte damit keineswegs die schrägen und gerade Striche, die nun die TARDIS darstellen sollten. „Naja... ein bisschen.“ Es war mir immer unangenehm, wenn mich jemand für meine Zeichenfähigkeiten lobte, da ich sie längst noch nicht als gut erachtete. Vorgebend, dass ich nicht mitbekam, wie der Timelord weiterhin vehement die Augen auf mich und nichts anderes gerichtet hielt, schwieg ich mich aus. Es war mir auch etwas unangenehm, dass er so nah bei mir stand. Ich war keines der Fangirls, die ihm um den Hals fallen oder ihr Herz an ihn verlieren würden... ersteres hatte ich noch nie getan und zweiteres war nicht möglich, war mein Herz schon ganz woanders verankert. Der Gedanke daran ließ mich die Lippen ein wenig verdrießlich aufeinander pressen. „Ich werde Sie wieder sicher nach Hause bringen“, drang die nun mehr überaus ernste Stimme meines Gegenübers klar und mit einem fast schon besorgten Unterton an mein Ohr. Überrascht über diese wiederholten Worte, sah ich zu ihm auf und konnte auch anhand des Ausdrucks in seinen braunen Augen sehen, dass er der Meinung war, es mir so noch einmal versichern zu müssen. Verantwortungsgefühl? Keiner von uns beiden konnte etwas dafür, dass ich hier gelandet bin, also bräuchte er sich auch nicht verantwortlich fühlen, oder? „Ja... das weiß ich“, nickte ich immer noch ruhig, „Sie... sind der Doktor.“ Etwas Dümmeres hätte ich wohl gar nicht sagen können, denn was wusste ich schon über ihn? Was er alles erlebt hatte und welche Begleiter er bisher an seiner Seite gehabt und vielleicht sogar verloren hatte? Mit diesem Satz hatte ich ihm erst recht die Last auferlegt, mich wieder zurück auf die Erde zu bringen. Und weil ich nicht so einfältig war, dies nicht zu bemerken, versuchte ich mich zu verbessern, „Ich meine... Sie haben die Möglichkeit, mich zurückzubringen. Es hätte schlimmer kommen könnte. Ich... hätte auch alleine auf dem Mars landen können. Kein Sauerstoff.“ Meine Art war es leider auch, Dinge herunterzuspielen. Oder subtil zu beleuchten. Nichts, auf dass ich wirklich stolz war. Aber wenn sich mein Gegenüber damit besser fühlen würde, würde ich es tun. Und ich war schon unbedacht genug gewesen, dem Timelord zu sagen Hey, du machst das schon. Was ich hingegen nie bedachte war die Tatsache, dass es auch Menschen gab, die dahinter sehen konnten und die Botschaften verstanden: „Haben Sie Angst?“, fragte er ganz unvermittelt und ich musste kurzzeitig innehalten, weil ich nicht wusste, was ich darauf sagen sollte. Ich konnte es ihm nicht verübeln, dass er mich ganz direkt damit konfrontierte. Womöglich war ich einfach... zu ruhig? Sicherlich wäre jeder andere sonst wie begeistert, schockiert oder sonst wie anders gewesen... nur nicht so gefasst wirkend wie ich. Dabei war ich wirklich alles andere als das. Nur, wenn ich mich auf eine Tätigkeit fokussierte, konnte ich solche Gefühle ziemlich gut ausblenden und ging voll und ganz in meinem Tun auf. Trotzdem hatte ich keinen Erfolg damit und wurde auf frischer Tat ertappt. Also... konnte ich auch mit der Sprache rausrücken, oder nicht? Ein einfaches Ja oder Nein würde für mich nicht ausreichen. Ich hatte mir aber vor einiger Zeit geschworen, dass ich wieder aktiver werden und mich besser zu erklären versuchen würde, anstatt klein beizugeben und schlicht zu akzeptieren. Das war eine Chance. „Nicht direkt. Wenn ich wirklich allein auf dem Mars wäre... dann schon. Nicht nur wegen dem nicht vorhandenen Sauerstoff. Aber da ich nicht allein bin, kann ich es aushalten.“ Aufrichtiger könnte ich nicht sein. Natürlich war mir unwohl, aber zu zweit ließen sich Dinge besser ertragen. So auch diese Situation. Der Doktor sah mich noch ein paar Sekunden länger eingehend an, bis er für sich beschloss, dass es wohl wirklich in Ordnung schien und ich ihm nicht jeden weiteren Moment durchdrehen würde. „Nun gut... Sie sagten, sie leben im Jahr 2017?“ „Richtig.“ „Nennen Sie mir so genau wie möglich das genaue Datum und die Uhrzeit“ Er schritt wieder zurück zum Zentrum des Raumes und ich nannte ihm für die korrekte Navigation Monat, Tag und die ungefähre Uhrzeit. Es wäre nicht schlimm, wenn es ein, zwei Stunden früher oder später wären... aber hoffentlich nicht erst Tage oder gar... Jahre. Die TARDIS schaffte es schließlich immer mal wieder, sich zu verkalkulieren... leider. Ich wartete, aber statt dass sich irgendein bestätigendes Geräusch ergab oder ähnliches, breitete sich mit einem Mal ein eher beunruhigender Ton breit: ein typisches Symbol dafür, dass eine Eingabe nicht korrekt durchgeführt wurde. „Komm schon, das kann doch nicht dein Ernst sein“, murmelte der Doktor, aber er bekam auch sogleich die passende Antwort geliefert: nicht korrekt. Wenn man die Maschinengeräusche übersetzte, müsste so etwas dabei rauskommen. Da war ich mir sicher. „Süße... was ist los?“ Seine Stimme nahm eine für einen Mann ziemlich hohe Tonlage an und er klopfte zweimal auf die Blechplatte vor ihm, natürlich ohne eine Reaktion zu erhalten, „Was hast du?“ „... Klingt nach... Problemen?“ Der Doktor gab keinen Ton von sich und als es nach dem dritten Versuch immer noch nicht funktionierte, sah er mich zwar weiterhin nicht an, sprach dafür aber mit mir: „Alexandra, gibt es einen Ort, den Sie gerne einmal sehen wollen?“ „Ehm... da gibt es einige.“ „Vielleicht noch so ein paar Jahre früher oder später.“ Ich ahnte, worauf das hinauslaufen würde: Ein Versuch, ob die TARDIS sich überhaupt noch steuern ließ oder das Problem tatsächlich tiefer lag, als es bisher schien. „Eh... viktorianische oder edwardianische Zeit in London? Oder... auch Frankreich zur Rokokozeit?“, fielen mir als erste Ideen ein, „Wäre es nicht so gefährlich, würde ich auch gerne mal Jeanne d'Arc kennenlernen, aber der hundertjährige Krieg... und Frauen war eh nicht besonders angesehen.“ „Nun gut, dann versuchen wir es...“, entschied er und gab neue Koordinaten ein, nach denen sich die blaue Box richten sollte, „Wir werden einen kleinen Umweg einnehmen! Halten Sie sich gut fest!“ Bei diesen Worten begann mein Herz aufgeregt gegen meine Brust zu schlagen. Ich spürte die Spannung bis in meinen Magen rumoren und wagte mich nicht, auch nur ein Wort zu erwidern. Das klang nach... Abenteuer. Vielleicht würde es nur ein ganz kurzes werden, ein kleiner Ausflug, um einmal die Luft der Vergangenheit zu schnuppern, aber definitiv würden wir einen Zwischenstopp einlegen müssen. Und das ließ mich regelrechte Reiselust verspüren. Aus irgendeinem Grund wollte die TARDIS also nicht direkt wieder meine Zeit ansteuern. Wenn ich an das perfekte Zimmer dachte, verwunderte es mich nicht einmal. Und für diesen einen Moment konnte ich nicht einmal Heimweh empfinden – denn mir sollte sich eine vollkommen neue Sicht auf die Welt eröffnen. Alles beginnend mit einem Satz: „Also dann, allons-y!“   Kapitel 1: Suspect ------------------ Ich hatte Mühe, mein Gleichgewicht zu halten als es zum abertausendsten Male ruckelte und die starken Vibrationen und Erschütterungen meine Bandscheiben zu unterhalten wussten. Nach dem nächstbesten Gegenstand greifend, welcher sich in meiner Nähe befand, rutschte ich allerdings ab – verdammter Hebel! Im selben Moment, in dem ich zähneknirschend fluchte, hoffte ich nur, dass der Zug an dem ebigen Schaltelement nicht die TARDIS zu beeinflussen wüsste. Wir hatten schon genug Chaos an Bord und es musste nicht sein, dass ich nun auch noch der Auslöser dafür war, dass wir ins Nirgendwo abstürzten. Mir gerade so einen festen Stand aneignen könnend, sah ich genervt zum Doktor. Wie konnte er nur die ganze Zeit mit solch einem rumorenden Gefährt durch die Weltgeschichte reisen? Gab es nicht die Option, diese Box mal zu warten? War das wirklich so normal, wie er vorgab? „Könnte ein bisschen holprig werden!“ hatte er noch gesagt. Die Untertreibung des Jahrhunderts. Jetzt musste er selbst zusehen, wie er uns sicher durch den Vortex bugsierte – und ich hatte nicht das Gefühl, dass zwei Hände genug waren, um die TARDIS zu steuern. Denn so, wie er von einer Stelle zur nächsten um das Pult herumrannte und sprang, wirkte sein Tun alles andere als normal. Mein Gewissen sagte mir, dass ich ihn einfach fragen sollte, ob ich helfen könnte, aber gleichzeitig machte sich auch die mir nur zu bekannte Unsicherheit breit, dass ich doch eh keine Ahnung hatte und nur im Weg stehen würde. Auf der anderen Seite... hatte ich keine Lust, mir irgendwann wirklich noch den Kopf anzustoßen, weil wir ein Beben der Stärke 7,5 durchlebten. Spätestens als ich dann bei einem erneuten Schaukeln auf dem Hintern landete, war mein Entschluss gefasst und ich rappelte mich mit allen Vieren auf: „Kann ich helfen?“ Der Timelord war so in seiner Arbeit versunken, dass er mich im Krach um uns herum nicht zu hören schien, so dass ich mich schließlich nach einigen Bemühungen endlich aufgerichtet und die Fußsohlen fest in den Boden gestemmt, noch einmal lauter bemerkbar machte: „Doktor... kann – ich – helfen?“ Jetzt schaute er überrascht zu mir rüber, hielt zwei Sekunden inne, und winkte mich dann in seine Richtung: „Wie? … Ja. Ja, kommen Sie her!“ Ich eilte zu ihm und wartete auf weitere Befehle. „Halten Sie diesen Hebel hier und drücken Sie den Knopf.“ Ich verfolgte aufmerksam die Steuerelemente, welche er festhielt und tat es ihm dann gleich, so dass er loslassen konnte. „Sehr gut, und lassen Sie auf keinen Fall los! Hören Sie? Auf – keinen – Fall!“ Ich nickte ehrfürchtig, positionierte mich hüftbreit mit den Beinen in Grätschstellung, leicht gebeugte Knie, und würde diesen länglichen, schraubenziehergriffgeformten Hebel sowie den runden Knopf mit meinem Leben verteidigen. Der Doktor wich von meiner Seite und stellte sich mir gegenüber des Pults. Ich sah ihm zu, wie er weiter hantierte. „Wie... können Sie das hier alles alleine steuern?“, wollte ehrlich interessiert wissen. Er reiste ja nicht immer mit einem Begleiter und selbst zu zweit waren vier vorhandene Arme nicht genug, um alle Elemente der Navigation und Steuerung abzudecken. „Das Cockpit ist für ein Team aus sechs Leuten bestehend konzipiert“, erklärte der Timelord ruhig, „Für weniger ist die TARDIS eigentlich nicht ausgelegt.“ „Sie haben also eigentlich eine Sechs-Mann-Crew an Bord?“ „Nein, normalerweise reise ich allein.“ Na, das war jetzt aber nur die halbe Wahrheit. Wenn ich an Rose dachte... oder Sarah-Jane. Als hätte ich diese Worte ausgesprochen und nicht nur gedacht, hob der Doktor den Blick und ebenso seine Augenbrauen: „Was ist?“ „Nichts“, guckte ich schnell woanders hin und ermahnte mich, meine Aufmerksamkeit wieder ganz und gar auf Hebel und Knopf zu richten und diese mit aller Kraft festzuhalten. Keine Sekunde zu früh, denn erneut ruckelte es und brachte uns ins Wanken. Dieses Mal war es allerdings noch heftiger und ich konnte froh sein, dass mir die Schokolade nicht wieder in die Speiseröhre schwappte, welche ich zu Mitternacht genascht hatte. Als wir dann allerdings nach endlosen Turbulenzen zum Stehen kamen, irgendwo aufgesetzt haben mussten, und auch nach zehn weiteren Sekunden sich kein Nachbeben mehr ankündigte, schien die TARDIS dies als Zeichen zu nehmen, ihre Leistung herunterzufahren. All die lauten Maschinengeräusche, die wir bis eben noch gehört hatten, ebbten langsam ab. Komplette Stille hüllte uns ein. Meine Ohren spielten mir aber immer noch ein Donnerkonzert und ich glaubte, einen Hörsturz oder dergleichen erlitten zu haben. Um mich selbst davon zu überzeugen, dass dem nicht so war, sah ich zum Doktor auf und sprach zu ihm: „Kann ich... loslassen?“ Alles in Ordnung. Ich klang mir nicht selbst fern oder monoton. Das Rauschen in meinem Gehörkanal wurde ebenso leiser und ich konnte erleichtert ausatmen. Der von mir Angesprochene bestätigte meine Frag mit einem kurzen „Jepp“ und nahm dann eine gleichsam entspanntere Pose ein. „Wir stehen sicher auf dem Boden Englands“ Ich fuhr mir angestrengt mit beiden Händen durch die Haare und schloss für ein paar Sekunden die Augen. Diese Reise war schon genug Abenteuer gewesen. Gott... Wenn das wirklich immer so vonstatten ging, sollte ich mir für die Zukunft Reisetabletten anschaffen oder einen großen Vorrat an Kotzbeuteln. Da wollte ich gar nicht an die Rückreise denken. Ich fühlte mich regelrecht benommen und legte die Handfläche auf meinen Bauch, der mir als Souvenir der Strapazen ein leichtes Übelkeitsgefühl hinterlassen hatte. „Sie sehen etwas blass aus, aber für Ihre erste Reise durch den Vortex, haben Sie sich gut geschlagen“, beglückwünschte mich der Doktor dazu auch noch mit einem vielsagenden Lächeln und ließ seine Augenbrauen ein wenig nach oben zucken. Ich konnte nur mit schmal aufeinander gepressten Lippen antworten: „Gerade hätte ich lieber eine Vomex...“ Schlechte Wortspiele im schlechten Zustand. Wo war meine Reiseapotheke, wenn ich sie brauchte? Leider hatte ich diese nicht in meinem Zimmer verstaut, denn dann hätte ich die Medikamente auch hier in meinem TARDIS-Zimmer gefunden. Pech gehabt. „Ich glaube, ich brauche etwas frische Luft.“ „Nur zu, nur zu. Aber passen Sie auf, dass Sie nicht der Queen auf die Füße treten.“ Ich schüttelte nur irritiert den Kopf und bewegte mich mit schwankenden Schritten zum Ausgang hin. Wäre es mir gut gegangen, wäre ich weitaus vorsichtiger gewesen, aber gerade übernahm mein vegetatives Nervensystem die Kontrolle über meinen Körper und wenn ich nicht bald nach draußen käme, würde der stärker werdenden Nausea ein Erbrechen folgen, das ich uns beiden ersparen wollte.   Die Tür öffnend, kam mir ein kühler Luftzug entgegen, den ich gierig einsog. Die Augen schließend und mich auf meinen Atem konzentrierend, konnte ich gar nicht genug von dem Sauerstoff kriegen, der mich umgab. Schlicht der unschöne Geruch von Kohle hing mit drin, aber das war mir egal. Nach ein paar ruhigen Atemzügen ging es mir schon wieder weitaus besser und ich hob die Lider, um überhaupt erst einmal zu realisieren, wo ich mich befand: … tatsächlich in meinem heißgeliebten England. Und … wenn ich diesen dumpfen, wunderbaren widerhallenden Klang richtig deutete – welchen ich nie missdeuten würde – dann befanden wir uns gar nicht so weit weg vom Big Ben, die wunderbare Turmuhr Londons. „Wahnsinn …“, hauchte ich vollkommen überwältigt von der Tatsache, dass ich britischen Pflasterstein unter meinen Füßen wusste und starrte der langen Gasse entgegen, in welcher sich die TARDIS gestellt hatte. Vorsichtig trat ich über die Schwelle. Ich kannte die Gegend nicht, in welcher wir uns befanden, aber die Art und Weise wie die Gasse gestaltet war und der Geruch der verbrannten Kohle, erweckten bei mir den Eindruck, dass wir uns definitiv nicht in der Gegenwart befanden. Was hatte der Doktor eben gesagt? Ich sollte der Queen nicht auf die Füße treten? Vorhin hatte ich ihm ein paar Ziele genannt, als er die Funktionstauglichkeit der TARDIS testen wollte, nachdem er sie ja nicht einfach ins Jahr 2017 hatte lenken können. Darunter fielen auch die Zeiten des viktorianischen oder edwardianischen Londons und eins und eins zusammengezählt, wäre es wohl genau das: das viktorianische London. Meine Mundwinkel zogen sich höher und gewiss begannen auch meine Augen zu leuchten, wo ich mein Glück jetzt auch gedanklich zu fassen bekam: Ich hatte schon einige Jugendromane gelesen, in denen die Ära Queen Victorias als Hintergrundszenario galt und ebenso Videospiele dazu gespielt. Ich hatte mich in die viktorianische Architektur verliebt und war von den wenigen Eindrücken zu der alten Zeit ungemein fasziniert gewesen, die im modernen London noch auffindbar waren. Dieses Zeitalter, welches gerade einmal etwas mehr als ein Jahrhundert zurücklag. „Scheint, als würde Ihnen die frische Luft gut tun“, erklang plötzlich die Stimme des Doktors neben mir und ich zuckte erschrocken zusammen, so sehr war ich in meiner eigenen Welt eingetaucht, „Ich hoffe, Sie sind zufrieden?“ Es war nur eine rhetorische Frage, aber trotzdem musste ich sie mehrmals nickend bejahen, „London zur viktorianischen Zeit. Die Hochzeit für Großbritannien in seiner Weltmachtstellung. Grandiose Autoren. Grandiose Museen, die entstanden sind. Solange man zu den Reicheren gehörte ein gutes Leben.“ „Wenn man reich ist, geht es einem überall gut“, bemerkte ich und sah mich dann noch ein wenig genauer um, soweit es mir in dieser Gasse möglich war. „Wo genau... sind wir eigentlich?“, sprach ich meinen Gedanken direkt aus und ging auf der Suche nach einem Anhaltspunkt einmal zur Hinterseite der TARDIS, doch auch hier verlief sich der gepflasterte Weg nur zu einem anderen Ende. Kein Straßenschild an den Wänden, nichts. „Nun, ich würde sagen …“ Der Doktor rümpfte die Nase, zog mehrmals hörbar die Luft ein, ehe er den Kopf hin- und herwog und dann irgendwie leicht angewidert den Mund verzog, „ …“ Schweigend drehte er sich um die eigene Achse und so wie ich eben dem Geräusch des Big Bens gedanklich nachgegangen war, versuchte er zu rekonstruieren, aus welcher Richtung das Glockenspiel uns erreicht hatte, „Finden wir es heraus!“ Auf seinen Lippen zeigte das typische Grinsen, das dem Zuschauer der Serie verriet, dass das Abenteuer bald beginnen würde. Es war die Einladung, auf welche ich so gewartet und gehofft hatte: gemeinsam durch eine andere Zeit zu gehen und Dinge zu erleben, die dem Großteil der Menschheit verwehrt bleiben würde. Dieses Mal konnte ich das Lachen erwidern. Nahezu vergessen waren die Flugturbulenzen und die körperlichen Nachwirkungen unserer Reise. Unsere kleine Besichtigungstour würde nun mehr beginnen.   „Wie kommt es eigentlich, dass ihr ausgerechnet immer für das viktorianische England interessiert?“, fragte mich der Doktor mit einem leichten Unverständnis in der Stimme, als wir uns ein paar Meter von der TARDIS entfernt hatten und auf eine etwas breitere Seitenstraße traten, „Es gibt so viele Zeiten und Welten, aber immer wieder zieht es euch Menschen in die viktorianische Zeit.“ Mir lag auf der Zunge, dass er vielleicht einfach ein bestimmtes Beuteschema in seiner blauen Box mitnahm, doch wollte ich ihm lieber eine richtige Antwort geben. Auch wenn ich das Gefühl hatte, dass diese nur noch mehr sein Klischeebild von uns Erdlingen bedienen würde. „Charles Dickens, Sir Arthur Conan Doyle. Jack the Ripper, die Mode, die Architektur, der technische Fortschritt, die Klassenunterschiede … Es ist für mich eine der wenigen Epochen, die so viele Dinge besitzt, die zu faszinieren wissen“, erklärte ich und hatte schon wieder etwas Neues entdeckt, was meine Aufmerksamkeit auf sich zog: eine Schmiede, die sich zu unserer Rechten in einem aus hellem Backstein gebauten Gebäude reihte und mit offenen Holztüren einen schnellen Blick hinein ermöglichte. „Und es ist äußerst spannend nachzuverfolgen, wie sich London verändert hat.“ Wir gingen an der Schmiede vorbei, weiter auf der Suche nach dem Weg ins Zentrum der Stadt. „Sie waren also schon einmal hier?“ „Zweimal.“ Und jedes einzelne hatte ich geliebt. Es waren zwar nur die typischen Touristenpunkte gewesen, die ich mir bei meinen Reisen hatte ansehen können, aber ein paar Tage in der Hauptstadt Englands zu verbringen war eine wunderbare Erfahrung gewesen, die ich nur allzu gerne hatte wiederholen wollen. Während ich dies dem Doktor näher legte, ging ich mit dem hageren Mann in seinem viel zu weitem Trenchcoat um ein paar weitere Ecken. Und dann... schlussendlich ein Ort, der mir bekannt vor kam! „Aldgate? Die Aldgate Station?“ „Um genauer zu sein, die Aldgate East Station. Sie sind also bewandert in der Gegend um East End?“ Eigentlich nur, weil es auf der Strecke zu Upton war. Dort, wo ich den Doctor Who-Shop gefunden hatte. Aber zumindest... ja. Ein klein wenig. Ich nickte demnach zaghaft. „Wunderbar!“, begrüßte der Doktor meine plötzliche Orientierung, „Sie sind also doch ein bisschen weiter als bis zum Buckingham Palace vorgedrungen!“ „Um ehrlich zu sein, habe ich diesen nicht einmal gesehen. Und... wenn es darum geht, dass es nicht die schönste Ecke der Stadt ist, ja. Aber... könnten wir uns die Station ein bisschen näher ansehen?“, schlug ich kleinlaut vor und erntete ein leidenschaftsloses Schulternzucken. „Natürlich. Auch wenn ich zugeben muss, dass Sie nicht den Eindruck erwecken, Interesse an dem Transportsystem Londons zu besitzen.“ „Ich bin Eisenbahnerkind“, erklärte ich mit einem Lächeln, als wir beide die Straße überquerten. Von der linken Seite kam eine schwarze Kutsche mit vorgespanntem Pferd vorgerollt, die wir an uns vorbeilassen mussten. „Mein Vater ist Lokführer und er hat mich früher schon zu allen möglichen Bahnhöfe und Ausstellungen mitgenommen. Ich liebe den Geruch von Maschinenöl.“ „Vielleicht hätten Sie in London geboren werden sollen“, bemerkte der Timelord mit dem wirren Haar anerkennend und auch ein bisschen amüsiert. „Vielleicht.“   Wir steuerten auf den Eingang des Verwaltungsgebäudes der Aldgate East Station zu und ich blieb direkt davor stehen, die alte Architektur bewundernd, welche sonst nur auf Wikipedia und Websites von Hobbyisten und Historikern zu finden wäre. Links und rechts vom Eingang hingen an einer Wand die Fahrpläne der aktuellen Züge auf A2-großen Papieren in schwarzen Serifenlettern. Darüber prangte in weißen Großbuchstaben die Überschrift METROPOLITAN RAILWAY. Heute waren es die Hammersmith- und die District-Line, welche dort fuhren. Mit einem kleinen zaunähnlichen Geländer über dem Banner, konnte man vermuten, dass es ein Heraustritt war, der von einer erhöhten Ebene im Gebäude abging. Je zwei schmale Fensterläden links und drei dieser rechts mit leichtem Rundbogen ragten empor und endeten im Dachsims. Ein Typanom wie zu alten griechischen Zeiten war die Krönung des Bahnhofsverwaltungsgebäudes und auch hier konnte man wie überall an diesem Platz sowohl Metropolitan and District Railway als auch Aldgate East Station lesen. Im Hintergrund des Gebäudes befanden sich noch weitere hochragende Ziegelbauten, mal mit festen Werbeplakativen bestückt, mal einfach nur simpel ihre Steine vortragend. Ich fand es immer wieder erstaunlich, wie die U-Bahn-Stationen in London mit der Stadt verankert waren. Hätte ich allerdings gewusst, dass diese Station hier nur fünfzig Jahre später etwas mehr nach Osten verlegt wurde und der Ort, an dem wir hier standen, bereits zu einem abandoned place gehörte, wäre ich wohl ohne zögern hineingeprescht um das einmalige Zeitzeugnis zu sehen. So allerdings drehte ich mich nur ein wenig um die eigene Achse, ungeachtet dessen, dass uns einige Leute anblickten. Oder sahen sie doch eher mich an? Vermutlich lag es an meiner Kleidung, die im Gegensatz zu den hochgeschlossenen Herrschaften recht dürftig war, aber ich konnte nicht ahnen, dass dies just die Spitze des Eisberges darstellte, die uns erwarten würde. „Lassen Sie uns bitte in den Bahnhof gehen, ja?“, bat ich mit größeren Augen als mir selbst bewusst war und wäre am liebsten auch ohne das Abwarten auf eine Antwort losgegangen. Da erhob sich allerdings die glockenhelle Stimme eines Jungen in unserer Nähe: „Extrablatt! Extrablatt! Neues vom Serienmörder! Extrablatt!“ Das Kind in seiner abgewetzten Kleidung, die auf seinen nicht vorhandenen Wohlstand schließen ließ, hielt die Sonderausgabe einer Zeitung in die Luft gestreckt und wedelte damit wagemutig umher. Den Rest seiner Ausgaben hatte er unter dem anderen Arm geklemmt. „Das nenne ich Aufmerksamkeit erregen“, schluckte ich, denn besonders wohl war mir bei solch einer Ansprache ganz und gar nicht. Eine Sonderbeilage bedeutete zudem immer, dass irgendetwas geschehen war, was keine Einhaltung des nächsten Redaktionsschlusses zuließ. Der Timelord hingegen ließ sich von seiner instinktiven Neugier leiten und trat zielstrebig zu dem Jungen, um ihn direkt anzusprechen. Anhand seines Gesichtsausdruckes konnte ich erkennen, dass er diese Ankündigung ernster nahm als es mir in den Sinn gekommen wäre. „Wie viel kostet eine Ausgabe?“ „Einen halben Penny, Sir!“ In seinen Trenchcoattaschen kramend, zog er eine Münze hervor und drückte sie dem Jungen mit der Schirmmütze in die Hand.s „Danke, Sir! Ihre Zeitung!“ Der Doktor nahm das vierseitige Exemplar entgegen und kehrte dann wieder zu mir zurück, während er schon die Nase in das Blatt gesteckt hielt. „Worum geht es?“ Ich warf einen Blick die Titelseite, erkannte aber in erster Linie nur einen Abdruck einer handschriftlichen Postkarte. Da ich die Schrift nicht sofort entziffern konnte, was auch an den seltsamen Abdruckspuren lag, warf ich einen Blick auf das Datum in der oberen Zeile... 2. Oktober 1888. Nicht, dass mir dieser Tag etwas sagte, aber... mein Bauchgefühl sagte mir da etwas anderes. Dass ich Vorsicht walten lassen sollte. Dass ich mich nicht zu früh freuen sollte. Und dass ich sehr wohl wissen sollte, worum es ging... „Ich habe nicht gescherzt, werter alter Vorgesetzter, als ich Ihnen den Tipp gab, dass Sie morgen von Saucy Jackys Arbeit hören werden. Dieses Mal Doppelereignis. Nummer Eins petzte ein wenig. Konnte nicht gleich direkt beenden. Hatte keine Zeit die Ohren für die Polizei abzukriegen. Danke fürs Behalten des letzten Briefes, bis ich wieder zur Arbeit muss. Jack the Ripper“, las der Doktor für mich vor und das leider ein bisschen zu ruhig und unbetont, als dass mir nicht das Blut in den Adern zu gefrieren drohte. „Jack the Ripper?“, wiederholte ich die letzten drei Worte stockend. Ich sah zu meinem Gegenüber auf, der nun mehr noch die Notiz und Bitte der Polizei und der Presse verlas: Die Londoner Bürger sollen sich bei Auffälligkeiten melden, ebenso wenn sie Hinweise hätten, damit der seit April hantierende Serienmörder geschnappt werden könne. „Der Jack the Ripper?“ „Ausgenommen den Trittbrettfahrern gab es keinen zweiten“, murmelte der Doktor und blätterte geschwind um. Auf der nächsten Seite befand sich ein weiterer Brief:   Werter Vorgesetzter, Ich höre weiterhin, die Polizei hat mich geschnappt, aber noch werden sie mich nicht festhalten. Ich habe gelacht als sie so schlau aussahen und redeten, auf der richtigen Spur zu sein. Dieser Witz über Lederschurz verpasste mir einen wahren Schauer. Ich gehe auf Huren los und ich werde nicht aufhören sie zu zerreißen, bis ich gefesselt bin. Der letzte Job war großartige Arbeit. Ich gab der Dame keine Zeit zu petzen. Wie können Sie mich jetzt fassen. Ich liebe meine Arbeit und möchte noch einmal anfangen. Sie werden bald von mir und meinen kleinen lustigen Spielen hören. Ich behielt etwas von dem richtigen roten Zeug vom letzten Auftrag in einer Ingwerbierflasche um damit zu schreiben, aber es wurde dick wie Leim und ich konnte es nicht benutzen. Rote Tinte ist wohl genug, hoffe ich, ha, ha. Der nächste Auftrag, den ich tätigen werde, wird das abknipsen der Ohren der Dame sein und sie nur aus Vergnügen an die Polizeibeamten schicken. Halten Sie diesen Brief zurück, bis ich ein bisschen mehr Arbeit getan hab, dann geben sie ihn mir direkt. Mein Messer ist so nett und scharf, dass ich gleich wieder zur Arbeit zurück möchte, wenn ich die Chance bekomme. Viel Glück. Ihr ergebener Jack the Ripper Zögern Sie nicht, mir einen Handelsnamen zu geben PS Schaffte es nicht, das zu verschicken, bevor ich all die rote Tine von meinen Händen bekommen habe, verdammt. Kein Glück bisher. Sie sagen, ich bin jetzt ein Doktor. Ha, ha   Datiert mit dem 25. September 1888. Erst ein paar Tage alt. Auch hier wieder der Aufruf zur Mithilfe. Auf der dritten Seite befanden sich detaillierte Informationen über bisherige Morde – Opfer, Tag des Mordes,Ort, Todesgrund, … für meinen Teil sogar etwas zu detailliert. Auch wenn ich ausgebildete Krankenschwester war, gab es Dinge, die ich ungern sehen wollte und konnte. Ich war froh, dass sich meine Reiseübelkeit seit geraumer Zeit endlich wieder gelegt hatte, da wollte ich nicht wieder neue riskieren. „Jack the Ripper in der Hochphase seiner Verbrechen“, schlug er schließlich den Papierbogen wieder zusammen und übergab ihn mir. Ein bisschen eingeschüchtert besah ich mir das Sonderblatt ein weiteres Mal, versuchte nun mehr die Feinheiten zu studieren und besah mir vor allem die handgeschriebenen Nachrichten vom Ripper. Natürlich hatte die Zeitung nur eine Schwarz-Weiß-Kopie anfertigen können, aber anhand des Kontrastes konnte ich mir ausmalen, dass es sich um rote Schrift handelte – so wie es in Worten beschrieben stand. Es schüttelte mich bei der Vorstellung, dass dies der Lebenssaft seiner Opfer hätte gewesen sein können. Im Gegensatz zur aktuellen Karte war der Brief nahezu in Schönschrift geschrieben, mit einem Rechtshang in Wort und Zeilenverlauf. Die Postkarte wirkte hingeschmiert, in Eile geschrieben und womöglich war auch das der Grund, warum sich weitere Farbspuren auf dem Original befanden. Ich wusste, dass Jack the Ripper eine Reihe Prostituierte umgebracht und ihre Körper hierbei verstümmelt hatte, aber mir war nicht klar, in welchem Ausmaße und von welchen Zahlen wir sprachen. Namen wir Mary Ann und Annie kamen mir in den Sinn, doch konnte ich keinen rechten Zusammenhang bilden. Es war schon ein paar Jahre her, dass ich mich mit diesem Thema beschäftigt hatte und einen Jack the Ripper-Walk hatte ich während meiner Londonreise leider nicht zu besuchen geschafft. In diesem Moment hätte ich jene Erfahrung aber gerne gewusst, denn zu erfahren, dass ein Serienmörder hier ganz in der Nähe sein könnte, … war nicht sehr beruhigend. „Was meinen Sie mit Hochphase?“, fragte ich demnach den Timelord und beschloss schließlich, das Faltblatt, Faltblatt sein zu lassen. „Sagen Ihnen die kanonischen Fünf etwas?“ Ich schüttelte den Kopf. Der Doktor atmete einmal durch und steckte dann die Hände in die Taschen seines Trenchcoats. „Fünf Morde, die er verübte, wurden als kanonische Fünf bezeichnet. Sie fanden alle zwischen August und November 1888 in Whitechapel statt.“ Er deutete auf die Rückseite des Nachrichtenblattes, wo sich im unteren Viertel eine Karte der Lokalität befand. Für den Leser war veranschaulicht worden, wo die einzelnen Morde stattgefunden hatte. Alle markiert mit einem Kreuz und mit dem Namen der Toten. Und der aktuellste ließ mich schaudern: Mitre Square. Von der hier gelegenen Aldgate High Street, befand sich gleich um nächster Ecke die Mitre Street. Nur wenige Fuß von uns entfernt. Dort um die Ecke … war Catherine Eddowe ermordet worden. In der Nacht zum 1. Oktober. Ich musste schwer schlucken. Das Gefühl, nur wenige Stunden nach einer solch verübten Tat am Ort des Geschehens zu stehen, war mir nicht fremd. Es bereitete mir keine Angst, mich daran zurückzuerinnern, aber dennoch blieb zumindest das unheilvolle Gefühl. Jenes würde nie vollständig vergehen. Ich spürte, wie mir das Blut in die Beine sackte und konzentrierte mich auf die Buchstaben vor mir, um dem kurzen Schwindelanfall wieder Herr zu werden. Das Doppelevent. Eddowe war das zweite Opfer in derselben Nacht – Elizabeth Stride war die erste Tote gewesen. Ich zählte die eingetragenen Tatorte und zählte gleich darauf noch einmal. Vier und wieder vier. „Sie sagten doch, es wären fünf?“, wunderte ich mich, wurde aber sogleich eines Besseren belehrt: „Ich sagte auch, dass sich die Ereignisse bis November streckten.“ „Das heißt also … wir … sind sicher?“ Ich hatte etwas anderes sagen wollen – aber stattdessen brach mir der Egoismus durch Angst vor dem eigenen Tod über die Lippen. „Für den Moment, ja.“ Der Doktor sah sich um, wollte aber in Anbetracht der Tatsache, dass wir uns hier auf offener Straße befanden, nicht weiter über die nahe Zukunft äußern, was ich ihm auch nicht verübeln konnte. Im Grunde hatte er sich gar nicht über die Zukunft zu äußern. Ich schloss somit für mich, dass der fünfte Mord also im November stattfinden müsste. Da wir gerade erst Oktoberanfang hatten und ich nicht sonderlich erpicht darauf war, einen ganzen Monat hier zu verweilen, dürfte also alles in Ordnung sein. Vorausgesetzt … es würden nicht doch noch Verbrechen stattfinden, die in der Historie nicht verzeichnet waren oder hatten nachverfolgt werden können. Allein die Weltkriege hatten eine Menge von wichtigen Dokumenten zerstört und so vielleicht auch Beweismaterial, anhand dessen man noch weitere Morde hätte nachweisen können. Womöglich waren es also sogar die kanonischen Sechs und nicht Fünf? Womöglich hatte sich der Ripper gar keine so lange Auszeit genommen? Nein, ich sollte aufhören, mir noch mehr Angst zu machen!! Es war alles okay. Es war alles in Ordnung. Solange man nicht des nachts alleine unterwegs war, war alles … Mit einem Mal spürte ich die warme Hand des Doktors auf meiner Schulter ruhen und mich dann ruhig, aber bestimmt vorwärts schiebend. „Wissen Sie was? Lassen Sie uns einen viktorianischen Teesalon aufsuchen und einen feinen 5 o'clock afternoon tea einnehmen. In den Genuss werden Sie nicht so schnell wieder kommen!“ Es irritierte mich, dass er mich von dieser Szenerie hier wegziehen wollte und so plötzlich auch das Thema wechselte, aber vielleicht hatte er auch gemerkt, dass mir bei alldem nicht wohl war? „Bleiben Sie stehen und drehen Sie sich langsam mit erhobenen Händen um!“ Oder... es war alles ganz anders. „Narh... dem wollte ich gerade entgehen“, murmelte der Timelord neben mir und zog eine Grimasse, ehe er meine Schulter losließ. Ich nahm aus dem Augenwinkel wahr, wie er tatsächlich die Arme hob. Er, der Doktor. „Wenn Sie selbst Zeuge werden wollen, wie sich alte viktorianische Munition im Körper anfühlt … spielen – Sie – mit“, raunte er mir leise zu und betonte dabei jedes einzelne Wort. Ich hatte längst gelernt, dass ich nicht alles zu hinterfragen hatte, sondern manchmal auch einfach nur tun sollte, was man mir vorgab. Und so schossen nun auch meine Hände auf Kopfhöhe nach oben. Fast zeitgleich drehten wir uns beide zu der tiefen Männerstimme herum, die uns wie Verbrecher zu behandeln wusste, „Oh!“, machte der Doktor dann überrascht, „Wenn ich Ihnen vorstellen darf: Das gute alte Scotland Yard.“ Unter anderen Umständen hätte es mich genauso gefreut wie damals, als ich zufällig das Gebäude von New Scotland Yard in London fand. Aber jetzt entwich mir auf diese zufällige Zusammenkunft nur ein schmales Lächeln. Ein sehr schmales. „Nennen Sie mir klar und deutlich Ihre Namen“, sprach der Inspektor erneut, welcher mit zwei Polizisten als Rückendeckung uns gegenüberstand und nicht weniger bedrohlich zu ihrer Bewaffnung auch noch selbst die Pistole gezückt hielt. Ich hatte genug Zeit, ihn mir genauer anzusehen: ein großgewachsener, breitschultriger Mann mittleren Alters, der einen fülligen Bauchansatz vorzuweisen hatte. Sein dunkles Haar war hager, in einem linksliegenden Seitenscheitel glatt gekämmt. Auch er trug Koteletten wie der Doktor, aber im Gegensatz zu diesem auch noch einen Schnauzbart. Die eng stehenden Augen mit den kleinen Augenbrauen und die lange, gerümpfte Nase mündeten in tiefere Grübchen. Im Anzug gekleidet, wie man es wohl von einem ranghohen Inspektor zu erwarten hatte, stand er in Begleitung von zwei weiteren Beamten drei Meter vor uns und hatte seine Waffenmündung auf uns gerichtet. „Nun... das ist Alexandra und ich bin der Doktor“, stellte uns beide der Timelord vor, „Und wir haben die Ehre mit...?“ „Sie haben die Ehre schweigen zu dürfen, Doktor, und sich von uns in Gewahrsam nehmen zu lassen.“ „W-wie?“, entwich es mir da schockiert und für eine Sekunde lockerte ich meine Haltung, so dass die beiden Polizisten hinter ihm mit ihrer Waffenhaltung nachrückten. Schnurstracks waren meine Hände wieder in alter Position. „Chief Inspector Donald Sutherland Swanson. Im Auftrag Scotland Yards, im Namen der Königin Victoria, nehme ich Sie beide fest. Sie stehen unter Tatverdacht, die Morde an Emma Elizabeth Smith, Martha Tabram, Mary Anne Nichols, Annie Chapman, Elizabeth Stride und Catherine Eddowe verübt zu haben.“ „W-WAS?“   Kapitel 2: The Whore and the Murderer -------------------------------------  „Im Auftrag Scotland Yards, im Namen der Königin Victoria, nehme ich Sie beide fest. Sie stehen unter Tatverdacht, die Morde an Emma Elizabeth Smith, Martha Tabram, Mary Anne Nichols, Annie Chapman, Elizabeth Stride und Catherine Eddowe verübt zu haben.“ „W-WAS?“ Ich hätte am liebsten Gift und Galle gespuckt. Da konnte ich mich doch nur verhört haben? „Sie haben ganz recht gehört. Bereiten Sie uns keine Unannehmlichkeiten und leisten Sie Folge. Alle Zuwiderhandlungen werden in Ihre Akten aufgenommen und gegen Sie verwendet.“ Oder auch nicht. „Tun Sie, was er sagt“, raunte der Doktor mir mit Blick auf den schnauzbarttragenden Inspektor, „Sutherland ist einer der bekanntesten Polizeibeamten Londons zu seiner Zeit. Scherze sind da nicht angebracht.“ „Ruhe!“, wurde ihm von unserem Gegenüber über den Mund gefahren, „Keine Gespräche.“ „Oh, ich hatte meiner Begleiterin nur erwähnt, welch hochrangiger Beamter Sie in Ihrem Metier sind“, sprach der Timelord wahrheitsgemäß und trug dabei ein besänftigendes Lächeln auf den Lippen, welches allerdings vollends an dem stämmigen Mann abzuprallen schien: „Ihr Wissen aller Liebe, aber die Einschmeicheleien können Sie sich sparen. Und jetzt ab.“ Die beiden rangniederen Polizisten schritten hervor und hatten dabei je ein paar gusseiserne Handschellen dabei, die sie uns ohne Umschweife umlegten. Nicht gerade sanft, so dass mir ein Wehlaut entfuhr, aber ich war schon froh, dass sie uns nicht zu Boden beförderten. Diese Behandlung reichte auch alle Mal. War es da schon so etwas wie ein Privileg in einer Kutsche der hiesigen Kriminalbehörde abtransportiert zu werden? Im Rahmen meines sonst so schwarzen Humors hätte ich wohl gelacht, aber gerade war mir alles andere als das zumute. Ich warf dem Doktor einen Seitenblick zu, aber ich konnte an seiner Mimik oder Haltung kein Stück dessen herauslesen, was er als nächstes zu tun gedachte. Irgendein Hinweis darauf, wie wir hier wieder rauskämen. Just bekam ich das Gefühl, dass er den Dingen seinen Lauf lassen wollte und so würde ich es wohl auch akzeptieren müssen.   Die Fahrt zur Behörde dauerte ungefähr eine Stunde. Ich hatte noch nie in einer Pferdekutsche gesessen – die Kremserfahrten im Kindergarten mal einmal abgesehen – und war fast schon schockiert, wie langsam man mit solch einer eigentlich vorankam. Noch schockierter war ich aber, wie weit entfernt der Einsatzort von der Behörde selbst war. Am schockiertesten wurde ich allerdings, als ich mich an die Straße erinnerte, die wir nun befuhren – das Victoria Embankment! Dies war eine sehr lange Strecke, entlang der Themse, welche einen an der Blackfriars und Waterloo Bridge (und selbiger Station im gegenwärtigen London zumindest) vorbeiführte und der Westminster Abbey immer näher brachte. Hier bin ich letztes Jahr entlang spaziert, in die entgegengesetzte Richtung. Außerdem hing ein Aquarellprint von dieser Szenerie in meinem Flur, von der ich nicht genug bekommen konnte. Mich ereilte ein Gefühl der Nostalgie und ich erinnerte mich an den Urlaub zurück, der bereits in so weiter Ferne zu liegen schien. Als wir langsam um die Kurve fuhren, konnte ich den Big Ben erkennen, dem wir näher kamen. Er war klar im Tageslicht zu erkennen und nur leicht von der Sonne angestrahlt. Die goldene Stunde war noch nicht gekommen, die dem Wahrzeichen der Stadt seine wahre Pracht zu vermitteln wusste. Die Bäume am Embankment wiesen wenige Blätter auf. Vermutlich hatte einer der Herbststürme bereits seine Gewalt über sie erhoben. Wir waren immer noch dazu angehalten zu schweigen. Der Inspektor Sutherland saß uns höchstpersönlich gegenüber und blätterte in seinem Notizbuch, ohne uns aber nicht hin und wieder doch in Augenschein zu nehmen. Nicht, dass wir noch Unfug trieben. Ich seufzte tonlos und konzentrierte mich wieder auf die Aussicht, die mir durch das schmale Fenster zu meiner Linken gegeben war. Die Westminster Bridge kam bisweilen immer näher und schließlich hielten wir an. „Aussteigen!“, befahl der Inspektor in seinem gewohnt befehlenden Ton als uns von einem der anderen beiden Polizeibeamten die Tür geöffnet ward. Ich stolperte hinaus, da ich mich mit meinen gefesselten Händen nirgends festhalten konnte und sah mich schließlich um. Auch dieses Gebäude kannte ich, das sich nun vor mir erstreckte: Rote Backsteinbauten mit durchbrechenden weißen Steinen ragten zu unseren Köpfen hinauf. Schieferfarbige Dächer, welche mit ebenso roten Schornsteinen endeten, gaben den Häusern das zusätzliche Londoner Flair, wie man es kannte. Ich hätte nicht gedacht, dass es zu Scotland Yard gehörte? Das heutige Gebäude war ganz in der Nähe, aber dennoch... dass Geschichte so nah und unerkannt an einem dran war, war immer wieder erstaunlich. Heute waren es die Parlamentsgebäude, wie mir später der Doktor in unserer Zelle zu erklären wusste. Aber dato waren die Norman Shaw Häuser Obhut von Scotland Yard gewesen, welches sich hatte expandieren müssen. Wir wurden in die Haupthalle bugsiert und von dort aus ging es über mehrere Gänge, bis hin zu einem Büro. Die Inneneinrichtung des imposanten Gebäudes war recht kahl gehalten. Die Kunst des Stucks gab es zwar, aber im Großen und Ganzen ging es hier rein um die Funktionalität. Einige Männer, die uns entgegen kamen, waren beschäftigt unterwegs und schenkten und keine große Beachtung. Erst, als sie Inspektor Sutherland sahen, welcher voranschritt, traten sie einen Schritt zur Seite um den Weg freizumachen und salutierten. Er war wohl wirklich ein geachtetes Tier im Revier. Das Büro war sein eigenes. Eine Privatvorstellung. Ich konnte mir denken, dass es sich um ein Verhör handelte, was uns erwartete und schluckte schwer. Welche Beweise konnten uns vorgelegt werden, die zu unserer Überführung führen sollten? Eigentlich keine... aber ich wusste auch, dass die Beweisführung von damals aus heutiger Sicht nicht gerade nennenswert war. Ich wollte auch nicht wissen, wie viele Unschuldige verurteilt und wie viele Schuldige nicht verhaftet worden sind. Mitten im Raum stehend, wurden die beiden Beamten, die mit uns gekommen waren, dazu angehalten, uns zu filzen. Ich hatte bis auf das Schreibzeug nichts in meiner Tasche dabei. Für die Polizei allerdings bedeutend genug, so dass sie mir diese abnahmen. Die Abtastung hätte ich mit gerne erspart, aber natürlich wurde auch diese durchgezogen. Sie strauchelten, als sie an etwas Härteres unter meiner Brust stießen und ich musste mir ein Augenrollen verkneifen. Natürlich... BHs kannte die Bevölkerung noch nicht in dem Maße, den wir kannten. Sie baten mich, dass ich meinen Pullover ablegte – es war ja schon unzüchtig genug, dass sie überhaupt so weit gehen mussten. Blieb mir wohl nichts anderes übrig... Ich verkniff es mir zum Doktor neben mir zu sehen, aber selbst wenn, besaß er genug Anstand, lieber während der Abtastung nach oben zur Decke zu schauen als zu mir. Demnach tat ich mehr oder weniger wie geheißen und krempelte meine beiden Shirts und das Top hoch. Genug Einsicht. Da verstanden sie und bedeuteten, dass sie fertig wären. Meine Oberteile wieder an mir herunterfallen lassend, verzog ich etwas genervt das Gesicht. Anscheinend war ihnen der Begriff Büstenhalter zumindest mal unter die Augen gekommen. Fragte sich nur wie, aber nein – das wollte ich lieber nicht wissen. Des Doktors Weste war beinahe weiß wie Schnee... hätte er den Schallschraubenzieher nicht dabei gehabt, den die Beamten natürlich fanden. Abgenommen. Ebenso das gedankenmanipulierende Papier in seiner Trenchcoat-Tasche, welches man dem Inspektor direkt übergab. „Setzen“, befahl Sutherland dann schließlich erneut und der Doktor und ich nahmen auf den beiden Holzstühlen Platz, die dem schweren Sekretär gegenübergestellt war, wo Sutherland sonst wohl saß und seine Arbeit verrichtete. Ich wagte es nicht, mich umzusehen. Dabei war ich zu neugierig, was ein Büro von damals wohl so beherbergte. Ich hatte dank eines Sherlock Holmes Spiels zwar schon ein paar Bekanntschaften machen dürfen, aber natürlich war dies nicht dasselbe. Sutherland nahm vor uns auf der Tischkante Platz und bedeutete dem Beamten an der Tür, jene zu schließen, ehe er wieder die Stimme erhob, diesmal ruhiger sprechend, wenn doch genauso schroff: „Wie sieht es aus? Gestehen Sie?“ Ein guter Witz. „Nun, in erster Linie würde mich interessieren, welche Punkte sie vorliegen zu haben, um uns einen Mord anzulasten?“, entgegnete der Doktor und ich war froh, dass wir endlich wieder sprechen durften. Natürlich nur nach Aufforderung, aber immerhin. Wir konnten uns verteidigen. Die Gegenfrage jetzt war ein berechtigter Anfang. „Ich mache es kurz“, versprach Sutherland, zog sein Notizbuch hervor und verlas seine Anklagepunkte, „Emma Elizabeth Smith, vergewaltigt und misshandelt am 3. April 1888. Gestorben an den Komplikationen am 4. April 1888. Martha Tabram, 39 Stiche, gestorben am 7. August 1888. Neun Stiche durchdrangen ihre Kehle, fünf den linken Lungenflügel, zwei den rechten, einer das Herz, fünf die Leber, zwei die Milz und sechs den Bauch mit Rupturen des Unterbauchs und den Genitalien. Mary Ann Nichols, 31. August 1888. Durchschlitzte Kehle. Zweimal von links nach rechts. Annie Chapman, 8. September 1888. Ebenso durchschlitzte Kehle und abdominale Verstümmelungen. Elizabeth Stride und Catherine Eddowe. Mit einer zeitlichen Abfolge von einer Stunde, beide durchgeschnittene Kehle und abdominale Verstümmelungen. Eddowes linke Niere fehlt, ihre Gebärmutter wurde teilweise entnommen. Und nun zu Ihnen...“ Er klappte das Notizbuch zu, was mich bereits in den kurzen Ausführungen zum Gruseln gebracht hatte. Ich ahnte, was er uns anlasten wollte... Nicht nur bei den Namen klingelte es nun bei mir, sondern auch bei den Todesursachen... Der Doktor schien vollkommen gefasst, als sich Sutherland vorbeugte und ihm mit seinem Gesicht ganz nah kam, dass sich bald die Nasenspitzen der beiden Männer zu berühren vermochten. „Sie, werter Mr. John Smith, Doktor für Humanmedizin, sind leider einigen Passanten aufgefallen“, sprach er leise mit gefährlichem Unterton und sah dann zu mir, „Gemeinsam mit ihrer Begleiterin, wie Sie es so schön bezeichneten, sah man sie vorhin aus einer Polizeizelle steigen. Ganz in der Nähe der Tatorte. Genauer der letzten beiden Tatorte. Nennen Sie mir einen Grund, Doktor, warum Niemand der Annahme gehen sollte, dass Sie nichts damit zu tun haben? Ripper?“ Oh je, es war also wirklich so wie gedacht... mir blieb die Spucke im Halse stecken, welcher ebenso ziemlich fest in der Schlinge zu baumeln drohte. Absurder könnte es gar nicht sein, dass der Doktor beschuldigt wurde, der Ripper zu sein. Eigentlich. Für die hiesige Polizei war es allerdings eine ganz normale Annahme. Das Gesicht des Doktors selbst trug nun mehr einen ernsteren Ausdruck. Die Entspannung war von ihm gewichen, sollte er jene überhaupt wirklich verspürt haben. „Doktor der Humanmedizin mit einer Hure in Begleitung, welch trefflichere Weise hätten wir vorfinden sollen?“ Da schlug es doch Dreizehn! So auch mein Herzschlag, als ich wahrnehmen musste, wie ich der Prostitution bezichtigt wurde. „Ich verbitte mir solch eine Anschuldigung!“, brach es da verärgert auch mir raus, „Sie haben keinerlei Beweis, was Sie mir und ihm unterstellen!“ „Seien Sie bitte ruhig“, bat der Timelord, der die Situation natürlich besser einzuschätzen vermochte als ich, die zum ersten Mal durch Raum und Zeit reiste und sich nicht so schnell an eine neue Umgebung und Ära anpassen konnte wie er. Und ebenso wenig den Umständen. Aber meine Impulsivität war nichts, was ich auf Dauer zurückhalten konnte. Es war auch nichts, was ich mit Absicht hervorbrachte, doch regten mich unfaire Behandlungen schon immer auf. Da konnte ich nicht meinen Mund halten. Statt den Inspektor zu verärgern, sah er mich eine Sekunde lang an und fing dann tatsächlich an zu lachen, als hätte ich einen Witz gerissen. Er hob den Kopf, lachte weiter und brauchte ein wenig, bis er sich wieder zu fassen wusste. „Ich habe lange nicht mehr so bei einem Verhör gelacht, Mädchen“, kam er wieder zur Ruhe und warf mir dann einen weiteren missbilligenden Blick zu, „Wie soll ich es sonst bezeichnen, was du bist?“ Seine Augen streiften mich von Kopf bis Fuß, dass es mir unangenehm wurde. „Sieh dich an: Du zeigst mehr Bein, als es eine Edelhure im Bordell vor Publikum tun würde und entblößt dich auf Befehl ohne den geringsten Widerstand zu verzeichnen. Du trägst Unterkleidung, die anrüchiger ist als jede andere, die ich bisher sehen konnte und kommst mit einem Mann aus einer Zelle, die kaum Platz bietet? Was wirst du da wohl mit ihm gemacht haben? Teetrinken? Mach dich nicht lächerlicher, als du es in deiner Position bereits bist, du kleine Hure.“ Das saß. Mir blieb der Mund offen, weil ich auf all diese abstrusen Bemerkungen gar nichts zu erwidern wusste. Genauso wenig wie ich nicht sagen konnte, für was ich ihn als erstes schelten wollte: mich als Hure zu bezeichnen oder mir vorzuwerfen, dass ich mit dem Doktor eine wilde Nummer geschoben habe. Ich biss mir auf die Lippe und ballte die Hände zu Fäuste. Ruhig bleiben. Nichts sagen. „Und noch einmal zu Ihnen, Doktor. Ich habe so die Vermutung, dass Sie es mit jeder Ihrer Opfer zunächst noch einmal treiben, ehe Sie Ihnen die Kehle aufschlitzen und ihr Inneres zermürben. Haben Sie Ihre Begleiterin nicht genau deswegen mitgenommen? Um sich an ihr zu vergehen? Was hat sie dazu gebracht, aus ihrem Muster auszubrechen und tagsüber morden zu wollen? Lust? Langeweile? Oder wollen Sie uns einfach nur als dumm verkaufen?“ Die Stimme des Beamten war mit jedem Satz lauter geworden und bei seinen letzten Worten klingelten mir regelrecht die Ohren, weil die Akustik so viel Widerhall von sich gab. „Sie sind das Abtrünnigste, was mir in meiner gesamten polizeilichen Laufbahn unter die Augen gekommen ist. Doktor.“ Der Timelord hatte nicht einmal mit der Wimper gezuckt, als er so angeschrien wurde. Es waren ganz klare Einschüchterungsversuche und in meinem Fall hatten diese sogar Erfolg. Hätte er mich nicht dazu bewogen, den Mund zu halten, wäre ich Sutherland mehr als nur in die Falle getappt. Ich hätte Dinge gesagt, die mir den Kopf gekostet hätten. Wortwörtlich. Das wurde mir jetzt erst bewusst, als ich sah, wie der Doktor selbst gar nichts auf all die Anschuldigungen erwiderte, sondern schlicht seine ruhige Stimme beibehielt, als er zu antworten gedachte: „Chief Inspector Sutherland, ich frage Sie lediglich, welche Beweise Sie vorzuliegen haben. Die Mordwaffe mit meinen Fingerabdrücken? Zeugenberichte zu den Morden? Spuren an den Opfern? Ich bitte Sie, mir einen stichhaltigen Beweis zu nennen, der meine Schuld belegt.“ Darauf konnte der Inspektor selbst nichts entgegnen, denn er hatte keine stichhaltigen. Das war uns Anwesenden allen klar. Die Absicht hinter dem Verhör war nur, dass er an Informationen kam, die er brauchte, damit er uns dingfest machen konnte. Bisher waren wir nämlich nur einfache Passanten, die als auffällig galten, denen allerdings nichts nachzuweisen war. Punkt, Ende, aus. Und ja, ich war mir sicher, dass ihm dies genauso wenig schmeckte wie uns. Ich konnte sogar verstehen, dass er jede noch so kleine Spur aufnahm in der Hoffnung, endlich den Ripper zu schnappen. „Des Weiteren bitte ich Sie, die Anschuldigungen gegenüber meiner Begleiterin, eine Arbeiterin im horizontalen Gewerbe zu sein, zu unterlassen. Sie ist meine Reisebegleitung, nicht mehr.“ Danke, dass wir auch das geklärt hätten! „Sie möchten also eine Waffe?“, fragte der hiesige vor uns sitzende Polizeibeamte mit einem gespielten Lächeln und griff hinter sich, wo der Schallschraubenzieher lag, „Wie wäre es damit?“ Schlau war er zumindest, denn mit einem Mal war der Schallschraubenzieher ausgefahren und surrte, während das violette Licht aufleuchtete, „Oder wollen Sie mir weismachen, dass dies lediglich eine Art Laterne ist?“ Der Doktor zuckte mit den Schultern und nickte, „Eine handliche Laterne mit Geräuschkulisse, eine Taschenlampe.“ „Natürlich, eine Taschenlampe.“ Später erzählte mir der Doktor, dass es zu diesem Zeitpunkt noch gar keine Taschenlampe gab und er sich eine bessere Ausrede hätte einfallen lassen sollen. „Und lassen Sie mich raten, der Eisengehalt in deiner Unterkleidung ist auch nur zur Justierung wie ein Korsett?“ Ich brauchte einen Moment bis ich merkte, dass es um den Bügel in meinem BH ging, der überhaupt erst für die Ausziehaktion gesorgt hatte. „Ja, genau. Korsett.“ Nun mehr sah mich der Doktor doch einen Moment genauer an und ich konnte nur entschuldigend mit den Mundwinkeln zucken. Was sollte ich da auch anderes sagen? „Eine Laterne und ein Korsett. Zwei Reisende, die ganz zufällig ihr Techtelmechtel in einer Polizeibox abhalten, in der Nähe des Tatortes und die verdächtiger nicht sein können.“ Sutherland besah uns beide noch einmal ganz genau und rieb sich dabei den Schnauzbart, ehe er die Hände in die Taille stemmte, „Wissen Sie, Sie mögen mir bis jetzt noch keine stichhaltigen Beweise geliefert haben, aber die bisherige Sachlage reicht aus, Sie für einige Zeit hierzubehalten.“ „Wie lange kann er uns festhalten?“, fragte ich leise den Doktor, wurde aber sehr wohl gehört. „Mindestens einen Tag und in eurem Fall, Mädchen, sogar weitaus länger.“ „Da hat er Recht“, stimmte der Timelord auch noch schulterzuckend zu. Ändere Dinge, die du ändern kannst und akzeptiere den Rest. „Nun, immerhin haben Sie inzwischen das Recht über Eigentum zu besitzen und zu verwalten wie die Männer.“ „Und wie genau soll mich das jetzt trösten?“ Wir befanden uns erst seit genau zwei Stunden in dieser Untersuchungshaftzelle in Scotland Yards Kellergewölben und ich hatte jetzt schon die Schnauze voll. Chief Inspector Donald Sutherland hatte uns von zwei der blauuniformierten, helmtragenden Beamten abführen lassen, in das untere Geschoss, wo mit nichts anderes zu hausen wusste als Lagerbestandteile und eben jene Genossen, von denen man ausging, dass sie etwas Gesetzeswidriges getan hatten. Jegliches Reden war uns auf dem Weg verboten worden mit der Aussicht auf einen Abend ohne Essen, würden wir unser Schweigen brechen. Ich hatte auf den Rücken des Polizisten vor mir gestarrt und nicht mehr gewusst, wo oben und unten war: Von jetzt auf gleich hatte ich in der TARDIS gestanden. Von einer Sekunde auf die nächste waren wir ins viktorianische London gereist und nun... ging ich bei viel schlechtem Karma vielleicht als nächstes Opfer des Rippers in die Geschichte ein – und der Doktor würde zu solchem gemacht. Keine besonders reizvolle Zeile für den Lebenslauf. Vor allem aber wusste ich nicht, wie sich die nächsten Tage für uns gestalten würden... Natürlich hatten sie keine stichhaltigen Beweise, aber die Anklage lag so schwer, dass es sich die Polizei Londons garantiert zweimal überlegte, uns verfrüht gehen zu lassen. Und nun saßen bzw. standen wir in eine der Zellen wie Radieschen, die sich die Erde von unten anzugucken wussten. Grandios. Ich saß an der kalten Steinwand gelehnt und starrte zu dem fidelen Timelord auf, welcher auf- und abschritt und wohl gerade Fluchtmöglichkeiten und andere Optionen in seinen schlauen Kopf durchging. „Ohne diese revolutionäre Bewegung, wären Sie längst nicht so gleichberechtigt, wie Sie es heute sind.“ Ich hob meine Augenbrauen und der Doktor verbesserte sich, das Gesicht zur Grimasse verziehend: „Ich vergaß. Sie sind nicht aus London.“ Genau. Und ich gehörte auch nicht hierher. „Was... machen wir jetzt?“, wollte ich wissen und zog die Beine an den Körper, „Müssen wir wirklich abwarten, bis wir hier von der Polizei wieder freigelassen werden?“ Das Gesicht meines Gegenübers wurde ein bisschen ernster und er sah sich noch einmal um, bevor er wieder zu mir sprach, „Nun... wir haben keinerlei Fluchtmöglichkeiten. Die Gitterstäbe werden wir dort oben wohl kaum ausgehebelt bekommen und der Fensterspalt ist eh zu schmal“, deutete er auf die einzige Luftzufuhr von außerhalb, „Und da sie mir den Schallschraubenzieher abgenommen haben, kann ich uns nicht auf diese Weise rausholen.“ Ja, das hatte ich mir schon gedacht. Wir saßen echt in der Patsche. „Aber können die uns wirklich so einfach festhalten? Über Tage?“ Ich hatte Skepsis, was dies betraf, vergaß hierbei aber selbst, dass ich eben keinen deutschen und vor allem keinen gegenwärtigen Boden unter den Füßen hatte, sondern englischen. „Sie können froh sein, dass wir bisher nur als Verdächtige behandelt werden, nicht als Mörder.“ „Nun... in deren Augen bin ich alles andere als das“, fielen mir da wieder die abstrakten Anschuldigungen ein, die für jene Zeit nur zu selbstverständlich waren. „Das stimmt. Vielleicht hätte ich uns auch besser als adliges Ehepaar Smith aus Übersee zu erkennen geben sollen.“ „Übersee klingt gut, aber adlig... da wäre es wohl besser, wenn Sie mich als Einwohnerin einer koloniebesetzten Insel vorgezeigt hätten.“ Mir huschte ungewollt ein kleines Lächeln über die Lippen, denn obwohl die Lage so verdammt ernst und ganz und gar nicht komisch war, waren es die Vorstellungen zu diversen Rollenverteilungen umso mehr. Auch dem Doktor entwich ein Grinsen und er musste mir zustimmen: „In der Tat. Das erklärt Ihren freizügigen Kleidungsstil.“ „Dank dem ich nun Ihre Kurtisane bin.“ Wieder mussten wir über diese Lächerlichkeit den Kopf schütteln und jetzt sogar ein wenig lachen. „Das glaubt mir niemand, dem ich dies erzähle.“ „Sie tun gut Rat, genau das auch nicht zu tun. Allgemein tun Sie gut, so wenig wie möglich hier vor anderen zu reden.“ Autsch, das stimmte. Mit meiner schnellen Zunge hatte ich dem Inspector leider Gottes schon genug Angriffsfläche gegeben. „Ich sage dies nur zu Ihrer Sicherheit.“ „Ich weiß“, stimmte ich langsam nickend zu und sah ihm in die Augen, „Ich... werde versuchen, mich daran zu halten.“ „Gut... die Strafen für Mord sind im viktorianischen Zeitalter klar entschieden. Für andere Vergehen ebenso. Ich möchte nicht, dass wir unseren Kopf aus einer Schlinge winden müssen.“ Nein, das war auch das Letzte, was ich wollte. Exekution... nein, danke. „Was... machen wir jetzt also? Abwarten, bis sich eine Gelegenheit bietet zu fliehen?“ „Mir wäre es lieber, wenn wir sie eines besseren überzeugen könnten“, entgegnete der Doktor und kratzte sich am Hinterkopf, „Dafür sollten wir allerdings mehr Informationen haben. Sie werden uns morgen noch gewiss weiter verhören. Bis dahin wäre ein Plan gut.“ Ich atmete hörbar die Luft aus und blickte dann auf meine Hände, die meine Knie immer noch umschlossen hatten. „Sie werden uns dann doch bestimmt auch einzeln verhören, nicht? Dann... wäre es besser, wenn wir uns eine einige Aussage überlegen.“ „Sehr gut! Genau das!“, schloss der Doktor, fast schon in meinen Augen etwas zu freudig und machte einen Schritt von den Gitterstäben auf mich zu, „Vor allem sollten wir uns überlegen, wo wir herkommen, was wir tun und wir unsere Beziehung zueinander steht. Sie werden herausfinden wollen, ob wir nicht doch andere Identitäten besitzen.“ Und so sollten der Doktor und ich die nächste halbe Stunde damit verbringen, uns ein Alibi zu überlegen. Wo wir uns das erste Mal getroffen hatten, die Lieblingsspeise des anderen, wann wir Geburtstag hatten, … all so etwas. Die Hälfte davon war erstunken und erlogen, aber es war wichtig, dass wir eine Basis aufbauten, mit der wir beide klarkommen könnten. Ich fühlte mich wie bei einem Speed-Dating und ich war mir sicher, dass einige Antworten tatsächlich vom Doktor selbst stammten und nicht nur ausgedacht waren. Er hämmerte mir die Antworten in mein Gedächtnis ein und bevor wir uns versahen, erhielten wir Besuch: Ein Beamter kam mit einem großen Tablett heran, auf dem sich drei kleine Brotlaibe befanden, was mich irritierte. Ich traute auch den damaligen Briten zu, dass sie noch eins und eins zählen konnten. Waren wir also nicht die Einzigen hier? Dabei hörte man nichts von den Nachbarzellen und als wir hierher gebracht worden sind, hatte ich auch keinen weiteren Insassen entdeckt. Der Beamte streckte uns wortlos die Brotlaibe entgegen, bis wir sie entgegennahmen, und ging dann weiter, aus unserem Sichtfeld. Ich konnte nicht erkennen, was er mit dem Laib machte. Das Brot in meinen Händen begutachtend, verzog ich etwas den Mund. Ich war durchaus froh, dass dies keine Suppe oder sonstiger Gefängnisfraß war, den man sich vorstellte, aber dennoch wäre es natürlich schöner gewesen, ein bisschen mehr als ein trockenes Stück gebackenen Teig zu bekommen. Mein Mund fühlte sich langsam ziemlich trocken an und ich wusste, dass es eine sehr unangenehme Nacht und vor allem ein unangenehmer Morgen werden würde, wenn man mir mein selbstverständliches Anrecht auf Wasser verwehrte. Ich blickte zum Doktor. Richtig... wie verhielt es sich bei ihm eigentlich mit dem Essen? Musste er das überhaupt? Und schlafen? Abgesehen von der Regenerationsphase hatte man ihn nicht schlafen sehen... glaubte ich zumindest. Ich war mir gerade über rein gar nichts mehr sicher. Nur, weil man etwas nicht sah, hieß es nicht, dass dem nicht so sein musste. Aber der Gesichtsausdruck, welcher er trug, zeugte nicht gerade von Motivation, was das Essen betraf. Auf der anderen Seite konnte man solche wohl auch nicht erwarten – es war eben ein trockenes Stück Brot? Statt sich aber ein Stück abzubrechen hob er den Kopf und schien auf irgendetwas zu warten. Des Rätsels Lösung lag darin, als sich die schwere Tür wieder schloss, durch die der Beamte gekommen war. Dann richtete der Doktor seine Augen auf die Wand links neben uns. Eine einfache, steinerne Wand. Nichts Besonderes. Dachte ich. Doch wenn ich mich eben noch darüber gewundert hatte, warum sich drei Stück Brot auf dem Tablett befunden hatten, wurde es mir nun erklärt: Ein kratzendes Geräusch kam von irgendwo außerhalb unserer Zelle. Irgendwo... von links. Der Doktor ging näher an die Wand heran und legte Handflächen und Ohr an diese. Er fuhr über das Gestein und nach einiger Zeit klopfte er plötzlich mit den Fingerknöcheln dagegen. Nicht besonders laut, aber er musste eine Stelle erwischt haben, hinter der es etwas hohler war als hinter den anderen. Ich wollte nicht glauben, dass dies Zufall war, sondern eher, dass er dies mit irgendwelchem Knowhow herausgefunden hatte. Wir blieben still und dann, nach vielleicht zehn Sekunden, erklang erneut ein dumpfes Klopfen, dieses Mal allerdings von der anderen Seite. Also doch! Da war jemand!! Der Doktor klopfte nun ein zweites Mal an die Wand und dieses Mal erklang die Antwort weitaus schneller. Eindeutig, das war kein Irrtum. „Willkommen in der Untersuchungshaft!“, sprach es dann auch noch zu uns. Ich suchte mit meinen Augen nach einem Schlitz, einem Loch oder irgendetwas anderes, wurde allerdings nicht fündig. Die Männerstimme hatte recht leise geklungen, also hat er wohl kaum von der Nebenzelle nach draußen rübergeschrien. Aber wie so oft, hatte der Timelord bereits des Rätsels Lösung in der Hand: Er hatte sich um die eigene Achse gedreht, sich auf die Knie fallen lassen und die Pritsche ein Stück zur Seite geschoben. „Ah, sieh an! Hallo!“ Er hielt sich auf den Boden gebeugt und sprach nun aus meiner Sicht direkt in die Wand hinein. Doch wie man ihn kannte, befand sich da tatsächlich ein kleiner Zugang zur anderen Seite. „Mit wem habe ich das Vergnügen?“ „John Pizer, mein Herr. Und Sie sind?“ Der Doktor drehte sich zu mir um und bedeutete mir mit einer fixen Handbewegung, dass ich zu ihm kommen sollte. Ich tat, wie mir geheißen, war ich doch auch sehr neugierig auf unseren Nachbarn und kniete mich – immer noch das Brot in der Hand, was ich gewiss nicht auf den dreckigen Bogen ablegen wollte – neben ihn, die Pritsche noch etwas weiter wegschiebend. Ich sah mit eigenen Augen, wie ein fünf Mark großes Loch in der Wand klaffte, wo bis eben noch die Beine der Pritsche gestanden hatten. Der Doktor schob seinen Kopf davor und sah hindurch. „Ich bin der Doktor und das hier ist meine Begleitung, Alexandra.“ Er machte mir wieder Platz und so rückte ich vor, um dem Fremden in die Augen sehen zu können. „H-Hallo“, erwiderte ich zögerlich. Das war mal eine ganz andere Art, jemanden kennenzulernen und mehr als ein schmales Männerauge, um das herum sich ein paar Altersfalten befanden, konnte ich auch nichts erkennen. „Freut mich Ihre Bekanntschaft zu machen. Ich hätte nicht gedacht, dass sie noch weitere Verdächtige fassen.“ Das machte zumindest schon einmal klar, dass auch unser Zellennachbar für den Täter gehalten wurde. „Wie lange sind Sie schon hier drin, Mr. Pizer?“, wollte der Doktor wissen und setzte sich auf die zurückgeschobene Pritsche. Von Angesicht zu Angesicht würden wir eh nicht recht reden können. „Ein paar Tage? Ich weiß nicht genau. Ich wurde Anfang September hierher geholt und sie hatten noch kein freies Gefängnis übrig, wie ich gehört habe.“ „Anfang September?“, kam es mir über die Lippen und ich machte es dem Timelord ähnlich, nur dass ich auf dem Boden gleich neben dem Loch sitzen blieb. Dann war knapp einen Monat hier. Ich sah zum Doktor auf, der nur den Kopf schräg zur Seite legte. So war es nun mal. „Sie wurden also auch des Mordes bezichtigt?“ Ein leises Lachen erfüllte die Luft und man konnte anhand dessen Kratzigkeit heraushören, dass John Pizer schon lange nicht mehr gesprochen hatte. „Weil es einen kleinen Zwischenfall gegeben hatte, wurde ich für alle anderen Morde des Rippers verantwortlich gemacht, ganz genau.“ „Ein Zwischenfall?“, wollte der Timelord wissen und hatte dabei die Augenbrauen zusammengezogen. „Ich bin Schuhmacher in Whitechapel, müssen Sie wissen“, erklärte Pizer ruhig, „Ich hab ein Alibi für die Morde an den Prostituierten, aber das scheint der Polizei hier noch zu undicht.“ „Und was meinen Sie mit Zwischenfall?“ „Sie sind neugierig, Doktor“, schnitt der andere nun dazwischen und wurde etwas schärfer von seinen Worten, „Machen wir es anders: Sie erzählen mir, warum Sie beide hier sind und ich erzähle Ihnen noch ein bisschen was zu meiner Geschichte.“ Wir beide sahen uns an. Hatten wir eine Wahl? Mehr als diesen Mann würden wir nicht als Gesprächspartner finden, uns waren die Hände gebunden und der Doktor hatte nicht einmal seinen Schallschraubenzieher, als dass er uns hier hätte herausmanövrieren können. „Es ist unüblich, dass eine Frau verdächtigt wird. Was hast du getan, Mädchen?“ „Ich habe rein gar nichts getan“, kam es da sofort über meine Lippen, denn genau das war es ja auch, was ich getan hatte: nichts. Wieder erklang das Lachen. Es erinnerte mich an Sutherland, der mir gleiches geschenkt hatte, „Du willst mich wohl auf den Arm nehmen? Soll ich dir einmal sagen, mit welchen Straftaten man normalerweise in ein Gefängnis landet? Ehebruch, Vergiften des Ehemanns um an Versicherungssummen zu kommen, Stadtstreicherei, Diebstahl.“ Super. Das klang alles sehr... herzerwärmend. „Hm... entweder hast du dich mit ihm zusammengetan, um gemeinsam einen großen Coup zu machen oder aber... naja. Das, wozu die meisten Frauen, die nicht unter der Haube sind, verrichten.“ War das so etwas wie eine unausgesprochene Regel, dass Frauen anscheinend nicht mal mehr Gouvernanten oder als Hausmädchen arbeiteten, sondern gleich als Prostituierte? Ich hatte das viktorianische Zeitalter wohl etwas überschätzt... „Ich kann Ihnen versichern, dass sie alles andere als das ist“, sprang der Doktor nun mehr ein, wofür ich ihm im Stillen dankte, doch hatte Pizer die bessere Antwort parat: „Glauben Sie mir, Doktor, das würde ich an ihrer Stelle auch. Ein Mann mag sich zwar zu abends vergnügen, aber es wäre eine Schande, wenn man seine nächtlichen Geschäfte auch am Tage nachzuvollziehen wüsste. Ihr Ruf wäre dahin.“ „Sie scheinen zu wissen, wovon Sie sprechen.“ „Lenken Sie nicht ab. Was hat sie hierher gebracht?“ Der Timelord schwieg ein paar Sekunden, ehe er nachgab, wenn auch sichtlich ungewollt, „Wir sind auf der Durchreise. Zur falschen Zeit am falschen Ort.“ „Wurde also wieder eine umgebracht?“ „Zwei.“ „Oha, zwei also. Deswegen der Aufruhr da oben und die genervten Gesichter.“ Nun klang der Mithäftling beinahe schon amüsiert. „Das wird dann wohl ausreichen, dass ich nicht der Ripper sein kann und sie mich freilassen.“ Vielleicht sollten sie dem Ekelpaket auch seine Zunge abschneiden oder hier unten versauern lassen... aber nein, Alex, denk an dein Karma. Das hat dich jetzt nämlich schon wieder gut genug in den Hintern gebissen! „Nun gut … und auf Ihrer Durchreise befanden Sie sich zufälligerweise in der Nähe des Tatortes?“ „Exakt.“ „Das nenne ich Pech.“ Ich wiederhole mich, aber: Zunge abschneiden! „Tja …“ Von der anderen Zelle kam ein stimmloses Seufzen, „Dann nochmal zu mir … Ich habe dummerweise eine dieser Huren mit einem Messer bedroht und andere zu Tode erschreckt. Das hat mich hierher gebracht. Als dann die Morde laut wurden, hat man mich natürlicherweise für den Täter gehalten.“ Okay, noch einmal die Frage: Waren hier alle verrückt? Ich sah erneut zum Doktor und dieses Mal legte er nicht den Kopf zur Seite, sondern sah mich nur mit einem ebenso eindringlichen Blick an, wie ich ihn. „Gibt es denn Hinweise darauf, wer der Mörder ist?“, fragte ich schließlich, als ein Schweigen für einige Zeit einkehrte. „Es gibt unzählige Typen, die es nicht waren“, antwortete Pizer und verkniff sich ein weiteres Lachen, „Ich bin nicht der Erste, den sie vernehmen. Inspector Sutherland hat euch geschnappt, oder? Er ist der Beste auf dem Gebiet und dennoch tappt er unentwegt im Dunkeln. Wie viele Morde wurden schon verübt? Es sind immer Frauen, fast durchweg Prostituierte. Ihre Körper werden zugerichtet, verstümmelt, Organe entfernt. Deswegen geht die Polizei auch davon aus, dass es sich um einen Arzt handelt, der dies getan haben muss. Sie verstehen also, warum sie es auf Sie abgesehen haben?“ „Leider ja.“ Und ich ebenso. Nicht, dass er Doktor der Humanmedizin wäre, aber das gedankenmanipulierende Papier, welches er dem Inspektor gegeben hatte, wies genau jene Identität für den Timelord vor. Das war ein Eigentor. Konnte dem Besten passieren. „Sie sind der bessere Verdächtige als ich. Und ich hab zwei Alibis. Auch, wenn diese immer noch unter Nachforschung stehen. Wie sieht es bei Ihnen aus?“ Mir missfiel der Ton, welcher Pizer anschlug, denn er klang verhöhnend, wenn nicht sogar verspottend. Es erinnerte mich fast schon ein wenig an diese Briefe, die in dem Extrablatt veröffentlicht wurden. Genauso amüsiert. „Was... passiert, wenn sie keinen anderen Verdächtigen finden?“, sprach ich leise zum Doktor, in der Hoffnung, dass unser Mitinsasse dies nicht gehört hatte, aber natürlich tat er dies und lachte sich scheckig, „Dann wirst du mit viel Glück demnächst gehängt. Sie können euch nicht auf ewig hier festhalten und wie du an mir sehen kannst, sind die Kapazitäten vollkommen ausgelastet.“ Was für eine Aussicht. Ich mochte den Kerl immer mehr. „Gut, dann sagen Sie uns doch, was sie alles über die Morde wissen. Sie sind zwar nicht der Täter, scheinen aber dennoch gut im Bilde zu sein, was passiert ist. Warum wird der Schuldige nicht gefunden? Warum werden Unschuldige auf Glück festgenommen? Das macht auf mich den Eindruck, als wären sie vollkommen unorganisiert und von Verzweiflung getrieben.“ Der Doktor ließ sich nicht beirren. Er suchte nach Antworten. Antworten, die uns einen Weg nach draußen bescheren konnten. Ich wusste nicht, wie ich in solchen Situationen zu reagieren hatte, wie ich mit solchen Leuten umgehen sollte. Auch, wenn ich die 30 Jahre fast erreicht hatte, war meine Erfahrung da doch zu gering. Anders als der Timelord, welcher nicht nur ein paar hundert Jahre älter, sondern auch weitaus mehr Menschen und Lebewesen kennengelernt hatte, als ich es könnte. „In der Tat, man sollte meinen, dass der Täter schnell gefunden wird. Das wird er aber nicht. Und warum? Weil ihm seine Opfer immer und immer wieder in die Hände spielen. Frauen, Prostituierte. Sie wollen ihr Geschäft machen. Sie haben keine Wahl, ganz gleich wie gefährlich es gerade ist. Und deswegen wird er immer wieder welche finden. Immer und immer wieder.“ „Das mag sein, aber er scheint hier in Whitechapel leben zu müssen, wenn er in diesem Umkreis aktiv wird?“ „Richtig. Davon ging die Polizei ebenso aus, warum Sie und ich hier festsitzen. Naja, ich mehr als Sie. Aber wissen Sie was?“ Der Doktor antwortete nicht und so auch ich nicht. Wir warteten, bis Pizer weiterredete, „Während wir hier sitzen, plant der Ripper den nächsten Mord.“ „Woher wollen Sie das wissen?“ „Instinkt? Ha, ha... nein, ich habe nur die Zeitung gelesen – oder besser gesagt mitbekommen, was geschrieben wurde. Die Polizisten reden hier gern, wenn sie Kontrolle schieben.“ Nein, vorbei war es noch wirklich nicht. Ein Mord stand noch bevor. Davon konnte aber niemand wissen außer eben... wir. „Was raten Sie uns, wie wir hier rauskommen?“ „Sucht Sie sich ein wasserdichtes Alibi!“ Der Brüller des Tages. „Oder aber … lassen Sie doch Ihre Begleitung arbeiten? Die sind bestechlich wie alle anderen auch.“ Ich schreckte hoch und glaubte, mich verhört zu haben. Es war ganz klar, was er damit meinte. Und noch klarer war, dass ich dies gewiss nicht tun würde. „Sie können auch bis Morgen abwarten. Dann werden Sie erneut verhört. Die werden sie alle drei Stunden rannehmen. Denken Sie sich also besser eine Ausrede aus, die mit Ihrer Begleiterin übereinstimmt.“ „Wie ist der Tagesablauf?“, wollte der Timelord da noch wissen und fuhr dem anderen somit über die Zunge. „Geweckt wird um 5 Uhr, Frühstück gibt es um 6 Uhr. Dazwischen eine kurze Zeit, auf Klo zu gehen. Bis 12 Uhr wird dann ausgeharrt.“ Als wir uns jetzt ein weiteres Mal in die Augen sahen, war klar, was unser Ziel sein musste: Sie zu überzeugen, dass wir hier nicht die Bösen waren und das Blatt wenden, damit wir hier rauskamen. Natürlich wäre dies eine sichere Nacht in der Zelle, aber wirklich sicher für die TARDIS war es auf keinen Fall. Und schon gar nicht auf längere Sicht. Dafür bräuchten wir einen Plan. Einen sehr guten Plan. Keine unserer Auskünfte dürfte sich voneinander unterscheiden. Jeder noch so kleine Fehler würde uns als Lüge angelastet werden. Das würde ein langer Abend und eine noch längere Nacht werden.   Zumindest hatte ich das gedacht... aber irgendwann hatte mich der Schlaf dann doch übermannt. Ich konnte mich nicht mal dran erinnern, dass ich mich auf die Pritsche gelegt hatte. Ich konnte mich genauso wenig daran erinnern, dass ich den Trenchcoat des Doktors als Decke genutzt hatte, aber als schließlich die schwere Tür aufgeschmissen wurde und eine unfreundliche Stunde das Aufwachen verkündete, bemerkte ich erst all das und setzte mich unter meinen schmerzenden Knochen auf. Autsch... bequem war etwas anderes. Ich sah mich um, entdeckte den Doktor, der am der anliegenden Wand neben dem Bett saß und wurde augenblicklich etwas wacher. „Haben Sie gar nicht geschlafen?“ „Guten Morgen. Und doch, doch. Eine Stunde.“ „Eine Stunde? Sie sind doch verrückt!“ „Eine Stunde kann mit euren acht Stunden verglichen werden und ist selbst dann eigentlich noch weitaus effektiver.“ Nun gut, das musste ich dann wohl so hinnehmen. Der Körper eines Timelords war nun mal nicht menschlicher Natur und entsprechend wunderte es mich nicht, dass er auch keine acht Stunden Schlaf brauchte, wie es bei uns der Fall war. Sei es drum. Als nächstes wurde ich zu der dortigen Toilette begleitet, wo ich mich frischmachen sollte. Da wir in dieser Zeit nicht mit weiblichen Polizistinnen zu rechnen brauchten, wartete der Beamte vor der Tür. Wenn ich etwas nicht abkonnte, dann war es genau das: Dass ich mich gestresst fühlen musste, weil ich eine Sekunde zu lange auf dem Klo verweilte. Doch hier wollte ich auch keine unnötige Sekunde verbringen. Das Waschbecken war zwar funktional, allerdings nicht gerade sauber. Es kostete mich schon Überwindung, den Wasserhahn aufzudrehen, benutzte ich dafür nur meine Fingerspitzen. Ja, ich gebe es zu: Ich hatte eine gewisse Keimphobie, wenn ich kein Händedesinfektionsmittel besaß... Das Wasser, welches aus dem Hahn kam, wirkte recht sauber, aber ich vermied es dennoch, mir jenes ins Gesicht zu spritzen. Und wer dachte, dass Frauen nicht im Hocken pinkeln konnten: Oh doch! Wir brachten dabei sogar unsere Beinmuskulatur gut voran! Die Morgentoilette war somit schneller beendet, als der Polizist gedacht hätte und ich wurde wieder in die Zelle gebracht. Zwar nutzte ich die Zeit, mich umzusehen und nach eventuellen Fluchtwegen Ausschau zu halten, aber es gab just keine. Und somit landete ich wieder in unserem Loch – diesmal fiel mir aber auch die Nebenzelle auf und ich glaubte, einen Mann auf der Pritsche an der Wand liegen zu sehen. Ganz so, als wäre es ihm egal, dass der Weckruf begonnen hatte. Zu meiner Überraschung war der Doktor wohl kurz nach mir aus der Zelle gebeten worden und ich hatte ein paar Minuten für mich, bis er zurückkehren würde. Mich auf die harte Pritsche niederlassend, ließ ich meinen Blick wandern. Der schmale Lichtspalt, welcher uns gewährt wurde, verriet den Tagesanbruch. Die Wolken waren noch recht bläulich und grau, Sonnenschein gab es keinen. Ein entsprechend kühler Luftzug umspielte meine Nase, die mir daraufhin zu kribbeln begann. Zum ersten Mal hatte ich wirklich Gelegenheit, mir alles durch den Kopf gehen zu lassen, was auf mich zugekommen war, in welcher Situation ich steckte und wo ich eigentlich hätte sein müssen. Es war irritierend, aufregend, spannend und beängstigend zugleich. Meine Reiselust war nicht verflogen, gewiss nicht, aber dennoch war ich gerade an einem Punkt, wo ich merkte, dass eben mal wieder nicht alles Gold war, was glänzte. In diesem Fall zeigte es sich eben in den Problemen, welche die Abenteuer mit dem Doktor mit sich brachten. Wenn wir Abenteuergeschichten lasen oder -serien im Fernsehen guckten, dann waren wir meist ganz aufgeregt und freuten uns über alle Dinge, die dort geschahen. Was wir aber nicht sehen oder fühlen konnten, waren die wahren Empfindungen, die man verspüren würde, steckte man selbst in solch einer Situation. Wir fanden es lächerlich, dass sich in einem Horrorfilm die Gruppe trennte und einer nach dem anderen starb? Oder es ebenso bescheuert, dass in einer Arztserie jemand seinen Job und mehr riskierte, um ein Menschenleben zu retten? Dass man einfach mit irgendeinem Menschen sexuell aktiv wurde, damit man es endlich wie alle anderen hinter sich hatte? Ja, weil wir selbst nicht drinsteckten. Den eigenen Job zu riskieren, irrationale Entscheidungen treffen, … das alles konnte man erst dann begreifen, wenn man eigens in dieser Rolle steckte. Das wurde mir jetzt ein weiteres Mal klar. Welche Rolle würde ich also spielen? Und was würde ich tun? Ich hatte eine Weile vor mich hingestarrt und gefühlt müssten mindestens fünfzehn Minuten vergangen sein, aber der Doktor kam nicht wieder. Mir wurde unwohl bei dem Gedanken, dass die Polizei vielleicht weitere „Beweise“ gefunden hätten, die ihn belasteten und er deswegen gleich ins Verhör gezogen war. Der Beamte, der soeben noch an der Toilettentür gestanden und mich bewacht hatte, kam wieder und reichte uns das Frühstück. Ich musste das Brot für den Doktor entgegennehmen und zuckte etwas zusammen, als der eigentlich so ruhige Polizist die Stimme erhob, um unseren Nachbarn aufzuwecken, der sich nur mürrisch und schwerfällig erheben wollte. Das lange und ausgiebige Quietschen der Stahlfedern des Bettgestells verrieten mir genug. Dann verschwand der Angestellte des Kriminalinstitutes und wir waren wieder für uns. „Was für ein Morgen. Sollen die mich doch schlafen lassen, wenn sie mich eh hier vergammeln lassen“, murrte Pizer mehr zu sich als zu mir. Ich gab auch keinen Ton von mir, weil ich keine Lust hatte, mich mit ihm zu unterhalten. „Hey, seid ihr wach?“, rief er dann durch das Loch und ich konnte nur tonlos seufzen. Verdammt... hätte ja klappen können. „Ja“ Mehr wollte ich nicht sprechen. „Wo ist der Doktor?“ Ein Schweigen war auch eine Antwort und so lachte der Kerl nebenan nur auf, „Verstehe, dann haben sie ihn jetzt schon im Kreuzverhör. Tja, so kann's gehen. Hoffe, ihr habt euch eine gute Ausrede einfallen lassen für euer Techtelmechtel.“ „Wir haben nicht-“ „Wie auch immer.“ Er ließ mich nicht mal aussprechen, sondern schien nun mehr sein Brot zu essen, da seine eigene Aussprache unklarer wurde, „Mal sehen, wie er sich da rauswindet. Was ist er wirklich? Nie im Leben Arzt, oder?“ Sollte ich darauf antworten? Nein, es ging ihn nichts an. Und ich wusste auch nicht, ob der Doktor damit einverstanden gewesen wäre, hätte ich in seinem Namen geantwortet. „Naja, scheinst ja nicht mit mir reden zu wollen. Wo kommst du her? Du bist nicht aus London, oder?“ „Nein, bin ich nicht.“ Das konnte ich zumindest verraten. „Hört man deinem Akzent an. Wo kommst du her, Mädchen? Schottland?“ „N-Nein, ich weiß nicht. Ich bin von einem Ehepaar aufgezogen. Spanien.“ „Du klingst aber kein Stück nach einer Spanierin.“ „Ich hab ja gesagt, ich kenne meine Eltern nicht.“ Das Gespräch verebbte ein weiteres Mal und ich atmete tief durch in der Hoffnung, dass dies alles gewesen wäre. Die Information, dass ich angeblich von Pflegeeltern großgezogen worden bin und ich den Doktor in Spanien kennengelernt hatte, waren jene, die wir uns für das Verhör überlegt hatten. Es wäre äußerst unklug, Frankreich anzusprechen, dessen Akzent ich mir zwar eher aneignen könnte, aber was nicht gerade in positiver Beziehung zu England stand. Von Schottland oder Irland hatte ich zu wenig Ahnung, als dass ich mir solche Identität hätte aufbauen können. „Und wie kamst du ins Gewerbe?“ „Ich habe in Spanien Kleidung genäht. Hören Sie auf, mich hier als Prostituierte verkaufen zu wollen!“, rutschte es mir dann ungehobelter heraus, weil ich langsam aber sicher die Schnauze voll hatte. Er lachte daraufhin nur wieder und nahm ein weiteres Brotstück in den Mund, während ich meines bisher nicht einmal richtig angeguckt hatte. „Ich sag dir mal was: Wenn du keine Adlige oder wohlhabende Dame aus gutem Hause bist, bist du hier nicht mehr wert als der Zeitungsjunge von gegenüber. Keine Ahnung, wie das bei dir in Spanien war, aber hier habt ihr nur drei Optionen: als Hausmädchen arbeiten, zu betteln oder euch in das nächtliche Gewerbe zu begeben. Oder aber ihren Ehemann zu ermorden, um an die Versicherungssummen zu gelangen.“ „Mir war schon klar, dass sie Aussicht nicht gerade spektakulär ist …“ „Du kannst froh sein, wenn sie dich nicht enthaupten werden.“ Okay, nun kroch es mir doch ein wenig den Rücken runter … Von Enthauptung hatte niemand gesprochen! … Oder wollte ich zumindest nicht sprechen. „Und wenn ich dir noch einen Tipp geben kann: Iss das Zeug, was sie dir reichen. Du wirst nichts anderes bekommen und Verhöre können sich hinziehen.“   Mit Müh und Not hatte ich das trockene Brot heruntergewürgt und als dann der Polizeibeamte wiederkam, um nach dem Rechten zu sehen, konnte ich ihm zumindest abgewinnen, dass er mir einen Becher Wasser brachte. Meine Kehle brannte zunehmend und wie ich meinen Körper kannte, würde er bald rebellieren, bekäme er nichts Flüssiges in die Magenkuvertur. In jenem Moment, als ich ihm den Becher zurückreichte, kam auch der Doktor wieder herein. Man hatte ihm den Trenchcoat abgenommen und anhand der zerknitterten Stellen seines Anzuges konnte ich schließen, dass er ziemlich lange hatte in einer Position ausharren müssen. In seinen Augen konnte ich ablesen, dass selbst für ihn die Dauer des Verhörs anstrengend gewesen sein musste. Er trug kein Lächeln auf den Lippen, als er wieder zurückkam und selbst Blickkontakt schien er mit mir zu meiden. War irgendetwas geschehen? Es beruhigte mich nicht gerade, wie er sich verhielt, aber ich versuchte mir zu sagen, dass dies auch alles Teil einer Strategie sein konnte, die er nachging. Vielleicht war es schlichtweg besser, wenn wir vor den Augen der Polizei keine Kommunikation betrieben – in jeglicher Hinsicht. Deswegen hielt ich die Schultern gestrafft, als die Gittertür aufging und er neben mich trat. „Ms. … Garcia?“ Ich sah zu dem Beamten auf, der den Doktor hergebracht hatte. „Folgen Sie mir.“ Nein, es war natürlich nicht mein richtiger Name, aber dies war jener, den wir uns für mein spanisches Ich ausgedacht hatten. Klang doch auch ganz nett, oder? Wie im fliegenden Wechsel war ich nun diejenige, die verhört werden würde und obwohl mir diese kleine Gruft nicht gerade heimisch vorkam, wäre ich in jenem Moment am liebsten in dieser geblieben. Ich konnte mir nicht verkneifen, nun doch einen Blick zum Doktor zu werfen, als ich halbwegs sicher war, nicht skeptisch von den Außenstehenden beäugt zu werden. Auch jetzt sah er mich nicht an, was wohl auch besser war. Denn egal, was ich mir versuchte einzureden: Ich bekam es nun doch ein bisschen mit der Angst zu tun. Wenn ich bei dem Verhör versagte, dann bedeutete es nicht nur für mich üble Konsequenzen – war ich doch eh schon abgeschrieben in dieser Gesellschaft – sondern ebenso für ihn. Auf der anderen Seite hatte ich jetzt vielleicht die Möglichkeit, uns einen Weg nach draußen zu schlagen. Ich wusste zwar nicht, wie ich das anstellen sollte und was der Doktor bisher gesagt hatte, doch darauf konnte ich mich jetzt eh nicht verlassen. Mit strammen Schritten ging es hinter der Tür den Gang zurück zum Treppenhaus. Ich hörte noch, wie mir unser seltsamer Zellengenosse ein „Viel Erfolg“ zurief, ignorierte ihn ab. Also dann… auf ging es. Leben oder Tod. Mehr Aussichten hatten wir nicht. Das machte es für mich doch ein bisschen einfacher, die richtige Wahl zu treffen: Leben. Kapitel 3: Sweet Escape ----------------------- Der Weg, den wir jetzt zurücklegten, kam mir viel kürzer vor als jener, den wir zu den Zellen gegangen sind. Erst jetzt fiel mir auch auf, wie sehr das Gebäude schon unter seiner Benutzung gelitten hatte. Risse in den Wänden, vergilbtes Weiß, in den Ecken Staub und Flusen, die unter unseren heutigen Hygienebedingungen schon längst hätten verschwunden sein müssen … und auch das Büro von Sutherland, welches mir gestern noch so imposant vorgekommen war, hatte heute komplett seinen Charme verloren. Nur ein normales Bürozimmer, nichts weiter. Ausgestattet mit einfachen Möbeln und Kratzern im Boden. Die Tür zu diesem Raum stand angelehnt und als wir ohne Vorankündigung eintraten, was mich ebenso irritierte, erwartete uns ein Chief Inspector, der wohl genauso wenig geschlafen hatte wie überhaupt erst nach Hause gegangen war: Er trug die gleiche Kleidung wie gestern, nur um einiges zerknitterter. Sein Gesicht zeigte tiefe Ringe unter den Augen, und er kämpfte damit, sie überhaupt offen zu halten. Er erinnerte mich sehr an einen dieser Basset Hunde, die ständig blutunterlaufene Augen besaßen und so herabhängende Mundwinkel, dass man meinen könnte, sie würden den Boden berühren. Unter anderen Bedingungen hätte ich geschmunzelt, jetzt allerdings war mir nicht mal nach einem Mundwinkelzucken zumute. „Sir, Alexandra Garcia.“ „Danke, Sie können gehen“, entgegnete Sutherland ohne Aufzusehen und winkte ab. Der Polizist nickte und verließ daraufhin mit einem letzten Blick auf mich gerichtet das Zimmer. Die Tür fiel leise ins Schloss und wir waren allein. Wie bestellt und nicht abgeholt stand ich nun da und wartete auf weitere Anweisung. Ich hatte mir angewöhnt, gegenüber mir Unbekannten nicht zu sprechen, wenn ich nicht gefragt wurde. Gerade erschien es mir als die beste Strategie. Immerhin trug ich nicht nur mein eigenes Leben auf den Schultern, sondern auch jenes des Doktors – wobei sich dieser besser zur Wehr setzen könnte als ich. „Setzen Sie sich“, wies mich Sutherland mit seiner rauchigen Stimme an und rieb sich die müden Augen, nachdem er seinen Federhalter hatte fallen lassen. Ich bekam beinahe Mitleid mit ihm, wie er im Stuhl hinter seinem Schreibtisch hing und sich schließlich erschöpft erhob, um sich wie gestern genau vor mir zu positionieren, an der Schreibtischkante gelehnt. Die Investigationen zogen sich, es gab keine eindeutigen Anhaltspunkte und sie nahmen zwar immer wieder Verdächtige fest, doch konnten sie keinen einzigen dieser etwas nachweisen … Jack the Ripper lief frei herum und würde noch weiter morden. Der Doktor und ich wussten dies, die Leute hier konnten es nur in Angst annehmen. Ich glaubte, dass sich Sutherland dies mehr als nur bewusst war und sich deswegen so dahinter klemmte. Er mochte zwar ein lauter, angsteinflößender Vorgesetzter sein, aber im Grunde tat er nur seinen Job und das mit Hingabe. Vermutlich war unsere Verhaftung für ihn ein Funken größerer Hoffnung gewesen und löste sich nun ebenso in Luft aus. Ich tat wie mir geheißen und ließ mich wortlos auf dem hölzernen Stuhl nieder. „Also Ms … Garcia.“ Die Art, wie er meinen Namen betonte, gefiel mir überhaupt nicht. Es lag Misstrauen in seiner Stimme – wenn er nur wüsste, wie berechtigt diese Skepsis war. „Jetzt erzählen Sie mir bitte noch einmal in jeder Einzelheit, was Sie hier machen und warum Sie hier sind.“ Er duzte mich nicht mehr. War ich in seiner Achtung also zumindest ein bisschen gestiegen? Oder hatte er es endlich kapiert, dass ich keine Bordsteinschwalbe war? Es gab mir zumindest so etwas den Respekt zurück, der mir als Mensch gebührte. Zudem erinnerte es mich, dass ich auch entsprechend einen kühlen Kopf bewahren und nicht wieder impulsiv werden wollte. Noch so ein Ausraster konnte niemand von uns gebrauchen. Weder der Doktor, noch ich. „Wir sind auf Durchreise hier“, begann ich und legte die Hände ineinander, um einen ruhigen Eindruck zu vermitteln, „Der Doktor und ich sind auf dem Weg nach Schottland.“ „Wie lange sind sie schon unterwegs?“ „Zwei Monate.“ „Von wo?“ „Spanien. Barcelona.“ Sutherland machte sich beiläufig Notizen, legte dann den Stift auf die Schreibtischoberfläche und bedachte mich eines längeren Blickes. Okay, nun wollte er etwas über mich hören … das war ganz offensichtlich. „Miss Garcia, wer sind Sie? Sie haben einen ausländischen Akzent, aber mir sind in meinem Leben schon einige Spanier begegnet und ich kann ihnen versichern, dass deren Aussprache nicht Ihrer gleicht. In keinster Weise.“ Ich machte ein bedrücktes Gesicht und senkte reuevoll den Blick. So, wie ich es mir ausgedacht hatte. „Das … kann ich Ihnen nicht sagen, Chief Inspector“, sprach ich kleinlaut, „Ich weiß selbst nicht, wo ich herkomme. Ich bin im Alter von drei Jahren zu einer Familie gekommen, die mich aufgenommen hat. Davor … keine Ahnung.“ „Was mit ihnen passiert?“ „Meiner Familie?“ „Ja, warum sind Sie nicht mehr bei Ihnen?“ „Sie waren selbst arm … Vermutlich haben sie mich damals aus Mitleid aufgenommen, keine Ahnung. Und ich glaube, sie haben auch irgendeinen Handel betrieben, der nicht rechtens war. Als ich eines Tages von meiner Arbeit nach Hause kam, hat Mutter geweint. Die Behörden hatten meinen Vater mitgenommen und in das Gefängnis gesteckt. Mutter war mit mir und meinem Bruder allein.“ „Sie haben einen Bruder?“, hob Sutherland interessiert die Augenbrauen. Anscheinend hatte der Doktor ihm das nicht erzählt. „Ja“, nickte ich und sah wieder auf. Hier und da den Augenkontakt wahren. Das war wichtig, „Er ist acht Jahre jünger als ich.“ „Wie alt sind Sie?“ „25.“ Gelogen, aber glücklicherweise sah man mir mein Alter nicht an. Ich musste wenigstens über 20 sein, aber sollte auch nicht zugeben, dass ich fast 30 war. Das würde mich nur noch mehr in den Rotlichtsektor schieben lassen. Sutherland überschlug die Zahlen wohl kurz im Kopf, da er schwieg, und forderte mich dann auf, weiter zu sprechen, „Sie bekam Ärger mit den Behörden, galt als Komplizin, und sollte verhaftet werden. Wir verloren unser Zuhause, einfach alles. Als mein Vater schließlich gehängt werden sollte … hat sie den Verstand verloren.“ Ich versuchte noch betretener dreinzublicken als eh schon. „Was meinen Sie damit?“ „Sie hat sich ebenso erhängt.“ „Was ist mit Ihnen und Ihrem Bruder dann geschehen?“ „Er kam ins Heim. Ich habe von den Geschäften nichts gewusst und ich hatte nichts zu befürchten. So dachte ich. Allerdings hatten mich die damaligen Geschäftspartner meiner Eltern auf den Kieker und verfolgten mich.“ „Und dann trafen Sie auf John Smith?“ Ah, da war die Knackstelle! Nun musste ich aufpassen. Meine eigene Biografie hatte ich ausschmücken können. Der Doktor und ich hatten uns darauf geeinigt, dass er von mir nichts großartig wusste, außer einen Grundriss meines kleinen Mikrokosmus. Meine höchst unangenehme Vergangenheit war ihm nicht bekannt. Das sollte ich unterstreichen. „Richtig … Ich habe ihm nicht alles erzählt. Es ist mir sehr … unangenehm, verstehen Sie?“ Der Inspector nickte nur und rieb sich daraufhin seinen etwas krausstehenden Bart. „Wie haben Sie sich kennengelernt?“ Ich schwieg. Die Details … jetzt keinen Fehler machen! Mir die Episode wieder ins Gedächtnis rufend, begann ich langsam zu sprechen. Klar und deutlich, keine Zweifel aufkommen lassend. „Er … hat mir das Leben gerettet. Die Geschäftspartner meines Vaters waren mir wie gesagt auf den Fersen und hatten mich ausfindig gemacht. Ich … hatte mir ein günstiges Zimmer in einer Pension genommen und half dort aus, um die Kosten zu decken. Sie standen plötzlich einfach in der Tür, als ich gerade die Treppen saubermachte. Sie forderten das restliche Geld, das mein Vater nicht mehr hatte geben können. Ich hatte sie vertröstet, aber sie wollten mir auch keinen Aufschub mehr geben. Ich war an dem Vormittag alleine im Haus. Die Gäste waren aus und der Chef ebenso um einzukaufen. Ich konnte keine Hilfe erwarten. Weil ich auch kein Geld hatte und sie niemanden zusätzlich erpressen und bedrohen konnten, sollte ich für das bezahlen, was ihnen ihrer Meinung nach zustand. Und dann … tauchte der Doktor auf.“ „Was hat er getan?“ „Er hatte eigentlich nur nach einer Bleibe für seine Reise gesucht. Da ist er auf die Pension gestoßen, wie er hinterher erzählte. Er meinte zu mir, dass er verdächtiges Gerede gehört hätte und da die Eingangstür einen Spalt offen geblieben war, hatte er uns sehen sehen können. Den einen hatte er von hinten mit einem Knüppel überrascht und ihn zwischen den anderen beiden und mich geschubst. Der eine hielt mich fest, der andere ging auf ihn los. Ich hab nur die Hälfte mitbekommen, aber … der Doktor überwältigte irgendwie den zweiten Mann. Der Dritte bekam es wohl mit der Angst zu tun. Sie redeten nicht auf Spanisch oder Englisch, keine Ahnung … er ließ jedenfalls von mir ab.“ „Verstehe“ Es schien, als verstand Sutherland wirklich. Nun musste ich aber eine Sache loswerden, die mir von gestern noch auf der Zunge lag: „Deswegen … reagiere ich auch sehr empfindlich darauf, wenn mir unterstellt wird, dass ich in einem Gewerbe des Selbstverkaufes arbeite. Ich entschuldige mich noch einmal für meinen gestrigen Ausbruch …“ „Nein, nein. Das … ist in der Tat nachvollziehbar“, hob der Chief Inspector eine Hand, „wobei ich Ihnen sagen muss, dass es sehr üblich geworden ist, dass Frauen hier in diesem arbeiten und gerade hinsichtlich der Morde jene Opfer alle diesem Metier anwohnten. Es tut mir leid, dass Sie solch eine Erfahrung machen mussten. Gestatten Sie mir aber eine andere Frage …“ Er machte eine Pause, die mir nicht behagte, und sah mir ganz direkt in die Augen, als er schließlich weitersprach: „Wie kommt es, dass Sie Englisch sprechen können und das so gut?“ Irks. Das … hatten wir nicht besprochen. Improvisation! „Meine Eltern konnten recht gut sprechen. Mein Ziehvater hat mir einiges beigebracht und ich … habe mir einige Bücher angesehen, die bei uns herumlagen.“ Mehr hatte ich nicht zu sagen und ich hoffte, dass es ihm auch genügen würde. Mein Gegenüber schwieg erneut, besah sich dann aber seinen Notizblock genauer und blätterte in diesem herum. Ich biss mir unbewusst auf die Unterlippe, bangend, was nun noch kommen könnte. Schließlich legte er aber den Block gemeinsam mit dem Stift zurück auf die Schreibtischoberfläche, legte die Hände ineinander und atmete hörbar aus. „Sie sind also auf John Smith getroffen und er hat sie vor diesen Leuten gerettet. Was ist dann passiert? Sie haben Ihren Bruder zurückgelassen.“ „Ich habe mit ihm gesprochen“, entgegnete ich leise, „Ich wollte dem Doktor danken und auf den Schock hin hat er mich auch noch zu einem Kaffee eingeladen … Ich fragte ihn aus, wo er herkam, was er unternahm, wo er hinwollte … Er erzählte mir davon, dass er ein Weltenbummler sei und auf der Suche nach neuen Forschungsergebnissen dabei die verschiedensten Länder erkunden wollte. Es machte mich so unglaublich neugierig. Und wissen Sie ...“ Diesmal war ich es, die den Chief Inspector direkt ansprach, „egal, wie viel ich arbeiten würde … es würde nie reichen, dass ich meinen Bruder vorzeitig zu mir holen könnte. Es würde auch nie reichen, dass ich für uns beide auf Dauer sorgen könnte. Davon abgesehen beginnt das Waisenheim nach der Ankunft eines Kindes gleich mit der Suche nach einer neuen Familie. Ich denke, es ist kein großer Unterschied zu denen hier in England?“ Sutherland zuckte mit den Schultern. Er schien nicht viel davon zu verstehen, was Waisenheime betraf, und ich erwartete es auch nicht von ihm. Ich konnte auch nur das berichten, was ich aus historischen Berichten und Dokumentationen erfahren hatte. „Ich hatte mit meinen ärmlichen Verhältnissen auch keine Chance auf Heirat. Der Doktor … Er verstand meine Situation und bot mir an, dass ich mit ihm reisen könne.“ „Und da gingen Sie einfach mit?“ „Nein … Ich machte mir Sorgen um meinen Bruder. Ich sagte dem Doktor, dass ich zumindest mit Raoul darüber reden wollte. Mein Bruder war allerdings erwachsener als ich gedacht hätte … ich sollte mitgehen. Sollte mir die Welt angucken. Er sagte, er würde das Pflegeheim eh bald verlassen und sich eine Arbeit suchen. Ich hätte genug für ihn getan.“ Ich setzte ein schwaches Lächeln auf. „Wie sind Sie mit dem Doktor bisher gereist?“ „Wir nutzten den Zug oder private Dienste. Oder gingen zu Fuß.“ „Dann lassen Sie mich zwei letzte Fragen stellen.“ Ich nickte und hörte aufmerksam zu, „In welcher Beziehung stehen Sie nun zu ihm?“ Natürlich … diese Frage ließ immer noch nicht los. „Er ist für mich ein guter Berater und Freund“, legte ich kurz und knapp dar. „Sie haben also nie … Avancen erhalten oder ihm gegenüber offenbart?“ „Keine einzige.“ „Meine letzte Frage … betrifft diese blaue Box, in der Sie beide gesehen wurden.“ „Sie … wollen gewiss wissen, wo die herkommt?“ Sutherland wirkte ein bisschen überrascht, nickte dann allerdings nur. „Ich habe keine Ahnung“, musste ich mit den Schultern zucken und dies war nicht einmal gelogen, denn ich hatte wirklich keine tiefere Ahnung dessen, wie die TARDIS gezüchtet wurde und was es brauchte, damit eine solche entstand. „Wir haben hier so etwas bisher noch nie gesehen. Zudem sie nach Ihrem Verlassen verschlossen scheint, aber John Smith hat keinen Schlüssel. Was hatten Sie also dort drin zu suchen und wie kamen Sie überhaupt hinein?“ Ich fragte mich insgeheim selbst, wie der Doktor es geschafft hatte, den Schlüssel vor den Beamten hier zu verstecken, konzentrierte mich dann aber lieber wieder auf Sutherlands Frage und legte den Kopf zur linken Seite. „Wir … haben uns versteckt.“ „Versteckt?“ „Als wir in London angekommen sind, haben wir uns leider in eine wohl sehr unbehagliche Gegend begeben und uns lauerte eine Gruppe auf. Wir sind vor ihnen geflohen.“ „Und dabei in eine so auffällige Box gegangen?“ „Nun ja … der Mensch ist manchmal sehr dumm.“ Dem konnte der Chief Inspector nichts hinzufügen. Das war leider die einfache Wahrheit. Es konnte schon mal sein, dass man eine Fehlentscheidung traf. Eine … offenkundig sehr große Fehlentscheidung. „Dann hatten Sie beide sehr viel Glück.“ „Die Gruppe rüttelten auch an der Tür, aber wir konnten von innen einen Riegel vorschieben und haben uns sehr leise verhalten. Sie nahmen wohl an, dass die Box generell verschlossen wäre.“ „Nun die große Frage, wer sie nach Ihrem Verlassen abgeschlossen hat?“ „Ich habe keine Ahnung, Chief Inspector.“ Sutherland nickte abermals und richtete sich auf. Um seinen Schreibtisch herumgehend, und an mir vorbei, hielt er vor dem gegenüberliegenden massiven Holzschrank an, welcher zwei mit Glasscheiben ausgestattete Türen inne hielt und drei über die gesamte Breite gehende Schubfächer darunter. „Ich möchte Ihnen nun etwas zeigen, Miss Garcia“, erklärte der Mann mittleren Alters und zog die linke Schranktür auf. Etwas hervorholend, was ich nicht erkennen konnte, da er direkt davorstand, musste ich abwarten, bis er wieder zu mir gegangen war, „Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Wir behalten ungern Unschuldige in Gefangenschaft, aber neben Ihrem plötzlichen und sehr zufälligen Auftauchen hier, der Profession von John Smith, dieser seltsamen blauen Box und den bekannten Ripper-Morden sowie Ihrer … sehr dürftigen Kleidung, haben wir dann auch noch dieses Werkzeug, das uns Rätsel aufwirft.“ Ich hielt meinen Kopf neugierig über die Schulter gedreht, als er aber auch schon mit Trenchcoat und Schallschraubenzieher an mir vorbeiging und ersteren auf den Schreibtisch legte. Das gedankenmanipulierende Papier obenauf. „Können Sie mir etwas über dessen Gebrauch berichten?“ Sutherland hielt mir den Schallschraubenzieher direkt vor die Augen. Er hatte sogar schon die ausfahrbare Funktion entdeckt, denn das für ihn so seltsame Werkzeug verlängerte sich mit einem Mal. Wichtiger war allerdings etwas anderes: Die Gelegenheit, den Screwdriver wieder seinem Besitzer zurückzugeben. Die Frage war nur eben wie. Wenn der Doktor ihn sich schon nicht wieder zurückgeholt hatte, wie sollte ich das dann tun? Ich sah mich nicht als fähig genug an, einen Mann wie Sutherland auszutricksen. Aber es müsste eine Möglichkeit geben. Es musste einfach. „Sieht für mich wie ein Schraubenzieher aus, aber wie kann ich damit eine Schraube festdrehen? Und was ist das für ein Geräusch und dieses Licht?“ Ich atmete durch und hielt meinen Blick auf den Schraubenzieher gerichtet. „Das... kann ich Ihnen auch nicht sicher sagen“, erklärte ich und log dabei nicht einmal. Wer konnte schon die genaue Funktionsweise dieses Dinges verstehen, ohne es selbst erfunden zu haben? „Dürfte ich ihn vielleicht einmal … ?“ Sutherland hob skeptisch eine Augenbraue nach oben und sah dann von mir zu dem Gerät und umgekehrt. „Sie reisen mit John Smith und haben dieses Ding noch nicht in den Händen gehalten?“, mutmaßte er ungläubig, woraufhin ich nur mit den Schultern zucken konnte, „Der Doktor zeigt mir natürlich auch nicht alles, was er in seiner Tasche hat. Selbstverständlich.“ Ich versuchte es zumindest so selbstverständlich wie möglich klingen zu lassen. Diese Antwort klang aber auch für Sutherland glaubhaft genug. Mehr als surren und leuchten konnte es in seinen Augen nicht. Das Einzige, was ihn wirklich irritierte waren eben jene Effekte, Verarbeitung und Aussehen. Es passte nicht in sein Zeitalter. Und ich las ihm an der Nasenspitze ab, dass seine Neugier einfach größer war als die Sorge, dass es sich schlussendlich doch um eine gefährliche Waffe handeln könnte.„Also gut“, beschloss er letzten Endes und legte mir das Werkzeug langsam, ja beinahe in Zeitlupe, in die offene Handfläche. Als wäre der Gegenstand eine Granate, die jederzeit hochgehen könnte, wenn man sie nicht vorsichtig genug behandelte. Den Screwdriver behutsam entgegen nehmend, hatte ich nun zum ersten Mal die Gelegenheit, ihn mir selbst ganz genau en détail anzusehen und mir seine Merkmale einzuprägen. Ich konnte in der Tat verstehen, warum Unwissende von diesem Gerät so fasziniert waren. Zwar hatte ich in meiner eigenen Realität einen Spielzeug-Screwdriver gekauft und weiter verschenkt, aber der echte war noch viel beeindruckender und vor allem auch... schwerer. Moment mal! Synapse geschaltet! Wie … konnte das eigentlich sein? Wenn das hier alles echt war – und den Schmerzen in meinem Hintern von der harten Pritsche nach zu urteilen, konnte es nur so sein – wie war es dann möglich, dass es Fanartikel gab? Für den Bruchteil einer Sekunde riss meine Aufmerksamkeit ab und verlagerte sich auf meine eigene Situation. Ich war in die TARDIS gestolpert und musste mich damit abfinden, dass David Tennant eben nicht den Doktor spielte, sondern der Doktor mit Tennants Gesicht vor mir stand und niemand anderes als er war: der Doktor. Wie war das alles möglich? „Und?“ Die Stimme des Chief Inspectors erinnerte mich an die aktuelle brenzlige Lage, in der ich steckte und ich schüttelte schließlich den Kopf, wiegte ihn hin und her. Wohl auch, um Zeit zu schinden, denn ich hatte keine Idee, wie ich mit dem Ding hier wieder rausmarschieren konnte. „Sie können mir also auch nichts dazu sagen?“ Wieder ein Kopfschütteln meinerseits. Der Chief Inspector seufzte und senkte den Kopf. Er rieb sich über den Nacken und versuchte irgendeine sinnvolle Erklärung für das zu finden, was vor ihm lag und statt Antworten nur neue Fragen aufwarf. „Nun gut, und was-“ „Chief Inspector Sutherland?“ Wir beide sahen vollkommen überrascht über diese plötzliche Störung auf und entdeckten einen jungen Polizisten in der Tür stehen. Er hatte nicht einmal angeklopft, sondern war einfach reingekommen. Anhand des Gesichtsausdruckes von meinem Gegenüber war klar, dass dies kein geplanter Besuch war und so reagierte er auch entsprechend: „Herrgott nochmal, hat man Ihnen nicht beigebracht, wie das hier funktioniert?“, blaffte Sutherland den jungen Mann an, der daraufhin verschreckt zusammenzuckte, „Wer sind Sie und welcher Abteilung gehören Sie an?“ Sutherland trat näher zu ihm und sah auf den weitaus Kleineren hinab. „C-Constable Henry Parker, Sir. I-Ich unterstehe Inspector Mauland, Sir.“ „Mauland …“, grummelte Sutherland und ließ einen weiteren Seufzer von sich, „Ist das Ihr erster Tag, Parker?“ „J-Ja, Sir!“ Irgendwie tat er mir leid. Der Polizist wirkte nahezu verloren gegenüber dieses großen alten Hasen und je mehr Sutherland auf ihn verbal einprügelte, desto kleiner wurde er. Dabei hatte er schon eine zierliche Figur und war nicht besonders groß geraten. Die Uniform saß ziemlich locker an seinem Körper. Seine kurzen roten Haare ließen ihn auffallen – und das war mit dem heutigen Auftakt nicht gerade positiv für ihn verlaufen. „Lernen Sie die Regeln!“, fuhr der Ältere ihn erneut an, „Wenn meine Tür zu ist, ist sie zu. Solange sie keine Informationen haben, die über Leben und Tod entscheiden, bleibt sie auch zu. Verstanden?“ „J-Ja...“ Seinem Untergebenen namens Parker den Rücken zukehrend, schritt Sutherland erneut zu seinem Schreibtisch zurück. „A-Aber Chief Inspector … Inspector Mauland meinte, dass ich Ihnen unbedingt etwas sagen sollte.“ „Dann soll das Mauland selbst tun und-“ „Inspector Mauland hat einen neuen Tatverdächtigen bezüglich der Ripper-Morde festgenommen!“, ließ Parker den anderen nun nicht einmal ausreden und sorgte dafür, dass wir beide ein zweites Mal aus allen Wolken fielen. „Er hat was?“ „E-Einen Tatverdächtigen festgenommen, Sir“ „Das habe ich verstanden!“, blaffte Sutherland lauter und drehte sich direkt dem Jüngling zu. Seine Nasenflügel bebten und seine Haltung hatte sich angespannt. Er schien mit irgendetwas zu hadern und warf mir dabei einen längeren Blick zu. Was war los? Natürlich bedeutete dies, dass wir nun mehr nicht mehr die einzigen neuen Verdächtigen wären, deren Alibi man nachgehen musste. Während unser Zellengenosse ebenso wenig handfeste Beweise lieferte, war es eine neue Spur, der man zu folgen hatte. Es konnte ebenso bedeuten, dass uns bald die Freiheit erwartete, weil es keinen Grund gab, uns länger festzuhalten. Oder aber, sie behielten uns doch länger da, weil sich die Ermittlungen verzögerten … Ich hoffte inständig nicht auf weitere Tage trocken Brot und unhygienische Klokabinen. „Mauland ist in seinem Büro nehme ich an?“ „J-Ja.“ „Und der Verdächtige ebenso?“ „Ja.“ Ein unangenehmes Schweigen erfüllte die Luft. Sutherland zögerte eindeutig. Mehr als das. Er blickte wieder zu mir und dann zu dem kleinen Parker, ehe er zum dritten Mal in dieser kurzen Zeit seufzte. „Constable Parker“, rief er mit fester Stimme in seinem üblich delegierenden Ton, so dass der Neue Scotland Yards augenblicklich stramm stand, „Sie werden in meiner Abwesenheit auf Ms. Garcia Acht geben. Ich schicke Ihnen Sergeant Lead.“ „Ja, Sir. Jawohl, Sir.“ Noch einmal sah Sutherland zu mir, und ich glaubte, dass er mir irgendwie mitteilen wollte: „Tun Sie bitte nichts, was mir noch weiteren Ärger macht. Der Junge ist naiv.“ Ich sah zu Parker und musste mir ein schiefes Lächeln verkneifen. Ja, allerdings. Der Junge war unbeholfen. Und es tat mir leid. Leid, weil ich Sutherland diese Bitte nicht erfüllen konnte. Ebenso tat es mir Leid, weil ich Constable Parker noch mehr Ärger zusetzen würde, als er es an diesem ersten Tag hier schon selbst geschafft hatte. Kaum mehr hatte der Chief Inspector den Raum verlassen – in meinen Händen immer noch der Screwdriver, den er entweder vergessen oder als Spielzeug und nicht als Mordwaffe abgetan hatte – war es erneut still im Raum und ich beschloss, sie nicht lange aufrecht zu erhalten. „Constable … Parker?“ Der Angesprochene hob den Kopf. „Könnte ich vielleicht etwas zu trinken bekommen?“ Statt zu antworten, sah er mich fragend an, als hätte ich Chinesisch gesprochen, „Wir bekommen als Untersuchungshäftlinge nicht gerade viel Luxus zu spüren … mein Hals ist seit gestern Nacht ziemlich trocken. Bitte? Ein Glas Wasser?“ Noch lieblicher konnte ich meine Stimme nicht klingen lassen und ich hasste es, wenn ich so mädchenhaft tun musste. Ich konnte es nämlich eigentlich gar nicht. „Eh …“ Ich spürte, wie Parkers Augen von Kopf bis Fuß über meinen Körper wanderten. Vermutlich war es für ihn das erste Mal, dass er so jemand nacktes sah. Deswegen guckte er sich gleich daraufhin hektisch nach einer Karaffe oder dergleichen um. Zu spät, mein Lieber. Ich hatte es bereits mitbekommen, dass du mich angestarrt hast. „T-Tut mir leid, aber ich sehe hier kein Wasser.“ „Ja, ich weiß. Vielleicht … könnten Sie mir aber eins bringen?“ „M-Miss Garcia … Ich kann nicht … b-bitte verzeihen Sie mir, aber Sie sind hier gefangen und ich Sie nicht allein lassen.“ Ja, sehr ehrenhaft, wie er versuchte seine Position zu wahren. Den Schallschraubenzieher, den ich in meiner rechten Hand hielt und welcher der Polizist bisher noch nicht gesehen hatte, hielt ich nun gut zu meinem rechten Bein auf der Sitzfläche des Stuhl mit der Hand gerückt und setzte ein freundliches Lächeln auf. Ich überschlug dieses mit meinem linken Bein, was ihn gleich noch etwas mehr ins Schwitzen brachte. „Keine Sorge. Ich verschwinde nicht. Wir haben nichts getan und ich will nicht, dass ich mir den Ärger des Chief Inspectors einhandle. Oder dass Sie welchen abbekommen. Ich hätte wirklich nur gerne ein Glas Wasser.“ Er zögerte immer noch, aber wie er sich auf seine Unterlippe biss, wollte er auch nicht der unmenschliche Polizist sein, der einer Frau diese simple Bitte abschlug. „I-Ich habe keine Ahnung, wo ich hier Wasser vorfinde?“ „Stimmt, Ihr erster Tag, nicht?“ Parker nickte leicht, „Erste Tage sind schwer.“ Daraufhin erfuhr ich ein weiteres Nicken, „Sie sind frisch gelernt?“ „Genau!“ Nun erfüllte sogar so etwas wie stolz seine Augen und er streckte die Brust raus. „Keine Sorge, das kriegen Sie schon hin“, sprach ich aufmunternd und meinte es auch so, „Sie werden gewiss ein guter Polizist werden.“ Es waren aufrichtige Gedanken, die ich aussprach, aber dennoch sorgten sie auch dafür, dass sich eine Lücke vorfinden ließ, mit der ich hindurchschlüpfen könnte: Parker räusperte sich daraufhin nämlich und rückte sich seinen Kragen zurecht, „Ich … werde einmal schauen, ob ich ein Glas Wasser oder Tee für Sie finde.“ Er drehte sich um und öffnete die Tür. Dann blieb er aber noch einmal stehen und wandte sich zu mir um, „Und nicht abhauen!“ Den Zeigefinger streng erhoben haltend, sah ich das Aufzucken seiner Mundwinkel. „Verstanden, Constable Parker!“, erwiderte ich das Lächeln und winkte ihm nach. Daraufhin ging er durch die Tür, schloss sie hinter sich und ließ mich allein. Eine Sekunde … zwei Sekunden … drei Sekunden … Aufspringend, schnappte ich mir das gedankenmanipulierende Papier, welches ich sicher in meine Hosentasche verstaute und legte den Trenchcoat des Doktors fix zusammen, damit ich ihn ohne Probleme transportieren könnte. Den Schallschraubenzieher behielt ich in der Hand, bereit ihn jederzeit einzusetzen. Nur dass ich keine Ahnung hatte, wie. Ich hoffte schlicht, dass ich es nicht müsste. Zur Tür tapsend, öffnete ich diese einen Spalt, dass ich gerade einmal meinen Kopf hindurch stecken konnte und kontrollierte den Gang. Niemand zu sehen. Die Luft war rein. Parker wäre in die Richtung gegangen, wo die Empfangshalle und die anderen Büros lagen. Ich musste zu den Untersuchungshaftzellen. So leise wie möglich schlich ich voran, duckte mich an Bürotüren mit Glasscheiben vorbei und erlitt an jeder Ecke einen kleinen Herztod, als ich diese überwinden musste – denn wenn mir jemand begegnet wäre, hätte meine Odyssee ein jähes Ende gefunden. Manches Mal hatte ich doch mehr Glück als Verstand und so erreichte ich die Zellen ohne weitere Vorkommnisse. Als ich in den Raum trat und der Doktor aufsah, wurde ich zum ersten Mal Zeuge seines verblüfften Ausdrucks in den Augen. Erklären könnte ich später alles, jetzt gab es aber nur eins zu tun: Ich eilte zu unserer Zelle und reichte ihm durch die Gitterstäbe den Schallschraubenzieher. „Ich weiß nicht, wie viel Zeit wir haben!“, sprach ich leise, „Und nein, ich habe ihn nicht überzeugen können.“ „Das dachte ich mir“, stimmte der Doktor nicht unbedingt erfreut zu und machte sich bereits mit dem bekannten Geräusch des Screwdrivers dran, das Schloss zu knacken. „Sie haben einen weiteren Verdächtigen gefunden und mich deswegen aus den Augen gelassen.“ „Einen weiteren Verdächtigen?“ „Ja, und ich habe damit einem Neuling ziemlichen Ärger bereitet.“ „Das wird er überleben.“ Quiiier... Noch nie fand ich das Quietschen alter Gittertüren so erfrischend und beglückend wie in diesem Moment. Ich hielt dem Doktor seinen Trenchcoat hin, welchen er sich augenblicklich überwarf. „Zum Freuen ist es allerdings noch zu früh“, ließ er verheißen und eilte in großen Schritten auf die Tür zu, die zur Freiheit führen würde. „Hey, nehmt ihr mich nicht mit?“ Wir drehten uns ein letztes Mal um und erblickten nun auch das Gesicht des Gefangenen, der in der Arrestzelle neben uns verweilte. So, wie ich es mir bereits bei den spärlichen Konversationen gedacht hatte, war es kein besonders sympathisches Gesicht, welches er vorzuweisen hatte. Und durch seinen Aufenthalt hier, wirkte er gewiss noch abgenutzter und müder als sowieso schon. Sollte ich auf diese Aufforderung etwas sagen? Ich schaute zum Doktor, welcher wiederum keine Anstalten zu machen schien, dem anderen diesen Gefallen zu tun. Stattdessen kehrte er unter Worten der Protesten den letzten Stunden, die wir hier verbracht hatten, den Rücken zu. Ich glaubte, seine Reaktion verstehen zu können. Wir durften die Geschichte nicht noch weiter ändern, als wir es schon mit unserer bloßen Anwesenheit taten … Und vielleicht wusste der Doktor sogar noch ein bisschen mehr, was jenen Gefangenen betraft, der sich jetzt damit abfinden müsste, dass wir ihn auf ewig verließen.   Wir drückten uns den Flur entlang. Auch jetzt war es noch ruhig, aber das hatte nichts zu sagen. Von einiger Entfernung konnte man Lachen und Gemurmel hören, aber keine verdächtigen Stimmen, die nach uns suchten. Entweder war Parker immer noch auf der Suche nach Wasser oder aber er hatte mein Verschwinden zwar bemerkt, war aber unsicher, was er nun tun sollte. Immerhin ging es auf seine Kappe, weil er mich allein gelassen und damit meine Flucht begünstigt hatte. Wachsam bleibend und da vier Augen bekanntlich besser als zwei sahen, bahnten wir uns unseren Weg und kamen dem Ausgang näher und näher. Trotzdem liefen wir auf diesen letzten Metern fast drei Köpfen von Beamten entgegen. Wäre auch zu schön gewesen. Wir sahen nach links und rechts und ehe ich mich versah, hatte der Doktor mich in den Storage Room gezerrt, der sich als kleine Rumpelkammer entpuppte. Wir hatten gerade mal so viel Platz, dass wir uns mit etwas Winden nicht auf die Füße treten würden. „Die Abstellkammer? Ihr Ernst?“, rutschte es mir da leise raus und obwohl ich in der Dunkelheit nichts sah, konnte ich mir vorstellen, wie der Timelord neben mir gerade das Gesicht verzog, „Ach seien Sie still!“ Er schob mich unbewusst zur Seite und legte wohl das Ohr an die Tür. „Sie wissen, dass dies ein absolutes Klischee ist?“ Ich legte mein Ohr ebenso an das Holz. Da standen wir nun und warteten darauf, dass die drei Polizeibeamten an uns vorbeigehen würden. Erst als die Lautstärke wieder abebbte, war der Doktor bereit mir zu antworten, „Ach, zu damaliger Zeit hat das auch noch funktioniert. Wir sollten weiter“, erinnerte er mich. Die Tür einen Spalt öffnend, wollte er nachschauen, ob die Luft rein war – aber zack – Schon zog er sie eiligst wieder zu und drückte mich dabei versehentlich gegen das Regal hinter uns. Ich verzog das Gesicht, weil mir irgendwas in den Rücken pikste und gab einen kleinen Wimmerton von mir. „Psst!“ Die Ermahnung des Timelords kam keine Sekunde zu früh, denn mit einem Mal erlebten wir ein erneutes Stimmengewirr, diesmal begleitet von eiligen Schritten: „Ich glaub es nicht, dass sie sich von einer kleinen Hure hinters Licht haben führen lassen!“ Diese Stimme war uns beiden nicht bekannt, aber das Toben in ihr ließ uns wissen, dass der Mann, dem sie gehörte, nicht gerade gut gelaunt war, „Ich dachte, man hätte Ihnen zumindest das in Ihrer Ausbildung beigebracht, Parker!“ „J-Ja Sir, aber … sie wirkte wirklich durstig und-“ „Ach seien Sie ruhig!! Wenn das der Chief Inspector erfährt, haben nicht nur Sie ein Problem, sondern auch ich!“ Ups... „Ich glaube, die reden von Ihnen“, flüsterte der Timelord für mich fast schon ein bisschen zu amüsiert, so dass ich ihn mit meinen Ellbogen in die Seite stupste – oder das, was ich glaubte, was seine Seite war. Zu duster. „Ich schwöre Ihnen, wenn wir sie nicht finden, wird Ihr Kopf rollen, Constable!“ Doppel-Ups. So viele Probleme wollte ich dem jungen Kerl eigentlich nicht bereiten, aber da hatte ich auch keine Wahl. Seinetwegen konnte ich mich schlecht bis zum Erhängen gefangen halten lassen, oder? Trotzdem entschuldigte ich mich in Gedanken aufrichtig bei ihm. „W-Was soll ich jetzt tun, Sir?“ „Sie?“ Die beiden blieben genau vor unserer Rumpelkammer stehen, was mir das Herz in die Hose rutschen ließ. Ich hielt den Atem an. „Sie, mein Freundchen, werden gar nichts mehr tun außer mir nicht mehr von der Seite zu weichen. Und jetzt gehen wir zu den Haftzellen. Mir schwant Übles.“ Womit er gar nicht Unrecht hatte … denn wir waren nicht mehr da. Die Schritte entfernten sich unter kräftigem Stapfen wieder. Noch einige Sekunden im Dunklen ausharrend, begann meine Nase in diesem ungünstigen Moment zu kribbeln. Als mir dann – obwohl ich es natürlich versuchte zu unterdrücken – ein Niesen entwich, hoffte ich nur, dass gerade nicht noch jemand auf dem Gang war. „Entschuldigung“, flüsterte ich. … Wir sollten Glück haben. Der Doktor öffnete die Tür, steckte den Kopf raus und ergriff daraufhin meine Hand. „Wie kommen wir raus?“, entfuhr es mir, als wir gemeinsam so flink wie möglich weiterschlichen und an der nächsten Ecke Halt machten, von wo Parker und sein Vorgesetzter gekommen sind. „Nun …“ Der Doktor zog seine Antwort in die Länge, lugte vorsichtig um die Biege und sah dann mit einem Grinsen auf den Lippen zu mir, „Improvisation.“ Mir wäre beinahe die Kinnlade runtergefallen, denn auch wenn ich die Serie und somit den Timelord ein klein wenig kannte, wollte ich gerade nicht glauben, dass das hier ein Trial and Error-Verfahren darstellte. Ich hatte für meinen Geschmack schon genug improvisiert. Demnach eröffnete sich mir nur eine einzige weitere Frage: Wie viel Zeit hätten wir wohl, bis der Alarm losging? „Sie sind weg!!“ Hinter uns erklang die Stimme des Inspektors, welcher Parker gerade eine Standpauke gehalten hatte. Dem Hall nach waren sie noch auf dem Fuße der Gefängniszellen, doch das konnte sich rasch ändern. „Improvisation ist gut!“, stimmte ich zu. Zu jedem anderen Zeitpunkt wäre ich wohl gerne wie Rose mit dem Doktor gerannt, doch wenn es um das eigene Leben ging, machte es nicht einmal halb so viel Spaß. Wir flitzten ohne Rücksicht auf Verluste durch den nächsten Gang zu unserer Rechten und laut meines bisherigen Orientierungsplans müsste nun eigentlich die Eingangshalle folgen. Da … konnten wir nicht einfach durch, oder? „Doktor, wohin?“ Mitten im Flur stehend, blieben uns nur zwei Wege: durch die nächste Tür geradeaus ging es zum öffentlichen Aufenthaltsraum. Durch die ebenholzfarbene Tür rechts von uns, die vom Stil komplett anders gehalten und massiver war als die übrigen Gebäudetüren, würde die Eingangshalle auf uns warten. „Wir können doch nicht da durch oder?“ „Nein, können wir nicht.“ „Aber dann-“ Nichts aber dann. Ein mehrbeiniges Stapfen hinter uns erklang und drohte uns schnellen Tempos einzuholen. Der Doktor preschte mit mir durch die Tür vor uns. Der Aufenthaltsraum, welchen wir so forsch betraten, hatte einige Menschen inne: zwei Polizisten, die verwundert dreinschauten, was unser Aufzug sollte, und ebenso zwei drei Besucher. Im Nachhinein glaube ich, dass dies mehr ein Wartezimmer war als alles andere. Alles, was ich allerdings in jenem Moment über die Lippen bekam, war ein „Schönen guten Tag!“ oder ein „Verzeihung die Störung“ an die Anwesenden, was diese zusätzlich irritierte, zumal der Doktor ein „Entschuldigung! Dringender Notfall!“ von sich gab und dann mitten im Raum mit mir an der Hand stehen blieb und sich umsah, „Fenster! Fenster sind gut!“, nickte er und wandte sich grinsend zu mir um: „Wissen Sie, was die Situation jetzt durchaus noch besser machen würde?“ Ich schüttelte überfordert den Kopf. „Eine Banane.“ „Wie?“ „Entschuldigung der Herr!“, erklärte sich der Doktor gar nicht erst weiter, sondern sprach den nahe an der Fensterscheibe stehenden Polizisten an, „Könnten Sie bitte das Fenster öffnen? Wir haben einen Notfall!“ Der Polizeibeamte schien so verwundert, dass er gar nicht anders konnte, als dieser Bitte nachzukommen und entriegelte den Rahmen, um danach die Scheibe hochzuschieben. „Kommen Sie, nach Ihnen“, schob mich der Timelord vor und mir dämmerte endlich, was er vorhatte. Ich kraxelte auf das Fenstebrett, und zwängte mich durch den Laden. Mein Blick glitt hinab – es war nicht tief. Wir befanden uns immer noch im Hochparterre. Ich sollte nur nicht auf der Nase landen. „Sie können noch nicht weit sein!“, erklang wieder die bedrohliche Stimme des Inspektors und ich überwand meine Zweifel, ob ich mir nicht doch einen Knochen brechen würde. Meine Knöchel bedankten sich im beim Aufkommen am Boden, aber ich landete sicher mit beiden Füßen in der Hocke. Gerade wollte ich noch aufsehen, da war der Doktor auch schon wieder an meiner Seite. Wir befanden uns jetzt im schlichten Vorgarten. Unweit von den Mauern des Hauses befand sich eine Mauer aus Ziegelsteinen, auf denen zur Absicherung, dass niemand einfach rüberkletterte ein Zaun aus Gusseisen und pfeilartigen Zacken bestückt war. Wir konnten nicht einfach auf die offene Straße rennen, sondern mussten wenigstens um die Hausecke herum und dann … am besten einen schnellen Sprint einlegen. „Hier entlang!“ Oder aber eine Stelle in der Mauer wissen, die ein Loch besaß, durch welches wir hindurch konnten. Wie … klischeehaft. Ich wusste nicht, wovon ich mehr überrascht sein sollte: dass der Doktor so fix einen Ausstieg gefunden hatte oder dass wir hier von Klischee zu Klischee sprangen. Ich duckte mich unter den gebrochenen Ziegelsteinen durch und musste mir dann auf der anderen Seite ein Stück Buschzweige aus den Augen halten. Endlich fand ich dann sogar eine Beschilderung an einer der Hauswände gegenüber: Whitehall. Wir befanden uns mitten auf der Hauptstraßen? Wie dämlich … war das nur? „Los, rennen Sie! Wir sind noch lange nicht in Sicherheit!“, rief der Doktor. Wir überquerten im Schlängel-Sprint die Whitehall Street. Kutschen und Fußgänger ausweichend, die uns entgegen kamen. Und da wusste ich es wieder: Hier bin ich schon einmal gewesen! Ich hätte fast angehalten, hätte der Doktor mich nicht mit sich gezogen, denn nur ein Stück weiter konnte ich den Big Ben sehen. Die wunderbare Turmuhr, welche sich in die Höhe zu erstrecken wusste und mit ihrem großen Ziffernblatt imponierte. Sie sah nicht anders aus als vor zwei, drei Jahren, eher noch … ein bisschen frischer. Neu gebauter. Weiter ging unsere Flucht und irgendwie zeichnete sich bei mir einfach ein Lächeln auf den Lippen ab. Obwohl es gefährlich war und obwohl wir einiges zu befürchten hatten, so war es auch einfach unbeschreiblich, was diese Reise in die Geschichte der Menschheit, nein eigentlich des ganzen Universums, betraf. Und hier, wo ich selbst schon zweimal gestanden hatte, vermischten sich diese Eindrücke von Unglauben und Unbeschreiblichkeit mit einem kleinen Hang zur Nostalgie. Ich wusste genau, was vor uns gelegen hätte, wären wir der Straße gefolgt. Die Downing Street, das Denkmal für die Frauen im Zweiten Weltkrieg, die Westminster Bridge, der Big Ben, die Westminster Abbey, das Victoria Embankment, … so viele tolle Dinge, die ich nicht so schnell geglaubt hatte wiederzusehen. Unser Weg führte uns allerdings zum St. James Park. Ein Ort, den ich bisher noch nicht kennengelernt hatte. Es war nur logisch, dass wir hierher gingen. Hier konnten wir Luft holen und würden erst einmal sicher sein. Es gab noch keine Funksprecher, geschweige denn Handys oder überhaupt Telefone. Ansonsten hätte man auch die blaue Telefonbox wiedererkannt. Alles lief über Mundpropaganda ab und dies bedeutete mühselige Arbeit für die Polizei. Erst mitten im Park verlangsamten wir jedoch unser Tempo. „Wir … sind sie jetzt wohl für einige Zeit los?“, vermutete ich und musste ein wenig nach Luft japsen. Ich spürte ein heftiges Seitenstechen und drückte mir die Hand in die Flanke, damit es aufhörte. Der Doktor blies einmal die Luft aus, die sein Körper noch angestrengt gesammelt hatte, „Auch wenn wir fortan auf der Suchliste stehen werden, ja“, bestätigte er und behielt mich ein bisschen länger im Blick als nötig. „Was?“, rutschte es mir da heraus und der Timelord lächelte leicht. „Wie genau haben Sie es geschafft, an den Sonicscrewdriver zu kommen?“ Blinzelnd konnte ich nun selbst nicht anders als ein Lächeln zurückzugeben. „Na ja … Ich habe lediglich um ein Schluck Wasser gebeten.“ Diese Antwort sorgte für einen irritierten Ausdruck in den Augen des Doktors, „Chief Inspector Sutherland wurde von einem anderen Beamten gerufen, und er ließ mich wider Willens mit Constable Parker allein. Er hatte mir zuvor die Beweise vorgelegt und mich danach ausgefragt. Und dann … fragte ich nach einem Glas Wasser.“ Nun musste der Doktor fast schon auflachen. „Das ist nicht Ihr Ernst?“ „Was dachten Sie denn?“ „Irgendetwas … Außergewöhnlicheres. Etwas … Bewegendes.“ „Für mich war das bewegend genug!“, erinnerte ich mich an meinen rasenden Herzschlag, als ich den Screwdriver hatte langsam in meinen Besitz übergehen lassen und wie ich gebangt hatte, dass Parker meiner Bitte nachgab. „Tut mir leid, spektakulär ist was anderes, ich weiß“, fügte ich spaßeshalber noch hinzu. „Nein, Sie waren brillant.“ Aufhorchend und zum Doktor sehend, konnte ich ihm an den Augen ablesen, dass er es auch so meinte. Ich senkte leicht verlegen den Blick. Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. „Na ja …“ „Ihr brillanten Menschen. Egal, in welcher Lage ihr steckt, ihr findet immer einen Weg.“ „Um ehrlich zu sein … habe ich ganz schön gezittert.“ „Nicht zu verdenken.“ „Wie machen Sie das? Nicht zu zittern?“ „Oh … Routine“, winkte er mit einer Grimasse ab und steckte die Hände in die Trenchcoat-Taschen, während er gemütlicher schlenderte. „Routine? Ihr Ernst?“ „Natürlich.“ Ich konnte nicht anders als nach einem Moment des Schweigens zu kichern und schließlich in ein Lachen einzufallen. Routine. Klar. Für den Doktor war das ganze Rennen mehr als nur Routine. „Was?“ Ich sah auf und konnte meinen Lachflash gerade mal ein paar Sekunden anhalten, ehe ich wieder lachte. „Was?“ Das Gesicht, das er dazu auch noch zog, machte es nicht besser und ich hielt mir schließlich sogar den Bauch vor Schmerzen in der Muskelregion – mit dem Seitenstechen war das eine ziemlich üble Kombination. „N-Nichts“, brach ich hervor und verschreckte dabei zwei Enten, die sich am Flussufer hatten niederlassen wollen und mir nun ein verärgertes Quaken schenkten. „Hören Sie auf!“ Nein, das konnte ich wirklich nicht, so sehr ich auch wollte. Ich winkte ab, versuchte etwas zu sagen, aber musste es lassen. Keine Chance. Der Doktor starrte mich einfach nur verständnislos an und ich konnte es ihm nicht verdenken. Ich musste mich einfach nur auslachen – und tatsächlich wurde ich nach einer gefühlten Ewigkeit wieder ruhig. Das … hatte gut getan. „Sind Sie fertig?“ „E-Entschuldigung“, atmete ich angestrengt durch und stieß noch einmal kräftig die Luft aus, um wirklich wieder ernst sein zu können. Jetzt aber. „W-Was … tun wir als nächstes? Zur TARDIS?“ Das war das, was ich mir am ehesten von allen Möglichkeiten einfiel. Zudem wir auch einen ziemlich weiten Weg dorthin hatten, wenn ich mich an die Hinfahrt zu Scotland Yard erinnerte. Das könnte dauern und wir sollten alsbald aufbrechen. „Allerdings“, hörte ich den Timelord tonlos seufzen, wohl erleichtert, dass ich es erwog normal zu sprechen und nicht wie ein Huhn zu gackern. „Neue Verdächtige hin oder her, sie sollten uns nicht ein weiteres Mal festnehmen.“ Die Ruhe, die von dem Park ausging, übertrug sich auf uns und so genossen wir fast schon die Möglichkeit, Luft zu holen und entspannt unseren Weg zu suchen. Ich hatte endlich die Gelegenheit, mich ein wenig mehr im viktorianischen London umzusehen. Und da die Parkarchitektur Englands für mich immer noch unübertroffen war, konnte ich mich jedes Mal aufs Neue in diese verlieben. So ausgelassen ich eben gelacht hatte, so in mich gekehrt schien ich dem Doktor in jenem Augenblick zu sein. Er sprach mich nicht an, beobachtete mich nur – das spürte ich im Nacken. „Ich bin letztes Jahr durch den Regent's Park spazieren gewesen. Londons Parkanlagen begeistern mich immer wieder aufs Neue.“ „Wie oft waren Sie schon in London?“ „Zwei Mal. Das erste Mal alleine. Das zweite Mal …“ Ich brach bewusst ab und sah ihm direkt in die Augen, herzerwärmt lächelnd. Ich musste nur in dieses Gesicht sehen, um mich an meinen eigenen Doktor zu erinnern. Der Grund, warum ich überhaupt erst so einen Narren an den zehnten Doktor und damit an David Tennant gefressen hatte. „ … mit meinem Mann.“ „Sie sind verheiratet?“ Hatte ich ihn damit jetzt geschockt? „Nein, sind wir nicht. Noch nicht.“ „Ihr Zukünftiger also?“ „Wenn Sie es so nennen wollen.“ „Dann sollte ich Sie also erst recht wohlbehalten wieder zurückbringen.“ „Ich bitte drum.“ Der Doktor kratzte sich einmal am Ohr und legte ein langes „Naar“ hin, „Ich werde es mir überlegen. Sie werden wohl einiges zu erzählen haben. Denken Sie, er wird Ihnen glauben?“ „Oh gewiss, Doktor. Gewiss.“ „Was macht Sie so sicher?“ „ … Erfahrung.“ Ich lachte erneut, aber dieses Mal im normalen Ausmaß. Der Doktor wiegte anerkennend den Kopf zu beiden Seiten und hob die Schultern, „Nun, das ist natürlich ein Grund.“ „Veräppeln Sie mich?“ „Nur ein bisschen.“ Wir waren also dem Gefängnis entkommen und die letzte Nacht in diesem erschien mir mehr ein Traum als Realität zu sein. Eigentlich erschien mir alles mehr wie ein Traum. Aber wer konnte schon behaupten, dass er zur Zeit Queen Victorias in London flaniert war? Ich musste mir ein Grinsen verkneifen, als mir der Gedanke aufkam, dass es vielleicht nicht das letzte Abenteuer gewesen ist, welches ich an der Seite des Doktors erleben sollte. Irgendetwas in mir sagte, dass es nicht das einzige Kapitel dieser Geschichte gewesen wäre. Dass es … noch mehr geben könnte. Kapitel 4: Acquaintances ------------------------ „Wow, das … schmeckt durchaus besser als ich angenommen hätte!“ In meinen Händen hielt ich eine Baked Potato, welche in der kalten Herbstluft ihren warmen Dampf in schwungvolle Schwaden zum Besten gab. Der leckeren Kleinspeise entgegenpustend, biss ich daraufhin ein zweites Mal ab und genoss die weiche Kartoffelmasse, welche sich in meinem Mund mehr und mehr auszubreiten wusste. „Sie erleben gerade den Beginn der Fast Food-Ketten Londons!“, erklärte der Doktor und ließ es sich nicht nehmen, einen Schluck vom Ingwerbier zu trinken, welches er in seiner rechten Hand hielt. Ich blickte neugierig zu ihm, „Die fahrbaren Kaffeewagen sind hier sogar schon ab drei Uhr morgens anzutreffen. Falls Sie also mal eine schlaflose Nacht haben?“ „Die habe ich schon mit Kaffee ab sechzehn Uhr“, musste ich mit einem schiefen Lächeln erwidern, schielte dabei ein zweites Mal auf das Ingwerbier, „Dürfte ich vielleicht …?“ Der Doktor hob fragend die Augenbrauen und folgte meinen Blick, ehe er verstand und mir den Krug entgegenhielt, „Natürlich.“ „Danke.“ Ich nippte vorsichtig von der anderen Seite des Kruges und machte dann ein anerkennendes Gesicht. Besser, als ich es mir vorgestellt hatte. Recht süß sogar. Zwar hatte ich keine Ahnung, wie ein Ingwerbier hergestellt wurde, aber der Alkohol ließ mich schon mal vermuten, dass es ähnlicher Natur war wie ein normales Bier. Und die Süße erinnerte mich an ein Kilo Zucker. Ich reichte dem Doktor den Bierkrug wieder zurück. „Hat es einen Grund, dass Sie sich für Ingwerbier entschieden haben?“, fragte ich, weil es mir doch recht seltsam vorkam. Hierbei muss ich gestehen, dass ich die Geschichten der früheren Doktoren bis auf den erste noch nicht gesehen hatte. Ich wusste also recht wenig von den Gepflogenheiten des Timelords. Mein Gefühl verriet mir aber, dass da irgendetwas war, warum das Ingwerbier so besonders war. Er legte den Kopf zur Seite und zuckte mit den Schultern, „Eingebung. Es hilft, den Kopf klar zu bekommen. Ein natürliches Gegengift.“ „Gegengift auch gegen das versmokte London?“ „Leider nicht.“ Während ich nun meine gebackene Kartoffel weiteraß, sah ich mich ein wenig auf dem Platz um, den wir betreten hatten und wo sich einige Stände aneinanderreihten: Nach unserer Flucht und dem Gang zum St. James Park, hatten wir zwar auf meine Bitte hin einen Blick auf den Buckingham Palace geworfen (der Doktor schien relativ entsetzt, dass ich es bei meinen zwei Besuchen bisher nicht geschafft hatte, dorthin zu gelangen. Vielleicht bezweifelte er sogar in dem Moment, dass ich ein typischer Mensch war) und uns dann gen Osten aufgemacht. Unser Weg würde zu Fuß noch gut über eine Stunde dauern und plötzlich hatte sich mein Magen laut bemerkbar machen müssen. Ich hatte einige der Straßen wieder erkannt, wusste so in etwa, wo wir uns befanden – und da war es auch ganz einfach gewesen zu entscheiden, wo es etwas zu essen geben sollte, wenn wir eh schon direkt in der Nähe waren: Covent Garden. Das wollte ich mir einfach nicht nehmen lassen, mein Lieblingsort Londons. Dort, wo man noch heute nicht nur schöne Geschäfte entdecken konnte, sondern auch Straßenkünstler und gute Läden mit Leckereien. Der Doktor hatte nichts dagegen einzuwenden. Ein bisschen Kultur schadete nicht und es lag auf unserer Route. Der erste Eindruck, den mir das damalige Covent Garden bescherte, ließ mich meinen Hunger nahezu vergessen: Die alte neoklassiche Markthalle erstreckte sich über unsere Köpfe und beschäftigte Leute drängten sich an den Ständen entlang. Blumen, Waren des täglichen Bedarfs, frisches Obst, … im Gegensatz zu den schmutzigen Seitenstraßen befanden waren die Menschen hier meist im besseren Wohlstand, was man ihnen bereits an der Kleidung ansehen konnte. Die Straßenkünstler waren auch in jener Zeit zugange und man hörte sie von draußen laut ihre Kunst betreiben. Es war ein schöner Moment. Einer, den ich mir länger in Erinnerung halten wollte. Fast schon harmonisch, nahezu friedlich. Nichtsdestotrotz mussten wir irgendwann weiter und so leerte der Doktor schließlich mit einem letzten Zug den Rest des Ingwerbieres, um den Krug dem Standbetreiber zurückzureichen. Sich einmal schüttelnd, trug er nun ein breiteres Grinsen auf dem Gesicht als er zu mir sah, „Also, wollen wir weiter?“ Ich nickte. Den Rest der Kartoffel konnte ich auch noch im Gehen essen, das war kein Problem. Und je eher wir die TARDIS erreichten, umso besser. Wir müssten bis zur nächsten Station laufen, denn Covent Garden hatte noch keinen eigenen Bahnhof. Die Auswahl an Untergrundlinien war immerhin noch sehr gering. „Wo … geht es hin?“ „Wir werden King's Cross umsteigen.“ Das klang nach einem Plan! Einen sehr guten Plan!   Das Bahnhofsgebäude war nicht weniger imposant als zu heutiger Zeit. Die ockerfarbenen Steine bildeten das Gemäuer sowie die großen Rundbögen, in denen die Fensterscheiben hielten. Auch die kleinen Durchgangsbögen, durch welche man in das Bahnhofsinnere kam, hatten sich bis heute nicht verändert. Einzig und allein die Menschen und die Fahrzeuge waren anders. Der technische Fortschritt hatte eben noch keinen Einzug erhalten. Ich wäre am liebsten wieder reingerannt, beherrschte mich jedoch. Gesittet und somit weniger auffällig ging es schließlich auch. Wir betraten das Gebäude und begaben uns wie alle anderen auch zu den entsprechenden Gleisen. Es herrschte großer Andrang und erinnerte mich stark an die gegenwärtigen Zustände, die man von solch einem großen Kreuzungspunkt der Stadt erwarten konnte. Ich hielt mich nahe dem Doktor, so dass wir uns nicht verlieren konnten. Geduldig am Bahnsteig auf die Einfahrt des Zuges wartend, ließ ich meinen Blick wandern und musste lächeln. „Was … genau ist am Zeitreisen so faszinierend?“, murmelte ich dann und zog damit die Aufmerksamkeit des Timelords auf mich, „Ich meine … was haben Sie schon alles gesehen? Erlebt? Es ist irgendwie … unbeschreiblich.“ „Damit sind Sie nicht die Erste“, erwiderte er mein Lächeln mit einem eigenen, „Sie sehen mehr, als es 99% Ihrer Artgenossen jemals möglich sein wird. Es ist unbeschreiblich, aber … es ist nur auch ein kleiner Teil der Geschichte des Universums, die Sie hier erblicken. Und glauben Sie mir, das ist auch gut so.“ Er wirkte zwar ruhig, aber der Unterton in seiner Stimme klang weitaus ernster. Sie verriet mir, dass er Erfahrungen hatte machen müssen, die er mir ersparen wollte. Dinge, von denen ich keine Ahnung hatte. Die ich am besten auch nie kennenlernen sollte. Meine Mundwinkel fielen auf eine gerade Linie zurück und ich wusste nicht recht, was ich darauf antworten sollte, also ließ ich es. „Gibt es eine Zeit, einen Ort, den Sie besonders interessant finden?“, versuchte ich das Gespräch also wieder auf eine positivere Ebene zu bringen. „Auf der Erde?“ „Zum Beispiel.“ „Mir sind die Gefilden des 18. Jahrhunderts ganz angenehm“, kam es da wie aus der Kanone geschossen und ich hob skeptisch die Augenbrauen. „Das achtzehnte Jahrhundert? In der Zeit … sind doch ziemlich viele Kriege …?“ „Aber auch sehr viele Dichter, Komponisten und Denker“, widersprach der Doktor und sein Gesichtsausdruck wurde wieder etwas weicher, „Mozart, Lessing, Gauß … Menschen, die eure Welt nachweislich beeinflusst haben. Ihr könnt nicht mit, aber auch nicht ohne. Ihr könnt keinen Frieden schaffen, der auf Dauer hält, aber philosophiert darüber und grübelt, bis euch die Köpfe rauchen.“ Dieser Satz machte mich nachdenklich und ich senkte den Kopf. In den jüngsten Ereignissen meiner Zeit, war Frieden zwar gegeben, aber schien er immer wieder auf wackligen Füßen zu stehen. Politische Lagen, die sich zuspitzten. Politiker, die statt zu reden, sich auf Kindergartenniveau schlugen. Atomwaffenwettbewerb … und das waren nur einige der Dinge, die uns betrafen. Die Worte des Doktors waren eine Schelte, die eigentlich nicht ich hätte annehmen müssen, sondern die Welt, doch leider trafen sie mich selbst in der Mitte meines Herzens. Es waren jene Themen, die ich versuchte auszublenden, weil ich sie nicht besonders mochte und weil ich auch der Meinung war, dass selbst wenn es nicht der Frieden der Welt war, wir eben noch nicht einmal unseren eigenen bewahren konnten – unser Miteinander. Wir hatten so viele schöne Dinge, die wir als eine gemeinsame Einheit zu erleben wussten. Und gleichzeitig diese wunderschönen Dinge und Gefühle durch negative Emotionen und Gedanken zu beeinflussen wussten, bis alles zerbrach. Wie sollten wir da die Welt friedlich stimmen? „Da haben Sie wohl Recht“, musste ich leise zustimmen und guckte ein wenig missmutig drein. Zu sehr hatte er Recht. „Und … ist unsere Welt für Sie, Doktor?“, fragte ich da ganz unvermittelt und sah mich hierbei ein wenig auf dem Bahnsteig um, „Sehen Sie Weiß oder Schwarz?“ Der Doktor bedachte mich mit einem nachdenklichen Blick und wandte seinen Augen dann ebenso wieder dem anderen Trubel um uns herum zu, „Ich würde sagen, es ist mehr ein Mischmasch aus Weiß und Schwarz. Ein Grau. Mit einem Nanopartikel Gold.“ „Wieso Gold?“ „Ihr Menschen gestaltet euer Leben in allen möglichen Facetten – von Rot bis Blauviolett. Ähnlich wie ein Nanopartikel Gold.“ „Das elektromagnetische Farbspektrum also?“ „So in etwas.“ Es ergab für nicht vollkommen Sinn, aber ich beschloss für den Moment es mit einem Nicken abzutun und in späterer Lage ein Buch zurate zu ziehen. „Kommen Sie, der Zug fährt ein!“ Mit seiner Erklärung hatte er mich genug abgelenkt, als dass ich nicht einmal mehr mitbekommen hatte, wie das Bahnsteigpersonal lautstark um Abstand bat. Eine hölzerne Wagenreihe, die an Güterwagons erinnerte, hielt vor uns. Anders als man es von heutigen Zügen kannte, besaßen sie keine weitläufigen Fenster, sondern lediglich eine Spalte unter dem aufgesetzten Dach. Links und rechts war der Zustieg über die zwei gusseisernen Stufen möglich. Vorne an prangte ein ähnlicher Wagen, dieser war aber die ziehende Lok, auf dem der Fahrer und sein Gehilfe standen. Im Gegensatz zu den anderen Wagons hatten sie weitaus mehr Fensterspielraum. Die Verkleidung bestand auch nicht aus Holz, sondern aus Metall und war abgerundeter als der Rest. Alles in allem hätte dies auch eine Modellbahn für Erwachsene sein können. Ich war ehrlich auf die Fahrt gespannt und wippte ein bisschen ungeduldig hin und her, als wir uns schließlich zu den anderen Fahrgästen einreihten. Die Londoner waren zwar sehr auf Ordnung bedacht, aber trotzdem schoben und drückten sie, so dass ich nicht nur einmal in den Rücken des Doktors gepresst wurde. Ich musste nichts sagen, aber er griff automatisch meine Hand und das ließ mich ein bisschen lächeln. Dieser Mann hier war eindeutig dürrer als mein eigener, der wohl gerade entweder aufgestanden oder bereits zur Arbeit gegangen wäre, je nachdem wie viel Zeit nun schon in meiner Realität verflogen ist. Die Art aber, wie er sich um seine Begleitungen kümmerte, um sein Umfeld, riefen mir wieder ins Gedächtnis, warum er mein Lieblingsdoktor war. Ein Kind der Liebe. Ich konnte mehr als nur gut verstehen, dass Rose sich in ihn verliebt hatte. Immerhin hatte ich mich ja auch in meinen Doktor verliebt. In dem Wagon waren zwar einige Sitzplätze auf Bänken angedacht, aber natürlich war der Fahrgastansturm größer als die vorhandene Menge und somit mussten wir die Fahrt über stehen. So wenig Licht wie hereindrang, machte es aber auch keinen Unterschied zur totalen Dunkelheit, als wir schließlich in den Tunnel fuhren. Schnell hatte sich meine anfängliche Aufregung für diese Fahrt gelegt. Spätestens, als die Luft dicker wurde und mir der Geruch der anderen Fahrgäste in die Nase stieg und sich dort festsetzen wollte, hoffte ich, dass es bald wieder vorbei wäre. Ich hatte nicht auf die Karte geguckt, wie weit wir fahren mussten und wie lange es entsprechend dauern würde. Mein Gefühl verriet mir allerdings, dass es sich nicht nur um zehn Minuten handeln würde. Ich verlagerte mein Gewicht auf mein linkes Bein, als ich den Ellbogen eines Fremden in meiner rechten Seite spürte und hielt die Luft an. Das konnte ich natürlich nicht auf Dauer machen und somit war ich gezwungen, irgendwann wieder richtig zu atmen. „Alles in Ordnung bei Ihnen?“, hörte ich den Doktor leise sprechen und sah automatisch auf. Natürlich in die Schwärze des Tunnels hinein und nicht in sein Gesicht. „J-Ja, ja“, stotterte ich und räusperte mich einmal, weil mir der schlechte Sauerstoffgehalt der Umgebung im Hals zu kratzen begann. Ich rieb mir die Kehle und schloss die Augen, „Ist mir nur ein wenig zu voll.“ „Sie leiden aber nicht unter Klaustrophobie?“ In der Stimme des Timelords schwang so etwas wie Alarmbereitschaft mit, so dass ich mich ermahnte, mich nicht hängen zu lassen, „Nein, das nicht. Ich vertrage nur so ein dichtes Gedränge nicht. Rein … nervlich.“ Der Doktor schwieg und ich verzog das Gesicht. Es war mal wieder einer der Fälle, wo ich mich selbst zwar besser fühlte, weil ich mein Unwohlsein nicht verschwieg, gleichzeitig aber auch ein schlechtes Gewissen bekam, weil ich anderen damit Unannehmlichkeiten bereitete. „Ich hab leider keine Nerven wie Drahtseile“, versuchte ich es etwas munterer abzurunden und lachte sogar leicht auf. „Das habe ich auch nicht von Ihnen verlangt“, entgegnete der Doktor überrascht, „Wie kommen Sie darauf?“ „Nun ja … Begleiter sind immer ziemlich robust, was das betrifft.“ „Glauben Sie das wirklich?“ Es lag an mir zu schweigen, denn ich wusste die Antwort besser. Das war nur das, was so sein sollte, nicht das, was wirklich war. „Ich kann das nicht glauben“, fügte ich leiser hinzu, wenn auch mit fester Stimme, „Es entspricht nicht der Wahrheit. Nur den Erwartungen an uns.“ „Ich kann mich jedenfalls nicht über Ihre Anwesenheit beschweren“, setzte der Doktor nach, „Und Sie sollten das auch nicht. Sie untergraben sich selbst.“ Ja, vermutlich tat ich das immer noch. Auch nach über zwei Jahren, glaubte ich immer noch nicht genügend an mich selbst. Ich öffnete wieder die Augen, starrte aber auf einen Fleck in der Dunkelheit. Ich drückte unbewusst die Hand des Doktors, da sich mit einem Mal seine Finger stärker um meine schlossen. „Wann … kommen wir an?“ „Vermutlich in zwanzig Minuten.“ Für den Rest der Fahrt wechselten wir keine weiteren großen Worte, sondern behielten es uns vor, die Ruhe auf uns wirken zu lassen, welche nur durch das leise Gerede anderer Fahrgäste oder durch die maschinellen Geräusche des Zuges durchbrochen wurde. Unser Ziel war Whitechapel. Da wir nun wussten, was geschehen war, wollten wir nicht ohne weiteres direkt an der Ecke des Tatortes aufkreuzen. Es könnten schließlich immer noch Polizisten herumlungern und wenn dies dieselben wären wie am Tag zuvor, würde man uns schneller wieder in die Zelle verfrachten als uns lieb war. Noch hatten wir nämlich einen Vorsprung. Ich war ehrlich froh, als wir wieder frische Luft atmen konnten. Zudem hatte ich das Gefühl, dass mir die Dunkelheit auch aufs Gemüt drückte. Meine mir vor Augen geführten Baustellen und die Konversation mit dem Doktor wollte ich in der Form nicht so schnell wieder haben … Dafür hatten wir genug andere Sorgen! Zum Beispiel eben … wie wir unbemerkt zur TARDIS zurückgelangten? Zunächst einmal mussten wir die Hauptstraße verlassen und eine Seitenstraße finden, die uns Zuflucht versprach. „Oh sehen Sie, wo wir gerade stehen!“ Der Doktor hatte einen angehalten, als wir aus dem Bahnhofsgebäude kamen und schien ehrlich imponiert oder … vielleicht auch ein bisschen nostalgisch? „Das Royal London Hospital!“ Ich folgte seinem Blick auf die gegenüberliegende Straßenseite. Wirklich beeindruckend empfand ich dieses Gebäude vor mir nicht, immerhin war es nicht mehr als ein dreistöckiges Haus auf geraumer Breite, was dessen Funktionalität als öffentliche Einrichtung unterstrich. Heute waren Krankenhäuser schon meterweit vorher ausgeschildert und ebenso trugen viele auf ihren Dächern als Erkennungsmerkmal das hauseigene Logo als dekoratives Element. „Irgendwie schwer zu glauben, dass es heute ganz anders aussieht und sich so herausgemacht hat.“ „Natürlich hat es das!“, erklang da auf einmal eine grummelige Stimme neben uns und ich fuhr erschrocken herum, „Es ist das erste Krankenhaus Londons, das eine eigene Medizinschule besitzt!“ Ein Mann mittleren Alters, vielleicht um die Mitte 50, stand vor uns, mit einer Aktentasche in der Hand und einer Tageszeitung unter dem Arm geklemmt. Er trug wie die meisten Herrschaften einen dunklen Überrock und einen runden, steifen Hut. Sein Bild wurde durch den krausen, aber nicht allzu dichten Vollbart komplettiert, der runden, kleinglasigen Brille und dem Ansatz eines Seitenscheitels unter der Hutkrempe. „Verzeihung, wir wollten gewiss nicht den Ruf des Krankenhaus in Verdruss bringen“, sprach der Doktor mit seinem üblich höflichen Lächeln und trat einen Schritt vor, „Wir … waren nur überrascht.“ „Sie kommen nicht von hier, richtig?“ „Das kann man so sagen.“ Der uns fremde Mann bedachte uns mit einem jeweils längeren Blick, aber anders als bei den anderen, war es keine Skepsis die mitschwang, sondern just Interesse an dieser neuen Begegnung. Das machte ihn mir gleich etwas sympathischer, obwohl er uns so angefahren hatte. „Dann haben Sie auch nichts von dem Elefantenmann gehört, der hier behandelt wird?“ Ich hob die Augenbrauen und meine Lippen bewegten sich, noch ehe ich mich zum Schweigen zu ermahnen: „Sie meinen die Elefantenkrankheit, Elephantiasis?“ Der fremde Mann ahmte mich im in meinem Gesichtsausdruck nach, so dass der eine das Spiegelbild des anderen hätte sein können, als wir uns so anstarrten. „Lymphatic filariasis, meinen Sie? Nein, das ist es nicht. Aber es wird gerne damit verglichen.“ Ich glaubte, fast schon so etwas wie Anerkennung in seinen Augen ablesen zu können, als er schließlich langsam nickte und mir die Hand reichte: „Thomas John Barnando, Gründer der Heime für heimatlose und auf der Straße lebende Kinder. Es freut mich Ihre Bekanntschaft zu machen.“ „Alexandra Garcia, es freut mich ebenso. Und das ist der Do... John Smith.“ Gerade so gerettet. Wäre beinahe schief gegangen. Der Doktor und Barnando schüttelten ebenso die Hände. „Ich bin überrascht, dass eine junge Frau wie Sie so viel medizinisches Wissen besitzt?“ Tja, dummerweise konnte ich jetzt nicht einfach gestehen, dass ich Krankenschwester war, denn das würde sich mit meiner ausgedachten Identität nicht decken, die ich momentan als spanische Aussiedlerin trug. „Ich habe Sie einfach nicht von meinen Büchern wegbekommen“, entgegnete da der Timelord auflachend, was auch unser Gegenüber belustigt vernahm, „Unüblich für eine Dame in ihrem Alter, aber wenn man den Frauen nicht den Zugang schenkt, dann holen Sie sich diesen sowieso. Sie sind also selbst Mediziner? An welcher Fakultät unterrichten Sie?“ Anscheinend war Barnando der Meinung, dass der Doktor in seinem Aufzug eher einem Gastdozenten glich als einem praktizierenden Arzt. Womöglich gar nicht mal so schlecht. „Oh, mal hier, mal da. Ich interessiere mich für die Unterrichtung der Medizin in den verschiedenen Ländern und hospitiere entsprechend mehr, als ich selbst unterrichte.“ Der Doktor war auch nie um eine Ausrede verlegen, die zudem auch noch glaubhaft klang. „Dann sollte ich Sie vielleicht einmal mit meinen Kollegen des Royal College of Surgeons of Edinburgh bekannt machen? Wir sind die älteste Chirurgenvereinigung der Welt und ich bin mit sicher, dass Sie selbst als Nichtchirurg mit Ihren Reiseerfahrungen eine große Bereicherung wären?“ „Vielleicht werde ich einmal darauf zurückkommen, aber ich fürchte, Ihr Angebot aktuell abweisen zu müssen. Wir sind gerade auf Heimreise und hier nur auf einen Zwischenhalt aus.“ „Ah, ich verstehe“, nickte der Arzt nun auch mir wieder zu, „Natürlich. Irgendwann möchte man auch wieder nach Hause und sesshaft werden.“ „Ganz genau.“ „Wann ist es denn bei Ihnen soweit?“ Er bedachte uns beide mit einem neugierigen Blick, „Verzeihen Sie mir die Indiskretion, aber Sie scheinen mir auch bereits ein reiferes Alter zu besitzen?“ Ein netter Ausdruck für jemanden, der fast 30 Jahre alt ist. Ich musste sichtlich darüber schmunzeln, ehe ich plötzlich begriff, worauf er hinauswollte. Bevor ich allerdings etwas sagen oder mir erschrocken die Kinnlade einen Stockwerk tiefer fallen konnte, hatte der Doktor den Arm um meine Schulter gelegt, „Sobald wir daheim sind, werden wir es langsamer angehen lassen.“ Nun lachte der Bärtige vor uns auf, „Das haben meine Frau und ich auch gesagt und uns sind dennoch sieben wunderbare Kinder beschert worden.“ Spätere Nachforschungen würden allerdings ergeben, dass von diesen sieben drei früh verstorben waren. „Passen Sie auf, sie fressen Ihnen die Haare vom Kopf“, deutete er an, den Hut zu ziehen um die Geheimratsecken zu zeigen, die er mit seinem Scheitel bewusst verdeckt hielt, „Nicht nur Ihre Frau wird eine Heiden Arbeit haben.“ „Oh, damit habe ich mich bereits abgefunden. Nicht wahr, Schatz?“ Es klingelte in meinen Ohren, als mich der Doktor so betitelte und mir zudem noch einen herzlichen Blick zuwarf. „J-Ja … wir … kriegen das Kind schon geschaukelt.“ Nicht der beste Spruch, den ich hätte bringen können, aber etwas anderes fiel mir echt nicht ein. Es sorgte zumindest für ein weiteres Lachen bei Thomas Barnardo. „Passen Sie gut auf Sie auf, in letzter Zeit sind einige Verbrechen geschehen“, wandte er sich wieder an den Doktor und wurde ein bisschen ernster, „Die Polizei ist in ziemlichen Aufruhr und … ich sage es nur ungern, aber Ihre Erscheinung wird nicht weniger Aufsehen erregen, Miss Garcia.“ „Ja, auch das ist mir bekannt“, murmelte ich mit einem gezwungenen Lächeln, „Darauf … hat uns die Polizei ausgiebig hingewiesen.“ „Vermutlich auch, weil Sie als Arzt unter Verdacht stehen, Mr. Smith, nicht wahr?“ Barnados Mundwinkel blieben nach unten gezogen, „Es ist eine Schandtat, dass man uns bezichtigt.“ Der Doktor steckte seine linke Hand in die Tasche seines Trenchcoats und hob ein wenig das Kinn, „Da der Ripper anatomische Kenntnisse zu haben scheint, gerät natürlich die gesamte medizinische Belegschaft unter Generalverdacht, ein Serienkiller zu sein.“ „Nicht nur wir sind betroffen. Selbst der Elefantenmensch Joseph Merrick haben sie verdächtigen wollen. Absurd. Er ist mit seiner Erkrankung nicht einmal ansatzweise in der Lage so etwas zu tun.“ „Sie versuchen eben alle Möglichkeiten auszuschöpfen.“ „Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis ich ebenso in Verwahrung genommen werde.“ „Ich hoffe sehr, dass Ihnen dieses Schicksal nicht zuteil wird, Doctor.“ Barnados zuckte mit den Schultern, als würde er jene Möglichkeit als Weg des Lebens annehmen müssen, „Ich werde keine Wahl haben und kann im Fall des Falles nur darauf hoffen, dass meine bisherigen Taten für die Gesellschaft ausreichen, meine Unschuld weiterhin zu untermauern.“ „Haben Sie eigentlich eine Vermutung, warum es der Ripper ausschließlich auf Prostituierte abgesehen hat?“ „Wenn Sie mich als Kollegen fragen …“ Unser Gegenüber ließ sich einen Moment Zeit und ließ seinen Blick über die Straße streifen, „Ist Ihnen die Theorie von Professor Cesare Lombroso bekannt?“ Wir schüttelten beide den Kopf. Auch der Doktor konnte nicht alles wissen und ich selbst erst recht nicht. „Nun, das ist nicht verwunderlich. Seine Theorie ist noch recht neu und hat gewiss nicht alle Länder bereits erreicht. Lombroso behauptet, dass man einen Verbrecher oder die Neigung zu Verbrechen anhand anhand seiner biologischen Entwicklung erkennen kann: Schädelform, Augenbrauenwuchs … ich möchte mich dem nicht ohne weiteres anschließen, aber dank ihm hat die Psychiatrie und damit auch wir Mediziner einen erheblichen Zuwachs an Bedeutung gewonnen, wenn es um strafrechtliche Aufklärung geht. Dennoch bin ich eben nicht der Meinung, dass es sich Jack the Ripper um einen solch üblichen Täter handelt.“ „Sie meinen auf Grund seines anatomischen Wissens?“ „Eher in der Art, wie er sich auszudrücken weiß. Wenn nicht jemand anderes für ihn seine Mitteilungen an Scotland Yard schreibt, haben wir es mit einem hochintelligenten Mann zu tun haben. Jemand, der sich vielleicht selbstständig die anatomische Kenntnisse angeeignet hat, um ganz London zu verwirren. Ein kluger Kopf, der allerdings keinerlei soziale Fähigkeiten besitzt, weder Empathie noch Schuld empfindet und sich selbst mit jeder weiteren Tat zu verherrlichen scheint.“ „Ein Psychopath also“, entwich es mir und zog demnach die Aufmerksamkeit des Arztes auf mich, „Vielleicht hat ihn irgendetwas traumatisiert, dass ihn dazu brachte, Frauen, bevorzugt Prostituierte zu hassen und sie zu töten? Zumindest die Tatsache, wie er sie umbringt, ist … “ „Liebes, spiel' nicht wieder den Inspektor. Du hast zu oft die Studie in Scharlachrot gelesen!“, fuhr mir der Timelord da auf einmal über den Mund, so dass ich überrascht aufsah, und ich spürte, wie sich sein Griff an meiner Schulter verstärkte. Hatte ich zu viel geredet? Mein Seitenblick galt Thomas Barnando, der kritisch dreinschaute, als er sollte und ich setzte schnell ein typisch weibliches Lachen auf. „Oh, Verzeihung! Aber die Abenteuer von Mr. Holmes und Dr. Watson haben mich einfach überwältigt!“ Ich legte die Hand an den Mund, um ein bisschen femininer zu wirken, wobei das an sich gar nicht meine Art war. Noch immer schaute Barnando verdrießlich drein, als würde er mich irgendwie verdächtigen oder gerade in eine seiner Schubladen stecken. „Und du hast ganz Recht, mein Liebster. Das tut dem Baby nicht gut!“ Unmerklich den Bauch ein bisschen mehr herausstreckend, bis mir der Rücken wehtat, legte ich meine Hände an jenen und strich behutsam drüber. „Dann sollten Sie sich wirklich nicht zu viel Aufregung zu Gemüte führen“, erklang nun wieder die Stimme unseres neuen Bekannten, „Gerade in den ersten Wochen ist dies Gift für die Schwangere. Und ich muss es wissen, ich habe dies mit meiner Frau sieben Mal durch.“ Seine Worte klangen sanft, aber trotzdem hörte ich eine gekünstelte Lockerheit heraus, die er sich abrang, „Ich kann Ihnen die Romane von Jane Austen nur ans Herz legen. Weniger aufregend und für eine gute Lektüre während der Hausarbeit geeignet. Meine Frau ist von Emma sehr bezaubert.“ Soviel zu den durch die Blume gesprochenen Botschaften: Emma, die Protagonistin des gleichnamigen Werkes, welche ihre Nase in allerlei Angelegenheiten steckt und sich damit am Ende den selbst größten Ärger beschert: Von sich selbst zu sehr überzeugt. Von sich selbst zu eingenommen und der Gesellschaft trotzen wollend. Das war keineswegs das Bild, was auf mich zutreffend sein konnte, aber doch war es nun nicht das erste Mal, dass mich ein anderer dieser Zeit so einschätzte. Ich passte mit meinen modernen Ansichten und meiner großen Klappe nicht in die alteingesessene konservative Zeit. „In der Tat glaube ich allerdings auch, dass es sich beim Ripper um eine psychopathische Persönlichkeit handelt. Jemand, der seine Wut und seine Verachtung gegenüber anderen in Form von Mord aufbringen muss. Er muss das für ihn wertlose Leben beenden, um sich selbst als besserer Mensch der Welt Genugtuung und Zufriedenheit zu verschaffen. Die Vorgehensweise ist von Mal zu Mal brutaler geworden, es würde mich nicht wundern, wenn er sich selbst immer wieder aufstachelt und noch mehr versucht zu optimieren.“ Der Timelord an meiner Seite schwieg, verarbeitete die so eben gesprochenen Worte und nickte sie schließlich ab, „Eine interessante These, Doktor Barnando.“ „Es ist eine Tragödie, dass wir diese allerdings nie beweisen werden können, weil keines seiner Opfer bisher überlebte.“ „Selbst in der Gerichtsmedizin sprechen die Toten nicht ausgiebig zu uns.“ „Nein, manche Geschichten bleiben auf ewig verschlossen.“ Die beiden Männer hielten einen Moment inne, ehe sich der klein gewachsene Barnando den Hut zurechtrückte, „Mr. Smith, Miss Garcia. Entschuldigen Sie mich jetzt bitte. Es war nett, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, aber die Pflicht ruft.“ Er griff unter seinen Überrock und zog ein Papier wohl aus der Tasche seines Sackos hervor, „Ich würde mich freuen, wenn Sie mir schrieben, sobald sie wohlbehalten zu Hause angekommen sind.“ Er reichte dem Doktor einen Zettel, welcher mit der schwarzen Schrift mittels einer Schreibmaschine bedruckt war. Auf ihm stand in ordentlichen Lettern der Name und die Adresse von unserem Bekannten. „Oh, das werde ich. Es tut mir leid, dass ich Ihnen, gerade leider keine Visitenkarte meinerseits reichen kann. Sie liegt im Hotel.“ „Natürlich, das verstehe ich. Also dann … gestatten Sie?“ Er hob kurzzeitig den Hut an und schritt schließlich an uns vorbei, ins Krankenhaus. Wir beide sahen ihm kurz noch hinterher, ehe wir uns einander einen längeren Blick zuwarfen. „Ich glaube, wir w erden uns gleich noch einmal über die Sache mit dem Reden unterhalten“, raunte der Doktor mir ins Ohr und ich musste mich geschlagen geben, „Ich bin über die Stränge geschlagen, ich weiß.“ „Allerdings.“ Ich verzog den Mund und zuckte etwas hilflos mit den Schultern, „Als Frau, zu dürftig bekleidet, von Spanien emigriert, mit Mitte 20 noch nicht verheiratet und dafür allerdings schwanger, haben Sie keine guten Karten.“ Ein kleines Lächeln huschte über die Lippen des Doktors. Er erlöste meine Schulter von seinem Griff, in dem er nur zweimal noch auf jene klopfte und dann schließlich den Arm von mir nahm. Alles halb so wild. Das wollte ich gerne glauben und über die Tatsache, wie sich unsere Scheinidentität immer und mehr verselbstständigt hatte, musste ich beinahe schon lachen. So schnelle konnte es gehen. Von der Prostituierten, zur Komplizin, zur zukünftigen Frau. Interessante Wendung. „Lassen Sie uns endlich weiter.“ Wir kreuzten die Straße, verließen diese an der nächsten Ecke und gelangten in die parallellaufende Fieldgate Street. Unzählige Wohnhäuser, Straßennischen und Gassen passierend, schafften wir es schließlich beinahe bis zur Ausgangsposition: die Untergrundstation Aldgate East. Die TARDIS war also nicht mehr weit. Auch die Polizisten, die ich hier vermutet hätte, blieben aus. Es war schlicht nicht dasselbe, wie in der gegenwärtigen Zeit. Bei uns wäre die Polizei stärker aufgestellt worden, es hätte Absperrungen gegeben und und und. Hier allerdings wirkte es fast so als wäre nie etwas geschehen. Es war fast schon zu leicht gewesen, als wir tatsächlich die TARDIS erreichten – und genau deswegen standen wir auch nur vier, fünf Meter von ihr entfernt. Denn wo die Polizisten auf der Straße gefehlt hatten, waren sie hier gut stationiert: Zwei standen bei der blauen Box und wirkten so, als würden sie diese mit ihrem Leben beschützen. Vermutlich täten sie das auch, wenn es drauf ankäme. „Und was nun?“, flüsterte ich zum Doktor und schaute ein bisschen verdrießlich drein, „Wir können schlecht einfach reinspazieren!“ „Nein, das können wir in der Tat nicht.“ Er sah sich um, schien all unsere Möglichkeiten einzuschätzen und abzuwägen, die wir besäßen, „Vermutlich bleibt uns aber dennoch nichts anderes übrig.“ „Was wollen Sie tun?“ „Die TARDIS öffnen. Mit Ihrer Hilfe.“ Er bedachte mich mit einem Lächeln und augenblicklich wusste ich, worauf es hinauslaufen würde: „Oh Nein! Nein! Nein, nein, nein, nein, nein. So nicht.“   Oh doch. So ja. So gerade ja. Verdammt. Es mag ja sein, dass ich ein paar Jahre Theater gespielt habe und dass ich es immer noch hin und wieder mochte, in andere Rollen zu schlüpfen, aber … das war zu viel des Guten: Ich sollte eigentlich nur für Ablenkung sorgen, nicht mehr, nicht weniger. So viel Zeit verschaffen, dass der Doktor ohne Probleme in die TARDIS konnte. Nun viel mir leider genau das besonders schwer – denn wenn ich etwas nicht konnte, dann war es besonders hilflos und mädchenhaft zu sein. Ich erhielt sogar noch den Trenchcoat des Doktors, damit ich ein bisschen unbeholfener wirkte, den ich mir um die Schultern legte, und vorne zugehalten hielt. „Das kriegen Sie schon hin!“, sagte er auch noch und hatte sich aufgemacht, sich an die blaue Box von der anderen Seite heranzupirschen, während ich meine Szene spielen durfte. Ich schloss die Augen, atmete einmal durch und sprach mir zu, dass niemand von den Anwesenden mich jemals wiedersehen würde. Es würde einfach in Vergessenheit der Geschichte der Londoner geraten. Ohne viel Hopp. Ganz genau. Ich zog das jetzt einfach durch und dann ging es nach Hause. Fertig. Die Schulter gestrafft haltend, ging ich klopfenden Herzens um die Ecke, stolperte auf die Polizisten zu, die meine Anwesenheit noch nicht bemerkt hatten. Ich musste ein bisschen aufdringlicher werden, also ging ich wie ein Elefant im Porzellanladen laut über den Asphalt. „E-Entschuldigung …“, brachte ich ein bisschen zu leise hervor und wiederholte mich somit „Entschuldigung!“ Die beiden Beamten sahen nun auf und bedachten mich mit einem fragenden Blick. Ich versuchte so ängstlich und hilflos wie nur möglich zu erscheinen, hielt mir den Trenchcoat fest vor der Brust zugeschnürt und setzte zu ein, zwei Atemaussetzer an, damit es ein bisschen dramatischer wirkte. Gott, kam ich mir lächerlich vor. Ungeachtet dessen stolperte ich nun aber tatsächlich und konnte mich auch nicht mehr abfangen, da ich in die vielen Mulden des Mantels gefangen war. Zu Boden purzelnd verletzte ich mich glücklicherweise aber nicht. Dennoch war es ein sehr effektives Unterfangen, denn die beiden Polizisten kamen nun erschrocken zu mir geeilt und fragten mich im schönsten Londoner Akzent, ob mit mir alles in Ordnung wäre. Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie der Doktor um die Ecke geflitzt kam und auf leisen Sohlen zur TARDIS schlich. „J-Ja, Entschuldigung. Mir … war gerade nur schwindelig“, log ich und legte die Hand an die Schläfen, um meinen Worten Ausdruck zu verleihen. „Wie können wir Ihnen helfen, Miss?“, fragte mich derjenige, welcher sich zu mir hingehockt hatte und einen rotbraunen Schnurrbart trug. „E-Es … also … I-Ich werde verfolgt.“ Die beiden Beamten sahen sich alarmiert an. „E-Eben … bei der Aldgate Station … m-mich verfolgte ein Mann.“ „Ein Mann?“, sprach der andere, welcher neben uns stand und ich nickte, „J-Ja. Er ist bestimmt auch jetzt noch hinter mir her.“ Die Polizisten sahen einander an und an mir vorbei, wo ich hergekommen war. „Nun, zumindest ist er nicht hier“, sprach Mann an meiner Seite beschwichtigend und machte Anstalten, mir hochzuhelfen, in dem er mich an meinem Arm stützte. Der andere Kollege nickte, „Ja, wir können hier gerne einmal schauen, ob-“ „Oh!“ Gezielt knickte ich beim Aufstehen um und ließ mich abermals dramatisch zu Boden plumpsen, auch wenn der Herr Beamte vor mir mich mit seinen Armen aufzufangen wusste (Entschuldigung Schatz, ich hoffe du hast Verständnis dafür, wenn ich sage, dass ich es nur getan habe, damit der Doktor unentdeckt blieb). Denn natürlich waren die zwei so pflichtbewusst, dass sie am liebsten sofort losgestürmt wären. Ich blinzelte, murmelte erneut eine Entschuldigung und sah, dass der Doktor es schließlich geschafft hatte, die TARDIS aufzuschließen und hineinzuschlüpfen. Mit einem Fingerzeichen hatte er die Tür daraufhin wieder geschlossen. Ich sollte ihm folgen. Irgendwie. „Geht es Ihnen wirklich gut?“ „Ja, ja … könnten Sie mich bitte … vielleicht nur zur Straße begleiten?“ Die zwei Londoner sahen sich an, unwissend, was sie tun sollten, immerhin hatten sie hier ihren Dienst zu leisten. Aber … dem Volk zu helfen, gehörte doch auch zu den Aufgaben, nicht wahr? Demnach stimmten sie zu, warfen noch einmal einen Blick auf die blaue Box, in deren Nähe sich immer noch niemand getraut hatte und gingen dann mit mir aus der Seitenstraße, Richtung Hauptstraße. Das würde wohl eindeutig genug Zeit geben, damit der Doktor unbemerkt die TARDIS wieder in die Gänge bekäme und wir abhauen könnten. „Wohin müssen Sie, Miss?“, sprach mich der Polizist an, welcher mir hochgeholfen hatte, und ich geriet ins Stottern, weil ich mir natürlich nicht vorher ausgedacht hatte, wo es hingehen sollte: „E-Ehm … ich … ich wollte eigentlich hier auf eine Freundin warten. W-Wir … wir wollten in das Café. Der Teesalon … dort drüben!“, deutete ich auf die andere Straßenseite, wo sich tatsächlich ein kleines Café befand. „Nun, dann begleiten wir Sie am besten dort hin. Drinnen sollten Sie sicher sein. Wir können dem Wirt gerne Bescheid geben“, erklärte er mit einem Lächeln, welches ich nur schmallippig erwiderte und nickte. Es waren nur wenige Minuten, die vergingen, bis wir das Café erreichten und ich zu einem Tisch für zwei geleitet wurde. Ich hatte die Beamten davon abhalten können, dass sie den Betreiber auf meine Situation aufmerksam machten und konnte ebenso auch dafür sorgen, dass ich den Mantel des Doktors anbehalten könnte: mir war durch die Angst immer noch sehr kalt. Die zwei Polizisten verabschiedeten sich von mir, nachdem ich mich ausgiebig bei ihnen bedankt hatte und ich sah durch das Fenster, wie sie auf die Straße gingen, um zu ihrem Posten zurückzukehren. Noch bevor der Kellner meinen Wunsch aufnehmen konnte, war ich aufgesprungen und wieder aus dem Teesalon geschlüpft. So schnell ich konnte, rannte ich auf die Seitengasse zu, die parallel zu jener lief, welche wir eben genommen hatten. Ich konnte nur hoffen, dass ich die TARDIS vor den Beamten erwischte, so dass ich reinspringen könnte. Mein Glück sollte mir aber nicht hold sein: Ich sah zwar die TARDIS, doch bemerkte ich da noch eine andere Gestalt bemerkte, die drauf und dran war, sich an der Tür zu schaffen zu machen. „Hey!“, rief ich ohne nachzudenken und sorgte dafür, dass die dunkelhaarige Frau, welche in hochgeschlossener typisch viktorianischer Kleidung und einen lockeren Zopf tragend ertappt aufsah und zurückweichen wollte, ehe sie aber die Tür der TARDIS einfach aufriss und drin verschwand! „HEY!“, schrie ich nun direkt schon, geschockt über diese Dreistigkeit und stürmte ebenso vor – die Polizisten waren tatsächlich noch nicht da, als dass sie mich entdecken könnten. Entsprechend stolperte ich hinein und da standen wir nun: Der Doktor am Pult, mit seinem überrascht schockierten Blick über diesen fremden Besuch, und dann zu mir guckend. Ich, die ihn nur überfordert kopfschüttelnd ansah. Die fremde Frau, die dem Doktor zugewandt stand und ihre Stimme nahezu flehentlich erhob: „Doktor, helfen Sie mir bitte!!“ „Dafür … wüsste ich zunächst einmal gern, wer Sie sind?“ Der typisch skeptische Blick des Timelords ließ sein Gesicht in eine lustige Grimasse verfallen. „Oh … oh, natürlich! Entschuldigung!“ Die zu gut in die viktorianische Zeit passende Frau schien mit einem Mal so, als wäre der Groschen gefallen und nun mehr schien sie ein wenig ruhiger. Sich räuspernd, drehte sie sich sogar zu mir um, „Mein Name ist Metatropeasis. Ich … ich bin Arcateenianerin.“ Beim letzten Wort blinzelte ich und hatte mir es da schon nicht mehr gemerkt. Arca...was? „Arcateen V?“, fragte der Doktor lediglich und erfuhr ein Nicken von unserer neuen Bekannten. „Genau.“ „Was ist passiert?“ Zumindest schien der Doktor diese Frau zuordnen zu können. Und wenn sie eine Arca-Orca-was-auch-immer war, schloss ich daraus, dass sie irgendwie zwar eine menschliche Form angenommen hatte, allerdings kein Mensch war. Dies ließ mich meine Augen einmal mehr über ihre Erscheinung schweifen und mit einem Mal fuhr ich erschrocken auf: Zwar trat kein Blut mehr aus, aber an ihrer Kehle war eine lange Schnittwunde verzeichnet. So, als hätte man sie ihr durchgeschnitten. Und auch jetzt fiel mehr erst auf, dass ihre Hände viel zu blau waren als dass es sich um eine lebende Erscheinung hätte handeln können. Und … wieso glaubte ich, das Gesicht schon einmal gesehen zu haben? Chief Inspector Sutherland hatte uns Bilder der Opfer vorgelegt, aber ich war mir nicht ganz sicher, ob sie auch darunter gewesen war. Aus Vorsicht heraus machte ich einen Schritt zurück, was der Doktor nur zu gut mitbekam und nun mehr mir seine Aufmerksamkeit zukommen ließ, „Keine Sorge. Arcateenianer sind eine humanoide Alienrasse. Sie können von anderen Körpern Besitz ergreifen, aber … normalerweise geht von ihnen keine Gefahr aus.“ Und nun schenkte er Metatropeasis einen ebenso vorsichtigen Blick, „Sollte. Was ist also passiert? Warum bist du hier?“ „Ich bin in keiner feindlichen Absicht zur Erde gekommen“, erklärte die Angesprochene nun fast schon reuevoll, „Eigentlich … suchte ich ein Exil.“ „Ein Exil? Auf Arcateen V herrscht kein Krieg soweit ich weiß?“ „Nein, ein Exil vor meiner Familie.“ Der Doktor und ich sahen verblüfft auf. Sie wirkte nicht wie eine Ausreißerin, aber so konnte man sich eben täuschen – und warum sollten andere Lebewesen außer uns Menschen nicht auch familiäre Dispute haben, die sie nicht anders als mit Wegrennen zu lösen wussten? Eben! „Aber das ist nicht das Problem. Ich habe mir anscheinend eine unpassende Wirtin ausgesucht.“ Das würde ich auch so sagen: Unpassend tot, ja. „Wirst du verfolgt?“ „Ja, von diesen Menschen in dunkler Kleidung, mit diesen seltsamen Kopfbedeckungen.“ Damit meinte sie wohl die hiesige Polizei. „Ich hatte mir diesen Körper gesucht, nachdem man mir daheim sagte, dass es in diesen Totenhäusern viele freie Wirte gäbe.“ „Und suchtest dir ausgerechnet eine von denen aus, die ermordet wurden und dies auch noch von einem der gefürchtesten Serienkiller in der gesamten Londoner Geschichte“, ergänzte der Doktor, nicht gerade begeistert von der Begebenheit, „Wie heißt sie?“ „Ich glaube, ihr Name lautet Elizabeth Stride.“ Also tatsächlich eines der Ripper-Opfer. Kein Wunder, dass die Polizei hinter ihr her war – und das sprach auch aus den Augen des Doktors. Als wäre dies aber nicht genug gewesen, wurde die Tür hinter mir erneut aufgerissen und die mir nur zu bekannten Stimmen der beiden Polizisten, die mir so eben noch zuvorkommend geholfen hatten aus der gefährlichen Seitengasse zum sicheren Café zu gelangen, drangen dicht an mein Ohr: „Grundgütiger …“ „Bei der Queen Victoria … was … ist das?“ Hatte ich schon gesagt, dass wir in der Klemme steckten? Nein? Wir steckten in der Klemme. Mal wieder. Kapitel 5: Doppelgaenger ------------------------ Um die Geschehnisse der letzten Zeit zusammenzufassen: Ja, ich hatte es aus irgendeinen Grund geschafft, als neue Begleitung des Doktors zu erscheinen. Unsere erste und wohl auch letzte Reise ging ins viktorianische London, was mir eigentlich mehr Freude als Unbehagen bereiten sollte. Aber warum sollten Dinge einfach verlaufen, wenn es auch kompliziert ging? Ganz nach diesem Motto wurden wir als Verbrecher abgestempelt, eingebuchtet, sind geflohen und standen nun – der Rettung TARDIS so nahe, wie man nur sein konnte – vor den nächsten beiden Problemen: eine Außerirdische, die des Doktors Hilfe benötigte und zwei vollkommen überrumpelte und schockierte Polizisten, welche entweder an ihrem Verstand zweifelten oder aber uns alle gerade als Verbrecher betrachteten. Vielleicht auch beides. Soviel zur Ausgangslage. Leider kam mir durch diesen Gedankengang keine Lösung in den Sinn. Nichts, was die Polizisten hätte beruhigen können oder die Arcateenianerin retten. Aber ich war ja auch nicht der Doktor. Und dieser sah nun mit hochgezogenen Augenbrauen von einem zum anderen, während ihm ein gespieltes Lächeln über die Lippen huschte. Eine ausladende Handbewegung machend, erhob der Timelord das Wort, „Nun, Willkommen in der TARDIS, meine Herren. Was können wir für Sie tun?“ „M-Moment mal, wie geht das? Das ist doch nur eine … eine …“ „Sie meinen eine Telefonzelle?“, half der Doktor dem stotternden Beamten weiter, der daraufhin nur zu nicken wusste, obwohl er gar keine Ahnung hatte, was eine Telefonzelle war. Noch nicht. „Keine Sorge, diese Überraschung haben schon einige erfahren. In ein paar Minuten wird sich die Verwunderung legen.“ Davon war ich nicht ganz überzeugt, so fluchtartig, wie der Beamte zu allen Seiten sah und einfach nicht fassen konnte, dass sich in einem kleinen Gehäuse solch ein weitwinkliger Raum befand, der auch noch Treppen und Türen besaß. Vermutlich wäre er am liebsten noch einmal raus- und wieder reingerannt, aber das traute er sich dann doch nicht. Ob nun aus Pflichtgefühl gegenüber seines Kollegen, aus Angst oder weil er schlicht nicht wusste, was er sonst tun sollte. Der andere, er ein bisschen älter war und damit mehr Dienstjahre auf dem Buckel hatte, schien gefasster. „In Ordnung, alle die Hände hoch und eh … mit dem Gesicht zur Wand stellen!“, wies er uns an und fummelte aus dem hinteren Holster einen Knüppel hervor, um seinen Worten Ausdruck zu verleihen. Mir fiel auf, dass die Polizei wohl schon damals nicht gerade stark an Waffen ausgerüstet war und dass wir außer diesen Knüppeln und Handschellen wohl mit keinen weiteren zu rechnen hatten. Dennoch war ich natürlich nicht besonders erpicht darauf, Bekanntschaft mit dem Trancheon zu machen überlegte mir zweimal, was ich sagen würde. Der Doktor und ich hoben beide langsam die Arme bis auf Kopfhöhe, machten aber keine Anstalten auch dem Rest des Befehls Folge zu leisten. Ich warf einen Seitenblick zum Timelord, der sich nun mehr bewusst auf den agierenden Beamten konzentrierte: „Okay, eins nach dem anderen“, sprach er langsam und versuchte dabei so viel Ruhe und Gelassenheit wie nur möglich in seine Worte zu legen, „Wir sind nicht bewaffnet und wir haben nicht vor, Ihnen Ärger zu bereiten.“ Den Kopf zu mir drehend, verzog er das Gesicht allerdings kurzzeitig zu einer Grimasse, „Das klingt nach all dem nicht besonders glaubhaft, oder?“ „Nein, eher nicht“, musste ich kopfschüttelnd zustimmen und rückte noch ein, zwei Schritte mehr an seine Seite. Mir war es lieber, die Polizisten vor mir als im Rücken zu wissen. „Ein Versuch war es wert.“ „Sie haben schon genug Ärger verursacht. Ich werde Sie jetzt an dieser Stelle verhaften“, kündigte der Kollege mit dem rotbraunen Schnauzbart an und nickte zu dem anderen hinüber, der immer noch vollkommen fasziniert von den Ausmaßen der TARDIS war, „Ed, leg der … verfolgten Dame die Handschellen an.“ Damit meinte er wohl mich. Aber zu meinem Glück schien Ed nicht gerade bei Sinnen und sah den anderen nur hilflos-verwirrt an, „Die Handschellen!“, wiederholte dieser. Der Jüngere nickte schließlich, fummelte an seinen an der Jackentasche befestigten Handschellen herum und kam mir dann etwas näher, bis er schließlich die Handschellen geöffnet hielt und mich dabei ansah: „E-Eh … dürfte ich … ?“ Ich konnte gar nicht anders als ihn wie ein Auto anzugucken. Fragte er gerade tatsächlich, ob er mich festnehmen dürfte? „Eh, nein?“, entfuhr es mir da und ich machte einen großen Schritt zurück. Nett, dass er fragte, aber mir hatte die eine Nacht Gefängnis gereicht! „Einen Moment, Colonel“, schob sich der Doktor dazwischen und hielt dem Beamten so auf Abstand zu mir, „Unter welchen Anklagepunkten wollen Sie uns festnehmen?“ „Diebstahl eines Leichnams, reicht Ihnen das?“, schnitt der Ältere dazwischen und kam nun ebenso hinzu, um die Sache wohl selbst in die Hand zu nehmen, „Oder wie wollen Sie es bezeichnen, dass Sie – wie auch immer Sie das hinbekommen haben – das Ripperopfer Elizabeth Stride hier stehen zu haben?“ Durchaus eine gute Frage. „Vielleicht sollen Sie sie das selbst fragen?“, verwies der Doktor auf unseren Neuankömmling, dessen eigentlicher Name Metatropeasis lautete. Eine Außerirdische vom Planeten Arcateen V – zu meiner Verteidigung: Ich hatte keine Ahnung, was das bedeutete. Bis auf die Tatsache, dass sie tote Körper als Behausung zu nehmen wusste, war mir nichts über Arcateenianer bekannt. „Wir nehmen diese Betrüger fest“, beschloss der Dienstältere von beiden, „Wie auch immer Sie das machen, Sie haben sich strafbar gemacht und werden entsprechend ins Gefängnis wandern! ED!“ Seine Stimme hallte in der TARDIS laut wieder, so dass der arme Ed zusammenzuckte und ein zweites Mal an den Handschellen nestelte, bis ihm diese sogar runterfielen. Zu den Füßen der vermeintlichen Elizabeth Stride. Und so freundlich wie die Arcateenianerin war, wollte sie ihm zuvorkommen und das Festnahmeinstrument aufheben. Ihre Finger berührten sich dabei und als er in das Gesicht der eigentlich Toten aufblickte – oder viel mehr auf die wirklich sehr unschöne Wunde an ihrem Hals – wurde dem jungen Polizisten mit einem Mal doch ganz anders zumute. Er schreckte hoch und taumelte rückwärts. Der Schock, der ihm das Blut in die Beine versacken ließ, sorgte für eine ebenso plötzliche Blässe in seinem Gesicht – nicht lange und er würde … Bamm! … zu Boden gehen. „Grundgütiger … Ed!“ rief der ältere Polizist und vergaß für einen Moment die angespannte Lage mit seinen Verdächtigen. Das Wohl seines Kollegen war ihm da anscheinend immer noch einen Ticken wichtiger, was mich irgendwie beruhigte. Ich jedenfalls war es nicht, welche die Chance zu nutzen wusste, die sich für uns hierbei ergab – und auch der Doktor hatte es nicht in die Hand genommen. Nein, es sollte ausgerechnet unsere neue Bekannte sein, die dem bunten Trubel ein Ende setzte: Denn als Ed rückwärts getaumelt und hingefallen war, hatte sich auch dessen Knüppel gelöst und war über den Boden gerollt. Ohne zu zögern hatte sie diesen an sich genommen und in jenem Moment, als sich der noch gesunde Beamte zu dem Bewusstlosen gehockt hatte – … ja, genau das! Bevor der Doktor und ich etwas hätten einwenden oder es verhindern hätten können, hatte sie ausgeholt und ihm eine übergezogen. Er gab nur noch einen Wehlaut von sich und kippte dann vorüber. Bewusstlos. „Nicht meine Methode, aber … wirkungsvoll“, neigte der Doktor den Kopf zur Seite und sah dann fast schon tadelnd zu Metatropeasis auf, welche mit einem verständnislosen Blick antwortete: „Jetzt machen sie keinen Ärger.“ „Solange sie ohnmächtig sind, nein.“ „Wir … können sie doch einfach nach draußen bringen und dann verschwinden wir?“ Zugegeben, die Pragmatik dieser Arcateenianerin war nicht von der Hand zu weisen, aber leider war die Weitsicht weniger ausgeprägt. „Das wäre doch auch gut für dich oder? Du gehörst doch auch nicht hierher?“ Oh, und ich hatte leider etwas dagegen, wenn man mich sofort duzte. „Vielleicht ja, aber es ändert nichts daran, dass Sie im Körper einer Toten sitzen, die als Opfer eines Serienkillers gilt“, mischte ich mich nun ein, wo ich eh schon angesprochen wurde. „Was ist daran problematisch? Sie ist doch tot. Ich verstehe nicht, warum ich deswegen für solche Reaktionen sorge.“ Ich presste die Lippen aufeinander und sah etwas genervt zum Doktor. In der stillen Hoffnung, dass er irgendeine Antwort auf Lager hatte, die gut genug wäre, nicht auf Widerworte zu treffen, doch meine eigene Zunge war schneller: „Wir haben hier bestimmte Regeln. Und eine von diesen ist, dass man keine Leichen klaut und wieder auferstehen lässt.“ Ich verschränkte die Arme vor der Brust, weil ich zugegebenermaßen auch selbst ein kleines bisschen bei ihrer Erscheinung fröstelte. Mochte sein, dass ich in meinem Leben den einen oder anderen Toten oder Schwerverletzten gesehen hatte, aber das hier war ein anderes Kaliber und ließ auch mich schlucken. Zumal ich inzwischen weitaus empfindlicher war und es mir so wie den jungen Polizisten ergehen konnte. „Haben Sie vor allem schon einmal in einen Spiegel gesehen? Ihre Erscheinung ist grauenhaft. Und in dieser Zeit wird es fast jedem so ergehen wie ihm hier“, deutete ich auf den unverletzten Bewusstlosen, „Also ja, das ist problematisch.“ Metatropeasis schenkte mir einen missfälligen Blick und guckte dann zum Doktor, meinen Einwand einfach übergehen wollend. In ihren Augen hatte ich hier kein Mitspracherecht. Der Timelord kratzte sich am Hinterkopf und schwieg eine Sekunde, ehe er ein simples „Sie hat Recht“ von sich gab. „Das Beste wäre es, wenn du diesen Körper wieder dorthin zurückbringst, wo er hingehört und dann auf deinen Heimatplaneten zurückkehrst.“ „Was? NEIN!“ „Du gehörst hier nicht her und du wirst hier auch nicht ohne weiteres überleben können!“ Die Stimme des Doktors wurde eindringlicher, wenn auch nicht unbedingt lauter, im Gegensatz zu jener unserer Gegenüber. „D-Das kriege ich schon hin! Das haben andere auch schon geschafft!“ „Und sind sie je wieder gekommen?“ Sie schwieg und sah mit einem Mal ziemlich betreten drein. „Das sind sie nicht, weil kein einziger auf lange Zeit überleben konnte.“ Ich traute mich nicht, dazwischen zu fragen, aber mich interessierte es nicht nur gering, was er damit meinte. Sie war also definitiv nicht die erste Arcateenianerin, die von ihrem Heimatplaneten geflohen war, und würde auch nicht die Erste sein, die nicht wieder lebend zurückkäme? Der Timelord hatte mir wohl einen kurzen Blick zugeworfen, da er nun mehr zum Erklären ansetzte. „Arcateenianer müssen sich eines Wirtes bedienen, wenn sie hier überleben wollen. Das Problem hierbei ist allerdings, dass es nicht bei einem Wirt bleibt. Sie haben einen toten Körper, in dem sie leben wollen. Und was braucht der menschliche Körper, um leben zu können?“ „Ein funktionierendes Herz“, schoss es sofort aus mir heraus, worauf der Doktor leicht nickte, „Richtig. Und nun können Sie sich auch denken, wie sie an diese kommen.“ Das also zum Thema, dass von Arcateenianern eigentlich keine Gefahr ausging. Gruselig. Und brutal. „Willst du das also wirklich? Du wirst dich damit zu einer Kriminellen deiner Heimat. Ganz davon abgesehen, dass sie dich hier ebenso wenig lebendig wissen wollen.“ Ich sah zu Metatropeasis auf und versuchte aus ihrem Gesicht abzulesen, was sie wohl gerade dachte. Man konnte spüren, wie sehr sie mit sich und den Worten des Doktors rang. Wie sehr sie zwischen ihren eigenen Wünschen und den rationalen Gründen haderte. Mochte sein, dass sie naiv war, aber nicht dumm. Ansonsten hätte sie es nie überhaupt hierher auf die Erde geschafft. „Wir … sollten vielleicht zumindest die beiden hier nach draußen schaffen, oder?“, schlug ich schließlich vor, „Da muss ich ihr zumindest Recht geben.“ Denn je länger wir jetzt hier herumstanden und weiter diskutierten, desto eher würden die beiden wieder aufwachen und dann ginge das Spiel von vorne los … darauf hatte ich wenig Lust.   Der Doktor hatte sich widerwillig fügen müssen. Natürlich war er nicht gerade davon begeistert, aber welche Wahl hatten wir? Dass wir die zwei Beamten nun mehr allerdings nicht in die Freiheit entließen, sondern für die Zeit, bis wir die Sache mit Metatropeasis geklärt hätten hier in der TARDIS stecken würden, war uns erst im zweiten Schritt eingefallen. „Ihnen ist bewusst, dass ich kein Freund von Geiselnahmen bin?“ „Wenn Ihnen auch bewusst ist, dass sie ansonsten die TARDIS in Flammen setzen oder abholzen werden?“ Denn genau diese Aussicht hätten wir wohl, täten wir es nicht. Die blaue Box musste für die Londoner inzwischen wie das rote Tuch wirken, welches den Stier in der Arena zur Kampfwut entfachte. Ständig passierten seltsame Dinge um dieses Gebilde, da wäre es kein Wunder, wenn sie sie beseitigen wollten? Mein Bauchgefühl sagte mir das zumindest. Während der Doktor und ich die beiden Beamten also an eine Stelle innerhalb der Steuerzentrale setzten, die für sie weder gefährlich, noch eine Möglichkeit zur Flucht bedeuten konnte, betrachtete uns die Arcateenianerin neugierig. Vielmehr mich. Womöglich, weil ich immer noch im Trenchcoat des Doktors steckte, wie mir in all dem Tumult nicht aufgefallen war. Nun aber, nachdem die zwei mit ihren eigenen Handschellen befestigt worden sind, erhob ich mich und zog ihn aus. „Hier“, reichte ich ihm das Kleidungsstück und mit einem kurzen Dank warf er sich den Mantel über. „Haben Sie die Handschellen mit dem Schallschraubenzieher irgendwie gesondert gesichert?“, wollte ich wissen, mich immer noch etwas unwohl fühlend bei der Tatsache, dass diese beiden Männer hier alleine wären. „Wozu?“, entgegnete mir der Braunhaarige und sah mich fragend an, „Die beste Methode, dass sie hierbleiben, habe ich in meine Hand.“ Ich erwiderte nichts, blinzelte nur irritiert und sah, wie der Doktor dann mit einem Grinsen auf den Lippen die beiden Schlüssel hochhielt, „Eine einfache aber wirkungsvolle Mechanik. Da braucht es keine weiteren Accessoires. Apropos, wollen Sie sich dieses Mal nicht lieber umziehen? Wo wir schon einmal hier sind?“ Richtig. Das sollten wir in der Tat. Ich vor allem, die hier am meisten Aufsehen erregte. „Kommen Sie mit. Wir werden den Kleiderfundus der TARDIS sprechen lassen müssen. So gut Ihr Zimmer hier auch ausgerüstet ist, denke ich nicht, dass Sie viktorianische Kleidung besitzen, oder?“ „Wohl kaum.“ „Ehm … Doktor?“, erklang da die Stimme der Arcateenianerin, als wüsste sie nicht, was sie in der Zwischenzeit anfangen sollte. „Natürlich kommst du mit“, sprach der Doktor wie selbstverständlich und drehte sich dann auf dem Hacken um, um Richtung TARDIS-Innere zu gehen, „Bei allem Respekt, aber ich lasse sie wohl kaum eine Sekunde aus den Augen“, raunte er mir dabei noch zu, woraufhin ich nur nicken konnte. Das wäre wohl wirklich keine allzugute Idee. Während der Gang durch die TARDIS für mich nun inzwischen doch etwas weniger aufregend war, war es für Metatropeasis das ganze Gegenteil. Ihr entfuhren immer mal wieder Ausrufe wie „Wow“ und „Was ist das?“, auf die der Timelord allerdings nicht einging. Ich glaube, wir beide bekamen mehr und mehr das Gefühl, dass wir es hier wirklich mit einem Teenager in Frauengestalt zu tun hatten. „Da sind wir“, verkündete er dann auch schon und stieß eine Tür auf, die uns tatsächlich in eine Art Kleiderfundus führte. Eine Wendeltreppe trug die Stufen bis zum Boden und an der äußeren Geländerseite befanden sich reihum Stangen mit Klamotten aller möglichen Zeiten dieser Welt. Ich war verblüfft, aber eigentlich war es doch auch ganz klar, wo der Doktor nun schon gut neunhundert Jahre lebte und das Weltall gereist war, nicht? „Seien Sie ganz frei und suchen Sie sich etwas heraus.“ Das würde keine leichte Aufgabe sein. Meine Nase hatte nun mehr auch die verschiedenartigen Gerüche aufgenommen, die von den Stoffen ausging. Es war ähnlich wie in einem Vintageladen – Die Note von alten Textilien und Staub lag in der Luft. Es löste einen Niesreiz bei mir aus, den ich nicht unterdrücken konnte und der mich entschuldigen ließ. Meine Beine trugen mich einige Stufen tiefer. Ich zog hier und da etwas hervor, aber hatte bisher noch nichts passendes gefunden – immerhin war auch die Größe entscheidend, und das meiste war mir einfach zu klein. Am Fuß angekommen, sprang mir plötzlich ein bordeauxfarbener Langärmel ins Auge und ich zog an der Schulterpartie, um das Stück zwischen all den anderen hervorzuziehen. Der Doktor war als Letzter gefolgt und während unsere Besucherin ganz verblüfft in ihrer eignen kleinen Welt war, hatte er sich ebenso am Treppenansatz gestellt und die Ellbogen aufs Geländer abgestützt. „Nur zu, die Umkleide befindet sich gleich dort – mit Spiegel“, deutete er lächelnd mit dem Zeigefinger zu meiner Rechten. Ich ließ mir das nicht zweimal sagen und machte mich auf, in jenes Kostümmonster zu steigen, dass ich gefunden hatte: Zunächst einmal war da die schmal geschnittene schwarze Bluse, welche einen hoch angesetzten Spitzenkragen besaß und ebenso jene an der Knopfleiste. Schon da wusste ich, dass man als Frau hierzulande eher gezwungen war, ein formendes Korsett zu tragen, aber auch wenn es etwas an der Brust zwickte, würde es schon gehen. Zumindest drang nichts nach außen, was nicht nach außen gehörte und ich konnte mich von der Schulterpartie und den Armbesätzen gut bewegen. Es folgte ein einfacher schwarzer Unterrock, gefolgt vom bordeauxroten Überrock. Und weil die ganze Klamotte noch nicht füllig genug war, folgte nun noch der ebenso bordeauxfarbene Gehrock, welcher ein kaum auffälliges Royalmuster aufwies. Wie man es zu damaligen Zeiten kannte, war der hintere Teil gerafft und bescherte der Dame den typisch fülligen Hintern. Der Oberkörperpart und die Ärmel waren recht schmal geschnitten, um wohl die Grazie der Frau zu betonen. Meine Stiefel waren jetzt zwar nicht perfekt, aber die taten auch keinen größeren Abbruch. Ich sah in den Spiegel vor mir und wusste selbst nicht, was ich zu dem Ergebnis sagen sollte. Irgendwie kam ich mir wie auf einem Kostümball vor. Nicht, dass ich historische Kostüme nie hatte tragen wollen, nur war der Umstand gerade etwas ungünstig. Hm … aber etwas fehlte … Ich sah mich um und entdeckte noch die kleine Kopfbedeckung, die ich mit in die Umkleide genommen hatte. Und wenn die TARDIS meinen Kleiderschrank gut kopiert hatte, dann müsste … Bingo! In der schwarzen kurzen Hose, die ich zuvor getragen hatte, fand ich eine Zopfhalter vor und drapierte mir so die Haare nach oben, ehe ich das kleine schwarz-bordeauxfarbene Hütchen aufsetzte, welches das Outfit komplett machte. Dann griff ich zu meinem Lippenstift – denn ja, dummerweise hatte ich diesen ebenso in den Hosentaschen – und zog zwei kräftige Striche. Fertig. Keine Ahnung, wie lange ich gebraucht hatte, vermutlich eine gute Viertelstunde, um mit den ganzen Stofflagen klarzukommen. Nun mehr fertig, trat ich hinter dem Vorhang hervor, etwas unsicher wie ich wohl wirken würde und sah dann zum Doktor und somit auch zu unserem Gast auf, deren Augen merklich größer wurden. „Das … ist um ehrlich zu sein etwas … seltsam“, fiel mir nichts Besseres ein. „Ja, es passt nicht zu dir. Man merkt, dass du nicht aus dieser Zeit kommst“, trug die Arcateenianerin ihr nicht vorhandenes Herz auf der toten Zunge ihres geliehenen Körpers. Mir zuckte der Mundwinkel nach oben, aber sie setzte sogleich zu einem weiteren Kommentar an, als dass ich gar nicht zum Sprechen kam, „Allerdings siehst du dennoch wirklich schön aus.“ Das Lächeln, das sich bei ihr zeigte, schien ehrlich, so dass ich es mit gleichem quittierte. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie der Doktor seinen Kopf nun mehr in der Handfläche abstützte und einen amüsiert, freudigen Gesichtsausdruck trug, als er mich betrachtete. Nicht diesen, den er Rose schenken würde, aber auch nicht abgeneigt. Also habe ich zumindest nicht gänzlich danebengegriffen, was die Londoner Mode Ende des neunzehnten Jahrhunderts betraf. „Schauen Sie zu ihren Füßen, linke Seite. Dort sollten die passenden Schuhe stehen, gab er mir noch als Tipp und sah sich dann selbst einmal im Fundus um. Den Trenchcoat, den er bis eben getragen hatte, über das Geländer werfend, hatte er fix einen zeitgenössischen schwarzen Gehrock gefunden. „Ich denke, damit sind wir gut ausgerüstet, Miss Garcia?“ Ich musste bei dem Namen grinsen, vor allem, als er seinen fix hervorgezogenen Zylinder mit einer verneigenden Geste vor mir hielt und schließlich aufsetzte. „Aber natürlich Mister Smith. Ich kann es kaum erwarten, die Gesellschaft der Londoner Upperclass kennenzulernen.“ „Sie meinen wohl eher das ganze Gegenteil“, verwies er auf Metatropeasis und hielt für einen weiteren Moment inne. Schließlich war er ein paar weitere Stufen hochgesprintet und hatte erneut den Fundus zu Rate gezogen. Hervorkam ein grauschwarzer zeitloser Poncho und ein damenhafter Rundhut, ebenso eine Art Scherpe. „Tu mir den Gefallen und leg dir das um den Hals“, ließ er die Sachen in Metatropeasis' Hände fallen, die etwas überfordert mit den Gütern war und tatsächlich versuchte, den Poncho um den Nacken zu schlingen. Das ging durchaus, war aber nicht so gedacht. „Warte“, rief ich und kam auf sie zu. Ihr die Scherpe abnehmend, legte ich diese mehrfach um den Hals und verknotete schließlich die Enden ordentlichen vor der Brust. Danach legte ich ihr den Poncho um die Schultern, der lang genug war, als dass er den Schmutz und die Risse in ihrem Kleid bedeckte. Ihr den Hut auf den Kopf setzend, war sie dann ebenso bereit. Wir sahen uns einen Moment in die Augen und ich wusste nicht, was das für ein Gefühl war, was mich dabei durchdrang, doch konnte ich es als etwas identifizieren, was mir mitnichten fremd war. So etwas wie … Sorge. Die Angst, alleine auf sich gestellt zu sein. Und wenn es das war, was ihr hier Kummer bereitete, so konnte ich ihr jenen zumindest ein bisschen nehmen. Denn das war etwas, was ich nie wollte, dass es andere genauso erfahren müssten. „Besser. Und jetzt … werden wir diesen Körper erst einmal wieder zurückbringen und dann schauen wir, ob wir einen anderen für dich finden, um nach einer Lösung zu suchen, okay?“ Metatropeasis nickte, doch konnte ich die Enttäuschung in ihren Blick ablesen. Die Enttäuschung, dass ihr Plan nicht aufging und sie nicht einfach hierbleiben konnte. „Verstehst du … was der Doktor meint?“ „Dass ich nicht hierbleiben kann? Nicht wirklich.“ Ich überlegte einen Moment und nahm dann zaghaft ihre Hand in meine. Es kostete mich etwas Überwindung, weil mein Gehirn mir sagte, dass ich hier gerade eine Tote berührte, aber ich musste dieses unangenehme Gefühl überwinden, um ihr helfen zu können. Zumindest irgendwie unterdrücken. Und deswegen atmete ich einmal tief durch, ehe ich weitersprach: „Probleme mit seiner Familie … das haben viele in deinem Alter. Egal, ob jetzt Mensch oder Arcateenianer. Ist normal. Weil man anfängt, selbst zu denken und sich nicht alles sagen lassen will. Man geht in Diskussion und es endet nicht immer gut. Es ist auch keine Schande, dass du ausgerissen bist. Das wollte ich damals auch. Aber Leute, die älter sind als du, haben meist auch mehr Erfahrung – und wenn ich dir sage, oder eben gar der Doktor, dass es ein Fehler ist, den du gerade begehst, dann versuche dieser Meinung gegenüber offen zu sein. Er ist der Letzte, der dir etwas Böses will. Ganz im Gegenteil.“ „Dann soll er mich doch hier lassen“, entgegnete die junge Arcateenianerin leise. „Und was willst du hier machen?“, hakte ich nun mehr etwas schroffer nach, „Du wirst hier nicht glücklich werden. Sobald die Leute erfahren, dass du kein Mensch bist, werden sie dich jagen. Weil sie denken, dass du ihnen etwas antust.“ „Aber das tue ich nicht“, wurde sie lauter und zog damit auch die Aufmerksamkeit des Timelords auf sich, der sich nun auf dem Weg zu uns begab, Stufe um Stufe. „Doch das tust du!“, spiegelte ich ihre Reaktion prompt, „Weißt du, was du den Menschen hier antust, wenn du in die Körper ihrer toten Lieben fährst? Wenn sie dich dabei sehen? Und du musst dich ernähren! Immer und immer wieder musst du dir Herzen einverleiben, damit du überhaupt leben kannst. Ist es das wirklich, was du willst?“ Argh, ich mochte es nicht, wenn ich so auffuhr. Ich hasste Streit, aber Sturköpfigkeit – die ich selbst nicht weniger besaß – hasste ich an solchen toten Punkten noch mehr. Wäre sie ein Dackel gewesen, hätte ich sie einfach auf dem Arm genommen und sie fortgetragen. Effektive Methode für nicht wollende Hunde wie diese. „Es ist immer noch besser als zurückzugehen!“ Die kurze Verbundenheit, die wir zueinander gespürt hatten, war da mit einem Mal wieder vollkommen dahin und obwohl es für mich nichts neues war, als Böse dazustehen, schmeckte es mir gewiss nicht, dass sie sich nun wieder drohte zurückzuziehen. Aber deswegen konnte man ihr kaum ihren Willen lassen, der für mehr Unglück und Probleme sorgen würde als Abhilfe. „Schön, und warum hast du dann den Doktor um Hilfe gebeten?“ Keine Antwort. „Ja, daraufhin weißt du nämlich nichts zu sagen, weil dir genauso klar ist wie mir, dass du ohne Hilfe hier nicht überlebst! Dass du dich in eine absolut beschissene Situation gebracht hast. Dass der Doktor deine einzige Chance ist hier rauszukommen und du nicht jämmerlich sterben musst! Und weil du verdammt noch mal ganz genau weißt, dass er Recht hat, dass ich Recht habe und dass es die Gefahr, in die du dich wegen deines dummen Stolzes gebracht hast, kein Stück Wert war!!“ Kaum hatte ich geendet, spürte ich den kräftigen Griff des Doktors an meinem Unterarm und ich fuhr ein bisschen erschrocken hoch. Ich hatte ihn nicht kommen sehen und ich hatte auch seine Stimme ausgeblendet, als er mich bereits zweimal beim Namen gerufen hatte. Genauso wenig, wie ich noch auf meine Gegenüber geachtet hatte, die nun beschämt den Kopf gesenkt hielt. Einzig und allein das Echo, welches widerhallte verriet mir, wie laut ich geworden war. So standen wir nun zu dritt hier und Metatropeasis war die Erste, welche die Stimme erhob und relativ gefasst für meinen Anranzer eben verkündete, dass sie oben warten würde. Ihre Schritte waren allerdings flüchtender Natur und ich lehnte mich an das Geländer, als ich oben die Tür zugehen hörte – ebenso lauter als nötig. Der Doktor hatte mich nun auch wieder losgelassen und verhielt sich schweigend. Was sollte ich sagen … war ich doch mehr von allem überfordert als ich zugab? Was war da aus mir herausgebrochen? „Ich sollte auf keinen Fall Kindergärtnerin werden“, gab ich schließlich zynisch von mir, vermied es allerdings aufzusehen, „Immer wenn ich ruhig bleiben will, raste ich schließlich doch aus oder finde Worte, die den anderen zusetzen.“ „Das ist menschlich. Ihr könnt Empathie empfinden, aber auch Wut und Hass. Aber ihr konntet noch nie komplett die Kontrolle über eure Gefühle halten.“ „Stimmt wohl.“ Ich seufzte leise und blickte dann doch noch schlussendlich zu ihm auf, „Manchmal wäre es wünschenswert, wenn wir es könnten.“ „Sagen Sie das nicht, das wäre mit der Zeit ziemlich öde.“ „Stimmt auch wieder.“ Ein paar Sekunden mit Schweigen verbringend, setzte ich schließlich noch einmal an, „Ich … möchte nur nicht, dass sie ins Unglück stürzt. Sie ist immer noch ein Kind und dass sie Ihre Hilfe gesucht hat, Doktor …“ „Ich weiß, was Sie meinen“, erwiderte der Timelord und machte dann Anstalten, schließlich ebenso nach oben zu gehen, „Wir werden sie auch definitiv wieder zurückbringen.“ Ich nickte und lächelte schwach. „Es tut mir leid für den Ausraster …“ „Bei mir müssen Sie sich nicht entschuldigen. Obwohl ich zugeben muss, dass Sie ein ganz schön lautes Organ besitzen! Autsch!“, rieb er sich das Ohr, worauf ich nur ein wenig empörtes „Hey!“ entgegenwarf. Aber natürlich lag er richtig. Nicht er war der Leidtragende an der Auseinandersetzung eben gewesen. „Lassen Sie uns aufbrechen, bevor es dunkel wird.“   Unser neues Ziel war also das Leichenhaus. Die Reise wurde doch ehrlich immer unterhaltsamer. Das hätte ich zumindest gerne gesagt. Im Grunde ging mir aber gerade ein bisschen der Hintern auf Glatteis. Zum einen waren wir immer noch auf der Flucht. Zum anderen mussten wir eine Leiche zurück bugsieren, um mit einer neuen zu entkommen. Das waren nicht gerade die Aussichten, die ich mir für meinen Aufenthalt hier erhofft habe. Zudem … was würde sein, wenn wir einen Weg gefunden hatten, unsere Arcateenianerin zu ihren Heimatplaneten zurück zu bringen? Also, was würde dann mit der Leiche passieren? Wollte ich das wissen? „Du weißt noch, wo du diesen Körper gefunden hast?“ „In etwa ja.“ In etwa also. Na besser als ein Keine Ahnung. „Was sollen wir machen? Ablenken, damit sie sich einschleusen kann?“, fragte ich den Doktor leise, während wie an der seitlichen Hauswand standen und uns so im Schatten der kleinen Gasse gedrückt hielten. „Das wird wohl das Beste sein. Keiner von uns beiden wird wohl erklären können, wie wir Elizabeth Stride getroffen haben.“ Wohl kaum. Also gut. Gemeinsam gingen wir beide also auf den Eingang des Krankenhauses zu. Anders als die heutigen Kliniken, meldete man sich dort direkt am Empfang und wurde erst danach weiterverwiesen. Wir müssten Metatropeasis also genug Zeit verschaffen, als dass sie sich entweder in die Leichenhalle schleichen konnte oder aber sie konkret dorthin bringen. Ich warf einen Blick über meine Schulter. Der lange Poncho und der Hut taten gut daran, ihre Identität zu verbergen. Zumindest wurde so erst einmal die Gefahr geschmälert, dass man ihr ins Gesicht guckte. „Kann ich Ihnen behilflich sein?“, sprach uns eine Schwester um die dreißig an und sah dabei von ihren Unterlagen, in die sie gerade blickte, zu uns über ihren Brillenrand auf. Ich musste schmunzeln, als ihr mir ihre Arbeitskleidung betrachtete: Heutzutage wurde darauf sehr geachtet, dass sowohl Frauen als auch Männer die gleiche Kleidungsform trugen, um das vorherrschende Klischee des Frauenberufes weiter zu reduzieren. In dieser Zeit allerdings war es genau das: ein Frauenberuf. Und entsprechend waren auch die Gewänder gestaltet: eine langärmlige, ausgestellte dunkle Tracht, über die ebenso fast bis zum Boden eine weiße Schürze reichte. Ärmelschaft und Kragen waren weiß gehalten und auf dem Kopf der Dame mit den zurückfrisierten Haaren befand sich eine Schwesternhaube. Auf der einen Seite hätte ich gerne einen Tag hier verbracht, aber auf der anderen Seite wusste ich auch, mit was für Krankheiten die damalige Medizinerschaft zu kämpfen hatten: Cholera, Tuberkulose, Diphterie, … jene Krankheiten, die wir in unserer Zeit zumindest in der westlichen Hemisphäre so gut wie ausgerottet wussten. Ich war nicht gerade scharf darauf, mir einen jener Erreger einzufangen und mein Respekt gegenüber Ärzten und Schwestern wuchs hier sogleich um ein weiteres Vielfaches an. Es war kein Wunder, dass man den Schwestern so gut wie kein Einkommen zuließ – immerhin wurde nicht erwartet, dass sie lange lebten. Wenn man immer dachte, dass gerade Ärzte und Pflege besonders immunstark waren, so waren es diejenigen, die vielleicht neben den Kohle- und Tagebau mit am meisten durch ihren Beruf verkümmerten und früher als andere starben. „Oh, das wäre wirklich zuvorkommend“, sprach der Doktor und trat einen Schritt vor. Er zog den Zylinder wie ein echter Gentleman und setzte eine ernste Miene auf, „Sie müssen wissen, wir sind auf der Suche nach der Schwester meiner Schwägerin, Miss Lydia Crawford. Uns wurde bekannt gegeben, dass sie in ein Londoner Krankenhaus untergebracht wurde, allerdings hatte man uns in dem Trubel nicht zukommen lassen, welches Krankenhaus.“ Seine Lippen zierte ein charmantes Lächeln, als er sich nun mehr an den Tresen stellte. Die Augenbrauen der Schwester gingen ein wenig skeptisch nach oben, als sie einen nach dem anderen unsereins kurz begutachtete. „Und Sie wollen sie alle besuchen?“ „Nein, nein“, widersprach der Timelord schnell, „Nur ich möchte sie gern besuchen, aber meine Begleitung bestand darauf, dass sie mitkommen. Sie müssen wissen, dass ich hin und wieder unter Dusel leide. Sie machen sich nur Sorgen.“ „Oh, wurde das bereits untersucht?“, wurde die Schwester nun aufmerksamer und ich merkte regelrecht, wie sie in ihrem Kopf nach allerhand Krankheiten suchte, die auf dieses Symptom zutrafen. Wohl bemerkt wusste ich nicht, was Dusel überhaupt darstellte und wartete auf eine entsprechende Erklärung, „Passiert Ihnen das öfter, Mister …?“ „Smith“, half der Doktor weiter, „John Smith. Und ja, so ziemlich jeden Morgen beim Aufstehen. Und jeden Abend nach einem guten Glas Whiskey.“ Das Grinsen auf seinen Lippen wurde etwas breiter und er stützte sich nun mehr mit dem Ellbogen auf den Tresen auf. „So … Mister Smith, vielleicht reagiert Ihr Körper nur einfach etwas empfindlicher auf den Alkohol und Sie sollten diesen wohl abends reduzieren?“, sprach die Schwester, sein Lächeln minimal erwidernd, ehe sie ein Buch hervorzog, aus welchem ein Lesezeichenband hing. „Diese Idee ist mir noch gar nicht gekommen! Brillant!“ Ich kam nicht umhin mit den Augen zu rollen. Das wurde mir etwas zu viel des Guten. „Wie hieß noch einmal Ihre Bekannte?“, hakte die Schwester nach und begann in dem Buch zu blättern. „Miss Lydia Crawford.“ „Um es richtig zu stellen: Sie müsste eigentlich bereits als Lydia Eliot eingeschrieben sein“, korrigierte ich und kam auf einen Schritt neben ihn. Unsere Gegenüber sah erneut auf und blinzelte, „Sie hat also geheiratet?“ „Ja, es ist aber erst ein paar Tage her und da uns die Nachricht erst vorgestern erreichte, weiß ich nicht, ob bereits alle Formalitäten geklärt worden sind“ In der Tat, ich glaubte mir fast selbst. „Nun, dann lassen Sie mich einen Moment bitte nachsehen. In welchen Krankenhäusern waren Sie bereits?“ „Oh, im Barts und im St. Thomas“, antwortete er Doktor – natürlich gelogen, aber es schien zumindest für keine große Aufregung bei der Schwester zu sorgen, während sie eine Seite umblätterte. Ich schaute mich währenddessen unauffällig um. Wir hatten eine gute Zeit erwischt, es war vollkommen ruhig. Es könnte also funktionieren. Ich räusperte mich leise. Metatropeasis an meiner Seite sah auf und sie gab mir mit einem leichten Nicken zu verstehen, dass sie die Zeit, die wir hier gerade herausschlugen, nutzen würde, um den Weg zurück in die Leichenhalle zu gehen. Mich also ebenso der Schwester wieder widmend, die nun die dritte Seite umschlug, hoffte ich nur, dass sie Erfolg hätte. Ich wusste nicht, wie wir ihr hier sonst ohne viel Aufruhr helfen könnten? „Verstehe. Wissen Sie, warum Sie eingeliefert wurde? Ich kann Ihren Namen bei uns nicht finden.“ „Vielleicht ist sie auch unter Lydia Hamlin eingetragen?“ Die Blicke des Doktors und der Schwester kreuzten sich, „Sie müssen wissen … Miss Lydia ist als uneheliches Kind zur Welt gekommen. Ihr Mädchenname ist Hamlin.“ Das war natürlich skandalös und deswegen sprach man auch nur mit gedämpfter Stimme über die Angelegenheit. So wie eben der Doktor es tat. Wir hielten uns in Schweigen auf, während wir auf ein – natürlich negatives – Ergebnis warteten. Es verstrich einiges an Zeit und das war auch gut so, denn keiner von uns beiden wusste, wie lange Metatropeasis brauchen würde, um wieder neben uns zu stehen. „Nein, tut mir leid, ich kann Ihre Bekannte nicht finden, Mister Smith. Da werden Sie wohl leider weitersuchen müssen. Nicht weit entfernt liegt das Mile End Hospital.“ „Oh, das ist ein wunderbarer Ratschlag. Den werden wir befolgen, nicht?“ Ich nickte und warf einen flüchtigen Blick durch die Halle. Niemand zu sehen. Niemand, der sich wie unsere Arcateenianerin verhielt. Was nun? „Es tut mir Leid, dass ich Ihnen leider nicht besser behilflich sein konnte. Ich hoffe, Sie finden Ihre Bekannte.“ „Danke, das ist wirklich sehr freundlich von Ihnen.“ Ich hörte die beiden zwar miteinander sprechen, aber die genauen Worte gingen an meinen Ohren vorbei. Wo ich noch den Schwächeanfall bei den Polizisten vorgegaukelt hatte, fühlte ich mich gerade wirklich ein bisschen elendig. Vermutlich war es die Mischung aus den zu warmen Schichten der Kleidung, die ich trug, die nicht gerade magenfüllende Mahlzeit des Gefängnisses und dann noch die dicke nach Medizin und Desinfektion riechende Luft, was mir gerade ein wenig das Blut in die Beine sacken ließ. „Miss, ist alles in Ordnung?“ Ich blickte zu der Krankenschwester, antwortete nur mit einem „Was?“, als ich deren besorgtes Gesicht sah. Der Doktor blickte nicht minder erschrocken drein. Sah ich so schlimm aus? „Ich glaube, ihr bekommt die Luft nicht“, versuchte der Timelord zu erklären, aber auch diese Worte glitten irgendwie an mir vorbei. „Schon gut, da ist sie nicht die Erste.“ „Alles okay, keine Sorge“, wollte ich beschwichtigen, doch spürte ich da bereits, wie mich zwei Hände fachgerecht stützten und ich so zu einem Stuhl geführt wurde, der unter einen unangenehmen Scharren herangezogen wurde. Mein Hintern fand Platz auf diesem und das auch keine Sekunde zu früh, da mir dann wirklich schwarz vor den Augen wurde. „Versuchen Sie, bei uns zu bleiben und sagen Sie mir bitte, wie Sie heißen!“ Der Zeige- und Mittelfinger der Schwester ertasteten meinen Radialispuls des linken Handgelenkes. „Alexandra … Garcia.“ Ja, das kriegte ich noch hin. „Gut, und wo befinden Sie sich?“ „In London. Im Krankenhaus.“ „Ist Ihnen öfters schwindlig?“ „Ein wenig.“ „Das passiert vielen jungen Frauen.“ Weil viele junge Frauen mit einem niedrigen Blutdruck zu kämpfen hatten und sich abmagerten. Letzteres zumindest zur damaligen Zeit, in der wir uns befanden. Aber ich schwieg und tat so, als wüsste ich nichts. Mir war in Wahrheit einfach nur zu warm, die Kleidung etwas beengend und ich hätte gerne frische Luft getankt. „Ich bringe Ihnen ein Glas Wasser. Mister Smith, passen Sie derweil bitte auf Miss Garcia auf?“ „Natürlich.“ „Ich bin gleich wieder da.“ Die Krankenschwester entfernte sich flotten Schrittes und ließ uns so einen Moment allein. „Entschuldigung“, entfloh es mir und ich versuchte mich dabei mehr auf meine Atmung als alles andere zu konzentrieren. „Nun zum Glück sind Sie an der richtigen Stelle. Und verschaffen unserem Arcateenianer etwas mehr Zeit.“ „Sehe ich sehr blass aus?“, wollte ich wissen und blickte langsam zum Doktor auf. Aus seinem Gesichtsausdruck konnte ich mir die Antwort schon schließen – aber natürlich sprach er jene auch aus. „Selbst für Ihre Verhältnisse sind Sie mir ein bisschen sehr fahl, ja.“ „Dann schaue ich besser nicht in einen Spiegel.“ „Zumindest verschaffen sie uns so gerade eine Menge zusätzlicher Zeit.“ Ich musste angestrengt lächeln. Wo er Recht hatte, hatte er Recht. Die Schwester kam schließlich mit einem größeren Glas Wasser zurück und sobald ich dieses getrunken hatte, ging es zumindest meinem Kopf wieder ein bisschen besser. „Ruhen Sie sich noch einen Moment aus, Miss Garcia. Und vielleicht sollten Sie Ihren Gehrock ablegen. Ich glaube, Sie sind just ein bisschen überhitzt.“ ich stimmte zu und machte Anstalten, mir das Kleidungsstück zu öffnen und somit für etwas Erleichterung und Luftzufuhr zu sorgen. „Sie werden bei Ihrer Begleitung bleiben, oder Mister Smith?“ „Natürlich“, versicherte der Doktor, als er von ihr angesprochen wurde. „Gut, ich muss nun nämlich die Medikamente für die Patienten in diesem Trakt vorbereiten. Wenn sich Miss Garcia schlechter fühlen sollte, bin ich gleich dort drüben.“ Sie deutete mit dem Finger auf den rechten Flügel, der von der Eingangshalle abging, „Rufen Sie mich einfach.“ „Oh, das erinnert mich daran, dass wir gar nicht Ihren Namen kennen?“ Nun mehr lag es an der Schwester irritiert und gleichzeitig etwas verlegen zu sein, „Verzeihen Sie bitte die Unhöflichkeit. Ich bin Schwester Anne.“ Ja, das passte gut zu ihr. Sie wirkte auf mich wie eine Anne. Ich musste leicht schmunzeln, als meine Erinnerung mir ein Bild meiner alten Freundin Anne abspielte – ein rothaariges Mädchen mit Sommersprossen, die ebenso Krankenpflegerin geworden ist. „Haben Sie in der Schwesternschule von Florence Nightingale gelernt?“ Schwester Annes Mundwinkel zuckten nach oben und sie streckte ein bisschen stolz die Brust hervor, „Sie haben davon gehört, Mister Smith?“ „Natürlich. Die Schwesternschule wird nur in höchsten Tönen gelobt!“ „Nun, dann hoffe ich doch, dass ich den Erwartungen gerecht werden kann“, kicherte sie nun sogar und entschuldigte sich schließlich, um ihrer Arbeit nachgehen zu können. „Sie wissen, wie Sie Frauen umgarnen können“, bemerkte ich fast schon ein bisschen zynisch und sorgte damit nur für ein fragendes Augenbrauenhochziehen bei Doktor. Leicht den Kopf schüttelnd, wedelte ich mir ein bisschen Luft zu und sah mich aus meiner sitzenden Position dann um. Immer noch kein Zeichen von unserer Außerirdischen. In jenem Moment allerdings, wie es meistens ja so war, erklangen plötzlich Schritte aus dem linken Flügel. Der Doktor und ich sahen zeitgleich auf. Der dunkelgraue Poncho kam mir sehr bekannt vor und auch der Hut, der den Kopf der uns Fremden schmückte, war doch eindeutig jener, den wir aus der TARDIS mitgenommen hatten. Kein Zweifel, das war sie. Anders als zuvor, hatte sie nun mehr allerdings nicht mehr den Körper einer fast Dreißigjährigen übernommen, sondern den einer weitaus jüngeren Frau. Mir kam sofort der Gedanke, dass diese Gestalt nun eindeutig besser aus zu Metatropeasis Auftreten passte als der Vorherige. Sie brauchte hier auch nicht mehr die Scherpe tragen, die ich ihr zuvor um den Hals gelegt hatte, nutzte sie aber dennoch als eine Art Überhang. Vielleicht gefiel ihr diese einfach nur. Die Kleidung, die sie unter dem Poncho trug, konnte ich bis auf die weiße Spitze am Knöchel nicht erkennen. Wenn sie sich allerdings den Körper einer Toten holen musste, dann war es wohl gar nicht anders möglich, als dass es sich hier um Leichenkleid handelte. Mir schauderte es etwas bei dem Gedanken. Dennoch war ich ausgesprochen froh, dass sie hier war. Es bedeutete, wir könnten aufbrechen und zurück zur TARDIS. „Es hat etwas länger gedauert. Ich habe den Weg nicht sofort gefunden“, erklärte sich Metatropeasis daraufhin, „Und ich brauchte etwas, einen passenden Körper zu finden.“ „Nun, das hast du getan. Dieses Mal aber nicht wieder ein Opfer eines Serienmörders?“ „Nein, ich habe mich vorher umgesehen“, schüttelte sie den Kopf und aschblonde Locken wackelten dabei lustig mit, „Sie ist an plötzlichem Herzversagen gestorben.“ Wow, das machte es gleich viel besser. Ich verkniff mir einen Kommentar. Wenn es mir nicht gut ging, dann war ich meist ein bisschen schnippisch, und das musste ich keinem meiner Umgebung antun. „Wir müssen uns auf dein Wort verlassen“, nickte der Doktor und sah dann wieder zu mir, „Meinen Sie, Sie können wieder?“ „Bestimmt“, nickte ich und atmete einmal tief durch, ehe ich mich auf die Armlehnen mit meinen Händen abstützte und schließlich hochschwang. Der Schwindel war so gut wie weggeblasen. Ich zog mir den Gehrock wieder ordentlich an, ließ ihn aber halb geöffnet. Auch wenn das nicht so manierlich war, war es mir immer noch lieber, als gleich erneut fast in Ohnmacht zu fallen. Die ersten Schritte waren noch zögerlich, aber sobald ich Fuß gefasst habe, konnte ich meine Beine dazu überreden, wieder ordentlich zu arbeiten. Wir sollten die Gunst der Stunde nutzen und uns aufmachen, bevor Schwester Anne wieder zurückkäme und Metatropeasis bemerkte. Ich hatte schon mit einer Verfolgungsjagd gerechnet, aber überraschenderweise gab es keine Probleme. Nein, wir kamen ganz ohne solche aus dem Gebäude und konnten ebenso ruhigen Schrittes die Straße verlassen. „Und du hast den Leichnam auch wieder dort hingebracht, wo du ihn gefunden hattest?“, erkundigte sich der Doktor bei Metatropeasis, die daraufhin nickte. „Ja, zumindest so in etwa.“ „Was soll das bedeuten?“ „Na ja“ Sie druckste ein bisschen herum und legte den Kopf zur Seite, „Ich habe ihn dort hingebracht, wo ich ihn gefunden habe, ja. Aber der Platz war schon besetzt.“ Ich ahnte, was sie meinte: Die Leichenkammern, in denen die Toten gekühlt aufgehoben wurden – oder in der damaligen jetzigen Zeit zumindest verwahrt. Klar, wenn dort ein Toter verschwand, dann würden sie den Platz für einen neuen räumen. „Du... hast sie dort also... abgeladen?“, mutmaßte ich und ich die Stimmung unserer Außerirdischen wirkte sogleich ein bisschen angeknackst, „Nicht abgeladen. Ich habe sie dort auf eine Liege gelegt.“ Also abgeladen. „In Ordnung, jedenfalls ist sie wieder dort, wo sie hätte sein müssen“, sprach der Doktor beschwichtigend und ich stimmte ihm zu. Mehr konnten wir gerade nicht tun. „Wir machen uns jetzt auf dem Weg zur TARDIS und werden dann zusehen, dass wir dich so schnell wie möglich wieder zurückbringen, bevor ein noch größeres Chaos entsteht.“ Daraufhin hatte Metatropeasis keine Erwiderung mehr. Unser vorheriger Streit lag ihr wohl noch zu gut in den Ohren, als dass sie sich jetzt widersetzen wollte. Zumindest nicht sichtbar. Ich konnte natürlich nicht wissen, was in ihrem Kopf vorging. Ich hoffte nur, dass sie keine Anstalten machen würde, abzuhauen. „Du sagtest, dass du von deinem Heimatplaneten geflüchtet bist? Was ist vorgefallen, dass du bis zur Erde gekommen bist?“ Der Gesichtsausdruck der Arcateenianerin wurde schwermütiger, nahezu verletzlich. Sie hatte darüber noch kein Wort verloren, was der eigentliche Grund hinter ihrem Ausreißen war und man konnte ihr anmerken, dass sie es auch jetzt nicht wollte. „Wenn es einen Grund gibt, warum wir also mit Fanfaren oder Ketten auf Arcateen V empfangen werden, würde ich das gerne vorher wissen.“ Zu recht. Auch wenn er der Doktor war und Abenteuer zu seinem Leben gehörten wie für uns Menschen das tägliche Atmen, waren auch ihm hin und wieder ein paar Informationen nicht zu wider. Metatropeasis wog mit sich selbst, aber als sie dann wieder zu uns aufsah, entfuhr ihr ein Seufzen und sie rückte schließlich mit der Sprache raus: „Sie wollten mich zwangsvermählen.“ Okay, das war … überraschend. „Oh, eine von den Eltern arrangierte Ehe. Der Klassiker. Egal in welcher Zeit und egal welche Rasse es betrifft, letzten Endes kommt es immer wieder zu diesem Generationsstreit“, bemerkte der Doktor in meine Richtung. Ich verzog den Mund zu einer schiefen Linie: „Kann ich nachempfinden. Ich wäre wohl auch abgehauen, wenn mich meine Eltern dazu zwingen wollten“, musste ich mich auf Metatropeasis' Seite stellen. Niemand wollte so über sein Leben entschieden wissen. Dass sie deswegen allerdings gleich ihren Planeten verließ … Nun gut, das war auch in meinen Augen etwas zu heftig. Jugendlicher Leichtsinn. „Hast du denjenigen denn kennengelernt, dem du versprochen bist?“, fragte ich nach und erhielt ein Nicken. „Ja, er … ist der Sohn unseres Regenten.“ „Politische Verwicklungen“, fügte der Doktor erneut hinzu und diesmal stupste ich ihm in die Seite. Seine Kommentare brachten uns gerade nicht groß weiter. Er ließ sich davon aber nicht beirren und hakte nach: „Wie heißt euer jetziger Regent?“ „Der Oikonomia.“ „Der, der seinem Namen alle Ehre macht. Sparsam lebend, sparsam regierend.“ Die Stirn runzelnd, ging er etwas in sich und kam nach ein paar Sekunden des Nachdenkens zu einer neuen schließenden Frage: „Sein Sohn ist Attlotita, richtig?“ „Ja genau.“ Darum hob der Doktor nur die Augenbrauen und zuckte leicht mit den Schultern. „Und was bedeutet das?“, wollte ich ein bisschen ungeduldig wissen, denn natürlich führte er seine Gedankengänge nicht weiter aus. Er wusste schließlich, wie es weiterging. Mir war sowohl Arcateen V als erst recht deren politische Lage ungewiss. „Arcateen wird von einem bescheidenen Regenten geführt.“ Und mehr sagte er nicht. Natürlich. Spoileralarm. „Bescheiden trifft nicht mal in Ansatz zu, was Attlotita betrifft. Er ist ein selbstsüchtiger, eingebildeter Idiot!“, platzte Metatropeasis heraus – so wie es nur ein Teenager konnte. „Ist es bei euch den üblich, dass man über den Köpfen der Kinder entscheidet, wen diese heiraten müssen?“, hakte ich nach und erfuhr ein Kopfschütteln. „Nein, das betrifft nur jene, deren Eltern in der Politik aktiv sind.“ „Dann... sind deine Eltern also auch in der Regierung...?“ „Um ehrlich zu sein sind sie vom Nachbarplaneten Arcateen IX. Deswegen sind sie auch so versessen darauf, mich zu verheiraten. Soviel weiß ich schon.“ Klar, denn das würde bedeuten, dass man für beide Planeten eine nachbarschaftliche Regenschaft erlangen würde, man hätte Partnerschaftsbeziehungen und wäre im Fall eines Krieges miteinander verbündet. Die Blutlinien würden weitergeführt werden, und und und … wie der Doktor sagte: Das übliche Szenario. „Wie alt … bist du eigentlich?“, traute ich mich nun zu fragen, da mir dies überhaupt noch nicht in den Sinn gekommen ist. Der Blick, der mir Metatropeasis in dem Moment zuwarf, sollte ich für die nächste Zeit nicht vergessen: Ich konnte ihr die Verzweiflung ablesen, den Kummer, den sie in sich trug und mit ihrer stacheligen Art zu überdecken versuchte. Irgendwo … sah ich in dieser Art sogar ein früheres Selbst von mir. „Fünfzehn.“ Das war einfach zu jung. Wie alt ein Arcateenianer werden konnte, wusste ich nicht, aber ich vermutete, dass es nicht nur achtzig Menschenjahre wären. Mit viel Pech wären es Jahrhunderte. Vielleicht war dieser Zukünftiger doch Wesen guter Natur und sie würden sich lieben lernen. Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Und das würde das Unglück bedeuten. „Ich werde nicht vor fünfundsiebzig die Position meiner Eltern einnehmen können.“ Damit hätten wir dann auch die Altersfrage geklärt. „Was genau … bedeutet das denn? Ihre Position einzunehmen?“, fragte ich weiter nach und erhielt zunächst ein weiteres kleines Seufzen, ehe unsere Wegbegleiterin missmutig die Lippen zu einer schmalen Linie verzog, „Wenn ich diesen eingebildeten Fatzken heirate, dann werde ich die rechtmäßige Regentin. Wenn diese Ehe schiefgeht, weil ich ihm sein Leben zur Hölle gemacht habe, bedeutet dies, dass ich an die königliche Beraterin werde.“ „Also versuchst du genau das zu erreichen?“ Es klang logisch, dass sie so dem Schlimmsten zu entkommen versuchte, aber ihr Schweigen daraufhin machte mir ein wenig Sorgen. Ich vermutete dass der Platz der Beraterin nicht mit weniger Unannehmlichkeiten verbunden war, wollte hingegen aber auch nicht tiefer in die Materie vordringen. Ich kannte die Arcateenianer und deren Geschichte nicht. Auch nicht deren Kultur. „Wenn du zwischen Pest und Cholera zu wählen hast, wie die Leute hier wohl sagen, was würdest du tun?“, stellte sie mir als Gegenfrage und sah mich nun mehr eindringlich an, „Mein Weg ist besiegelt. Ich kann nur das kleinere Übel wählen, welches mich nicht in die Knie zwingt und meine Selbstachtung zerstört.“ In diesem Moment erinnerte ich mich an die Zurechtweisung, die ich ihr zuteil hatte kommen lassen. Wie sehr ich mich aufgespielt hatte. Im Grunde hatte Metatropeasis mir nun allerdings gezeigt, wie wenig ich wirklich wusste. Wie wenig ich von meiner eigenen Welt wusste, in der ich lebte. Mir ging es gut – im Gegensatz zu ihr war ich frei, konnte frei entscheiden, wen ich liebte. Konnte frei entscheiden, wie ich leben wollte. Konnte frei für mich bestimmen, wie mein Leben verlaufen sollte. All das war ganz und gar in meiner Hand. Ihr hingegen war ähnlich wie in einem Kastensystem auferlegt worden, welche Rolle sie in der Gesellschaft zu spielen hatte und spielen musste. Würde sie nicht folgen … wer weiß? Würden ihre Eltern als Strafe ihr Leben lassen müssen? Würde sie ausgegrenzt werden? Getötet? Ich hatte keine Ahnung. Und mit dieser einen so trivialen kleinen Frage führte sie mir vor Augen, dass sie in jenem Moment trotz ihrer kindlicher Reaktion weitaus erwachsener war, als ich es im Vergleich zu sein schien. Metatropeasis senkte ein wenig den Blick und ich hatte das Gefühl, dass sie auf mein nun mehr hochgeschlossenes Dekolleté blickte, unter dem meine mir so wichtige Kette meine Haut zu berühren wusste. Mich durchfuhr ein sanfter Schauer. An einer Straßenecke blieb sie stehen und der Doktor und ich, die wir einen Schritt weitergegangen waren, taten es ihr gleich, sie verwundert ansehend. „Ich würde gerne wissen, wie es ist, wenn man sich denjenigen aussuchen kann, mit dem man sein Leben zu verbringen hat“, sprach sie leiser und relativ stimmlos, „Ich habe hier viele Menschen gesehen, die glücklich aussahen, als sie nebeneinander die Wege bestritten. Ich bin mir sicher, dass dies ein schönes Gefühl sein muss. Ist es das?“ Sie sah mir wieder in die Augen und aus dem sanften Schauer wurde ein unangenehmes Kribbeln auf der Haut, nahe gefolgt von einem einmaligen stumpfen Stechen in der Brust. Sie erwartete eine Antwort von mir und ich kam nicht umhin, für eine Sekunde zum Timelord zu sehen, welcher hingegen seine Augen ebenso auf unsere junge Außerirdische gerichtet hielt – für meinen Geschmack etwas zu ernst. Metatropeasis wollte nicht von ihm eine Antwort, sondern von mir. Da hatten wir den Schlamassel nämlich schon. Ich hatte meine Klappe vorhin zu weit aufgerissen und nun wollte sie, dass ich es abermals tat. Und ich hatte ehrlich zu sein. Nicht, dass mir Ehrlichkeit nicht lag, aber manchmal schmerzte sie und in diesem Moment verpflichtete mich die Arcateenianerin dazu, diesen Schmerz mit ihr zu teilen, weil ich ihn bewusst herbeiführen musste. „Ja … das ist“, antwortete ich also nach einer längeren Pause und versuchte ihrem Blick standzuhalten, „Das ist es wirklich.“ Sie nickte, als würde sie einen simplen Fakt verstanden haben. Dabei hatte sie mir gerade eine Lektion erteilt und nicht einfach nur ihre Frage beantwortet wissen. Daraufhin setzte sie wieder einen Schritt nach vorne und ging somit weiter. Doch anders als zuvor, schien sie ihre Schultern nicht vor Trotz und Sturheit gestrafft, sondern bekümmert eingesunken zu halten. Trauer. Weil sie vermutlich nie dieses Glück der Liebe erfahren durfte, was Menschen wie mir gewährt worden war. Und in diesem Moment spürte ich selbst einen gewissen Ekel davor, dass ich es als so selbstverständlich hingenommen hatte, meinen Liebsten gefunden zu haben und lieben zu dürfen. Viele konnten dies eben nicht. So wie Metatropeasis. Kapitel 6: Decay ---------------- Die TARDIS erreichten wir ohne weitere Probleme, aber auch ohne weitere Gespräche. Wir schwiegen uns an und normalerweise hätte es mich nur gering gestört – jetzt aber lag so eine Schwere in der Luft, die nicht allein durch die Fabrikausdunstungen der Londoner Stadtwerke zu entschuldigen war. Der Doktor ging vor, öffnete die weiße Tür und trat ein, forschenden Blickes. Ich wusste, was bzw. wen er in Augenschein nahm: Unsere beiden Polizisten, die wir hier mit ihren eigenen Handschellen angekettet hinterlassen hatten. Ob sie noch hier wären? Vermutlich. Ob es ihnen gut ging? Vermutlich. Kontrolle war nur besser. Ich linste über seine rechte Schulter und dabei auch über Metatropeasis', da sie hinter ihm herging, musste aber warten, bis ich ebenso wieder im Raumschiff des Timelords stand. Ed und sein Kollege saßen nach wie vor angekettet, nun mehr aber wieder wach und bei Sinnen. Sie starrten uns sauer – der ältere Kollege – und hilflos – Ed – an und es brauchte nicht mal zehn Sekunden, bis sich die beiden auch verbal bemerkbar machten. „Wie lange wollten Sie uns hier noch festhalten?“, schallte es vom älteren Polizisten, „Was zur Hölle ist dieser Ort? Machen Sie uns auf der Stelle los!“ „Bitte“, fügte Ed leiser hinzu und bekam von dem anderen einen tötenden Seitenblick: „Hast du gerade wirklich Bitte gesagt?“ Ed, den ich einen Ticken lieber mochte, zuckte so hilflos wie er dreinsah ebenso hilflos mit den Schultern: „Sie haben die Schlüssel. Wer weiß, was sie noch alles gegen uns in der Hand haben.“ „Oh, da gäbe es einiges!“, legte der Doktor den Kopf nach links und dann wieder nach rechts, nachdenkend, „Es gibt so einige Möglichkeiten, wie wir Ihnen das Leben erschweren könnten. Nicht, dass wir das unbedingt vorhätten, aber die Option bestünde durchaus.“ „Reden Sie keinen Unsinn und machen Sie uns los!“, erschallte erneut die tiefe Stimme des Älteren, welcher nun unruhig wie ein angeleinter Hund hin und her zappelte, des Wartens überdrüssig geworden, „Und wenn ich Sie dann in die Finger kriege … Ich werde Sie verhaften und die nächsten Wochen können Sie nur ein paar Zentimeter vom Himmel sehen!“, deutete er auf Metatropeasis, die ihm vorhin noch eine mit dem Knüppel übergezogen hatte. Das hatte er sich also gemerkt. „Wir machen sie nicht los, oder?“, fragte unsere Arcateenianerin und sah entsprechend skeptisch zu den beiden Polizisten. Ich rümpfte die Nase und zog den Mund zu einer schmalen Linie, „Es wäre besser. Wir können sie schließlich nicht mitnehmen.“ Das war auch für Metatropeasis logisch, aber zufrieden war sie mit dieser Entscheidung nicht. „Was wollen Sie, dass Sie uns gehen lassen? Wollen Sie Geld? Die Kronjuwelen? Verzeihung, aber dafür wird unser Leben zu unwichtig sein, als dass dieser wichtige englische Schatz geopfert würde!“ Der Doktor musste sich schon fast ein Lachen verkneifen. Gold war nun wirklich das Letzte, was er sich wünschen würde und auch mir kam nur eine Sache in den Sinn, die für uns wirklich wichtig wäre: „Nein, nein, meine werten Herren. Wir haben lediglich eine Bitte: Schweigen Sie wie zwei Gräber über unseren Aufenthalt.“ Den Zeigefinger bedeutsam an die Lippen legend, führte dies aber nicht zum gewünschten Schweigen: „Auf keinen Fall!“ „Charles-“, erklang nun Eds Stimme bittend. Aha, Charles hieß er also. Passte zu ihm. Hätte aber auch Hasso sein können. Wenn ich die beiden mit Hunden hätte vergleichen müssen, was ich meist sehr gerne bei Fremden tat, wäre Charles ein Schäferhund und Ed … na ja, eine Art … Cockerspaniel. So in etwa. Charles knabberte auf seiner Unterlippe herum, wobei sein Schnurrbart lustig auf und ab tänzelte. Es gefiel ihm nicht, dass er drei potenzielle Schwerverbrecher gehen lassen müsste, aber wenn er hier rauswollte, hatte er keine Wahl. „Also gut“, willigte er schließlich ein, „Wir lassen Sie gehen, und dafür lassen Sie uns ebenso gehen.“ „Deal. Und keine Sorge: Sie erhalten Ihre Ausrüstung wieder, sobald Sie die TARDIS verlassen haben.“ Auf diese recht munteren Worte des Doktors schauten sich die beiden Beamten irritiert an. Ihnen schien noch nicht aufgefallen zu sein, dass sie vollkommen unbewaffnet waren und nichts gegen uns in der Hand hielten, wenn sie frei wären. Pech gehabt. Aber auch unsere Sicherheit ging vor. Ohne länger zu zögern, sorgte der Timelord dafür, dass sich die Handschellen öffneten und die zwei Männer konnten wieder ihren festen Stand gewinnen. Wir beiden Frauen waren etwas zurückgegangen, nur um etwaige Spontanübergriffe im Voraus zu vereiteln, doch nichts von dem geschah. Ed sah lediglich über seine Schulter zu uns, während er auf die weißen Türen deutete, „Da lang oder?“ „Ja, da lang“, nickte Metatropeasis, während ich sprach. Ed und Charles fanden kurzerhand den Ausgang und kaum waren sie draußen, wandten sie sich uns zu: „Was ist mit unseren Waffen?“, wollte Charles wissen. „Einen Moment, lassen Sie uns erst einmal startklar machen.“ Denn der Doktor hatte bereits ein paar Hebel und Schalter am Pult betätigt, so dass die TARDIS zu surren begann und den allseits beliebten Ton von sich gab, der erzählte, dass wir abreisen könnten. Ich vernahm aus dem Augenwinkel heraus, wie erstaunt Metatropeasis war und sich hektisch umsah, die Geräusche zuordnen wollend – natürlich ohne größeren Erfolg. Das Innere der TARDIS war von hier aus nicht einsehbar und somit auch nicht der Motor, das Herz. In der Zeit, in welcher ich ihn nicht ansah, hatte der chuckstragende Timelord alles Nötige getan, damit wir losziehen konnten und mit einem „Hepp“ ließ er die eingesammelten beiden Knüppel und Handschellen über den Boden rutschen, Richtung der Polizisten. „Es war schön Ihre Bekanntschaft zu machen, die Herren. Wären Sie so freundlich, die Tür zu schließen?“ Während Charles flink ihr Hab und Gut einsammelte, nickte Ed, winkte uns noch einmal freundlich zu und drückte die weiße Tür ins Schloss. Ganz zum rechten Moment, denn daraufhin erklang bereits das laute Wuiii Wuiii Wuiii der TARDIS und die beiden würden nun mehr Zeuge werden, wie sich die blaue Polizeibox vor ihren Augen wieder entmaterialisierte und nichts als Luft an der Stelle sein würde, die sie eben noch bewohnt hatte. Leider wurde ich nicht Zeuge, wie Ed dem anderen noch einen Satz zusprach – auf die nicht mehr vorhandene TARDIS blickend: „Das … war von innen viel größer als von außen.“   Metatropeasis hatten einen festen Stand gefunden, als wir abhoben und auch ich war diesmal weniger wackelig als beim ersten Ritt mit dem Superschiff. Sie wusste nicht, ob sie mehr erstaunt als geschockt sein sollte, wie schnell man mit solch einem Gefährt den Ort des Geschehens verlassen konnte. Demnach gleichzeitig auflachend als auch ehrfürchtig dreinschauend, war sehr unterhaltsam sie zu beobachten. „Wo … fliegen wir jetzt hin?“, fragte sie unvermittelt und wenig scheu. „Wie versprochen. Zu deinem Heimatplaneten“, antwortete der Doktor nicht weniger zögerlich und hatte dabei eine gewisse Strenge in seiner Stimme mitschwingen. „Was? Nein, lasst uns doch bitte erst noch woanders hin!!“, wurde sie weitaus aufgeregter, „Oder lasst uns diese Mordfälle aufklären! Sie haben den Schuldigen doch noch gar nicht gefunden!“ Ich hob die Augenbrauen und sog scharf die Luft ein. Nicht, dass ich ihre Vorschläge nicht nachvollziehen konnte, aber … auf zweiteres war ich nicht gerade erpicht und eine Weltraumtour zu unternehmen … das würde bestimmt der Doktor wiederum nicht mögen, „Und was, wenn sie weitererzählen, dass wir hier verschwunden sind?“ „Keine Sorge … kein Mensch wird ihnen glauben“, entgegnete ich leise und überlegte angestrengt, was mit ihnen ansonsten geschehen würde, würden sie ihr Wissen publik machen. Eine Nervenanstalt? Vermutlich. Das wäre keine Institution, die sie beide selbst erfahren wollten, also würden sie schweigen. Schade, dass wir kein Blitzdings hatten, wie bei Men in Black. Einmal blitzen und ihnen erzählen, dass sie hier an dem Ort die ganze Zeit Wache gehalten hätten, weil es Tatortnähe war. Ende. Aber wenn man schon mit der TARDIS und dem Doktor reisen konnte, so konnte man eben nicht alles verlangen, nicht? Wir hatten nun zwar auch den toten Körper des Ripper-Opfers Elizabeth Stride zurückbringen können, uns dafür aber einen neuen geliehen. Wir müssten also so oder so noch einmal zurück, um auch diesen an seinen rechtmäßigen Platz zu bringen, sobald Metatropeasis ihre Heimat erreicht hätte. Auf diese Aufgabe freute ich mich jetzt schon ganz wesentlich ganz und gar nicht. „Doktor bitte, lassen Sie mich noch ein bisschen mitreisen! Nur eine Reise! Wenn ich einfach so wieder auf meinem Heimatplaneten auftauche, werden sie mich köpfen!“ „Vermutlich werden Sie eher uns köpfen, weil sie glauben, dass wir dich entführt haben“, wiegte der Timelord mit skeptischen Blick den Kopf von einer Seite zur anderen und blieb dabei vollkommen auf die Steuerung der TARDIS fokussiert. „Bitte!“ „Du bist nicht die Einzige, die zurück nach Hause muss“, murmelte er und warf mir dabei einen Blick zu, der mich etwas betreten dreinschauen sah. Die Arcateenianerin sah daraufhin ebenso zu mir und ich fühlte mich stetig unwohler. Recht hatte er. Es war lediglich eine kleine Reise geplant gewesen, keine Weltraumtour. Und für ihnen wäre es besser, wenn er uns beide sicher wieder dorthin bringen könnte, wo wir hingehörten. Das Reisen durch Raum und Zeit war zwar abenteuerreich, aber Abenteuer bedeuteten auch immer Gefahr. Und von uns dreien war ich vermutlich sogar noch die Verletzlichste. Soweit wie ich es verstanden hatte, konnte Metatropeasis ja nicht sterben, würde ihr in dem Körper etwas zustoßen. Sie bräuchte dann nur eine Art neues Gefäß. Zumal sie für eine kurze Zeit gewiss auch ohne Leib leben konnte, sonst hätte sie es ja nicht hierher auf die Erde geschafft. Wenn man mir das Licht auspustete … blieb es dabei. Da konnte auch der Doktor mit seinem Wahnsinnsverstand nichts ändern. Und sterben wollte ich nun wirklich nicht. „Bitte, Doktor. Es ist auch in der Nähe von Arcateen V. Es wäre nur ein kleiner Umweg! Bitte!“ Ich konnte beide verstehen, aber … ich war auch kein Fan von Streitereien und deswegen stellte ich mich letzten Endes dann wohl doch eher auf Metatropesis' Seite und seufzte leise, bevor ich ihr zustimmte, „Vielleicht … wäre das wirklich machbar? Nicht lange. Nur … für eine kurze Pause?“ „Jetzt fangen Sie nicht auch noch damit an!“, gab er einen missbilligenden Zungenschnalzer von sich und ließ daraufhin das Pult los, um zu uns zu treten, „Das ist kein Schulausflug, wie Sie es vielleicht aus ihrer Zeit kennen! Wir hatten eine Abmachung getroffen – eine Reise, nicht mehr. Haben Sie eine Vorstellung davon, dass es gefährlich ist, wenn ich mit Ihnen hier unnötige Planeten bereise? Wie gefährlich es sein kann?“ Ja, hatte ich. Gut genug in der Serie gesehen. Das konnte ich ihm so natürlich nicht sagen. Aber ich fühlte mich nun auch etwas auf den Schlips getreten und wie ein kleines Kind behandelt, das nicht weiter als zehn zählen konnte. „Ja, das ist mir bewusst“, sprach ich somit so ruhig wie möglich und versuchte meine Stimme nicht schwanken zu lassen, als er auf uns zukam, „Und ich weiß, dass es gefährlich für uns sein kann. Und dass Sie sich nur um uns sorgen. Das weiß ich.“ „Dann ist die Diskussion hiermit beendet“, antwortete er mit Nachdruck in jeder einzelnen Silbe und wollte mir den Rücken zudrehen, was mich allerdings nun doch verärgerte. Nicht nur, dass wir jetzt doch zankten, sondern dass er mich nicht weiterreden lassen wollte. Und das konnte ich nicht leiden, so über den Mund gefahren zu werden. „Es hat Sie doch auch nicht davon abgehalten, Rose mitzunehmen!“ Das war gemein. Und dessen war ich mir vollkommen bewusst. Manchmal stach ich mit Absicht in eine Kerbe, weil ich wusste, wie sehr es treffen würde und dass ich denjenigen dann so wenigstens erreichte. Denn auf solch einen Schlag mussten die Leute reagieren, konnten es nicht igorieren. Es war wie das kleine Loch in einer Mauer, welches man zu suchen hatte und dass das ganze Gebilde dann in Stücke brechen lassen konnte. Ich war nicht stolz darauf, solche Kerben bewusst zu nutzen, aber in dem Moment war es für mich die einzige Möglichkeit Gehör zu finden. Der Doktor hob die Hand und ließ den Zeigefinger erhoben, als er warnend die Stimme erhob: „Sie lassen Rose hier aus dem Spiel.“ „Nein, tue ich nicht“, widersprach ich, „Da besteht kein Unterschied zu uns. Oder … zu irgendeinem anderen ihrer Begleiter. Vielleicht emotional, ja, aber nicht von der Tatsache an sich. Wir wissen alle, dass wir sterben könnten. Und keiner von uns will das wohl unbedingt. Trotzdem reisen wir mit Ihnen. Meine Güte, ich bin in meinem Leben schon achtmal fast von einem Auto angefahren worden, weil der Fahrer gepennt hat oder wäre fast von einer Gruppe betrunkener Jugendlicher bald verprügelt worden.“ Okay, ruhig bleiben! Nicht so laut werden. Ruhig bleiben … und ausatmen. Warum machten mir manche Dinge nur immer so wütend? Ach ja, richtig, deswegen: „Ich habe mir vielleicht nicht ausgesucht, dass ich hier mit Ihnen in der TARDIS stehe, aber ich habe mich entschieden, dass das okay ist, weil ich eh nichts dagegen tun kann. Es wäre also nett, wenn ich zumindest ein kleines Wörtchen bei Ihren Entscheidungen mitzusprechen hätte.“ Einen Moment schweigend, warf ich dann wieder einen kurzen Blick auf Metatropeasis, „Und außerdem … wäre es vielleicht wirklich ganz gut, wenn sie einen Moment durchatmen kann. Vielleicht kann sie dann wieder ein bisschen klarer sehen.“ Die letzten Worte hatte ich bereits ein bisschen ruhiger aussprechen können, aber innerlich war ich immer noch leicht betroffen. Der Doktor atmete hörbar die Luft aus und mir war nur zu bewusst, dass seine Augen auf mir ruhten. Keine Ahnung, ob er mit sich haderte, ob er mir eigentlich gerne noch weiter die Leviten gelesen hätte oder was auch immer. Fakt war, dass er schließlich die Hände seitlich an die Hüfte stützte, den Kopf hob und wiede er so scharf ein- und ausatmete, bis er mit zusammengebissenen Zähnen ein „Ihr macht mich noch wahnsinnig, ihr und eure Sturköpfigkeit!“ von sich gab und schließlich mit einem Sprung zum Schaltpult der TARDIS eilte und dort den größten Hebel mit Schwung nach unten drückte. „Wie heißt der Planet, den du meinst?“, sprach er hierbei klar und deutlich zu Metatropeasis, die nun mehr ein Lächeln zeigte und dann fast schon stolz unseren nächsten Zielort präsentierte: Radekan. Der Doktor stockte, als er den Namen vernahm und korrigierte anschließend die Daten der TARDIS auf jene Koordinaten des Zielplaneten. Kannte er jenen etwa? Keine Reaktion des Timelords war zufällig und ich würde einen Besenstil verspeisen, täuschte ich mich da. „Warum ausgerechnet dieser Planet?“, wollte ich von Metatropeasis wissen und wollte ebenso die Hände in die Hosentaschen stecken – aber falsch gedacht: Ich trug ja noch immer die viktorianische Kleidung. Memo für gleich: Ich sollte mich umziehen, bevor wir erneut irgendwo Fuß fassten. „Radekan ist ein wunderbarer Fleck in diesem Universum“, erklärte sie und lächelte diesmal etwas sanftmütiger, fast schon sehnsuchtsvoll, „Auf ihm leben die Radekaner, welche sehr freundliche Wesen sind. Sie ähneln euch Menschen, nur …“ Abbrechend, schien sie nach den richtigen Worten zu suchen, verstummte aber, „Ach, das wirst du selbst sehen.“ Ein bisschen irritiert nickte ich, konnte ich schließlich nicht viel mehr dazu sagen und kündigte dann an, dass ich mir schnell etwas anderes anziehen gehen würde. „Ehm … gibt es dort eine bestimmte Kleiderordnung?“ Nun war es die Arcateenianerin, die in ihrem geborgten Körper verdattert dreinschaute, dann aber lachen musste, „Nein, gibt es nicht.“ Abermals nickend, machte ich mich auf – nicht aber ohne vom Doktor noch einmal zurückgehalten zu werden: „Finden Sie den Weg allein?“ „Ich glaube schon.“   Zumindest würde ich es nie,wenn er mir immer den Weg weisen würde. Ich erreichte die andere weiße Tür, welche ins TARDIS-Innere führen würde, und ging hindurch. Wohl war mir dabei nicht, denn alleine in den gewundenen Gängen des Raumschiffs des Timelords überkam mich wieder das mulmige Gefühl, dass hier irgendetwas im Dunklen lauerte und nur auf einen unbedachten Schritt von mir wartete. Ich sollte eindeutig weniger Horrorfilme sehen. Wobei sich dieser Konsum auch schon weit reduziert hatte. Erst als ich die erste Abzweigung erreichte, kam ich nun mehr ins Straucheln, wohin ich denn müsste. Mehr als schiefgehen konnte es zwar nicht, aber mit einem Haufen Glück erreichte ich die bekannte Stelle, wo die Kleiderkammer war – dort hatte ich ja zuletzt auch meine Klamotten abgelegt um in jene hier zu schlüpfen. Mich drinnen aus dem Kostüm schälend und meine bequeme Alltagskleidung wieder anziehend, machte ich mich auf den Weg zurück – bis mir in den Sinn kam, dass ich doch vielleicht einmal mein Zimmer aufsuchen könnte? Ich hatte es nur einmal bisher gesehen und der Wunsch, mich dort näher umzugucken, wuchs gerade immens an. Vielleicht hatte sich mein Gedächtnis den Weg doch irgendwie eingeprägt, denn ohne mich groß zu verirren, stand ich mit einem Mal vor der Tür, die vor meiner Ankunft noch nicht dagewesen sei, laut Aussage des Doktors. Ich öffnete sie nur einen Spalt, lugte hinein – immer noch mein Zimmer. Irgendwo erleichtert ging ich hinein und schloss die Tür wieder hinter mir. Sogleich das Holz betrachtend, war auch hier alles so, wie es sein sollte: Verschiedene Bilder von Freunden und Postkarten waren an jenem Brett angeklebt, zeigten diverse Situationen und Erlebnisse von bis zu sechs Jahren. Ich ging ganz bewusst zum Schreibtisch und griff nach dem Tagebuch, dass ich bei meiner Ankunft bereits erfolglos durchgeblättert hatte. Ebenso schnappte ich mir aus einem der weißen Stifthalter einen Kugelschreiber. Mit beidem bewaffnet zum Bett trabend, setzte ich mich im Schneidersitz auf dieses und öffnete das Buch. Alles fühlt sich so an, als wäre ich zu Hause und doch bin ich es nicht. Mit diesen Worten begann ich den ersten Eintrag. Ich datierte ihn auf das Jahr 1888. Wenn ich wieder daheim wäre und es würde in dem Notizbuch irgendwo einen Hinweis geben, dass dieses Schriftstück existierte, dann wäre das alles wirklich kein Traum gewesen. So hoffte ich zumindest. Ich hatte nicht viel Zeit zu schreiben, aber zehn Minuten nahm ich mir.   Ja, ich sitze gerade in meinem Zimmer. Aber nicht daheim, in meiner Wohnung, sondern in der TARDIS. Wirklich in der TARDIS. Im 'Cockpit' stehen gerade der Doktor (und ja, der zehnte) und eine Außerirdische, die sich Metatropeasis nennt, eine Arcateenianerin ist und aktuell den Körper einer toten jungen Frau des viktorianischen Londons in Besitz genommen hat. Wir sind nun auf dem Weg nach Radekan, ein Nachbarplanet von Arcateen V. Eigentlich dachte ich in dem Moment, dass die Arcateen-Reihe I bis … zu einem Universum für sich allein gehörten, aber dem scheint wohl nicht so. Warum auch immer V neben IX liegt, bleibt mir auch ein Rätsel. Ich versuche das Beste aus der Situation zu machen, aber um ehrlich zu sein, hat mich die Reise ins viktorianische London etwas ermüdet. Und weil ich immer so eine große Klappe habe, dass ich gerne alle Kliniken der Welt kennenlernen will, wenn es sein muss, durfte ich mir in solcher wegen Schwindel helfen lassen. Schreckliche Ausstattung, schreckliche Hygiene. Lobe mir unsere Standards heutiger Zeit. Ich muss besser auf mich aufpassen – hatte mit dem Doktor einen kleinen Disput. Würde mich auch nicht wundern, wenn er uns deswegen davon abhalten wollte, einen weiteren Umweg zu nehmen. Es ist lustig, aber in manchen Dingen ist mein Doktor nicht anders als der echte Doktor.   Ich brach ab und blickte automatisch zu der zum Nachttisch umfunktionierten kleinen Kommode neben dem Bett, weiter zum im ebenholzfarbigen Rahmen stehenden Foto von meiner großen Liebe und mir, aufgenommen im Frühjahr diesen Jahres. Es verpasste mir einen kleinen Stich ins Herz, denn immerhin wusste ich nicht, wann ich wieder bei ihm sein könnte und... wenn wir etwas aus den Reisen des Doktors gelernt hatten, dann, dass mitunter auch ein Jahr vergehen konnte, was einem selbst nicht so vorkam … Ich wollte nicht, dass es über ein Jahr und länger wäre und hoffte sehr, dass es im schlimmsten Fall nur zwei, drei Tage wären, nach Erdzeitrechnung. Nicht auszumalen, wie besorgt jeder wäre. Das war ein bitterer Beigeschmack dieser eigentlich so spannenden Reise. Aber ich konnte die Situation gerade nicht ändern. Ändere das, was du ändern kannst. Akzeptiere das, was du nicht ändern kannst. Und mit diesem Gedanken versuchte ich die aufkommenden Zweifel und Sorgen runterzuschlucken, die sich breitmachen und ausbrechen wollten. Das Buch in meinen Händen zuklappend, legte ich dieses zur Seite und erhob mich. Zeit, wieder zu den anderen beiden zu gehen.   Als ich zurückkam, befand sich der Raum der TARDIS in Stille. Der Doktor sprach nicht – und wenn eher zu sich selbst oder mit seinem Schiff – und Metatropeasis hatte es sich inzwischen auf dem Boden halbwegs bequem gemacht. In ihrer Kleidung war das auch nicht unbedingt einfach. Zwar trug sie kein vollständiges Tageskostüm, aber unter dem Überwurf war das Leichenkleid dennoch eng an ihren Körper gepresst. Ich hatte aber das Gefühl, dass es nicht nur daran lag, dass sie etwas geknickt dreinschaute. Vielleicht war es auch die vermeidliche Unfreundlichkeit des Doktors, welche sie überrascht hatte. Vielleicht gingen ihr aber auch andere Dinge durch den Kopf. Ich stellte mich schließlich neben sie und fragte daraufhin den Timelord, wie lange es wohl dauern würde, bis wir den Planeten erreichten: eine halbe Stunde. Genug Zeit, um sich ein paar Gedanken zu machen. Das war ein Wink mit dem Zaunpfahl, den ich nur mit einer Grimasse entgegennehmen konnte. Er war wirklich nicht begeistert und das lag wohl nicht an Radekan, sondern generell an unserem Vorhaben, noch einmal einen Zwischenstopp einzulegen. „Sagen Sie es doch gleich, dass wir lästig für Sie sind!“, grummelte die junge Arcateenianerin in ihren nicht vorhandenen Bart, verdrießlich klingend. Ich sah zu ihr herab und dann zum Doktor, der daraufhin schon Anstalten machte, ihr eine seiner typisch ausschweifenden Antworten zu geben: „Nun, wenn du es genau nimmst-“ „Das … ist nicht der Grund“, unterbrach ich ihn, bevor noch mehr über seine Lippen drang, und ließ mich zu ihr nieder. Gespräch auf Augenhöhe. „Hörte sich aber anders an“, blickte sie an mir vorbei und hatte extra laut gesprochen, ganz klar an ihn gerichtet. „Metatropeasis … lass es, okay?“, bat ich sie und mir entwich ein entnervtes Stöhnen, „Er wird dir nur sagen, was du gerade gewiss nicht hören willst.“ Sie schwieg und wandte dann ihren Blick ab, die Beine an den Körper ziehen wollend. Die enge Kleidung, die sie trug, ließ sie ihr Vorhaben beiseite legen und sie behielt die Beine ausgestreckt. „Und manchmal … ist es nicht so leicht, über bestimmte Dinge zu sprechen.“ Ich hatte irgendwie das Gefühl, dass der Doktor in seiner jetzigen Form noch nicht genau wusste, wie er mit den Gefühlen und Charakterzügen dieses Ichs umgehen musste. Er schlug ein wenig quer, war zu scharfzüngig, etwas taktlos und es fiel mir damit auch schwer zu glauben, dass Rose so an ihm Gefallen fand. Vermutlich war er wirklich noch jung, was seine Existenz an Ort und Stelle betraf. „Deswegen muss man jemanden nicht so zurechtweisen.“ „Das … tat ich bei dir auch.“ „Ja, allerdings.“ Das war Salz in der Wunde, aber selbst schuld. „Und es tut mir ehrlich leid“, fuhr ich fort, „Mich … hat deine Leichtsinnigkeit wütend gemacht. Und ich habe mir deswegen Sorgen gemacht.“ Metatropeasis sah mich mit überraschten Augen an. Ich konnte es an diesen ablesen, was sie fragen wollte und entsprechend vorgreifen, „Du erinnerst mich ein bisschen an mich selbst“, gestand ich leise, „beziehungsweise daran, wie schwer diese Jahre sind, in denen man erwachsen wird. Überall aneckend, keiner versteht dich. Das kam mir sehr bekannt vor.“ „Aber du bist nicht von zu Hause weggelaufen oder?“ „Nein, ich wurde nur beinahe rausgeschmissen.“ „Und … wie ist es jetzt?“ Ich überlegte kurz, das war inzwischen über zehn Jahre her. „Besser. Weitaus besser. Man entwickelt sich. Probleme, die damals waren, sind heute fast schon nichtig. Was nicht heißen soll, dass sie zu dem Zeitpunkt unbedeutend waren“, fügte ich schnell hinzu, „Ganz im Gegenteil. Um ehrlich zu sein hätte ich nicht gedacht, dass ich mich mit meiner Familie mal gut verstünde.“ Vielleicht war es für Metatropeasis genauso unmöglich wie für mich damals – allein die Vorstellung von einem halbwegs harmonischen Verhältnis zueinander hätte ich nicht für möglich gehalten. Doch dann sagte meine Gegenüber plötzlich etwas, was mich nicht nur ehrlich berührte, sondern auch erneut das Gefühl gab, dass sie durchaus reifer war als sie mit ihren Handlungen den Anschein erweckte: „Es ist ja nicht so, dass ich es nicht verstehe. Aber sie wollen mich nicht einmal anhören. Nur weil bei ihnen solch eine Heirat funktionierte, weil sie sich gelernt haben zu mögen, muss dies nicht auf mich zutreffen. Das macht mir Angst. Die Menschen auf der Erde wirkten so zufrieden mit sich und glücklich. So ganz anders als bei den meisten auf Arcateen. Bei uns stehen immer Nutzen und Zukunft im Vordergrund. Ich kann diesen Attlotita einfach nicht ausstehen! Am liebsten würde ich ihn das Herz aussaugen, wenn ich könnte!“ Und auch das glaubte ich ihr aufs Wort. „Er ist ja nicht mal halb so nett wie Duma!“ Oh. Oh … Jetzt wurde es interessant. Ich zeigte vermutlich zu viel Erstaunen, als dass ich es noch verbergen konnte, und Metatropeasis senkte fast schon verlegen den Kopf. „Wer ist dieser Duma?“, wollte ich demnach so vorurteilslos wie möglich wissen. „Duma lebt auf Radekan. Ich habe ihn vor ein paar Monaten bei einem Ausflug mit zwei Freundinnen kennengelernt. Er ist für die Abfertigung von Reiseankömmlingen zuständig.“ Ich nickte und ließ sie weiter erzählen, „Im Gegensatz zu Attlotita spricht er nicht immer nur von sich. Er begeistert sich für Literatur, auch wenn ich kein Wort von der alten Schrift Radekans verstehe – er hat sie mir vorgelesen. Sogar Gedichte. Er ist in einer Großfamilie aufgewachsen und hat sich um seine jüngeren Geschwister kümmern müssen. Er hat dies aber nie als Last gesehen. In ein paar Jahren will er selbst gerne reisen und über seine Abenteuer schreiben. Seine Familie unterstützt ihn dabei voll und ganz.“ Mein Lächeln wurde größer und größer. Vermutlich war ihr selbst gar nicht wirklich klar, dass sie mit einer viel sanfteren Stimme redete. Dass sie mit einem Mal viel zärtlicher wirkte und sich auch ihr raues Auftreten besänftigte. „Ich bin froh, dass ich ihn getroffen habe und wir Freunde sind.“ The Friendzone. „Ihr habt euch also schon oft gesehen?“ „Ja, erst nur jeden Monat, dann aber sogar zweimal in einem. Aber das wird vorbei sein, wenn ich mit Attlotita vermählt bin. Der wird bestimmt nicht wollen, dass ich Duma weiterhin sehe. Er ist rasend eifersüchtig auf alles und jeden.“ „Klingt nach einer anstrengenden Person.“ „Ja! Und so jemanden soll ich mögen lernen? Das ist unmöglich!“ Ich nickte zur Bestätigung, die sie suchte. Wenn dieser Herr wirklich so war, wie sie ihn beschrieb, dann hatte sie einen Narzissten und Egomanen an ihrer Seite, der sich wohl von nichts auf der Welt davon überzeugen ließe, dass es nicht immer nur um ihn ging. Diese Sorte Mensch (oder eben auch Arcateenianer) war nicht gerade einfach zu handhaben. Schon gar nicht für jemanden wie Metatropeasis, die einen starken Willen besaß und hinzukommend selbst noch ein halbes Kind war. Aber was mir vor allem aufstieß war die Tatsache, dass sie sich aus einem ganz anderen Grund gar nicht erst die Mühe machte, eventuell eine andere Seite Attlotitas kennenzulernen – sie hatte ihre bessere Hälfte gefunden, ohne es zu wissen. „Hast du denn mit Duma schon mal drüber gesprochen?“, fragte ich sie, woraufhin sie etwas das Gesicht verzog, „Das schon, aber … er war dann jedes Mal so wütend, dass wir das Thema fallen lassen mussten.“ „Das heißt, er will nicht, dass du diesen Attlotita heiratest?“ „Auf keinen Fall. Duma meint sogar, ich solle nach Radekan kommen und dort leben, damit ich ihn nicht zu meinem Gatten nehmen muss.“ Das war doch schon mal gut. Und so erklärte sich wohl auch Metatropeasis' Motivation, von zu Hause abzuhauen. „Wir haben uns sogar deswegen gestritten.“ „Was hast du gesagt?“ „Dass ich es zwar nicht will, aber dass ich auch meine Familie nicht im Stich lassen kann. Ich will nur bei meinen Eltern Gehör finden, das sie mir nicht schenken. Duma wurde daraufhin wütend und meinte, dass ich mein eigenes Leben hätte und somit das Recht, dieses so zu leben wie ich wollte.“ Was ja auch an sich stimmte. Schlaues Kerlchen. „Daraufhin meinte ich, dass ich eh nicht wüsste, was ich mit meinem Leben anfangen solle. Uns sind Dinge nicht gleichgültig, aber … ich weiß nicht, wie es ist, für etwas Leidenschaft zu haben. Ich weiß auch nicht, was dieses Gefühl von Liebe sein soll, von dem Duma erzählte, was Radekan erfüllte – und was ich auf der Erde gesehen habe. Vermutlich kann ich das auch gar nicht so empfinden.“ „Das … hast du ihm so gesagt?“ „Ja.“ „Und er?“ „Ist daraufhin davongestapft.“ Ich pustete die Luft aus und musste mich etwas sammeln. Das war nun in der Tat … blöd verlaufen. Sehr blöd. Damit hatte sie diesem Duma schön in die Magengrube geboxt, obwohl er ihr – wenn auch subtil – Avancen gemacht hatte. „Wie … fühlt es sich denn an, wenn man liebt? Du kennst es doch, oder? Wie war das bei dir?“ Irgendwie war ich von dieser Frage übermannt. Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte, schon gar nicht, wenn es um eine Lage wie Metatropeasis‘ handelte. Ich sah einmal mehr zum Doktor – Er hatte sich uns ein wenig mehr zugewandt, warf mir in diesem Moment ebenso einen Blick zurück, den ich nicht ganz zu deuten wusste. Hätte sie ihn gefragt, was hätte er ihr wohl geantwortet? Metatropeasis wartete jedenfalls immer noch auf meine. Ich konnte nicht ewig schweigen. Vielleicht einfach ehrlich sein? Es fiel mir immer noch schwer, so offen über Gefühle zu sprechen. „Um ehrlich zu ein, habe ich das bis vor kurzem selbst nicht verstanden. Was Liebe wirklich bedeutet. Nicht die Liebe, die man gegenüber seiner Familie oder Freunden fühlt – das war für mich klar. Sie sind mir wichtig, ich sorge mich um sie, wenn es ihnen nicht gut geht. Ich fühle mich bei ihnen wie zuhause. Aber … wenn es um die Liebe zu einem anderen Menschen geht … ist es ein bisschen anders.“ „Warum?“ Ja warum … Da bekam ich eine Idee. „Hast du dich in deiner Familie oder bei deinen Freunden so gefühlt, als würdest du die ganze Welt umarmen können? Als würden … drei Trilliarden Sterne auf dich herabscheinen? So ein überwältigendes Gefühl von Zufriedenheit und Glück?“ Metatropeasis schien kurz in sich zu gehen, schüttelte dann aber den Kopf. „Oder dass dein Herz auf einmal stark klopft, wenn du jemanden von ihnen siehst? Dass du nur lächeln kannst?“ Wieder ein Kopfschütteln, wenn es auch zaghafter war als zuvor. „Das … ist nicht unbedingt Liebe, eher Verliebtsein, aber daraus kann Liebe entstehen, wenn man einander Zeit gibt.“ „Und … dann? Was fühlst du dann?“ „Wenn es auf Gegenseitigkeit beruht und das Gefühl wächst … bedingungslose Liebe.“ „Verstehe ich nicht.“ „Es geht nicht darum, wie jemand aussieht oder welchen sozialen Status er angehört. Ob er viel Geld hat oder nicht. Das ist alles unwichtig. Wenn man sich wirklich liebt, dann nimmt man den anderen an, wie er ist. Man vertraut sich gegenseitig, würde füreinander durchs Feuer gehen.“ „Hast du das denn getan?“ „ … Ja.“ „Was hast du gemacht?“ Auf der einen Seite kam es mir wie ein Verhör vor, dass hier geführt wurde, aber gleichzeitig ließ es mich an all die Momente erinnern, die für uns inzwischen schon in weiterer Ferne gerückt waren und dennoch so viel Bedeutung getragen hatten. „Ich habe meine Schweigepflicht verletzt.“ Auf ihren fragenden Blick wusste ich, dass ich wenig von mir erzählt hatte und dass ich da etwas nachholen musste, „Ich … war Krankenschwester. Und ich habe mit meiner Bitte eine Freundin und mich mit einem Bein ins Gefängnis gebracht.“ Mehr wollte ich nicht sagen. Das war aber für Metatropeasis okay. Sie nickte sanft, verstand, worum es im Grunde ging. Ich spürte immer noch die Augen des Doktors auf mich ruhen. Wie oft hatte er sich gegen die Gesetzmäßigkeiten gerichtet und wie oft würde er dies noch in Zukunft tun? Vor allem, wenn es dann um Rose ging? „Und das … nur für diesen einen Menschen? Woher wusstest du, dass er es wert ist?“ Das brachte mich fast schon zum Lachen. „Gute Frage. Ich war zu dumm, es vorher zu bemerken. Kennst du den Spruch, dass man erst dann den Wert von etwas zu schätzen weiß, wenn es nicht mehr da ist? Das passt. So war es. Ich … hatte ihn verloren und beinahe ein zweites Mal für immer. Bis mir einfach mit einem Schlag klar wurde, dass es keinen anderen geben kann.“ „Woher wusstest du das?“ Und diesmal tippte ich mit dem Zeigefinger nur auf meine Brust und lächelte dabei. „Ich hab‘s gefühlt.“ Unbefriedigende Antwort, ich weiß. „Der ganze Schmalz, den man hört, stimmt: Du musst immer wieder an den anderen denken. Du wirst traurig, wenn du von der Person getrennt bist. Du spürst das Glück des anderen und den Schmerz, als wäre es dein eigener.“ „Das hast du alles gefühlt?“ „Und fühle es immer noch.“ „Ist diese Liebe endlos?“ Nun stahl sich auch mir ein etwas melancholisches Lächeln auf die Lippen. Wenn es etwas gab, was ich mir wünschte, dann war es genau das. „Das hoffe ich.“ „Du weißt es aber nicht?“ „Es gibt viele Dinge, die man nicht wissen kann. Und das Leben hat immer wieder Überraschungen auf Lager, mit denen man nicht rechnet. Du kannst nicht vorher bestimmen, wie sich das Herz des anderen oder das eigene verändert.“ „Aber das ist doch schmerzhaft, oder?“ „Ja, das wird es sein. Deswegen hoffe ich auch, dass es uns nie passieren wird.“ „Wo liegt dann der Sinn, zu lieben, wenn die Liebe auch vergehen kann?“ „Weil wir ohne Liebe nicht leben können“, kam es mir sofort über die Lippen, „Du kannst vielleicht die Einsamkeit bevorzugen, aber nicht geliebt zu werden und nicht zu lieben, ist kein besonders erfüllendes Leben.“ Ich sah regelrecht die Fragezeichen über ihrer Stirn und überlegte, wie ich es besser erklären konnte, „Wenn du Liebe empfindest und ebenso geschenkt bekommst … kann es dir so viel Kraft schenken. Dass du alles schaffen kannst. Es macht auch die unschönen Tage erträglich und ebenso den größten Schmerz. Die Liebe von jemand anderen zu empfangen ist etwas, was unbezahlbar ist. Und das kann auch durch Familie und Freunde sein.“ „Sie haben zu viele Romane gelesen“, mischte sich der Doktor da mit einem Mal ein, wo er doch die ganze Zeit geschwiegen und gelauscht hatte. „Und Sie mutieren zum Miesepeter“, setzte ich grummelnd nach, aber Metatropeasis war es, die ihn in unser Gespräch miteinbezog: „Doktor, was ist mit Ihnen? Sehen Sie das auch so?“ Er kam näher zu uns und hockte sich schließlich hin, „Gefühle verletzen“, erklärte er als erstes und klang dabei seltsam aufgesetzt locker, den Blick auf einen unsichtbaren Punkt gerichtet, „Sie haben schon manchen in ihr Verderben rennen lassen. Ob nur ihr eigenes Leben davon betroffen war oder die ganze Menschheit.“ Er pausierte einen Moment, ehe er dann zu Metatropeasis sah, „Allerdings sind Gefühle auch die stärkste Quelle neben Hoffnung, die ich miterleben durfte. Sonst würde es keinen von euch geben. Keine Menschen, keine Arcateenianer. Vermutlich würde nicht einmal die Hälfte des Universums existieren, gäbe es keine Gefühle.“ „Können Sie denn lieben?“ Das war eine sehr direkte Frage. Der Doktor wollte sich nichts anmerken lassen, aber ich sah für eine Sekunde etwas in seiner Fassade bröckeln. Wehmut? Eine schmerzhafte Erinnerung, die er verdrängen wollte? „Liebe kann viele Gesichter haben“, nahm er die Aussage meinerseits auf und wollte wohl somit schwammig in seiner Antwort bleiben. „Nein, ich meine, diese Liebe. Diese spezielle Liebe. Kennen Sie das?“ „Manchmal braucht es eine Weile, bis man diese kennenlernt. Und manchmal … sind trotzdem die Umstände dagegen“, sprach ich ungefragt. Ich fühlte, dass ich in diesem Moment den Doktor in Schutz nehmen sollte. Nicht, dass er sich nicht selbst verteidigen konnte, aber ich kannte das Gefühl, wenn jemand in ein Gefilde stieß, das für ihn nicht gedacht war. Ein Dickicht, für das die anderen keinen Zugang haben sollten. Diese Art des Feingefühls müsste Metatropeasis allerdings erst noch lernen. „Meinst du solche Umstände wie bei mir?“, hakte sie sogleich nach. „Nein. Ich meine … auch, aber …“ Ich biss mir auf die Unterlippe und verzog ein bisschen das Gesicht, leiser sprechend, „Jeder hat seine Geschichte, seine Aufgaben und … es gibt auch Dinge, über die man nicht sprechen will.“ Von ihr vorsichtig zum Timelord aufsehend, wusste ich nicht, was ich noch sagen sollte. Aber Metatropeasis nahm es an, dass ihre Frage unbeantwortet bleiben würde. „Dir … sind Familie und deine Freundinnen wichtig, oder?“, lenkte ich das Gespräch in eine Richtung, woraufhin sie nickte, „Und sie sind dir nicht wichtig, weil sie dir Vorteile bringen, oder?“ „Nein … ich mag sie einfach. Sie waren immer bei mir.“ „Und das ist eben auch eine Form von Liebe. Du kannst lieben. Wenn nicht … wäre sie dir vollkommen bedeutungslos.“ „Aber-“ „Glaub mir, ich habe schon so viele verschiedene Planeten und Bewohner kennengelernt. Arcateenianer sind nicht die Gefühllosesten“, setzte der Doktor nun noch nach, „Ihr habt ernste Probleme, die euch bedrohen, und dein Volk so pragmatisch wie möglich vorzugehen. Das ist rational betrachtet eine sehr intelligente Vorgehensweise.“ Nur, dass so eben alle Gefühle untergraben werden und gerade den jungen Leuten wie Metatropeasis ein falsches Bild vermittelt wurde. „Aber es gibt eine Sache, die euch von all diesen anderen Spezies und Kreaturen unterscheidet. Ihr könnt Emotionen hervorbringen. Ihr setzt euch diesen aus. Und sie bringen nicht nur Schmerz und Leid.“ Die Lippen des Doktors zogen sich zu einem zarten Lächeln und aus seinen Augen sprach die Begeisterung und irgendwo auch Bewunderung für Wesen wie uns – „Eure Gefühle lassen euch großes verbringen. Ihr hättet kapitulieren können, als eure Lage schlecht wurde. Ihr hättet euer Schicksal annehmen könnend. Aber das habt ihr nicht. Ihr habt Hoffnung, ihr glaubt an bessere Zeiten und das alles dank euren Gefühlen, die großartiges aus euch herausbringen. Jeder einzelne von euch, brillant bis in die kleinste Zelle eures Seins. Würdest du hier stehen, wenn es anders wäre?“ Die Unterlippe vorschiebend und die Augenbrauen hochziehend, wartete er auf eine Rückmeldung von ihr. „Vermutlich nicht“, sprach Metatropeasis leise. Ich legte meine Hand auf ihre Schulter. Etwas, was ich sonst selten tat, weil ich immer den Abstand anderer respektierte. Jetzt aber wollte ich ihr einfach vermitteln, dass sie nicht alleine war. „Das wird schon. Es wird schon werden.“ Mein Gewissen meldete sich und ermahnte mich, dass ihr nichts versprechen sollte was ich nicht halten könnte – aber ich wollte es versuchen. Ich wollte ihr etwas Zuversicht geben.   Unsere Reise nahm ihr nächstes Ende und wir kamen fast ruckelfrei auf Radekan an. Dieses Mal dürfte ich mich wohl erst recht auf die Übersetzungskünste der TARDIS freuen – obwohl ich schon gerne die eigentliche Sprache gehört hätte. Was war diese? Radekanisch? Oder hieß es ganz anders? Als sich die Tür der TARDIS öffnete, war ich etwas vorsichtiger als sonst und wartete, bis Metatropeasis vorausgegangen war. Anschließend folgte ich ihr und hinter mir dann der Doktor. Als erstes erblickte ich den Himmel, welcher in einem hübschen Mix aus Rosa und Orange über unsere Köpfe ragte. In der Ferne konnte man blasse helle Konturen von Monden oder näheren Planeten erkennen, die knapp der eigenen Atmosphäre dieser Welt liegen mussten. Um uns herum befand sich mehr Natur, als ich gedacht hätte, was einen hier erwarten würde: Gewundene Bäume grünen und violetten Laubes. Büsche so prachtvoll, wie man sie nur von Gartenkünstlern kannte. Einige Pflanzen rankten sich um felsartige Ausstülpungen, welche aus der Erde ragten. Vor uns lag ein steinerner Weg und dessen voraus lag eine kleine Brücke, die über einen Bach oder ähnliches führen musste. Schon jetzt bekam ich das Gefühl, dass es sich hier wirklich um einen friedvollen Platz handelte – so friedvoll und harmonisch, wie Metatropeasis es beschrieben hatte. Zwei große Statuen standen am Ende der Brücke, uns den Rücken zugewandt. Die Silhouette war kaum erkennbar und die bleichen Gewänder, welche die Figuren trugen, war ebenso wenig körperformbetont. Etwas befand sich an ihrem Rücken, aber ich konnte es von hier aus nicht erkennen. „Eine schöne Landschaft“, bemerkte ich und sah von etwas weiter weg zwei Bewohner des Planeten – mir erschien, dass ihre Hautfarbe eine bläuliche Nuance hatte, aber dessen konnte ich mir nicht so sicher sein. Die beiden Bewohner trugen ebenso Gewänder, aber weitaus mehr unserer Kleidung ähnelnd, farbenfroh. „Und sehr freundliche Menschen“, ergänzte unsere Arcateenianerin. „Dafür sind die Radekaner bekannt“, kam es vom Doktor, der einmal tief Luft zu holen schien und mit den Händen in den Hosentaschen ein paar Schritte vorausging, den Kopf hoch erhoben, „Freundlich und hilfsbereit. Ein nettes Volk.“ „Waren Sie schon mal hier?“ „Oh, das ist lange, lange her. Aber ja, Radekan hat eine seine Eigenarten. Zuvorkommend, aber ein wenig diktatorisch geleitet.“ „Diktatorisch? Das ist mir neu!“ Wir drehten uns zu dritt überrascht um, denn mit einer vierten Person, die zu uns sprach, hatte niemand gerechnet. Im Gegensatz zum Doktor und mir, zeigte sich auf Metatropeasis‘ Gesicht keine Überraschung, sondern aufkommende Freude. „Duma!“, schoss sie an uns vorbei und auf den Unbekannten zu, welcher sich uns angenähert hatte. „Metatropeasis, du bist wieder hier!“, erwiderte der Fremde und hielt seine Arme offen.‘ Ohne zu zögern empfing er sie und hieß sie herzerwärmend willkommen. „Wie … hat er sie erkannt?“, fragte ich leise zum Doktor gewandt, die kleine Szene beobachtend. „Entweder hat er einen durchdringenden Blick oder aber … ein kleines Wunder der Gefühle.“ Ja, das konnte man so beschreiben. „Wann bist du angekommen?“ „Gerade eben!“ Die beiden glücklich Vereinten sahen einander in die Augen und dann zu uns beiden. „Die Diktatur ist schon lange vorbei. Wir leben seit Jahrzehnten in einer friedlichen Gemeinschaft.“ „Welches Jahr haben wir?“, fragte der Doktor nachdenklich. „3430.“ Diese Zahl beeindruckte mich, denn immerhin würde ich mit meinem eigenen Leben nie dieses Jahr erreichen können. Für den Timelord hingegen war es nichts Neues, er neigte nur anerkennend den Kopf zur Seite. „Das erklärt es natürlich.“ Duma, den ich mir nun erst einmal richtig ansehen konnte, schien nicht zu verstehen, aber Metatropeasis machte auch keine Anstalten, es zu erklären. Sie wusste wohl nicht, ob sie über den Doktor ohne dessen Einwilligung reden durfte oder nicht. Ich hingegen konnte ihren Freund nun erst einmal selbst begutachten und ja – ich musste zugeben, dass er einen sehr sympathischen Eindruck machte: Sein Körperbau war schmal, aber verhangen durch seine Kleidung. An einem Rücken befanden sich Libellenflügel, die im Schein der Sonne perlmutt funkelten. Seine Haare waren fast ebenholzschwarz, lang und zu einem einfachen Zopf am Hinterkopf zusammengehalten. Eine der Strähnen war mit eingeflochten. Sein Gesicht war schmal zulaufend, von einem Bartwuchs war nichts zu erkennen. Die Hautfarbe war grün-bläulich. Sie erinnerte mich an das Mittelmeer, dass ich einmal an Südfrankreichs Küste hatte sehen dürfen. Die Augen waren leicht mandelförmig, dunkel, vermutlich Braun. Seine Mundwinkel waren natürlich etwas nach oben gezogen. Ich konnte verstehen, dass Metatropeasis ein gutes Gefühl bei ihm besaß. Wenn er nun auch noch charakterlich so war, wie sie ihn beschrieben hatte, wäre es umso schöner. „Im Übrigen, ich bin der Doktor. Und das ist Alexandra, meine Begleitung“, stellte der Timelord uns beide schließlich vor und lächelte sein üblich charmantes Lächeln. Der Radekaner hob die Hand und hielt mir den gestreckten Zeige- und Mittelfinger entgegen. „Sluwavo“, sprach er und ich nahm an, dass dies eine Begrüßung sein musste, so dass ich versuchte, die Geste nachzuahmen und ebenso mit einem „Sluwavo“ antwortete – wenn auch nicht ganz identisch in der Aussprache. „Ihr seid neu hier, oder?“ „Ja“, wollte ich sagen, doch der Doktor kam mir mit einem „Mehr oder weniger“ zuvor. „Dann schlage ich vor, dass ich euch eine kleine Führung durch die Gegend gebe und wir danach etwas in meinem Heim als Mahlzeit einnehmen.“ Metatropeasis war natürlich mit Freuden dabei. Ich blickte hingegen etwas nachdenklich zum Doktor, welcher nun mehr allerdings eines seiner neugierigen Lächeln auf den Lippen trug. „Nun, die Gastfreundschaft eines Einheimischen mit Füßen zu treten gehört nicht zur feinen Art. Und mir scheint, es hat sich hier einiges verändert, seit ich das letzte Mal hier war.“ „Radekan und besonders Tavanim sind im ständigen Wandel“, stimmte Duma zu und machte Anstalten nun aufzubrechen, „Aber unsere heilige Mutter Adkata wacht stets über uns. So wie unsere eigenen Mütter über uns wachen.“ „Welche Geschichte hat die heilige Adkata?“, wollte der Doktor wissen. Ich selbst musste mein Interesse auf die Antwort forcieren, denn ich selbst hatte eher wenig Interesse an den Religionen anderer Kulturen. Aber vielleicht wären die Informationen über diese Religion hier vor Ort noch von Wichtigkeit – denn selten gab es an der Seite des Doktors etwas, was keine Relevanz hatte oder bekäme. „Heilige Mutter Adkata gebar unseren Planeten vor vielen, vielen Jahren. Sie kam aus einem fernen Sonnensystem und wollte etwas ganz besonderes erschaffen. Denn hier, wo nun Radekan ist, war vor vergangener Zeit einfach nur Dunkelheit. Und diese Dunkelheit im Planetensystem machte sie so traurig, dass sie aus ihren Händen Radekan erschuf.“ Ich hörte aufmerksam zu. Es klang für mich wie eine typische Schaffensgeschichte, mehr nicht. Dem Doktor zufolge war aber etwas seltsames an ihr, denn er verzog nicht ein bisschen die Miene, während er Dumas Worten lauschte. Stimmte was nicht an der Erzählung? „Sie sorgt für unser Wohlergehen und für die Gleichsamkeit uns aller. Keiner ist besser, keiner wird bevorzugt. Radekans Volk ist das Kind Adkatas.“ Wir gingen ein paar Meter weiter und für diese Zeit holte Metatropeasis zu Duma auf und begann ihn in ein Gespräch zu verstricken, so dass ich den Doktor unbemerkt ansprechen konnte, wo wir hinter ihnen hergingen: „Stimmt was nicht?“ „Als ich das letzte Mal herkam, lebten die Radekaner noch nicht in einem Matriarchat.“ „Und … wissen Sie, wie es dazu kam, dass sie es nun tun?“ „Ich muss gestehen, dass ich das erst herausfinden muss.“ „Sie scheinen zumindest nicht glücklich über diese Wandlung?“ „Wir werden sehen.“ Und das sollten wir wirklich. Lieber Kinder und Erwachsene, wenn ihr wirklich, wirklich, wirklich etwas über die Welt und das Universum lernen wollt, vertraut nicht einfach auf literarische Quellen, sondern setzt euch am besten in eine Zeitmaschine von Wells. Aber das, was uns nun erwartete, hätte ich wohl auch mit jener nicht kennenlernen dürfen. Kapitel 7: Restless ------------------- Liebe ging bekanntlich durch den Magen. In unserem Fall füllte es meinen aber auf gute Art und Weise. Zumindest hoffte ich das, als sich unser Rundgang über einen kleinen Teil Radekans ausweitete und mir nicht nur die Füße wehzutun begannen, sondern auch mein Bauch signalisierte, endlich mal wieder etwas Richtiges zu essen zu bekommen – am besten mehr als nur ein Laibchen trockenes Brot. Vielleicht hätten wir uns schlicht die Zeit nehmen sollen, in der TARDIS etwas zu essen. Es gab dort doch alles! Also wohl auch einen gefühlten Kühlschrank. Dies würde ich allerdings später herausfinden müssen, denn jetzt … kreisten meine Gedanken nur noch darum, dass ich mit voranschreitender Zeit immer aggressiver würde, bekäme ich nicht bald was zwischen die Zähne. „Das hier ist unser schöner Garten Etkaden. Er wird von unserem Nachbarn gepflegt. Nur deswegen haben wir hier die prachtvollste Vielfalt, die ihr auf dem Planeten finden könnt.“ Duma versuchte uns mit seiner Begeisterung anzustecken, als er dem Garten hinter sich den Rücken zuwandte und ihn mit offenen Armen uns als Gäste zu präsentieren wusste. Und in der Tat gab es hier weitaus interessantere exotische Pflanzen, als ich sie auf der Erde oder in Büchern hätte finden können. Vielfältige Farben und Formen, Größen und Breiten. Alle nebeneinander liegend und miteinander verschlungen, aber nicht auf wildwüchsige Art. Tatsächlich erkannte man hier ein Muster: Die sternförmige feuerrote Blumen, welche auf ein glockenartiges Blumengewächs blickte, welches sich wiederum entlang des Weges schlängelte und in einen großen buchsbaumartigen Torbogen endete, welcher wiederum seine Wege ging. Alles war bedacht und wohl überlegt gepflanzt worden. Auch der Weg, perlmuttfarbige feine runde Steine, war kein Ergebnis des Zufalls. Man konnte hier seinen ganzen Tag verbringen und würde nicht überdrüssig, sondern immer wieder etwas Neues entdecken. Ein wundersames Labyrinth. Für mich fast schon zu viele Eindrücke, so dass ich meine Augen abwandte und dafür etwas weitaus Interessanteres zu beobachten wusste, als wir schließlich weitergingen: ganz unverfroren als wäre es das natürlichste der Welt legten sich Dumas und Metatropeasis‘ Hände ineinander. Vermutlich war es für sie auch genau das – natürlich. Den Umständen geschuldet war es dies aber eben drum nicht. Wir mussten nicht lange gehen, bis wir sein Zuhause erreichten. Ich wusste nicht, was ich erwarten sollte, aber Fakt war, dass ich vielleicht doch mit normalen Häusern gerechnet hatte. Die Bewohner Radekans wirkten bis auf ihre Libellenflügel so sehr Mensch wie wir. Warum sollten sie also nicht in Häusern wie wir leben? Weil sie keine Menschen waren. Einfache Erklärung. Uns erwartete somit etwas, was mich sehr an die fanatasievollen Erfindungen neuer Welten in Star Trek oder Fantasyfilmen erinnerte: Runde, zwiebelförmige große Gewölbe in Blau- und Violetttönen, deren Inneres Goldgelb heraus schien. Vermutlich Lichtquellen. Diese Art Häuser zogen sich einige Meter weit, umgeben von viel, viel Grün und hochwachsenden Bäumen. Vielleicht so etwas wie die Vorstadtzone? „Der Marktplatz ist von hier ein bisschen weiter weg, aber dafür leben wir hier in Ruhe“, schien Duma fast meine Gedanken zu lesen und trat schließlich auf eine dieser Zwiebelgebilde heran. Ich konnte nicht ausmachen, aus welchem Material diese Häuser hier bestanden, aber das würde ich wohl auch nicht können – und wenn ich zum Doktor schaute, der selbst recht neugierig auf die Wände starrte und bereits seinen Ultraschallschraubenzieher in der Hand hielt, um diesen auf jenes Konstrukt zu richten, würde ich auch von ihm wohl keine Antwort erwarten können, eher noch mehr Fragen: „Ein interessantes Material. Härter als Osmium, glänzend wie Titan, … wie werden die Rohmaterialien gewonnen?“ Der Schraubenzieher gab seine sirrenden Geräusche von sich, während er mit dem eigenen blauvioletten Licht die Oberfläche des Hauses untersuchte. Schließlich das Werkzeug wieder einsteckend, berührte der Doktor die Wand mit seiner Hand und strich drüber hinweg. „Wir bergen den Rohstoff aus unseren Gewässern“, erklärte der Radekaner und klopfte gegen die Außenfassade, „Natürlich müssen wir das Ganze dann noch etwas aufbereiten, damit wir überhaupt damit arbeiten können, aber es ist es wert, oder? Und nun kommt, es wird langsam spät und ich glaube, ihr habt Hunger?“ Das Stichwort! Ich konnte gar nicht anders als erleichtert ausatmen und bemerkte den Seitenblick des Timelords, verbunden mit einem Schmunzeln, „Ja, allerdings. Manche von uns können es kaum mehr erwarten, die Köstlichkeiten Radekans zu genießen.“ Ich zog eine Schnute, aber konnte mich über diese Bemerkung auch nicht ärgern – denn irgendwann sah man mir meinen hängenden Magen schlichtweg im Gesicht an. Ich kannte mich ja. Duma betätigte den Mechanismus der Tür, eine kaum für mein Auge wahrnehmbare Einbuchtung in der Fassade und mit einem Mal ging ein Vorhang hoch, welcher das Innenleben seines Heimes preisgab. Ich war fasziniert von dieser simplen Technik und versuchte jene noch mehr in Augenschein zu nehmen, als wir schließlich eintraten. Sobald wir allerdings mit unseren Füßen den Boden des Innenraums betreten hatten, schloss sich der Vorhang wieder und nichts erinnerte daran, dass sich dort noch ein Eingang befunden hatte. Eine Sicherheitsvorkehrung mit großer Wirkung. Nicht schlecht. Ebenso überrascht war ich allerdings von dem Innenleben der Behausung: Auf der einen Seite erlebte ich diese wie eine Mischung aus orientalische Einrichtung und naturalistischen Gestaltungselementen. Die Wände waren uneben, verzeichnet durch Faserstrukturen, welche das Material offenbarte. Sie trugen jene blauviolette Farbe, die wir auch schon von außen hatten betrachten können. Es gab runde Ausstülpungen, welche Lichtquellen in sich trugen. Dieses Licht flirrte – vermutlich waren das lebende kleine Tierchen? So etwas wie Glühwürmchen? Von jenen Lampen gab es mehrere in dem Raum. Über unseren Köpfen ragte eine Art zweite Ebene, ähnlich wie man es von einer Loft-Wohnung kannte. Vermutlich lag auch hier der Schlafbereich? Wir befanden uns jedenfalls im Wohn- und Esszimmer, denn nur wenige Schritte entfernt befand sich ein flacher langer Tisch, Sitzkissen und einige Abstellmöglichkeiten. All diese Möbel, die sich an den Wänden befanden, schienen mit jenen verbunden. Neugierig berührte ich die kleine Anrichte direkt neben mir, eine Art Kommode, in der gleichen blauvioletten Nuance. „Baut ihr euch eure Möbel selbst?“, musste ich einfach fragen, woraufhin unser Radekaner-Freund nickte, „Mehr oder weniger. Vieles wird hier oben entwickelt“, tippte er sich mit dem Zeigefinger an die Schläfe und ich sah ihn verdutzt an. „Reine Vorstellungskraft?“ „Ja – jede Behausung ist individuell. Das Konstrukt ist gleich, aber unsere Vorstellungen ermöglichen es uns, aus diesem Gebilde ein Zuhause zu machen.“ Ich konnte mir das nicht vorstellen, wie man mit bloßer Willenskraft ein ganzes Inventar herstellen sollte, aber es war zugleich auch sehr praktisch: Ginge etwas kaputt, könnte man ganz bewusst das wieder herstellen. Keine lästigen Reparaturservices oder Neukäufe wie bei uns. „Der einzige Haken ist, dass dies mit dem Fundament verbunden sein muss.“ „Deswegen ist auch alles in der Nähe der Wände oder direkt mit dem Boden verankert?“ „Richtig.“ Ich ließ meinen Blick schweifen. Manche Gegenstände lagen oder standen locker herum. Dies mussten dann wohl Dinge sein, die sich die Bewohner ganz einfach selbst beschafften durch Einkäufe oder Schenkungen Das traute Heim Dumas wirkt auf mich zwar zunächst äußerst exotisch, aber auf den zweiten Blick war es sogar sehr gemütlich. Er hatte für einen Mann einen guten Geschmack, was die Einrichtung betraf: Nicht übermäßig viel Verzierde, aber dennoch hie und da ein Wandschmuckstück, dessen Ursprung und Material ich nicht ausmachen konnte, welches aber so golden schien wie die Reflexion der Sonne auf einen Nugget. Hauchfeine Deckenbehänge erstreckten sich über unseren Köpfen, der Farbe ähnlich wie der zarten und doch widerstandsfähigen Kokons von Seidenraupen. Die Möbel waren hingegen auf Grund der Hauserstellung mit dessen Fundament verwachsen, jedoch waren die Kissen, auf denen wir saßen von gewaltiger Bequemlichkeit. Groß, rund, mit einem Fransensaum in einem wunderschönen Beerenrot. Der Tisch war mit zwei kleinen Kerzen in glasähnlichen Gehäusen bestückt. Nicht mehr. Es war eine gesunde Mischung aus Minimalismus und personalisiertem Raum, in dem Duma lebte. Mir gefiel es ihr zunehmend. „Du solltest dir Vorhänge anschaffen! Das macht es viel gemütlicher!“, bemerkte Metatropeasis, welche sich ebenso neugierig umguckte. „Du bist das erste Mal hier?“, wunderte ich mich fast schon, doch sorgte das mehr für Empörung bei meiner Gegenüber und auch ein bisschen bei ihrem Freund: „Natürlich“, äußerte sie sich aufgebracht, „Man besucht nicht einfach einen Mann in seinem Zuhause!“ Das ließ mich fast schon schmunzeln, dass unsere eigentlich so rebellische Arcateenianerin gewisse traditionelle Grundsätze dennoch nachging. „Bei uns ist dies zwar nicht so streng gefasst, aber …“ Auch Duma wirkte befangen bei dem Thema und zwischen den beiden hin und hersehend, musste ich mir ein deutliches Lächeln verkneifen. So, so … anscheinend waren sich die beiden ihrer Gefühle zueinander doch besser bewusst als gedacht. „Setzt euch doch bitte, ich werde euch etwas zu trinken bringen.“ Der Doktor ging voran, ließ sich ohne weiteres auf eins der Sitzkissen nieder und auch ich suchte mir einen Platz neben ihn. Metatropeasis schien noch etwas unschlüssig, setzte sich aber schließlich uns beiden gegenüber. Duma war in der Zwischenzeit verschwunden, wohl in einem angrenzenden Raum, der sich hier durch einen einfachen Durchgang vom Wohnbereich abgrenzte. Alsbald kam er zurück, mit einem Tablett, auf dem sich vier gefüllte Gefäße und eine halbvolle Karaffe mit purpurner Flüssigkeit befand. „Das Essen braucht noch einen Moment, hier erst einmal etwas zu trinken. Eine Spezialität unserer Gegend. Pupara-Nektar.“ Die Gläser und die Karaffe auf dem Tisch stellend, setzte er sich im Schneidersitz neben Metatropeasis und legte das Tablett zur Seite. „Was ... genau machst du eigentlich?“, fragte ich neugierig, weil ich mir nicht vorstellen konnte, was man hier arbeitete und ob man arbeitete. „Tut.“ Ich blickte schier zu meiner Seite und bekam so gerade noch mit, wie der Doktor die Lippen schloss. „Entschuldigung, haben Sie mich gerade angetuttet?“, bemerkte ich mit scharfen Seitenblick. „Wie?“ „Sie haben mich angetuttet!“ Die Augenbrauen des Doktors stiegen in die Höhe und er sah mich unschuldig wie ein Lamm an. „Ich weiß nicht, was Sie meinen.“ „Das mit der Zunge. Sie haben mich angetuttet, als ich wissen wollte, was Duma beruflich macht!“ Der Timelord wandte kopfschüttelnd seinen Blick von mir ab. „Tut“ „Da, schon wieder!“ Auf frischer Tat ertappt. „Was ... meinst du mit Tut?“, wollte Duma nun mehr wissen und brachte mich zu einem genervten Ächzen. „Das ist etwas, was die Briten gerne mit der Zunge machen, wenn sie etwas bei anderen beanstanden. Tutting.“ „Ah ... ich verstehe.“ Ja, ich hingegen umso weniger. Denn was war falsch an der Frage? „My deepest apologies, Doktor, aber das ist mein erster Planet fernab der Erde“, fügte ich mit einer Prise Sarkasmus hinzu und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ach kommen Sie“, zog dieser nun das Gesicht zu einer Grimasse, „Von allen Fragen, die Sie stellen könnten, fällt Ihnen tatsächlich nur ein, was die Leute Radekans arbeiten? Seien Sie ein bisschen kreativer! Fragen Sie sie doch lieber über ihr Leben, Naturphänomene, Paranormales, so was eben!“ „Oh, ich war Ihnen also zu normal. Entschuldigen Sie, Mr. Wannabevorzeigebrite in spe.“ „Bitte was?“ Ich erwiderte darauf nichts mehr, sondern ließ ihn in seiner Ratlosigkeit über diese Bezeichnung stehen, und entschloss mich lieber, einen Schluck von meinem Tee zu nehmen, welcher nun mehr in voller Blüte stand. Manche Dinge waren denen auf der Erde doch ähnlich: Auch hier gab es Knospen, die in das heiße Wasser getan wurden und die erblühten. Dann erst sollte man den Tee genießen. Während ich also etwas in mich hinein grummelnd das Gefäß anhob, bescherte uns Metatropeasis mit einem erheiternden Auflachen eine Auszeit. Ohne Grund, wie es uns schien. Sie hingegen hatten selbigen und bekam sich nur schwer wieder ein. „Ich verstehe kein Wort von dem, was ihr sagt, aber es ist echt amüsant.“ Na wenigstens etwas. Zumindest ließ mich das aber auch wieder etwas milder stimmen. Für Duma war das auch das Zeichen, dass er nun mehr auf meine Frage eingehen konnte, ohne dass es erneut zu Unannehmlichkeiten kommen würde: „Wir arbeiten auf den Feldern, um die Ernte einzutragen, welche uns die Heilige Mutter beschert. Ebenso arbeiten wir an den Gebäuden und betreiben Handel. So wie andere Völker. Nur können wir uns glücklich schätzen, dass es kein Heer braucht, um hier leben zu können. Wir leben in Frieden.“ Für mich das klang das nach einem sehr rustikalen Leben. „Was macht ihr?“, kam da auch schon die Gegenfrage, denn natürlich war es für Duma nicht weniger spannend zu erfahren, was abseits seiner eigenen Grenzen geschah. „Es gibt riesige Häuser mit Rohren, aus denen Rauch strömt!“, platzte Metatropeasis dazwischen. Viele Leute dicht gedrängt. Und abends scheinen sie weiter zu arbeiten, wenn schon alles dunkel geworden ist. Die Arbeit muss auf der Erde echt Spaß machen, weil sie die ganze Zeit dabei lachen!“ Sie war richtig begeistert von ihren Erlebnissen im viktorianischen London, aber das ließ mich eher entschuldigend lächeln. „Nicht ganz ... Wir arbeiten auch. In Fabriken, wie Metatropeasis sagte. Wir können unsere Einrichtungen nicht mit den Häusern verwachsen lassen und brauchen so Holz, Metall, Kunststoff. Es gibt viele verschiedene Berufe. Aber auch Ackerbau, wie bei euch. Und Handel. Was du allerdings abends gesehen hast ...“, wandte ich mich dann an die Arcateenianerin direkt, „Nennt man Pub. Das ist ein Ort, wo man abends hingehen und trinken kann. Deswegen herrschte da auch so gute Laune.“ „Ach so!“ „Und wie ist das bei euch?“ Duma wandte sich nun an den Doktor, welcher daraufhin etwas unruhig auf seinem Kissen wurde, wenngleich die lockere Fassade aufrecht zu erhalten versuchte. „Wir ... hatten ähnliche Beschäftigungen. Vielleicht etwas anders, was den Fortschritt oder die Materialien betrifft.“ „Ihr hattet?“ „Ich bin der Letzte meiner Art“, rückte der Doktor mit der Sprache raus und obwohl sich seine Augenbrauen weiter oben hielten und er ruhig und gelassen redete, atmete er während der Silben tief aus. Den Schmerz weg. Ich kannte diese Methode zu gut. Ohne zu zögern legte sich meine Hand auf seine, die er locker neben sich am Boden gehalten hatte. Keiner von uns beiden sah den anderen an und er reagierte auch nicht auf diese Berührung, aber ich hoffte irgendwo, dass er sie richtig verstand und annehmen konnte. Mit einem Mal ertönte aus der Küche ein kurzer pfeifender Ton, der die plötzlich gedrückte Stimmung auflöste und uns wieder daran erinnerte, dass wir alsbald eine Mahlzeit geliefert bekämen. „Ich bin davon überzeugt, dass der gute Geist der Heiligen Mutter auch dir wohl gesinnt ist. Selbst wenn du heute niemanden deiner Art findest, wird sich die Zukunft vielleicht anders gestalten“, verkündete Duma wie ein Prophet und erhob sich mit den Worten, dass er sich um das Essen kümmern wollte. „Ich helfe dir“, sprang Metatropeasis ebenso auf und ließ mich und den Doktor somit in der Schwere allein. Die leichte Seele der Jugend. Hätte in diesem Moment auch gerne gehabt. Ich warf einen Blick zum Timelord neben mir, welcher schlicht auf sein Glas schaute, vermutlich den Erinnerungen nachhängend, die er mit sich trug und die sich tief in sein Fleisch gebrannt hatten. Er hatte seine Hand nicht unter meiner weggezogen und so war es für mich noch schwieriger zu entscheiden, ob ich ihn ansprechen oder in Ruhe lassen sollte. „Kann ich ... etwas tun?“, sprach ich mit der Lautstärke auf ein Minimum reduziert. Eine doch dumme Frage, wie mir sogleich durch den Kopf schoss. Denn was sollte ich machen? Was auch immer die Geister waren, die ihn heimsuchten, könnte ich sie kaum verscheuchen. Und auch, wenn Dumas Ansprache optimistisch und hoffnungsvoll klang, so hatte ich das Gefühl, dass sich die Probleme des Doktors so nicht lösen ließen. „Nein, das ... können Sie nicht“, ließ er mich auch klar wissen und senkte dabei den Blick auf die Tischplatte, während er das Trinkgefäß in die Hand nahm und schließlich für einen Schluck mit den Lippen ansetzte, „Aber danke.“ „Okay.“ Ich richtete meinen Blick ebenso auf die Tischplatte und fühlte mich mit jeder Sekunde, die ohne Metatropeasis und Duma verging, schlechter. Nichts tun zu können, war für mich schon immer ein Problem gewesen. Ich war ein Problemlöser. Problem erkannt, Lösung besorgt. So einfach sollte es sein. Wenn auch mit Ecken und Kanten, aber ich wollte Probleme den Garaus machen. Nun aber wieder einmal mit Hilflosigkeit konfrontiert zu werden, die ich nicht umgehen konnte, machte mich sauer. Ich suchte in meinem Gedächtnis nach hilfreichen Phrasen, nach Ereignissen, die vielleicht eine Idee brächten, aber nichts. „Auch wenn ich nichts tun kann“, fing ich dann ein zweites Mal zögerlich an, „oder Sie von mir auch gar keine Hilfe wollen ... Ich bin hier, falls Sie Hilfe brauchen.“ Mehr stand nicht in meiner Macht. Ich war keine Rose, wollte das auch nicht für ihn sein, aber zumindest sollte er wissen, dass er mit seinen düsteren Gedanken nicht alleine sein musste, wenn er es nicht wollte. Der Doktor hob den Kopf und drehte ihn in meine Richtung, bedachte mich mit einem längeren, analysierenden Blick. „Und falls Sie überhaupt wollen“, redete ich weiter. Dieses Anstarren bereitete mir Unbehagen, wo ich mich so ungern beobachten ließ. „Sie haben in Ihrem Leben wohl bereits mehr gesehen als andere in Ihrem Alter“, schloss der Timelord ruhig. „Na ja, was man auf der Erde als viel bezeichnen kann.“ An seine Begleiter kam ich nicht ran. „Nein, Sie haben viel gesehen. Zu viel.“ Ich blickte hastig zu ihm auf wie ein Dieb, der auf frischer Tat ertappt war. „Wie kommen Sie darauf?“, wollte ich fragen und vertuschen, dass er gerade den Sturm in mir neuen Auftrieb gegeben hatte, welcher seit Monaten in mir tobte und sich nur schwer eindämmen ließ. Manchmal konnte ich ihn wegschließen, obwohl ich wusste, dass es besser wäre, ihn raus und einmal über sich ergehen zu lassen. Ich besann mich aber und ließ die Tür zumindest einen kleinen Spalt geöffnet. Breit genug, als dass ein kräftiger Luftstoß durchkommen und mich erfassen könnte: „Das ... gehörte zu meiner Arbeit. Das war die Basis meines Jobs.“ „Haben Sie diesen gern getan?“ Er klang nicht neugierig, eher ergründend. Ich nickte, lächelte zart dabei und konnte auch einfach mit meinen Worten nur bejahen: „Mehr als alles andere.“ Ich sah zum Doktor und auch auf dessen Lippen stahl sich ein kleines Lächeln. „Warum sind Sie dann gegangen?“ Und obwohl ich sonst immer die passende Antwort parat hatte, immer sagte, dass es die Umstände und die Konditionen waren, die mich rausgeekelt haben, konnte ich es zum ersten Mal nicht auf diese Art vortragen. Es klang für mich wie eine Lüge. Und ich war schon lange damit fertig, mich selbst und somit auch andere zu belügen. Deswegen schwieg ich erst einen Moment, wich seinem Blick aus, und dachte ernsthaft über diese Frage nach. „Womöglich, weil ich zu viel gesehen habe?“ „Aber Sie können nicht aufhören.“ Nein, das konnte ich wirklich nicht. Ich konnte es wegsperren, verstecken, wie ein nicht erlaubtes Haustier, was man dennoch mitgenommen hatte und das schließlich den Weg aus dem Sack unter dem Bett fand und zur Tür hinaus preschte, den schockierten Eltern entgegen. Genauso machte sich meine eigene Leidenschaft in mir breit. Und je länger ich sie verschloss, desto stärker wurde sie. Ein seltsames Paradoxon. „Nein, kann ich wirklich nicht. Ich denke immer sofort Was kann ich tun. Wie können wir das lösen.“ „Vielleicht sollten Sie zurückkehren“, schlug der Doktor mit einer gewissen Leichtigkeit in der Stimme vor, „Wenn es Sie nicht loslässt?“ „Hm ... vielleicht.“ Mir war der Gedanke bisher noch nicht gekommen, dass ich tatsächlich noch einmal in meinen alten Beruf gehen könnte, aber jetzt, wo es ausgesprochen war, schien es gar nicht so abwegig. „Und was ist mit Ihnen?“, warf ich den Ball nun zurück und sah entsprechend ebenso analysierend, wie er es eben bei mir getan hatte, zu ihm. „Sie ... können doch auch nicht aufhören.“ Die Augen des Doktors erzählten mir bereits Geschichten, während sein Mund weiterhin schwieg. Ich wollte keine Grenzen überschreiten, sondern ebenso subtil bleiben, wie er es bei mir gewesen ist. Deswegen beobachtete ich ihn aufmerksam und ich sah mit einem Mal all die kleinen markanten Furchen und Falten in seinem eigentlich jungen Gesicht. Eine Landkarte, die sein Leben zeichnete. Viele Dinge, die geschehen sein mussten. „Und Sie haben noch viel mehr gesehen, als es irgendeiner von uns verkraften könnte.“ „Glauben Sie mir, die Stimmen sind schlimmer als die Bilder, die sich mit der Zeit verwaschen. Die Stimmen derer, die schrien, vergisst man nicht.“ Ich sollte diesen Satz lange in meinem Gedächtnis bewahren. Es war der wohl offenste Satz, den der Timelord fernab sich selbst und der TARDIS gegenüber eines Menschen von sich geben würde. „Das ... kann ich mir nicht einmal vorstellen“, musste ich zugeben, „Ich hab weder den Krieg erlebt, wie meine Oma, noch habe ich mich in einer wirklich brennenden Lage befunden. Weitaus weniger erlebt als das, was andere durchhaben. Dafür bin ich dankbar. Aber ... umso mehr möchte ich auch, dass andere sich nicht mit Ihren Lasten allein fühlen. Das ... gilt auch für Sie, Doktor.“ Wir schauten uns einen längeren Moment in die Augen, ohne etwas zu sagen. Trotzdem war ich mir in dieser Sekunde sicher, dass wir einander auch so verstanden. Sie sehen jung aus, aber aus Ihren Augen, den Falten auf Ihrer Stirn und an Ihren Schläfen spricht die Seele eines Mannes, der die Endlichkeit jener Unendlichkeit gesehen hat. Sie verbergen es, aber ich kann die Angst aus Ihren Worten sprechen hören. Angst vor sich selbst, Angst vor dem, was durch Ihre Hände geschah und geschehen kann. Und trotzdem sind Sie immer noch hier. Und was der Doktor über mich dachte? Ich würde es nie wirklich wissen, aber mein Gefühl verriet mir, dass es ähnlicher Natur war. „Ihr Freund sollte sich glücklich schätzen“, meinte der Timelord nun mehr mit einem ehrlichen Lächeln auf den Lippen und in jenem Moment wand sich seine Hand unter meiner, bis er diese behutsam drückte. Eine Geste des Vertrauens. „Ja, das sollte er“, erwiderte ich leise auflachend und erwiderte den Händedruck sanft. So saßen wir einfach nur eine Weile beisammen und erst jetzt bekam ich mit, dass aus dem Nebenraum einige Geräusche hervor drangen, die an Geschirrklappern erinnerten. „Ich bin gespannt, was wir vorgesetzt bekommen“, bemerkte ich, als nun mehr auch noch ein schwacher süßlicher Geruch, ähnlich wie bei einer Vanillesuppe, in meine Nase drang. „Nun, zumindest nichts, was Sie auf der Erde bisher gegessen haben.“ „Schlauberger.“ „Sie haben gefragt.“ Und bevor wir beide uns wieder ein bisschen spaßig kabbeln konnten, was bei der Art des Doktors wahrlich keine Schwierigkeit darstellte, kam Metatropeasis mit einem Mal stolzen und strahlenden Hauptes und einer Art dampfenden Suppentopfs wieder ins Zimmer. „Vorsicht, heiß!“, warnte sie uns vor, als das massive Gefäß auch schon seinen Platz auf den Tisch fand. Fast schon unbemerkt, aber für mich nicht versteckt genug, fand ihr Blick Aufmerksamkeit in unseren Händen und ein übermütiges Lächeln zog sich auf ihre Lippen. Sie sah mich an und ich sie – Kein falsches Wort! Aber unsere Arcateenianerin legte sich jene in den meisten Fällen eh so, wie es für sie passte. Daher sagte ich lieber gar nichts. Aber Rache war süß. Und ein Späßchen wollte ich mir mit ihr erlauben. Ein paar Sekunden später kam Duma hervor, brachte ein großes Tablett mit vier Tellern, kleinen Schüsseln und einem Korb von brotartigen Gelege in diesem. Brot. Warum musste ich wieder an dieses äußerst delikate Gefängnisbrot denken? „Entschuldigt, dass Ihr warten musstet. Ich habe Metatropeasis noch ein wenig in die Zubereitung miteinbezogen.“, erklärte der Radekaner mit charmanten Lächeln und setzte sich dann zu uns, wie es auch schon seine Freundin getan hatte, die stolz wie Bolle über Ihre Rolle als Küchenbeihilfe war. „Ja, das hoffe ich doch“, entgegnete ich und obwohl ich von den beiden Männern keine Reaktion bekam, erhielt ich von Metatropeasis einen verlegenen bösen Blick, den ich nur lächelnd konterte. Kleine Retourkutsche. „Das sieht mir nach der radekanischen Haupt- und Festtagsspeise aus“, hob der Doktor neugierig seinen Kopf, als Duma eine Kelle in das Gefäß neben uns tunkte und in der anderen Hand eine der kleinen Schüsseln hielt. „Und ist dir der Name auch noch bekannt?“, schmunzelte Duma, während er die Portionen an uns zu verteilen begann. „Duglamesch“, schoss es sofort aus dem Mund des Doktors, ehe er dankend seine Schüssel entgegennahm, „Das mit Beste, was ich auf einem anderen Planeten habe essen dürfen.“ Das sollte schon was heißen, wo er doch nicht wenig umhergereist war. „Ist das so etwas wie ... Eintopf?“ Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, was diese violette suppige Flüssigkeit sonst sein sollte. „Denken Sie eher an Gulasch. Süßsauren, deftigen Gulasch. Nur ohne Fleisch.“ Das machte es mir nicht gerade appetitlicher. Am besten fragte ich auch gar nicht danach, was da drin war. „Es schmeckt hervorragend!“, ließ uns Metatropeasis wissen und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, dass sich die Wangen ihres untoten Körpers rötlich gefärbt hatten. „Psst“, gab Duma mit einem Zeigefinger auf den Lippen zu verstehen und stupste sie daraufhin mit selbigen gegen die Stirn. „Keine Geheimnisse verraten. Außerdem ist Duglamesch nur mit einem Stück Akanthar zu genießen. Das hast du vergessen.“ „Von wegen“, widersprach sie und begann dann das Brot aus dem Korb zu nehmen und in gerechte Stücke zu verteilen. Das Innenleben dieses Akanthars war fluffig, trug teigige Luftlöcher in sich und war genauso karamellcremefarben wie seine Außenhaut. Es dampfte in ihren Händen, also war es wohl auch frisch hergestellt. „Ich hab es nicht vergessen!“ „Natürlich“, lächelte Duma über diese Empörung seiner Freundin ganz besonders reizend und nahm ihr den Korb ab, nicht ohne dabei aber auch wesentlich ihre Hände mit seinen zu berühren. Freunde. Als ob. Ich will ja nichts sagen, aber ich habe noch nie so einen intimen Brotkorbaustausch gesehen. „Bevor wir allerdings anfangen ... beten wir.“ Er senkte den Kopf und schloss die Augen. Dabei legte er allerdings die Hand ihm gegenüber und Richtung Metatropeasis’ als Zeichen, dass sie und der Doktor diese ergreifen sollten und gleichzeitig auch unsere dann noch freie Hand mit der unseres Nachbarn verbinden sollten. Wir taten, wie uns gezeigt und schlossen ebenso die Augen und warteten auf das Gebet, was folgen sollte: „Oh heilige Große Mutter Adkata. Auch für den heutigen Tag danken wir dir. Wir danken dir für den Frieden, den du uns schenktest. Wir danken dir für das Licht, welches du uns zukommen ließest. Wir danken dir für die Gaben, mit denen du uns bestückt hast. Große Mutter, dein Geist lebt jeden Tag in und mit uns. Wir wollen dir für das Gleichnis, das du über uns brachtest, Ehre erbringen und mit jedem Bissen, den wir zu uns nehmen, deiner gedenken. Ohne dich sind wir nichts. Ohne uns bist nicht du. Ashandriam Yassola.“ Keiner von uns anderen wusste, was diese letzten beiden Worte bedeuten sollten, aber es wäre wohl so etwas wie ein Amen, so dass wir diese Formel aufsagten. Die Hand, welche seit geraumer Zeit in meiner lag, die Hand des Doktors, hatte bei den letzten Worten gezuckt. Warum? Wir öffneten die Augen, als Duma ein „Lasst es euch schmecken“ sprach und griffen daraufhin zu dem Besteck. Manche Dinge konnten noch so weit von der Erde in Zeit und Raum entfernt sein – aber ein Löffel wäre immer ein Löffel, sofern er dessen Funktion zu nehmen hatte. Ich schnüffelte an der Suppe, während der Timelord bereits beherzt den ersten Schluck verzehrte. In ihr schwammen verschiedene Gemüsesorten. Zumindest nahm ich an, dass es Gemüse war. Pilzähnlich. Nun, Pilz war gut! Zugegeben, ich musste über meinen Schatten springen, zu probieren. Wenn man mit so vielen Unverträglichkeiten und Allergien wie ich gesegnet war, dann achtete man schon dreimal auf das, was man zu sich nahm. Aber ich hatte auch die Erfahrung gemacht, dass die Küchen der Länder, die am weitesten entfernt waren, mir in der Regel am besten bekamen. Also los, Alex! Du kannst das! Das Duglamesch fand den Weg in meinen Mund und ließ einen wahren Geschmacksorgasmus explodieren. Was um alles in der Welt war das nur, was mich so vor Entzücken die Augen aufreißen und ungläubig in meine Schüssel starren ließ? Ich bewegte die Flüssigkeit und deren festen Inhalte mit der Zunge hin und her. Es schmeckte wirklich süß-sauer. Nein, sauer-süß. Und es war deftig. Irgendwo war Schärfe versteckt. Und hinten rechts, fast am Zungenbein, hatte es einen fleischigen Geschmack. Die Suppe prickelte leicht an den Geschmacksknospen und mein Körper erfuhr eine leichte Gänsehaut, als ich sie schließlich herunterschluckte. Das letzte Mal, dass ich solch einen Genuss erlebt hatte war ein Stück Rindfleisch bei einem japanischen Grill-Restaurant, das mir regelrecht auf der Zunge zergangen war. Auch, wenn es sich nicht so gut vom Geschmack her eingeprägt hatte, wie der Pfälzer Hirsch in Rotwein-Orangensauce, dem ich bis heute dankbar war, dass er sich hatte erlegen lassen. „Und?“, fragte Metatropeasis ganz aufgeregt und als ich in ihr Gesicht sah bzw. das der anderen wurde mir klar, dass ich meine Begeisterung wohl sehr offen gezeigt hatte. Alle guckten mich mit demselben wissenden Grinsen an. Erwischt. „Her...vorragend“, brachte ich leise hervor und musste sogar noch hüsteln, weil ich mich etwas verschluckt hatte. Ein Lachen entwich Dumas Kehle und er reichte mir den Korb. „Hier, nimm ein Stück Akanthar. Du wirst es brauchen.“ Ich verstand zwar nicht warum, aber ich tat einfach wie mir geheißen. „Erkläre ich Ihnen später. Essen Sie nur“, fügte der Doktor hinzu, während er selbst sich eine Portion Radekan-Brot genehmigte und im Wechsel mit seiner Suppe aß. (Die Erklärung war ganz einfach: Duglamesch wirkte letzten Endes wie ein riesiger Topf Chilli Concarne – das Brot war wie die erlösenden Tabletten gegen Blähungen) „Duma, ihr verehrt die Heilige Mutter Adkata“, begann der Doktor mit einem Mal, woraufhin der andere nickte, „Wie nehmt ihr Kontakt zu ihr auf?“ „Durch unsere Herzen“, erklärte Duma wie selbstverständlich, „Jeder kann die Heilige Mutter sprechen hören. Es ist sogar unsere Pflicht, sie jeden Tag in unsere Gebete einzubeziehen.“ „Wie oft betet ihr?“, fragte ich dazwischen, während ich einen Schluck von meinem Tee trinken wollte, aber sogleich vom Doktor leise angewiesen wurde, das nicht zu tun. (Radekaner tranken nicht zum Essen. Das würde bedeuten, dass man das mühsam zubereitete Gericht vor einem verschmähte) „Fünfmal am Tag. Vor jedem Essen, nach dem Aufstehen und vor der Nachtruhe. Am achten Tag der Woche gehen wir zur feierlichen Messe der Stadt.“ „Und wo ... ist sie aufzufinden?“ Duma verstand die Frage anscheinend nicht, da er den Timelord mit dem grandiosen Haar fragend ansah, dann allerdings zeigte er wieder sein nettes Lächeln, „Ach, das meinst du ... Ihr Heimatort ist Tavanim. Das Volk Radekans hat einen Tempel errichtet, um ihrer zu gedenken und zu ehren. Hier finden wir die Antworten auf unsere Fragen.“ „Und wer hütet den Tempel?“ „Hüten? Niemand. Wir sind ein friedliches Volk“, entgegnete Duma und nahm einen weiteren Löffel der köstlichen Spezialität zu sich. „Aber wie erhaltet ihr eure Antworten? Wer sagt sie euch?“ Der Doktor ließ nicht locker und etwas in seiner Stimme verriet mir, dass es nicht nur reine Neugier, sondern auch Argwohn war. Argwohn, welchen Duma nicht begreifen konnte, da er unter einer schützende Glocke des Pazifismus’ aufgewachsen war. List und Trug waren ihm so fremd wie mir das Leben auf Radekan. Metatropeasis hingegen, welche weitaus andere Erfahrungen auf Arcateen gemacht hatte, erkannte die Absicht hinter dem kleinen Verhör und warf sich schützend in das Wortgefecht: „Ist das nicht egal?“, ergriff sie sogar Dumas Arm, als wollte sie ihn wirklich vor dem Doktor beschützen, „Es geht allen gut und das dank der Heiligen Mutter. Das ist doch schön oder nicht?“ Der Timelord wechselte einen Blick mit ihr, ehe er seinen mit einem nicht gerade überzeugenden „Ja, natürlich“ senkte und den Löffel auf dem Teller legte, nachdem er das Essen beendet hatte. „Können wir diesen Tempel nicht vielleicht einmal besuchen?“, wandte ich ein, wohl wissend, dass dies unseren Aufenthalt hier auf Radekan verlängern würde. Aber ich hatte auch das Gefühl, dass es dem Doktor nun mehr gar nicht so viel ausmachen würde. Etwas hatte seine Skepsis angestoßen, sein Gefühl, etwas tun zu müssen. „Ja, das ist natürlich möglich“, nickte Duma und legte nun auch seinen Löffel zur Seite, „Es ist sogar nötig. Ihr solltet euch der Großen Mutter vorstellen.“ „Eine Höflichkeit des Gastes gegenüber des Gastgebers?“, schlussfolgerte ich. „So ist es.“ „Dann machen wir das doch, oder Doktor?“ Ich stupste ihm in die Seite, um eine Reaktion zu erfahren, woraufhin er aus seiner Gedankenstarre erwachte und ein schnelles Lächeln aufsetzte, „Ja, das wird uns eine Freude sein!“ „Hervorragend, ich freue mich, euch mehr von meiner Heimat zeigen zu dürfen! Aber pass bitte gut auf deine Begleiterin auf“, ermahnte Duma dann mit einem hochgezogenen Mundwinkel, „Frauen sind ebenso gleichberechtigt wie Männer – und eine Fremde auf unserem Planeten ist eine Seltenheit.“ „Keine Sorge, sie ist in guten Händen“, lächelte der Timelord zurück und hielt mit diesem schlechten Wortwitz meine Hand in die Höhe. Ich verstand zwar nur Bahnhof, aber was soll’s. Ich konnte mich schließlich wehren. Sowohl auf höfliche als auch auf nicht ganz so höfliche Art. Das wird schon. „So, nach diesem Mahl ... lasst uns auf den heutigen Tag anstoßen!“, verkündete unser Radekaner einmal mehr und erhob sich, um abzuräumen. Ein wirklich zuvorkommender Gastgeber. „Warte, ich mach das!“, sprang Metatropeasis da bereits auf, was mir ein durchaus breiteres Schmunzeln bescherte. „In Ordnung, dann gehe ich den Rasshal holen.“ „Sehen Sie es als Ingwerbier an“, raunte der Doktor mir wissentlich zu, woraufhin ich just nickte. Bier war okay. Bier sollte nicht betrunken machen. Dachte ich. Nach dem ersten Schluck war ich mir da aber nicht mehr sicher: Duma hatte eine große Flasche geholt, zumindest sah es nach einem Gemisch aus Flasche und Vase aus und die Flüssigkeit glich tatsächlich Bier – nur ohne Schaum, wenn man sie einschenkte. Ich war recht satt von dem Schälchen Suppe und den paar Bissen Brot, also wollte ich lieber nur ein Glas trinken, um meinen Magen nicht zu überfordern. Als Metatropeasis und ich schnupperten, erlaubte sich Duma einen Scherz mit uns: „Wisst ihr, woraus Rasshal gewonnen wird?“ Natürlich schüttelten wir beide den Kopf. „Aus den Mägen von vier Tagen gehängten Tahaal.“ Keiner von uns beiden reagierte. „Tahaal sind Fische“, erklärte der Doktor, „Etwas größer als ein Delfin, vom Geschmack ähnlich wie diese Heringe. Riesenmägen.“ Sofort rückte Metatropeasis angeekelt das Glas von sich weg. Ich war weniger schnell zu verschrecken: „Das geht doch gar nicht. Ein Magen ist ein Hohlorgan. Wie soll daraus Flüssigkeit gewonnen werden?“ „Die Verdauungssäfte betragen um die 120 Liter.“ „Sie veräppeln mich.“ „Nein, es wäre also gegärter Verdauungssaft mit Nahrungsresten, den Sie da zu sich nehmen.“ Nun schaute auch ich angewidert in mein Glas. Der Spaß war gelungen: Duma lachte laut auf und entschuldigte sich sofort, „Keine Sorge. Das ist rein pflanzlicher Natur. Tahal.“ Mein Blick glitt zum Doktor: „Sie haben mich doch veräppelt.“ „Ich sagte nur, Sie würden trinken. Ich habe Sie nicht angelogen“, wies er jegliche Schuld von sich. Meine Augen wurden schmaler und ich musste wohl oder übel aufgeben. Da hatte er wohl recht. Tahaal und Tahal. Kleiner Unterschied in der Betonung. „Das war gemein“, beschwerte sich Metatropeasis, „Mach das nicht nochmal!“ Wie mädchenhaft sie bei ihm klang ... Irgendwie süß. „Also dann, lasst uns anstoßen. Auf euer Erscheinen und darauf ...“ Duma machte eine kleine Pause und blickte zu seiner Freundin, „... dass ihr mir Metatropeasis gebracht habt. Ich danke euch von Herzen.“ Ja, da tat er. Und das taten auch wir – herzhaft anstoßend. Ich sagte ja bereits, dass ich mir weniger Wirkung versprochen hatte. Aber was auch immer diese Tahal-Pflanze darstellte ... sie hatte eine Menge Alkohol nach der Gärung in sich. Einen mutigen Schluck zu mir genommen, spürte ich im nächsten Moment, wie mir mit einem Mal wärmer wurde und sich diese Hitze in meine Wangen ausbreiten wollte. Es schmeckte wirklich nach Ingwer-Bier, was es nicht besser machte: denn schon nippte ich erneut an dem Gebräu. Versteht mich nicht falsch, ich trinke nie in Übermaße – aber genau das war das Problem: den unterschätzten Alkoholgehalt und dass ich somit nicht (mehr) trinkfest war. Beides zusammen eine üble Kombination. Eine sehr üble Kombination. Während ich bereits die Heiterkeit spürte, die mich beflügelte, schien Duma kein Stück angetrunken zu sein. Beim Doktor war ich mir nicht so sicher, vielleicht ein kleines bisschen, aber Metatropeasis hatte es genauso erwischt wie mich – nur schlimmer. Worüber wir uns jetzt unterhielten? Ich würde es euch lieber ersparen ... glaubt mir. Alkoholgespräche endeten nie gut. „Jetzt mal im Ernst, willst du wieder nach Hause?“, hakte Metatropeasis nach und hatte sich dabei über den Tisch gebeugt, um mich genaustens zu beobachten. „Klar doch!“, platzte es aus mir raus, „Da warten schließlich Menschen auf mich! Meine Familie, meine Freunde und mein Freund.“ „Aber das ist voll gefährlich bei euch.“ „Du warst in der falschen Zeit!“ „War ich nicht. Die Unterlagen meines Vaters sagten, dass es genau die richtige Zeit war. Ganz genau“, setzte sie mit einem bedeutsamen Nicken nach. Tja, da hatte wohl jemand die Reiseinfos Papas gestöbert, um sie für sich zu nutzen ... „Aber dann kannst du ja nach Hause und ich reise weiter mit dem Doktor!“ Der Angesprochene schüttelte nur sachte den Kopf, während er – gefühlt unberührt vom Alkoholrausch – einen weiteren Schluck nippte: „Warum nur schmeckt dieser Rasshal nur so überaus ekelerregend wie auch gleichzeitig erfrischend? Besser als ein Bananen-Daiquiri und das heißt schon was!“ Nein. Er war nicht unberührt geblieben. Er konnte es nur selbst jetzt nicht lassen, Dinge zu untersuchen und zu scannen. Unfassbar. Was musste ich ihm präsentieren, damit er es ließ? Ein Pferd auf dem Flur? „Wenn ich nicht hier bleiben kann, dann will ich nirgendwo hin!“, jammerte die junge Arcateenianerin und lehnte sich wieder zurück. Dann zu Duma herumdrehend, als hätte sie eine Idee, sah sie ihn flehentlich an, „Ich will bei dir bleiben!“ Duma selbst war wohl der Nüchternste von uns allen – kein Wunder, er kannte sein Heimatgetränk und dessen Wirkung ja auch nur zu gut. Beschwichtigend legte er die Hand an ihren Kopf und strich dabei regelrecht zärtlich ihre Wange entlang. Auf seinem Gesicht zeigte sich Sorge, aber auch Kummer – zum ersten Mal an diesem Tag. „Ich weiß, Metatropeasis. Ich weiß.“ Nein du Idiot, das heißt Ich will auch, dass du bei mir bleibst. „Ich will wirklich bei dir bleiben!“, beteuerte sie abermals und nun mehr klang es nicht nur sturköpfig, sondern auch kläglich. Nahezu weinerlich. „Jetzt mal im Ernst“, warf ich dann ein, hatte nun mehr mein zweites Glas Rasshal vor mir stehen – das vermeintlich schwache Ingwerbier, „Was ist das da zwischen euch? Merkt ihr eigentlich, wie überaus nicht freundschaftlich ihr euch benehmt?“ Ich deutete mit meinem Zeigefinger abwechselnd von einem auf den anderen, „Wollt ihr Freunde sein? Dann wirst du sie vermutlich bald gar nicht mehr wiedersehen“, machte ich Duma klar, der wohl gut genug um die Zwangsheirat wusste, „Und du, willst du das auch? Dann wirst du bis an dein Lebensende unglücklich oder erhängst dich vorher.“ „Ich glaub, Sie haben zu viel getrunken“, ermahnte mich der Doktor, die Hand an mein Glas gelegt, welches ich fix zur Seite schob, „Sagt der Richtige.“ Währenddessen sahen sich Metatropeasis und Duma irritiert an. Niemand hatte sie bisher so klar mit dem konfrontiert, was zwischen ihnen vorging. Sie hatten sich darüber auch nie Gedanken machen müssen. Wenn man glücklich ist, dann glaubt man auch alle Zeit der Welt zu haben. Einfach so weitermachen zu können. Nur, wenn die Zeit dann knapp wird, ist dem nicht mehr so. Und ich hatte gerade nicht nur ihre bisherige Freundschaft in Frage gestellt, die wohl weitaus mehr war, sondern auch aufgezeigt, dass sie nicht mehr warten, sondern handeln müssten, um etwas zu ändern. „Redet miteinander. Das tut ihr doch so auch immer“, riet ich an, „Na los jetzt! Hopp, hopp!“ Ich wedelte mit der Hand von mir weg, „Geht schon. Macht ’nen Spaziergang oder so.“ Aus Dumas Gesicht war jede Lockerheit vergangen. Er sah erst mich ernst an und daraufhin Metatropeasis. Ich glaube, er begriff, worum es ging. Seine Hand legte sich an ihre und er zog sie mit hoch: „Komm.“ Mehr sagte er nicht. Metatropeasis' Stirn kam ins Runzeln und anhand ihrer Augen konnte ich sehen, dass sie Angst hatte. Das war für sie unbekanntes Gewässer. Sie wusste nicht, was sie zu erwarten hatte und wusste so auch nicht, wie sie reagieren sollte. „Du bist unmöglich“, sprach sie mir noch zu, ehe sie aufstand und ihm folgte. „Ach ja“, wandte sich Duma noch einmal an den Doktor und mich, „Wenn ihr schlafen wollt ... das Gästezimmer ist hier drüben.“ Und damit waren die beiden verschwunden. „Das war ziemlich direkt“, bemerkte der Doktor daraufhin und zog durch bis zum letzten Schluck, ehe er mit einem Durchschütteln seiner selbst das Glas absetzte. „Klar. Und was meinen Sie, Doktor?“ „Hm?“ Er sah mich fragend an und klimperte mehrmals mit den Augen, was mich sehr irritierte. Angetrunken. Oder betrunken. Auf jeden Fall nicht mehr nüchtern. „Wir sollten etwas gegen diese Zwangsheirat unternehmen, oder?“ „Wir haben uns nicht in die Geschichte der beiden und damit auch des Planeten einzumischen.“ „Ach kommen Sie! Wie oft haben Sie das schon getan?“ Eine gemeine Karte, die ich ausspielte. „Das ist was ganz anderes“, verzog er das Gesicht wie ein Kind, dem etwas nicht schmeckte. „Nein, ist es nicht“, schubste ich ihn an und bemerkte dabei, dass es ihm schwerer fiel, die Balance zu halten, „Wir geben einfach nur ihren Eltern den guten Hinweis, dass sie sich das überlegen sollten mit der Heirat und verschwinden. Was ist daran verboten?“ „Einfach alles“, setzte er entgegen und drehte das Glas zu seinen Händen, „Wissen Sie, was mit dem Zeitreisen verbunden ist?“ „Auf große Macht lastet große Verantwortung“, zitierte ich den guten alten Onkel Ben aus Spiderman und verdrehte die Augen, „Aber auch Verantwortung gegenüber Gerechtigkeit.“ „Das verstehen Sie falsch“, wankte der Doktor wieder in seine Ausgangsposition zurück. Ich musste mir den Spaß erlauben und ihn ein weiteres Mal anschubsen. Er erinnerte mich nämlich an eine Stehaufmännchenfigur und diese mochte ich immer noch zu gern. Wieder geriet er ins Wanken, was ihn aber nicht am Reden hinderte, „Sie sind keine Weltenretterin und sollten es auch nicht sein.“ „Sind Sie auch nicht, aber Sie tun’s trotzdem immer mal wieder.“ Wieder in seine Ausgangsposition kommend, wollte ich ihn ein drittes Mal anschubsen, aber dieses Mal verfehlte ich mit meiner Hand seine Schulter und landete stattdessen mit meiner gegen seiner. Ich blieb in dieser Position und ließ einen angetrunkenen Seufzer von mir, „Lassen Sie sich’s doch durch den Kopf gehen. Bitte.“ Mehr nicht.   Ich kann nicht mehr sagen, wie ich an dem Abend ins Bett gekommen bin und der Doktor wollte mir auch nichts verraten. Wir waren zumindest noch vor Dumas und Metatropeasis’ Rückkehr zu Bett gegangen. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, auf dem etwas seltsam fluffigweichen großen Bett, der Doktor auf der anderen Seite liegend, bekam ich zunächst nur einen starken Kopfschmerz zu spüren. Autsch … dabei war ich immer noch der Meinung, dass ich gar nicht so viel getrunken hatte … falsch gedacht. Von der Menge vielleicht, aber nicht von der Qualität. Mich seitlich aufsetzend hielt ich mir die pochenden Schläfen und murrte ein wenig. Mit einem faden Gähnen blickte ich mich um. Das Schlafzimmer war ein Raum ohne Fenster, fügte sich genauso in das Heim ein, wie auch alle anderen in seiner Gestaltung und dem Mobiliar. In meinen Augen fehlten nur noch ein, zwei Lichterketten, damit es hier richtig gemütlich geworden wäre. Wir hatten auf dem Bett keine Decke, anscheinend brauchten das die Leute hier nicht. Die Kissen hingegen waren echt und genauso weich wie jene, auf denen wir gestern im Wohnzimmer saßen. Außer dem Bett befand sich hier nur noch ein Schrank. Keine weiteren Elemente. Es war eben wirklich nur ein Schlafzimmer. Ich musste zugeben, dass das Bett sehr bequem war und genau den richtigen Härtegrad für meinen Rücken wusste. Es gab nach, wo es nachgeben musste und blieb hart, wo es stützen sollte. Konnte ich das Ding nicht mit nach Hause nehmen? Der Doktor hätte wohl etwas dagegen, so ein großes Ding mit in die TARDIS zu schleppen. Apropos … Ich schaute zur Seite und sah dort den Doktor, mir den Rücken zugekehrt, liegen. Schlief er? Schlief ein Timelord überhaupt? Das war mir zu dem Zeitpunkt noch nicht klar gewesen. Ich war neugierig, aber eine gewisse Distanz sollte doch gewahrt werden? Deswegen beugte ich mich nur ein klein bisschen über ihn – gerade so viel, dass ich sehen konnte, dass der Doktor die Augen geschlossen hatte. Komisch, wie anders Leute aussahen, wenn sie sich im Schlaf befanden und nicht eine Gesichtsregung ihren Körper belebte. Er wirkte so ruhig, gelassen, aber irgendwie auch angespannt. Sein Profil erinnerte mich an meinen Liebsten, ich musste ein bisschen darüber schmunzeln, aber im Grunde hatten sie so nicht viel gemein. Der Doktor wirkte ernster, älter, eindeutig wie ein Mann, der viel erlebt und gesehen hatte. Es fehlte eine Art kindliche Gelassenheit, welche ich bei meinem immer sehen konnte. Mich langsam vom Bett erhebend, streckte ich mich noch einmal und rieb mir die Augen. Müde war ich immer noch. Ich hob ein Bein vors andere und trat langsam aus dem Schlafzimmer wieder auf den kleinen Flur, welcher zum Wohnzimmer führte. Was mich da erwartete, ließ mich noch mehr schmunzeln. So viel eben zu den guten Freunden … sagte ich‘s doch. Sowohl Metatropeasis als auch Duma hatten es sich im Wohnraum inmitten den Kissen gemütlich gemacht – miteinander. Keine Ahnung, was zwischen den beiden am Abend noch vorgefallen war, aber sie wirkten innig und zufrieden, wie sie so beieinander lagen, gewisserweise konnte man von aneinandergekuschelt reden. Ich musste die beiden einfach ein kleines Weilchen still beobachten und blieb so im Zimmerdurchgang gelehnt stehen. Keine Ahnung wie lange, aber wohl lang genug, als dass sich auch der Doktor schließlich aufbequemt hatte, denn mit einem Mal hörte ich seine halb verschlafene Stimme hinter mir: „Sie haben einen sehr belebten Schlaf“, bemerkte er und ließ dabei seine Halsgelenke knacken, in dem er den Kopf einmal zur linken und einmal zur rechten Schulter neigte. Er trat direkt hinter mich, musste aber stehen bleiben, weil ich es auch tat. Als ich mich zu ihm wandte, sah ich seinen etwas überraschten Gesichtsausdruck und mein Grinsen wurde breiter: „Sind Sie immer noch der Meinung, dass wir alles seinen Gang gehen lassen sollten? Die Stirn des Timelords runzelte sich beim Anblick der zwei und er schaute ein bisschen ernster zurück zu mir: „Sie sind weder Armor, noch sind Sie dafür zuständig, dass sich das Leben der Zwei so gestaltet, wie sie es sich wünschen.“ „Nein, aber ein wenig anstupsen darf man doch noch?“ Er erwiderte nichts, aber ich wusste, dass er zumindest ein gewisses Maß an Verständnis für aufbringen konnte. Es war schließlich gewiss nicht das erste Mal, dass der Doktor bei zwei Personen mitbekam, wie sich das Schicksal gegen sie gestellt hätte. Auch nicht das erste Mal, dass er die Geschichte drehen würde. Seltsamerweise versuchte er aber immer wieder, dies nicht so aussehen zu lassen und sich noch einmal rauszuwinden. Mit wenig Erfolg, wir ihr wusstet. „Zumindest so ein kleines bisschen.“ Ich wusste ja selbst gut genug, dass wir Vorsicht mit unseren Taten walten lassen sollten. Nicht übertreiben. In diesem Moment begann Metatropeasis zu murren, sich ein wenig zu winden und Anstalten zu machen aus ihrem Schlaf aufzuwachen. Ich schmunzelte und als sie schließlich langsam die Lider hob, begrüßte ich sie mit einem „Guten Morgen“, so dass sie sich nicht überrumpelt vorkäme, wenn sie uns beide plötzlich erblickte.   Wir frühstückten – es gab eine sämige Suppe, fast schon puddinggleich, welche ein bisschen nach Vanille schmeckte. Dennoch waren es just einheimische Gemüsesorten, die aber aus einheimischen Gemüsesorten bestand. Es war ein ruhiger Morgen und Duma erklärte uns, dass wir bald aufbrechen müssten, um noch vor dem mittäglichen großen Gebet die Große Mutter aufzusuchen. Ich glaube, das war so ein bisschen mit unseren Sonntagsmessen zu vergleichen. Vermutlich nur noch weit umfangreicher. Wir brachen so recht zeitnah auf. Kaum verließen wir das Heim, erreichten uns die morgendlichen Sonnenstrahlen Radekans, welche die Erde weitaus güldener beschien, als wir es auf der Erde je hätten sehen können. Die wundersamen Pflanzen, welche die übrigen Häuser ein bisschen voneinander abtrennten schimmerten in vielen Facetten gebrochenen Lichtes und hier und da waren noch die Nachwirkungen der Nacht in Form von Tautropfen zu beobachten. Die Luft war klar und kühl. Ich musste unwillkürlich lächeln. Auf unseren Weg erfuhren wir so einige Besonderheiten zu den Lebensweisen der Radekaner: Alles, was sie wissen mussten, lernten sie in ihren Familien. Im Gegensatz zu gestern Nachmittag schien die Welt hier regelrecht aufzublühen. Viele beschäftigte Wesen mit bläulicher Haut und Libellenflügen kreuzten unsere Wege. Man konnte es fast schon mit der Rushhour gleichsetzen, die man auf der Erde in Großstädten kannte. Ich hatte keine Ahnung, was sie hier alles arbeiteten und ob es nicht auch seltsame Jobs gab, die wir uns nicht einmal vorstellen konnten, aber als wir nach einem kurzen Spaziergang durch die Flora wieder den Marktplatz erreichten, fühlte ich mich glatt ein bisschen heimisch: Die Einwohner der Stadt bauten gerade ihre Stände aus und anhand der noch zur Seite gestellten Auslagen konnte man bereits erkennen, dass auch hier mit nichts anderem als Güter des Agraranbaus, der Viehzucht und des Handwerks gehandelt wurde. Ein paar der Stände waren sogar bereits halbwegs aufgebaut und an einem, welcher mit interessanter floraler Dekoration ausgestattet war, bemerkte ich, wie uns ein Händler heran winken wollte. Ich war mir unsicher, ob ich einfach hingehen konnte – Schon bei mir auf den Märkten machte ich das nur, wenn ich auch wirklich was kaufen wollte, doch war Metatropeasis schneller darin, mir diese Entscheidung abzunehmen. Neugierig schlüpfte sie zwischen dem Doktor und mich hindurch und damit zum Stand hin, vor dem sie interessiert stehen blieb. Folgend war Duma, der seine Freundin natürlich nicht alleine hier stehen lassen wollte. Ich schaute zum Doktor auf, welcher nur mit den Schultern zuckte und so standen wir schließlich wie die Hühner auf der Stange vor dem Marktstand der Verkäuferin: Bisher hatte ich noch keine Radekanerin genauer anschauen können, aber sofort kam mir der Gedanke, dass sie ihrem männlichen Pendant hier in nichts nachstand. Ihre Gesichtszüge waren ebenso anmutig wie schmal und ihre vollen, kräftig blau (geschminkten?) Lippen rundeten diesen unteren Part ihres Antlitzes ab. Ihre Augen waren schmaler als Dumas und von einem kräftigen Wimpernkranz geschmückt. Sie hatte wassergrüne Pupillen und als würde sie selbst aus solch einem gestiegen sein, legten sich ihre leger zusammengebundenen langen, silberweißen Haare wellig um ihr Gesicht. Sie trug eine Art langärmlige Tunika, welche an der Taille mit einem Band drapiert worden war. Eine Frau, die hier sicherlich für Begeisterung unter Interessenten sorgen würde. „Schön, die ersten Gäste zu früher Morgenstunde schon zu sehen“, begrüßte sie uns mit einem Lächeln und blieb dabei vor allem länger an den Doktor, Metatropeasis und schließlich mir hängen. Ohne überheblich klingen zu wollen, hatte ich aber das Gefühl, dass sie besonders bei meiner Wenigkeit so lange mit ihren Augen verweilte. Es hinterließ ein mulmiges Gefühl, denn ich wusste nicht recht, wohin ich diese Beobachtung ihrerseits einordnen sollte. Duma schien sie jedenfalls nicht zu kennen, da die beiden keine weiteren Worte miteinander wechselten, aber gut: Man konnte auch nicht verlangen, dass er jeden Einwohner Radekans kannte? Und wer weiß, ob es sich hier nicht auch um fahrende Händler handelte, die in diesem Ort nur stationierten? „Vielleicht kann ich euren Tag mit ein paar besonderen Düften verschönern?“, ging sie daraufhin bereits in Verkaufslaune und nahm mit beiden Händen behutsam eine der kleinen Blumengestecke (zumindest sahen sie danach aus) und hielt sie uns vor Augen. Die einzelnen Elemente erinnerten mich von ihrer Form an Lilien, waren hingegen tief Violett und rochen auch vollkommen anders. Ich konnte nicht sagen, dass ich diesen Duft wirklich mochte, er war mir irgendwo recht penetrant. „Wenn ihr euch regelmäßig in der Nähe unsere Anjaen aufhaltet, dann werdet ihr für eure Umgebung unwiderstehlich sein!“, versprach die Verkäuferin mit einem vielsagenden Blick und versuchte dabei, besonders mit mir Augenkontakt aufzunehmen, so dass ich wohl oder übel antworten musste: „Vielen Dank, aber ich glaube … das ist nicht das, was ich unbedingt suche.“ Um nicht zu sagen gewiss nicht suchte. Der Doktor an meiner Seite schmunzelte und neigte sich etwas vor, um sich selbst von dem Duft der Anjaen-Pflanze zu überzeugen, doch da zog die Radekanerin das Produkt bereits weg. „Für Sie hätte ich etwas anderes.“ Sie drehte sich einmal um und holte etwas von der Verkaufsfläche zu ihrer Linken. Es war kein handtellergroßes Gesteck, sondern erinnerte mich an einen Schlüsselanhänger, mit einer Lederschlaufe wie gewünscht zu befestigen. Dieser Anhänger war auch mit getrockneten Pflanzen bespickt, jene sahen aber mehr aus wie Herbstfloristik. Eigentlich sogar ganz nach meinem Geschmack. Der Doktor rümpfte jedoch die Nase, als er hätte er einen unliebsamen Duft in dieser. Aber gut: sein Riechorgan war noch einmal ganz anders bestellt als meine Allergikernase. Um ein vielfaches besser, um genau zu sein. „Danke für Ihre Mühe, aber ich glaube nicht, dass ich damit etwas anfangen kann“, lehnte er höflich aber klar ab, wurde jedoch nicht so leicht aus den Fängen der Verkäuferin gelassen: „Dieser Anhänger bedeutet für Sie großes Glück, wenn Sie ihn bei sich tragen.“ „Ich danke abermals, aber was Glück betrifft … verlasse ich mich lieber auf mein eigenes“, deutete er mit dem Zeigefinger damit auf seine Schläfe und meinte wohl eher seinen Kopf, der ihm schon so manches Mal mehr gebracht hatte als die wohlweisliche Glücksportion. Konnte ich ihm nicht verübeln. Dennoch besaß der Doktor soviel Taktgefühl, dass er seine Abneigung gegenüber zu viel Aberglauben nur subtil wirken ließ. Vorsicht, schlechter Wortwitz: durch die Blume gesprochen. „Aber Glück ist von immenser Wichtigkeit!“, fing nun auch Metatropeasis an, welche sich vor Begeisterung die ganze Zeit mit den verschiedenen Gütern des Standes hatte beschäftigen können. „Fang du jetzt nicht auch noch damit an“, wurde der Timelord grummeliger und hätte wohl fast schon menschlich genervt die Augen verziehen wollen, „Wo soll ich den hinhängen? An die Wand der TARDIS?“ „Zum Beispiel?“ Es fiel mir schwer, nicht zu schmunzeln. Ich fühlte mich an die unzähligen Male zu Hause erinnert, wo es darum ging, ob meine Mutter einen weiteren Staubfänger in die Wohnung schleppen würde oder nicht. Und zugegeben: Solch ein blumiger Anhänger neben der Eingangstür der TARDIS hätte durchaus Stil. Nur könnten wir dann wohl gleich das gesamte Raumschiff dekorieren und das war nicht Sinn der Sache oder im Sinne des Doktors. „Glück ist in der Tat ein wichtiges Gut. Auch wenn wir der Heiligen Mutter Adkata unsere tägliche Auferbietung zeigen, so ist es das Glück, welches sie jeden von uns schenkt.“ Aha, da hatten wir es also! Ich warf dem Doktor an meiner Seite einen vielsagenden Blick zu, welchen er zwar nicht erwiderte, aber ich konnte an seinen Gesichtszügen erkennen, dass er ähnliches dachte: Adkata war für alles verantwortlich, was Radekan betraf. Mir wurde unwohler dabei zu glauben, dass es sich nur um einen einfachen Glauben handeln sollte. Fehlten nur noch die Adkata-Püppchen ein paar Stände weiter und ich würde es als Fanatismus abstempeln. „Das ist allerdings richtig“, warf nun auch Duma ein und zeigte sich mit einem verständnisvollen Lächeln, da wir nicht so viel Ahnung von den Glaubenssätzen und der Religion hier auf Radekan zu haben schienen, „Alles, was unser Leben ausmacht, wird von der Heiligen Mutter in die richtigen Wogen gelenkt. Wir beschweren uns nicht über Unheil oder Probleme – dies sind alles Prüfungen, die wir von der Heiligen Mutter in unserem Leben auferlegt bekommen. Und keine dieser würde in einem Maße anfallen, dass wir sie nicht bestehen könnten.“ „Aber … was ist mit Krankheiten? Mit Tod? Auf unserem Planeten gibt es so etwas um ein Vielfaches“, platzte es da aus mir heraus, bevor ich mir selbst hätte auf die Zunge beißen können. Ich verstand dieses Denken nicht. Ich hatte es schon früher bei Klassenkameradinnen nicht verstehen können, die alles als Prüfung Jesus‘ verstanden. Für mich, die nicht kirchlich erzogen worden war, hatte es nichts mit Tests zu tun, die wir im Leben abzulegen hatten. Und nicht jeder bestand sie. Egal, wie sehr er an seinen Gott glaubte. War das gerecht? … Ich konnte es mir kaum vorstellen. „Krankheiten gehören zum Leben. Ebenso wie der Tod“, sprach nun die Verkäuferin wieder und trug dabei eine weitaus ruhigere Stimme als noch so eben in Ihrem Verkaufswahn, „Das sind ganz normale Dinge, die ein jeder im Leben durchmachen muss. Wir entscheiden nicht darüber, was wir bekommen, sondern wie wir damit umgehen.“ Ich mochte es nicht, dass sie mir in diesem Augenblick mit einem besonders aufmerksamen Lächeln entgegenbrachte. Zudem, von dieser seltsamen Aufmerksamkeit mir gegenüber ganz abgesehen, beantwortete es auch nicht meine Frage. „Wenn wir eine Krankheit bekommen sollen, dann bekommen wir sie. Darüber haben wir keine Entscheidungsgewalt. Wir kriegen so die Chance, zu wachsen.“ „Lassen Sie es, Sie werden gegen Glaubenssätze nicht ankommen können“, legte der Doktor mir in diesem Moment seine Hand auf die Schulter und hatte sich zu mir geneigt, „Ich kann noch nicht sagen, wer diesen Glauben hierher brachte, aber er war äußerst erfolgreich. Lassen Sie es gut sein.“ Und damit hatte er wohl recht. Sinnlos diskutieren brauchten wir nicht und ich war diese Art der Unterhaltungen auch müde geworden. „Bevor ihr aber weitergeht ...“, warf da die Verkäuferin ein und wandte sich mit einer Entschuldigung kurzzeitig ab, um etwas aus ihrem Geheimversteck zu kramen, „Nehmt das mit. Seht es als kleines Geschenk für euren Gastbesuch auf Radekan.“ Bevor ich mich versah hatte sie eine Kette mit einem kleinen Federanhänger hervorgezaubert, welcher an einer dünnen Schnur befestigt war. Ich konnte das Material nicht ausmachen, aber mit einem Mal hatte ich sie um meinen Hals zu legen, „Es ist ein Glücksbringer. Leg diesen also nicht ab, solange du dich auf Radekan befindest“, flüsterte sie mir dabei ins Ohr, „Und etwas Glück kannst du gut gebrauchen.“ Ich zuckte unmerklich zusammen. Nicht ihrer Worte wegen, sondern weil sie mir mit einem Mal einen Kuss auf die Wange drückte. Es gab einfach Dinge, die ich nicht mochte und wollte und dazu gehörten Küsse Fremder. Wir waren entlassen. Metatropeasis war diejenige von uns, die unbedingt weiter und sich den restlichen Markt in den frühen Morgenstunden angucken wollte. Ich hingegen trottete mit Blick gen Boden gerichtet weiter, zaghaft die Kette berührend, die mir eben auferlegt worden war und die schwer auf dem Anhänger meines anderen zu liegen schien. Ich hatte kein gutes Gefühl in der Magengegend, konnte aber auch nicht ausmachen, warum. Es fühlte sich just falsch an, hier zu sein. Aber … ging es nur mir so? Wenn ich die anderen beobachtete, kam es mir vor, als wäre ich die Einzige, die Sorge trug. Metatropeasis war wie ausgewechselt. Es tat ihr gut, bei jemanden zu sein, den sie mochte (und liebte). Duma war hier geboren und kannte kein anderes Leben und der Doktor … ich konnte nicht in seinen Kopf sehen. Ich wusste nicht, was er dachte und er war auch kein Typ der großen Erklärungen. Entweder konnte man ihm folgen oder eben nicht.   Unser Weg führte uns an weitere Stände vorbei. Diese befanden sich fast alle im Aufbau, je zentraler wir uns bewegten, aber ich vermied es, meinen Blick noch einmal schweifen zu lassen. Es war schlimmer, als ich es von dem größten Szenemarkt in meiner Stadt kannte. Ich musste nur den Kopf zufällig in die Richtung eines Händlers drehen und schon wurde ich ihn nicht mehr los. Der Doktor musste schmunzeln und schien amüsiert, was ich nicht teilen konnte. Er bemerkte aus Jux, dass ich wohl deren Schönheitsideal treffen müsse, woraufhin ich ihm nur einen Stoß mit den Ellbogen in die Seite verpasste. Ganz reflexartig. Natürlich würde ich mir nicht nahestehende Personen so sonst nicht behandeln. Mir war es zunehmend unangenehm, denn ein „Eure Haare sind so lieblich duftend wie das Aroma der säuernden Mavia“ klang für mich nicht gerade nach einem Kompliment und einen seltsam geformten violetten Stein als Geschenk überreicht zu bekommen, der angeblich große Taten vollbringen könnte, war zwar eine nette Geste, aber ich wusste nicht so recht mit dieser Gastfreundschaft umzugehen. Dass der Stein noch das harmloseste Objekt war, wusste ich dann eine Viertelstunde später als wir schließlich am Tempel standen und ich in beiden Händen noch ganz andere Dinge (wie eine Ketten mit einem krähenfußartigen Anhänger oder ein Fläschchen Erde Radekans) hielt. Ich war froh, dieser ganzen Schmeichelei entkommen zu sein und wünschte mir gerade einfach nur, dass der Doktor wieder Zielscheibe für alle Flirtereien werden könnte. Ich war eindeutig nicht der Typ dafür. Das Tempelgebäude lenkte meine Aufmerksamkeit jedoch sehr fix auf sich. Ich hatte zwar in meinem bisherigen Leben dem ein oder anderen Tempel gegenübergestanden und auch die ein oder andere religiöse Institution in Büchern gesehen, aber doch war es nichts im Vergleich zu dessen hier: Das Fundament war aus solidem hellen Stein gebildet. Ähnlich des Marmors, aber doch wieder vollkommen anders in seinem Muster. Mehrere Säulen, in zwei Reihen hintereinander gestellt, offenbarten den Weg zur Eingangspforte. Schmal und lang streckten sie sich empor, weit über unsere Köpfe hinaus. Der Schaft einer solchen hatte kaum mehr Kanellierungen, sondern bestand aus einer nicht weniger ebenen Fläche, wie die Basis zu unseren Füßen. Die Kapitelle zum Abschluss der Säule waren reich verziert. Ich konnte die Formen von hier unten nicht erkennen, aber sie standen denen der korinthischen Säulen in nichts nach. Ein wirklich imposanter Bau – schon jetzt, bevor wir ihn betreten hatten. „Kommt mit“, wies uns Duma an und während ich noch diese architektonische Pracht bewunderte, führte er uns zum Eingang, auf dessen Boden bereits hier und da wie bei einer Fährtenlegung Blütenblätter lagen. In wunderschönem Violett und Türkisblau wurden wir begrüßt. Es erweckte in einem fast schon das Gefühl, dass man den roten Teppich betreten hätte. Kaum erreichten wir den Tempeleingang, erstreckten sich auch die Blumen in die Weite des Innenraums. Metatropeasis schritt mit Duma voran, während ich andächtig neben dem Doktor herging. Ich war nicht nur wegen der Größe überwältigt oder wegen des malerischen Charakters, welcher sich hier widerspiegelte. Mich hatte die ganze Atmosphäre in ihren Bann gezogen. Selbst wenn ich nichts von dem hier herrschenden Glauben verstand, respektierte ich ihn und auch jene, deren Leben sich danach ausrichtete. Vor allem aber war ich auch immer wieder aus Neue überrascht, dass solche Glaubenssätze die Menschen oder in dem Fall Radekaner dazu bewegten, Tempel zu errichten und selbst ihre tägliche Arbeit danach auszurichten. „Oh, bei der heiligen Mutter Adkata, gesegnet sei deine Ankunft!“ Ich sagte ja: Ich respektierte ihre Lebensart. Was nicht bedeutete, dass ich großer Fan von dem war. Ich richtete meine Augen nach vorne und hob ein wenig den Kopf. Vor mir stand ein weiterer Radekaner, dieses Mal war es aber ein älterer. Die Falten der bereits gelebten Jahre zeichneten sich in seinem Gesicht ab, krausten seine Stirn und die Partie um sein Kinn. Seine Augen waren schmal, die Nase ebenso und auch seine Lippen passten in dieses Schema. Er trug ein langes Gewand, welches mich an jene unserer Pfarrer auf der Erde erinnerte. Der Stoff schimmerte perlmuttfarben und seine Flügel, wenn er welche besaß, hatte er unter diesem Kleidungsstück geschützt. Er war einen ganzen Kopf kleiner als ich, so dass ich doch mehr zu ihm hinabsehen musste als alles andere. „Guten Tag?“, erwiderte ich den Gruß, ein bisschen unwissend, wie man ihnen hier in solch einer Situation begegnete. Anscheinend machte ich aber nicht alles falsch, da mir Duma keinen seltsamen Blick zuwarf oder mich mit einem Hüsteln darauf aufmerksam machte, dass ich in ein Fettnäpfchen getreten bin. Der alte Mann nahm meine linke Hand und hielt sie mit seinen, eher sie an die Stirn führte und zweimal mit dieser berührte. „Es ist uns eine große Freude, dich begrüßen zu dürfen, mein Kind!“, rief er daraufhin mit einem großen Lächeln aus, „Wir haben dich erwartet.“ „Ehm … okay?“ Was sollte ich dazu sagen? Ich blickte ein bisschen hilflos zum Doktor, welcher nur mit den Schultern zuckte, was mich aber daran erinnerte, dass ich ja nicht alleine hier war, sondern eben in Begleitung und dass diese bisher wohl keinerlei Aufmerksamkeit erregt hatte. Immerhin wurde nur ich begrüßt und das widerstrebte mir sehr. „Darf ich vielleicht die anderen vorstellen?“, fragte ich demnach und wandte mich ungeniert an die anderen, „Duma … vielleicht kennt ihr euch? Das hier ist Metatropeasis und das … der Doktor“, deutete ich mit der offenen Handfläche auf sie. Der Ältere verlor ein wenig sein Lächeln und sah nun mehr ernster in die Runde, als er antwortete, „Ja, Duma ist uns natürlich bekannt. Er ist uns immer sehr hilfreich.“ Auch der Arcateenianerin begegnete er mit dem nötigen Respekt und verbeugte sich um wenige Grad nach vorne. Nur dem Doktor gegenüber … war er unterkühlt. Sehr unterkühlt. „Was hat euch hierher nach Radekan gebracht?“, war die einzige Frage, die er ihm stellte. Der Argwohn spiegelte sich regelrecht in seinen Augen und er ließ den Timelord nicht eine Sekunde aus seinigen. „Nun, um ehrlich zu sein war es nicht einmal unsere Absicht hierherzukommen“, antwortete der Doktor an meiner Seite frei heraus, „Wir sind im Grunde nur auf der Durchreise.“ „Das würde ich Euch auch raten, Doktor. Es werden Euch nicht alle mit der Offenheit begegnen, die ich Euch entgegenbringe.“ Na ja, Offenheit war für mich etwas anderes, aber … jedem das Seine. „Warum … das denn?“, konnte ich mir nicht verkneifen zu fragen und der alte Radekaner wandte sich mehr an mich als an seinen Gegenüber. „Ihr wisst es nicht?“ „Sonst würde ich nicht fragen“, kamen mir Worte in den Sinn, doch biss ich mir allerdings auf die Zunge, um nicht unhöflich zu reagieren und schüttelte stattdessen den Kopf. „Er ist niemand, der hier sein sollte. Er und sein Volk. Sie sollten nirgendwo sein.“ Ich warf einen Blick zum Doktor und vernahm die strengen Züge in seinem Gesicht, sah die Stirnfalten, die sich zeigten, weil der die Augenbrauen gekraust hatte. Es gefiel mir nicht, ihn so zu sehen. Und ich empfand es als unfair, wenn man jemanden solche Weisungen gab. „Wieso nicht? Wer gibt Ihnen das Recht, darüber zu urteilen?“, ploppte es aus meinem Mund und der alte Radekaner bedachte mich nun eines nicht weniger ernsten Blickes – doch wandelte sich dieser in der nächsten Sekunde zu einem fast schon mitleidigen: „Mein Kind, du weißt nicht, wen du vor dir hast … Du weißt nicht, auf welche Gefahr du dich eingelassen hast.“ Nun ja, um ehrlich zu sein hatte ich eher das Gefühl, dass die Gefahr von diesem Kerl hier ausging, aber das konnte ich ihm nicht so einfach ins Gesicht sagen. „Dann … klären Sie mich doch auf“, provozierte ich stattdessen und verschränkte die Arme vor der Brust, „Wer ist der Doktor, der hier neben mir steht? Was hat er verbrochen?“ „Er wird den Krieg bringen.“ Und damit war ich sprachlos. Zum zweiten Mal in dieser Geschichte, aber ich war wirklich sprachlos. Krieg? So ein mächtiges Wort … Meinte er wirklich dasselbe mit Krieg, so wie wir es verstanden? Wieder sah ich zum Timelord und dieses Mal … erkannte ich auch Schmerz in seinen Augen. Ich erinnerte mich an unser Gespräch und es schnürte mir das Herz zusammen. Das passte für mich nicht zusammen. Wie sollte jemand, der so viel Schreckliches gesehen hatte, so viel schreckliches erlebt hatte und zudem auch noch der letzte seines Volkes war … Wie sollte so jemand anderen den Krieg bringen? „Doktor …“ Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, was diese Anschuldigung wieder begleichen könnte. Nichts. Was sollte ich sagen? Tun? Und auch Metatropeasis und Duma schienen unwissend, schwiegen sie doch und sahen unwissend von mir, zu ihm, zum Radekaner und sich selbst an. Dann zog ich die Luft tief in meine Lungen und straffte die Schultern. Und tat etwas, was ich schon einmal getan hatte, um mich klar zu positionieren: „Nun ja … ich denke, ich kann für mich selbst ganz gut entscheiden und Urteile fällen. Aber … vielen Dank für Ihre Sorge!“ Damit war das Thema für mich durch. Ich wollte nichts mehr davon hören, dass der Doktor ein Unglücksbringer sein sollte. Mit meinem Ausbruch hatte ich nun mehr den Älteren zum Schweigen gebracht. Er war nicht damit einverstanden, dass ich so gegen seine Meinung wetterte, aber er wollte mir auch nichts mehr entgegensetzen, denn letzten Endes war es meine Entscheidung. „Ich hoffe, dass du dir der Konsequenzen deiner Entscheidung bewusst bist, mein Kind“, sprach er nur leise und guckte mich eindringlich an. Ich blieb standhaft: „Bisher habe ich keine meiner Entscheidungen bereut.“ „So denn … tretet hervor. Mein Name ist Aqant und ich bin der Vorstehende der Heiligen Stätte.“ Unser kleiner Disput war wohl beendet und der alte Mann, dessen Namen wir nun auch endlich kannten, erlaubte uns, weiter in den Tempel zu schreiten. Für mich hatte der Ort etwas an seinem Zauber verloren und ich kam nicht umhin mich zu fragen, ob alle hier eine Ablehnung gegen den Doktor hatten, die tiefgläubig waren. Bei Duma hatte ich nicht das Gefühl, dass dem so war, aber die anderen? Ich hielt meine Augen offen, doch schien mir, als registrierten die anwesenden Radekaner gar nicht mal den Timelord an meiner Seite, sondern just mich. Es war mir unangenehm, weil ich es nicht mochte, ohne mein Zutun in den Mittelpunkt gerückt zu werden. Jeder von ihnen, alle mit einem ähnlichen Gewand wie Aqant es trug, strahlte von einer Wange zur anderen. Sie hatten sich in die vordere Mitte des Tempels positioniert, wo der Blumenteppich an einer Statue endete. Aus der Gruppe löste sich eine junge Frau und kam auf uns zugetapst. Ihre Flügel waren fliederfarben, ihr Gewand aber ebenso in Perlmutt wie auch Aqants. Sie stand schließlich direkt vor mir, hatte fast dieselbe Größe wie ich und trug ihr langes, beinahe schon weißes Haar zu einem lockeren Zopf geflochten. Sie lächelte, sagte nichts, beugte sich dann aber zu mir vor und hauchte mir links und rechts einen Kuss auf die Wange. Dann legte sie ihre Hand an meine Stirn, nickte schließlich und nahm wieder einen Schritt Abstand. Vor dem Doktor, Metatropeasis und Duma verbeugte sie sich leicht. Das erschien mir doch eher wie eine angemessene Begrüßung gegenüber Fremden. Sie sprach immer noch kein Wort, so dass ich also annahm, dass sie vielleicht stumm war und nur ein bisschen überfordert zurücklächelte. Dann bewegten sich plötzlich ihre Lippen: „Es ist uns eine Ehre, dass Ihr hier seid! Bitte kommt näher, stellt Euch vor!“ Überrascht, dass sie doch sprechen konnte und zudem mit einer engelsgleichen Stimme, nickte ich nur zaghaft. Sie führte unsere kleine Gruppe zu den anderen, die vor der Statue andächtig standen und beteten. „Hallo … Danke für … Eure Freundlichkeit“, erwiderte ich, unwissend, was ich genau sagen sollte und verbeugte mich dann auf die gleiche Art und Weise, wie die Radekanerin es uns gegenüber getan hatte. Aber keine Chance! Kaum sahen sie uns, lösten sich die anderen fünf aus ihrer Gebetshaltung und kamen auf uns zu, mit neugierigen und erfreuten Blicken. Einer nach dem anderen, egal ob Frau oder Mann, kam auf mich zu und gab mir diese Begrüßungsküsse, während sie sich vor den anderen just verneigten. „Passen Sie auf, dass Sie nicht noch so etwas wie deren Muse werden“, raunte mir der Doktor zu, als auch der letzte Radekaner im hellen Tempelgewand geendet hatte. Es war offensichtlich, dass es ihn ein bisschen amüsierte, wie offenherzig das Volk mir gegenüber war. „Ha, ha“, gab ich nur leicht knirschend zurück. „Ich muss mir wohl keine Hoffnung machen, hier verewigt zu werden.“ „Ausnahmsweise muss ich Ihnen da wohl recht geben, Doktor.“ „Tretet bitte vor, mein Kind“, sprach der Alte wieder und ich sah mit mulmigen Gefühl im Magen von ihm zum Timelord. „Treten Sie ruhig vor. Vermasseln Sie Ihre gebührenden Empfang nicht“, zuckte der Doktor leicht mit den Schultern, wofür ich ihn am liebsten gescholten hätte. Ich fühlte mich in meiner Rolle als wichtiger Besucher nicht gerade wohl und war nicht davon begeistert, dass ich diese hier alleine ausführen musste. Mir wäre es lieber gewesen, wenn er sich irgendwie noch zwischen gedrängelt hätte, mich irgendwie einfach hier rausgezogen hätte, aber das ging nicht. Und in diesem Moment wog seine Neugier wohl auch einfach zu schwer. Also machte ich den Schritt nach vorne. Der Alte beugte sich nun zu mir, legte seine Hand an meinen Kopf und wies diesen etwas mehr zu sich hinab. Er fügte sich nun mehr in die Reihe der Küssenden ein, wenn es bei ihm auch eher schon fast etwas zeremonielles hatte, wie er behände mir diese Begrüßung zukommen ließ. „Geweihet seie deine Ankunft. Bei unserer Großen Mutter Adkata, geweihet sei deine Existenz, mein Kind.“ Er schob mich etwas mehr vor die Statue der Adkata, welche ich mir nun zum ersten Mal genauer ansehen konnte: Anders als unsere Marienfiguren, war diese keine Vermenschlichung. Sie trug zwar ein Gewand wie jeder der außer uns Anwesenden im Raum, aber was darunter lag, sollte im Verborgenen bleiben. Kein Gesicht, keine Hände, nichts. Eigentlich konnte man sogar anzweifeln, dass es sich überhaupt um eine Gestalt handelte. Die Haltung der Statue war genauso nonexistent. Im Grunde fragte ich mir, ob dies nicht einfach nur eine methaphorische Darstellung war. Ein Bild, dass sich nur in den Köpfen der Radekaner lebendig machen ließ. Etwas, was wir als Außenstehende nie und nimmer zu verstehen wüssten. „E-Ehm .. was soll ich machen?“, flüsterte ich, weil ich nun wirklich keine Ahnung hatte, wie ich mich der Heiligen Mutter gegenüber verhalten sollte – War eine Verneigung ebenso angemessen oder musste ich als Gast etwas anderes tun? „Mach es mir nach mein Kind“, sprach Aqata und begann ich daraufhin schon hinzuknien. Ich wiederholte seine Bewegung, so dass wir schließlich beide vor der Statue auf unseren Knien saßen. Ich beobachtete ihn in seinem Tun, machte die seltsamen Handgesten nach, welche er veranstaltete – mal nach links gedeutet, mal nach rechts gedeutet. Schließlich verneigten wir uns mehrmals und erst dann war es wohl wieder erlaubt, aufzustehen. Doch blieben wir noch knien und er streckte seine Hand zu mir aus, hielt sie mit mit dem Handteller nach oben hin. Ich sollte sie wohl ergreifen. Zögernd tat ich dies und in jenem Moment, als sich unsere Finger berührten, schoss ein Blitz durch meinen Körper. Wie ein kurzer, aber heftiger von einem Nerv ausgehender Schmerz. Von den Fingern ausgehend in meinen Kopf und gleichzeitig bis in die Fußsohle. Ich zuckte heftigst zusammen. Mein Körper krümmte sich und taumelte nach hinten. Obwohl ich auf meinen Knien saß, kippte ich seitlich nach hinten und landete auf meinem Hintern. Ich keuchte auf. Was war das gewesen? „Hey“, hörte ich die Stimme des Doktor an mein Ohr dringen, doch hatte ich meine Augen noch vollends auf meine Hand gerichtet, die eben noch jene des alten Radekaners gehalten hatte. Alles noch dran. Alles okay, „Von mentaler Analyse war hier nicht die Rede!“ Ich sah zum Timelord auf, verwirrt, was er damit meinte und sah, wie verärgert er dreinschaute. Ein Ausdruck in seinem Gesicht, den ich so noch nicht gesehen hatte. „Mentale … Analyse?“, wiederholte ich und blickte von ihm zum Radekaner und dann in die Runde. Erst jetzt bemerkte ich, dass sich die anderen Gläubigen vor mir und Aqata aufgebaut hatten. Ähnlich eines Schutzwalles. Ich ließ meinen Blick zu Duma und Metatropeasis schweifen. Während letztere nicht weniger verwirrt schien wie ich, wirkte Duma ganz und gar nicht betroffen. Eher teilnahmslos als wäre dies das normalste der Welt, was hier geschah und womöglich war es das auch – aber nicht für uns. „Die Heilige Mutter wird auf genau diese Art und Weise von jeden hier begrüßt. Es ist nichts Außergewöhnliches“, erklärte Aqata ruhig, „Jeder stellt sich ihr vor.“ „Jeder Radekaner stellt sich ihr vor, meinst du wohl“, korrigierte der Doktor und sah über den verhängten Schultern der anderen vor uns vorbei, zu mir. Sorge zeichnete seine Stirn. Warum? Ich blinzelte, als meine Sicht plötzlich getrübter war, doch änderte dies rein gar nichts an dem Schleier vor meinen Augen. Ein Schwindelgefühl stellte sich ein und mir wurde mit einem Schlag extrem warm. Ich spürte den Schweiß auf meiner Haut, während meine Hände und Füße eigentlich eiskalt waren. Was war das? War war mit mir los? „Sie ist ein Mensch.“ Seine Stimme wurde lauter und das beruhigte mich nicht gerade. Ebenso wenig, dass sich die Traube Radekaner um Aqata und mir zu einem schützenden Wall zusammenrückte. Um ehrlich zu sein, machte es mir sogar Angst. Etwas ging in meinen Augen nicht mit rechten Dingen zu. „Sie ist dessen würdig.“ „Sie ist-“ Der Doktor brach ab, als er zu mir blickte und seine Schultern senkten sich. Ich könnte sterben? War es das, was er sagen wollte? Ich hatte es im Gefühl. Ich hatte im Gefühl, dass er genau das und nichts anderes in Worte packen wollte und es doch unterdrückte. „Lasst mich zu ihr. Ihr seht doch, dass es ihr nicht gut geht!“ Aqata wandte sich nun zum ersten Mal wieder zu mir, beäugte mich und schließlich, nach einigen schweren Sekunden, in denen ich weiterhin mit meiner Temperaturschwankung und meinem Schwindel zu kämpfen hatte, erhob er sich. „Nun denn. Die Heilige Mutter hat alles gesehen, was sie sehen musste“, sprach er und trat an den Doktor heran, „Sie hat alles gesehen.“ Mit diesen Worten drehte er sich noch einmal zu mir herum, „Mein Kind, ruh‘ dich aus. Wir werden dich nachher herumführen. Es gibt viele Dinge, die du kennenlernen solltest.“ Und damit ging er langsamen Schrittes durch die Traube Radekaner und auf den Ausgang des Tempels zu. Der Doktor wartete gar nicht erst darauf, dass sich die anderen von uns entfernt hatten, sondern kam im eiligen Schritt gleich auf mich zu und hockte sich zu mir hin. Er legte den Arm stützend um meine Schultern und legte mir hastig wie bei einer Untersuchung die andere Hand an Stirn, Wangen und zog mir die Unterlider herab. „Machen Sie sich keine Sorgen“, sprach er nun weitaus ruhiger, „Sie kommen wieder auf die Beine.“ „Was … meinten Sie mit mentaler Analyse? Wurde mein Gehirn abgetastet, oder was?“, brachte ich schwerfällig hervor. Mir war immer noch schwindelig und nun stellte sich noch eine leichte Übelkeit ein. Ich sah doppelt. „Gut erkannt. Er hat über die Berührung ihrer Fingerkuppen die Nervenstränge Ihres Körpers bis in ihr Gehirn zurückverfolgt und dieses in seiner kleinsten Windung gescannt.“ „Alle Bestandteile meines Hirns?“ „Ja.“ „Daher die Nachwirkung...“ Ich atmete angestrengt die Luft aus und vernahm, wie der rechte Mundwinkel des Doktors leicht hochzuckte. „Der Hypothalamus wurde angezapft.“ „Es ist schön zu sehen, dass Ihr Kopf aber immer noch gut arbeitet.“ Auch ich musste daraufhin leicht lächeln. „Wann hört das auf?“ „Der Kontakt bestand nicht lange. Ein paar Minuten müssen Sie aber noch durchhalten.“ Er half mir, mich richtig aufzusetzen und ich musste mich dabei an seinem Arm festhalten, weil sich nun erst recht alles um mich herum drehte. Dennoch ließ mich eine Frage nicht los und auch wenn sie mir Angst machte, wollte ich eine Antwort hören: „Hätten Sie nicht eingegriffen … Ich hätte sterben können, oder Doktor?“ Der Ausdruck in seinem Gesicht wurde ernster und eigentlich hätte er gar nichts sagen müssen, sprachen seine Augen Bände. Trotzdem öffneten sich seine Lippen, um die Worte zu formulieren, die ich erbat: „Ja. Das hätten Sie. Nur eine Minute.“ „Eine Minute also...“ Ich schwieg einen Moment und sah dann zum Timelord auf, der mich nicht eine Sekunde mit seinem Blick losgelassen hatte, „Dann … danke ich Ihnen, dass Sie eingeschritten sind.“ Mein Kopf fühlte sich zwar immer noch wie Brei an, aber ich spürte, dass mein Körper langsam wieder zur Ruhe kam. So etwas wollte ich nicht noch einmal erleben. Ich blickte an ihm vorbei, versuchte einen Punkt zu fokussieren, um mein Blickfeld wieder zu schärfen und sah dabei zu Duma und Metatropeasis, welche sich nun zu uns trauten. Unsere Arcateenianerin schaute besorgt zu mir rüber, während ihr Freund mich mit ähnlicher ausdrucksloser Miene betrachtete wie er sie eben bereits besessen hatte. „Sie wäre nicht gestorben“, brachte er hervor und klang dabei weitaus gesetzter als noch am gestrigen Abend, als wir in munterer Runde zu Abend gegessen hatten, „Die Heilige Mutter würde es nicht zulassen.“ „Die Heilige Mutter war allerdings auch nicht diejenige, die hier Gehirne scannt und damit die Neuronen zum Schmelzen“, setzte der Doktor mit scharfen Unterton nach und beäugte Duma mit vorwurfsvollen Blick. „Es ist eine simple Art der Bekanntmachung.“ „Der Bekanntmachung oder der genauen Analyse und Ausspionage der Gäste, die sich hier einfinden?“ Darauf erwiderte der Radekaner an Metatropeasis‘ Seite nichts mehr und das missfiel mir noch mehr, als wenn er weiter von seinem Glauben an die Mutter Adkata gesprochen hätte. Was bedeutete das? War das im Grunde eine simple Zustimmung dessen, was der Doktor ausgesprochen hatte? „Ihr habt nicht besonders oft Besuch von der Erde, nehme ich an? Was hat es damit auf sich, dass Alexandra so besonders ist? Welche Absicht steht dahinter?“ „Wir nehmen jeden gerne in unsere Reihen auf, welche mit der Heiligen Mutter sympathisieren und die mit der Heiligen Mutter sympathisieren.“ „Und was sind die Gründe dafür? Wonach sucht sich eure Heilige Mutter ihre Gäste aus?“ Wieder hatte ihn der Doktor sprachlos gemacht. Ich hörte, wie dieser an meiner Seite leise mit der Zunge schnalzte. Missfallen. Und ich konnte es ihm nicht verdenken. Die Art und Weise, wie hier verfahren wurde, erinnerte mich mehr an eine Sekte als an alles andere. Mir war nicht wohl dabei, hier mitten im Zentrum dieser Gruppierung zu stehen. Ich musste wieder an die Kette denken, die man mir geschenkt hatte und sah auf diese auf meinem Brustbein aufliegend hinab. Ich griff zu dieser, wollte sie mir über den Kopf ziehen und ablegen, aber irgendetwas hielt mich davon ab. Mein Gefühl, welches mir vorhin auf dem Markt noch gesagt hatte, dass es für mich kein Glücksbringer war, verriet mir nun, dass ich die Kette besser nicht ablegen sollte. Nicht hier. Würde ich mir den Zorn der Heiligen Mutter zuziehen? Oder den aller Radekaner? Und trotzdem fühlte ich mich, als würde ich unsere Gruppe mit diesem Schmuckstück verunreinigen. Seit wann war ich eigentlich so abergläubisch? „Das weiß niemand von uns. Aber es sollte ersichtlich sein, dass sie nur jene in ihren Kreis aufnimmt, die wohlgesonnen sind“, antwortete Duma nun auch mit einem angespannteren Unterton. „Wohlgesonnen oder ihr wohlgesonnen?“, hakte der Doktor nach, was fast schon als Provokation verstanden werden konnte und von Metatropeasis‘ Freund auch so aufgefasst wurde: „Ich dachte, dass du als Weltenbereiser Respekt gegenüber anderen Völkern hast.“ „Das habe ich. Allerdings fällt es mir immer wieder schwer anzuerkennen, dass sich manche Völker bestimmten Religionen hingeben, die im weitesten Sinne keine Religion darstellen. Ihr folgt einem spirituellen Bild, habt aber nicht ein Schriftstück oder eine Überlieferung über euren Erschaffer?“ Ich kniff dem Doktor unmerklich in den Arm. Seine Fragen waren berechtigt, aber er sollte sich vielleicht dennoch ein bisschen zurückhalten. Mein Gefühl lag selten falsch und gerade sagte es mir, dass wir die Radekaner nicht verärgern sollten. Auf die Fragen des Timelords konnte unser Gastgeber allerdings auch nichts antworten. Er wusste es nicht. Er glaubte selbst nur den Überlieferungen und den Ältesten ihres Volkes. Es war keine Dummheit, nur Naivität – aber diese konnte genauso gefährlich werden, wenn nicht sogar gefährlicher, wie wir bereits an vielen historischen Ereignissen hatten sehen können. „Worauf willst du hinaus?“, fragte Duma nun mehr und beäugte den Doktor skeptisch, dank dem ich mich nun langsam wieder aufzurichten wusste, auch wenn ich noch seine stützende Hand brauchte. In diesem Moment wurden wir von einer jungen Radekanerin unterbrochen – eine der Gebetsschwestern – welche unseren Kreis betrat und sich leicht verneigte. „Ich möchte nicht stören, aber in der Stätte der Heiligen Mutter sind Auseinandersetzungen verboten. Doktor, bitte haltet euch daran.“ Sie sah zu mir, bedachte mich eines längeren Blickes mit ihren schmalen violetten Augen und lächelte dann sanft, „Ich möchte Euch nun mehr gerne die Stadt zeigen.“ Die Einladung war eindeutig an mich gerichtet und niemanden sonst. Mir behagte es aber ganz und gar nicht, alleine gehen zu müssen, so dass ich einen Versuch startete: „Meine Freunde … dürfen doch mitkommen oder?“ Die Gebetsschwester blickte zu Duma, dann aber skeptischer zu Metatropeasis und regelrecht misstrauisch zum Doktor an meiner Seite. „Ich bin mir nicht sicher, ob dies im Sinne der Heiligen Mutter ist. Aber … es wird kein Problem sein, wenn ihr euch ihr ebenso vorstellt“, mutmaßte sie mir, als sie es wusste. Metatropeasis sah überrascht auf und schien verunsichert. Nach dem, was mit mir passiert war, kein Wunder. „Keine Sorge. Dir wird nichts geschehen“, versicherte Duma ihr und schob sie so einen Schritt mehr zu der verhüllten Radekanerin. „Ich werde die Begrüßungszeremonie durchführen“, erklärte sie und führte Metatropeasis an der Hand zu der Statue, vor der ich bereits gestanden hatte. Das gleiche Prozedere. „Ihr dürfte nichts geschehen“, raunte der Doktor leise zu mir, als ich Ansätze des Widerstands machen sollte, „Arcateenianer setzen sich in den Wirtskörper und dieser ist bereits tot. Kein Leben, kein Gehirn zum Scannen.“ „Könnte das nicht Probleme bereiten?“ „Fragen Sie mich eher, was passiert, wenn sie versucht mein Hirn zu scannen.“ Nein, das wollte ich eigentlich gewiss nicht wissen. Ich wollte niemanden von uns in Gefahr sehen. Weder Metatropeasis noch den Doktor. Die Prozedur war schnell abgeschlossen und als sie fertig waren, schien es auch, als hätte es keinerlei Auswirkung auf die Arcateenianerin hinterlassen. So, wie der Doktor es vorhergesagt hatte. Sie lächelte mir zu. Ja, es war alles in Ordnung. Vermutlich hatten sie auch gar keine Informationen erhalten. Oder nur jene der Person, deren Körper Metatropeasis übernommen hatte. „Doktor … kommen Sie bitte zu mir.“ Menschen hatten Angst und in diesem Moment hatte ich Angst um den Doktor. Das sollte irrational sein, denn es war eben der Doktor, ein Timelord, der schon viel, viel schlimmere Dinge erlebt hatte als das. Trotzdem. Meine Hand hatte sich regelrecht an seinem Ärmel festgebissen, so dass er etwas mehr Widerstand entgegenbringen musste, um sich loszumachen. „Seien Sie unbesorgt, es wird eher die Kapazität ihres Speichers zerschlagen, als dass sie mir mein Gehirn kurzschließen.“ Hoffen wir es. Ruhigen Schrittes ging er voran, ließ sich neben die Statue geleiten und schenkte ihr einen kurzen Blick. „In späteren Epochen nennt man das dann wohl Postmoderne“, bemerkte er fast schon zynisch. „Gebt mir Eure Hand“, hielt die Radekanerin ihre eigene mit dem Handteller zu ihm gerichtet auf Brusthöhe, „Ich werde Euch der Heiligen Mutter vorstellen“ „Nar, das kommt mir gelegen. Ich glaube, ich habe mit ihr ein paar Worte zu wechseln.“ Der Doktor legte seine Hand in die der Gebetsschwester. Ich versuchte, mir das Blinzeln zu verkneifen, um ihn nicht eine Sekunde aus den Augen zu verlieren. Ich wollte ganz genau wissen, was jetzt passieren würde. Ähnlich wie bei Metatropeasis schien erst einmal gar nichts zu passieren. Nichts. Sie standen einfach so vor der Statue, die Hand des Doktors in jener der Radekanerin. Ich sah keinerlei Reaktion seines Körpers auf diese Verbindung. Kein Zucken, keine Regung. Anders als bei mir. Es beruhigte mich und ich hoffte, dass es so bleiben würde, doch sollte ich mich täuschen. Mit einem Mal verzog er das Gesicht, aber nicht nur das: urplötzlich veränderte sich etwas an der Situation: die Radekanerin keuchte auf und auch der Doktor zuckte zusammen und biss die Zähne zusammen. Was ging da vor? In ihren Händen erschien ein Funkenschlag. Orangegelb. Noch ein Funkenschlag. Was war das? „W-Was … passiert da?“, fragte Metatropeasis und schien nicht weniger irritiert als ich. Dass ich – der Mensch von uns – Probleme mit der Prozedur hätte, okay. Aber was war mit dem Timelord? Und dann, mit einem Schlag, erklang ein Geräusch wie bei einem Kurzschluss und sowohl der Doktor als auch die Gebetsschwester taumelte zurück. „Welch Unglück“, murmelte sie fassungslos und japste nach Luft, „Welch großes Unglück.“ „Doktor?!“, entfuhr es mir und ganz gleich, ob ich es durfte oder nicht, kam ich ihm entgegen. Besorgten Blickes sah ich ihn von Kopf bis Fuß an: alles noch dran. „Alles in Ordnung?“ Er antwortete mir nicht, schien in seinen eigenen Gedanken versunken zu sein und das Erlebte zu verarbeiten, einzuordnen. Stattdessen machte sich aber die anwesende Radekanerin noch einmal bemerkbar, diesmal lauter als zuvor, „Ihr werdet großen Schrecken über Radekan bringen“, verkündete sie mit bebender Stimme, „Eure Anwesenheit wird unser Untergang sein! Aqata hatte vollkommen Recht!“ Sie machte ein, zwei Schritte zurück, guckte zur Statue auf und begann sich dann auf die Knie zu werfen und sich vorüber zu beugen. „Oh Heilige Mutter, verzeiht mir! Verzeiht mir, dass ich ihn zu Euch geführt habe!“ „So ein Unsinn!“, kam es mir da abrupt über die Lippen. Es nervte mich langsam einfach nur noch. „Hier wird niemand Irgendwens Untergang sein. Solange sich alle normal benehmen, wird gar nichts geschehen.“ „Wollt Ihr sagen, Ihr vertraut jemanden wie ihm mehr als der Heiligen Mutter?“ Fangfrage. Und doch war für mich die Antwort zu einfach, wie sie nur sein konnte. Weil es gar keine andere gab: „Ja. Wenn ich jemanden vertraue … dann gewiss nicht einer spirituellen Figur.“ „Ihr werdet Euch ebenso ins Unglück stürzen.“ Dieser Satz ließ mein Inneres nur noch mehr brodeln und umso fester und überzeugter wurde meine Stimme: „So, wie mir Aqata fast das Gehirn in synaptische Einzelteile verbrannt hat?“ „Es war ein Test, ob Ihr der Heiligen Mutter wohl gesonnen seid.“ Ich drehte mich der Radekanerin nun direkt zu und legte erneut die Hand an die Federkette, welche mir auferlegt worden war. „Ein Test? Ich pfeife auf eure komischen Tests.“ Ich zog diesen komischen Glücksbringer über meinen Kopf und schmiss ihn mit aller Kraft, die ich aufbringen konnte zu den Füßen der panischen Bewohnerin dieses Planeten, um klar und deutlich meine Stimme zu erheben, die nun mehr in dem Tempelgebäude widerhallte: „Frag mich noch einmal, wen ich vertraue und ich sage gerne jeden Einzelnen von euch, dass es der Doktor ist.“ Ich schaute zu Metatropeasis und zu Duma. „Ich danke dir für deine Gastfreundschaft, Duma, aber das ist hier … Du hast einen anderen Standpunkt als ich. Und das akzeptiere ich. Ich hoffe also, dass du auch meine Meinung dazu akzeptierst.“ Ich musste so klar sprechen. Ich hatte die ganze Zeit seine Zweifel gesehen. Die Skepsis, seid wir hier in dieser Stätte waren und ich wollte nicht, dass er sich aufgebracht oder hintergangen fühlte. Zudem … angesichts der Tatsache, dass wir uns hier in einer sehr prekären Lage befanden, deren Hintergründe wir nicht kannten, wollte ich mir nicht noch einen zusätzlichen Feind machen. Wir hatten wohl so schon genug. „Lassen Sie gut sein“, wandte nun der Doktor selbst ein und zog scharf die Luft ein, „Sie werden reden können, so viel Sie wollen. Sie werden nicht zu Ihnen durchkommen.“ „Das erwarte ich auch nicht“, entgegnete ich, „Mein Gerechtigkeitssinn ist nur leider zu groß, als dass ich schweigend hinnehmen kann, wenn man jemanden zu Unrecht verurteilt“, musste ich mit einem schmalen Lächeln an ihn gerichtet zurückgeben. „Sie kennen mich im Grunde auch nicht mehr, als diese Leute.“ „Nein, aber ich habe nicht das Gefühl, dass Sie mir einen zentralen Kurzschluss geben wollen.“ Es bewirkte ein kurzes Zucken seiner Mundwinkel, ehe er sich an unsere Gegenüber richtete. „Also gut, was ist jetzt der Plan?“, hakte er nach, „Jetzt, nachdem du unser aller Gehirne gescannt und unsere Daten eingespeist hast? Wie geht es weiter? Werden wir jetzt in Gut und Böse eingeteilt? Ihr könnt ihr gerne einen Rundgang gewähren, aber ich bezweifle, dass sie euch noch weiter folgen wird?“ Mit den Schultern zuckend, guckte er zu mir, „Werden Sie doch nicht, oder?“ „Nur über …“ Nein, das sollte ich nicht sagen. „Gewiss nicht“, verbesserte ich mich. „Du hast es gehört. Ihr habt es gehört. Was nun? Wird uns der Zorn eures Familienoberhauptes ereilen?“ „Seid nicht so respektlos!“, ermahnte die Radekanerin, jetzt sogar ein bisschen wütend. „Was dann? Was wird passieren? Was hat es für Konsequenzen, wenn man sich gegen euer Matriarchat stellt? Wo liegen die Grenzen? Was hat es für einen Sinn, Warnungen auszusprechen, wenn es keine Konsequenzen trägt?“ Die Gebetsschwester antwortete nicht. „Oooh … bitte nicht die antiautoritäre Erziehung! Bitte sag mir nicht, dass ihr hier auch so ein unsinniges Modell habt!“ Er wog den Kopf unnachgiebig von links nach rechts. Die Radekanerin richtete sich nun mehr wieder etwas vor der Statue auf, doch statt zu sprechen, begann sie mit der Faust auf dem Boden zu klopfen. Einmal. Zweimal. Klopf. Klopf. Klopf. Was sollte das werden? Sie hörte nicht auf zu klopfen. Immer weiter, immer wieder. Kam es mir nur so vor oder wurde es immer melodischer und eindringlicher? Und mit einem Mal war es nicht nur ein Monoklang, der den Raum erfüllte, sondern eine zweite, eine dritte Quelle. Ähnlich wie die Wirkung von mehreren marschierenden Stiefelträgern, wurden auch diese Geräusche in meinen Ohren lauter und lauter. Es machte mir sogar ein wenig Angst. „Scheint, als würde sie jetzt Verstärkung anrufen“, murmelte der Doktor und sah sich ebenso aufmerksam um. „Sie haben sich mit Ihrer Aussage keine Freunde gemacht.“ „Ich sagte doch: Ich kann nicht meine Klappe halten.“ „Im Grunde weiß ich das sehr zu schätzen.“ „… aber Ehrlichkeit kann auch wehtun. Schon verstanden.“ Mir wäre es lieb gewesen, nicht solch ein Worte-Pingpong zu spielen, aber zumindest hinterließ es bei mir so das Gefühl, dass wir noch ein bisschen die Oberhand hatten. Ein ganz klein wenig. Klopf. Klopf. Klopf. Klopf. Vermutlich waren die anderen Betenden von vorhin die ganze Zeit hier gewesen und hatten sich nur zurückgehalten. Anders konnte ich es mir nicht erklären, dass sie jetzt so plötzlich wieder auf der Matte standen und von jeder Seite die gleiche Pose wie die Frau vor uns eingenommen hatten und es ihr gleichtaten. Dort hinten am Tempelausgang. Dort drüben, am Seitenflügel. Vorne, ganz in der Nähe von uns. Überall. Es schienen nur noch mehr zu sein. Noch mehr dieser Gebetsgewandtragenden. Klopf. Klopf. Klopf. „Oh Heilige Mutter! Oh große Adkata, verzeihe uns, dass wir diese Ungläubigen zu dir gelassen haben! Habe Mitleid mit dem Kind, das unter falschen Einfluss steht. Sei gerecht zu demjenigen, der uns ins Unglück stürzen wird!“ Das war Aqatas Stimme, welche nun groß und weit erklang. Er war es auch, der mit hocherhobenen Händen, gen Statue gerichtet, vom Eingang des Tempels auf uns zuschritt. „Sei gerecht und sei gnädig zu uns!“ Gemeinsam mit den anderen kam er uns näher und näher. Der Rest war inzwischen ebenso aufgestanden und hatte eine Hand jeweils an deren Brustbein gelegt und die andere auf uns zugelegt. Duma und Metatropeasis wurden von ihnen einfach umgangen. Sie waren es nicht, die von Interesse waren. Dies betraf nur uns beide, den Doktor und mich. Der Doktor, welcher hier als Unglücksbote galt und ich, die sich auf die Seite des Doktors stellte. Sie hatten uns eingekreist. Der Timelord neben mir griff in seine Jackeninnentasche, vermutlich den Sonic Screwdriver ergreifend. „Was… haben Sie vor? Das ist doch keine Waffe?“, murmelte ich. „Nein, aber es kann durchaus abschreckend sein, wenn ich ein bisschen mit dem blauen Licht spiele.“ Als uns Aqata nun so nah war, dass er hätte zugreifen können, machte der Doktor seinen Plan war und riss den Schraubenzieher hervor, welcher auch schon mit seinem flirrenden Ton und dem blauen Licht antwortete. Die kleine Meute vor uns wich einen Schritt zurück und schauten misstrauisch und verunsichert auf den Zauberstab. So etwas hatte sie bestimmt nicht gesehen. „Ihr wagt es in der Heiligen Stätte Eure Waffe auf uns zu richten?“, rief Aqata mit Zorn in der Stimme, „Wie weit wollt ihr diesen Ort noch entehren?“ „Ich will nichts sagen, aber hinsichtlich geweihten Stätten solltet ihr euch vielleicht etwas von den Masakreanern abgucken.“ „Masakreaner?“, entfuhr es mir irritiert und ich wandte für einen Moment den Blick von den anderen ab, weil mich der Doktor nun mehr irritiert hatte, als wohl unsere Gegner. „Oh, eine hochkultivierte Spezies des Planeten Kretaria in der Konstellation Galleopeia. Die wissen, wie man Auferbietungen macht.“ „Bringt sie zum Schweigen!“, rief der alte Radekaner nun aufgebracht und ich war fest davon überzeugt, dass sie uns jetzt wirklich festnehmen würden, auf ganz rabiate Art und Weise, aber stattdessen öffneten sie nur ihren Mund und aus diesem hallte ein extrem hoher und kopfschmerzbereitender Ton hervor, der mich die Ohren zuhalten ließ. Was war das? Was taten sie? Ich wollte einen Gedanken fassen, wollte mich irgendwie von diesem Ton lösen, aber alles, was sich in meinem Kopf einzustellen begann, war Schwindel. Nicht mehr. Der Doktor sagte etwas zu mir, doch konnte ich ihn nicht verstehen. Der hohe Ton der Stimmen jener Radekaner vor uns, war alles, was ich vernahm und mit einem Mal wurde es einfach nur noch dunkel. Kapitel 8: Hypogeal sounds -------------------------- Klickklack. Klickklack. Meine Augenlider zuckten. Klickklack. Klickklick. Schon wieder. Warum fiel es mir aber nur so schwer, diese anzuheben? Klickklack. Klicklack. Ich murrte. Konnte das bitte mal aufhören? Langsam aber sicher war ich einfach nur von diesen ständigen komischen Tönen genervt und überreizt. Klickklack. Klickklack. Aber es hielt mich wach und sorgte dafür, dass ich schließlich meine Augen doch noch öffnete. Ich erblickte nur eine hell verputzte Decke. „Oh, Sie sind wieder wach?“ Das erstaunte Gesicht des Doktors kam in mein Sichtfeld. „Schön Sie wieder bei uns zu haben“, zeigte sich ein ehrlich erfreutes Lächeln. Ich murrte ein weiteres Mal, versuchte mich dann aufzusetzen, wurde aber an den Handgelenken davon abgehalten, meine Arme als Stütze zu verwenden. Etwas kaltes und hartes hielt mich fest. Irritiert hob ich den Oberkörper an und sah, dass so etwas wie Handschellen anlagen, die mich fesselten. „Keine Sorge, die sind Sie gleich los.“ Nun wusste ich auch, was diese Geräusche veranstaltete: Der Doktor war daran, die Handschellen aufzuschließen. Oder zu brechen. „Wo … ist Ihr Schallschraubenzieher?“ „Das war wohl das erste, was sie mir abgenommen haben“, erklärte er ruhig und arbeitete weiter mit irgendetwas anderem Kleinen in der Hand, „Ich musste zu altmodischen Methoden greifen“, zeigte er mir nun die zwei Drahtnadeln, mit denen er vorging, „Ihre Füße sind bereits frei.“ Stimmt. An diesen hatten auch Fesseln gelegen und ich konnte sie ohne Probleme bewegen. „Wie lange haben Sie dafür gebraucht?“, brachte ich tief durchatmend hervor, da mir immer noch etwas schwindelig war. „Vielleicht ein, zwei Stunden. Ich bin etwas aus der Übung.“ Stöhnend ließ ich mich wieder zurückfallen. „Aus der Übung also ...“ Ich seufzte und schaute zurück zur Decke. Das konnte noch eine Weile gehen. Ich ließ meinen Blick nach links und nach rechts schweifen, aber alles in diesem Raum schien mir absolut weiß zu sein. Steril. Ich blickte an mir hinab, so weit ich es mit bloßem Kopfheben konnte: Nein, meine Klamotten hatte ich noch nicht gegen eine Patientenkluft getauscht. Immerhin. „Was ... war das überhaupt? Irgendwelche Ultraschallwellen? Ich dachte, mir zerspringt der Schädel.“ „Gut erkannt“, sprach der Doktor fokussiert auf seine Arbeit und sah kurz zu mir auf, „So etwas in der Art. Die Radekaner besitzen eine Stimmlage, welche gerade noch so für euch Menschen zu hören ist. Bei Ihnen verursachen sie Kopfschmerzen und Schwindel sowie Ohnmacht. Meinesgleichen gehen sie einfach nur sehr auf die Nerven.“ „Dann ... warum sind Sie dann hier?“, schlussfolgerte ich empört. Er hätte sich ja zur Wehr setzen können?! Warum hatte er sich ebenso überwältigen lassen? „Wer würde Sie an meiner Stelle befreien?“ Guter Konter. Vermutlich niemand. „Außerdem gibt es mir so die Möglichkeit, ein bisschen nachzuforschen, wo wir uns befinden und was hier passiert. Ich glaube kaum, dass die Radekaner diese Hightech-Systeme entwickelt haben.“ „Was meinen Sie?“ „Die Handschellen. Das sind keine bloßen Eisenringe oder sonstige metallische Verbindungen. Nein, was Sie hier an den Handgelenken tragen ist ein äußerst interessanter Komplex aus verschiedenen Molekularverbindungen. Und Quecksilber.“ „Quecksilber??“ „Keine Sorge. Nicht so schädlich, als dass Sie gleich Ihre Hand verlieren würden.“ „Wie beruhigend.“ „Außer Sie schlucken sie.“ „Hatte ich nicht vor.“ Ja, ein bisschen herumzuscherzen half zumindest, die Fassung zu bewahren. So ein klein wenig. Ich konnte eh nichts anderes machen, als darauf zu warten, dass der Doktor mich befreite. Was mich zu einer weiteren Frage brachte: „Wie sind Sie eigentlich Ihre Fesseln losgeworden?“ „Kein Kunststück. Die Dinger hatten auf mich keine Wirkung. Vollkommen nutzlos in ihrer weiteren Funktion.“ „Was für eine Funktion meinen Sie? „Nun, nachdem man bereits versucht hat, Ihr Gehirn abzutasten, können Sie sich doch vorstellen, dass es da noch mehr zu erforschen gibt?“ Ein guter Einwand. „Erinnern Sie mich bitte nicht daran, okay?“ Ich wollte mir auch gar nicht vorstellen, was sie mit mir vorhatten. Was war an mir schon so besonders, dass sie mich unbedingt als Laborratte brauchten? Ich war ein einfacher Mensch, hatte keine Superkräfte, keine Visionen, nichts. Das sagte ich auch dem Doktor, der daraufhin nur mit den Schultern zuckte: „Gerade deswegen sind Sie vielleicht erst recht begehrenswert. Sie kennen alle möglichen Rassen, aber ein Mensch, der anscheinend keine rechten Fähigkeiten besitzt und sich dennoch auf einen fernen Planeten befindet … fänden Sie das nicht interessant?“ Vermutlich. Aber das war mir gerade recht schnurz. Meine Neugierde war fürs Erste gestillt, was außerirdische Lebensformen betraf. Zumindest, solange wir uns hier auf Radekan befanden. „Nun, wie ich jedenfalls sagte: eine komplexe Molekularverbindung und Quecksilber. Wissen Sie, wofür Quecksilber in Ihrer Welt verwendet wurde? Ha, geschafft!“ Es klickte einmal etwas lauter und mit einem Mal wusste ich mein rechtes Handgelenk befreit. Ich richtete mich nun auf und schaute mich um. Der bis eben so minimalistische und sterile Raum offenbarte auf der gegenüberliegenden Seite seltsame Konstruktionen von Gerätschaften, die allesamt aussahen, als könnte man damit medizinische Experimente begehen: eine Apparatur mit Metallbohrern auf der einen und Düsen auf der anderen Seite. Ein kaum beständiges metallisches, mehreckiges Gehäuse, aber dafür viele Schaltflächen auf der vorderen Armatur. Vielleicht so etwas wie ein neumodischer Computer ihrer Zeitrechnung? Links davon etwas, was wie eine Liege aussah, aber gewiss keine darstellen sollte. Und dann waren da noch Einstülpungen an den Wänden, welche vielleicht Vorratsschränke sein könnten? Ich sah keine Tür oder dergleichen, aber es würde mich auch nicht wundern, wenn diese durch einen Mechanismus versteckt wäre. „Ich kenne es als Bestandteil von Thermometern oder Blutdruckmessgeräten. Vielleicht auch noch in Batterien? Oder Vampirjagd“, antwortete ich schließlich vollen Ernstes. Der Doktor begutachtete mich auf meine letzte Bemerkung hin allerdings skeptisch und hielt kurz inne, ehe er aufstand und dann zu meiner Linken war, um auch dort die Fessel zu lösen. „Was denn? Es sind nicht alle glitzernd und in einer Midlife-Crisis“, setzte ich entgegen auf sein eindeutiges Schweigen entgegen. „Quecksilber wurde auch bei Krankheiten verwendet. Darmverschlüsse oder Syphilis. Leider nur mit einschlägigem Erfolg.“ „Wer hätte das gedacht.“ „Ich bin überrascht, dass es hier ein Quecksilbervorkommen gibt. Wenn Sie doch der anscheinend erste Mensch auf Radekan sind. Oder vielleicht sind Sie es auch gar nicht und Sie sind nur der erste Mensch seit langer Zeit?“ Bei dem Gedanken wurde mir nicht gerade warm ums Herz. Es erzeugte erst Recht das Gefühl, dass ich hier als Laborratte gehalten werden sollte. Stempel im Buch der seltenen Arten gesetzt. Klickklack. Klickklack. Ich guckte auf mein rechtes Handgelenk, welches bis eben noch gefesselt gewesen war und bemerkte einen blauen centgroßen Fleck, genau auf Höhe des Karpaltunnels. „Was ist das denn?“, murmelte ich und zog die Augenbrauen zusammen. „Auf der Innenseite der Metallriemen befinden sich Sensoren. Die werden vermutlich Ihre Vitalitätszeichen überprüft haben.“ „Geht das wieder weg?“ „Ich nehme es an, ja.“ „Sie nehmen es an? Wie beruhigend, die Zweite.“ „Seid wann sind Sie eigentlich so sarkastisch?“, guckte mich der Doktor nun mit ebenso zusammengekniffenen Augenbrauen an. „Seit man mir die freundlichen Zellen meines Hirns verbrannt hat“, gab ich zurück und zuckte mit den Schultern, „Hilft mir, nicht die Nerven zu verlieren. Und bei Ihnen?“ „Berufskrankheit.“ Ich nickte verständnisvoll. Klang logisch. KlickklackKLACK. „Fertig.“ Ich konnte nun auch meine zweite Hand wieder heben und die Handschellen blieben geöffnet an der Trage verankert. Ich sah jetzt erst, dass sie mit Nieten in dieser befestigt waren. Sehr praktisch. Mich wieder auf beiden Beinen befindend, bedankte ich mich und rutschte von meiner Sitzgelegenheit. „Was ... ist mit Metatropeasis und Duma passiert?“ „Sie sind vermutlich immer noch dort, von wo aus sie uns weggebracht haben. Die beiden stellen keine Gefahr für die Bewohner da.“ Ganz im Gegensatz zu uns. „Okay“, nickte ich, „Und weiter? Der Ausgang. Irgendwo … muss ein Ausgang sein.“ Der Doktor räusperte sich. „Was?“ Er deutete mit seinem Kopf zu meinen Füßen. „Was?“ „Sie stehen drauf.“ Ich sah hinab und tatsächlich. Meine Füße berührten den verschlossenen Deckel zu einem Zugang. Ich staunte nicht schlecht, dass ich mit einer eigentlich nur scherzhaft gemeinten Vermutung recht zu haben schien. Einen Schritt zur Seite tretend, kniete sich der Doktor daraufhin nieder und tastete die Kerben der Falltür ab, welche kaum sichtbar waren, wenn man sich nicht konzentrierte. Er legte sein Ohr an den Boden und lauschte ein paar Sekunden. „Also gut. Wir haben eine 50 zu 50 Chance, damit rauszukommen. Ich habe keinerlei Ahnung, was uns erwarten wird und keinerlei Ahnung, wo wir hinmüssen. Es ist also reine Spekulation, was wir sehen werden.“ „Und wie lautet Ihre Spekulation?“ „Ich denke, es könnte Ärger geben.“ Das waren Aussichten, die mir nicht gefielen, aber alles war besser, als hier zu bleiben und zu versauern. Oder darauf zu warten, dass ich Zeuge von waghalsigen Experimenten wurde. Der Doktor fand eine tiefere Einkerbung zwischen Klappe und Boden. Geschickt hob er den Zugang mit den Fingern an und klappte ihn hoch. Tiefe. Die ersten Leiterstufen waren erkennbar, aber schon bald verschwanden sie in ein unbekanntes Dunkel. Prüfenden Blickes und den Sitz der Stufen kontrollierend, machte er sich allerdings ohne Umschweife daran, hinabzuklettern. Es schien, als kannte der Doktor keine Angst vor solchen unmessbaren Tiefen und Gängen. Etwas, wofür ich ihn in diesem Moment ein klein wenig beneidete. Zwar ging ich ungern solche unbekannten Gefilde an, aber eine Wahl hatten wir nicht. Die schmalen Stufen daraufhin ebenso hinabsteigend, kamen wir nach einiger Zeit in einer unteren Ebene an. Fünf Meter? Sieben Meter? Ich war froh, dass ich wenigstens nicht an Höhenangst litt. Wir befanden uns nun auf einem breiten Gang. Da ich oben in unserem Gefängnis keine Fenster hatte erkennen können, wusste ich nicht, ob wir uns überhaupt noch oberhalb oder doch schon unterhalb der Erde befanden. Der Korridor war lang, gerade und schien mir keinerlei Ausbuchtungen an den Seiten zu besitzen. Es war unser einziger Weg und ich hoffte inständig, dass wir Niemandem begegneten. Irgendwie bekam ich ein Déjà-vu: Gefangen, auf der Flucht und der Doktor ohne Schallschraubenzieher. Ich wusste ja, dass sich Geschichte wiederholte, aber das war mir dann doch etwas zu schnell. „Kommen Sie, bevor sie unser Verschwinden bemerken“, wies der Doktor mich an, schnellen Fuß zu fassen und ging bereits vor. Ich eilte ihm nach, wenn auch mit verwunderten Ausdruck in den Augen. „Reden Sie von Sicherheitskameras?“ „Schlimmer. Ich bin der Überzeugung, dass wir es hier mit eine Spezies zu tun haben, die zu weitaus mehr in der Lage ist als das.“ Wir rannten zwar nicht, aber dennoch erklangen unsere Schritte im Hall durch den Gang. „Moment mal“, setzte ich da plötzlich ziemlich verwundert an, „Sie meinen schon noch die Radekaner, oder?“ Wir erreichten das Ende des Ganges und von hier aus war links ein eingefasster Durchgang, den wir öffnen mussten. Er hatte eine kreisrunde Schließmechanik und bedurfte wohl etwas Fingerfertigkeit. Für mich sah es aus wie eine Art Tresor. Vermutlich war es aber etwas ganz anderes. Der Doktor legte die Hand an den auffällig großen Knauf und führte seine andere Hand oberhalb diesen entlang, als wollte er etwas abtasten. „Glauben Sie denn, dass das Volk Radekans dazu fähig ist?“, fragte er zurück, hatte sein übliches angestrengtes Denkergesicht aufgesetzt und drehte schließlich am Knauf. Einmal rechts, einmal links, „Ach komm schon!“, beschwerte er sich und drehte noch einmal, rüttelte fast schon. Ich musste nicht lange überlegen, um ihm diese Frage zu beantworten: „Um ehrlich zu sein ... nein. Oder zumindest nicht alle.“ „Ich glaube, wir haben es mit einer anderen Spezies zu tun, denen die Radekaner im Tempel dienen.“ Der Doktor rüttelte erneut, aber nichts tat sich. Mir kam eine dumme Idee: „Darf ich einmal?“ Verwundert trat der Timelord zur Seite. „Natürlich, nur zu. Ich bin offen für Innovation in dieser Angelegenheit.“ Es schien nicht so, dass er viel Vertrauen darin legte, was mich und diese überaus ausgeklügelte Technik betraf, aber wenigstens einmal sollte er sich irren: Ich legte die Hand an den Knauf, wie bei einer Tür mit Sicherheitsschloss, zog den Knauf etwas zu mir und drehte dann simpel nach rechts. KLACK. Der Durchgang stand einen Spalt offen. Die Unterlippe des Timelord schob sich ein ganzes Stück vor und auf seiner Stirn zeigten sich erstaunte Falten. „Sehr innovativ. Wirklich. Die Tür aufdrücken. Ja. Innovativ.“ Ich musste ein bisschen schmunzeln. „Fragen Sie nur nicht, wie oft ich schon gezogen statt gedrückt habe.“ Ich hielt dem Doktor die Tür auf und er schlüpfte hindurch. Ihm folgend befanden wir uns nun in einem weiteren Gang, aber dieser zweigte gleich in drei Richtungen. „Nun, welcher soll es sein?“, fragte er rhetorisch. Bisher waren alle unsere drei Optionen feindefrei, aber das machte es für mich nicht besser. Die Flucht ging bereits zu lange gut. Ich kannte es aus Filmen und Serien nur zur Genüge, dass die Gruppe irgendwann auf jemanden traf, den sie gewiss nicht hatten treffen wollen. In unserem Fall jemand, der uns nicht so wohlgesonnen war wie ich der Heiligen Mutter. Wenn ich dies noch war und nicht mit meiner Erklärung, dass ich auf der Seite des Doktors stand, meine Immunität gefährdet hatte. „Ich ... richte mich da einfach klar nach Ihnen?!“ „Dann lassen Sie uns sehen, wie weit wir kommen.“ Der Timelord bog nach links ab. Von weitem konnte ich Geräusche vernehmen, die nach einer beschäftigten Umgebung klangen. Ich konnte nicht klar sagen, was es war, aber für mich schien es eine Mischung aus Maschinen und Gerede zu sein. „Eine Frage!“, warf ich ein und hob den Zeigefinger. Ohne auf Zustimmung zu warten, warf ich gleich jene hinterher, „Was machen wir, wenn wir auf einen von denen treffen?“ „Zwei Möglichkeiten.“ „Und die wären?“ „Entweder Sie ergeben sich und sterben oder aber ... wir bahnen uns unseren Weg hier raus. Nein falsch!“, korrigierte er sich daraufhin sogleich, „Sie haben noch die Möglichkeit, hier auf ewig die Muse ihrer Gebete zu werden.“ „Muss ja sehr an Ihr Ego kratzen, dass Sie nicht die Auserwählte sind.“ „Naar- auf manche Dinge kann ich getrost verzichten! Still!“ Der Doktor zog mich plötzlich zur Seite, in eine weitere kleine Abzweigung, die rechts mündete. Er streckte den Kopf heraus und gleich wieder zurück. Ich wurde von ihm oder viel mehr seinem Arm an die Wand gedrückt und hielt automatisch die Luft an. Der Doktor begann in seinen Taschen nach etwas zu suchen. „Ich korrigiere mich ein zweites Mal: Wir haben den Jackpot geknackt – gleich zwei unserer Freunde auf 12 Uhr. Eigentlich hätte ich Sie jetzt gerne mit einer guten Lösung überrascht, aber ... wir werden Möglichkeit 1 in Betracht ziehen und uns ergeben.“ „Bitte was?“ Ich glaubte, nicht richtig zu hören. Das war doch ein Scherz? „Wir ergeben uns“, wiederholte der Timelord und trat da auch schon auf den Korridor hinaus, erhobener Hände seitlich am Kopf. Klasse. Gerade wäre ich am liebsten in dieser Ecke geblieben, aber mal unter uns: Hätte ich noch eine Chance gehabt zu überleben? Ich schätzte mich nicht als dumm ein, doch war ich gewiss nicht anderen Wesen gewachsen, deren Eigenarten ich nicht kannte. Schon gar nicht mit einem Gehirn, dass schneller Feuer fangen konnte als die Festplatte meines Laptops. Also folgte ich ihm, ebenso die Hände erhoben. Hoffend, dass wir damit einfach nur so viel Zeit schinden würden, bis wir einen besseren Fluchtweg fänden. Trotzdem konnte ich die Anspannung in seinen Schultern erkennen, die straff nach hinten gezogen waren. Seine Augen lagen fokussiert auf unsere Gegenüber, die sich nun uns zuwandten, überrascht – wenn man es denn so nennen konnte. Ich wusste nicht, was sie waren oder was sie darstellen sollten. Sie waren recht klein, kleinwüchsig und ihre runden kleinen Glatzköpfe glänzten in dem Hell der weißen sterilen Umgebung. Sie hatten rote, mandelförmige Augen, trugen nur Nasenlöcher, keine Nasenbeine, und ihr Mund war eine schmale Linie, die sich nur minimal öffnete, um sich gleich wieder zu schließen. Kein Laut kam aus ihrer Kehle. Vielleicht waren sie stumm? „Wir geben uns freiwillig in eure Hände!“, wiederholte der Doktor abermals und drehte dabei seinen Kopf ein Stückchen über die Schulter, zu mir sprechend: „Sie sollten ihnen ebenso Ihre Zusicherung geben. Wirkt überzeugender, als wenn nur der Feind spricht.“ Ich war ein bisschen überrumpelt, blickte wieder auf diese seltsamen Kreaturen und räusperte mich dann: „Ehm ... ja. Ich ... ergebe mich Eurem Herren und Meister. Vergebt uns unsere Sünden und vergebt ihm hier sein teuflisches Vergehen!“, verstellte ich meine Stimme und versuchte dabei ganz besonders ehrfürchtig zu klingen. Betonung auf das Verb nach und. Mich strafte sogleich der seltsam skeptische Blick des Doktors: „Ist das Ihr Ernst?“ „Mir fiel gerade nur The Conjuring ein“, musste ich entschuldigend lächeln und hob die Schultern. „Ehrlich: Lassen Sie das.“ Zumindest hatte ich es versucht. Aus der Kehle der linken Gestalt drang ein tiefes Krächzen, das so gar nicht zu ihrer Figur passte. Ich versuchte irgendetwas aus diesen seltsamen Lauten zu verstehen, doch war das Grrkrrchzgrr das Einzige, was bei mir ankam. In mehrfacher Ausführung. Noch verblüffender wurde es allerdings für mich, als der Doktor mit einem „Grrchzgrrkrrkrr“ antwortete, deren Tonlage ziemlich gut treffend. „Wir sollen ihnen folgen“, erklärte er mir. „Und was haben Sie gesagt?“ „Dass wir mit dem Obersten sprechen wollen.“ „Grrgrrrchzkrrchz!“, erklang es nun von der zweiten Gestalt. Der Timelord neben mir wog den Kopf anerkennend zur Seite. „Was?“ Wie ich es nicht mochte, Leuten alles aus der Nase ziehen zu müssen! „Wenn wir nicht Folge leisten, werden nur unsere Köpfe den Obersten zu sehen bekommen. Das nenn ich ein schlagkräftiges Argument.“ Mir entfuhr ein genervtes Stöhnen und so setzten wir unseren Weg fort, den Gang entlang, auf die beiden seltsamen Wesen zu und als erstes durch das Tor hindurch, hinter welchem der Maschinenlärm zu liegen schien. Wir mussten vorangehen, damit wir ihnen nicht in den Rücken fallen konnten und immer schön mit den erhobenen Händen. Sobald mir meine Arme auch nur ein bisschen absackten, wurde ich mit einem weiteren Grr und Stubs in den Rücken dazu aufgefordert, sie wieder richtig zu heben. Was nun hinter der Pforte lag, überraschte mich ziemlich und versetzte mich in ehrliches Erstaunen: Wir standen mitten in einer Art Kommandozentrale. Rundlich ausgerichtet, ähnlich wie in der TARDIS, aber eine viel, viel größere Fläche umfassend. Auch in diesem Raum war alles weiß gehalten, so dass es mir die ersten Sekunden regelrecht in den Augen wehtat hinzusehen. Schon einmal in strahlendweiße Schneeflächen geguckt? So ungefähr erging es mir gerade. Vor uns lagen viele Apparate, die anders aussahen als in dem Raum, in dem ich aufgewacht war. Maschineller und weniger medizinisch. Was mir aber wirklich ins Auge fiel, war eine große Anlage im hinteren Bereich des Raumes: Zentral mittig platziert, lag ein Gewirr aus dunklen Schläuchen, nein, Kabeln. Durch diese schien irgendwas zu fließen, da sich das Innenleben sichtbar in Bewegung befand. Um die Kabel herum ein sicheres Gefäß aus Glas oder einem anderen durchsichtigen Material. Dieser Säule entstiegen schmalere Kabel, welche zur Decke hinaufführten und dort ins Nichts verschwanden. Das ganze Konstrukt war gewiss dreimal so groß wie wir und nahm entsprechend viel Breite ein. Ein paar der Kreaturen, ebenso in Gewändern gekleidet wie unsere Wärter, schienen Arbeiten zu verrichten. Ein wellenartiges Dröhnen stieß immer wieder gegen meine Ohren. Der Herzschlag. „Sieh an, sieh an. Eine riesige Technikmeile unterhalb des sonst so rudimentär radekanischen Bodens!“, bemerkte der Doktor mit einem Hang zu viel Begeisterung, „Zwar nicht die allerneusten Standards, aber ich denke, dass sie für die Zeiten des Planeten durchaus zur Upper Class gehören.“ Je weiter wir kamen, desto auffälliger wurde unsere Anwesenheit und desto mehr der seltsamen Wesen drehten sich zu uns um. Sie tuschelten nicht, krächzten nicht, sondern starrten uns nur schweigend an. Als wären wir hochgefährliche Terroristen. Wenn sie überhaupt wussten, was Terroristen sind. Schließlich, direkt vor dem Netz aus Kabeln und Strukturen blieben wir stehen. „Grrchzkrrchzkrr!“ Klang für mich wie vorhin. Der Doktor hingegen hob die Augenbrauen, legte die Hände an den Kopf und ging langsam in die Knie. „Machen Sie‘s mir einfach nach.“ Ich tat es ihm somit gleich. Mein Blick verriet ihm allerdings, dass ich mich hier ganz und gar nicht sicher fühlte und auch nicht wusste, ob er überhaupt einen Plan hatte. Selbst wenn: ob dieser wirklich Erfolg versprechen dürfte. Ich war von grundauf verunsichert. „Wie kommt es eigentlich, dass Sie sie verstehen, bei mir aber nur Grr und Krr ankommt?“, wollte ich flüsternd wissen, „Ich dachte, die TARDIS übersetzt alles?“ „Im Grunde schon“, stimmte er zu, ohne die Augen von unserer Umgebung abzuwenden, „Allerdings nehme ich an, dass sie die Übermittlung stören. Entweder, weil wir zu tief unter der Erde sind oder aber – und das glaube ich eher – weil sie ein Störfeld aufgebaut haben, damit sie hier so unentdeckt wie möglich bleiben.“ „Ihr seid den Normaldenkenden wie immer einen Schritt voraus“, hörte ich mit einem Mal die bekannte Stimme Aqatas und da stand er auch schon: in seiner gewohnten Gestalt, faltig, in seinem Gewand, umgeben von den Schwestern, die uns vorhin der Heiligen Mutter hatten vorstellen wollen. „Oh, unser Freund der Gebete!“, begrüßte der Doktor ihn mit scharfer Zunge und einem Lächeln auf den Lippen, „Ich bin mir fast sicher, dass du uns die Lösung des Rätsels verraten könntest.“ Aqata behielt den Doktor zwar im Blick, antwortete aber nicht. Stattdessen wandte er sich unvermittelt mir zu und setzte eine bedauernde Miene auf: „Mein Kind, was treibt dich dazu, dich nur mit solch einer unglücksbringenden Kreatur abzugeben?“ Jetzt fing er wieder mit diesen Vorwürfen an und ich spürte in mir bereits das Blut kochen, so dass ich ohne weiteres die Hände vom Kopf nahm und kniend mit verschränkten Armen vor der Brust saß. „Sagen Sie mir lieber, was Sie dazu bringt, uns hier gefangen zu nehmen?“ Es war keine Frage, mit welcher er gerechnet hatte, aber ich konnte ihm ansehen, dass er es nicht mochte, wie ich Widerworte gab. Für ihn war das vermutlich ein Zeichen, dass ich mich erst recht auf die Seite des Doktors schlug und damit weiter aus seinem Kreis der Sympathie drängte. Für mich war eben alle Hoffnung verloren. „Oh, du verstehst nicht die Wichtigkeit dieser Intervention!“, klagte der alte Radekaner. „Nun im Grunde ist es ziemlich einfach“, ließ der Doktor wissen und nickte zu der Kabelei in der Nähe, „Eure Heilige Mutter ist ein Computersystem höchster Technologie. Wirklich bewundernswert. Vermutlich analysiert ihr so nicht nur die Radekaner und den Planeten, sondern habt auf gewisse Weise Einfluss auf das Leben dort, während ihr hier unten sicher euer Dasein fristest und die Ergebnisse auswerten könnt.“ Ich guckte etwas überrascht zum Timelord. Mich irritierte nicht seine Vermutung, dass sie ein solches System besaßen, sondern dass er Aqata direkt damit konfrontierte, dass er anscheinend nur ein getarnter Bewohner Radekans war. „Als Geistliche seid ihr in einer guten Position Einfluss zu nehmen“ fuhr der Doktor fort, „Wenn sie euch nicht glauben, wem sonst?“ Aqatas Falten im Gesicht zogen sich tiefer und er wirkte sogar regelrecht wütend über so viel Offenlegung: „Schweigt!“, sprach er klar und deutlich, „Ihr mischt euch in Dinge ein, die Euch nichts angehen, Doktor!“ „Dann erklär uns doch, warum du hier mit dem Gesicht eines Radekaners herumläufst, anstatt dich deiner gleichen anzunähern? Warum manipuliert ihr sie? Warum sprecht ihr nicht offen mit ihnen? Weil ihr Angst vor der Reaktion habt, wenn sie herausfinden, wer ihr seid, nicht?“ „Ich sagte: Schweigt!“, wiederholte sich Aqata und hob die Stimme an, so dass das Echo in unserer Umgebung widerhallte. „Und ich sagte: Dann erklär es uns!“, äffte ihn der Timelord fast schon in gleicher Tonlage nach. Die anderen, die spätestens jetzt ihre Arbeit niedergelegt hatten, starrten uns an. Ich fühlte mich nicht wohl dabei, so viel Aufmerksamkeit zu erregen – Würden sie uns bestrafen? Foltern oder töten? „Seht euch doch an. Ihr versteckt euch hier unter der Erde, habt ein hervorragendes Netz der Technik ausgelegt und lasst eure Gefolgsleute getarnt als Bewohner dieses Planeten auf der Oberfläche wandeln, damit ihr Kontakt zu den echten Radekanern herstellen könnt. Ihr beobachtet, analysiert und wertet aus. Vermutlich seid ihr noch nicht lange hier, denn ansonsten wäret ihr etwas weiter verzweigt als nur im Zentrum der Stadt. Alexandra, was denken Sie wohl, warum sie das tun?“ Oh, wie ich solche spontanen Fragen hasste! Nicht, dass ich nicht zuhörte, aber ich war normalerweise schlecht darin, von jetzt auf gleich richtige Lösungen anzubieten. „Ehm … sie … wollen nicht gefunden werden und die Radekaner sollen auch nicht wissen, dass sie hier sind?“ Auf dass ich nicht allzu falsch damit lag. „Bingo!“, deutete der Doktor mit dem Zeigefinger auf mich und erhob sich dann, die anderen ansehend. „Weil sie den Krieg fürchten.“ Er sah Aqata direkt in die Augen, „Weil ihr auf keinen Fall einen weiteren Krieg wollt.“ Der Älteste aller schwieg einen Moment, seufzte dann aber tonlos und senkte den Kopf, „Das … ist richtig, Doktor. Aber in einer Sache muss ich Euch korrigieren: Wir fürchten den Krieg nicht. Der Krieg ist nur das, was unsere ewige Sünde bleiben wird.“ Ich stand nun ebenso auf und war über die aufkommende Betretenheit aller irritiert. „Wir wollen die Bewohner dieses Planeten schützen.“ „Warum … spionieren Sie sie dann aus und sagen ihnen nicht die Wahrheit?“, hakte ich unwissend nach. Alles erschien mir sinnvoller, als das, was hier im Argen lag. „Mein Kind, du hast ja keine Ahnung“, klagte Aqata mit gequältem Gesichtsausdruck und seufzte tief. „Es … wäre doch einfacher, es ihnen zu erklären? Ich denke nicht, dass sie deswegen einen Sinneswandel erführen, solange ihr ein bisschen mitfühlend seid und nicht mit der Tür ins Haus fallt?“ Aqata antwortete nicht und auch die anderen beiden Begleiterinnen hüllten sich in Schweigen. „Doch, das würden sie“, widersprach der Doktor mir nun mehr, seinen Blick nicht von unseren Gegenübern abwendend. Er klang weniger verärgert als zuvor. Für mich hörte es sich nach Mitgefühl an, ein Hauch von Mitleid. „Warum?“ Es leuchtete mir einfach nicht ein. „Schuldgefühle“, sagte er knapp und seine Stimme wurde schwerfälliger, „Weil sie selbst es waren, die einen Planeten der Radekaner ausgelöscht haben. Und wenn dies publik würde, würden die Radekaner wohl nicht mehr zu halten sein. Egal wie friedlich sie eigentlich sind. Ihnen wurde die Heimat genommen, Leben wurden zerstört.“ Warum hatte ich nur das Gefühl, dass der Doktor sich in diesem Moment selbst in ihre Lage projizierte? „Wie kam es dazu? Soweit ich weiß, war Radekan ursprünglich nicht an den Kriegen beteiligt?“ „Es war ein Missverständnis“, ließ Aqata kleinlaut wissen, „Damals wurden uns falsche Informationen übermittelt, welche erklärten, dass Radekan sogar die Befehle zum Angriff erteilt hatte. Es überraschte uns, aber in der gesamten Kriegszeit war es auch keine Seltenheit, dass man einander den Rücken kehrte und mit einem Mal verfeindet war. Unser Informant spielte uns gegen unsere Feinde aus und so zielten wir direkt auf ihren Planeten.“ Es war für mich fast schon unbeschreiblich, wie man nur von reinem Hörsagen aus Entscheidungen traf, die solche Tragik innehatten. „Und jetzt wollt ihr es wieder gutmachen, in dem ihr-“ „Wir schützen ihren Planeten und bewahren sie so davor, dass sie erneut in solche Not geraten“, fuhr er mir dazwischen, bevor ich aussprechen konnte. „Und … wer sind eure Feinde?“ Wieder ein Schweigen. Irgendwie war das zu erwarten gewesen … „Doktor?“ „Sie werden keine Antwort erhalten.“ „Aber Sie wissen es?“ „Und Sie werden sich das Wort weder merken, noch überhaupt aussprechen können.“ Ein Augenrollen konnte ich mir nicht verkneifen. Nicht, dass ich ihm nicht glaubte, aber meine Neugier war damit natürlich nicht gestillt. „Und warum haben sie mich nicht als Feind angesehen?“ „Oh, wir sind schon einmal auf einen Menschen getroffen. Das ist eine Weile her. Eure Rasse ist äußerst interessant. Selten sind wir auf ein Volk getroffen, welches man so wenig versteht wie euch Menschen“, erklärte Aqata, „Es war uns gar unmöglich, dich nicht gebührend zu begrüßen, mein Kind.“ „Schön … letzte Frage: Wie … lösen wir das Ganze jetzt?“ Schweigen. Großes Schweigen. Zu langes Schweigen. Ich sah, wie Aqata den Doktor ansah, dieser Aqata, und die anderen Anwesenden starrten wiederum uns an. Langsam aber sicher verlor ich die Geduld. „Vielleicht … dürften wir bitte gehen?“, fragte ich den Ältesten, dann aber auch zu dem Rest sprechend, „Wenn ihr so freundlich seid … Wir wollen keinen Ärger. Eigentlich wären wir nicht einmal hier auf Radekan, wenn wir unserer Freundin ihren Wunsch nicht erfüllt hatten. Unsere Freundin, die mit eurem Radekaner … befreundet ist. Wir hatten also keinerlei Absicht in den Sinn außer ein Zusammentreffen zu bewirken.“ Das war zwar etwas geflunkert, aber der Anflug eines Zögerns wäre jetzt wenig überzeugend. „Also bitte, dürfen wir gehen?“ „Mein Kind, natürlich können wir dich gehen lassen“, antwortete Aqata, „Uns liegt es fern, dich gegen deinen Willen festzuhalten. Und genauso deine Freundin. Ihr steht es frei unseren Planeten zu bereisen, wann immer es ihr beliebt. Sie ist kein Mensch wie du, aber sie scheint guter Absicht zu sein. Was ihn allerdings betrifft ...“ Sein Blick glitt wieder zum Doktor und wurde finsterer, „können wir uns da nicht so sicher sein. Er trug eine Waffe bei sich.“ „Das ist doch keine Waffe“, setzte ich nun mehr schon recht empört nach, „Das ist doch nur ein Schraubenzieher, der für ein bisschen Licht sorgt!“ „Er hat ihn auf uns gerichtet.“ „Ja, und ich zeige gleich mit meinem Finger auf euch. Bin ich jetzt auch gefährlich?“ Der Doktor zischte leise, eine kleine Ermahnung, dass ich es nicht übertreiben sollte. „Nun, du hast die Wahl“, sprach Aqata da auch schon räuspernd und weitaus strenger, „Du kannst dich entscheiden, ob du mit deiner Freundin von hier gehst oder ob du hier bleibst und dich der Seite des Bösen anerkennst.“ „Ich habe noch eine dritte Lösung“, sprach der Doktor nun mehr und trug seinen üblichen leicht zynischen Unterton in der Stimme, während er langsamen Schrittes einen Bogen um Aqata schlug, „Wie wäre es, wenn wir der großen Adkata unseren Respekt zollen, uns für eure Gastfreundschaft bedanken und die ganze Sache einfach ohne großes Bäng und Peng vergessen?“ Er ließ dabei seinen rechten Zeigefinger in der Luft kreisen, stand für ein, zwei Sekunden direkt in der Linie der komischen Netzwerkmaschine und ging dann wieder ein paar Schritte weiter. Ich folgte seinem Fingerzeig, landete ebenso bei dem Computer und – das konnte ja nicht sein! Hatten die allen Ernstes den Ultraschallschraubenzieher verbaut? Das war mir beim ersten Anblick gar nicht aufgefallen! Dem Doktor hingegen vermutlich bestimmt. Oh Mann … Und dann machte es bei mir auch Klick, was er eigentlich hatte ausdrücken wollen: den Computer crashen, den Sonic Screwdriver herauslösen, mitnehmen und ohne viel weiteres Aufsehen verschwinden – Goodbye. Da hatte er ja viel Vertrauen in mich, wenn ich ihm nun helfen sollte … Ich hatte ihm noch nicht gesagt, dass ich bei Resident Evil V diejenige war, die ihren Partner innerhalb 10 Minuten mit einem Fass hochjagte … Mir ging der Hintern auf Glatteis. „Ist das Euer Ernst?“, warf Aqata ein, nicht checkend, worum es ging. Okay, was hatte ich für Optionen? „Alexandra, haben Sie jemals die Bibel gelesen?“, warf der Doktor ein und brachte mich damit komplett aus dem Konzept. Er stand neben zwei dieser seltsam in Gewändern gekleideten kleinen Wesen, welche bis eben noch einen Wagen mit einer Kiste auf der Tragefläche vor sich hergeschoben hatten. „Ehm … nur das alte Testament.“ „Sehr gut!“, rief der Timelord mit einem Lächeln begeistert, „Das ist sehr gut! Damit haben Sie die wichtigsten Grundlagen gelernt! Sie waren nicht gläubig oder?“ „Nein … eigentlich nicht!?“ Er schlenderte weiter umher, befand sich nun fast schon hinter den beiden Gestalten. … Oh.s „Macht nichts, die zehn Gebote sagen Ihnen aber wohl etwas?“ „Wovon redet er?“, warf Aqata fast schon erbost und ungestüm ein. „Die Bibel ist sozusagen das religiöse Gegenstück auf Erde zu eurem Glauben. Na ja, zumindest für einen Teil der Welt“, antwortete der Doktor und klopfte einmal auf die Kiste des Wagens vor sich. „Erinnern Sie zufällig an das fünfte Gebot?“ Mir fielen nur zwei ein: Ehre deine Eltern und … „Du sollst nicht töten?“ „Richtig!“ Damit gab er dem Wagen einen ordentlichen Schubs, sorgte für dessen Anrollen und damit für eine kurze heftige Fahrt gegen den Älteren, der ihn aus den Latschen haute. Die Gebetsschwestern waren noch zur Seite gesprungen und schienen erschrocken über die Wendung der Dinge. Jene Wesen, die uns hierher gelotst hatten, sahen ebenso erschrocken drein. Es schien fast so, als würden sie unsicher, was zu tun war. Mit einem Mal erklang aber ein lautes „Grrrkrrrz!“ und es ritten weitere der Umstehenden an, auf uns zukommend. „D-Doktor!!“, rief ich leicht überfordert, schaute zu ihm, aber er war bereits zu dem Computersystem gesprungen und machte sich daran, seinen Ultraschallschraubenzieher aus dem Geäst von Kabelwindungen befreien zu wollen. Zumindest, wenn er durch diese Glasschicht käme, die alles schützte. „Kommen Sie her und nehmen Sie den Anhänger, den Sie vorhin bekommen haben!“ Ich dachte besser nicht darüber nach, warum ich das tun sollte, eilte aber unter einem Hakenschlag zu ihm und nahm die Glücksbringerkette ab, welche ich auf dem Markt erhalten hatte. Mir fiel dabei auf, dass ein paar der Wesen zurückschreckten, als sie den Federanhänger sahen. „Was-“ „Halten Sie es einfach vor sich. Das wird sie abwehren.“ „O-Okay!“ Tapfer wie es Buffy getan hätte, streckte ich meinen Arm vor mir aus und hielt ihnen den Anhänger wie ein Kruzifix gegen Vampire auf Gesichtshöhe der kleinen Wesen. Ich konnte nicht sehen, was der Doktor tat, da ich mit dem Rücken zu ihm stand. Anhand der Geräusche konnte ich jedoch entnehmen, dass er nicht wirklich weiterkam. Die Kreaturen wichen weiter vor mir und ich konnte sogar ein paar Schritte vorwagen und so unseren Sicherheitsradius vergrößern. Aqata hatte Mühe, sich wieder unter der Hilfe der Gebetsschwester aufzurichten. Ihn hatte es wirklich umgehauen, was mir irgendwo auch leid tat. „Haben Sie irgendwas in den Taschen, was es uns erleichtern könnte, hier fertig zu werden?“, rief der Doktor mir zu, und das Einzige, was mir beim Griff in meine Hosentasche in die Hände kam, war der seltsame violette Stein, welcher mir ebenso auf dem Marktplatz gereicht worden war. „Nur das?“ „Perfekt! Nicht gerade stilvoll, aber sollte seinen Nutzen erfüllen.“ „Was haben Sie vor?“ „Kümmern Sie sich um unsere Freunde und ich kümmere mich um das Bäng und Peng.“ Und bevor irgendjemand hätte Einwände erheben können, hatte er mir den Stein abgenommen und schlug mit Schwung und Kraft auf die Schutzscheibe ein. Das konnte doch nicht funktionieren! … Oder etwa doch? „Hochkultiviert und im Besitz der besten Materialien und was haben wir? Simples Glas“, mauserte der Timelord erfreut, als sich bereits der erste kleine Riss zeigte und mit einem weiteren Schlag zu zerbrechen drohte. „Nein, was tust du da!!“, erklang Aqatas Stimme entsetzt, „Du zerstörst die Heilige Adkata!“ Er streckte seinen Arm nach dem Doktor aus, aber war zu weit entfernt, als dass er etwas hätte unternehmen können, „Grrkrrrchz! Grrkrrrchz!“ Ich musste das nicht verstehen, um zu wissen, dass er so etwas wie „Ergreift sie!“ rief und augenblicklich schwang ich die Kette in meiner Hand nach links und nach rechts. „Warum auch immer es euch abhält … bleibt einfach, wo ihr seid und es passiert nichts!“, sprach ich drohend, wobei ich nur hoffen konnte, dass diese Feder nicht auch für mich irgendwelche Schäden bereithielt. Es hatte Wirkung – zumindest auf alle, bis auf Aqata und die beiden Gebetsschwestern. Unsere Vermutung, dass es getarnte Wesen dieses Völkchens waren, war wohl falsch – Sie waren Radekaner, und doch arbeiteten sie für diese Gestalten. Aber nun riss mir die Radekanerin die Kette aus der Hand und hatte den Zauber gebrochen, der uns schützend umgeben hatte. Ihre Augen funkelten erbost und wenn ich nicht aufpasste, würde ich vermutlich die Nächste sein, die sie mit ihren Fingern ergriff und die Luft abschnürte. Ich hatte als Erdling meinen besonderen Status verloren. Zumindest bei diesen beiden. „Ha!“, erklang aber zeitgleich die Stimme des Doktors und ich hörte das Zersplittern des Glases hinter mir. Ich wandte meinen Kopf über die Schulter, sah, wie die Scherben zu Boden gingen und er nun ein Leichtes hatte, den Schallschraubenzieher aus dem Kabelnest zu befreien. „Große Taten. Unterschätzen Sie niemals die Wahrsagungen vom einfachen Volk.“ Und damit richtete er den Schallschraubenzieher auf die Tür direkt neben ihm. Jene, durch die wohl Aqata gekommen war. Das bekannte Surren ertönte. Dreimal kurz in unterschiedlichen Abständen. Als sich meine Gegenüber tatsächlich auf mich stürzen wollte, ergriff der Doktor meine Hand und zog mich mit sich. Uns eröffnete sich ein langer Gang, durch den nun unsere Schritte hallten. Wir rannten so schnell wir konnten und erreichten schließlich eine Abzweigung. Der Timelord sah nach links und nach rechts, entschied sich für den rechten Weg und zerrte mich mit. Ja, Rennen gehörte dazu. Das war mir klar. Mir wäre es nur lieber gewesen, wenn es nicht um unser Leben ginge. Wir sprachen nicht, und das war auch gut so. Ich war es nicht mehr gewohnt, so schnell und so viel zu rennen. Ein Seitenstechen war das Letzte, was ich wollte. Am Ende des Weges führte nur noch eine Wandleiter nach oben. Hinter uns schallten die eiligen Schritte unserer Verfolger. Natürlich. Der Doktor ließ mir den Vortritt und ich beeilte mich, die kalten Sprossen zu fassen, um so schnell es ging hochzukraxeln. Keine Ahnung, in welcher Höhe ich mich alsbald befand, aber gewiss zu hoch, als dass ich lebend unten ankäme, würde ich fallen. Irgendwann – die Stimmen der anderen wurden lauter und kamen immer näher – sah ich eine Luke. Ich musste sie mit einer Hand irgendwie aufstemmen und hatte dabei ziemliche Mühe. Erst beim dritten Versuch schlug ich sie auf und sah die bekannte Decke des Tempels über mir. Ich krabbelte heraus, der Doktor hinter mir und kaum waren wir draußen, schlug er die Luke zu und verschloss diese mit ein paar surrenden Geräuschen mittels des Schraubenziehers. Praktisches Ding. „Wir … sind sie los?“, keuchte ich und stand schließlich fest mit beiden Beinen wieder auf dem Boden. „Nein, seid ihr nicht.“ Ich drehte mich um und sah Duma vor uns stehen, Metatropeasis verwirrt neben ihm. Der Doktor hatte sich ebenso aufgerichtet und sich den Staub von der Hose geklopft. Es schien als überraschte ihn der Auftritt des Radekaners nicht besonders. Der Timelord stellte sich dem anderen direkt gegenüber. „Was hast du ihnen angetan?“, zischte dieser wütend. Gelassenheit war in dem Fall das, was der Doktor am besten zu beherrschen wusste: „Nichts. Wir haben uns nur aus dem Gefängnis befreit, welches für uns gedacht war. Wusstest du, dass sich dort unten eine Art Geheimversteck befindet?“, erklärte er und nickte dann Metatropeasis zu, „Hast du es ihr erklärt, dass ihr nicht die Einzigen auf diesem Planeten seid?“ „Wovon redest du? Was hast du mit dem Ältesten gemacht?“ „Ihm geht es gut. Genauso wie den anderen“, war die einzige Antwort. Unsere Arcateenianerin machte einen Schritt zur Seite, auf mich zu. Sie wirkte besorgt, traute sich aber nicht zu sprechen. Ich konnte ihr an den Augen ablesen, dass es nicht nur Kummer war, den unser Verschwinden ihr bereitet hatte, sondern auch Angst, die sie durchfloss. Sie verstand genauso wenig wie ich, was hier vorging, aber das Verhalten ihres Freundes schien sie noch mehr aufzurütteln. Deswegen suchte sie auch unmerklich meine Nähe. „Aqata hatte Recht, du bringst Unheil über unseren Planeten!“ Dumas Augen glühten vor Zorn gelblich auf und ich wurde das Gefühl nicht los, dass ein wütender Radekaner nicht gerade ein netter Radekaner war. Der Doktor zeigte sich weiterhin unbeeindruckt, hatte beide Hände in die Hosentaschen gesteckt und das Kinn leicht gehoben. „Eure Anwesenheit!“ „Hör bitte auf“, sprach Metatropeasis da leise, aber deutlich. Duma blickte an den Doktor vorbei, zu uns beiden Frauen und schien perplex, dass seine Freundin nicht mehr bei ihm stand. „Warum bist du-?“ „Weil sie Angst hat“, gab ich ohne Umschweife zu verstehen. Metatropeasis griff nach meinen Händen, als Stütze und ich erwiderte, gab ihr den Halt. „Und jetzt frag‘ nicht vor wem.“ An der Luke klopfte es zweimal. Dann heftiger. Aber sie blieb geschlossen. Zum Glück. „Ihr habt alles durcheinander gebracht. Und jetzt … willst du mir sagen, dass sie Angst vor mir hat?“ „Sie haben sie mitgenommen und weggesperrt!“, setzte nun auch Metatropeasis an, „Und das versteh ich nicht. Warum haben sie das getan? Die beiden tun doch niemanden etwas zuleide.“ „Du hast Aqata doch gehört!“, widersprach Duma. Sein Zorn verflog, aber dafür zeigte sich die Verwirrung über die Ereignisse in den letzten Minuten oder Stunden, „Er ist es, der den Krieg bringt!“ Und da konnte ich nicht anders, als ein genervtes lautes „Boah!“ von mir zu geben. Duma sah mich erschrocken an und auch der Doktor wandte sich zu mir um. Na toll. Mir begann das Herz zum Hals zu schlagen, weil es mir unangenehm war, mit so einer Aktion die Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Aber das konnte ich jetzt auch nicht mehr ändern. Meine Hände wurden feucht. Nun konnte auch noch der Rest raus … „Hier will niemand irgendwem den Krieg bringen, verdammt noch mal!“, sprach ich ungehalten, „Das ist doch absoluter Mist, was ihr hier verzapft. Weißt du, wem du es zu verdanken hast, dass Metatropeasis hier steht und nicht auf der Erde in irgendeinem dreckigen Loch Londons des 19. Jahrhunderts gestorben ist?“ Ja, manchmal konnte ich ausrasten. Und dann war ich auch nicht mehr nett. „Ohne ihn, wie hier alle so respektvoll reden, hättest du sie gar nicht mehr wiedergesehen. Und ohne ihn – nochmal, wir haben alle einen Namen – wären wir somit nicht hier auf Radekan. Also können wir diesen Scheiß von Hilfe, er bringt uns den Krieg endlich lassen? Zweite Erinnerung: Deine Leute waren es, die mir fast mein Hirn weggebrannt haben, okay?“ So, Zeit zum Luftholen. Der Timelord schob die Unterlippe vor und rieb sich mit einem Finger am Ohr. Das hatte wohl gesessen. Ja. War mir im Nachhinein peinlich … aber was man eben anfing … „Ein guter Zeitpunkt zu gehen“, warf der Doktor leise ein und ich nickte nur. Ich hatte genug gesagt. Als ich noch einmal zu Duma sah, tat es mir nun auch ein wenig leid, dass ich so rabiat geworden war und seufzte tonlos. Er hatte eine Menge, was er nicht verstand, was seine Welt auf den Kopf stellte, und wenn erst an die Öffentlichkeit geriet, was dort unter ihrer Erde lebte … dann würde es vielleicht zu einer Menge Fragen und Ärger auf dem Planeten geben. Wenn die Radekaner erfuhren, dass ihre Heilige Mutter gar keine Heilige, sondern ein Computersystem war. Sie würden sich benutzt und manipuliert fühlen. Und wenn sie dazu auch noch erführen, dass es sich um die Spezies handelte, welche bereits einen Planeten von ihnen zerstört hatte … gute Nacht. „Wo sind eigentlich die anderen, die uns hier vorhin begrüßt hatten?“, wollte der Doktor misstrauisch wissen und sah sich kurz um. Keiner da. Und die waren definitiv nicht alle an unserer Verfolgungsjagd beteiligt gewesen. Was machte die Luke? Keine Geräusche mehr zu vernehmen. „Sie … wollten zum Markt aufbrechen.“ „Zum Markt?“ „Ja, dort … fände eine Versammlung statt. Diese geschehen immer am achten Tag“, antwortete Duma geistesabwesend. „Und zufälligerweise bleibt eine Hälfte hier und eine geht dorthin?“ich dann in zwei Gruppen auf?“ „Ja … schon.“ Der Doktor guckte mich vielsagend an. „Die linke Abzweigung?“ „Vor allem eins: die TARDIS.“ Also hieß es wieder: Rennen. „Wir müssen zurück“, sprach er an Duma gewandt, „Schnell.“   „Sie … werden versuchen, die TARDIS zu zerstören, oder?“, japste ich und erinnerte mich daran, dass Reden und Rennen für mich keine gute Kombination waren. „Höchstwahrscheinlich. Ich glaube nicht, dass sie Erfolg haben werden, aber ich will es auch nicht heraufbeschwören.“ Wir liefen Duma hinterher, welcher sich erst noch erheblich gesträubt hatte, uns zu folgen. Noch immer war er einfach zu verwirrt von den Ereignissen, um für sich einzuordnen, auf welche Seite er stehen wollte. Der Doktor hatte ihm hingegen die Aussicht gegeben, dass es längst nicht mehr um uns, sondern auch um Metatropeasis ging. Sie wurde bisher verschont, aber nach meinem unterirdischen Ausraster war es fraglich, ob die Radekaner und Grrkrrz-Spezies Menschen überhaupt noch leiden konnten und wollten. Es hatte Duma genug Motivation gegeben, uns zurückzuführen. Der Meute übergeben, konnte man uns immer noch. Vom Marktplatz hörte man bereits lauten Tumult. Ich dachte, dass es daran lag, dass sie sich gegen uns verschworen und die Radekaner aufhetzen wollten. Dass sie ins uns genug Gefahr sahen und nun loswerden wollte, aber es kam ganz anders: Ich sah Aqata und die Gebetsschwestern. Ich sah ebenso viele herumstehende Radekaner, doch erblickte ich auch etwas anderes: Zwei Gestalten, die nicht von hier stammten und ebenso wenig der unrirdischen Spezies angehörten. Sie waren nicht vollständig materialisiert, teilweise durchsichtig, besaßen aber klare Umrisse. Die eine Gestalt war ein Mann, dessen Gesichtszüge kantig und seine Anatomie markant waren. Silberbläuliche Haut und Haare, die wie unter Schwerelosigkeit schwebten. Nicht lang, nicht kurz, aber in einzelnen dicken Strähnen gefasst. Daneben die Frau, eine schmalere Figur und auch ein feineres Gesicht beherbergend. Die Haare länger, aber ebenso wie das männliche Wesen in den gleichen Farben gehalten. Ich konnte ihre Hände nicht ausmachen. Zum einen waren genug Köpfe von Radekanern vor mir, zum anderen verloren sie zu den Unterarmen hin immer mehr an Form und gewannen hingegen an Transparenz. Wir hatten unseren Schritt verlangsamt, waren nun am hinteren Teil der sich versammelten Menge, unbemerkt von Aqata. „Oh, das ist gar nicht gut“, murmelte der Doktor neben mir, so dass ich fragend zu ihm aufsah, „Was meinen Sie?“ „Metatropeasis … du hattest keine Ausgeherlaubnis, richtig?“, wandte er sich stattdessen an unsere Arcateenianerin, die sich in ihrem geborgten Körper mit einem Mal regelrecht zu verstecken schien. Da fiel der Groschen bei mir: Die werten Eltern! „Sie können nicht wissen, dass ich hier bin“, flüsterte sie und zog weiter den Kopf ein. „Anscheinend doch“, widersprach der Doktor, als nun mehr das Stimmengewirr zunahm. Ich streckte mich auf die Zehenspitzen, und konnte damit mein Bild von den Arcateenianern in ihrer wahren Form komplettieren: Lange, schlanke Finger, die Haare sprossen zum Teil bis aus dem Rücken, wie man durch ihren halbtranszulenten Körper erkennen konnte. Allgemein ließ sich der Aufbau ihres Organismus sehr gut nachverfolgen, denn ihre Organe leuchteten regelrecht weiß heraus. Es war mir, als blickte ich auf den gläsernen Menschen, den ich damals über mehrere Zeitschriften hinaus hatte sammeln und zusammensetzen können. Irgendwo extrem faszinierend, solch ein Wunder des Lebens. „Aber wie können sie hierher kommen? Ich dachte, sie brauchen einen Körper?“, wisperte ich. „Oh, mehrere Möglichkeiten der schneller-als-das-Licht-Reise. Diverse Raumschiffe und eine große Sammlung an Batterien“, sprach der Timelord wie selbstverständlich, „Manche können sogar fliegen. Mit Flügeln.“ Ich dachte erst, er wollte mich veräppeln, aber da Metatropeasis auch keine Einwände hatte, schien es wohl zu stimmen. Die Stimmen wurden lauter, doch weder die beiden Arcateenianer noch Aqata sprachen. Metatropeasis schreckte allerdings mit einem Mal hoch und erstarrte fast zur Salzsäule. „W-Was ist los?“ schreckte ich mit auf. Keine Antwort. Unsere aller Augen lagen auf unserer Freundin, die sich nicht traute, etwas zu sagen oder einen Ton von sich zu geben. Hatte sie Angst, dass sie entdeckt würde, oder was war das? „Seien Sie ruhig“, wies mich der Doktor leise an und ich gehorchte. Ich stellte mir meine Fragen im Kopf, was gerade vor sich ging. Alle anderen um uns regten sich auf. Aqata solle etwas tun. Die Eindringlinge sollten verschwinden. Es solle nicht nur rumgestanden werden. Die beiden Besucher schwebten hingegen einfach nur auf der Stelle. Kein Anzeichen von einem Angriff oder sonstiges Gewaltvorhaben. Sie hatten keine Armee hinter sich, waren allein auf den Planeten gekommen. Und dann, mit einem Mal, hob die weibliche Gestalt den Arm, deutete in unsere Richtung. Die Radekaner sahen einander verwundert an, blickten hinter sich und siehe da: wir waren gesichtet. Aqatas Gesicht verfinsterte sich noch mehr, als er uns sah: „Ihr …“ Mehr brachte er nicht über die Lippen. Die Arcateenianerin begann nach vorne zu schweben, immer der Richtung nach, die sie mit ihrem Arm anzeigte. Unsere Richtung. Die um uns Stehenden wichen zurück, ungewiss, was sie von dem Besuch und der Aktion halten sollten. Sie kam immer näher und blieb schließlich vor uns stehen. Vor mir. Hell, strahlend. Ihre mandelförmigen dunkelblauen Augen, die komplett gefüllt, ohne Pupille waren, erinnerten mich an Opale. Ihr Arm senkte sich graziös, ihr Zeigefinger deutete auf mich. Oder besser: hinter mich. Sie meinte Metatropeasis. Ich sollte zurücktreten. Das war mir auch so bewusst, ohne dass sie sprechen musste. Unser junge Begleiterin krallte sich in diesem Moment in dem Stoff meines Pullovers fest. Ich spürte ihre zittrigen Hände, die nach Halt suchten. Doch. Sie hatte Angst. Gewaltige sogar. Mir fiel wieder ein, was alles für sie auf dem Spiel stand: Das wäre nicht nur ein bisschen Hausarrest, sondern eine Zwangsheirat, vermutlich für immer das Verbot hierher zurückkommen zu können. Es war mehr als nur eine Strafe, die sie zu fürchten hatte. Aber wie konnte ich mit denen kommunizieren? In jenem Moment senkte sich die Hand meiner Gegenüber noch weiter und sie berührte den Herzanhänger meiner Silberkette, die ich um den Hals trug. Mich trafen ihre Worte direkt im Kopf. Der Doktor schritt nicht ein, blieb aber in Alarmbereitschaft. Es konnte also nichts Gefährliches sein, was sie hier tat. Tritt zur Seite, Mensch. Das war es. Das war alles, was sie mir zu sagen hatte. Nicht besonders höflich, dachte ich und vergaß, dass sie eben telepathisch mit mir geredet hatte – also würde dieser Gedanke auch sofort bei ihr ankommen. Autsch. Wir sind nicht hier, um Höflichkeiten zu pflegen. Metatropeasis wurde von den Bewohnern Radekans entführt und gefangen gehalten. „Bitte was?“, entfuhr es mir verwundert. Das waren ja ganz falsche Tatsachen. „Bleiben Sie ruhig. Arcateen IX ist an sich ein zivilisierter Planet“, sprach der Doktor mir zu und ich nickte. Mir gefiel es nicht, dass ich hier die Einzige war, mit der man redete und dass ich somit ein wenig darüber zu entscheiden hatte, wie die Konversation wohl ausgehen würde, aber das konnte ich jetzt nicht ändern. Ich konnte nur versuchen, es halbwegs richtig zu machen. Da habt ihr was falsch verstanden. Sie wurde nicht entführt. Sie ist freiwillig von Arcateen abgereist. Und sie war auch nicht hier, sondern auf der Erde. Wir – der Doktor – hat sie hierher gebracht. Der Kopf von Metatropeasis‘ Mutter drehte sich zum Doktor und hielt ihn für ein paar Sekunden in Augenschein. Erst dann sah sie wieder zu mir. Uns wurde berichtet, dass sie von einem Radekaner hier gefangen genommen wurde. Duma! … Wie sollte ich eigentlich meine Gedanken geheimhalten und gleichzeitig mittels dieser sprechen? Unmöglich! Ich hätte mein Gehirn überlisten müssen, dass es keine Schlussfolgerungen mehr zog, aber so legte sich natürlich alles offen.   Tritt zur Seite.   Ich war unsicher. Sollte ich das tun? Metatropeasis hielt sich immer noch an mich geklammert.   „Nein“, sprach ich mit Absicht laut aus und ballte die Hände zu Fäusten. Auch, wenn ich selbstsicher klang, fuhr mir ein heftig kalter Schauer über den Rücken. Meine kleine innere Stimme schelte mich, warum ich so dumm war mich in diese Beziehungen einzumischen, und im Grunde hatte sie ja recht … Aber ich konnte eben auch nicht meine Klappe halten, wenn zu viel Ungerechtigkeit vonstatten ging. Und ja, das hatte mich schon mehr als einmal fast ein paar Zähne gekostet. Meine Antwort sorgte für Erstaunen bei den anderen und für ein Murmeln. „Was hat sie gefragt?“, kam es auch vom Doktor ein wenig überrascht und ich spannte mehr die Schultern an, allerdings nicht der Arcateenianerin den Blick verwehrend, „Sie wollte, dass ich zur Seite trete. Ich habe nein gesagt.“ Metatropeasis‘ Mutter zog ihre Hand zurück, die telepathische Verbindung kappte. Aber damit war es nicht vorbei. Sie drehte sich um 180 Grad und dann, ohne Vorwarnung, drang ihr Wesen in das einer Radekanerin, die einen kurzen erschrockenen Laut von sich geben konnte. Es ging so schnell, dass ich nur mit den Augen zu zwinkern brauchte und schon war es nicht mehr diese dort, sondern Metatropeasis‘ Mutter, die sich nun bewegte. „I-Ich dachte, sie brauchen einen toten Körper?“ „Anscheinend habe ich mich getäuscht“, musste der Doktor ebenso überrascht zugeben, „Evolution?“ Die Arcateenianerin legte den Kopf zur linken und dann zur rechten Seite. Sie musste sich an den Körper gewöhnen. Dann schritt sie recht sicher, wenn auch ungelenk, auf den Beinen zu uns rüber. Es war seltsam, wie diese Körperübernahmen fungierten. Und es machte mir Angst. Wenn das so einfach war, könnte sie auch mich- „Zeigen Sie keine Angst. Egal, was es ist, das Sie fühlen. Zeigen Sie es nicht“, raunte der Doktor mir zu, „Wir haben jetzt einen kleinen Verhandlungsvorteil.“ Und das sollte mich beruhigen? Das machte alles andere mit mir, aber gewiss nicht das. „Ich sage es noch ein letztes Mal: Tritt zur Seite Mensch.“ Ihre Stimme war recht düster, was natürlich dem Wirtskörper geschuldet war. Der erboste Unterton hingegen war die Arcateenianerin selbst. Der Doktor hatte recht: Wir hatten jetzt einen Vorteil. Wir befanden uns auf Augenhöhe. Ich tat nichts dergleichen, blieb stehen und hob etwas den Kopf. „Ich bin dafür, dass wir uns unterhalten“, machte ich den Gegenvorschlag, „Über Metatropeasis‘ Lage. Über diese falschen Gerüchte. Und vielleicht auch über die Zwangsheirat.“ Die Mutter schien überrascht, dass ich so viel wusste, warf dann aber ihren Gatten einen Blick zu, welcher sich bisher herausgehalten hatte. Nun aber tat er es seiner Frau gleich und übernahm in wenigen Sekunden einen männlichen Körper, so dass er sich in gleicher manifester Form wie seine Frau befand. „Was willst du? Was willst du verhandeln?“ Eigentlich … gar nichts. Ich wollte nur nicht, dass diesem Mädchen – egal, ob nun Mensch, Radekaner oder Arcateenianer – so viel Unrecht geschah. „Im Grunde werden wir vermutlich alle dasselbe wollen: eine einfache, friedliche Lösung, ohne Aufstand“, setzte der Doktor an und sprach damit auch lauter zu den anderen Anwesenden, „Ihr wollt zurück nach Arcateen IX, um dort die baldige Hochzeit zu feiern.“. sprach er zu dem Elternpaar, „Und ihr wiederum wollt euren Planeten friedlich erleben. Mehr oder weniger unter euresgleichen“, redete er weiter, auf die Radekaner deutend und trat einen Schritt vor. Die Spitze war wohl an Aqata gerichtet, „Wir würden es hingegen vorziehen, ebenso friedlich wieder gehen zu können. Ich denke also, dass eine Einigung nicht schwerfallen sollte.“ „Eine Einigung ist ausgeschlossen. Radekan hat unsere Tochter gefangen gehalten“, begann nun auch Metatropeasis Vater mit dem gleichen Quatsch wie zuvor die Mutter, „Es ist unabdingbar, dass dafür Strafe walten muss.“ „Wie wäre es, wenn ihr sie mal einfach selbst fragt?“, schloss ich an und trat nun mit dramatischen Schritt zur Seite, so das Metatropeasis loslassen musste und ihren Eltern gegenüberstand. Sie schaute mich geschockt an, brachte keinen Ton hervor, blickte ihre Eltern an und senkte daraufhin die Lider. Es herrschte ein drückendes Schweigen, bis sie sich schließlich überwinden konnte, etwas zu sagen: „Ich … bin freiwillig gegangen. Und nicht nach Radekan. Der Kurs des Raumschiffs war auf die Erde gerichtet. Ich konnte ihn nicht abwenden.“ Eigentlich sollte ja ihre Hülle genug Aufschluss darüber geben, dass sie die Wahrheit sprach. „Metatropeasis, das ist nicht dein Ernst?“, schien der Vater schockiert, „Du wurdest zu dieser Aussage gezwungen, ist dem nicht so? Von ihm?“ Er deutete mit der Hand auf Duma, welcher nun nicht weniger stocksteif dastand, da er ins Augenmerk aller gerückt war. „Er ist es, den Matinaara gesehen hat.“ „Entführt?“, schaltete sich nun leider Gottes Aqata ein, „Wenn uns hier jemand Unglück bringen wollte, dann waren sie es“, wies er jegliche Schuld seines Volkes ab und diese auf den Timelord und mich zu. „Ihr wollt uns der Lüge bezichtigen?“, fuhr Metatropeasis‘ Vater auf. „Ihr dringt auf unseren Planeten ein und übernehmt die Körper unseres Volkes!“, erklang sogleich der Widerspruch. Die Meute um uns herum wurde wieder lauter. Es brabbelte und tuschelte und wollte auch gar nicht mehr aufhören. „Und jetzt legen alle mal den Finger an die Lippen! Pssscht!!“ Ich guckte erschrocken zum Doktor, welcher seine Stimme so laut hatte walten lassen und mit gutem Beispiel voranging. Sein Blick ging streng zu mir, so dass ich mich ihm anschloss, und auch wenn der Rest dem Appell nicht folgte, so hielten sie zumindest einmal inne. „Es spielt keinerlei Rolle, wer hier wen hergebracht hat. Vielleicht solltet ihr einfach erst einmal zuhören?“ Die anderen schwiegen immer noch. Sie schienen nicht viel mit den Worten des Doktors anfangen zu können. „Sprich mit ihnen“, bat ich Metatropeasis leise, welche zu Boden sah, dann aber zu Duma aufschaute und schließlich zu mir, „Es wird nicht besser, wenn du schweigst. Du kannst nur was ändern, wenn du auch etwas dafür tust. Also rede bitte weiter.“ Ich wusste nicht, wie ich sie ermutigen konnte, aber viel Zeit hatten wir dafür auch nicht. Die Lage war angespannt und es brauchte eine baldige Lösung. Zudem war ich nicht gerade geübt in der Rolle des Mediators. Sie machte immer noch keine Anstalten und so griff ich wortwörtlich zum einzigen Mittel für weitere Erklärungen: Ich zog Duma an der Hand heran und legte seine auf Metatropeasis‘ Hand, hielt beide fest. „So, dann für alle: Wir haben hier zwei Frischverliebte, die weder eine Entführung geplant, noch vollzogen haben.“ „Was soll das?“, rief die junge Arcateenianerin und auch Duma stand der Schock ins Gesicht geschrieben. „Dann sag etwas“, setzte ich nach, nun auch nicht mehr besonders freundlich, „Sonst sitzen wir alle in der Patsche und keinem ist geholfen.“ Auf ihren hilflosen Blick zog ich scharf die Luft ein, „Wenn man Mist baut, muss man auch dafür grade stehen. Du bist von zu Hause abgehauen, also solltest du dich auch etwas besser erklären. Wie sollen sie dich verstehen, wenn du nichts sagst?“ Metatropeasis guckte wieder zu ihren streng wirkenden Eltern und dann erneut zu ihrem Freund. Ich spürte, wie sich ihre Hand nun von allein um seine legte. Ich ließ los, trat zurück. So standen die beiden da, Hand in Hand. „Ich bin freiwillig gegangen, weil … ich es nicht mehr ausgehalten habe.“# „Warum-“ „Ich verstehe, dass ich eines Tages euren Platz einzunehmen habe und dass ich etwas für unser Volk tun muss“, fuhr sie ihrer Mutter über die Zunge. Man konnte die Erregung in ihrer Stimme hören und das Aufgebrachte von all der Zeit, in der sie sich zurückgenommen hatte. Die Hutschnur war am Platzen. „Aber mich zwangsverheiraten? Was ist dadurch gewonnen? Wir machen uns zu Sklaven, mehr nicht!“ „Du verstehst nicht den Ernst der Lage!“, wandte ihr Vater ein, aber auch ihn ließ sie nicht weiterreden: „Ich verstehe diesen gut genug um zu wissen, dass eine Heirat mit Attlotita uns nur Nachteile bringen wird. Sie werden uns damit in den Ruin stürzen! Warum versteht ihr das nicht? Und zudem … habe ich keinerlei Interesse daran, mich verheiraten zu lassen. Ich kann selbst entscheiden, mit wem ich wo leben möchte.“ Diese letzten Worte hatte sie leiser und weitaus sanfter ausgesprochen. Sie sprach indirekt zu Duma, welcher nun ein wenig Mut fasste, selbst die Sprecherrolle zu übernehmen. „Verzeiht meine Unhöflichkeit, mich einzumischen, aber … ich habe Metatropeasis nicht gedrängt oder gezwungen hierher zu kommen. Sie ist durch den Doktor und seine Begleitung überhaupt erst wieder hierher zurückgekehrt. Ich kenne sie nicht lang genug, um mir ein Bild über ihr Leben und das von Euch auf euren Planeten zu machen und ich kann auch keine großen Handelsbeziehungen bieten, aber … das, was ich bisher an ihr kennengelernt habe, lässt mich wissen, dass sie ein großes Herz besitzt. Bitte lasst dieses nicht durch eine solch politische Entscheidung zerbrechen.“ Wow. Ein gutes Statement. Stärker hätte er sich nicht ausdrücken können. Natürlich nahm er kein Wort in den Mund, das ausgesagt hätten, dass er sie liebte. Es war ein zu sensibles Thema, welches für nur noch mehr Zündstoff sorgen würde, wenn man nicht aufpasste und gerade auch nicht lösungsbringend war. Aqata und die anderen Radekaner um uns herum schwiegen – sie mussten nicht, was sie dazu sagen sollten. „Wenn ich … eine Bitte äußern darf“, wandte ich dann ein und trat einen kleinen Schritt vor und sah die Eltern Metatropeasis‘ direkt an, „Dann versucht euch einen einzigen Moment in sie hineinzuversetzen. Nur einen einzigen.“ Solche Ansprachen lagen mir nicht und gingen meist eher noch daneben, drum versuchte ich meine Worte jetzt mit Bedacht zu wählen, „Überdenkt bitte eure Entscheidung … und überlegt gemeinsam, ob es nicht doch noch einen anderen Weg gibt. Tut es Metratropeasis zu liebe. Sie ist diejenige, die sich ihr ganzes Leben damit auseinander setzen und womöglich leiden muss. Und sie hat recht: Wer weiß, ob ihr euch damit wirklich etwas Gutes tut.“ Ich bekam mit, wie jemand mit der Zunge schnalzte und konnte mir schon vorstellen, dass es Aqata war, dem das alles gar nicht schmeckte. Natürlich – er sah sich, sein Volk und seine Absichten bedroht. Wie es der jungen Arcateenianerin ergehen würde, war ihm gleich. Ich konnte es ihm nicht verübeln. Letzten Endes hatten wir nicht die Möglichkeit alles und jeden zu retten, aber … wenn es auch nur eine einzelne Person war, dann war es genug. Ein Seufzen erklang aus der Kehle der Mutter und sie ließ die Schultern sinken. Was sollten sie tun?   * * * „Ich denke, wir sollten uns erlauben, uns unter die Ermittler zu mischen“, hörte ich den Doktor sprechen, während er mal wieder ein paar Schalter und Hebel bewegte, „Immerhin haben wir einen nicht ganz lebendigen Körper zurückzubringen und ich kann mir bei aller Liebe keine Ausrede einfallen lassen, warum wir überhaupt im Besitz eines solchen sind.“ Seine Worte klangen immer ferner, je länger er redete. Ich war abwesend, hing meinen eigenen Gedanken nach und fragte mich, wie es wohl Metatropeasis und ihren Eltern ergehen würde, sobald sie ihren Heimatplaneten erreicht hatten? Würde es eine Lösung für sie geben? „Alexandra?“ Auf meinen Namen hörte ich noch und schrak ein bisschen auf: „W-Wie?“ „Was ist los? Was beschäftigt Sie?“ Der Blick des Timelords lag auf seinem Schaltpult, aber aus seiner Stimme sprach ehrliches Interesse an seine nun mehr einzige – lebendige – Begleiterin. Ich rang mich durch, ihm meine Gedanken offen zu legen und atmete einmal durch, um die Worte zu ordnen, „Ich … frage mich, ob alles gut gehen wird?“ „Sie meinen Arcateen IX?“ „Ja...“ Der Doktor zog die Augenbrauen hoch, so dass sich seine Stirn in Falten legte und hob die Schultern an, „Nun … das kann ich Ihnen natürlich nicht sagen.“ „Sie wissen es also?“ „Nein, ich weiß es nicht. Deswegen kann ich es Ihnen eben auch nicht sagen.“ „Haben wir genug getan?“, hakte ich nach einer kurzen Pause nach. Es ließ mir keine Ruhe, dass wir vielleicht nicht alle Register gezogen hatten und somit unvollendeter Tatsachen zurückkehren würden. Innehaltend, drehte er sich zu mir um. „Glauben Sie mir, wir haben mehr als das. Sie wissen, was ich Ihnen über das Zeitreisen gesagt habe?“ Ja, dass man nichts an der Geschichte ändern durfte. Dass Fixpunkte, Fixpunkte waren. Dass es sonst ein Riesenchaos geben könnte. Ich nickte also. „Dass wir die drei Völker zueinander geführt haben, war bereits zu viel.“ „Aber … Metatropeasis ist in einer Lage, die ich keinem wünsche. Zwangsverheiratet zu werden … Das ist...“ Mir fehlten die Worte. Ich zuckte mit den Achseln und hoffte, dass er wusste, was ich meinte. „Vergessen Sie nicht, dass es nicht Ihre Kultur ist, sondern die eines anderen Planeten. Ja, sogar einer ganzen Reihe von Planeten.“ „Wie … können Sie solche Ungerechtigkeit dann zulassen?“ „Ich muss es“, erwiderte der Doktor knapp und wandte sich dann von mir ab. Er machte auf mich den Eindruck, dass er sich dieser Regel selbst auch nur widerwillig fügte. „Und jetzt müssen wir noch etwas anderes in Ordnung bringen.“ Wir beide schauten zeitgleich in den vorderen Teil des Raumes, wo der leblose Wirtskörper lag, welchen sie zu guter Letzt doch noch abgestreift hatte. Also zurück damit ins Krankenhaus. Hallelujah. „Muss ich mich umziehen?“, warf ich nicht gerade begeistert ein, weil mir der Gedanke an das hochgeschlossene Kostüm jetzt schon den Hals zuschnürte. „Legen Sie sich zumindest einen Gehrock oder einen Mantel über, wenn Sie nicht wieder gleich in Gewahrsam genommen werden wollen.“ Deal. Ich verabschiedete mich für einen Moment und trat den Weg in mein „Zimmer“ an. Irgendwo hatte ich auf dem Weg dorthin die Hoffnung, dass es nicht mehr da wäre. Dass es doch nur Einbildung gewesen wäre, aber ich sollte mich täuschen: Keine Einbildung. Es war immer noch da und genauso, wie ich es vor dem Aufbruch hinterlassen hatte. Auch das Tagebuch stand noch an seinem Platz. Ich nahm es in die Hand, schlug es auf und las mir die letzten Zeilen durch. Zeit, um ein paar weitere hinzuzufügen:   Zurück in der TARDIS. Hatte zeitweilig nicht mehr dran geglaubt. Unser Ausflug ging nach Radekan, ein an sich schöner Planet. Leider mit einem kleinen Kultproblem. Die angeblich große Mutter Adkata, welche sich als Computersystem entpuppte. Unterirdische Kolonien und dann hätte man mir fast noch meine Gehirnzellen geschmort: Ich weiß nun, wie sich damals die Festplatte des Laptops gefühlt haben muss. Nicht gerade angenehm. Warum ich jetzt aber hier bin und diese Zeilen schreiben kann? Der Doktor. Ich muss zugeben, ich habe das Reisen unterschätzt. Ich glaubte, dass London bereits ein Abenteuer war. Doch dieses eben hatte mich eines Besseren belehrt. Und er hatte recht: Ich habe keine Ahnung von dem, was mich erwartet, wenn ich mit ihm reise. Ich bin nicht so unerschrocken wie Rose ist. Im Grunde habe ich mehr Angst, als ich zugeben will. Wenn das eine Lektion gewesen sein sollte, dann war sie gut... Metatropeasis ist mit ihren Eltern zurückgekehrt. Die drei Fronten hatten sich verhärtet, aber Dumas Ansprache hat wohl zumindest dafür gesorgt, dass sie für den Moment Waffenstillstand geschlossen haben. Jeder hatte seine Interessen und ein weiterer Konflikt führte zu nichts. Ich hoffe, er hat Aqata zur Rede gestellt, was diese ganzen Geheimnisse betrifft Der schlussendliche Vorschlag des Doktors war schon richtig gewesen: Die Radekaner sollten sich wieder zurückziehen – es drohte von niemanden Gefahr. Keiner wollte sie angreifen. Sie hatten auch gar keine Beweise dafür. Die Arcateenianer sollten sich zusammensetzen und die Lösungen besprechen. Und die vierte Gruppe, das sind wir, würden uns ebenso von dem Planeten verabschieden und es in die ad acta-Kiste packen. Es müsste kein Krieg geführt werden, wo kein Kriegsbeil ausgegraben wurde. In meinen Augen müsste selbst mit Kriegsbeil das nicht sein. Aber das ist eben nur meine bescheidene Meinung. Nun sind wir jedenfalls allein. Und müssen noch den Körper, den sich Metatropeasis ausgeliehen hatte, zurückgeben. Auf nach London. Und dann hoffe ich, dass ich nach Hause kann. Gerade will ich einfach nur nach Hause zu meiner Familie, meinen Mann, meine Freunde, … mein Leben. Ich beendete den Eintrag, klappte das Buch wieder zu, sah mich einmal um und verließ den Raum wieder, um mich zum Kleiderschrank zu begeben. Zeit, sich ausgehfertig zu machen. Kapitel 9: Be the Decoy ----------------------- Ich hielt mich an den Ratschlag des Doktors und zog einfach nur den bordeauxfarbenen Gehrock über, welchen ich zuvor schon getragen hatte. Er würde das meiste verdecken und mich nicht wieder in die Bredouille bringen, das ich für eine Bordsteinschwalbe gehalten würde. Während ich die Knöpfe schloss, verfing ich mich wieder in Gedanken. Es war seltsam, was diese Reise mit mir machte. Dass ich hin und wieder ins Straucheln kommen würde, hatte ich erwartet. Aber diese seltsame emotionale Unruhe, die in mir aufkam, verstand ich nicht. Natürlich konnte ich nicht die ganze Welt oder das ganze Universum retten und natürlich war mir auch bewusst, dass ich das gar nicht durfte. Es war eine Grundsatzregel, die ich vollkommen nachvollziehen konnte. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass da noch irgendetwas anderes in mir war, was nicht aufhörte zu rumoren. Was war es nur? Lag es daran, dass ich nicht verstehen konnte, wie der Doktor all die Jahre damit hatte leben können? Oder daran, dass obwohl es vollkommen fremde Kulturen waren, sich dennoch gewisse Ähnlichkeiten zu meiner eigenen zeigte? Vielleicht auch wirklich nur die Angst, dass ich wieder in solch eine Situation geraten könnte, die mich dann doch mein Leben kostete? Mit diesem mulmigen Gefühl im Inneren ging ich zurück. Ich nahm den Haargummi um mein Handgelenk und knotete mir die Haare simpel zusammen. Es wackelte ein wenig und ich stolperte gegen die Wände der TARDIS. Entweder steckten wir bereits im Landeanflug oder aber der Doktor hatte gerade erst angefangen, unser Ziel anzusteuern. „Da sind Sie ja wieder! Kommen Sie her!“, begrüßte er mich und winkte mich zu sich heran, „Können Sie diesen Hebel hier bitte halten?“, deutete er auf einen solchen am Steuerpult, während er an anderen hantierte, „Wir haben ein paar Turbulenzen, die wir jetzt aushebeln sollten. Lassen Sie auf keinen Fall los!“ Ich nickte abermals, stemmte mich mit den Sohlen meiner Stiefel fest in den Boden und drückte mit meinem Gewicht gegen das Element, so dass er ja nicht nach unten kippen konnte. Ich glaubte nicht, dass das überhaupt machbar war, so schwer, wie er sich überhaupt bewegen ließ, aber der Doktor hatte das Wort. „Ich hoffe, wir haben diesmal einen etwas unauffälligeren Landepunkt.“ „Sofern wir nicht wieder in der Nähe eines Tatortes sind?“, mutmaßte ich und beobachtete ihn bei seiner Tätigkeit. Mir wurde nicht klar, wie er dieses Ding hier fliegen konnte. Immer wenn ich der Meinung war, ein Muster zu erkennen, erlosch dieses und wurde durch andere Abläufe ersetzt, „Doktor … hat das Steuern der TARDIS eigentlich eine bestimmte Vorgehensweise?“ „Wie?“ „Die Knöpfe und Hebel … betätigen Sie die willkürlich oder…?“ „Alles nach einem festen Algorithmus. Sie berechnen die Zeit, die Sie benötigen, um die Atmosphäre des Planeten oder gar die Galaxie zu verlassen. Geschwindigkeit durch Weg. Natürlich beziehen Sie dabei die einzelnen Schnippeldischnapp-Komponenten ein, die das Zeitreisen beinhaltet.“ Ich redete nicht dazwischen, auch wenn es mir schwer fiel, weil ich wissen wollte, was er meinte. „Raum-Zeit-Variablen“, sprach er weiter, „Eine Reihe von Variablen, Zahlen und Konstanten, die miteinander arbeiten oder korrelieren. Und wenn das getan ist, Sie die genauen Koordinaten Ihres Zieles kennen und verarbeitet haben ...“ Er selbst drückte einmal kräftig gegen etwas, das wie ein Steuerknüppel oder eine Gangschaltung aussah, und sein Gesicht hellte sich merklich auf, „Allons-y! Zurück ins viktorianische London!“ Mit dem Loslassen des Knüppels drehte er sich einmal um sich selbst und ich hörte die TARDIS ihre üblichen Schwummer-Geräusche machen. Ich musste schmunzeln. Irgendwie heiterte es mich ein wenig auf, wie der Doktor so voller Tatendrang war. Es war schier unmöglich, sich nicht davon anstecken zu lassen. Und trotzdem fragte ich mich, wie er nur den Anschein wahren konnte, dass eben immer alles okay war. Ich konnte es nicht.   Wir kamen zum Stehen und diesmal auch ganz ohne Probleme. Kein Wackeln, kein Rütteln, es war eine richtig sanfte Landung. Das war ich gar nicht gewohnt. Erst, als der Doktor bereits zur Tür auf war, bekam ich mit, dass wir den Erdboden erreicht hatten und folgte ihm. „Ah, schon viel besser!“, sprach er zufrieden als wir heraustraten und mitten in einer Art Lagerhalle standen. „Wo sind wir?“ „East London. Nur ein bisschen besser versteckt als letztes Mal.“ „Nein, ich meine wo sind wir hier?“, präzisierte ich meine Frage. Ich war eh überrascht, dass er die TARDIS einfach in Gebäude landen lassen konnte. Das überforderte mein Hirn ein wenig. Würde ja eigentlich bedeuten, dass er die räumlichen Komponenten kannte? Was wäre, wenn das Zimmer mal etwas niedriger wäre als die TARDIS selbst? Passte sie eigentlich in meine Wohnung? „Ich vermute, das ist eine Werkstatt oder dergleichen“, ging der Doktor ein paar Schritte umher, drehte sich, so dass sein Trenchcoat im Schwung mitflog und sah sich um. Über uns befanden sich alte Stahlbalken oder irgendetwas Anderes metallartiges. Große schwere Haken an Ketten befanden sich in Schienen an dieser und wenn man den Weg mit den Augen weiterverfolgte, konnte man einen Seilzug am anderen Ende der Halle erkennen. Schmutzige simple Pflastersteine lagen zu unseren Füßen. Um uns herum diverse Holzkisten, Werkzeug und der Geruch von verbranntem Material. Feuer. Ich schaute nach links, entdeckte entlang der Seitenwand tatsächlich Öfen. War das so etwas wie eine Schmiede? „Sie haben uns in eine Werkstatt geparkt, die jederzeit von Arbeitern besiedelt werden könnte?“, fragte ich ungläubig, woraufhin der Doktor ein wenig mit den Schultern zuckte. Soviel zum Thema alle Raum-Zeit-Komponenten betrachten. Hatte er auch. Dennoch war unsere Anlegestelle denkbar ungünstig. „Dann werden wir dafür sorgen müssen, dass hier eben nicht jemand so schnell reinkommt.“ „Was wollen sie machen?“ „Kommen Sie mit. Wir erklären das Gebiet zur Sperrzone.“ Ich folgte ihm nach draußen. Er steckte den Kopf durch den Türspalt zwischen Holztor und Straße, schlüpfte schließlich hindurch. Alles frei, keine Menschen zu sehen. Vermutlich lag es an der Uhrzeit, es war bereits abends, die Sonne ging hinter den Dächern und Schornsteinen Londons unter. Nur hier und da waren ein paar Straßenlaternen, die dürftig den Weg beleuchteten. Von weitem hörte ich klimpernde Musik und Gesang. Ich hatte keinerlei Ahnung, wo genau wir uns befanden, aber die Gegend war nicht so verlassen, wie gedacht. „Helfen Sie mir mal“, wies mich der Doktor an, hatte einen schweren Holzbalken in der Hand, welcher neben dem Tor gestanden hatte und den er nun hochhieven wollte, um diese in die Verankerung zu legen, den Eingang zu schließen. Ich tat, wie mir befohlen, und keuchte etwas unter dem Gewicht auf. „Sie haben doch kein Schloss oder sowas?“ „Nein, aber es wird reichen, wenn wir hier eine kleine Barrikade aufbauen und eine Nachricht hinterlassen.“ „Wie meinen?“ Ich sagte schon einmal, dass man dem Doktor entweder folgen konnte oder eben nicht. In diesem Fall ließ er eine Antwort bleiben und ging stattdessen zu Taten über. Er schob die Kisten, die links und rechts standen vor das Tor. Wir stapelten sie in zwei Etagen hoch und schließlich zauberte er noch ein Schild mit handgeschriebenen Lettern hinter dem Rücken hervor: DO NOT CROSS. CRIME SCENE. „Wo haben Sie das her?“ „Oh, das hatte ich bei unserem letzten Besuch zufälligerweise gefunden. Ich wusste, es würde sich noch als praktisch erweisen.“ Meine Augenbrauen blieben skeptisch nach oben gezogen, aber ich erwiderte nichts. „Kommen Sie? Wir haben noch eine Verabredung mit Scotland Yard.“ Er bot mir den Arm an und ich hakte mich unter. Gemeinsam gingen wir den Weg des Arbeiterviertels entlang, vorbei an zwielichten oder bruchfälligen Gebäuden. Es war für mich unvorstellbar, dass hier tatsächlich Menschen lebten. Und die Verhältnisse waren hier einfach und teilweise schlimm, aber trotzdem war es noch nicht einmal das schlimmste Viertel. Meine Faszination würde nach dem Trip hier ein wenig schwinden, so viel war sicher. Wir kamen dem Gesang näher und die Atmosphäre schien sich damit ebenso aufzuhellen. Kaum bogen wir um die nächste Ecke, fanden sich auch einige Menschen auf der Straße wieder: Bettler, aber auch Arbeiter, die gerade Feierabend machten. Noch ein ganzes Stück weiter und wir erreichten das Haus, aus dem es lustig schallte. Ein Pub. Oder so etwas in der Art. Ein Betrunkener schwankte an der Häuserwand entlang, suchte wohl den Weg nach Hause. Ein zweiter stand am Eingang und starrte uns entgegen. Ich wandte rasch den Blick ab und hielt mich einfach daran, die Begleitung des Doktors zu spielen, als er uns auch schon herüberließ. „Werte Lady, Sir … haben Sie sich hier in der Gegend geirrt? Ich glaube nicht, dass Ihre Route Sie hier durchführen sollte?“ Auf seinen Lippen zeigte sich ein verhöhnendes Grinsen. Solches, welches er für die Reichen übrig hatten, die nur unter den besten Bedingungen zu arbeiten wussten und die niedere Gesellschaft ignorierte oder gar verachtete. Solche Personen, wie er uns für hielt. „Sie haben recht, wir sind auf der Durchreise“, erklärte der Doktor freundlich aber distanziert und machte auch keine Anstalten, auf den anderen zuzugehen. Das störte diesen aber nicht, genau das zu tun und schon näherte er uns gemächlichen Schrittes. „So, eine Durchreise“, wiederholte er und sah uns beide von oben bis unten an, „Dann lassen Sie mich versichern, dass dies absolut der falsche Platz ist, wo Sie die Lady entführen sollten.“ Seine Augen blieben an mir hängen und es gefiel mir wissentlich nicht, wie er mich ansah. Ich kannte diesen Ausdruck und verachtete nichts mehr als solchen. Aber nein, ich hatte dem Doktor versprochen, mir hin und wieder auf die Zunge zu beißen. Und das tat ich auch. Schweren Herzens. „Dann werden Sie mir doch mit Sicherheit sagen, wo es hingehen sollte?“, ließ der Timelord sich auf Fragespiel ein und wandte sich unserem Gegenüber direkt zu. Ich bemerkte, dass er zwar eine Schirmmütze und eine sehr legere Kleidung trug, aber Hemd und Hose waren sehr sauber, fast faltenfrei und besaßen kaum einen Flicken. Die Schuhe waren etwas abgenutzter, aber auch nicht so sehr, wie man es von einem Arbeiter der Gegend zu erwarten hatte. „Wenn Sie genauso wenig von hier sind?“ Es war dem Doktor also auch aufgefallen. Der Mann wirkte überrascht, musste dann aber still in sich hineinlachen. „Sie haben wirklich eine gute Beobachtungsgabe. Sutherland hatte Recht, dass Sie wohl von besonderem Kaliber sind.“ Sutherland … der Sutherland? Der uns so freundlich verhört hatte? „Sie sind also von der Polizei?“, mutmaßte der Doktor mit strengem Blick. „Lestrade. Scotland Yard.“ Meine Augen wurden größer. Das war ja nun nicht möglich. Lestrade war ein erfundener Charakter von Doyle. Wie … sollte er hier stehen? Oder war das nur ein Zufall, dass er so hieß und tatsächlich Ermittler war? „Sehr erfreut, Mr Lestrade. Sie kennen uns mit Sicherheit, aber der Höflichkeit halber: Mein Name ist John Smith und das hier ist meine reizende Partnerin, Miss Alexandra Garcia.“ „Ja, in der Tat. Davon hat Sutherland ein Lied gesungen“, lachte Lestrade wieder in seinen Dreitagebart und steckte die Hände in die Hosentaschen, „Unter uns“, begann er dann wesentlich ernster, „Sie haben Scotland Yard aufgetischt, dass Sie aus Spanien auf Durchreise nach Schottland sind. Ein Doktor der Humanmedizin und eine verwaiste Näherin mit einer Familientragödie im Nacken. Und dann tricksen Sie Scotland Yard, Sutherland höchstpersönlich aus, und mit einem Mal sind nicht nur sie verschwunden, sondern auch die mysteriöse blaue Box, und hinterließen zwei arme verirrte Constables.“ Da wusste jemand ja sehr gut Bescheid. „Also … wer sind Sie wirklich, Doktor?“ Die beiden Männer starrten sich in die Augen und ich tat den Teufel, mich dazwischen zu werfen. Die lachenden und lallenden Stimmen aus dem Pub dröhnten in meine Ohren. Die Minuten, die wir schon hier verbracht hatten, ließ noch mehr die Dämmerung hervortreten. „Ich glaube Ihnen kein Wort von dem, was Sie Sutherland erzählt haben. Aber soll ich meine Vermutung tätigen?“ Er nickte mir zu, „Sie, mein wertes Fräulein, sind weder Spanierin noch Engländerin. Sie sind gebürtige Deutsche. Lang lebe der Kaiser.“ Es war seltsam einen Fremden meine Muttersprache sprechen zu hören und dann noch mit solch einem starken Akzent. Schlimmer noch fand ich aber in diesem Moment, dass er wohl nur anhand der wenigen Worte meinerseits herausgefunden hatte, woher ich kam. „Ich war für ein paar Wochen in Deutschland unterwegs. Ich kenne die Sprache und die Schwierigkeit, die ihr mit unserer habt“, grinste mich der Ermittler Scotland Yards an und wandte sich an den Doktor selbst, „Und Sie sind mitnichten ein Doktor. Ihr Name und Ihr Akzent ist so Britisch, wie es nur sein kann, aber es sind keinerlei Einträge über Sie vorhanden, Mr. Smith. Also, wo haben Sie studiert? Waren Sie im Ausland? Sie haben doch dann sicherlich Ihre Approbationsurkunde dabei, wenn Sie vorhaben, hier zu praktizieren? Lassen Sie mich raten: Sie haben sie nicht dabei? Vielleicht befindet sie sich ja in Ihrer blauen Box?“ Oh, es gefiel mir gar nicht, wie er mit uns sprach. Nicht, dass es mich verwunderte, dass sie unsere Identitäten anzweifelten, aber es war gerade ein sehr unpraktischer Zeitpunkt. „Was haben Sie also hier verloren? Was machen Sie hier?“ Ich schaute zum Doktor auf, sah dann wieder zu Lestrade. „Ich kann Sie auch gerne verhaften, denn genug Grund gibt es, Sie auch ohne Mordverdacht festzunehmen.“ „Nun gut, um ehrlich zu sein … es stimmt, dass Miss Garcia aus Deutschland kommt und wir uns dort kennengelernt haben, aber dass wir auf Durchreise sind, ist die Wahrheit“, erklärte der Doktor daraufhin nach einer längeren Pause, „Wir… “ Er guckte zu mir, wollte gerade in seiner Antwort weitermachen, als mir die offensichtlichste Antwort über die Lippen rutschte: „Wir sind Privatdetektive.“ „Bitte?“ „Wir ermitteln privat. Wir hörten von den Ripper-Morden und es hat unser Interesse geweckt, so dass wir hierher gekommen sind.“ Der Doktor starrte mich für einen Moment für seine Verhältnisse ziemlich schockiert an. Nur eine Sekunde. Aber … ja. Ich habe ein weiteres Mal die Regie übernommen, was ich nicht hätte tun sollen. „Privatdetektive?“ „Ja, das sind wir“, stimmte mir der Timelord nun offen und mit breitem Lächeln zu, „Miss Gartner und ich haben uns also nicht ganz zufällig nach London verlaufen. Wir hörten von den Morden und zogen es demnach vor, uns selbst ein Bild zu machen. Dummerweise ist uns dabei ein Missgeschick passiert.“ „Und warum in Gottes Namen haben Sie das nicht Sutherland erzählt, sondern laufen mit einem gefälschten Ausweis herum?“, wetterte Lestrade gegen diese unsere erfundene Erklärung und scharrte dabei die Steine unter seiner Sohle. „Aus dem gleichen Grund, warum Sie wohl nicht hier in Ihrer normalen Alltagskleidung stehen, Inspector.“ Lestrade zog scharf die Luft ein und gab dann einen zischenden Ton zwischen den Lippen von sich. Da musste uns wohl jemand recht geben. „Der Ripper ist ein hochintelligenter Mann, dem man nicht so einfach in die Karten schauen kann. Ich denke, es ist auch Ihre Meinung von ihm, weil Sie sich sonst wohl kaum in dieser Gegend aufhalten würden? Hier, in seinem Territorium? Oder das, was Sie zumindest vermuten?“ Alle Achtung, das klang schon mehr als seriös. „Was … ist eigentlich mit dem neuen Hauptverdächtigen? Es scheint wohl, dass er Ihnen nicht viel bringt, wenn Sie trotzdem noch ermitteln?“ „Tsk.“ Zum ersten Mal wandte Lestrade den Blick ab und schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung, wo Sie das aufgeschnappt haben, aber … nein. Das ist nicht der Ripper. Mal wieder. Wir müssten ihn in eine Falle locken. Wir müssten ihn aus seinem Versteck holen. Dass wir ihn auf frische Tat ertappen. Aber was erzähle ich Ihnen das?“ „Nun … vielleicht … können wir helfen?“ Denn immerhin hatten wir noch eine Leiche bei uns, die wir wieder abgeben müssten und jetzt, wo wir der Polizei gewisserweise schon in die Arme gelaufen sind, wäre es nur gut, wenn wir eine plausible Erklärung für die Tote hätten.   Zehn Minuten später saßen wir mit Lestrade im Inneren des Pubs. Der Gesang und das Klaviergeklimper war nun mitten um uns und es war schwierig, sich zu verstehen, wenn man nicht die Köpfe zusammensteckte. Lestrade bestellte ein großes Bier und der Barkeeper fragte auch uns nach unseren Wünschen. Als ich aber um einen Tee bat, sah er mich nur skeptischen Blickes an: „Das Alkoholfreiste, was wir haben, ist unser mildes Ale.“ Ich musste mich also drauf einlassen, wenn ich nicht verdursten wollte. Wie viel umfasste ein Krug? Einen halben Liter? Misstrauisch sah ich in diesen und erinnerte mich an meine letzte 500ml Bier-Erfahrung. Das war Jahre her, aber ich hatte nie vergessen, wie tückisch es sein konnte, obwohl man sich sehr klar fühlte und dann auf der Toilette beim Hinsetzen mit dem Kopf gegen die Tür schlug, weil man das Gleichgewicht nicht so recht mehr halten konnte. „Hier in der Gegend kann man sich bestens umhören. Die Wände haben hier alle Augen und Ohren.“ „Porter, Mild Ale, Ginger Beer“, kam der Wirt da auf unseren Tisch zu und stellte die drei Krüge ab, mit einem immer noch skeptischen Blick auf mich gerichtet. Es war zwar nicht verboten, dass Frauen in einen Pub gingen, aber doch war es ein seltenes und nicht passendes Bild. Lestrade nahm seinen Bierkrug und genehmigte sich einen großen Schluck. „Sie sind nicht gerade trinkfest, was?“, deutete er auf unsere beiden Krüge und grinste. War das ein Ich umso mehr, was er uns damit verdeutlichen wollte? (Nachtrag: dass sich Lestrade im Dienst ein Starkbier gönnte, wie ich nun weiß, überraschte mich ziemlich. Aber andere Länder und Zeiten und somit andere Sitten.) „Ah, das tut gut“, setzte er genüsslich ab und beugte sich dann wieder zu uns: „Das ist doch auch der Grund, warum Sie hierher gekommen sind, oder? Vermuten Sie den Ripper hier?“ „Es ist nicht ausgeschlossen“, sprach ich, „Im Grunde … könnte er überall sein?“ „Eben. Schauen Sie sich den Kerl da drüben an. Der mit dem steifen Sitz. Wer sagt mir, dass es nicht Ripper selbst ist?“, deutete Lestrade mit einem Kopfnicken in die Richtung des fremden Mannes, „Oder der da, an der Tür? Wir haben keinerlei Informationen darüber, wie er aussieht. Keine Zeugenaussagen. Wir tappen im Dunkeln, während er sich ins Fäustchen lacht und uns mit seinen Schreiben verhöhnt.“ Richtig, die Ripper-Briefe … Er spielte mit der Polizei ein Spiel. Ein verdammt mieses. „Aber das kann er vergessen. Soll sich Sutherland auf seine Trottel verlassen. Ich werde den Ripper eigenhändig schnappen.“ Ein weiterer tiefer Zug folgte. „Also, wie wollen Sie mir dabei helfen? Was ist Ihr Plan?“ Tja, das war dann wohl mein Part. Ich hatte uns das eingebrockt und ich musste uns das nun auch wieder ausbrocken. „Wir haben ein Mittel, wie wir den Ripper hervorlocken“, verkündete ich leise und spürte genau, wie die Augen des Doktors auf mir lagen. Er wartete ebenso darauf, eingebunden zu werden. Und ich wusste auch, dass es noch eine Schelte dafür geben würde, dass ich solch einen Alleingang provozierte. Während der schiefsingende Mann zu dem Klaviergeklimper über verlorene Pennys trällerte, erklärte ich Lestrade, dass wir eine Tote gefunden hatten, die vermutlich nichts mit den Morden zu tun hatte. Wir könnten sie aber dem Ripper unterjubeln, in dem wir eine Pressemitteilung machten: Neues Ripper-Opfer gefunden. Wir müssten ihm eine eindeutige Nachricht geben, so dass er hervorkäme. Eine Chance, sich sehen zu lassen. Natürlich konnte das auch danebengehen und er tauchte nicht auf, aber wenn der Ripper ein Spiel spielte und wir seine Regeln für uns nutzten, könnten wir womöglich eine Gegenüberstellung bewirken. „Woher haben Sie die Leiche?“, fragte Lestrade verwundert, „Sagen Sie nicht, die lag einfach so auf der Straße?“ „Um ehrlich zu sein… doch“, log ich ihm vollends ins Gesicht. Er atmete tief durch und kreuzte die Arme vor der Brust. Etwas gefiel ihm an meiner Aussage nicht, aber was sollte er machen? „Was sagen Sie dazu, Smith?“, wandte er sich an den Doktor, der bisher geschwiegen hatte, „Gehen Sie da mit oder hat sich Ihre Partnerin nur Humbug ausgedacht?“ Er wollte die Nummer sicher. „Zumindest ist es eine Option“, antwortete er und hob die Schultern an. Keine vernünftige Aussage gegenüber dem Inspektor, aber gegenüber mir: Das ist eine dumme Idee. „In der Tat. Wenn wir ihn hervorlocken… können wir ihn dingfest machen.“ Der Inspektor erhob sich schwerfällig von seinem Stuhl, deutete mit dem Fingerzeig auf die Toilette. „Ich freu‘ mich auf Ihren Einsatz, Fräulein Gartner. Sie werden einen guten Lockvogel abgeben.“ „Bitte was?“ „Entschuldigen Sie mich kurz.“ Und damit trottete er, ohne noch auf meinen Einspruch einzugehen, zu den Toiletten. Der Doktor wartete einen Moment, bis er außer Sichtweite war, vergewisserte sich, dass er auch wirklich gegangen war und nicht noch einmal zu uns zurücksah, ehe er sich an mich wandte. „Das … war das Dümmste und Verantwortungsloseste, was ich bisher von Ihnen gehört habe!“, fuhr er auf und erhob sogar den Zeigefinger gegen mich, „Was haben Sie sich dabei gedacht?“ „S-Sie … sind wütend …“, bemerkte ich überflüssigerweise, weil ich nicht wusste, was ich sonst hätte sagen sollen. „Ich bin nicht wütend!“, widersprach er mir augenblicklich im sehr schneidenden Tonfall, „Ich bin unglaublich wütend, wie Sie so etwas Dummes tun konnten!“ Er beherrschte sich, mich nicht anzuschreien, so zischend und bedrohlich leise, wie seine Worte ihm über die Lippen kamen. „Was hätten wir denn sonst machen sollen? Mit der Toten?“, setzte ich überfragt nach, aber verstand durchaus, was er meinte: Ich hatte übereilt reagiert. Erneut. „Sie zurückgebracht. Dorthin, wo sie herkommt. So, wie es abgesprochen war und nicht an lebensgefährlichen, unüberlegten Ermittlungen teilgenommen!“, entgegnete er und wurde tatsächlich auf meine Reaktion hin ein Stück lauter. Es überragte jedoch nicht die Lautstärke unserer Umgebung, so dass niemand zu uns rübersah. „I-Ich habe nur-“ „Sie haben nicht gehört. Ich habe Ihnen oft genug gesagt: Halten – Sie – den – Mund. Und Sie haben nicht gehört. Wenn Sie mit mir reisen wollen, dann haben Sie meinen Anweisungen zu befolgen!“ Ich schwieg. Es war keine Anschuldigung, sondern schlichte Tatsache. Obwohl ich am liebsten gesagt hätte Ich hab es mir nicht ausgesucht, bei Ihnen zu landen. „Wie kommen Sie überhaupt auf solch eine Idee? Die Geschichte zu ändern ist nicht unsere Aufgabe. Und ich hatte geglaubt, dass Sie das endlich verstanden haben!“ Der Doktor sah schnaubend über seine rechte Schulter und entdeckte, dass Lestrade gerade wieder herauskam. „Sie werden auf keinen Fall den Lockvogel für irgendwas spielen! Schon gar nicht für einen Serienkiller. Haben Sie mich verstanden?“ „Gibt es Probleme?“, mischte sich der Inspektor nun wieder ein und setzte sich auf seinen Platz. Ich schaue auf meinen Bierkrug, hielt den Mund wie ein gescholtenes Kind, was ich im Grunde auch war. „Wir werden es ein wenig anders ausführen: Wir überlassen Ihnen wie gehabt die Tote, welche wir gefunden haben und Sie kümmern sich um die Pressemitteilung und alles weitere.“ „Sie mögen es nicht glauben, aber mir kam gerade noch eine viel bessere Idee“, warf der Inspektor alle bisherigen Gedanken über Bord und blickte uns freudig an. „Sie überlassen mir die Tote, wie gehabt. Wo auch immer sie herkommt, wir werden es herausfinden. Stattdessen werden wir den Ripper zudem nicht mit dieser Leiche hervorlocken, sondern die Aussage Ihrer liebreizenden Begleitung nehmen.“ „Welche Aussage?“ „Die einer unerwarteten Zeugin des letzten Doppelmordes in der Nacht des 30. Septembers. Ich danke Ihnen für Ihre Gedankenspiele, Fräulein Gartner. Ich werde es genau so anleiern, wie Sie es sich erdacht haben – mit Ihrem Zeugenbericht in einem Sonderblatt und der Tageszeitung. Wir werden uns Ihnen dann den Rest des Tages an die Fersen hängen und schon haben wir ihn.“ Wenn das mal so einfach wäre. Ich fand das nicht gerade einen sicheren Plan, geschweige denn glaubte ich, dass es mit den hier aktuellen Methoden wirklich bewerkstelligen ließ. Zudem … in unserer Variante hätte die Tote als Lockvogel fungiert, nicht ein lebendiger Mensch. Nicht ich. Das war so nicht der Plan gewesen. „Ja, eine hervorragende Idee“, gab er Doktor voller Sarkasmus von sich, immer noch mit diesem wütenden Unterton in der Stimme, „Sie beide übertrumpfen einander regelrecht an Schwarmintelligenz!“ „Was haben Sie dagegen einzuwenden? Sie sind hierher gekommen, weil Sie der Ripper fasziniert hat. Und jetzt gebe ich Ihnen die Möglichkeit, dass Sie ihn mit eigenen Augen erleben.“, wandte Lestrade fast schon amüsiert ein und genehmigte sich noch einen großen Schluck seines Bieres. „Wissen Sie … mir sind schon so viele begegnet, die immer große Töne gespuckt haben, aber im entscheidenden Moment nichts Sinnvolles beisteuern konnten. Sie beide, Sie sind anders.“ Er nickte anerkennend. „Sie machen Nägeln mit Köpfen. Sie tun etwas. Und das ist auch mein Job: Etwas tun. Damit London wieder sicher ist. Sehen Sie das anders, Fräulein Gartner?“ Dass er jetzt auf mich übersprang, war vorauszusehen. Immerhin hatte ich mich seit meinem Vorschlag extrem zurückgenommen und kein Wort mehr von mir gegeben. Und er hatte mitbekommen, dass ich mir mit meinem Partner uneinig war. „Sie riskieren ein weiteres Leben, damit Sie eventuell die Chance bekommen, einen Serienmörder zu fassen? Sie bringen damit Ihr gesamtes Team in Gefahr“, warf der Doktor zerknirscht ein, ehe Lestrade weitere Angriffe auf mich abzielte. „Verstehen Sie mich nicht falsch, Smith, aber was genau wollen Sie? Wenn wir dieses Risiko nicht eingehen, und ich lege meine Hand ins Feuer, dass ihr nichts geschehen wird, werden vermutlich noch viele weitere sterben.“ „Das ist kein Grund, jemanden dem Tod auszusetzen.“ „Es ist kein Grund, ihre Partnerin dem Tod auszusetzen, meinen Sie wohl?“, verbesserte der Inspektor und trank mit herausfordernden Blick weiter an seinem Bier, während ich meines noch nicht einmal probiert hatte. „Wäre Ihre Antwort die gleiche, wenn es sich um jemand anderen handeln würde?“ Er grinste immer noch und langsam bekam ich das Gefühl, dass ihm das Bier zu sehr in den Kopf stieg, „Lassen wir doch das Fräulein entscheiden. Also? Was sagen Sie?“ Ob ich mein Leben aufs Spiel setzen wollte? Gewiss nicht! Nicht so! „Sie verlangen von mir, dass ich mich einem brutalen Serienmörder offen in die Arme werfe?“ „Ihnen wird nichts passieren. Sie haben den besten Schutz, den Sie sich wünschen können!“, breitete der Inspektor die Arme aus und als ich nicht darauf reagierte, zeigte er unvermittelt auf sich, „Mich natürlich. Es gab bisher noch niemanden, den ich nicht beschützen konnte.“ Nun zeigte er mit der linken Hand auf seine rechte, „Hier, Narben. Nur ein paar von denen, die ich habe. Und jeden Einzelnen konnte ich bisher retten.“ „Sehen Sie es denn auch so, dass Ihr Leben mehr wert ist als das anderer?“ „Was hat das damit zu tun?“, warf ich ein und hörte so gleich ein „Lassen Sie sich nicht auf Diskussionen ein!“ vom Doktor neben mir. „Sind Sie immer so unterdrückend?“, lachte Lestrade auf, „Gestatten Sie ihr doch ihre Fragen. Aber gut, ich sage Ihnen jetzt mal eins.“ Er setzte den Bierkrug ab und obwohl seine Wangen stark gerötet waren, schien er mit einem Mal einen sehr klaren Kopf zu haben, so ernst wie er wurde, „Hier, wo Sie sich jetzt befinden, sind Sie nicht im Territorium des Rippers oder das der Queen. Sie sind hier in meinem Territorium. Wenn ich es will, kann ich Sie beide ganz schnell wieder dorthin verfrachten, von wo sie geflohen sind. Sie denken, ich bin alleine? Ja, aber das heißt nicht, dass ich keine Kontakte habe. Eine Handvoll der Typen hier wir mir erfreut helfen, Sie in Gewahrsam zu nehmen. Sie haben mir offenbart, dass Sie im Besitz einer Leiche sind. Sie sind zurückgekommen, obwohl Sie auf der Flucht waren und dort auch hätten bleiben sollen. Nicht Sie sind es also, der darüber bestimmt, was passiert, sondern ich. Und wir werden jetzt, sobald ich meinen Porter ausgetrunken habe, dieses nette Lokal verlassen und zu Ihrer Toten gehen. Und damit auch zu Ihrer blauen Box.“   Ich traute mich nun ja nicht einmal, den Doktor anzusprechen. Seine Miene war unverändert finster, als wir den Weg zurück antraten. Vom Pub, uns immer mehr von dem lebensfrohen lustigen Gesängen entfernend, und wieder zurück zu der Werkstatt, wo die TARDIS stand. Ich lief zwar neben ihm, aber in diesem Moment habe ich mich seit unseres Treffen noch nie so weit zurückliegend gefühlt. Ich hatte uns in Schwierigkeiten gebracht. In große Schwierigkeiten. Im Grunde müssten wir ihm nur die Leiche übergeben, sicherstellen, dass er die TARDIS verließ und wir könnten verschwinden. Ganz einfach. Aber etwas hatte ich bei diesem und bei dem anderen Plan übersehen: Was würde passieren, wenn das Vorhaben aufging? Ja, vielleicht würde der Ripper geschnappt werden. Ein weiterer Mord würde verhindert werden. Vielleicht. Und wenn nicht? Dann würde ein weiterer Mensch verletzt werden. Womöglich sogar mehrere. Es könnten noch mehr sterben. Es könnte ein Riesenchaos verursachen. Nicht nur geschichtlich. Das wurde mir erst jetzt bewusst. Natürlich. Und der Doktor hatte es gewusst. Natürlich. Wir standen dem Werkstatttor gegenüber, welches wir noch so sorgsam verbarrikadiert hatten. „Will ich wissen, wie Sie an dieses Schild gekommen sind?“ Keiner von uns antwortete ihm. Der Doktor nahm das Schild in die Hand, warf es zur Seite. Autsch. Wütend. Er machte sich an die Verriegelung. Ich trat zu ihm, um den Holzbalken anzuheben und er ließ es auch zu, sprach allerdings auch hier kein Wort mit mir. Ja. Wütend. Das Tor öffnete sich und wir traten ein. Bis auf die Öfen und dem Licht der TARDIS, erhellte hier nichts mehr den großen Raum, in dem wir vorhin gelandet sind. „Wie ich es mir dachte“, murmelte Lestrade und zum ersten Mal hätte ich jemanden auf meiner Reise am Liebsten meine Faust ins Gesicht geschlagen. Der Inspektor trat zu der Polizeibox vor, besah sie sich ganz genau und musste leise lachen. Ob es daran lag, dass er Sutherland nicht geglaubt hatte oder dass er sich jetzt im Vorteil gegenüber seines Kollegen sah, konnte man nicht sagen. Es war mir auch egal. „Treten Sie zurück“, sprach der Doktor klar anweisend. „Warum? Haben Sie Angst, dass ich weitere Schätze in Ihrer kleinen blauen Box finde?“ „Nein, aber Sie betreten gerade mein Territorium. Also treten Sie zurück.“ Gespielt ängstlich beide Hände hebend, machte er tatsächlich zwei, drei Schritte rückwärts und ließ dem Doktor die Möglichkeit die TARDIS zu öffnen. Kaum war dies geschehen, deutete er auf mich: „Sie – in die TARDIS. Jetzt.“ Ich würde mich nicht widersetzen, nicht nach all dem Ärger, den ich bereits bereitet hatte. Ich hatte nur nicht die Rechnung mit dem Inspektor neben mir gemacht, welcher jetzt mit einem Mal mein Handgelenk festhielt und mich zu sich zog. „So nicht, Smith. Die blaue Box mag Ihr Spielzeug sein, aber ich nehme mir dann dieses. Rücken Sie die Leiche raus.“ „Lestrade, lassen Sie sie los.“ „Wenn Sie Ihren Teil der Abmachung erfüllen.“ „Ich werde Sie ihnen nicht als Lockvogel überlassen.“ „Oh, das haben Sie schon, Smith. Das haben Sie schon.“ Als wäre dies das Signal gewesen, traten weitere Personen in die Halle. Drei Männer, ähnlich in Arbeiterkluft wie der verdeckt arbeitende Inspektor Scotland Yards, sich ebenso zu uns gesellend. „Doctor...“, kam es mir verunsichert über die Lippen, aber für den Moment standen wir auf verlorenem Posten. Der Doktor sagte nichts weiter, sondern ging in die TARDIS, die Tür hinter sich schließend. Ich war mit Lestrade und seinen Kollegen allein gelassen. Das hatte er also mit Kontakte gemeint. Natürlich hatte er nicht alleine hier ausgeharrt, sondern für den Fall des Falles Verstärkung dabei – wie eben jetzt. Was hatte ich angestellt? Ich wollte die Optionen durchgehen, die ich hatte. Aber mir fielen keine ein. Nur jene, den Weg zu gehen, welchen wir hier zu gehen hatten. Kein schöner Weg. Der Doktor kam wieder heraus. Er trug die tote junge Frau heraus, welche bis vor kurzem noch von Metatropeasis bewohnt gewesen war. „Das ist sie?“, fragte Lestrade und trat näher heran, mit mir im Schlepptau. „Noch nie gesehen … Wir werden Sie ins London Hospital bringen. Vielleicht können sie die Leiche identifizieren“, rief er zu den Männern, von welchen einer hervortrat und dem Timelord die Tote abnahm. „Und wir werden uns jetzt zu Scotland Yard aufmachen und für ein hübsches Portrait sorgen. Damit der Wiedererkennungswert vorhanden ist.“ Kapitel 10: Almost too late --------------------------- Ich hatte mir gewünscht, dass ich das Kommissariat nicht allzu schnell wiedersehen würde. Nun hatte ich mich selbst dorthin bugsiert. Die Pforten der Institution kamen mir heute unheimlicher vor als bei unserem ersten Besuch. Die Wände hatten keinen anderen Anstrich gekommen und trotzdem wirkten sie auf mich erdrückender und dreckiger. Die Gänge schienen mir schmaler, die Luft dicker. Lestrade führte uns ohne Umschweife in einen der Besprechungsräume und ließ den internen Fotografen rufen, um ein Bild von uns aufzunehmen. „Reicht nicht auch einfach nur eine Aussage?“, wandte ich ein, wurde aber von dem Inspektor, der zwar angetrunken doch inzwischen zumindest ein bisschen nüchterner war regelrecht ausgelacht. „Eine Aussage? Wir wollen dem Ripper ein Tortenstück präsentieren, keine Krümel“, war die einzige Antwort, die er für mich hatte und ließ sich auf den Stuhl uns gegenüber nieder. Er legte die Beine auf dem Tisch, überschlug sie und verschränkte die Arme vor der Brust. Stille. „Sie machen einen großen Fehler“, mischte sich der Doktor ein, welcher sich trotz Aufforderung bisher nicht hingesetzt hatte. „So? Das wäre nicht der erste.“ „Vielleicht aber Ihr letzter.“ Lestrade lachte in seinen Dreitagebart hinein und zog dann die Augenbrauen hoch. „Das glaubt ihr doch selbst nicht? Sobald ich den Ripper habe, werde ich gefeiert. Ich werde sogar Sutherland überholen.“ „Ist es das, was Sie wollen? Ruhm?“ „Ein bisschen kann nicht schaden.“ Es schien nicht, dass wir ihn von seinem Vorhaben abbringen konnten. „Constable“, rief er da mit einem Mal in den Flur, wo die Tür einen Spalt offen geblieben war. Eine mir durchaus bekannte Gestalt trat an – der junge Constable Parker, den ich beim letzten Mal leider hatte ein bisschen auf den Arm nehmen müssen. Mein schlechtes Gewissen trat auf und ich tat lieber so, als hätte ich ihn nicht gesehen. Er mich dafür aber umso mehr. „Ja?“, blieb er jedoch an Lestrade gewandt und stand stramm im Raum, als er eingetreten war. „Bringen Sie das Fräulein in die Zelle. Smith bleibt bei mir.“ „Eh … verstanden.“ Nun mussten wir uns doch direkt gegenüberstehen und der Constable schluckte vor Unmut. Vermutlich hatte er Sorge, dass ich ihm wieder ausbüchsen würde und was dies für Konsequenzen für ihn bedeutete. Jobverlust? Bestimmt. „Ich sage es noch einmal: Sie begehen einen Fehler“, warf der Timelord nachdrücklich ein, doch auch davon ließ sich Lestrade nicht beeindrucken und lächelte überheblich mit ausgebreiteten Armen: „Und ich sagte: Das ist nicht der erste. Führ sie ab!“ Ich hatte keine Wahl – Ich konnte mich zwar wehren, aber noch mehr Ärger wollte ich auf der anderen Seite auch nicht provozieren. Genauso müssten sie mich nachher ein weiteres Mal freilassen, wenn sie tatsächlich vorhatten, mich als Lockvogel gegen den Ripper einzusetzen. Ich trat zu dem Constable und straffte die Schultern: „Also … rechts lang?“   Es war zumindest nicht die gleiche Zelle wie letztes Mal. Die jetzige war kleiner und nicht mit Baren ausgestattet. Ich vermutete, dass es keine Gefängnisunterkünfte auf lange Sicht waren, sondern nur für die Zeit, bis die Sitzenden zum Verhör geholt wurden. Das nächste, was anders war: Ich war nicht allein. Und ich kannte den Mann, welcher mit mir die Zelle teilte: Der Arzt, den wir vor dem Londoner Krankenhaus getroffen hatten. Wie hieß er noch mal? Barnardo. Genau. Der Mann blickte aus seiner vorgebeugten Sitzhaltung auf, welche er auf der hölzernen Sitzbank eingenommen hatte. Aus seinem Gesicht sprach die Überraschung, dass wir uns wiedersahen. Constable Parker schloss uns gemeinsam ein, warf noch einmal einen Blick auf seine beiden Gefangenen und verließ dann den Keller. Wir waren allein. „Miss Garcia, richtig? Es ist schön Sie wiederzusehen“, sprach Barnardo, hatte seinen Hut aber nicht mehr zu ziehen, so dass mir nun das schüttere dunkle Haar mit den Geheimratsecken begegnete. Er hatte ein dünnes Lächeln aufgelegt und seine Augen waren müde. Vollkommen erschöpft. „Mr. Barnardo … warum … sind Sie hier?“ Ich konnte es mir fast denken, wenn ich an die lächerlichen Festnahmen dachte, die man im Falle des Rippers vollzug und hoffte inständig, dass es an etwas anderem lag. „Tja … man hat mich der Morde verdächtigt.“ „Die Ripper-Fälle?“ „Sie sind der Meinung, dass ich nicht nur die Qualifizierung besitze, so zu morden, sondern auch ein unscheinbares Äußeres.“ „Was meinen Sie?“ Ich erinnerte mich daran, dass wir eigentlich nicht viel über den Mann hier wussten. Außer, dass er selbst Mediziner war und so natürlich das grundlegende Wissen besaß, was Anatomie und Physiologie betraf. Und dass er eine Frau und Kinder hatte. Mehr nicht. „Ich arbeite daran, den Bedürftigen in London zur Seite zu stehen. Kinderheime“, erklärte er kurz und knapp und legte dann die Hände in den Schoß, „Das war anscheinend Grund genug davon auszugehen, dass ich mir entsprechend Zugänge verschaffe.“ Er schüttelte den Kopf und lächelte pikiert, „Hatten wir nicht noch über die absurden Haftbefehle gesprochen? Nun bin ich selbst hier. Seit zwei Tagen. Und meine Frau weiß von nichts … herrje.“ Meine Augenbrauen zogen sich mitfühlend zusammen. Bei allen Londoner Männern glaubte ich am wenigsten, dass er es war, den man zu fürchten hatte. Kein Wissen. Nur Intuition. Aber diese lag bei mir selten falsch. „Nun ja … was ist mit Ihnen? Und wo ist Ihre Begleitung? Dr. Smith?“ Er betrachtete mich neugierig, „Was haben Sie laut denen getan, dass Sie hier gelandet sind?“ „Wir … hatten das Pech über eine Leiche zu stolpern“, antwortete ich halb wahrheitsgemäß und konnte nur mit den Schultern zucken, „Natürlich glauben sie uns nicht.“ „Nein, natürlich nicht“, lachte Barnardo bitter auf und seufzte daraufhin schwer, „Ich hoffe, dass sie uns dennoch bald wieder entlassen werden. Sie haben keinerlei Beweise. Weder in meinem Fall, noch in Ihrem.“ „Woher wissen Sie das?“ „Sie wirken auf mich nicht wie ein Verbrecherpaar, das Menschen ermordet.“ In diesem Punkt verstanden wir uns ziemlich gut und ich musste ein bisschen lächeln.   Wie lange ich tatsächlich in der Zelle blieb, konnte ich nicht sagen. Vielleicht ein paar Minuten, vielleicht waren es auch Stunden. Scotland Yard ließ mich hier unten jedenfalls eine Weile versauern und vor allem ließen sie mich nicht mit dem Doktor sprechen. Ich konnte mir vorstellen, dass er versuchte, Überzeugungsarbeit zu leisten und hoffte sehr, dass sie ihn nicht einfach direkt in eine Zelle für Schwerverbrecher verfrachteten. Nach ungewisser Zeit kamen dann mit einem Mal zwei Polizisten wieder zu uns und schlossen unsere Zelle auf. Barnardo und ich guckten uns verwundert und etwas verängstigt an. Sie führten uns beide raus. Den Doktor und Wohltäter und ich. Wir wurden in entgegengesetzte Richtungen gebracht und so blieb uns nichts weiter übrig, als einander leise viel Glück zu wünschen und uns dann wieder auf unser Selbst zu konzentrieren. Der Polizist, welcher hinter mir ging, mich grob an den Armen hielt und dabei vor sich her dirigierte, führte mich schließlich in einen etwas größeren Raum, ein Büro. Auf dem Schild konnte ich in großen Lettern LESTRADE lesen. So viel Ehre wurde mir also zuteil. „Schön Sie wiederzusehen, Fräulein Gartner“, sprach der dem Bürozimmer zugehörige Inspektor und mein Blick glitt automatisch zu der Person, die neben ihm stand – der Doktor. Er wirkte nicht gerade glücklich, aber zumindest erleichtert als er sah, dass es mir gut ging und ich nicht gefoltert worden schien. Was hatten die beiden wohl miteinander geredet? Neben uns Vieren befand sich noch ein weiterer Mann im Raum: Der Fotograf. Die alte Kamera und das Stativ aufgebaut, wäre ich unter anderen Umständen fasziniert gewesen. „Ich hatte gerade eine anregende Unterhaltung mit Mr. Smith. Leider war sie aber sehr einseitig.“ Er winkte den Fotografen heran, so dass dieser in Stellung gehen würde. „Und was ist, wenn ich mich nicht fotografieren lasse?“, fragte ich daraufhin sturköpfig. Lestrade verlor sein Lächeln nicht, legte dafür aber einen ziemlich gefährlichen Unterton in seine Stimme, als er mir antwortete: „Dann werden wir wohl oder übel dafür sorgen.“ „Das dürfen Sie nicht.“ „Und wie ich es darf. Ihr seid hier bei Scotland Yard. Wir dürfen eine Menge.“ Der Fotograf räusperte sich und positionierte die Kamera. „Meinetwegen können wir“, sprach dieser und wartete darauf, dass ich mich zu den beiden anderen gesellte. Ich tat nichts dergleichen, außer eines: die Mitarbeit zu verweigern. „Sie sperren hier Leute ein, die nichts getan haben. Verdächtigen Unschuldige und schlagen ihnen vielleicht auch noch die Köpfe ab. Und das soll die Polizei sein?“, konnte ich mir nicht verkneifen, woraufhin der Doktor beschwichtigend die Hände hob. Ich sollte ruhig bleiben. Keine unüberlegten Äußerungen gegenüber des Inspektors. Lestrade schien sich jedoch an meiner Aussage nicht zu stören und behielt das Pokerface aufgesetzt, „Du kannst dich sträuben, wie du willst. Das ist mir vollkommen egal.“ Er trat zu mir. Bevor ich mich versah, hatte er mich am Oberarm grob gepackt und zog mich zu sich. Ich stolperte, konnte mich so nicht wehren. Aber wenn ich mich in diesem Moment auf etwas verlassen konnte, dann war es der Doktor, welcher auch wenn er immer noch wütend auf mich war, mich nicht einfach so ausliefern würde. „Wir haben eine Abmachung getroffen“, ging er dazwischen und löste Lestrades Hand von meinem Arm, der mir zu schmerzen begann. „Die ich hiermit widerrufe. Und Schuss“, wies der Inspektor an und mit einem Mal blendete mich für ein paar Sekunden ein gleißendes Licht. Ich hatte den Geruch von Ruß oder Ähnlichem in der Nase. „Es ist mir egal, was ihr wollt oder was ihr nicht wollt. Ich kann euch auch wegen Behinderung der Ermittlungen einbuchten, wenn es euch lieber ist. Und dann kann ich euch vor Gericht ziehen, weil ihr anscheinend nicht einmal Einreisepapiere besitzt und zudem noch eine Leiche geschmuggelt habt. Ist euch das lieber?“   „Extrablatt!! Extrablatt!!“, rief ein kleiner Junge mit abgewetzter Schirmmütze und nicht minder abgenutzter Kleidung. Er hielt einen gelblichen Zettel in der Hand, ein bisschen kleiner als normale Zeitung und hielt einen weiteren Stapel dieser Blätter in seinem anderen Arm. „Neuigkeiten zu dem Ripper! Augenzeugin gefunden!“ „Eine Ausgabe, bitte!“ „Das macht einen Penny, Sir!“ Der Junge erhielt das Geldstück und reichte dem Herren im unpassend braunen Mantel eine Zeitung. Noch nie hatte das Kind so einen komischen Mann gesehen. Die Frau neben ihm gefiel ihm da schon besser. Sie könnte eher von hier sein. Die beiden entfernten sich und der Junge rief weiterhin die Sonderausgabe aus, welche er für einen minimalen Lohn zu verbreiten hatte. „Und natürlich die Titelseite. Lestrade hat nicht zu viel versprochen.“ Der Doktor redete inzwischen war wieder mit mir, aber hingegen war ich es nun, die sich nicht traute, zu antworten oder ihn von mir aus anzusprechen. Demnach schwieg ich und betrachtete einfach nur den Schnappschuss, der von uns in der Zeitung zu sehen war. In großen Buchstaben trötete es: EYE-WITNESS OF THE RIPPER SLAUGHTERS. Hetzerisch, provokant, falsch. Man konnte die Morde nicht als Schlachterei bezeichnen, mehr als präzise Organentnahme und Verstümmelung. Zumindest aber wies es auf die Bestialität des Mörders hin, welcher immer noch frei sein Unwesen trieb. Unser Foto war in der Tat nicht das Schönste, aber es tätigte seinen Zweck. Während der Doktor und Lestrade nur die Bildseiten schmückten, zierte meine Wenigkeit die ganze Mitte. Mein Gesicht war frontal gedreht, perfekt, um es sich einzuprägen. Die nächsten Zeilen waren nicht weniger interessant: „Die junge Prostituierte Juliet Capet äußerte sich am gestrigen Abend gegenüber Scotland Yard, dass sie Zeugin des brutalen Mordes an Catherine Eddowes in der Nacht des 30. September wurde. Capet war zum Mordzeitpunkt am Mitre Square gerade von einem Kunden wiedergekommen und hatte die Stelle passiert.“ Ich seufzte schwer, als der Doktor den Text vorlas. Hervorragend. „Steht auch noch drin, dass ich sein Gesicht gesehen haben soll?“ „Sie spoilern mich. Ich habe den Artikel noch nicht zu Ende gelesen.“ Ich zog die Augen hoch und behielt es mir vor, keinen weiteren Blick in die Zeitung zu werfen. Also ja. Lestrade hatte mich mit diesem Artikel für vogelfrei erklärt. „Am besten verkrieche ich mich.“ „Das hätten Sie in der Tat tun sollen“, konnte der Timelord es nicht lassen, mir eine Spitze zuzuwerfen und faltete das Blatt wieder zusammen. Er hielt es mir hin, aber ich lehnte ab. Wenn wir hier lebend herauskämen, würde ich die Zeitung vielleicht als Andenken behalten wollen. Obwohl … das ging ja auch nicht! „Aber Sie haben ihn ja gehört: Straffer Zeitplan." Und dieser beinhaltet, dass ich mich heute den ganzen Tag auf Achse halten durfte. Mal hier, mal da. Immer schön an publiken Orten. Und zum Abend hin wollten sie mich dann in Tatortnähe des Mitre Square haben. Sie wollten den Ripper hervorlocken. Denn wer würde schon widerstehen, eine Augenzeugin den Gar aus zu machen? Ich hoffte sehr, dass sich der Serienkiller nicht auf solch ein Spielchen einließ. Dass er sich womöglich sagte, dass ihn niemand gesehen haben konnte. Ich hoffte es sehr. Der Doktor hatte mir zwar versichert, dass er zum Abend hin den nächstbesten Moment nutzen würde, damit wir von hier verschwänden, aber die Angst blieb. Es war gerade erst später Morgen. Wir hatten die Nacht in einem billigen Hotel verbringen können. Anweisung Scotland Yards. Damit ich meiner Rolle der Juliet entspräche. Und da ich mir meinen Beruf nicht ausgesucht hatte, kam es nur gelegen, dass der Doktor als Mann an meiner Seite war. Noch so viele Stunden totzuschlagen. Vor allem fragte ich mich aber nach wie vor, wie er es bewerkstelligen wollte ungesehen in die Werkstatt zu kommen, wo die TARDIS stand und nun von den Polizisten bewacht wurde? Hatte es einen zweiten Eingang gegeben? Würde er sie ablenken? Würden wir einfach hineinrennen? Ich hatte keine Ahnung, wie sein Plan aussah. Und darüber sprechen wollte er nicht. Er weihte mich nicht ein. Das machte mich noch unsicherer. „Wissen Sie was? Lassen Sie uns eine Kutschfahrt durch London machen. Sie hatten sich doch eine Sehenswürdigkeitentour gewünscht?“, fiel ihm ganz spontan ein, woraufhin ich nur den Mund verziehen konnte. „Schon … aber nicht so.“ „Nun, jetzt oder nie. Sie haben die Wahl.“ Und in Anbetracht dessen, dass wir hier noch eine ganz schön lange Zeit verweilen mussten, war es die beste Alternative. Ich hatte nämlich auch keine Lust, alle Straßen abzulaufen, die wir zu Fuß erreichen konnten.   Es dauerte nicht lange, bis wir also in einer schwarzen Kutsche saßen. Der Kutscher fragte uns nach unserem Ziel, woraufhin der Doktor ihm nur zurief, dass er eine möglichst schöne und lange Route durch die Stadt einnehmen sollte. Er war zwar verwundert, zwirbelte sich aber nur einmal seinen Schnurrbart und gab den Pferden dann schulterzuckend Antrieb. Letzten Endes war es ihm egal, solange das Geld stimmte. Der Wagen setzte sich in schaukelnde Bewegung, an die ich mich zunächst gewöhnen musste. Als wir schließlich ein gemächliches Tempo erreicht hatten, wurde es angenehmer. Wie verließen die Gegend rund um Scotland Yard und der Whitehall, die große Hauptstraße, über die wir beim letzten Mal gerannt waren, und schlugen die Richtung des St. James Parks ein. Welch ein erneutes Déjà-Vu. Ich blickte aus dem Fenster, nahm die vorbeiziehende Landschaft war, die vielen Leuten, die sich hier bewegten und die Natur, die herbstlich langsam aber sicher ihre Blätter verlieren würde und sich jetzt noch in schönsten Farben erfreute. Es glich mir eher wie meine Fahrt vor meiner Hinrichtung als eine lustige Touristentour. „Sie wissen, wo Sie nachher zu warten haben?“, fragte der Doktor ganz plötzlich und ich wandte meinen Blick von der Aussicht ab, schaute zu ihm. „Die St. Katherine Cree? Ja …“ „Ich werde Sie ein paar Minuten alleine lassen müssen. Kommen Sie damit zurecht?“ „Ja.“ Was hätte ich auch anderes sagen sollen? Er versuchte sein Bestes, uns beide hier wieder rauszuboxen. Da konnte ich nicht wie ein Kind wimmern, dass ich Angst hatte und nicht allein gelassen werden wollte. Selbst, wenn dies der Wahrheit entsprach. Wir mussten an die TARDIS und das Einfachste war es, wenn sich alle Welt auf den Ripper konzentrierte. Dann würde alles unproblematisch verlaufen. Zumindest, wenn wir Lestrades menschliche Wachhunde vor der blauen Box loswürden. „Gut, ich werde mich beeilen.“ Das Gespräch war wieder verebbt und ich spürte, wie mir mein Herz schwerer wurde. Ich hatte mich schon lange nicht mehr so schlecht für eine Sache gefühlt und wusste auch nicht, wie ich mein Schuldgefühl ausdrücken sollte. Es war mit einem „Es tut mir leid“, nicht getan. Das hatte ich bereits mehrfach und ich glaubte, dass ich mir gerade einen Fehltritt zu viel geleistet habe. Demnach ließ ich diese Floskel fallen und senkte resignierend die Schulter. Wieder aus dem Kutschfenster sehend, flogen weitere Eindrücke der Baumallee des St. James Parks an mir vorbei. „Wir werden gleich den Buckingham Palace erreichen. Heute mal von der anderen Seite. Ist doch angenehmer als zu Fuß?“ „Doktor, ich wollte Ihnen nicht solche Probleme bereiten“, unterbrach ich ihn in seiner Ansprache „Sie haben alles Recht der Welt, wütend auf mich zu sein.“ Tatsächlich hielt er inne und sah mich durch seine braunen Augen einfach nur aufmerksam zuhörend an, „Ich könnte mich entschuldigen, aber das macht es auch nicht besser. Und ich hab es unterschätzt. Das ganze Zeitreisen, mein ich.“ Immer wenn ich aufgeregt oder nervös war, gestikulierte ich wild mit meinen Händen. So auch jetzt. Ich versuchte, locker zu wirken, beherrscht, doch war es sehr schwierig alles zu unterdrücken, was in mir rumorte. Seit ich vorhin diesen Eintrag geschrieben hatte, war mir wirklich erst bewusst geworden, was ich hier tat. Es war nicht normal, es war nicht aufregend. Gut, das schon irgendwo, aber es war vor allem eins: Beängstigend. Nicht, dass ich Sorge hatte, dass die TARDIS uns weiterhin den Weg zurück auf die Erde, zu meiner Zeit verwehrte. Das nicht. Ich hatte nur die Befürchtung, dass ich das nicht mehr erleben würde. Und so redete ich mich um Kopf und Kragen, um nicht genau diese Ängste die Oberhand gewinnen zu lassen: „Ich mein, ich bin nicht mutig. Ich bin kein Abenteurer. Das letzte Mal, als ich eine Entdeckungstour zu einem verlassenen Ort gemacht habe, hatte ich einen Adrenalinschub, weil uns Wachmänner auf der Spur waren. Glaubte ich zumindest. Vermutlich waren da keine.“ Ich hatte meinen Blick von ihm abgewandt, schaute überall hin, nur eben nicht zu ihm. „Ich glaube eher, dass Sie sich unterschätzen“, wandte der Doktor ein, als ich endlich mal eine Atempause einlegte, „Wären Sie ein Abenteurer, hätte ich Sie nicht mitgenommen. Außerhalb der TARDIS, meine ich.“ Ich war verwirrt, schaute jetzt aber lieber vollkommen fixiert auf meine Hände, die verkrampft in meinem Schoß lagen und den Stoff des Gehrocks zerknitterten, „Ich glaube, dass Sie ziemlich gut einschätzen können, was die Gefahrenweite einer Situation betrifft. Sie beobachten und versuchen erst eine Einschätzung zu geben, bevor Sie etwas unternehmen. Ihnen ist Sicherheit wichtig. Und trotzdem handeln Sie so unüberlegt und stürzen sich Halsüberkopf hinein. Was durchaus irritiert.“ Ja, es irritierte ja auch mich. „Warum hetzen Sie sich so?“ „Macht es diesen Eindruck?“ „Wenn ich eine Vermutung abgeben darf: Ja. Sie sprinten regelrecht wie der Hase beim Wettkampf mit dem Igel.“ „Ich denke eher … dass ich die Schildkröte bin und nicht der Hase“, widersprach ich wahrheitsgemäß dem, was ich dachte. Davon abgesehen wunderte es mich, dass er solch eine Fabel kannte, aber nun gut … viele menschliche Begleiter führten zu vielen Geschichten? Der Doktor atmete hörbar durch und verschränkte die Arme. Sein Blick lag forschend auf mir und schließlich öffneten sich wieder seine Lippen, „Erinnern Sie sich daran, was ich Ihnen im Zug sagte?“ Ich musste jetzt ehrlich nachdenken. Nicht, dass ich unaufmerksam gewesen wäre, aber es war soviel in kurzer Zeit passiert, dass mein Gedächtnis ein bisschen… siebte. Im Zusammenhang mit unserem jetzigen Gespräch, fiel es mir schließlich wieder ein und ich nickte. „Ich sehe da langsam ein Muster.“ Ja, nicht nur er. „Sie haben Angst. Und das ist gut. Angst sollte Sie normalerweise davor bewahren, sich in Gefahr zu begeben.“ „Aber?“ Ich hörte den Einwand ganz klar heraus. „Sie tun es schon wieder. Sie preschen schon wieder vor.“ Das war nur ein Fakt, aber in meinen Ohren klang es wie eine Schuldzuweisung, obgleich er dies mit keiner Silbe beabsichtigte. Nicht wie im Pub, wo die Wut an ihm gerüttelt hatte. „Das ist keine Absicht“, sprach ich leise. „Das wollte ich Ihnen auch nicht unterstellen.“ „Darf ich … Ihnen dann eine Frage stellen?“ Es lag mir schon länger auf der Zunge. Ich war nicht blind und ich hatte im Laufe unserer bisherigen Reise ein paar Ähnlichkeiten entdeckt, die mir jedoch keine Antwort auf mein eigenes Verhalten gaben. Dafür waren wir uns eben zu unähnlich. „Fragen Sie.“ „Warum rennen Sie?“ Der Blick des Doktors änderte sich nicht. Er zuckte nicht einmal mit der Wimper, als ich ihm diese Frage stellte. „Ich meine … was treibt Sie an? Sie … kennen doch Angst, oder?“ Dann senkte er mit einem Mal den Kopf, schaute mich nicht mehr an und presste kurzzeitig die Lippen aufeinander. „Sie beobachten“, schloss er als erstes, klang angespannter. „Ex-Berufskrankheit.“ Der Timelord nickte, schaute aus dem Fenster und überlegte. „Was … wissen Sie genau über mich?“ Ich gab einen verwunderten Laut von mir. „Als Sie mit einem Mal in meiner TARDIS standen … wirkten Sie so, als wüssten Sie mehr als Sie sollten. Über die TARDIS. Ich muss zugeben, dass ich gehofft habe herauszufinden, woher Sie Ihr Wissen haben. Auf der einen Seite haben Sie nie die Erde verlassen, auf der anderen Seite war Ihnen das Zeitreisen an sich nicht unbekannt.“ Er hatte mir den Ball geschickt zurück gespielt und ich sah mich erneut in der Position des Antwortenden. Vielleicht war das so eine Vertrauenssache, die hier gerade passierte. Meine destruktiven Aktionen und manchmal auch schnippische Antworten trugen nicht gerade zu solch einem bei. „Ich weiß, dass Sie ein Timelord sind. Von Gallifrey kommen. Der letzte Ihrer Art sind, sofern man nicht in die Vergangenheit zurückreist. Dass Sie von vielen gefürchtet werden und … dass Sie bisher viele Begleiter hatten. Sie regenerieren, Sie sterben nicht. Und die TARDIS ist mehr als nur ein Raumschiff. Sie besitzt Leben. Und Bananen sind gut.“ Ich versuchte, ein wenig auflockernd zu sein, weil mir das Thema so schwer fiel. Die gefürchtete Nachfrage folgte allerdings auf dem Fuße: „Woher wissen Sie das alles?“ „Wenn ich Ihnen sage, dass … in meiner Realität das alles hier, das Zeitreisen und auch Sie eine Art … Geschichte sind, eine Fernsehshow seit den 1960ern … halten Sie mich für verrückt?“ Sein Gesichtsausdruck verriet mir, dass er zumindest nicht damit gerechnet hatte. „Sie meinen eine Fernsehshow über mich?“ „Nein, eher mit Ihnen.“ „Wer um alles in der Welt soll mich spielen? Was ist das für eine Serie? Wer hat sich das einfallen lassen?“ Skeptisch, irgendwo abwertend und gleichzeitig sichtlich überrascht zog er Grimassen und seine Stimme schlug die typischen ungläubigen Höhen an, als wäre mal wieder jemand ungefragt in der TARDIS aufgetaucht. Es ließ mich ein bisschen schmunzeln. „Der BBC. Julie und Russell. Und ehm … ein Schauspieler namens David Tennant, der … nun ja … deswegen so aussieht wie Sie. Oder Sie wie er. Je nachdem.“ „In Ordnung. Ich weiß, dass Sie keinen Grund haben zu scherzen. Nun, zumindest klingt der Grund für Ihr Wissen somit ziemlich plausibel.“ Ich zuckte kaum merklich mit den Schultern, „Nehmen wir an, dass dem so ist, dann … erklärt es natürlich noch nicht, warum in meiner TARDIS ein Zimmer – wie Sie Ihres bei sich daheim kennen – erschien, noch vor Ihrer Ankunft. Sie … können hiermit aber nicht die Zukunft voraussagen oder?“, vergewisserte er sich noch einmal mit argwöhnischem Blick, wobei ich verneinen musste. „Soweit habe ich nicht gesehen als dass ich sagen kann, ob dies hier dazu gehört oder nicht.“ „Ich dachte, Sie seien ein Fan?“, empörte sich der Timelord beinahe schon, dass ich anscheinend doch nicht so viel Bewunderung für ihn und seine Reisen übrig hatte, woraufhin ich natürlich gegenhalten musste: „Hey, wir sind bei Staffel zehn! Zehn! Der neuen Serie. Der Tag hat nur 24 Stunden und ich muss auch noch anderes machen.“ Der Doktor zog seine Mundwinkel markant nach unten, als wollte er sagen: Ein Grund, aber kein Hindernis. Könnten wir jetzt bitte wieder zu meiner Frage zurückkehren? Ich hatte das zwar nicht laut gesagt, aber trotzdem kam er von ganz allein auf das eigentliche Thema zurück, während wir nun tatsächlich aus dem Fenster die ersten hellen Flecken des Buckingham Palace‘s sehen konnten: „Sie dürften demnach wissen, dass ich nicht stehenbleiben kann.“ „Meinen Sie wegen Ihren Feinden? Oder … weil Sie nicht können?“ Der Doktor warf mir einen etwas betroffenen Blick zu. Es war Schuld, die in seinen Augen lag. So viel Schuld, wie es für zehn oder gar Hunderte von uns ausreichen würde. „Ich hatte einige Begleiter“, sprach er daraufhin einfach weiter, meine Frage zunächst unbeantwortet lassend, „Und nicht alle von Ihnen sind lebend zurückgekehrt. Jemanden mitzunehmen … bedeutet Verantwortung. Verantwortung, was die Einhaltung der Schattenproklamation betrifft, aber ebenso Verantwortung gegenüber meiner Begleitung, für deren Sicherheit zu garantieren. Was, wie Sie sich vorstellen können, nicht immer möglich ist.“ „Ist das der Grund, warum Sie … lieber allein reisen?“ Ich konnte ein minimales Nicken ausmachen, obwohl er sich Mühe gab, keine Regung zu zeigen: „Sie … verlassen mich. Weil es Zeit ist oder weil sie jemand anderen finden. Manche von ihnen vergessen mich auch.“ „Das klingt einsam ...“ „Es ist besser, als wenn ich ihren Tod mitansehen muss, denken Sie nicht? Keiner von ihnen ist dazu gemacht, auf ewig durch Raum und Zeit zu reisen. Das ist nicht ihr Leben. Nicht das, wofür sie geboren wurden.“ „Mag ja sein, aber … trotzdem… Sie sind derjenige, der einsam zurückbleibt. Und das sollte nicht sein.“ Die Worte kamen mir von selbst über die Lippen. Nicht gewollt, eher wie aus meinem Herzen heraus gefallen, „Niemand sollte auf diese Art alleine sein. Sie … geißeln sich selbst.“ Das war etwas, was mir eine Freundin einmal gesagt hatte und ironischerweise musste ich es nun weitergeben. „Sie sagen zu mir, dass ich mich nicht untergraben soll, aber dann seien Sie auch nicht so streng mit sich selbst.“ Der Doktor schüttelte nun eindeutig den Kopf und sah mich direkt an, wie ich bereits ihn, „Sie haben keine Ahnung, was an den Taten hängt, die ich beeinflusse.“ „Das mag ja sein, aber … es ist doch auch keine Lösung, sich von allen abzukapseln. Das können Sie auch gar nicht. Sehen Sie uns doch an: Wir sitzen hier in einer Kutsche im viktorianischen London, an uns rauscht der Buckingham Palace vorbei und nach Ihren Ausführungen hätten Sie mich eigentlich nicht einmal gefragt, wo ich hinreisen möchte!“, gestikulierte ich auf uns beide und zum Fenster hinaus. „Sie sind der Doktor. Und Sie sind fasziniert von all den unterschiedlichen Kulturen und Lebensformen, die das Universum zu bieten hat. Oder andere Universen. Und Ihnen fehlt etwas, wenn Sie niemanden bei sich haben. Die TARDIS zählt nicht!“, hielt ich sogleich den Zeigefinger hoch, als er etwas erwidern wollte. Dann setzte ich mich wieder richtig in meinen Sitz und legte in meinem Schoß die Hände ineinander. „Wissen Sie, wie ich mir gerade vorkomme?“ „Sie werden es mir gewiss sagen.“ „Ein bisschen wie bei Peter Pan.“ „Wie kommen Sie darauf?“ Wieder der empörte Gesichtsausdruck. „Wenn ich … eine einzige Sache gefunden habe, die uns verbindet, dann … denke ich, dass wir gerne ein bisschen außerhalb des Gewöhnlichen leben.“ Und damit ein klein wenig die Realität ausblenden, die uns sonst erwartet. „Und wir fliegen ja auch. Sogar ohne Feenstaub.“ „Nicht so einen missfallenden Ton gegenüber Feenstaub“, wandte der Doktor ein, „Es gibt Spezies, die auf Basis solches sich tatsächlich fortbewegen.“ Warum wunderte mich das nicht? „Aber vielleicht haben Sie zu einem kleinen Teil recht. Sagen Sie mir nun, was es bei Ihnen ist? Sie meinten zu mir, dass Sie einen Freund haben, der auf Sie wartet und zu dem Sie zurückkehren wollen? Woher dann Ihre Angst?“ Bamm. Nur wenige Sekunden der Stille und schon hatte er mir wieder den Ball abgenommen und direkt ins Tor geschossen. „Natürlich will ich wieder nach Hause“, antwortete ich dann leise, „Mehr als alles andere, aber … ich stecke momentan fest. Da kann mir auch mein Freund nicht helfen.“ In meinen Entscheidungen, meinem weiteren Lebensweg. „Um ehrlich zu sein … hier mit Ihnen reisen zu müssen, weil die TARDIS mich nicht wieder zurückbringt, erscheint mir das Beste, was passieren konnte. Auch, wenn ich wieder zurück will. Klingt das logisch?“ „Für einen Menschen durchaus. Ihre Spezies ist von Emotionen eingenommen, die sich manchmal verselbstständigen. Unberechenbar. Dafür klingen Sie ziemlich rational.“ „Ab und zu“, musste ich fast schon ein wenig auflachen, „Aber … ich denke auch nicht, dass ich für das hier gemacht bin. Ich kann nichts Außergewöhnliches oder bin in einer Sache außerordentlich. Ich bin auch nicht besonders schnell und … mir fehlt einiges an Wissen?“ „Nichts, was Sie nicht aufholen könnten. Kurz gesagt glauben Sie, eine Last zu sein?“ „Mhm- ja. Vielleicht?“ „Ich glaube, wir müssen wirklich an Ihrem Selbstvertrauen arbeiten. Sie sind seit langem die Erste, die ich so unsicher erlebe.“ Darauf konnte ich nichts erwidern, wiegte den Kopf nur zur Seite. „Sie können und tun mehr, als Sie sich gerade zutrauen.“ Mein Blick zeigte Skepsis und der Doktor setzte demnach noch eine Bestärkung oben auf: „Glauben Sie mir, ich weiß, wenn etwas hervorsticht. Sie haben es selbst gesagt: Ich bin fasziniert vom Außergewöhnlichen.“ „Dann … Jippieh zum Außenseitertum?“, schlussfolgerte ich, noch nicht ganz überzeugt. „Wenn Sie es so wollen, gerne. Ich kann es Ihnen jedenfalls noch so oft sagen, bis Sie es selbst glauben, dass ich Ihre Anwesenheit weder als lästig noch als unangenehm empfinde. Und nun tun Sie mir den Gefallen und schauen raus. Sie werden so schnell nicht noch einmal die Möglichkeit bekommen, in einer Kutsche durch das alte London zu reisen.“ Er hatte ja recht. Wir konnten noch so lange darüber reden. Es würde nichts daran ändern, dass wir zum einen weitergehen mussten. Zum anderen waren es keine Dinge, die wir von jetzt auf gleich beseitigen konnten. Wir mussten daran arbeiten. Schritt für Schritt. Das würde dauern.   Unser Kutscher nahm seinen Job sehr ernst und chauffierte uns tatsächlich einmal an die wichtigsten Sehenswürdigkeiten vorbei. Vielleicht lag es auch daran, dass er so auf eine hohe Summe hoffte, die ihm für den Extradienst gezahlt würde. Letzten Endes konnte ich mich aber nicht beschweren. Ein wenig durch den Hyde Park fahrend, den ich bei meinen zweimaligen Besuchen hatte auslassen müssen, ging es an der Themse entlang zurück. Wir hatten nicht ewig Zeit, aber diese reichte, als dass wir so zumindest noch die bezaubernde Ansicht des Big Bens wahrnehmen konnten. Es waren gut zwei Stunden vergangen. Wir hatten immer noch massig Zeit, bis es dunkel wurde. Unser Weg führte uns in eins der besten Lokale für einfache Leute. Die britische Küche war auch zu jener Zeit nicht meins. Echt nicht. Aber besser ein paar Würstchen im Magen zu haben als gar nichts. Ich versuchte mir gut zuzureden, dass es sich nicht um Schwein handelte, denn anders würde es mir die nächsten Tage ziemlich mies gehen. Wir schlenderten umher, vergnügten uns fast schon und es fiel mir schwer daran zu glauben, dass wir bald einem Serienmörder auflauern würden – oder er uns. Gerade fühlte es sich eher an, als würden wir Touristen sein. Touristen, die eine Stadt erkundeten, nicht mehr, nicht weniger. Und es war ein erleichterndes Gefühl, was Kraft gab. Zum Abend hin begannen unsere Vorbereitungen: Wir trafen uns mit Lestrade und welch Überraschung – Sutherland war ebenso dabei und nicht gerade erfreut über unsere Rückkehr. Obwohl es auf mich so gewirkt hatte, dass sie zwei Erzfeinde waren, zwei Konkurrenten, arbeiteten sie doch zusammen und während ich sie beobachtete und ihnen zuhörte, musste ich sogar ein gut hinzufügen. Selbst wenn sie sich nicht leiden konnten, wussten sie genau, wie der andere tickte und konnten sich ihre Sätze blind beenden. Ihr Plan sah wie folgt aus: Während ich den Lockvogel spielen würde, würde Scotland Yard verdeckt den Ort umzingeln und somit ein Entkommen verhindern. Der Doktor war dazu angehalten nichts zu tun und aus diesem Grund fernab der Operation gehalten. Das war okay. Denn es ermöglichte ihm, dass er die TARDIS herbeischaffen konnte. Ihm blieb dafür nicht viel Zeit, aber ich hatte ihm zu vertrauen. Ich musste ihm vertrauen. Denn das war für mich die immer noch größere Überlebenschance, als wenn ich der Polizei mein Leben in die Hand gab. Als wir uns dann schließlich voneinander verabschieden mussten, überkam mich die Furcht ein weiteres Mal und ich presste fest die Lippen aufeinander. Stark bleiben. Mutig sein. Trotzdem bewegten sich meine Arme ganz von allein vor und verlangten nach einer Umarmung. Eine ziemlich heftige. Ich konnte mein Zittern nicht unterdrücken, als ich auch die Arme des Doktors um mich spürte und ich für eine Sekunde dessen schützende Wärme abbekam. Ich wäre auf mich allein gestellt. Ab den Punkt, wo wir einander losließen. „Ich hole Sie gleich mit der TARDIS ab“, versprach er mir leise und drückte mich etwas fester. Ich nickte. Luft fuhr zwischen unsere Körper und er trat ein paar Schritte zurück. Ich ebenso. Wir entfernten uns und Lestrade hatte mich bereits am Arm gepackt und zog mich weiter. Ich warf einen Blick über meine Schulter, sah den Doktor immer noch an derselben Stelle sehen und wie er ernst er dreinschaute. Er würde alles tun, damit wir hier lebend wegkamen. Und so ungern ich es tat, musste ich ihm nun tatsächlich die Verantwortung für mein Leben abgeben.   Die Dunkelheit hätte mir nicht viel ausgemacht. Ich war gewohnt, im Dunklen nach Hause zu gehen und das auch alleine. Die Gegend, in der ich mich jedoch befand, war weder angenehm noch beruhigend. Das Quieken aus den dunklen Ecken, was vermutlich von Ratten stammte, jagte mir nicht minder eine Gänsehaut ein. Auch hatte ich nichts gegen diese Nagetiere, jedoch wollte ich nicht, dass sie mir über den Fuß huschten. Ich hatte mich an eine Ecke verschanzen müssen, die ganz in der Nähe einer billigen Absteige lag. Solche, bei der man die Frauen mit den Männern hinein- und wieder herausgehen sah. Ich war froh, dass mich keiner dieser Kerle ansprach. Gewundert hätte es mich nicht. Mir war nicht mal bewusst, wo sich die Beamten von Scotland Yard aufgereiht hatten. Nervös blickte ich in alle Richtungen, die mir gegeben waren. Nichts Verdächtiges zu sehen oder zu hören. Gar nichts. Ich sollte mich darüber freuen, mehr Zeit für den Doktor, mehr Sicherheit für mich. Ich nahm die Taschenuhr hervor, die man mir gegeben hatte und welche ich seitdem die ganze Zeit fest umschlossen hielt. Im Schein der Gaslaterne konnte ich erkennen, dass es jetzt kurz vor neun Uhr war. Das konnte noch massives Warten bedeuten. Ich atmete aus, sah die ausgeblasene warme Luft in der Kälte aufsteigen. Das würde massives Warten in der Kälte bedeuten. Ich malte mir aus, dass der Ripper vielleicht gar nicht auftauchte. In meinen Augen die beste Option: Der Ripper tauchte nicht auf, der Doktor würde einfach mit der TARDIS aufkreuzen und wir verschwänden. Perfekt. „Entschuldigung, die Dame?“ Mein Herz blieb augenblicklich stehen und ich schaute nur aus dem Augenwinkel heraus auf. Ein zylindertragender Mann hatte sich neben mich gestellt. Ich konnte im Schatten weder sein Gesicht ausmachen, noch seine genaue Kleidung. Mein Gefühl verriet mir aber, dass er zu adrett für solch eine Gegend wirkte. „Verzeihung, dass ich Sie störe, aber … Sie halten doch eine Uhr in der Hand nicht? Könnten Sie mir bitte die Zeit verraten?“ Perfektes Hochenglisch, wenn man so sagen konnte. Die Stimme klang nach einem Mann mittleren Alters, höchstens 50. Er war etwas größer als ich und mit der Kopfbedeckung natürlich noch um einiges mehr. „J-Ja, natürlich.“ Ich guckte wieder auf meine Taschenuhr, öffnete die Klappe und guckte auf die Zeiger. In diesem Moment legte sich die Hand des Fremden auf meine und wollte mich so zum Innehalten zwingen. „Kurz vor neun, ich sehe es“, raunte er mir nun zu und kam einen Schritt auf mich zu, so dass ich einen nach hinten machte, um auszuweichen, „Eine hervorragende Zeit. Lassen Sie uns doch etwas trinken gehen?“ Er meinte das Bordell gegenüber. Was sollte ich tun? Ich konnte schlecht ablehnen, aber zusagen bedeutete auch, dass ich meine Position verlassen würde. „Oh, das … ist eine köstliche Idee, aber … ich würde ungern in diesen Laden gehen. Es gab … Differenzen“, erklärte ich und hoffte, dass ich mich so irgendwie rauswinden konnte. „Ich verstehe“, nickte der Mann und deutete dann auf eine Straße weiter vor uns, „Dann lassen Sie uns doch in den Pub an der Aldsgate gehen. Was halten Sie davon?“ Ich hatte keinen Grund abzulehnen. Und sollte hierunter tatsächlich der Ripper stecken, dann dürfte ich nicht den Anschein erwecken, dass ich dies vermutete. Welchen anderen Grund hatte eine Frau in dieser Zeit so spät am Abend in der Nähe eines Bordells zu stehen, als darauf zu warten, dass ihr ein neuer Freier begegnete? Meine Auswahlmöglichkeiten waren also recht beschränkt. „In Ordnung. Das … wird gewiss amüsant.“ Wie recht ich damit hätte, würde mir erst später bewusst werden, als ich schließlich im Pub saß und mich von dem nüchternen so höflich wirkenden befaseln lassen musste. Gesellschaftliche Strukturen, Politik und nebenbei immer wieder ein Kompliment an mich. Nebenbei trank er nun seinen dritten Whiskey und hatte vorher schon ein Bier intus. Zu den Geräuschen und dem Gerede seinerseits gesellte sich ein leiser Tinnitus dazu, der meine Unruhe nur größer werden ließ. „Nun mal unter uns … wie viel wird mich der Abend mit Ihnen kosten?“, fragte er ganz gerade heraus und spätestens jetzt sollte jedem klar sein, dass es sich hier nicht um den Ripper handelte. Es war nur ein englischer Gentleman, der sich eine nette Nacht machen wollte. Na bravo. „Lassen Sie mich überlegen“, versuchte ich Zeit zu schinden und drehte derweil an meinem immer noch ersten Glas edelsten Whiskey, den er mir spendiert hatte. Das Getränk hatte bereits Zimmerwärme angenommen und um nichts in der Welt würde ich dieses noch anrühren wollen. Der Schnauzbart meines Gegenüber zog sich belustigt an den Ecken nach oben. „Muss ich Ihre sonstige Gesellschaft zusätzlich ankündigen oder wird dies inbegriffen sein?“ Irks … nein, ich hatte gewiss nicht vor, mit ihm ein Schäferstündchen abzuhalten. Unter keinen Umständen. „50 Schilling.“ „Bitte?!“ Das Entsetzen in seiner Stimme ließ mich wissen, dass ich mich eindeutig zu teuer verkaufte. Und das war gut so. „Sie haben ein heiteres Gemüt, meine Liebste. Oder sind Sie Angehörige eines Edelbordells?“ Er lachte und hob sein Glas erneut, „Aber nun denn … wenn Sie mit hohen Karten spielen wollen. Ich biete Ihnen 15 Schilling. Sie scheinen es mir wert zu sein.“ Irks … „Nun gut“, sprach ich langgezogen und würde dann zum letzten Mittel greifen, was mir blieb: Flucht, „Ich bin damit einverstanden. Dürfte ich … mich nur einmal vorher noch frischmachen gehen?“ „Oh, aber natürlich.“ Sein süffisantes Grinsen würde ich so schnell nicht vergessen, ebenso wenig seine Halbglatze, die er unter seinem Zylinder versteckt hatte. Ich schüttelte mich, als ich mich umgedreht hatte und zu den Toiletten ging. Ich stand nur im Vorraum und überlegte emsig, was ich tun sollte. Ich musste weg, aber hatte mich Scotland Yard auf dem Schirm? Sie waren mir gewiss hierher gefolgt, nur wenn ich jetzt einfach so verschwand, dann würde ich auch aus ihren Augen sein und ich fühlte mich so schon unsicher und ängstlich genug. Trotzdem … länger als jetzt konnte ich mit diesem Mann nicht zusammen bleiben, sonst würde es sehr unschön in anderer Sache enden. Also doch die Flucht? Nach geraumer Zeit verließ ich wieder den Restroom und lugte zuvor vorsichtig um die Ecke. Meine Bekanntschaft saß immer noch am Tresen, mit dem Rücken zu mir und gönnte sich den nächsten Schluck. Immerhin. Ich schlich mich durch die anderen Gäste hindurch und erreichte sogar die Tür, als auf einmal seine Stimme erklang: „Hey, was wird das?“ Verdammt! Ich griff den Gehrock auf Hüfthöhe und zog ihn etwas an, so dass ich mehr Beinfreiheit für das Laufen gewann. Schnell eilte ich durch die Pubtür und auf die Straße. Ich hatte keine Zeit mich umzusehen und begann einfach geradeaus zu rennen, die Hauptstraße entlang, vorbei an der U-Bahn Station. Ich bog in die nächstgrößere Seitenstraße ein – Hauptsache im Licht bleiben. Auch wenn nun weitaus weniger Menschen unterwegs waren, wollte ich nicht, dass ich mich in kleine zwielichtige Gassen begab. Meine Begleitung hatte die Verfolgung aufgenommen und so war ich mitnichten in Sicherheit, was dieses Problem betraf. Ich biss die Zähne zusammen und japste nach Luft. Blöder Gehrock. Obwohl ich darunter nicht das vorherige Kostüm trug, brachte er mich trotzdem um Sauerstoff und quetschte mich ein. Aber so schnell mit ihn vom Leib reißen konnte ich dank der Knöpfe als Verschluss ebenso wenig. Ich schaute über meine Schulter, sah ihn in fünfzehn Metern Entfernung und stieß ein genervtes Stöhnen aus. Wo sollte ich hin? Ich würde ihn nie loswerden, würde ich wie ein Hase in der flachen Ebene laufen. Das war ein gefundenes Fressen für den Adler. Und ehe ich mich versah, drückte ich mich in die nächst gelegene dunkle Ecke, eine kleine schmale Straße, die zwischen den Häusern hindurchführte. Hier gab es nur das Laternenlicht von der Hauptstraße und der nächsten Mündung vor mir. Ich eilte weiter und sah dann an der nächsten Ecke eine Leiter an der Häuserwand. Ohne zu überlegen, kletterte ich hinauf, bis ich das Dach des Hauses erreichte und drückte mich auf die ausgelegten Holzplanken. Hier wurden wohl tagsüber Dacharbeiten verrichtet. Ich konnte von oben hören, wie seine Schritte näher kamen, aber er blieb nicht stehen, sondern rannte die kleine Straße weiter, zum anderen Ende. Mein Herz schlug mir heftig gegen die Brust. Solle noch mal einer sagen, dass Videospiele nicht gut wären … denn dieser Weg war mir nur dank eines solchen eingefallen. Ironischerweise Sherlock Holmes. Was sonst. Okay … nun bedeutete dies aber auch, dass ich hier wieder runterkommen müsste. Und leider konnte ich nicht einfach wieder bei Null anfangen, würde ich fallen. Ich wäre tot. Ich fühlte mich wie eine dumme Katze, die es zwar auf den Baum schaffte, aber sich nicht mehr runter traute. Zunächst ließ ich ein bisschen Zeit vergehen. Ich wollte sicher sein, dass der Zylindermann nicht doch noch zurückkam. Als dies aber eindeutig außer Frage stand, setzte ich einen Fuß vorsichtig auf die Stiege der Leiter und rutschte ein bisschen vor. Ganz vorsichtig. Ich war noch nie eine Leiter runter gefallen. Ich wusste, wie man diese richtig runterging. Alles kein Problem. Tief durchatmend, legte ich die Hände an die Seitenstangen und ging Schritt für Schritt schließlich wieder hinab, nachdem ich mich vorsichtig mit dem Oberkörper gedreht hatte, um die Häuserwand vor mir zu haben. Ich zählte die Stufen, das half mir ruhig zu bleiben und die Kontrolle zu halten. Als ich schließlich unten ankam, brach mir der Adrenalinschweiß aus. Ich musste mir mehrmals über den Nacken wischen, weil es nicht aufhören wollte. Holladiewaldfee. Genug Abenteuer, Alex. Tja, aber … was nun? Ich sollte zurückgehen. Ausgangslage. Da, wo ich herkam. Der Doktor würde mich sonst nie finden. Auf leisen Sohlen schlich ich den Weg zurück und endete schließlich wieder an der Hauptstraße, die abgesehen von Nebelschwaden und Laternengelb nichts mehr barg. Keine Menschenseele. Ich schluckte schwer. Wie wahrscheinlich war es, dass sich hier ein Serienmörder aufhielt? Aber … wo genau war ich? Anhand eines Straßenschildes erkannte ich, dass es eben nicht die Hauptstraße war, welche zur U-Bahn Station Aldsgate East führte. Hatte ich mich doch verlaufen? War ich irgendwo abgebogen? Nur die Ruhe. Ich ging weiter, immer dort entlang, wo ich glaubte, dass ich hergekommen bin. Verdammter Mist. Irgendwo hatte ich einen anderen Weg eingeschlagen und rückblickend konnte ich nicht mehr rekonstruieren, welcher es war. Stehenbleiben wollte ich aber auch nicht. Weitergehend kam ich an einer Reihe maroder Häuser dabei. Aus einer Seitengasse hörte ich das laute Stöhnen eines Mannes, untersetzt von dem eher höher gelegenen Tönen einer Frau. Super. Whitechapel, wie es leibt und lebte und ich mittendrin. Je weiter ich ging, desto gruseliger wurde es mir. Aus der Ferne kam mir eine Gestalt entgegen, die mich automatisch an die Häuserwand drücken ließ. Es stellte sich heraus, dass sich derjenige im Mantel gar nichts aus mir machte, sondern nur stur seinen Weg ging. Die Angst machte mich paranoid. Oder vielmehr die Aussicht auf das, was mir blühen konnte, wenn ich dem Falschen in die Hände geriet. Ich erreichte einen kleinen Platz, wo sich Bänke befanden und genehmigte mir eine kurze Rast. Das war so nicht geplant gewesen. Kein Stück. Ich spürte, wie sich mir vor Überforderung die Tränen in den Augen sammelten und hervorbrechen wollten, also kniff ich diese heftig zusammen und sog scharf die Luft ein. Heulen brachte doch auch nichts! Ich hatte mich verlaufen, hatte die Polizei nicht mal im Nacken und vom Doktor war auch weit und breit keine Spur zu sehen. Wir hatten uns natürlich keinen festen Punkt ausmachen können, weil er nicht wissen konnte, wo sie mich positionieren würden, aber zumindest war der Radius einschränkbar gewesen. Jetzt hingegen könnte er mich in ganz Ost-London suchen … „Entschuldigen Sie Miss, geht es Ihnen gut? Haben Sie sich verlaufen?“ Ich erschrak, als ich eine unbekannte Stimme hinter mir vernahm und vermied es, mich umzudrehen. Nur minimal drehte ich den Kopf, bis ich Umrisse erkennen konnte. Ein Mann in strammer Uniform? Nein, aber … so was Ähnliches? War er von der Polizei? „Sind Sie … Constable?“, hakte ich leise nach, um das Zittern zu unterdrücken. „Ich? Constable?“ Der Fremde lachte. Es klang sympathisch und warm, „Nein, dafür habe ich keine Talente.“ Ich fragte mich, was er genau damit meinte, ließ es aber bleiben. „Ich kam nur des Weges und sah Sie hier allein stehen. Normalerweise sind Damen zu später Stunde in Begleitung.“ „Ich denke, da irren Sie sich“, warf ich nun sogleich scharf zurückweisend ein, bevor er noch weitere Schlüsse zog. „Oh, doch nicht solche Begleitung!“, hob er die Hände beschwichtigend, „Ich meinte, Begleitung zu Ihrer Sicherheit. Es ist in den letzten Wochen nicht gerade ruhig gewesen.“ Meine Schultern senkten sich wieder ein wenig. Na immerhin sah er mich nicht auch gleich als Opfer seiner Begierde an … Der Mann kam ein bisschen näher. Nun erkannte ich auch, dass sein Mantel einfach nur eng anlag und er ansonsten ganz normal gekleidet war und eine Melone als Kopfbedeckung trug. Blonde Haare traten darunter hervor und seine Gesichtszüge wirkten glatt. Regelrecht jung. Vielleicht mein Alter? Das Lächeln war genauso herzerwärmend wie allein schon der Ton seines Lachens und mich blickten ein Paar strahlend blaue Augen an. Er war keineswegs mein Typ, aber hätte ich eine Freundin zum Verkuppeln gehabt, wäre er mir eindeutig ein potenzieller Kandidat gewesen. „Wäre es Ihnen genehm, wenn ich Sie geleite? Wo möchten Sie hin? Die nächste Polizeistation, dass Sie einen Anruf tätigen lassen können? Ich bin mir sicher, die werten Beamten können Sie auch direkt eskortieren.“ „D-Danke. Das … ist eine ganz gute Idee?“, entgegnete ich, behielt es aber vor, einen gewissen Sicherheitsabstand zwischen uns aufzubauen. So nett er auch schien, war mir sein Auftauchen nicht geheuer. Wie auch, zu jener späten Stunde? Wir schritten durch die Londoner Nacht, wortlos. Nach Smalltalk war mir gewiss nicht mehr. „Dürfte ich Ihnen eine etwas indiskrete Frage stellen?“, begann er da mit einem Mal, so dass ich irritiert aufschaute. „Ehm … es kommt drauf an?“ „Sie … sind doch diejenige, die das Extrablatt mit ihrer Schönheit behelligte, oder irre ich mich?“ „Nein … Sie irren sich nicht.“ „Wie war Ihr Name? Miss Gartner?“ „Ja...“ Ein Lächeln zog sich über seine Lippen. Er legte die Hände auf den Rücken, während wir weiterliefen. „Ich war ehrlich überrascht, dass die Polizei einen so offenen Bericht verfassen. Das ist doch geradezu eine Einladung an Jack the Ripper, finden Sie nicht?“ Mir wurde unwohler, wenn ich auch nur an das aufgesetzte Interview dachte. „Wer war der Gentleman neben Ihnen? Ihr Gatte?“ Ich schüttelte leicht den Kopf. „Ein… Unbeteiligter, der zufällig auf dem Foto erschien. Er hat damit nichts zu tun.“ Es wäre besser, wenn der Doktor nicht zu viel Beachtung fand. Immerhin ging es in dem Zeitungsblatt auch nur um mich und die Dinge, die ich gesehen hatte. Dummerweise hatte der Fotograf aber natürlich diese Szenerie mit Lestrade und uns festgehalten – ein freundlicher Reminder dessen, was uns der Ermittler aufgedrückt hatte. „Ich verstehe.“ „Ich wollte auch nicht, dass es in der Zeitung veröffentlicht wird“, gestand ich dann, was keine Lüge war, „Allerdings hat die Polizei es als ratsam erachtet. Sie wollten dem Ripper vermutlich Angst einjagen.“ „Denken Sie denn, dass dies möglich ist?“ „Ich weiß es nicht. Ich kenne ihn nicht.“ „In meinen Augen ist Jack the Ripper mehr als nur ein Serienmörder. Er ist ein Genie. Natürlich nicht auf die üblich legitime Art und Weise. Aber Sie müssen zugeben, dass er die Polizei Englands mit einen Methoden und Briefen ziemlich auf Trab hält. Dass seine Verbrechen selbst andere Länder erreichen.“ „Mag sein“, hob ich die Schultern, „Ein Genie seines Fachs ohne Zweifel. Aber Genies sollten uns keine Angst machen.“ Mein Gegenüber blickte überrascht drein über diese Aussage. Er bat mich, mich näher zu erklären. „Ich meine … Ein Genie ist jemand, der außerordentliches Wissen besitzt oder weiß, Außerordentliches zu bewirken. Ein enormer Gewinn für uns alle.“ „Meinen Sie denn, dass er sich etwas bei seinen Morden denkt?“ Ich atmete tief durch und presste die Lippen aufeinander. Ich wollte nicht länger darüber reden. Und ich wollte auch nicht weiter die Nähe dieses Unbekannten wissen. Mir gefiel es nicht, wie er sprach. Ich traute es mich nicht, ihm vorzulegen, aber wenn wir weiter sprächen, würde seine Idealisierung eines Psychopathen nur noch mehr zu tragen kommen. „In Anbetracht meiner Aussage, die Sie wohl gelesen haben, sollte es Sie nicht verwundern, wenn ich über die Geschehnisse nicht weiter sprechen möchte“, wies ich ihn somit neutral aber klar verständlich ab. „Oh natürlich. Sie sind ja Augenzeugin.“ Die Betonung des letzten Wortes überhörte ich nicht. Dennoch tat ich so als ob und schritt nun ein bisschen schneller und mit längeren Schritten voran. Die Umgebung, die wir erreichten, kam mir bekannt vor. Es war die Hauptstraße, welche zur Station führte. Er hatte nicht gelogen, aber Intuition log nicht und meine sagte mir, dass ich Schaden erleiden könnte, würde ich unsere Konversation weiter aushalten. „Stehen bleiben und keine Bewegung!“, rief es plötzlich wenige Meter vor uns. Im Nebeldunst sah ich drei uniformierte Polizisten stehen, von denen zwei mit Waffen auf uns zielten. Nein, nicht auf mich – auf meine Begleitung. Ich sagte ja: Intuition log nicht. „Gentlemen, ich habe die Dame nur begleitet. Sie hatte sich verlaufen.“ „Das ist wahr“, stimmte ich zu und machte einen weiteren Schritt zur Seite, etwas weg von dem Jüngling neben mir. „Gehen Sie von ihr weg!“, wurde der Blonde aufgefordert und er hob sogar verspielt beide Hände auf Kopfhöhe, als er Folge leistete, „Weiter weg!“ Nun blieb er jedoch stehen und ich sah irritiert in seine Richtung. Auf den Lippen lag immer noch ein Lächeln, welches jetzt allerdings weitaus zynischer, nein, überheblich wirkte. Er schaute auf die Polizei herab. „Es war mir eine Freude, mich mit Ihnen unterhalten zu können, Miss Gartner“, wandte er sich dann klar an mich und schaute mir in die Augen, „Zu gerne hätte ich unsere kleine Diskussion fortgeführt. Ich bin mir sicher, dass ich Sie von meinen Ansichten hätte überzeugen können.“ Es lief mir bei seinen Worten kalt den Rücken runter. Vor der Polizei würde er keine eindeutigen Bemerkungen fallen lassen, aber bei mir kam die Botschaft an. Er war es. Er war der Ripper. Wriiiwrooowriiiwrooowriiiwrooo. Zwischen uns flackerte im Dunst der Nacht etwas Blaues auf. Die kleine helle Leuchte ganz oben drang durch die Nebelschwaden und verschwand genauso schnell, wie sie wieder kam. Dreimal, dann viermal. Die quietschende Tür wurde aufgestoßen, als sich die blaue Box materialisiert hatte und der Doktor kam zum Vorschein, mir seinen Arm und damit seine Hand entgegenzustrecken, „Alexandra, kommen Sie!!“, rief er angespannt und obwohl mich meine Furcht bis eben fest an den Londoner Pflastersteinboden gefesselt hatte, schienen diese Ketten nun von mir abzufallen. Ich lief so schnell ich konnte, die drei Meter vor, ergriff seine Hand und musste dann gar mehr nur einen großen Schritt machen, da er mich bereits in das Innere der TARDIS zog. „Hey!“, erklang der Ruf der Polizei, aber zu spät – der Doktor war bereits am Schaltpult zugange und auch, wenn wir uns nicht gleich dematerialisierten, konnte ich mit einem Blick nach draußen und dem Ruckeln unseres Gefährts sichergehen, dass wir abhoben und den Grund verließen. Ein letzter Augenaufschlag, der mir verriet, dass der Ripper die Gelegenheit des überraschenden Auftretens des Doktors nutzte, um selbst in entgegengesetzter Richtung zu flüchten. Ein letzter Augenaufschlag, der die vernebelte nächtliche Straße Londons genau zu dem werden ließ: eine einzige Nebelfalle. Dann schloss ich langsam und leise die Tür. Sicherheit. Ich blieb noch einen Moment an jener gelehnt und musste für mich erst einmal verdauen, wer mir gerade begegnet war. „Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“, erkundigte sich der Timelord aus der Ferne da ernster Stimmlage, konnte seine Aufgabe aber noch nicht als beendet sehen, denn jetzt, wo wir in der Luft waren, müsste er uns wohl als nächstes aus der Atmosphäre schleusen oder so ähnlich. Keine Ahnung. „Ja“, antwortete ich etwas zu leise und dann erneut, „Ja … es … geht mir gut.“ Die Stille, die aufkam, begrüßte ich. Sie ließ mir die Zeit, die ich brauchte, um mich selbst wieder runter zu bringen. Mein Gehirn wollte nicht verarbeiten, dass ich gerade dem Serienmörder gegenübergestanden hatte, welcher auch heute noch Rätsel aufwarf. Und vor allem wollte es nicht die was-wäre-wenn Szenarien verarbeiten, wäre der Doktor nicht aufgetaucht. „Wie haben Sie mich gefunden?“, wollte ich daher als erstes wissen, denn das erschloss sich mir nicht. „Ich war in der Nähe. Sie hingegen nicht. Scotland Yard hatte Sie aus den Augen verloren und im Grunde war die Chance gering, Sie zu entdecken.“, sprach er immer noch konzentriert auf sein Lenken und Steuern der TARDIS und blickte erst bei den folgenden Worten zu mir auf: „Um ehrlich zu sein, war es Glück.“ Das munterte mich nicht gerade auf. „Ich hatte die TARDIS gerade aus der Werkstatt geschleust und bin dabei über jemanden gestolpert, den Sie anscheinend sehr verärgert haben. Angetrunkener Mann mit Zylinder. Fluchte über eine Deutsche, die sich zu fein wäre.“ „Sie nahmen an, dass ich das war?“ „Er fluchte über Ihr schlechtes Englisch und darüber, dass Sie keine Ahnung von Geld hätten. Und über Ihren hochgeschlossenen bordeauxfarbenen Gehrock.“ Okay, das war eindeutig. Bis in eine Sache: „So schlecht ist mein Englisch nicht.“ Der Doktor hob skeptisch die Augenbrauen, was mich straucheln ließ, „… Ist es wirklich so schlimm?“ „Ich habe schon Schlimmeres erlebt.“ Ich verdrehte die Augen. „Jedenfalls habe ich seinen Weg zurückverfolgt.“ „Wie?“ „Fährtenlesen. Ich muss es noch ein bisschen modifizieren, aber mittels fluroszierenden Nano-Quatäre, welche sich an die durch Reibung und Haftung entstandenen und hinterbliebenen Spuren haften. Durch Ultraschall werden sie zusammengedrängt und somit für das menschliche Auge sichtbar.“ Was auch immer Quatäre waren, klang das extrem cool. „Sagen Sie mir lieber, was schiefgegangen ist? Lestrade hatte doch einen guten Plan?“ Den Sarkasmus konnte er hierbei nicht verstecken. Ich seufzte leise und trat näher heran, damit ich nicht so laut sprechen musste. „Dieser Mann, den Sie getroffen haben… Er hatte mich einladen wollen und es stellte sich für mich klar raus, dass er nicht der Ripper ist. Also bin ich weggerannt, als ich noch konnte. Ich bin sogar auf ein Dach gekraxelt, damit er mich nicht findet.“ Die Miene des Doktors wurde fast schon anerkennend, als er die Unterlippe vorschob und den Kopf zur Seite wog: „Wie kamen Sie auf diese Idee?“ „Videospiele. Fragen Sie nicht. Na ja, und als ich zurückgehen wollte, habe ich mich wirklich verlaufen. Ich wusste den Weg nicht mehr. Es war alles zu neblig und ich habe nicht auf Straßen geachtet.“ „Und dann sind Sie ihm begegnet?“ Es erschauerte mich ein weiteres Mal und ich stand nun direkt an der Abstütze beim Pult gelehnt, nickte nur. „Sie hatten ziemliches Glück.“ „Ich glaube… Er hat mich getestet. Ob ich wirklich etwas weiß.“ „Und als ihm klar wurde, dass Sie rein gar nichts gesehen hatten und der Artikel in der Zeitung nur erlogen war, waren Sie für ihn uninteressant“, schlussfolgerte der Doktor, wobei es sich für mich eher nach vorher bereits klaren Fakten anhörte. „Ich denke nicht, dass die Polizei sein Gesicht gesehen hat.“ „Selbst wenn, wäre er kein Verdächtiger am heutigen Abend. Es war für ihn nur eine weitere Genugtuung, dass er weiterhin unter den Londonern verweilen und sich mit ihnen unterhalten kann, ohne dass man ihn verdächtigt.“ „Er ist ein Narzist“, warf ich dann die Beschuldigung vor, die ich am liebsten dem eigentlichen Mann entgegengebrettert hätte, „Ein absoluter Narzist und Psychopath.“ „Wundert Sie das?“ „Nein. Es … war nur gruselig, dass ich mich dessen selbst überzeugen konnte.“ Wieder erklang nun das bekannte Wriiiwrooo der TARDIS und ich wusste, dass wir uns nun von London verabschiedet hatten. Der Doktor ließ den letzten Hebel langsam los und kam auf mich zu. Vielleicht wirkte ich doch ein bisschen verstörter, als ich zugeben wollte. Ich spürte seinen forschenden Blick auf mir liegen, dass er mich beobachtete. „Ich bin froh, dass Ihnen nichts passiert ist“, sagte er dann leise und ließ mich, immer noch schuldbewusst dessen, dass wir dank mir überhaupt erst in diese Misere geraten sind, zu ihm aufsehen. „Wenn ich jemals eine Dankesrede halten muss, seien Sie sicher, dass diese vor allem an Sie gerichtet sein wird.“ Wir mussten uns beide ein bisschen anlächeln, als er dann einmal durchatmete und sein üblich euphorisches Selbst aufsetzte. „Ich schlage vor, Sie ruhen sich jetzt etwas aus, dann gibt es ein Essen und im Anschluss werde ich Sie nach Parwanaqee bringen. Einer der schönsten Orte der Galaxie. Mögen Sie Schmetterlinge?“ „S-Schon, ja?“, antwortete ich etwas überrumpelt. „Sehr gut. Sie werden Parwanaqee lieben!“, versprach er mit seinem charmantesten Lächeln, welches er zu bieten hatte. „Ich dachte … Sie wollten mich nach Hause bringen?“ „Natürlich“, stimmte er zu, schien aber nicht minder begeistert als noch gerade eben, „Allerdings nicht mit Ihren jetzigen schweren Gedanken. Wenn Sie erst einmal auf Parawanaqee sind und die köstlichen Oblagata probiert haben, werden Sie sowieso gar nicht so schnell wieder weg wollen!“ Ich schenkte ihm ein kleines Lächeln, nickte, um ihm mein Einverständnis zu zeigen und begann dann den Gehrock endlich abzulegen. Auf dem Weg zum Kleiderschrank der TARDIS, streckte ich mich ein wenig, ließ meine Knochen knacken und die Schultern kreisen. Das war einfach zu viel der Aufregung gewesen. So viel, dass ich nicht einmal fragte bzw. wissen wollte, was der Doktor mit Essen meinte. Ein Dinner? Ein richtiges Abendessen? Es war mitten in der Nacht und ich hatte im Grunde nicht viel Hunger. Nein, eigentlich hatte ich gar keinen Hunger. Ich legte den Gehrock dorthin zurück, wo ich ihn hergenommen hatte und trat dann in mein Zimmer ein. Ich ließ mich aufs Bett nieder, griff zum Tagebuch und wollte ein paar Zeilen verfassen. Etwas, was diese ganze abstruse Situation zusammenführen konnte, aber mir fiel nichts ein. Ich starrte einfach nur auf die leere linierte Doppelseite, während ich den Stift in der rechten Hand hielt. Meine Augen wurden schwerer, ich spürte die Müdigkeit durch meinen Körper ziehen. Alles kam mir mit einem Mal so schwer vor. Selbst der doch eigentlich so leichte Tintenroller. Ich ließ mich aufs Bett in ganzer Körperlänge nieder und gab dieser Erschöpfung nach, die mich vollkommen übermannen wollte. Und dann schlief ich ein … und schlief …   Und hatte böse Träume. Ich war in den letzten Jahren zu jemanden geworden, der Geschehenes intensiv in seinem Schlaf durchlebte und noch einmal aufzuarbeiten wusste. Die Bilder vermischten sich dieses Mal extrem: Erst stand ich in London und wurde Zeuge der Entführung einer Freundin. Dann war ich irgendwo mit dem Doktor im All und wir schauten auf zuckerwatteflauschige Planeten nieder, deren Bewohner Schafe waren, die mich stark an meine Kreationen auf Papier erinnerten. Einmal umgedreht und auf dem Planeten gelandet, war ich wieder zu Hause und musste mir Vorwürfe anhören, dass ich mich so lange nicht gemeldet hatte. Meine ganze Wohnung war eingestaubt und war mit Polizeiabsperrbändern versehen. Als ich eintrat – alleine, ohne Schafe, ohne Doktor – befand ich mich in einer Szene meiner neuen Lieblings-Krimiserie Elementary wieder und war Diejenige, welche die Leiche ihres Freundes entdeckte … und ich wachte auf. Ich hörte meine eigene Stimme in meinen Ohren schallen. Hatte ich geschrien? Normalerweise redete ich nicht einmal im Schlaf, aber so schreckhaft, wie ich mich fühlte und so kalt wie sich meine Hände anfühlten, mein Körperstamm stattdessen heiß gelaufen und mein Puls rasend, war ich mir nicht so sicher. „Sie sind wach?!“ Der Doktor. Ich fuhr noch erschrockener zusammen und bemerkte da auch erst, dass er an meiner Seite war und gerade seine Hand von meiner Schulter zurückzog. In seinen Augen lag Sorge, aber auch Verwirrung. Hatte ich geschrien? „J-Ja. Ja, ich bin wach“, murmelte ich und musste den großen Kloß runterschlucken, welcher sich gerade in meinem Hals gebildet hatte. Ich fasste mir an die Kehle. Alles in Ordnung. Ich war in der TARDIS. Das war nur ein Traum. „Ich … hab nur geträumt“, erklärte ich dem Timelord mit dem wirren braunen Haar und rieb mir schließlich mit beiden Händen über die Augen. Gott, was war das bitte gewesen? „Geht es Ihnen gut?“, fragte er wieder, ebenso leise. „Ja“, setzte ich ein Lächeln auf und sah ihm entgegen, „Sie machen mir eher ein bisschen Sorge, wenn Sie so ernst sind.“ Einer meiner vermeintlichen Versuche, die Situation aufzulockern und damit auch abzulenken. „Ich habe nur schlecht geträumt.“ „Sie haben geschrien, kommt das öfter vor?“ „Nein, das war Premiere“, antwortete ich immer noch recht locker und schaute dann auf den Tagesdeckenüberzug oder besser: wollte es. Denn da fiel mir etwas anderes auf, das der Doktor in der Hand hielt. Das Buch kam mir sehr bekannt vor. Mein Mund öffnete sich vor Empörung und ich riss es ihm regelrecht aus der Hand, der er sich nun auf der Bettkante niedergelassen hatte. „Wieso haben Sie darin gelesen?“, setzte ich sogleich nicht wenig verärgert nach. Mit Recht. Immerhin waren das meine persönlichen, ganz privaten, Gedanken. „Es lag offen und ich wusste nicht, dass es Ihr Privateigentum ist!“, verteidigte er sich. „Sie haben doch meine Handschrift erkannt, als sie reingeschaut haben.“ „Ich kenne Ihre Handschrift nicht und da war es dann ja auch schon geschehen!“ Wir schwiegen uns an. Stimmte ja schon irgendwie. „Ich hatte es ihnen eigentlich nur unter dem Kopf wegnehmen wollen, als ich Sie zum Essen abholen wollte. Sie hatten nicht geantwortet, als ich Sie von draußen rief.“ Klang schlüssig. Trotzdem. Ich klappte das Buch zu und hielt es mir fest an die Brust gepresst, weiterhin nichts sagend. Der Doktor wartete einen Moment, entschloss sich dann aber aufzustehen und ich kam mir ziemlich dumm vor, so eingeschnappt zu sein. Verletzt, weil nur jemand das gesehen hatte, was ich so nicht auszusprechen wagte. „Doktor-“ „Lassen Sie die Stimmen in Ihren Kopf nicht zu laut werden“, unterbrach er mich, fast schon ermahnend streng, „Sie sind ein Mensch, keine Maschine. Und Sie sind hier alleine mit mir unterwegs von Planet zu Planet. Haben niemanden Ihresgleichen zu reden. Müssen viel mit sich selbst ausmachen. Das überschreitet im Normalfall die Belastungsgrenze von dem, was ihr hinnehmen könnt. Es hätte mich also gewundert, wenn Sie keine Albträume hätten.“ Ich wollte fragen, ob es den anderen Begleitern des Doktors auch so ergangen war. Ob er es vielleicht ebenso kannte, aber ich erinnerte mich an unser Kutschengespräch und ließ es somit lieber. Stattdessen tat ich etwas anderes - für mich Ungewöhnliches: Ich bat ihn zu bleiben und mir zuzuhören. Als er an gleicher Stelle stehenblieb, deutete ich auf Bettkule, wo er bis eben noch gesessen hatte. Und dann erzählte ich ihm stockend von den Träumen. Die Einzelheiten. Erzählte auch, was ich glaubte, daraus zu schließen: meine Furcht, nicht mehr zurückzukommen. Dass dies nichts mit ihm zu tun hatte, der mir versprochen hatte, dass es wieder heimwärts ginge, sondern nur mit diesen typischen blöden Urängsten, die wir Menschen besaßen. Die Verlustangst und, und, und … Der Doktor hörte mir geduldig zu, ließ mich ausreden. Ich vermied den Blickkontakt, weil ich in seinen Augen Mitgefühl ablesen konnte und das ertrug ich gerade nicht. Dennoch ließ ich es zu, dass nachdem ich geendet war, er behutsam seine Arme um mich legte und mich tröstete. Gleichzeitig gab er mir die Möglichkeit, dann doch zum ersten Mal seit dem ganzen Tohuwabohu loszulassen. Ich hielt meine Lippen fest gegen seine Schulter gepresst, als ich die Umarmung erwiderte. Mir kamen die Tränen. Diese stumm zulassend, entschuldigte mich im Stillen für die Flecken, die auf seinem Jackett entstanden. Irgendwann, weil mein Körper doch ein klein wenig mehr bebte als ich wollte, wurde ich sanft von einer Seite zur anderen gewiegt. Das war kein Akt aus Liebe, wie man ihn uns hätte unterstellen können. Es war nur genau das, was ein jeder tun würde, wenn er auch nur ein bisschen Empathie empfand und die Komplexität der Gefühle zu einem Bruchteil verstand. Wenn man ein Herz hatte und empfänglich war für das Leid der anderen. Wir saßen noch eine ganze Weile so da. Vergessen war die Sache mit dem Tagebuch oder der sich selbst zu übertrumpfen wissende Albtraum. Vorbei. Kapitel 11: Home, sweet home ---------------------------- Nur eine Viertelstunde später saßen wir an einem gedeckten Tisch. Richtige Stühle, richtiges Geschirr, so wie ich es kannte. Ich war verwundert, aber nicht abgeneigt. Denn nach all dem Hin und Her schien mein Körper doch nach Nahrung zu schreien. So knurrte mein Magen munter daher, als ich die kleinen Köstlichkeiten sah: ein Brotkorb mit Leckereien meines Planeten, der Erde. Ein kleiner tiefer Teller mit einer klaren Gemüsebrühe und bereits vorbereitet eine Schüssel mit Pasta und eine weitere mit einer Sauce, die vermutlich Bolognese war. Kein fünf Sterne-Menü, aber das brauchte ich auch nicht. Weder hier, noch zu Hause. Wenn der Doktor das Funkeln in meinen Augen nicht bemerkte, müsste ich ihn als blind einschätzen. Trotzdem erschloss es sich mir nicht, wie diese ganzen Sachen auf den Tisch gekommen sind? Genau diese Frage stellte ich ihm auch und wie nicht anders zu erwarten, tat er alles, nur nicht mit der Lösung herausrücken: „Ich kann Ihnen nicht alle Tricks verraten.“ „Dann verraten Sie mir doch zumindest, was Sie sonst essen? Das sind alles Dinge, die ich bei mir bekommen würde.“ „Alles, nur keine Birnen.“ Das war auch wieder keine Antwort, aber sie ließ mich schmunzeln, als ich in den Brotkorb griff. „Keine Birnen also … da sind wir uns ähnlich. Ich mag die Teile auch nicht“, erzählte ich, „Und sonst? Sie müssen doch essen, oder?“ „Unsere Nahrung sieht anders aus als die von Ihren Mitbewohnern. Kleiner, weniger … aufwendig aufzufahren.“ Konnte ich da gerade etwas Missfallen heraushören? „Sie werden doch wohl kaum irgendwo eine Maschine haben, die Ihnen auf Knopfdruck alles ausspuckt, was Sie wollen? Sagen Sie mir nicht, dass Sie genauso wenig essen wie schlafen müssen.“ Langsam war es aber auch echt zu viel mit diesen Gallifreyanern! „Ich verrate Ihnen noch etwas“, zogen sich die Mundwinkel des Doktors nach oben und kleine Fältchen bildeten sich an seinen Augenrändern, „Ein ungemein großer Vorteil gegenüber Ihrer Spezies: Wir müssen uns nicht die Zähne putzen.“ Das war für mich wie ein Schlag in die Fr... in den Magen. Ich ließ das Brotstück auf den Unterteller des Suppentellers fallen und blickte ihn beleidigt an. Zähne. Meine ewige Baustelle. Ich beneidete jeden, der keine Probleme mit diesen hatte – oder zumindest mit ein-, zweimal zum Zahnarztgehen auskam. Ich hingegen hatte mir schon eine VIP-Karte verdient. „Ich hasse Sie“, entfuhr es mir, so dass der Doktor nun einen verdrießlichen Gesichtsausdruck aufsetzte, „So ein starkes Verb aus Ihren Mund?“, entrüstete er sich gespielt, „Ich bin enttäuscht.“ „Sie können sich regenerieren und Ihre Zähne sind vor Zerfall geschützt. Klasse. Das wünscht sich jeder.“ „Aber seien Sie unbesorgt“, nahm er nun einen Löffel von der Suppe. Es war seltsam, ihn tatsächlich essen zu sehen. Vermutlich tat er dies nur, wenn er es wollte. „Ich putze mir dennoch gerne die Zähne. Der Pfefferminzanteil prickelt außerordentlich auf der Zunge.“ Ich konnte nur den Kopf schütteln und mit den Augen rollen. War ja fast schon wie mein Freund. Der putzte sich vermutlich auch nur deswegen so oft die Beißerchen. „Ich könnte das 24 Stunden tun und es würde nichts ändern.“ „Alles eine Sache der Gene.“ „Ja, und meine sind dahingehend schlecht.“ Wir redeten über dies und jenes,während wir den Hauptgang begannen und dann zum Dessert übergingen. Am liebsten hätte ich letzteren abgelehnt – ich war satt. Aber Schokolade ging leider immer. Vor allem Schokopudding. … Ob die TARDIS mit meiner Ankunft nicht zufälligerweise auch einen kompletten Check meiner Präferenzen und Abneigungen durchgeführt hatte? Das waren alles Dinge, die ich gewiss nicht verschmähen würde. „So, dann wollen wir mal“, verkündete der Doktor, nachdem wir geendet hatten. Er erhob sich und begann abzuräumen. Auch wenn ich nicht wusste, wo und wie die Küche ausgestattet war, tat ich es ihm gleich und gemeinsam hatten wir kurzerhand sämtliches Geschirr in einen Nebenraum gebracht und… in eine Spülmaschine gestellt? Vielleicht. Ich hinterfragte nicht, sondern verließ mich da auf ihn. Der Doktor drückte zwei, drei Knöpfe an der Maschine und schon waren wir fertig. „Wir sind bei Parawanaqee stehengeblieben. Wie ich schon sagte: Sie werden es lieben!“, versprach er mir auf dem Weg zurück mit einem regelrechten Strahlen im Gesicht. „Sie tun es anscheinend?“ „Oh, ich kann es recht gut leiden, ja!“ „Nein, sie lieben es.“ Das konnte er ruhig zugeben, aber stattdessen schwieg sich der Doktor aus und als wir die kleine Steuerzentrale erreichten, machte er sich sofort an die Koordinatenarbeit, was unser neues Ziel betraf. Es ging weitaus schneller als sonst und ich sah ihn fragend an. „Ich habe mir erlaubt, bereits Vorarbeit zu leisten, als Sie schliefen“, erklärte er auf meine Verwirrung, „Wir sollten also alsbald ankommen.“ Meinetwegen. Ich hatte nichts gegen eine beschleunigte Reise. Zwar vertrug ich diese Flüge, wenn man es so wollte, mit jedem Mal etwas besser, aber ganz wohl würde mir wohl nie werden.     * * *   „Achtung, es kann sein, dass Sie etwas leichtfüßig sind! Das liegt an der verminderten Schwerkraft des Planeten.“ „Fliegen werde ich aber nicht können, oder?“, spaßte ich und war im Inneren schon ehrlich ein bisschen aufgeregt, was mich denn nun als nächstes erwarten würde. Schmetterlingsähnliches Volk … das klang wirklich wunderschön. Anscheinend noch hübscher als die Libellenflügel der Radekaner? Der Doktor war der Erste, welcher die weiße Tür der TARDIS verließ und sogleich in recht dunkler Umgebung stand. Hatte er sich verparkt? „Hier stimmt was nicht“, hörte ich ihn murmeln und so zog mich meine Neugier erst recht nach draußen. Ich stand neben ihm und konnte nur gleiches denken: Nein, das war gewiss nicht der Planet, den er angepeilt hatte. Das war ein anderer. Ein mir bekannter.   Ich war zu Hause.   … Und stand im dunklen Kellerflur meines Wohnhauses. Verparkt hatte er sich also auch. „Doktor … Sie haben mich doch nach Hause gebracht?“ „Zumindest nicht geplant.“ Ich nickte und seufzte tonlos. Es hieß doch immer, dass der Doktor bestimmte, wohin es gehen sollte? Und nun… sponn sein Schiff und schenkte mir ein Rückfahrtticket? Das war irgendwie nicht fair. „Das ist seltsam“, murmelte er wieder und blickte zu seiner TARDIS auf, „Und nebenbei ist es hier ganz schön düster.“ Ich schritt ein paar Meter vor und betätigte den Lichtschalter an der Wand: „Weil kein Licht an ist und wir uns hier im Kellerverschlag befinden.“ „Oh natürlich. Das war es wohl.“ Ich wandte mich zur Tür und drückte die Klinke hinunter. Abgeschlossen. Natürlich. Also musste ich den Schlüssel aus meiner Umhängetasche nehmen, die ich mir für den Ausflug umgelegt hatte und wo alle wichtigen Habseligkeiten drin waren, welche ich nicht in der blauen Box liegen lassen wollte. Schnurstracks hatte ich uns rausgelotst und wir standen im eigentlichen Hausflur, in welchem ich ebenso den Lichtschalter betätigte. Draußen war Schmuddelwetter, so dass nicht allzu viel Licht hineinfiel, aber unter dem elektrischen war ich nun diejenige von uns beiden, die ein „seltsam“ auf den Lippen hatte. Etwas stimmte nicht und auch, wenn ich es mir im ersten Moment nicht denken konnte, so traf es mich im nächsten wie ein Blitz. „Was meinen Sie?“ „Der Hausflur“, deutete ich mit dem Zeigefinger durch die Gegend und drehte mich einmal um die eigene Achse, „Falsche Farbe. Falscher Boden. Falsches Licht.“ Der Doktor guckte mich nun erst recht fragend an. Es war zwar schön, ihn mal in dieser Position zu erleben, aber darauf konnte ich mich jetzt nicht konzentrieren. Ich lief in den hinteren Teil, wo das Treppenhaus mündete und konnte mich auch hier überzeugen: Falsche Treppengeländerfarbe. „Aber Sie hatten den Schlüssel?“ „Ja, schon, aber...“ Ich brach ab und ging nach rechts. Dort, wo meine Wohnung lag. Ich vermied es, auf Höhe des Guckspions zu stehen und trat so etwas seitlich. „Hier wohne ich nicht.“ Wieder deutete ich auf etwas. Diesmal war es das Türklingelschild. „Das ist nicht mein Name.“ Denn da stand ein anderer. Sellmann. „Ich glaube, wir sind im falschen Jahr.“ „Oh.“ Mehr konnte der Doktor nicht hervorbringen, als er auch schon seinen nachdenklich-skeptischen Blick aufsetzte, „Wir werden zwar zu Ihnen nach Hause geschickt, aber in ein vollkommen anderes Jahr?“ Anscheinend machte er sich jetzt doch ein bisschen Sorgen um seine TARDIS. „Ist so etwas schon öfter vorgekommen?“, wollte ich wissen und ging dann zurück in die kleine Vorhalle, zu den Briefkästen. „Nicht in dem Maß, was mit Ihrer Anwesenheit passiert“, gestand er ernst, „Welches Jahr haben wir?“ „Keine Ahnung?!“, hob ich nun empört, dass ich das auch noch wissen sollte, die Schultern an und verzog den Mund. „Schauen Sie auf Ihr Handy.“ „Hä? Wieso?“ „Die Datums- und Uhrzeiteinstellung erfolgt doch automatisch, sobald Sie sich in einem Funkbereich befinden, oder nicht?“ „Ja schon“, suchte ich in meiner Tasche nach meinem Smartphone, „Aber der Akku ist leer und- Oh.“ Nein, doch nicht leer. Voller Akku. Wie das? „Ich habe mir erlaubt, es ein bisschen zu modifizieren. Allerdings kam ich noch nicht dazu, es Ihnen zu sagen“, erklärte der Timelord. „Was haben Sie damit gemacht?“ „Nur ein paar notwendige Einstellungen, damit Sie eine ausreichende Kommunikationsweite haben.“ Und das war keine ausreichende Erklärung. Gerade war ich aber auch zu beschäftigt, das Smartphone zu entsperren. Ich betätigte den WLAN-Zugang. Theoretisch müsste ich hier Empfang haben, da ich das Internet von meinen Eltern bezog, deren Rooter und Passwort sich nie geändert hatten. Bingo. Internet. Das Smartphone, welches nach Datum und Uhrzeit schrie, zeigte mir nun ein automatisches Newsfeed an. 2011. Das passte zu dem Türschild. Ich sprach die Jahreszahl aus. „Sechs Jahre? Warum ausgerechnet sechs Jahre?“, wunderte sich der Doktor und blickte mit mir zusammen auf das Display. Da stellte sich dann auch der Rest ein und mit einem Mal hatte ich das komplette Datum vor Augen.   27. Oktober 2011. 11:34 Uhr.   Ich starrte das Display an. Ich hatte meine Antwort. Ich kannte den Tag und ich wusste, was heute war. Aber dennoch verstand ich nicht, warum ich ausgerechnet an diesen Tag hier sein musste. Warum mich die TARDIS zu diesem Zeitpunkt ablud und nicht irgendeinen anderen. „Gab es irgendwelche Ereignisse, irgendetwas, warum Sie hier sein sollten?“, fragte der Timelord wieder, doch konnte ich ihm keine Antwort geben. Seine Worte klangen fern und noch immer blickte ich auf die Handyoberfläche, welche nun in den Modus des Bildschirmschoners überging. Er sprach mich mit meinem Namen, wiederholt. Statt etwas zu sagen, öffnete ich die Haustür und griff in einen der Briefkastenschlitze. Auch hier war nur einer mit meinem Familiennamen vorhanden. Der Verdacht verhärtete sich, dass das Internet nicht log. Ich fischte ein wenig mit den Fingern herum. Wie ich diese Dinger hasste! Von innen bekam man die Post nicht raus und von außen kam man nicht an diese ran. Dann hatte ich allerdings, was ich suchte. Es war ein weißer Umschlag, sauber verklebt und vorne mit meinem Namen und meiner Adresse versehen. Gestempelt am gestrigen Tag. Ohne zu zögern, riss ich den Umschlag auf und holte die Karte heraus, die ich erwartete. Gerade wollte der Doktor ein weiteres Mal ansetzen, als ich nun die Sprache wiederfand: „Heute... ist mein 23. Geburtstag.“ „In Ordnung“, nickte er und begutachtete die kitschige Tiermotivkarte, die ich ihm vor Augen hielt, „Geburtstage sind für euch hier auf der Erde von Bedeutung. Aber warum-“ „Es ist auch der Tag, an dem ich… jemanden verlor.“ Kapitel 12: Haunted ------------------- Wir sahen einander einen Moment einfach nur in die Augen und schwiegen. Meine Antwort erklärte dem Doktor vermutlich rein gar nichts, aber für mich war es alles. Ich wusste, warum ich hier war. Ich wusste, was ich tun konnte. Was ich tun sollte. Glasklar lag die Lösung vor mir. Und selbst, wenn er sie nicht sehen konnte, so konnte er wohl anhand meiner Haltung, meiner Stimme und meines Gesichtsausdruckes erraten, was mir durch den Kopf ging. „Sie sind in Ihrer eigenen Vergangenheit gelandet“, sprach er langsam und bedächtig, irgendwo schon eindringlich, „Wenn Sie sich selbst hier begegnen… kann ich für nichts garantieren, was Ihr Leben betrifft.“ „Ich… will mich auch gewiss nicht sehen“, versicherte ich ihm und brach den Blickkontakt ab. „Es geht nicht nur darum, dass Sie sich selbst nicht treffen dürfen. Es betrifft auch alle Ereignisse des heutigen Tages.“ „Ja, das weiß ich. Ich mein nur … Ich weiß, warum es heute sein muss.“ „Wollen Sie mir diesen Grund dann vielleicht etwas besser erklären?“ Nun haderte ich. Ich traute mich nicht. Das ging mir etwas zu sehr ins Private. Ein bisschen zu sehr da hinein, wo ich eigentlich nicht wieder hinwollte. Da ich also nicht antwortete, entschloss sich der Doktor, mir die Entscheidung abzunehmen und nahm mich kurz und knapp an die Hand, zurück in den Keller. „Ich werde zusehen, dass wir wieder auf die richtige Zeitlinie kommen. Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie sich in den nächsten Minuten hier antreffen könnten? Oder irgendwen anderen, der Sie kennt?“ „Unwahrscheinlich. Hier sieht und hört niemand irgendwas“, antwortete ich leise und ließ mich in die TARDIS schleusen. Die Tür fiel hinter mir zu und verpasste mir einen merkwürdigen Stich in der Brust. Wie bestellt und nicht abgeholt im Eingang stehend, beobachtete den Doktor bei seinem Tun. Mein Kopf wandte sich über meine Schulter, blickte auf die feinen Streben zwischen den eingesetzten Glasscheiben in der Tür. Es juckte mir natürlich in den Fingern, nach draußen zu gehen. Es war eine Chance. Eine Möglichkeit. So sprach es in meinem Kopf und umso mehr hoffte ich gerade, dass die TARDIS einfach keinen Bock hatte, uns woanders hinzuführen. Dass wir einfach hierbleiben musste. Bitte, bitte, bitte. Versteht mich nicht falsch, ich bin kein Masochist, aber es gibt eine Sache, die mir bis heute schwer im Magen lag und mich bereuen ließ. Und dieser konnte ich nun eine Wendung geben, wenn man mich ließe. Der Doktor machte alles wie immer: Betätigte Hebel, drückte Knöpfe, das Wriiiwrooo erklang, aber nichts passierte. Kein Ruckeln. Kein Vibrieren. Kein Gefühl, dass wir uns fortbewegten. Einfach nur Stille. Er trat vom Steuerpult zurück, ging rasch an mir vorbei, steckte den Kopf raus und kam dann wieder zurück. „Immer noch hier. Was soll das?“ Er schaute auf. „Was ist los mit dir?“ Da war es: Er redete mit seiner Lady, als wäre er alleine im Raum. „Warum willst du nicht, dass wir von hier wegkommen?“ Es würde nichts passieren. Das hatte ich im Gefühl. Der Doktor drehte sich zu mir um und ich kam mir in meine Gedanken regelrecht ertappt vor, zuckte deswegen etwas zusammen. „Scheint, dass sich das Problem nicht so schnell beheben lässt. Vielleicht ist es einfach nur ein Getriebefehler. Nicht, dass Sie denken, eine TARDIS hätte einen Motor wie ein Automobil oder ein Flugzeug, damit kann man es nicht vergleichen. Die Bauweise ist eine vollkommen andere und Ihrer Technik um Jahrtausende voraus.“ Er warf mir noch weitere Erklärungen vor die Füße, aber ich hörte schon nicht mehr zu. Einzig der Fakt, dass wir hier feststeckten, war bei mir hängen geblieben. Danke. „Doktor“, sagte ich dann und überlegte mir meine nächsten Worte ganz genau, bevor ich sie aussprach, „Was ist, wenn sie gar nicht will, dass wir hier wegkommen? „Wie kommen Sie darauf?“ „Ich bin aus irgendeinem Grund doch auch in der TARDIS gelandet, oder? Warum sollte ich also nicht auch von ihr zu einem besonderen Zeitpunkt geschickt werden?“ „Das ist ausgeschlossen“, wandte der Doktor ein, „Die TARDIS hat ein Herz, ein gewisses Eigenleben, aber sie ist außerstande so etwas zu tun. Schon gar nicht, wenn Sie nur ein einfacher Mensch sind, ohne Timelord-Gene.“ „Und was mit dem Zimmer? Wie erklären Sie sich das?“ „Ich bin noch dabei.“ Ich hatte das Gefühl, er wollte einfach nicht, dass ich recht hätte. Dass es tatsächlich so sein könnte und wir hierbleiben müssten. Dennoch sagte ich dazu nichts weiter, sondern behielt es mir vor, ihn noch ein paar Minuten machen zu lassen. Meine Ungeduld war zwar schwer zu bändigen, aber ich versuchte es. Als allerdings sogar eine ganze Viertelstunde verging, hielt ich es nicht länger aus mich so zurückzunehmen. „Lassen Sie es gut sein und uns umsehen!“, bat ich ein wenig zu unwirsch und setzte ein ruhigeres „Bitte“ nach. Der Doktor war nicht gerade glücklich, dass ihm gerade die Hände gebunden waren, aber ihr wisst genauso gut wie ich, dass ein Stück seiner Neugier längst erwacht war und der Ursache auf den Grund gehen wollte, anstatt hier in der TARDIS zu versauern und zu hoffen. Er war ein Macher. „Sie kennen die Regeln“, lenkte er schließlich ein, „Unter keinen Umständen – und ich wiederhole aus gutem Grund – unter keinen Umständen dürfen Sie hier etwas an den Lauf der Dinge ändern.“ Er sah mich so eindringlich an wie einen Welpen, der nach wochenlangem Training immer noch nicht verstand, dass er nicht einfach in die Wohnung zu pinkeln hatte. Zurecht. Ich war wohl einer der schwierigsten Welpen, die man sich ins Haus holen konnte. „Es würde ein Paradoxon auslösen. Versprechen Sie mir, dass Sie nichts dergleichen vorhaben und tun werden.“ Er hatte jede einzelne Silbe des letzten Satzes mit seiner Stimme und dem Zeigefinger untermalt. Nach der letzten Misere allzu verständlich. „Ich verspreche es“, sprach ich, nachdem ich tief ein- und ausgeatmet hatte und sah ihm ernst in die Augen, „Diesmal… wirklich.“ Er nickte. Wir beide wussten, dass die menschlichen Gefühle nicht immer zu kontrollieren waren, aber ich würde mein Bestes geben, dass es nicht noch einmal zu solch einem Desaster käme. Dafür hatte ich auch keine Nerven, um ehrlich zu sein. Mir ging der Hintern zu sehr auf Glatteis. „Gut… Wo denken Sie, sollten wir anfangen? Wo ist die Wahrscheinlichkeit am geringsten, dass Sie sich selbst begegnen?“ „Überall. Ich bin an diesem Tag nicht unterwegs gewesen“, erklärte ich leise, nahm im selbigen Moment aber mein Smartphone wieder in die Hand und schaute aufs Display. 11:57 Uhr. Ich biss mir auf die Lippen. Schon. Nur noch knappe zweieinhalb Stunden. Die Stimme des Timelords holte mich aus meinen Gedanken zurück. Er hatte mich mehrfach beim Namen genannt. „W-was?“ „Das wüsste ich gerne von Ihnen?“, fragte er zurück und zog die Augenbrauen zusammen, „Sie scheinen seit vorhin in Eile.“ „Bin ich nicht“, murmelte ich wirsch. „Doch sind Sie“, widersprach er mir die Chance auf einen Einwand zu lassen, „So kurz angebunden habe ich Sie seit unserem Kennenlernen nicht erlebt.“ „Und wenn schon.“ Konnten wir nur nur bitte- „Sie sind total gereizt.“ „Können wir jetzt bitte aufhören, weiter von meinen Launen zu reden?“, rutschte es mir da heraus und ich biss mir sogleich auf die Zunge. Ups. „Wenn Sie die Muße haben, mich einzuweihen, was mit Ihnen los ist?“ Ich Timelord, du Mensch. Betreten sah ich zu Boden, „Kann ich… Ihnen das unterwegs erklären? Bitte… die Zeit drängt.“ Wir mussten nicht fliehen und wir mussten nicht wegrennen. Bis auf die Paradoxon-Geschichte gab es keinen Grund, übervorsichtig sein zu müssen. Keine Aliens, keine Bedrohung. Nur wir, hier mit der TARDIS in unserem Kellerraum. Und genau deswegen wollte ich so schnell wie möglich aufbrechen. Weil jede Sekunde so verdammt kostbar war.   * * *   „Ich verstehe nicht, wie Sie sich auf diese Busse verlassen können“, meckerte der Doktor, als wir in einem solchen gelben Fahrzeug standen und darauf warteten, aus dem Kreuzungsstau um die nächste Biege zu kommen, Richtung Bahnhof. „Man gewöhnt sich an alles“, murmelte ich zurück, war aber im Grunde nicht weniger genervt als er. Ich war schon erfreut genug, dass überhaupt ein Bus gekommen war. Normalerweise stand man sich die Beine in den Bauch. „Oh, an eure Sesshaftigkeit in festen Häusern mit Türen und Fenstern zu leben und euch freiwillig in solche Gefährte hier zu zwängen, werde ich mich nie gewöhnen.“ Wieder checkte ich die Zeit. 12:24 Uhr. Mann … „Sie sind ja eben auch kein Mensch.“ Ich konnte keinen Humor aufbringen, dafür war mir so auch überhaupt nicht zumute. Ich wollte nur fix zum Bahnhof. Und wenn ich aussteigen und die letzte Haltestelle laufen würde. Mir egal. „Aber wenn das so weitergeht, bin ich auch keiner mehr“, grummelte ich und blickte durch die Frontscheibe des Busses. Ah, da! Es ging wieder vorwärts. Mit einem Mal waren wir in Schwung und die letzten zwei Minuten fuhren wir flüssig die Hauptstraße entlang, immer parallel zum Park und schließlich mit Halt am Bahnhof. „Wir müssen uns beeilen!“, sprach ich und hastete dann schon los, „Sonst können wir gleich nochmal warten.“ Gemeinsam spurteten wir ein paar Meter und schließlich die Treppen hinauf, in denen mich der Doktor nun fast überholte, so schnell wie er zu Fuß war. Keine Sekunde zu früh, denn gemeinsam mit ein paar anderen Fahrgästen erwischten wir gerade so die S-Bahn, deren rotes Warnsignal an den Türen aufleuchtete, dass sich diese gleich schließen würden. „Kein Wunder, dass Sie so schnell sind“, sprach der Doktor schließlich, „Wenn Sie das jeden Tag machen.“ „Nicht mehr“, gestand ich verschnaufend und lehnte mich an die Seitenarmatur neben der Tür, „Die Fahrpläne sind vorverlegt worden. Keine Chance, die Bahn noch zu bekommen.“ Er nickte nur und sah mich erwartungsvoll an. Ich tat so, als würde ich es nicht merken und murmelte, dass wir eine Viertelstunde Fahrt vor uns hätten. Irgendwann musste ich aber reagieren, also warf ich geschickterweise eine Frage zurück und sah den Timelord dabei direkt in seine braunen Augen: „Sie waren anscheinend oft in London oder allgemein in Großbritannien unterwegs… aber waren Sie auch schon mal hier?“ „Zumindest nicht mit diesem Gesicht“, verzog der Doktor bei den Worten jenes, „Man kann sich auch nicht alles merken.“ „Dann sollte ich vielleicht mit Ihnen nachher eine Stadtführung machen?“ „Soll das eine Revanche sein?“ „So in etwa.“ „Sie versuchen jetzt zum wiederholten Male, meiner Frage auszuweichen. Das machen Sie nicht schlecht, aber das vergesse ich gewiss nicht“, tippte er sich an die Schläfe. Mission gescheitert. Ich atmete noch einmal tief durch und schaute dann hinaus, die vorbeiziehende Landschaft von Acker und ein paar Einzelhäusern betrachtend, die im regnerischen Grau lagen. „Ich… sagte vorhin, dass ich heute jemanden verlor… verlieren werde. Ich erhalte um 14.30 Uhr einen Anruf meiner Tante. Sie gratuliert mich und überbringt mir dann die Nachricht… dass meine Großmutter verstorben ist.“ „Deswegen überprüfen Sie auch ständig die Uhrzeit.“ „Ich … konnte mich damals nicht verabschieden“, wurde ich noch leiser und verschränkte die Arme vor der Brust, „Ich war damals selbst krank und deswegen habe ich an diesem Tag auch nicht das Haus verlassen.“ Der Doktor sog scharf die Luft ein, aber ich fuhr dazwischen, ehe er etwas erwähnen konnte, „Das… ist eine der wenigen Sachen, die ich bereue und… ich kann es ändern. Sie wird nichts mitbekommen.“ „Alexandra-“ „Sie kann nichts mitbekommen, weil sie im Koma liegt“, korrigierte ich und musste mir auf die Lippe beißen. Die Fakten auszusprechen und gleichzeitig diesen Moment noch nicht zu durchleben, war härter als ich angenommen hatte. „Das tut mir ehrlich leid“, wandte der Doktor ein. Ich wusste, dass er es ehrlich meinte. Ich erkannte es an seinem traurigen Unterton und hätte ich ihn angesehen, hätte ich wohl seinen mitfühlenden Blick erwidert. „Ihr Zustand hatte sich eine Woche vor heute stark verschlechtert. Deswegen wird sich auch nichts ändern, selbst wenn ich dort bin. Ist das Grauzone genug?“ Es gab für mich kein Nein in dieser Situation. Ich fühlte mich an die Episode mit Rose und ihren Vater erinnert. Der Schmerz über den Verlust und auch die Narbe, die ein solcher hinterließ und welche nie vollkommen verblassen würde. Narbengewebe war eben genau das: Narbengewerbe. Es war nicht wie die normale Haut, sondern konnte immer ein Problem darstellen, wenn man sich nicht richtig darum kümmerte. Ich für meinen Teil hatte erst vor zwei Jahren verstanden, dass ich das tun musste und seitdem war es mir besser gegangen. Bis dahin hätte ich nie gedacht, wie lange es brauchen könnte, mit dem Tod eines geliebten Menschen umgehen zu wissen. Nun aber, wo ich erneut in die Zeit zurückversetzt worden war, schien es mir, als hätte man die Wunde erneut brutal aufgerissen. Als hätte sich rein gar nichts geändert und als würde ich wieder am Anfang stehen.   Wir erreichten das Krankenhaus gegen 13.15 Uhr. Der Weg vom Bahnhof war nicht kompliziert, aber durchaus noch eine beträchtliche Strecke zu Fuß. Die kalte Oktoberluft brachte meinen Hals zum Kratzen und ich musste mich mehrmals räuspern. Einen Schal hatte ich nicht dabei. Daran hatte ich in der Eile nicht gedacht. Obwohl ich keine Jacke trug, fror ich allerdings nicht. Mir war innerlich verdammt heiß. Der Doktor sah sich neugierig um. Ich konnte es ihm nicht verübeln, damals hatte ich genauso interessiert drein gesehen. Ich konnte mich zwar dran erinnern, dass ich mit dem Fahrstuhl hochgefahren bin, aber ich wusste nicht mehr in welchen Stock. Ganz nach oben? Oder eine Etage drunter? „Entschuldigung“, sprach ich die Mitarbeiterin der Rezeption an, welche gerade den Telefonhörer auflegte und durch die offene Fensterscheibe zu mir aufblickte. Ich nannte mein Belang und erhielt von ihr die Anweisung, dass ich in den fünften Stock fahren sollte. Derweil würde sie auf der Station anrufen, so dass die Mitarbeiter Bescheid wüssten und mich hineinließen. Ich erklärte dem Doktor nur kurz, dass Besucher angemeldet werden mussten und betrat mit ihm schließlich den Lift. Wir waren die einzigen beiden in jenem Moment, die sich in der Aufzugkabine befanden. „Sind Sie sicher, dass Sie das machen möchten?“ „Ich bin schon hier.“ „Ich meine es ernst. Wenn Sie lieber-“ „Nein, das ist okay.“ Und selbst, wenn es das nicht wäre, müsste ich da durch. „Ich will es so. Ich… habe jetzt die Gelegenheit, die ich früher nicht hatte. Wenn ich wieder gehe, dann...“ Ich brach ab, weil ich nicht wusste, was dann wäre. Ich wusste, es würde mir nicht gut gehen, aber was hätte dies für Auswirkung auf alles andere? Ob sich die TARDIS dennoch beruhigen würde? Oder würden wir hier weiter feststecken? Ich konnte es mir nicht vorstellen und in meinem Kopf war bereits genug durcheinander, als dass ich sinnvolle Schlüsse ziehen konnte.   Als der Fahrstuhl mit einem Pling verkündete, dass wir das Ziel erreicht hatten, rutschte mir das Herz dennoch in die Hose. Meine Hände wurden schlagartig eiskalt und ich musste mich eher dazu zwingen, einen Schritt nach draußen zu machen. Von hier aus waren es wenige Meter bis zur Vorzone. An dieser müsste ich mich noch einmal über eine Sprechanlage melden. Es wirkte genauso kalt, wie ich es in meiner verblasst geglaubten Erinnerung hatte. Die zum U in einer Nische angeordneten dunklen Metallsitzbänke, der graublaue Boden und die unpassenden Zeitschriften auf dem kleinen Tisch – der Eulenspiegel, welcher Witze über den Tod machte und die Frauen- und Kinderzeitschriften. Stimmt. Das hatte mich damals schon irritiert. „Einen Moment bitte, Sie werden gleich abgeholt“, erklang die freundliche Stimme im Gegensprecher und ich entfernte mich wieder von der Anlage. Als dann schließlich ein großgewachsener Arzt in blauer Dienstkleidung in unser Sichtfeld trat, Mundschutz um den Hals hängend, wurde es ernst. „Schönen guten Tag, ich bin der behandelnde Oberarzt Steppke“, begrüßte er uns und reichte erst mir, dann dem Doktor die Hand, „Ich... bin etwas irritiert. Es wurde nur eine Person angekündigt?“ Ich hob leicht die Hand, um meine Zugehörigkeit zu melden. „Gehören Sie zur Familie?“, wandte sich der Arzt an den Timelord, welcher höflich aber bestimmt ablehnte und angab, nur ein Freund zu sein, der mich begleitete und hier warten würde. Es war derselbe Arzt wie damals, eine Woche zuvor. Welcher mir mitgeteilt hatte, dass es nicht gut stand. Dass es schlimm ausgehen könnte. Aber ich hatte ihn in guter Erinnerung behalten: ein ehrlicher und empathischer Mensch. Wie seltsam, dass er ausgerechnet auch heute Schicht hatte. „Kommen Sie bitte mit“, forderte er mich dann auf und öffnete bereits die Durchgangstür. „Soll ich mich ankleiden?“, fragte ich wie damals schon und deutete auf die Einmalkittel an einem Garderobenständer. „Nicht nötig.“ Ja, genau wie damals. Ich folgte dem Arzt, ohne noch einmal dem Doktor einen Blick zuzuwerfen.   In diesem Moment hätte ich gerne einfach den Doktor erzählen lassen, was als nächstes passierte. Ich habe sogar überlegt, ob ich dieses Kapitel nicht komplett vorenthalte, aber das würde einen Riss in der Erzählung ergeben, die für euch keinen Sinn hat. Und für mich auch nicht. Denn ich erzähle es ja nicht nur euch, sondern auch mir selbst. Um mir noch einmal alles ins Gedächtnis zu rufen, was geschah. Um es nicht zu vergessen und mich daran zu erinnern, sollte das Leben mal wieder sehr chaotisch laufen. Jetzt lief ich also dem Arzt hinterher. Er erklärte mir ein paar Dinge über den Gesundheitszustand meiner Großmutter: Sepsis, versuchen es zu kontrollieren, sehr kritisch, geben ihr nicht mehr viel Zeit. Ich konnte einfach nur nicken und stumm die Informationen aufnehmen. Mir fiel nichts ein, was ich hätte sagen können. Ich war zu pragmatisch veranlagt. Dieses Verhalten, was mich eine Situation meistern ließ, einen Schockmoment, und mir erst im Moment der Stille danach das Zusammenbrechen erlaubte. Ganz davon abgesehen waren es keine neuen Informationen, welche er mir zukommen ließ. Ich kannte die Todesursache, ich kannte ihren Zustand, ich wusste, dass sie starb. Was hätte mich jetzt also aus der Bahn werfen sollen?   Der Gang der ITS war schmal, vor den Zimmern standen meist kleine Ablagewagen, auf denen Handschuhverpackungen, eingetütete Kittel und Desinfektionsflaschen standen. Am Ende des Ganges gab es ein Fenster, welches Licht in den Flur scheinen ließ. Wir bogen in das zweite Zimmer zur linken Seite ein. Ich wusste nicht mehr, ob sie hier auch bei meinem letzten Besuch damals gelegen hatte, aber es war auch egal. In dem großen Raum befanden sich auf der rechten Seite, abgetrennt mit einem großen verschiebbaren mittelblauen Vorhang, zwei weitere Menschen in je einem Einzelbett. Sie schliefen oder waren komatös, einer von beiden mit einem Beatmungsgerät verbunden. Auf der linken Seite ebenso zwei Betten, im vorderen lag meine Großmutter. Ich kann nicht sagen, welches Gefühl mich als erstes durchfuhr, als ich sie sah. War es Erleichterung? Ein bisschen Freude? Trauer? Schmerz? Wohl eine Mischung aus allem. Was mein Herz aber besonders umhüllte und in seine Arme wog, das war das Gefühl von Familie. Diese Geborgenheit, die dich umarmte und dich sicher fühlen ließ. Ich wurde mit ihr allein gelassen und so zog ich mir den einen zwischen den Betten aufgestellten Besucherstuhl heran und setzte mich. Ich sah auf die Gerätschaften rechts neben ihr, ein Stapel Infusiomaten und Pumpen. Epinephrin, Schmerzmittel, … Ich wandte meinen Blick ab und schließlich zu ihr. Vorsichtig nahm ich ihre Hand in meine und hielt sie erst einmal einfach nur fest.   * * * Ich kann nicht sagen, wie viel Zeit vergangen war. Ich vermied es auf die Uhr zu schauen. Wenn man einen Patienten vor sich hat, der offensichtlich im Koma lag, so sollte man dennoch mit ihm sprechen und ihn ganz normal behandeln. Du weißt nie, was er wirklich mitbekommt und das Ansprechen der Sinne bzw. ihn eben als Person und nicht als schlafendes Etwas zu behandeln, ist äußerst wichtig. Daran dachte ich aber nicht. Mir war einfach nur wichtig, dass ich noch einmal Gelegenheit hatte, mich mit ihr zu unterhalten. Ich begann zu erzählen, wo ich herkam, was alles passiert war. Erzählte ihr, was ich aktuell machte, erzählte ihr von meiner Mutter, die ihr immer ähnlicher wurde. Erzählte ebenso von Japan, wo ich hingeflogen war und auch von vielen anderen Dingen. Dann auch von meinem lieben Mann und so weiter. Natürlich konnte sie mir nicht antworten, aber ich konnte mir vorstellen, was sie sagen würde, könnte sie es. Ich wusste es ganz genau und das brachte mich irgendwie zum Lächeln. Schließlich wagte ich doch einen Blick auf die Monitoranzeige, welche Herzfrequenz, Atmung und Sauerstoff in Zickzack-Diagrammlinien beschrieb. Es war knapp vor halb drei. Ich schluckte schwer. Man konnte sich nicht auf den Moment einstellen, wenn ein Mensch starb. Der Tod kam selbst schleichend plötzlich. Und deswegen tat ich nur noch eine Sache: Ich erhob mich, beugte mich zu ihr herab und gab ihr einen lieben Kuss auf die Wange. Zuflüsternd, dass ich sie liebte und dass sie gehen könnte, wenn sie wollte. Sie war nicht allein. Danach erklang der verheißende anhaltende lange Ton des Überwachungsmonitors, dessen reguläres Piepen ich kaum wahrgenommen hatte. Der Ton der E-Linie hingegen stieß mir regelrecht gegen mein Trommelfell. Ich schreckte nicht zusammen, ich fuhr auch nicht auf und das Blut versackte mir nicht. Es war genau das, womit ich hatte rechnen müssen. Nicht mehr, nicht weniger. Und ich war seltsamerweise wirklich die Ruhe selbst. Nicht vorgespielt, nicht überspielt. Ich war es wirklich. Ich stand auf, war dabei, das Zimmer zu verlassen, als mit einem Mal der zuständige Arzt und zwei Pfleger hereinkamen. Sie hatten natürlich aus dem Stationszimmer mitbekommen, dass das Gerät Alarm schlug. Alles normal. Diese Normalität stellte mein Hirn allerdings in Frage, als ich mitbekam, dass sie hektisch agierten, dass der Arzt etwas von Adrenalin faselte und sie ein Defibrillator heranzogen, Paddles vorbereiteten. Moment mal… was sollte das? „Kommen Sie bitte mit nach draußen“, wurde ich von einer zusätzlichen Pflegekraft angesprochen, eine Frau mittleren Alters, welche mich behutsam an den Schultern berührt hatte und nun dabei war, mich hinauszuschieben. „M-Moment“, rief ich irritiert aus, „Was wird das?“ Ich klang hysterischer als ich wollte, aber mein Gedächtnis rief mir die richtige Szenerie vor Augen, die sich hier ereignen würde: Wiederbelebungsmaßnahme. „Kommen Sie mit“, wurde ich erneut angesprochen, diesmal etwas schroffer, damit ich verstand Folge zu leisten. Sie stemmte sich gegen mich und schob mich so ein, zwei Schritte mit sich. „Stopp“, rief ich wieder, diesmal lauter, „Was soll das? Sie wollte nicht… Sie sollte nicht…!!“ Ich konnte kaum Worte finden für das, was hier abging und genauso wenig konnte ich meine Augen davon abwenden. Ich hatte keine Chance, etwas dagegen zu unternehmen und je mehr ich mich wehrte, desto stärker wurde der Griff der Pflegekraft. Desto mehr wurde ich abgedrängt. Ich stand dann bereits auf dem Flur, konnte aber immer noch aus dem Augenwinkel zusehen, wie sie die Paddles ansetzten und den ersten Schock einleiteten. Auf einmal stand allerdings der Doktor vor mir, welcher sich wohl durch meine Stimme hatte aus dem Vorraum locken lassen. Seine Augen schätzten kurz und knapp die Situation ein. Ich konnte nichts sagen, nichts hervorbringen, aber mein eigener Blick würde Bände sprechen. Er sagte nichts, er schob mich nur bestimmt von der Szenerie weg. Mir kamen einzelne Silben über die Lippen, aber zu sehr hatte ich mit der Luft zu kämpfen, die mit einem Mal nicht mehr in meine Lungen dringen wollte. Ich schnappte immer heftiger nach Sauerstoff und doch schien es nichts zu nützen. „Atmen Sie. Langsam. Ein und aus. Ein und aus“, sprach er leise auf mich ein. Ich wehrte mich selbst dagegen, aber irgendwann drang seine Stimme nicht nur an mein Ohr, sondern auch in meinen Kopf und ich konnte seine Worte umsetzen. Einatmen. Ausatmen. Meine Lungen entspannten sich langsam wieder. Es tat immer noch weh, aber das Stechen ließ nach. Der Schwindel im Kopf nahm ab. Ich bekam Luft. Der Doktor hielt mich immer noch an seiner Seite gedrückt und ehe ich es mich versah, hatte er es geschafft, mich komplett nach draußen zu bugsieren. Wir standen wieder bei der Stuhlreihe im Vorraum. Ich bekam keine Geräusche der Umgebung mit. Nichts aus dem Raum, wo sie meine Großmutter wiederbeleben wollten. Nichts von dem Flur vor uns. Rein gar nichts. Als wäre ich mit einem Mal taub geworden. Ein stummer Hörsturz. Ich wandte meinen Kopf in die Richtung, aus der wir gekommen waren, schien neue Gedanken zu fassen, mir einen Plan zurechtzulegen, aber es schien, als hätte der Doktor meine Ideen riechen können und so legte er dieses Mal seine Hände an meine Schultern, kam mir fast bis auf die Nasenspitze nahe und sah mir intensiv in die Augen. „Alexandra, hören Sie mir zu.“ Ich schaute zu ihm, verwirrt und nicht wissend, was er von mir wollte, „Hören Sie mir ganz einfach nur zu“ Ich nickte minimal und erwiderte weiterhin einfach nur seinen Blick, „Das, was Sie gesehen haben, konnten Sie nicht beeinflussen.“ „Aber sie haben sie-“ „Hören Sie mir zu“, unterbrach er mich eindringlich, als ich etwas einwenden wollte, „Das konnten Sie nicht beeinflussen.“ Er betonte jede Silbe und mit einem Mal verstand ich, was er meinte: Natürlich hatte ich nichts dagegen tun können. Eigentlich wäre ich gar nicht hier gewesen. Ich hätte zu Hause sein müssen, nicht hier im Krankenhaus. Und genau das war es, was er mir vermitteln wollte. Ich hatte mehr gesehen als ich sollte. Diese Unabänderlichkeit, der Umstand, dass ich dieses Mal Zeugin dessen wurde, wie ein Familienmitglied starb sowie die Tatsache, dass ich sie überhaupt noch einmal hatte sehen können, ließen nun die Emotionen aufkommen. Ich konnte gar nichts dagegen tun, dass ich mit einem Mal die Tränen in den Augen spürte und sich ein breiter Kloß in meinem Hals anstaute. Es war mir unangenehm, nahezu peinlich, dass ich mir so die Blöße geben musste. Ich wandte meinen Kopf ab, versuchte mir unauffällig die Tränen wegzuwischen und wieder zu meiner ruhigen Verfassung zu finden, welche ich doch eigentlich immer aufrecht erhielt. Immer wieder wischte ich mir über die Augen, aber letzten Endes war es ein sinnloses Unterfangen. Ich musste die Lippen fest aufeinander pressen, um nicht doch noch einen schluchzenden Ton loszulassen. Der Doktor löste langsam auch seine Hände wieder von meinen Schultern. „Es... tut mir leid“, waren seine leisen Worte. Aus seiner Stimme klang Mitgefühl und Reue. Ich hatte keine Ahnung, warum er bereute, aber in diesem Moment war es mir auch gleich. Schließlich erklangen leise Schritte auf dem Gang neben uns, die sich annäherten und schließlich bei uns stehen blieben. Ich nutzte dies als Gelegenheit, straffte die Schultern und versuchte so gut es ging, wieder Haltung anzunehmen. Vergeblich. „Ich… muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihre Großmutter verstorben ist. Wir haben alles getan, was möglich war, aber ihr Körper hat die Anstrengung nicht mehr verkraftet.“ Ich schwieg zunächst, weil mir sonst böse Worte über die Lippen gekommen wären. Sehr böse Worte. Dann jedoch konnte ich mich dazu überwinden, etwas zu sagen: „Danke… ich weiß.“ Das war nicht das, was der Arzt erwartet hatte, das konnte ich anhand des fragenden Untertons vernehmen, welcher in seiner Stimme mitschwang: „Wenn Sie wollen… können Sie zu ihr?“ „Nein, ich denke nicht“, presste ich hervor, sah ihm allerdings ebenso wenig in die Augen. Ich wollte ihn nicht anschauen. Ich wollte nicht dem Mann in die Augen sehen, welcher versucht hatte, sie erneut ins Leben zurückzuholen. „Benachrichtigen Sie… bitte einfach nur meine Tante.“ Und das war es. Ich wandte mich ab, drehte mich auf dem Absatz um und machte einen Schritt nach dem anderen zum Ausgang. Der Doktor kam mir nach, hatte noch irgendetwas zum Arzt gesagt, der an immer noch gleicher Stelle stand und hielt schließlich hinter mir an. Ich hatte den Aufzugknopf gedrückt und hatte meinen Daumen bisher noch nicht von diesem genommen. Mein Blick blieb auf das metallene Silber des Türrahmens gehaftet und ich schwieg. Meine Beine zitterten unmerklich, aber machten es mir schwer, ohne Abstützen zu stehen. Mir tat jeder Muskel meines Körpers weh. Meine Wangen schienen mir zu meinen Augen hin geschwollen und das Atmen fiel mehr schwerer. Es war nicht fair, dass ich ein weiteres Mal dieses Schmerz durchmachen musste. Aber schlimmer als das wog hierbei die Tatsache, dass ich nun auch unsagbare Wut verspürte. Diese hatte ich damals nicht. Eine solche Wut über die Unabdingbarkeit der Situation, welche sich eben ereignet hatte, in der ich nicht hatte eingreifen können. Man hatte mich nicht gelassen. Und dies noch nicht einmal von Seiten des Doktors aus, sondern von diesen Ärzten, die alles taten, um Leben zu retten. Alles. Selbst in meiner eigenen Ausbildung und späteren Arbeit hatte ich nicht diesen Hass auf den Ehrenkodex der Mediziner verspürt, wie ich es jetzt tat. Wozu unterschrieb man Patientenverfügungen und setzte Testamente auf, wenn dem nicht nachgekommen wurde? Oder hatte so etwas überhaupt gar nicht existiert? Hatte ich einfach nur immer gedacht, dass alles geregelt worden wäre und in Wahrheit war nichts davon auffindbar? Mein Daumen rutschte von dem Knopf und fiel samt meiner Hand schlaff an meine Seite. Ich verbot mir alle Worte, die mir jetzt noch über die Lippen gekommen wären. Ich wusste nicht, ob ich geflucht hätte, ob ich geschrien hätte, ob ich Dinge gesagt hätte, die ich hinterher bereuen würde. Ob ich überhaupt etwas sagen könnte. Die Fahrstuhltüren öffneten sich mit einem leisen mechanischen Geräusch und ich ging in die Kabine, einfach nur die Taste neben dem Aufschrift EG drückend. War es hier vorhin auch schon so stickig gewesen? Die Luft kam mir unnatürlich warm und dick vor. Ich war der Meinung, einen Hauch von Parfüm wahrnehmen zu können, welches meine Nase verstopfte und meinen Magen zum Rebellieren bringen wollte. Ich lehnte mich an die Wand an und schaute in die kleine Spiegelfläche, direkt neben der Etagenliste. Leichenblass. Ich fühlte mich nicht besonders schlecht, aber genau so sah ich aus: absolut… beschissen. Der Doktor war mir gefolgt, betrachtete mich analysierend und schien abzuwägen, was als nächstes zu tun wäre. Ich nahm dies nur durch einen kurzen Seitenblick wahr, ehe ich wieder zu meinen Füßen blickte. Die Fahrt nach unten ließ meinen Gleichgewichtssinn schaukeln. Mir wurde ein bisschen schwindelig und ich stieß sauer auf. Als die Türen erneut aufsprangen, eilte ich raus, direkt schnellen Schrittes auf den Ausgang zu. Der Timelord rief mich beim Namen, aber alles, was ich jetzt wollte, war erst einmal Luft. Frische, reine Luft. Sauerstoff. Raus aus dem stickigen Mief, aus dieser Sardinenbüchse, aus diesem Korsett, das sich um mich gelegt hatte und mir drohte meine Lungen und alle anderen Organe zu zerquetschen. Erst als ich den kühlen Oktoberwind in meinem Gesicht spürte, wurde es besser. Nicht schlagartig, aber zumindest ein bisschen besser als dass ich mich nicht gleich übergeben müsste. Ich blieb einfach nur stehen, schloss die Augen und konzentrierte mich aufs Atmen. Die Übelkeit ließ nach. Vielleicht kehrte auch etwas Farbe in mein Gesicht zurück. Ich verschränkte die Arme vor der Brust. Die Hitze war aus meinem Körper gewichen und mir wurde emsig kalt. Ich zitterte wie Espenlaub und auch wenn ich die Arme fest an mich presste, wurde es nicht besser. Meine Lippen bebten. Gerade wünschte ich mir nichts sehnlicher, als die Arme meines Liebsten um mich zu wissen, doch das ging nicht. Und anstatt dessen, wurde mir da der Trenchcoat des Doktors zuteil, welche er mir über die Schultern legte. Ich blickte verwundert auf, brachte aber kein Wort über die Lippen. Noch nicht. Wir sollten den Rückweg antreten. Meine Beine schoben sich automatisch Schritt um Schritt vor und doch konnte ich noch nicht begreifen, was da gerade passiert war. Dass ich zum einen die Chance bekommen hatte, mich noch einmal richtig von ihr zu verabschieden, aber dass ich ebenso mitansehen musste, was mir damals erspart geblieben war. Es konnte eben nie nur eine Seite geben. Man musste immer beide ertragen, und das war so schwer. „D-Danke“, kam es mir bibbernd über die Lippen und ich wusste nicht einmal, ob er es überhaupt gehört hatte, so leise wie ich sprach. Wir gingen die ersten Meter, entfernten uns vom Krankenhaus und gelangten wieder auf den grob gepflasterten Gehweg, der zur Hauptstraße führen würde. Anders als zuvor, ging ich nun aber weiter gerade aus, als an der Ecke abzubiegen. Ich konnte noch nicht zurück und konnte auch nicht einfach zu einem weiteren neuen Planeten und auf gute Laune machen. Das ging nicht. Der Doktor war taktvoll genug, mir keine unangenehmen Fragen zu stellen und trotzdem merkte ich, dass er gerne etwas dazu gesagt hätte. Zu den Geschehnissen. Deswegen entschied ich mich, zuerst etwas zu sagen: „An diesem Tag habe ich den Anruf von meiner Tante bekommen. Sie gratulierte mir zum Geburtstag und im selben Moment hat sie dann verkündet, dass meine Großmutter verstorben sei“, sprach ich leise, „Ich war ziemlich wütend auf sie, wie man so unsensibel sein konnte.“ Mir entwich jetzt fast schon ein kleines Lächeln. Ich wusste nicht, ob ich mich für damals töricht hielt oder ob es einfach nur der Moment war, den mein damaliges Ich jetzt erleben würde und an dem ich mich zu gut erinnern konnte. Denn seitdem waren so viele Kleinigkeiten vorgefallen, dass ich zu meinen Verwandten kein Verhältnis mehr pflegte. Es gab in meinem Leben keine Familie mehr – bis auf meine Eltern. Ich hatte keinen Bedarf und es war für mich in Ordnung. Zumindest meistens. „Sie müssen sich nicht erklären“, wandte der Doktor auf meine Worte ein und brachte mich damit zum Innehalten. Ich hatte tatsächlich bereits schon wieder ansetzen wollen weiterzureden. Das war für mich ganz natürlich. Und wenn ich jetzt zum Doktor aufsah, dann befiel mich eine seltsame Art Erleichterung befiel mich. Es schoben sich zwar wieder die Tränen in meine Augen und ich hatte Mühe, diese an ihren Platz zu halten, doch das Gefühl, welches mich erfasste, war wert, es zu ertragen. Wir gingen in weiterer Stille zum unweit entfernten Bahnhof zurück. Der Timelord blieb die ganze Zeit an meiner Seite. Ich musste nicht hinsehen um zu wissen, dass er da war und ich glaube, dass es genau dieses Vertrauen war, dass seine Begleiter ihm gegenüber verspürten: Sie konnten sich auf ihn verlassen und es gab keinen Grund, warum sie zweifeln mussten, dass er sie in Stich lassen könnte. Eine Art Urvertrauen.   Es war längst Abend geworden, als wir die TARDIS wieder erreichten und noch immer hatte sich in unserer Abwesenheit nichts verändert. Der Hausflur war dunkel, der Keller war dunkel und wir mittendrin. Ich stand einfach nur angelehnt an dem Pult der blauen Box, während der Doktor erneut versuchte, uns fortzubewegen. Mein Blick war auf einem unsichtbaren Punkt gerichtet. Ich hätte jederzeit auf mein Zimmer gehen können, aber das hätte bedeutet, dass ich alleine gewesen wäre. Lieber blieb ich schweigend beim Timelord und lenkte mich ein wenig damit ab, ihm zuzusehen. „Ich nehme nicht an, dass sie Hunger haben, aber vielleicht sollten Sie etwas essen“, schlug er vor und ich guckte sogleich auf die kleine Bäckertüte, die ich in der Hand hielt. Von unterwegs mitgenommen. Wann hatte ich die gekauft? Ich nahm die Laugenbrezel aus der Tüte hervor. Vorhin war sie wohl noch warm geworden, aber jetzt ausgekühlt. Das würde nichts machen. Ich biss ein kleines Stück ab und kaute mindestens 53 Mal den Brotklumpen klein. Schwer schluckend sah ich kämpfend zum übrigen Gebäck. Ich hatte wirklich keinen Hunger, aber angesichts der Zeit sollte ich wirklich etwas zu mir nehmen. „Danke“, kam es mir da über die Lippen. „Wofür?“, fragte er mich der Doktor. Kein Gesichtsverziehen, kein seltsamer Tonfall. Es war selten, ihn so zu erleben, aber er machte es mir damit gerade ein bisschen leichter. „Für alles.“ „Ich weiß nicht, ob Sie mir dafür danken sollten.“ „Dass ich nicht alleine sein muss“, fuhr ich ihm sogleich nachdrücklicher dazwischen, „Danke.“ Er sah zu mir auf, als ich im gleichen Moment zu ihm blickte: „Gern geschehen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)